Lotse der Toten (Der Weg eines NPCs Buch # 4): LitRPG-Serie - Pavel Kornev - E-Book

Lotse der Toten (Der Weg eines NPCs Buch # 4): LitRPG-Serie E-Book

Pavel Kornev

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Beschreibung

Niemand stirbt gern in der virtuellen Realität, aber Todesdrohungen von echten Gangsterbossen sind noch weitaus schlimmer. Die Alternative, für sie in der VR einen Auftrag auszuführen, klingt in dieser aussichtslosen Lage gar nicht so schlecht. Allerdings gelten in den Spielen geheimnisvoller Auftraggeber weitaus strengere Regeln. Ob man eine Wahl hat oder nicht, spielt hier keine Rolle – ihre verdeckten Pläne kennen kein Erbarmen. Andererseits hatte ich bislang nie eine Wahl, deshalb erschien mir der Preis für meine Freiheit nicht zu hoch. Ich musste mich lediglich einloggen, zum Nekromanten werden, meine unheilvollen Verfolger abschütteln, die Eliminierungsprüfung überstehen und eine ganz bestimmte Person ausfindig machen. Welche? Warum? Und wie sollte ich das anstellen? Falsche Fragen. Wichtig war nur eine einzige: Warum ich? Warum John Doe?

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Teil Eins. Ausgangspunkt

Teil Zwei. Im Sammelbecken

Teil Drei. Filter

Über den Autor

Lotse der Toten

Roman

von Pavel Kornev

Der Weg eines NPCs

Buch Nr. 4

Magic Dome Books

Lotse der Toten: Der Weg eines NPCs Buch 4

Buch Nr. 4 Originaltitel: The Guardian of the Dead: An NPC’s Path, Book 4

Copyright ©P. Kornev, 2021

Covergestaltung ©V. Manyukhin, 2021

Deutsche Übersetzung © Annika Tschöpe, 2022

Lektor: Lilian R. Franke

Erschienen 2022 bei Magic Dome Books

Anschrift: Podkovářská 933/3, Vysočany, 190 00 Praha 9

Czech Republic

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Buch ist nur für deine persönliche Unterhaltung lizensiert. Das Buch sollte nicht weiterverkauft oder an Dritte verschenkt werden. Wenn du dieses Buch mit anderen Personen teilen möchtest, erwirb bitte für jede Person ein zusätzliches Exemplar. Wenn du dieses Buch liest, ohne es gekauft zu haben, besuche bitte deinen shop und kaufe dir dein eigenes Exemplar. Vielen Dank, dass du die harte Arbeit des Autors respektierst.

Die Personen und Handlung dieses Buches sind frei erfunden. Jede Übereinstimmung mit realen Personen oder Vorkommnissen wäre zufällig.

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Prolog

Offline

WENN DU IN einen Abgrund blicken willst, musst du nur einmal in einen Revolverlauf schauen. Und zwar nicht, allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz, beim Reinigen der Waffe, sondern wenn ein Fremder sie in der Hand hat und damit auf dich zielt … zum Beispiel mitten auf die Stirn.

Das erlebte ich gerade.

In der Röhre herrschte Finsternis, dahinter war verschwommen die Silhouette eines Mannes auszumachen. Mir gelang es nicht, den Blick auf den Schurken selbst zu richten, so sehr hielt das falsche Ende des Schalldämpfers mich in seinem tödlichen Bann. Ja, „tödlich“ ist das richtige Wort, daran gibt es keinen Zweifel.

Mein Magen krampfte sich zusammen. Erst als sich der Revolverlauf ein wenig senkte, ließ meine Lähmung nach.

Gehorsam drückte ich den Knopf, der das Autofenster herabfahren ließ. Ich saß in meinem eigenen Elektroauto auf meinem eigenen Parkplatz auf der Wartungsebene des Hochhauses, in dem ich mir ein eigenes Büro gemietet hatte.

Mit leisem Rauschen glitt das Fenster herab.

Mein eigenes — und wenn schon. Wenn der Kerl jetzt abdrückte, würde mir nichts mehr bleiben. Nicht einmal mein Ich. Der leblose Leichnam wäre nur ein Haufen Fleisch und Knochen mit etwas verstreuter Gehirnmasse.

Das Fenster war unten angekommen. Der Motor hörte auf zu surren. Stille machte sich breit.

„Schöne Grüße von Kogan“, sagte das verschwommene Gesicht mit ausdrucksloser Stimme.

Ich konnte mich nicht dazu durchringen, den Kerl anzusehen.

Etwas explodierte.

Ein Blitz durchfuhr mich, als wäre in meinem Kopf eine Granate hochgegangen. Sämtliche Farben verschwanden, alles war weiß. Die Welt war zu einem weißen Nichts geworden.

Dann wurde ich aus dem Auto in dieses Nichts gezerrt.

Nein, die Seele war mir nicht aus dem Leib gerissen worden. Ich hatte nicht den Eindruck, als würde ich bei lebendigem Leib in den Himmel befördert. Obwohl ich nichts hören konnte und kaum begriff, was vor sich ging, war mir, als würde ich unter den Armen gepackt und über den Betonboden geschleift.

Die schemenhaften Umrisse vor mir waren wohl ein Paar schwarze Kampfstiefel. Aha. Offenbar kehrte mein Sehvermögen allmählich zurück.

Jetzt hatten sie mich vermutlich in einen Van oder Minibus bugsiert und — nach dem leichten Vibrieren zu urteilen — die Schiebetür zugeworfen. Zumindest hatte ich den Eindruck.

Mir klingelten die Ohren, vor meinen Augen schwammen weiße Kreise. Nur auf meinen Tastsinn schien wieder Verlass zu sein, denn unter den Fingern spürte ich rauen Teppich.

Auf dem ich in meinem maßgeschneiderten Anzug lag, der mich ein halbes Vermögen gekostet hatte.

Stopp, der Anzug war jetzt egal. Wurde ich gerade entführt?

Und wenn ja, war das besser als eine Kugel im Kopf — oder doch nicht?

Es kam entscheidend darauf an, was die Ganoven vorhatten. Sie hatten Kogan erwähnt, also ging es nicht um Lösegeld. Und da sie keine Gläubiger waren, würden sie sich mit dem sprichwörtlichen Pfund Fleisch nicht zufriedengeben.

Verdammt! Wieso war das ausgerechnet jetzt passiert? Nach so vielen Jahren?

Schließlich war ich auf Nummer sicher gegangen, war ans andere Ende des Landes gezogen, hatte die Branche gewechselt, verzichtete auf soziale Medien und hatte sogar neue Versicherungen abgeschlossen. Was war nur los? Was wollte Kogan von mir? Gut, meine Aussage hatte entscheidend dazu beigetragen, dass er für acht Jahre hinter Gittern gelandet war — na und? Mittlerweile war er wegen guter Führung freigekommen und auf dem Weg in das sprichwörtliche Gelobte Land! Warum zum Teufel konnte er die Vergangenheit nicht ruhen lassen? War er sich so sicher, dass man ihn nicht aufspüren konnte — oder meinte er, dass ihn niemand verraten würde?

Aber was kümmerte mich das? Es änderte nichts an meiner Lage. Hätte er mich doch an Ort und Stelle erschossen …

Trotz des fiesen Klingelns in den Ohren nahm ich wahr, dass die Tür wieder aufgeschoben wurde. Diesmal konnte ich einen der Kidnapper einigermaßen erkennen. Er trug einen Tarnanzug, einen Funktionsgürtel, einen Revolver und einen Helm mit Gasmaske und getöntem Visier. Damit sah er nicht wie ein typischer Gauner aus. Ich bezweifelte jedoch, dass Kogan einen privaten Sicherheitsdienst anheuern würde, nur um mich zu entführen. Das wäre etwas übertrieben gewesen, so viel war ich nun auch nicht wert.

Damit blieb nur noch der Staat. Aber die Vorstellung war genauso absurd!

Man packte mich unter den Armen, zerrte mich hoch und hob mich auf einen Autositz. Dann wurde das Tischchen heruntergeklappt und ein Laptop daraufgestellt.

„Wenn Sie so weit sind, machen Sie es auf“, sagte der Typ in Tarnkleidung. „Verstanden?“

Mein zögerliches Nicken stellte ihn offenbar nicht zufrieden, denn er wiederholte: „Haben Sie verstanden?“

Obwohl mir von der Betäubungsgranate immer noch die Ohren klingelten, verstand ich seine Worte klar und deutlich. „Ja“, stieß ich hervor, um ihn nicht weiter zu verärgern.

Zugegeben, meine Antwort klang jämmerlich. Trotzdem ließ er mich jetzt in Ruhe, stieg aus dem fensterlosen Van und schob die Seitentür hinter sich zu.

Ich hatte keine Eile, den Laptop aufzuklappen, sondern lehnte mich im Sitz zurück. Immer wieder schloss und öffnete ich die Augen, damit die weißen Flecken verschwanden, die in meinem Sichtfeld tanzten.

Allmählich sah ich wieder besser. Zögerlich strich ich über den Gummirand des Computers. Eindeutig eine Spezialanfertigung. Schließlich nahm ich all meinen Mut zusammen. Ich wollte endlich wissen, was hier vorging.

Also klappte ich den Deckel auf.

Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte — vielleicht die grinsende Visage meine Ex-Chefs —, aber vor mir erschien das Logo des Spiels Türme der Macht, das sich langsam vor einem schwarzen Hintergrund drehte.

Was sollte das denn jetzt? Zum x-ten Mal in den letzten fünf Minuten fiel mir die Kinnlade herunter.

Dann wurde ein Kommunikationskanal eingeschaltet, in dem ein Gesicht erschien. Kein echtes, sondern das Gesicht einer Zeichentrick-Figur. Und diese war kein Mensch.

Der Avatar hatte einen schmalen Schädel, gräuliche Haut, aschfarbenes Haar und spitze Ohren. Schwarze Augen mit vertikalen Pupillen, in denen purpurrote Pünktchen funkelten. Aha. Ich hatte also die Ehre, von einem Dunkelelf besucht zu werden.

Oder vielmehr einer Elfin. Es war Isabella Ash-Rizt — oder jemand, der sie verkörperte.

Seit vier Jahren hatte ich mit dieser gar nicht so netten Dame nichts mehr zu tun gehabt.

Doch nein, das war kein Trick. Isabella war echt.

„Hallo, Schätzchen“, begrüßte sie mich wie üblich. „Lange nicht gesehen!“

Soweit ich wusste, arbeitete sie für die Nachrichtenabteilung einer Strafverfolgungsbehörde. Keine Ahnung, um welche es sich handelte.

„Hau ab!“, rief ich.

Die Elfin (natürlich war sie keine Elfin … aber irgendwie musste ich sie schließlich nennen) lachte kurz auf. „Ist das der Dank dafür, dass wir dir gerade das Leben gerettet haben?“

Mittlerweile war mein Kopf wieder so klar, dass ich einen Haken witterte. „Von wegen“, erwiderte ich. „Willst du etwa behaupten, das sei keine Finte gewesen?“

Isabella schüttelte den Kopf. „Leugnen, Zorn, Verhandeln“, zählte sie an ihren langen Fingern mit schwarzlackierten Nägeln ab. „All das wird dir nicht weiterhelfen, genauso wenig wie Depressionen. Am besten gehst du direkt zur Phase der Akzeptanz über. Übrigens, Schätzchen, dein ehemaliger Chef ist ein ziemlich rachsüchtiger Bursche. Zu deinem Glück konnte der Kerl, der ihm einen Auftragskiller beschaffen sollte, den Mund nicht halten. Uns blieb keine Zeit, einen von uns einzuschleusen, deshalb mussten wir improvisieren, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Aber was hast du mit dem Spiel zu tun?“, fragte ich.

„Wir wollen dir ein Geschäft anbieten.“

In meinen Ohren klingelte es schrill und mein Kopf hämmerte, deshalb verlor ich die Beherrschung. „Ach, tatsächlich? Kannst du dir nicht denken, wohin du dir deine Angebote stecken kannst? Oder muss ich noch deutlicher werden?“

„Wie wäre es, wenn wir dich ins Zeugenschutzprogramm nehmen? Dann bekommst du einen neuen Namen, eine neue Herkunft und sogar ein neues Gesicht, falls du möchtest. Einschließlich Spesen. Ich weiß, dass es dir nicht gerade schlecht geht, aber Geld hat man nie genug. Was hältst du davon?“

Diese Sache hatte so viele Haken auf einmal, dass ich nicht wusste, wo ich anfangen sollte. Trotzdem machte ich nicht den Fehler, das Angebot sofort auszuschlagen. Ich musste gründlich überlegen.

„Das ist ganz einfach, Schätzchen“, versuchte Isabella weiter, mich zu überreden. „Entweder du bleibst bei deiner Aussage und lebst glücklich und zufrieden bis zum nächsten Anschlag auf dein Leben …“

„Falls es überhaupt einen geben wird.“

Isabella ging auf meinen Einwurf nicht ein. „Ich kann schlecht einschätzen, wie hartnäckig Mr. Kogan ist. Du kennst ihn besser als ich. Oder du nimmst unser Angebot an und stirbst offiziell hier und jetzt. Um die technische Seite kümmern wird uns.“

Das gab mir zu denken. Mein gesamtes Kapital lag auf digitalen Bankkonten, sodass ich weiterhin darauf Zugriff haben würde. Eine Familie hatte ich in den letzten Jahren nicht gegründet, es gab nicht einmal Menschen, die mir nahestanden, denn insgeheim hatte ich immer geahnt, dass irgendwann so etwas wie jetzt passieren würde. Zugegeben, es war nicht gerade angenehm, in ständiger Angst zu leben.

Außerdem war mir klar, dass Kogan keine Ruhe geben würde. Wenn er sich in den Kopf gesetzt hatte, mich zu vernichten, würde er dieses Ziel gnadenlos verfolgen. Ich zweifelte nicht eine Sekunde an seiner Entschlossenheit — deshalb hatte ich mich in dieses entlegene Nest am anderen Ende des Landes verzogen.

Das Zeugenschutzprogramm konnte ein Ausweg sein. Aber zu welchem Preis?

„Und was verlangst du als Gegenleistung?“, fragte ich nach diesen Überlegungen widerwillig.

„Zwei Monate deines Lebens. Oder sogar noch weniger, wenn du schnell bist. Im Idealfall ist alles in weniger als einem Monat erledigt.“

„Ist was erledigt?“

„Du sollst jemanden für uns finden …“ Offenbar war meine Miene so entsetzt, dass Isabella mitten im Satz abbrach und beruhigend die Hand hob. „Ich meine online, Schätzchen! Wir müssen ihn erst online finden. Hast du schon mal von der Multi-Plattform Deep Sleep gehört?“

„Das ist doch Quatsch“, murmelte ich, denn ihr Angebot brachte mich aus der Fassung. „Wieso braucht ihr dazu ausgerechnet mich?“

„Glaub mir, Schätzchen, ohne dich geht es nicht. Jetzt möchte ich dich bitten, den Vertrag zu lesen und den Daumen auf den Scanner zu halten …“

Online

DUNKELHEIT. Stille. Glückseligkeit.

Dann zuckten um mich herum unvermittelt eine Reihe greller Blitze auf, gefolgt von Kreischen und Kratzen sowie knisternden Elektrostößen.

Ich wollte mir den Helm vom Kopf reißen, doch ich hatte keinerlei Kontrolle über meinen Körper. Ich konnte nicht einmal schreien. Das war auch gut so, denn wenige Augenblicke später ließen die Blitze nach und die schrille Kakofonie ebbte ab, während mein Geist in grenzenloser Finsternis versank.

„Achtung bitte“, ertönte eine geschlechtslose Stimme in meinem Kopf. „Bereitmachen zur Gerätekalibrierung. Denken Sie an ein weißes Quadrat.“

Das tat ich, und schon leuchtete zu meinem Erstaunen die geometrische Form, die in meiner Fantasie entstanden war, in der Dunkelheit auf.

Sobald sich das Bild stabilisiert hatte, bekam ich die nächste Anweisung.

„Versuchen Sie, aus dem Quadrat einen Kreis zu machen.“

Auch das gelang mir mühelos, genau wie die Änderung der Farbe von Weiß zu Grün. Danach musste ich den Kreis zur Raute formen und diese links blau und rechts rot einfärben.

Damit war die Kalibrierung abgeschlossen.

Gerät einsatzbereit

Die Finsternis zuckte, die zweifarbige Raute verschwand, stattdessen erschien das Logo der Entwicklerfirma. Ich wurde wie ein Zweig in einem Whirlpool herumgewirbelt. Mein Gehirn stürzte in ein Flammen umzucktes Portal.

Doch aus dem freien Fall wurde ein sanfter Gleitflug, als der Kaninchenbau sich auftat und ins grenzenlose All überging. Nach und nach erschienen Sterne im Dunkel, kamen immer näher und wurden immer heller, bis ich darin ein Meer aus Portalen erkannte, die in virtuelle Welten führten.

Bitte wähle eine Eintrittsstelle.

Du kannst sie später ändern.

Mein Blick schoss hektisch hin und her. Welches war das richtige Fenster? Endlich kam ich zur Besinnung und erteilte in Gedanken ein Kommando.

„Grenzenloses Reich.“

Und es funktionierte. Eines der virtuellen Icons wurde größer, sodass ich hindurchschlüpfen konnte und durch einen Tunnel auf ein paar helle Pünktchen zuraste, die in weiter Ferne schimmerten.

Dann sah ich ein Stahlgitter, das den Tunnel versperrte.

Suche nach gesperrten Konten läuft …

Die Systemnachricht tauchte unverhofft auf und ließ mich zusammenzucken, weil ich fest damit gerechnet hatte, gegen die spitzen, blutverklebten Gitterstangen zu prallen. War das von den Entwicklern wirklich so programmiert oder spielte meine überspannte Fantasie mir einen grausamen Streich?

So oder so, es war furchterregend.

Neue dauerhafte Kontosperren entdeckt: Türme der Macht.

Ich ahnte, dass ich gleich zurück in die Realität geschleudert werden würde wie ein ungezogenes Kätzchen. Die Aussicht, aus dem Zeugenschutzprogramm geworfen zu werden, weckte in mir solche Panik, dass der Zusammenprall mit den heransausenden spitzen Stangen im Vergleich nicht mehr so furchteinflößend oder unangenehm wirkte.

Multi-Plattform Deep Sleep: Keine globalen Kontosperren entdeckt

Grenzenloses Reich: Keine Kontosperren entdeckt

Zutritt gewährt!

Offline

NEIN, ICH HATTE mich nicht Hals über Kopf auf die „Kooperation“ eingelassen. Erst hatte ich mir sämtliche Details erläutern lassen, in denen bekanntlich oft der Teufel steckt. Ich hatte nicht die Absicht, mich als virtuellen Sklaven zu verkaufen — sofern es tatsächlich um einen virtuellen Einsatz ging.

Aber die Vereinbarung stellte sich als vollkommen klar und eindeutig heraus, ohne Hintergedanken, Zweideutigkeiten oder Kleingedrucktes. Für die Leistung gab es eine Gegenleistung, wenn man so will.

Ich sollte einen Spielcharakter in der Welt von Grenzenloses Reich erstellen und dann zwei Monate als Berater unser Justizministerium unterstützen, das durch ein anonymes „Ermittlungsteam“ vertreten wurde. Nach Ablauf der genannten Frist würde ich im Rahmen des Zeugenschutzprogramms eine neue Identität und ausreichend finanzielle Mittel bekommen, sodass ich irgendwo im Land neu anfangen konnte.

Doch zuvor musste ich eine gewisse Person ausfindig machen, deren Identität mir noch nicht bekannt war. Sollte meine Mission scheitern, würde das zwar keine Strafe nach sich ziehen, aber ich würde in diesem Fall nur eine bescheidene Entschädigung kassieren und ohne neue Identität meinem Schicksal überlassen.

„Aber wieso gerade ich?“, kam ich immer wieder auf die entscheidende Frage zurück.

„Was weißt du über die Plattform Deep Sleep?“, entgegnete Isabella auf dem Display.

Ich zuckte ahnungslos die Schultern.

„Es handelt sich um eine Gruppe virtueller Projekte. Während der Neurovirus-Pandemie vor einigen Jahren sind sie groß ins Geschäft eingestiegen, weil sie ihre Spielkonsolen als medizinische Geräte vermarkten konnten. Sie scheffelten eine Menge Geld — aber offensichtlich war das nur eine Seite des Projekts, mit dem das Militär in Wirklichkeit zwei Zwecke verfolgte. Das Start-Set kostet nur einen Bruchteil der Summe, die für VR-Pods älterer Generationen fällig waren — außerdem gibt eine Option mit Nachtverbindung, bei der man für die durchwachte Zeit entschädigt wird. Darüber hinaus existieren erweiterte Optionen mit unbegrenztem Online-Erlebnis.“

Es gab kein „Neurovirus“. Das war nur die gängige Bezeichnung für ein Virus mit einer komplizierten wissenschaftlichen Abkürzung, das sich über die Luft verbreitete, schneller mutierte als die Grippe, das zentrale Nervensystem der Erkrankten befiel und ihnen fast alle körperliche Fähigkeiten nahm, während das Gehirn selbst nicht geschädigt wurde. Obwohl es erst seit wenigen Jahren existierte, waren schon mehr als 200 Millionen Menschen betroffen. In der dritten Welt war angesichts dieses Problems mittlerweile sogar die Euthanasie legalisiert worden.

Im Westen allerdings kam das nicht infrage, denn eine beträchtliche Anzahl der Betroffenen war wohlhabend oder sogar stinkreich — darüber hinaus besaßen viele Leute umfassenden Krankenversicherungsschutz, während in anderen Ländern der Staat die Gesundheitsversorgung finanzierte. Aus diesen Gründen hatte sich die virtuelle Realität zur bahnbrechenden Lösung für die Probleme der Menschheit entwickelt. Eine Reihe der Virusopfer war weiterhin im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, sodass etliche Unternehmen ganze Abteilungen auf VR umstellten und dort ihr erkranktes Personal weiter beschäftigten. Alle anderen bekamen von staatlichen Stellen oder Versicherungen kostenlose VR-Abonnements, da die Einstiegsausrüstung nicht besonders kostspielig war.

Somit konnten viele Menschen — nicht nur die vom Neurovirus betroffenen — in den eigenen vier Wänden arbeiten, andere treffen oder die Welt bereisen und historische Gebäude, Baudenkmäler und sogar ganze Städte als digitale Bilder bewundern. Ganz zu schweigen von den Spielen an sich. Niemand musste sich mehr aus dem Haus wagen, wo die geheimnisvolle, unheilbare Krankheit lauerte. Immer mehr vollkommen gesunde Menschen blieben lieber in ansteckungsfreien Räumen. Wieso für Flüge oder Hotels bezahlen, wenn man einfach ein digitales Abo abschließen konnte? Manche verbrachten per VR bis zu acht Stunden am Tag im Büro, während andere in fortgeschrittene Ausrüstung investierten, um Wochen oder gar Monate am Stück online zu bleiben. Einige Menschen lebten sogar dauerhaft in der virtuellen Realität — und nicht nur diejenigen, die von der Krankheit betroffen waren. Die Medien prägten sogar eine neue Bezeichnung für diese Bevölkerungsgruppe: „digitale Außenseiter“.

Isabella sagte nichts, als wartete sie darauf, dass ich weitersprach.

„Bei dieser neuen Technologie ist das menschliche Gehirn an der Datenverarbeitung nicht beteiligt“, fuhr ich fort. „Es bekommt ein fertiges Signal, mit dem die Empfindungen gefiltert werden können, damit selbst nach Monaten der vollständigen Immersion niemand vor Schmerz stirbt.“

Isabella nickte. „Du hast absolut recht, Schätzchen. Allerdings hast du ein winziges Detail übersehen. Die Multi-Plattform Deep Sleep gehört dem Konzern VRL und liegt auf den gleichen Servern wie Türme der Macht, deshalb sind die beiden in gewisser Weise miteinander verknüpft. Ob es dir gefällt oder nicht, aber John Doe muss eine zweite Runde spielen. Du musst einen neuen Charakter schaffen, der deinem alten Gerippe so ähnlich ist wie nur möglich. Bitte gibt dir Mühe und vermassel es nicht.“

„Aber wieso?“

„Das wirst du noch rechtzeitig herausfinden, Schätzchen. Jetzt tu mir den Gefallen und leg den Daumen auf den Scanner …“

Online

Zutritt gewährt!

DIE SYSTEMNACHRICHT VERBLASSTE. Die rostigen Stangen bewegten sich auseinander. Ich knallte also doch nicht dagegen, sondern schoss hindurch, während ich innerlich fluchte und mir der virtuelle Schweiß ausbrach. Dabei war das vermutlich das geringste meiner Probleme, da mein eigentlicher Körper gerade in einem Krankenhausbett lag und nicht in einer vollautomatischen Ultra-Immersionskapsel. Ich hoffte nur, dass ich mir vor Nervosität nicht in die Hosen gemacht hatte. Wie peinlich.

Allmählich wurde mein Flug langsamer. Eine neue Nachricht erschien.

Geschlechtsidentitätskontrolle läuft …

Vor meinem inneren Auge tauchten weitere Nachrichten auf, die Zugriff auf meine Krankengeschichte, Sozialversicherungsdaten und Social-Media-Accounts meldeten. Doch ehe ich es mit der Angst zu tun bekommen konnte, kam die nächste Meldung.

Du bist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Cisgender-Mann

Geschlecht im Spiel: Männlich*

Akzeptieren / Ändern

*Die Multi-Plattform Deep Sleep toleriert keinerlei Diskriminierung, auch nicht aufgrund des Geschlechts einer Person. Sofern unsere User ihrer Identität treu bleiben, können sie auf ihrem gewählten Weg Außergewöhnliches erreichen, unabhängig von Rasse oder Geschlecht.

Auf diese Nachricht folgte ein riesiger Block mit kleingedruckten Entschuldigungen für den Fall einer fehlerhaften Useridentifikation, dazu Fußnoten, Endnoten und Anmerkungen, mit denen sich die Entwickler gegen jegliche juristischen Schritte absichern wollten. Ich ignorierte alles, akzeptierte die Ergebnisse meiner Identitätsprüfung mit einer mentalen Nachricht und flog weiter.

Wähle eine Rasse.

Isabella hatte mir eindeutige Anweisungen gegeben — ich musste einen Charakter schaffen, der meinem guten alten toten Schurken John Doe so ähnlich wie möglich war. Doch als ich in der Liste der verfügbaren Rassen nach „Untoter“ suchte, wurde ich nicht fündig. Besonders traurig war ich darüber nicht, denn ich hatte keine große Lust, mich wieder in einen Toten zu verwandeln. Schon der bloße Gedanke war mir zuwider.

Ich sah mir noch einmal die Liste durch, doch prompt kam wieder der Haftungsausschluss, diesmal mit dem Hinweis, dass mein gewähltes Geschlecht die Auswahl der verfügbaren Rassen einschränke, sodass nicht alle auf der Liste erschienen. Allerdings wurde auch erwähnt, dass ich mich in dieser Phase der Charaktererstellung noch für ein anderes Geschlecht entscheiden konnte, „unter der Bedingung, dass die Spielentwickler in keiner Weise für Unannehmlichkeiten haftbar gemacht werden, die sich aufgrund einer solchen Entscheidung im Spiel ergeben könnten“.

Ich änderte jedoch nichts und beschäftigte mich nicht länger mit der unendlichen Liste von Rassen, sondern wählte einfach „Mensch“. Ja, so ein rassistisches Schwein bin ich. Auch ignorierte ich das angebotene Premium-Abo, das Zugriff auf weitere Optionen geboten hätte, darunter eine größere Auswahl an Rassen. Genau, geizig bin ich auch noch.

Standardmäßig bot das System mir den Namen meines alten Charakters aus Türme der Macht an. Schmunzelnd bestätigte ich. Ja, ich wollte mich als „John Doe“ einloggen.

Die nächste Phase der Charaktererstellung erforderte dagegen mehr Überlegungen.

Wähle deine Klasse.

Das brachte mich ins Grübeln. Was wollte ich sein? Welche der verfügbaren Optionen kam meinem nekromantischen toten Schurken am nächsten? Der nächste Abschnitt mit Kleingedrucktem war recht erfreulich, denn ich erfuhr, dass sich meine jetzige Auswahl lediglich auf meine anfänglichen Fähigkeiten auswirken würde. Im weiteren Verlauf des Spiels konnte man den Charakter nach Belieben weiterentwickeln.

Dennoch vermochte mich das nicht uneingeschränkt zu beruhigen. Manche Fehler ließen sich nur schlecht wieder ausbügeln, das wusste ich leider nur zu gut.

Also wollte ich nichts überstürzen, sondern ging die gesamte Liste durch. Besonders lang war sie nicht, da sämtliche Klassen bereits in einzelne Kategorien unterteilt waren.

Krieger, Barbaren, Berserker ... nein.

Bogenschützen, Waldläufer, Jäger ... nein.

Schurken, Diebe, Attentäter ... nein.

Bei der letzten Gruppe geriet ich ins Zögern. Schließlich hatte ich meinen Charakter in Türme der Macht anfangs als Schurken gestaltet. Dennoch entschied ich mich gegen diese Klasse. Da mein Charakter auch eine Neigung zum Todeszauber hatte, wäre es unklug gewesen, darauf zu verzichten.

Geistliche, Mönche, Paladine ... nicht ganz das Richtige.

Hexenmeister, Zauberer, Schwarzmagier ... ja! Gefunden!

Kaum hatte ich meine Wahl aktiviert, erschien in der schwarzen Leere des Spiels ein feuriger Kreis mit Flammenzungen, die an die Zeiger einer Uhr erinnerten. Die vier Stellen, an denen sich normalerweise die Ziffern 3, 6, 9 und 12 befinden, waren mit gerade Linien verbunden, die ein Quadrat bildeten. In den Ecken saßen die Symbole der vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer.

Dann entstand auf gleiche Weise ein zweites Quadrat, das die weiteren Ziffern mit den Symbolen für Alchemie, Mentalismus, Blutzauber und Golembau verband. Und schließlich erschien ein drittes, das Heilung, Exorzismus, Nekromantie und Dämonologie symbolisierte.

Um eine spezielle Schule mit Geheimwissen auszuwählen, musste ich das Rad drehen. Sobald ich eine Wahl getroffen hatte, verblassten die anderen Optionen nach einem komplexen Schema. Mein gewählter Entwicklungszweig schien am hellsten. Die direkt daneben liegenden leuchteten ebenfalls, doch je größer die Entfernung, desto blasser wurde die Schrift und war auf der gegenüberliegenden Seite vollkommen erloschen.

Zugegeben, nichts wäre ich lieber geworden als ein Pyromant, der seine Feinde in der Schlacht mit Feuersbrünsten versengen konnte. Allerdings wich das zu stark von meinem früheren Charakter ab, deshalb wollte ich es nicht riskieren und entschied mich stattdessen für Nekromantie.

Auf der Stelle veränderte sich die Liste der Schulen in ein Knochenrad, das von leblosen weißen Flammen verzehrt wurde. In der Mitte bildete sich ein Schädel, dessen leere Augenhöhlen mich in stummer Erwartung anstarrten.

Eine neue Inschrift erschien.

Auswahl bestätigen

Ich wollte jedoch nichts überstürzen und öffnete die Beschreibung des Berufs. Offenbar musste sich ein Nekromant nicht auf Todeszauber beschränken. Auch von den angrenzenden Schulen Erde und Blut konnte er - mit Ausnahme der allermächtigsten - sämtliche Zaubersprüche verwenden, wenn auch mit kleineren Einschränkungen. Je weiter man sich entfernte, desto stärker wurden diese. Bei Wasser und Golembau standen mir die drei höchsten Levels nicht zur Verfügung, bei Exorzismus und Dämonologie erhöhte sich die Anzahl auf sechs, mit noch erheblicheren Einschränkungen. Sowohl Pyromantie als auch Telepathie konnte ich vergessen, denn hier standen Nekromanten nur die simpelsten Zaubersprüche zur Verfügung, und Luftzauber, Heilen und Alchemie waren für mich komplett gesperrt.

Schade, aber egal. Ich war ein Nekromant. Ein Nekro!

Sobald ich meine Auswahl bestätigt hatte, erschien ein neuerlicher Warnhinweis, der als Schriftrolle mit blutiger Schrift gestaltet war.

Nekromanten sind in weiten Teilen von Grenzenloses Reich geächtet. Neben Gesetzeshütern werden dich Mitglieder verschiedener Organisationen sowie Anhänger gewisser Religionen verfolgen. Ein Mentor ist möglicherweise schwer zu finden, da die Schule des Todes nur für ausgewählte Spieler zur Verfügung steht.

Achtung! Bei Usern, die sich als soziopathischer Einzelgänger unter verwesenden Leichen nicht wohlfühlen, könnte diese Spezialisierung das Spielerlebnis beeinträchtigen.

Akzeptieren / Ändern

Akzeptieren. Natürlich.

Als ob ich eine andere Wahl hätte!

Offline

ISABELLAS ANWEISUNG, mein neuer Charakter solle meinem alten nekromantischen Schurken so ähnlich wie möglich werden, machte mir mehr Probleme als die Blendgranate.

„Was soll der Mist?“, entfuhr es mir. „Ich dachte, ich hätte …“

„Du bist in Türme der Macht blockiert, nicht in Deep Sleep“, sagte Isabella, als hätte sie meine Gedanken gelesen. „Und zwar aus medizinischen Gründen. Ich fürchte, du bist einzigartig, Schätzchen. Wenn bestehende User die Geräte wechseln, wechseln ihre Profile mit ihnen. Deines ist jedoch eingefroren und kann nicht editiert werden, weil es den Status „Experimentell“ hat. Wir haben das bereits geprüft, es stimmt wirklich. Theoretisch kannst du bestimmte undokumentierte Spielfeatures für deine Zwecke nutzen. Du kannst sie hacken, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Klingt nicht besonders attraktiv. Und auch nicht gerade legal.“

„Du musst lediglich einen einzigen Bösewicht für uns ausfindig machen. Solange du in unserem Einflussbereich bleibst, kann dir nichts passieren.“

„Und wie soll ich ihn finden?“

„Kannst du nicht lesen? Das steht doch alles im Text“, erwiderte Isabella ungeduldig. „Weitere Anweisungen bekommst du, wenn du Level 20 erreichst und sich zeigt, ob unsere Erwartungen erfüllt werden oder nicht. Deshalb bekommst du in der Anfangsphase nur die standardmäßige medizinische Ausrüstung und nicht den erweiterten Immersions-Pod. Alles Weitere hängt davon ab, wie lange du brauchst. Und jetzt gib endlich Ruhe und unterschreib das verflixte Ding!“

Schweigend drückte ich den rechten Daumen auf den Bildschirm, um die erläuterten Bedingungen zu akzeptieren.

Fast unmittelbar darauf öffnete sich die Schiebetür. Ein Kerl in Tarnkleidung — ob es wieder der gleiche war oder jemand anderes, konnte ich nicht sagen — reichte den Laptop nach draußen.

„Bitte den Kopf senken“, sagte er dann. „Wir müssen den medizinischen Chip entfernen.“

Gehorsam drückte ich das Kinn auf die Brust. Mir wurde ein Schmerzmittel gespritzt, aber trotzdem spürte ich einen heftigen Stich, als er mir ein Gerät auf die Haut setzte.

Dann warf man mir zwei Taschen zu — die eine war leer, in der anderen steckten ein orangefarbener Overall und Schuhe mit weichen Sohlen.

„Alle Kleidung und persönlichen Habseligkeiten abgeben.“

Ich seufzte schwer, während ich mich auszog und alles, was mir gehörte, in die Taschen stopfte. Es war, als würde ich mein altes Leben hinter mir lassen. Dann reichte ich die Sachen dem geheimnisvollen Typen. Nachdem die Tür zugefallen und der Minibus davongefahren war, zog ich mir in aller Ruhe die neue Kleidung an. War ja klar, dass ich wieder in die Bredouille geraten musste …

Trotzdem war das immer noch besser als eine Kugel im Kopf. Nur dieser Gedanke sorgte dafür, dass ich nicht schluchzend zusammenbrach. Dieser Gedanke und dazu der Schock über das Geschehen. Vielleicht zeigte auch die Spritze Wirkung. Mich überkam das Gefühl, dass darin vielleicht etwas mehr gewesen sein könnte als nur ein Schmerzmittel, denn auf einmal wurde ich ganz furchtbar müde. Oh-oh …

Online

IM NÄCHSTEN SCHRITT stimmte ich zu, dass anhand meiner vorliegenden medizinischen Daten und meines Fotoarchivs in den sozialen Medien ein Charakter erstellt wurde. Das tat ich nur, um mir die Mühe zu ersparen, all das manuell eingeben zu müssen. Ich beschränkte mich lediglich darauf, sämtliche Haare von meinem Kopf zu entfernen, damit ich ein wenig brutaler aussah.

Ansonsten war das Ergebnis gelinde gesagt etwas trist. Bis auf die weißen Flammen, die um meine Handgelenke züngelten, war mein unbekleideter Charakter nichtssagend. Ein durchschnittlich großer Typ mit durchschnittlichem Gewicht und durchschnittlicher Figur. Alles an mir war Durchschnitt — Standard. Das stand in meinen Angaben: „Standard“.

Der Unterschied zwischen Standard- und Maximalwerten richtet sich danach, inwieweit eine Durchschnittsperson vom Weltmeister im jeweiligen Bereich abweicht. Für jedes neue Level bekommst du vier Punkte, von denen zwei automatisch anhand deiner Spielaktivität verteilt werden. Die anderen beiden kannst du nach Belieben verwenden.

Ich lachte leise auf, weil mich das wunderte, wollte mir jetzt aber nicht den Kopf über die Spielmechanik zerbrechen. Stattdessen sah ich mir meine Werte an, die ziemlich mittelmäßig waren.

Stärke: Standard

Beweglichkeit: Standard

Konstitution: Standard

Intelligenz: Standard

Wahrnehmung: Standard

Willenskraft: Standard

Da ich die Parameter aktuell nicht beeinflussen konnte, kümmerte ich mich nicht um die Beschreibung, sondern sah mir stattdessen an, wie sich die Werte auf das Äußere meines Charakters auswirken würden. Ich schob den Regler für Stärke nach rechts — und verwandelte mich in einen aufgepumpten Bodybuilder in Wettkampfform. Jedes Gramm Fett und sogar überschüssiges Fleisch war verschwunden, während Venen und Muskeln deutlich hervortraten.

Angewidert schob ich den Regler zurück auf den ursprünglichen Wert und versuchte das Gleiche mit Konstitution. Prompt wurde ich zu einem Riesen mit einem gigantischen Bauch und Armen so dick wie die Oberschenkel des Standard-Avatars. Dieses Ergebnis gefiel mir zwar genauso wenig, doch ich beließ es dabei und erhöhte auch die Stärke wieder ein wenig, sodass ich gewisse Ähnlichkeit mit Arnold Schwarzenegger in seinen besten Jahren bekam. Als ich dazu noch die Beweglichkeit steigerte, wurde ich zu einem Schwergewichts-Wrestler. Der Unterschied zum Standard-Aussehen war unglaublich. Wenn ich ein normaler Spieler gewesen wäre, hätte ich darauf hinarbeiten können.

Aber nicht in meiner Lage.

Ich unterdrückte ein wehmütiges Seufzen und widmete mich der nächsten Phase der Charaktererstellung. Mir wurden drei Basis-Zaubersprüche des Todeszaubers zur Auswahl angeboten. Nachdem ich die knappen Beschreibungen studiert hatte, entschied ich mich gegen „Grabstaub“, der das Opfer in eine Staubwolke einhüllte. Das beeinträchtigte lediglich die Wahrnehmung, fügte aber sonst keine weiteren Schäden zu. Stattdessen befasste ich mich mit den Vor- und Nachteilen von „Grabmaden“ und „Knochenfragment“.

Der erste Zauber schleuderte dem Gegner bis zu drei Maden entgegen, während er beim zweiten mit einem Knochenstück beschossen wurde, das zwar geringeren Schaden zufügte, dafür aber in Sachen Reichweite, Genauigkeit und Durchschlagskraft überlegen war. Trotzdem entschied ich mich für die Maden. Nach meiner Erfahrung würde ich es in der Anfangsphase des Spiels nicht mit allzu vielen gepanzerten Gegnern zu tun bekommen — und wenn doch, würde mein schwächlicher Nekromant sich diese nicht so weit vom Leib halten können, dass ein Nahkampf ausgeschlossen war. Das galt vor allem für Bogen- und Armbrustschützen, mit denen ich es nur im Nahkampf aufnehmen konnte, denn auf Distanz würden sie mich sofort erledigen.

[Akzeptieren]

Unvermittelt steckte ich mitten in einer epischen Schlacht. Instinktiv kauerte ich mich zusammen und legte mir schützend die Hände über den Kopf, ehe ich erkannte, dass es nur ein Eröffnungs-Demo war. Ich konnte es mit der Kraft meiner Gedanken abbrechen, sodass wieder die vertraute, grenzenlose Finsternis Einzug hielt. Dann erschien eine neue Nachricht.

Achtung! Um den Einstieg in den Spielprozess möglichst angenehm zu gestalten, bleibt dein Charakter bis Level 10 in einem Bereich, der anderen Usern nicht zugänglich ist. Aufgrund des sensiblen Spielequipments ist es möglich, dass du verschiedene visuelle und akustische Artefakte wahrnimmst. Wir entschuldigen uns schon jetzt für mögliche Unannehmlichkeit.

Dann drang die Dunkelheit in meinen Kopf und blendete mein Bewusstsein aus.

Auf geht’s.

Teil Eins. Ausgangspunkt

Kapitel 1

ICH KAM IN einem Sarg zu mir. Zum Glück lag er noch nicht in der Erde. Der Deckel war nicht einmal zugenagelt, und die Dunkelheit um mich herum war nicht so finster wie in einem Grab. Mir war klar, dass ich mich nicht in einer Krypta befand. Regen trommelte auf das Dach, und als ein Blitz aufzuckte, war die Silhouette eines mit Läden verschlossenen Fensters zu sehen.

Ich lag auf dem Rücken, die Hände auf der Brust verschränkt. Mir hämmerte der Kopf, aber wichtiger noch: Ich atmete und mein Herz schlug. Und als ich mich auf das Systemmenü konzentrierte, erschien es vor meinem inneren Auge.

Ich entdeckte den Button „Spiel verlassen“ und konnte ihn mit der Kraft meiner Gedanken sogar ein wenig herunterdrücken. Allerdings machte ich noch keinen Gebrauch davon, denn bislang lief alles nach Plan.

Also packte ich mit beiden Händen die Sargwände, zog mich hoch und musste einen Moment sitzenbleiben, bis das Schwindelgefühl vergangen war. Dann rollte ich mich über die Kante. Meine Beine versagten, sodass ich niederstürzte und mit der Stirn fest auf den Dielenboden schlug. Vor meinen Augen zuckten mehr Blitze als im Gewitter draußen vor dem Fenster. Jetzt war mir klar, was die Entwickler mit „möglichen Unannehmlichkeiten“ gemeint hatten. Der Schwindel, die Dunkelheit, die grellen Blitze und der ohrenbetäubende Donner — das war vermutlich auf das „sensible Spielequipment” zurückzuführen.

Allerdings konnte meine Schwäche nicht nur an der Willkür der Entwickler liegen, dazu tat mir der Hinterkopf viel zu sehr weh. Als ich ihn abtastete, entdeckte ich eine frische Platzwunde, die gerade erst geronnen war.

Ich warf einen Blick auf die Werte meines Charakters. Oh je. Offenbar war ich aus gutem Grund im Sarg gelandet.

Leben: 5/50

Regeneration: 5 % pro Stunde

Ausdauer: 13/50

Regeneration: 20 % pro Stunde

Energie: 17/50

Regeneration: 10 % pro Stunde

Jemand musste mir einen gewaltigen Hieb verpasst haben! Ich hätte zu gern gewusst, womit ich das verdient hatte. Es stand zu bezweifeln, dass es mit meinem kleinen Nebenjob als Nekromant zu tun hatte. Dann hätte man mich auf dem Scheiterhaufen verbrannt und meine Asche in alle vier Winde verstreut.

Im Licht der Blitze, das durch die Spalten in den Fensterläden fiel, konnte ich einige Blicke auf meine Umgebung erhaschen. Ich stolperte zum Tisch und entdeckte dort ein Messer, einen Feuerstein und einen von Mäusen angenagten Kerzenstummel.

Ein Messer war klasse. Zwar fügte es standardmäßig kaum Schaden zu, nur zwischen 1 und 3, aber eine Waffe war eine Waffe. Ich konnte es gut gebrauchen, so viel stand fest.

Da fiel mir ein, dass ich im Gegensatz zu anderen schlichten Sterblichen über magische Fähigkeiten verfügte, und versuchte, den erlernten Zauberspruch zustande zu bringen. Das war erstaunlich einfach. Als der Zauber mir Energie abzapfte, um sie in kalte, schleimige Maden zu verwandeln, spürte ich, wie sich ein ekliges Etwas in meiner Handfläche regte. Eilig brach ich den Vorgang ab.

Wieder überkam mich heftiger Schwindel, sodass mir die Knie versagten. Diesmal stürzte ich jedoch nicht zu Boden, sondern schaffte es, mich auf einen klapprigen Stuhl sinken zu lassen. Dort saß ich eine Weile reglos und lauschte konzentriert. Regen hämmerte auf das Dach, der Wind ließ Äste an den Wänden schaben, unter den Bodendielen raschelte und kratzte etwas. Jetzt war mir wahrhaft unbehaglich zumute. Die Immersion war tatsächlich umfassend, in jeder Hinsicht so gut wie in Türme der Macht.

Vermutlich lag es an der bedrückenden Atmosphäre, dass mir einfiel, dass ein Messer nicht nur eine Waffe, sondern auch ein universelles Haushaltsgerät war. Mit steifen Fingern stellte ich den Kerzenstummel auf den Tisch und schlug dann mit der Rückseite der Klinge auf den Feuerstein ein. Funken sprühten, und nach einer Weile fing der Docht an zu qualmen, bis schließlich eine winzige Flamme zu sehen war. Ich wartete, bis sie stärker wurde, und atmete schließlich erleichtert auf.

Im Augenwinkel sah ich etwas vorbeihuschen. Beunruhigt lauschte ich aufmerksam, doch es war falscher Alarm. Nur die Anzeige meiner Erfahrungspunkte hatte kurz aufgeleuchtet und war dann wieder verschwunden. Sie füllte sich gerade erst, deshalb brauchte ich eine Weile, um die Benachrichtigungen so einzustellen, wie ich es gewöhnt war, und die statistischen Werte zu ordnen. Bei dieser Gelegenheit öffnete ich die Logs und entdeckte, dass ich gerade 10 Punkte dafür bekommen hatte, dass es mir gelungen war, mit provisorischen Mitteln eine Kerze anzuzünden.

John Doe

Hexenmeister/Nekromant

Level 1. Aktueller Fortschritt: 10/100

Während ich mich mit dem Systemmenü beschäftigt hatte, war meine Ausdauer wieder ein wenig gestiegen. Für die Gesundheit galt das leider nicht, deshalb kam mir die Idee, in der Hütte nach heilenden Substanzen zu suchen.

Leider erfolglos. In dieser Hinsicht gab es nicht das Geringste zu holen. Trotzdem war die Suche nicht vergeblich gewesen, denn ich hatte ein zerlumptes Hemd und eine Hose mit Flicken auf den Knien entdeckt, die ich anzog, nachdem ich mein Leichengewand abgelegt hatte. Bonuspunkte brachte die Kleidung zwar nicht, aber immerhin sah ich nicht mehr wie ein wandelnder Toter aus.

Außerdem fand ich eine schwere, unhandliche Schaufel, an der Reste von Erde klebten. Daran erkannte ich, dass meine Login-Stelle offenbar die Hütte des Friedhofswärters war.

Demnach lag sie sicherlich in einem Wald. Als ich die Tür einen Spalt öffnete, um hinauszuspähen, entdeckte ich im nächsten Blitz immerhin eine Reihe von Bäumen, die nur wenige Meter vor mir stand. Ein ausgewaschener Pfad führte auf sie zu, doch ich hatte nicht vor, meine vorübergehende Behausung schon zu verlassen.

Draußen war es stockfinster — dunkel wie in der Achselhöhle des Teufels. Viel zu dunkel für mich.

Ich schob den Riegel wieder vor die Tür und ging zurück zum Tisch. Ohne Nachtsicht kam ich mit meiner Spezialisierung im Spiel nicht weit. Nekromanten trieben sich in der Nacht und in unterirdischen Verliesen herum. Da war es nicht gut, blind wie ein Maulwurf zu sein. Und wenn man der Werbung für das Spiel Glauben schenken durfte, brauchten User nur 20 Minuten bis 3 Stunden Schlaf, während die Nacht im Spiel offenbar mindestens sechs Stunden dauerte, vielleicht sogar mehr. Nicht zu vergessen die Dämmerung. Und die bereits erwähnten Verliese. Ich brauchte unbedingt Nachtsicht.

Meine Gesundheit erholte sich verdächtig schleppend. Ich sah mich noch einmal in der Hütte um, warf ein paar Holzscheite in den kalten Kamin und fachte mit einem Span, den ich an der Kerze angezündet hatte, ein Feuer an. Sofort wurde es viel gemütlicher. Nichts tut so gut wie etwas Wärme und Licht.

Ich rückte den Stuhl in die Mitte des Raumes, ließ mich darauf sinken und versuchte, mich zu entspannen, ohne mich um den prasselnden Regen und die Blitze zu scheren. Mussten alle Spieler ihre Reise mit nichts außer einem Hemd, einem Messer und einer Hose beginnen? Unmöglich. Hier musste noch etwas sein.

Ein Geheimversteck?

Unwahrscheinlich, dass meine schlecht entwickelte Wahrnehmung ausreichen würde, um ein mögliches Versteck zu erschnüffeln. Ich wusste, dass es nicht bringen würde, wie ein Idiot ins Dunkel zu starren, und musste stattdessen auf Köpfchen setzen. Also stieg ich auf den Tisch und tastete die Oberseite der Deckenbalken ab.

Fast sofort berührte ich etwas Stählernes.

Krachend fiel ein Schwert zu Boden.

Und was für ein Schwert! Als ich die Spitze auf die Dielen stellte, reichte mir der Knauf bis ans Kinn. Die rostige Klinge schien wellenförmig zu sein.

Unfassbar! Das war doch nicht etwa mein altes Flammenschwert?

Doch die Beschreibung ließ keinen Zweifel.

Das rostige Flammenschwert von John Doe

Basis-Schaden: 10-18

Basis-Durchschlagskraft: 40

Erhöhte Wahrscheinlichkeit eines kritischen Treffers.

Erhöhte Wahrscheinlichkeit einer blutenden Wunde.

Zustand: Rostschäden. -20 % bei Schaden und Durchschlagskraft

Einzigartig. Nicht übertragbar. Unzerstörbar.

Wieder erschien eine Nachricht, die mir mitteilte, dass ich als ehemaliger Spieler von Türme der Macht einen beliebigen Gegenstand aus meinem alten Inventar erhalten hatte.

Ich stieß einen lauten Fluch aus. Von wegen beliebig! Ich hätte mein Augenlicht darauf verwettet, dass die Spielbalance genau den Gegenstand ausgesucht hatte, der in meiner jetzigen Lage so nutzlos war wie Brustwarzen auf einer Brustplatte. Ein Nekro mit einem beidhändigem Schwert, na toll!

Trotzdem war es vermutlich besser als nichts, deshalb schimpfte ich nicht weiter auf die Entwickler, sondern stieg erneut auf den Tisch, um meine Suche fortzusetzen. Leider war im Gebälk nichts mehr zu entdecken, also ließ ich mich wieder auf den Stuhl sinken. Ich nahm das Flammenschwert auf den Schoß und musste grinsen.

Es mag komisch klingen, aber obwohl ich ein Hexenmeister war, ließ dieses Stück Stahl auf meinem Schoss mein Selbstvertrauen immens wachsen. Natürlich war das unbegründet, das wusste ich selbst, aber ich konnte nichts dagegen tun. Hatten die Entwickler vielleicht mit diesem Effekt gerechnet? Nun ja, der Gedanke zählte. Verdammte Psychologie.

Mir fiel ein, dass ich in einer Schublade einen Wetzstein gesehen hatte. Den wollte ich holen, um die Klinge des Flammenschwerts auf Vordermann zu bringen, denn ich hatte nichts Besseres zu tun. Der Regen schien nicht nachlassen zu wollen, der verhangene Himmel war stockfinster, von Sonnenaufgang keine Spur.

Während ich den Wetzstein schwang, um den Rost vom Stahl zu beseitigen, rief ich die Beschreibung meines dürften Zauberarsenals auf. Ich musste wissen, was mir im Kampf zur Verfügung stand.

Grabmaden

Art: Basis-Zauber

Jeweils 1 bis 3 Maden

Durchschnittlicher Schaden: 2 bis 3

Durchschlagskraft: 1

Maximale Reichweite: 10 Schritte

Energieaufwand: 5

Alle untoten Mobs erleiden dreifachen Schaden (ausgenommen Knochenkreaturen).

Erhöhte Wahrscheinlichkeit von Panik und Erbrechen bei den Opfern.

In meinem aktuellen Zustand konnte der Zauberspruch 2 bis 9 Schadenpunkte verursachen, sodass ich die Werte meines maßgeschneiderten Flammenschwerts auf der Stelle mit anderen Augen sah. Allerdings waren die Schadenswerte des Zaubers im Moment wirklich nur auf der Basis-Stufe. Wenn meine Willenskraft wuchs, würden auch diese Werte steigen.

Wieder leuchtete die Anzeige meiner Erfahrungspunkte auf. Diesmal war sie bereits zu 30 % gefüllt. Für das Polieren der Klinge hatte ich 20 weitere Punkte bekommen, und ohne den Rost galten für Schäden durch das Flammenschwert keine Einschränkungen mehr.

Ich lehnte die Waffe an die Wand und ging auf und ab, um zu überlegen, was ich jetzt tun sollte. Der Simulator war äußerst lebensecht, sogar Langeweile gab es hier! Natürlich hätte ich die Hütte verlassen können, aber ich hatte nicht den geringsten Zweifel daran, dass ich dann sofort wieder im gleichen Sarg aufwachen würde, und der Weg dorthin würde vermutlich nicht gerade schmerzlos sein. Also langweilte ich mich lieber, bis es Tag wurde.

Noch etwas machte mir zu schaffen: Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein paar Lumpen, ein Messer und ein individuelles Flammenschwert wirklich die Startausrüstung eines Nekromanten sein konnten. Es musste noch etwas geben. Vermutlich nicht in der Hütte selbst, aber in der Nähe — vielleicht in einem der Gräber — irgendwo musste noch irgendetwas sein.

Wieder hörte ich es unter meinen Füßen rascheln, deshalb ging ich behutsam über die Dielen und lauschte, wie sie quietschten. Ein Brett schien stärker nachzugeben als die anderen. Dort ließ ich mich auf die Knie nieder, schob die Messerspitze in den Spalt und entdeckte eine verborgene Öffnung — ein Rattenloch.

Gerade als die Benachrichtigung über neue Erfahrungspunkte einging, griff mich von unten ein wütendes kleines Vieh an, das mir mit seinen scharfen Zähnen die Finger abbeißen wollte. Das wäre ihm sogar gelungen, wenn ich nicht gerade nach der Kerze gegriffen hätte.

Eine unglaublich fette Ratte wollte unter den Dielen hervorkommen, blieb jedoch stecken und versuchte es mit Gewalt, indem sie mit den Krallen auf die Bodenbretter einhieb. Meine neuen Zauberfähigkeiten waren vergessen. Ich griff nach dem Flammenschwert, das noch an der Wand lehnte, packte es mit beiden Händen — die eine an der Parierstange, die andere am Griff — und durchbohrte die Ratte wie mit einem Speer. Ich pfählte das Viech geradezu mit der Wellenklinge, die ich zur Sicherheit in ihrem Leib drehte.

Der widerliche Gestank toten Fleischs zog durch die Hütte.

Du hast den untoten Rattenkönig getötet!

Erfahrungspunkte: +30

Wirklich tot? Tatsächlich, kaum hatte ich die Ratte aus ihrem Loch gezogen, waren im schwachen Feuerschein Verwesungsspuren sowie die groben Stiche zu erkennen, mit denen das tote Fleisch zusammengeflickt worden war. Eindeutig das Werk eines Nekros.

Ob ich selbst dafür verantwortlich war? Hatte dieses Viech vielleicht meine eigene Habe bewacht?

Allem Ekel zum Trotz griff ich in das Loch, tastete darin herum und stieß auf eine kleine Schmuckschachtel. Sie war nicht verschlossen. Im Inneren fand ich einen Geldbeutel mit fünf kleinen Silbermünzen, ein Amulett in der Form des bereits vertrauten Schädel-Knochen-Rads und einige zusammengerollte Pergamente.

Leider hatte das Amulett keine magischen Eigenschaften, sondern war vermutlich nur das Symbol der Nekromanten-Gilde. Nach kurzem Zögern hängte ich es mir um den Hals und widmete mich den Pergamenten, die ich im flackernden Kerzenschein studierte. Sie zeigten beschriftete Skizzen zerlegter Tiere, die ich aber leider nicht lesen konnte. Zu schade.

Intelligenzprüfung fehlgeschlagen!

Erforderliche Intelligenzstufe: +5

Verdammt! Trotzdem ärgerte ich mich nicht allzu sehr. Letztendlich sind Probleme nur dazu da, dass man sie löst. Dass ich die Pergamente nicht in meinem Inventar verstauen konnte, war dagegen schon ärgerlicher. Das lag allein daran, dass ich weder Tasche noch Rucksack hatte.

Verflucht! Ich hatte rein gar nichts, nicht einmal eine Papiertüte.

Also musste ich die Pergamente zurück in die Schachtel legen, die ich wieder im Rattenloch verstaute. Dann setzte ich die Bodendiele wieder ein und überlegte, wie ich das Messer transportieren sollte. Schließlich schob ich es mir unter die Kordel, die mir als Gürtel diente, und zog diese richtig fest, damit mir das Messer nicht das Hosenbein hinunterrutschte. Danach schleifte ich den untoten Rattenkönig — der jetzt ein für alle Mal tot war — zur Tür und schleuderte den stinkenden Leichnam so weit ich konnte in den Wald. Der Verwesungsgestank machte mir so zu schaffen, dass ich schon Zweifel bekam, ob ich mir die richtige Branche ausgesucht hatte.

Ich seufzte schwer und versuchte, mir diesen Unsinn aus dem Kopf zu schlagen. Schließlich war ich nicht zum Vergnügen hier. Ich musste Level 20 erreichen, mehr über die Quest erfahren und sie abschließen — dann hieß es willkommen im Zeugenschutzprogramm!

Das Kaminfeuer war beinahe niedergebrannt, die purpurrote Glut gab kaum noch Licht ab. Auch der Kerzenstummel fing an zu flackern, deshalb nutzte ich meine letzte Chance, noch etwas zu entdecken. Doch falls es in der Hütte noch weitere Verstecke gab, war meine Wahrnehmung nicht gut genug, um sie ausfindig zu machen.

Dann wurde es draußen allmählich heller. Höchste Zeit für die Suche nach Abenteuern, Erfahrungspunkten und Beute — und allem anderen, was die Entwickler für mich in petto haben mochten.

Kapitel 2

EINEN SO LÄCHERLICHEN Nekromanten wie mich hatte diese Welt vermutlich noch nie gesehen. Ich stand barfuß in zerlumptem Hemd und geflickter alter Hose in der Tür zur Hütte, das schwere Flammenschwert auf der Schulter, und ließ den Blick argwöhnisch über die Umgebung rund um den Waldfriedhof schweifen. Genau, mich interessierte nur die Umgebung, denn ich hatte nicht vor, mich in absehbarer Zeit auf den Friedhof selbst zu begeben. Dort, zwischen den schiefen Grabsteinen, fielen die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne auf Nebelschwaden und tauchten sie in silbernes Licht. Weiter vom Zaun entfernt wurde der Nebel zu einer dichten, milchigweißen Wolke, hinter der nur mit Mühe die düsteren Umrisse einer Krypta auszumachen waren.

Meine Intuition sagte mir, dass mich dort nichts außer einem schnellen, schmerzhaften Ableben erwarten würde. Ich war kein unbeschriebenes Blatt mehr, sondern erkannte Schwierigkeiten mittlerweile auf den ersten Blick. Ehe ich mich auf solches Terrain wagte, musste ich ein paar Level zulegen.

Level zulegen, genau. Leichter gesagt als getan. Wie sollte ich das schaffen? Das einzige Lebewesen in der Nähe war offenbar der große schwarze Rabe, der auf dem Dach der Hütte hockte. Den konnte ich unmöglich erreichen, und das war mir auch egal.

Wenn ich dem Pfad folgte, würde er mich irgendwohin führen. So konnte ich die Gegend erkunden und mir dabei vielleicht sogar einige Erfahrungspunkte sichern. Schließlich war es nur ein Spiel.

Ich machte mich auf den Weg, mit bloßen Füßen durch den kalten Schlamm.

Fast sofort hörte ich im Unterholz etwas rascheln. Ein kleines gestreiftes Wildschwein stürzte auf die Lichtung und schnaubte verärgert — doch ehe es mich angreifen konnte (sofern es das überhaupt plante), hatte ich das Schwert mit beiden Händen gepackt, wirbelte auf dem Absatz herum und schleuderte die schwere Klinge mit einem ritterlichen Grunzen von meiner Schulter.

Der Stahl sauste durch die Luft. Eigentlich hätte er den Frischling in zwei Teile spalten müssen — doch aus unerklärlichen Gründen drehte sich der Griff seltsam in meinen Händen, sodass die flache Seite der Klinge das Tierchen auf der rosigen Schnauze traf.

Das arme Geschöpf flüchtete zurück ins Unterholz. Ich selbst verlor das Gleichgewicht und wurde von der Wucht mitgerissen. Die Schwertspitze zog eine tiefe Rille in den Rasen, bis sie im Boden steckenblieb.

Ein heftiger Hieb aufs Knie zog mir das Bein weg, sodass ich mich nur durch ein Wunder aufrecht halten konnte.

Kritischer Treffer! Erlittener Schaden: 20

Dein linkes Knie ist verletzt! Deine Mobilität ist eingeschränkt!

Die Systemnachricht leuchtete kurz auf und verschwand dann spurlos. Ich wünschte, das hätte ich auch über das zweite Schweinchen sagen können, das mich gerade angegriffen hatte. Schon holte es wieder Anlauf, um mit seinen spitzen Hauern erneut auf mich loszugehen.

Diesmal war ich besser vorbereitet. Ich streckte die linke Hand in seine Richtung und konzentrierte mich auf meine magischen Fähigkeiten.

Als die Energie aus meinen Fingern strömte, wurden sie steif, als hätte ich die Hand in die Eingeweide eines Toten gesteckt. Von der Handfläche löste sich ein Schleimklumpen, der das Schwein in die geöffnete Schnauze traf.

Verursachter Schaden: 8

Der Frischling blieb stocksteif stehen, zitterte und würgte dann Maden und etwas rötlichen Schleim hervor. Ehe ich ihm den Rest geben konnte, kam aus dem Unterholz wieder das erste Schweinchen hervor, dem ich einen Hieb mit dem Flammenschwert verpasst hatte. Ihm lief Blut aus der geschwollenen Schnauze, doch davon abgesehen wirkte dieser Waldbewohner außerordentlich resolut. Er kam so rasch angestürmt, dass mir keine Zeit mehr blieb, das Flammenschwert aus dem Boden zu ziehen. Ich warf mich hinter die Klinge, die immer noch in der Erde steckte, und versuchte, mich damit vor dem Angreifer zu schützen.

Das Schweinchen enttäuschte mich nicht. Es lief mit vollem Schwung in die Klinge, riss sich den Bauch auf und taumelte dann zurück, während seine Eingeweide aus der entsetzlichen Wunde quollen.

Ich dagegen bekam einen heftigen Stoß unter die Rippen.

---ENDE DER LESEPROBE---