Nemesis der Lebenden (Der Weg eines NPCs Buch 5): LitRPG-Serie - Pavel Kornev - E-Book

Nemesis der Lebenden (Der Weg eines NPCs Buch 5): LitRPG-Serie E-Book

Pavel Kornev

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Beschreibung

In der virtuellen Realität ist nichts echt. Pseudo-Orks fechten Scheinkämpfe gegen falsche Elfen aus. Magier besiegen ihre Feinde mit der digitalen Illusion eines Kampfzaubers. Doch hinter jedem Spiel steckt etwas Größeres. Der Mensch kann nicht aus seiner Haut und wird immer versuchen, andere zu übervorteilen oder gar zu verletzen — selbst wenn das echte Verluste bis hin zum Tod in der realen Welt zur Folge hat. Ich bin John Doe, Nekromant und Lotse der Toten. Doch der bin ich nur im Spiel. Er ist nur eine Illusion. In Wirklichkeit bin ich ein Spürhund, der auf eine Fährte angesetzt wurde. Und zu allem Überfluss beschränken sich die Interessen meiner Auftraggeber nicht auf das Spiel...

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Inhaltsverzeichnis

Teil Eins. Die Filter

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Teil Zwei. Altara

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Teil Drei. Burg Arnstern

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Epilog. Der Schwarze Gipfel

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Über den Autor

Nemesis der Lebenden

Roman

von Pavel Kornev

Der Weg eines NPCs

Buch Nr. 5

Magic Dome Books

Nemesis der Lebenden: Der Weg eines NPCs Buch 5

Buch Nr. 5 Originaltitel: The Nemesis of the Living: An NPC’s Path, Book 5

Copyright © P. Kornev, 2021

Covergestaltung © V. Manyukhin, 2021

Deutsche Übersetzung © Annika Tschöpe, 2022

Erschienen 2022 bei Magic Dome Books

Anschrift: Podkovářská 933/3, Vysočany,

190 00 Praha 9 Czech Republic

Alle Rechte vorbehalten

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Die Personen und Handlung dieses Buches sind frei erfunden. Jede Übereinstimmung mit realen Personen oder Vorkommnissen wäre zufällig.

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Teil Eins. Die Filter

Kapitel 1

Dass es leicht werden würde, hat niemand versprochen, ging mir durch den Kopf, als ich den bärtigen Unhold anstarrte, über dessen Bauch sich vom Solarplexus bis zum Unterleib eine grobe Naht zog.

Ein totes Behältnis, in dem nun ein Neuankömmling aus einem ganz anderen Universum steckte.

Verrückt? Allerdings, selbst wenn man sich vor Augen führte, dass das so genannte „andere Universum“ ebenfalls nur virtuell war, ein digitales Gebilde wie die Welt, in der ich mich gerade befand. Vielleicht war es nur ein Spiel, aber auch in einem Spiel gibt es Regeln, die man befolgen muss, und das Loch, das Neos Ankunft gerade in diese Regeln gerissen hatte, war mindestens so groß wie das im Rumpf der Titanic.

Sollte das eine Art Crossover sein? Es ging eigentlich nicht, dass Charaktere in Welten auftauchten, in die sie nicht gehörten!

Obwohl mir das im Grunde wirklich egal sein konnte. Im Augenblick war mir jede Hilfe recht, sogar vom Engel der Finsternis persönlich.

Nur wirkte Neo leider nicht besonders erpicht darauf, mir zu helfen.

Einen Körper. Zuallererst wollte er sich einen frischen, lebendigen Körper beschaffen, um sich fest im Spiel zu verankern — und damit konnte ein Nekromant wie meinesgleichen nicht dienen. Das wiederum machte mich wütend.

Verflucht! Ausgerechnet das!

„Wie fangen wir an, Onkel John?“, fragte Neo mental und knüpfte damit an unsere stumme Unterhaltung an.

Nun, wie sollte er sonst mit mir reden? Schließlich fehlten seinem Körper beide Lungen.

Selbst in dieser Welt hatte er noch rote Haare. Bei dem Gedanken wurde mir übel, doch ich riss mich zusammen und ließ die kleinen weißen Flammen, die sich an meinen Fingerspitzen regten, wieder verlöschen.

Ganz ruhig, John Doe. Beherrsch dich.

Ich warf meine Arzttasche auf die Bank, klappte sie auf und fischte meine Ersatzhose, den verblichenen Uniformrock und meine alte Lederjacke heraus. All das drückte ich Neo in die Hand und suchte dann den langen Kapuzenumhang hervor; wie ich daran geraten war, wusste ich schon gar nicht mehr.

„Zieh das an.“

Der Tote ließ sich nicht lange bitten, sondern streifte bereitwillig die Kleidung über und legte den Umhang um, sodass nur noch seine bloßen Füße und die bläulichen Hände zu sehen waren.

Schuhe und Handschuhe. Das hatte jetzt höchste Priorität. Und dazu eine Maske, wie ich sie trug — doch nein. Nichts davon hatte Priorität. All das konnte warten.

Aus der Perspektive des Raben, der auf dem Dach der Krypta hockte, ließ ich den Blick über den Friedhof schweifen.

„Und jetzt, Neo“, sagte ich, „erzähl mir bitte, was genau du Isabella versprochen hast und was du für sie tun sollst. Berichte restlos alles!“

Der Tote wich zurück und blickte sichtlich betreten zu Boden. Dann schob er die Kapuze zurück und zupfte sich am zottigen Bart. „Onkel John, können wir den bitte abrasieren?“

„Neo!“

Der Tote versuchte zu seufzen — was ihm erwartungsgemäß nicht gelang — und machte eine hilflose Geste. „Ich soll einen von Deinesgleichen finden. Einen menschlichen Spieler.“

„Berichte restlos alles!“, wiederholte ich.

Neo balancierte auf dem linken Fuß und rieb sich mit der rechten Ferse über den linken Knöchel. Dann zuckte er die Schultern.

„Es gibt da so einen Typen. Er ist richtig böse. Und sie können ihn nicht finden. Er hat einen Sohn, der an irgendeinem neuen Virus leidet, ich habe das nicht richtig verstanden. Deshalb ist er irgendwo in dieser Welt — der Sohn, meine ich — und ich soll ihn finden. Den Sohn. Der hier nicht wegkann.“

Mir wurde schwummerig. Das sollte ich also erledigen? Den kranken Sohn eines Superganoven ausfindig machen, der am Neurovirus litt und sich jetzt die Zeit im Spiel vertrieb?

„Warum zum Teufel?“, entfuhr es mir, doch das war nur eine rhetorische Frage. „Nein, darauf musst du nicht antworten. Lass uns Schritt für Schritt vorgehen. Woher wissen sie, dass dieser Sohn in Grenzenloses Reich ist?“

„Seine Schwester ist Malerin. Sie malt Bilder.“

„Und?“

Neo schloss die Augen. Jetzt klang es, als ob jemand ganz anderes spräche. „Kürzlich hat sie eines ihrer Werke in ihrem Blog gepostet und ihrem kleinen Bruder zum Sieg in einem Turnier gratuliert. Das Posting war privat, aber jemand konnte es entschlüsseln. Tante Bella sagte, ihre Analytiker hätten das Gebäude auf dem Gemälde als Burg Arnstern im Grenzenlosen Reich identifiziert, wo gerade ein Turnier stattgefunden hatte. Anhand der Siegerliste konnten sie den Avatar von dem Typen sowie seine Leibwächter ermitteln. Fishing-Attacken haben keinen Erfolg, da die Senden-Funktion seines Postfachs deaktiviert ist. Und aus irgendwelchen Gründen können sie niemanden von ihren eigenen Leuten einschleusen. Keine Ahnung, woran das liegt.“

Ich seufzte schwer. „Das erklärt noch immer nicht, warum um alles in der Welt sie ausgerechnet dich brauchen!“

„Es ist kein Problem, ihn im Spiel ausfindig zu machen.“ Neo wollte lächeln, doch sein Grinsen erinnerte eher an ein Zähnefletschen — sein früheres Kindergesicht ließ sich nur noch erahnen. „Man muss nur die Verbindung nachverfolgen und die Koordinaten seines VR-Pods da oben ermitteln.“ Dabei deutete er an die Decke. „Verstehst du, Onkel John?“

Ich verstand. „Also kannst du so etwas erledigen, ja?“, vergewisserte ich mich.

Neos rotbärtiges Gesicht wurde düster, als hätte ich damit einen wunden Punkt berührt. „Theoretisch schon“, erwiderte er.

Diesmal ließ ich mich nicht mit einer so vagen Auskunft abspeisen. „Kannst du es oder nicht?“

„In diesem Körper nicht, nein!“, platzte er heraus. „Das hier... ist Digitalmüll, ohne jede Verbindung! Alle Kommunikationsleitungen sind durchtrennt. Er taugt gar nichts! Wer in der digitalen Welt geboren wurde, muss vor der Wiedergeburt die komplette Entwicklungsschleife durchlaufen. Der Körper bleibt im Informationsfeld und behält die Fähigkeit, Datenpakete über das Servicenetz zu verschicken. Jeder Charakter bildet einen festen Bestandteil der Spielwelt, und es sollte keine Rolle spielen, ob er tot oder lebendig ist. Aber dieser hier — der ist ein Dummy, der nach dem Tod eines Spielers geschaffen wurde. Nur ein Dummy!“

Ich machte eine hilflose Geste. „Ich wurde ausgenutzt, Neo. Ich wurde ausgenutzt, ohne es zu merken. Ich hatte keine Ahnung, dass ich dich in diese Welt bringen sollte.“

Der Tote verzog das Gesicht, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Dann jedoch riss er sich zusammen; nur seine hängenden Schultern verrieten noch, wie verzweifelt er war. „Das wusste ich nicht, Onkel John. Ich wusste nichts über diese, äh, Umgebung. Mir war das vorher nicht klar. Wie eingeschränkt mein neuer Körper ist, habe ich erst bemerkt, als ich schon darin steckte.“

„Okay, gehen wir davon aus, dass du einen neuen Körper findest. Wie schnell kannst du den Anschluss dieses Typen ermitteln?“

„Erst muss ich ihn finden. Dann muss ich mindestens Sichtkontakt herstellen“, erwiderte Neo, der jetzt noch verzagter wirkte. „Es kommt entscheidend darauf an, welche Zugriffsstufe ich habe. Vielleicht brauche ich auch etwas Zeit, um Schwachstellen ausfindig zu machen. Das ist nicht leicht, aber ich werde es schaffen, Onkel John! Da bin ich mir sicher.“

„Wie schön“, sagte ich mürrisch.

Dann schoss mir der nächste Gedanke durch den Kopf. „Hör zu, Neo. Meinst du, wenn du stirbst, könnte ich dich noch einmal herbeirufen, aus diesem — wie hast du noch gesagt? — aus diesem Limbo?“

„Keine Ahnung“, entgegnete Neo. „Ich weiß überhaupt nichts über irgendwelche Limbos, Onkel John. Ich weiß nur, dass Vogelscheuche daraus nicht zurückgekommen ist. Ich konnte ihn nicht herausholen. Alle meine Verbindungen sind nämlich gekappt.“

Ehrlich gesagt war mir der tote schwarze Phönix ziemlich gleichgültig. Doch wenn ich Neo verlor, konnte ich meinen Auftrag nicht erfüllen. Also ergab sich der erste Schritt auf meine To-do-Liste ganz von selbst.

„Dafür sorgen, dass Neo am Leben bleibt“, sagte ich leise und reckte den Daumen in die Höhe. „Und ich selbst auch. Einen neuen Körper für Neo beschaffen und ihm eine Respawn-Stelle einrichten. Den Sohn des Superganoven ausfindig machen. Das Spiel hacken...“ Mittlerweile hatte ich alle Finger gestreckt und seufzte schwer. „Ich weiß, ich weiß. Dass es leicht werden würde, hat niemand versprochen.“

Meine geöffnete Hand stand für eine Liste mit buchstäblich höllischen Aufgaben. So langsam fand ich Gefallen daran!

Neos tote Lippen zuckten schon wieder. „Wir werden es doch schaffen, oder, Onkel John?“

„Darauf kannst du Gift nehmen“, erwiderte ich so überzeugend wie möglich.

„Wo fangen wir an?“

Ich zuckte die Schultern. „Zuallererst möchte ich, dass du hinunter auf die dritte Ebene gehst.“ Ich deutete auf die Treppe. „Hol mir das Buch und den Stab aus dem Grabmal. Na los, mach schon! Der Nebel des Todes kann einem Toten nichts anhaben.“

* * *

Neo gelangte tatsächlich ohne Probleme ins Untergeschoss. Der Todesfluch des Lichs zeigte keine Wirkung auf meinen...

Assistenten? Handlanger? Schützling? Er ging ohne Umschweife zu dem zerbrochenen Grabmal, nahm den Stab und das kostbare Buch und kehrte unversehrt in die zweite Ebene zurück.

Während er damit beschäftigt war, spielte ich gedankenverloren mit dem Rosenkranz des Lichs, bis das Artefakt mir unverhofft seine magischen Eigenschaften offenbarte.

Jede der schädelförmigen Perlen erhöhte die Regeneration der inneren Energie um 1 % — und insgesamt waren es 13 an der Zahl! Hervorragend! Ganz ausgezeichnet!

Das kam mir sehr gelegen, denn Neo kostete mich 96 Energiepunkte pro Stunde, während ich nur 128 Punkte bekam. Um unter diesen Umständen vernünftige Zaubersprüche zustande zu bringen, brauchte man ein Vermögen für Elixiere, ganz zu schweigen von den lästigen Nebenwirkungen. Dieser Rosenkranz machte mir das Leben sehr viel leichter.

Nur leider wollte er nicht richtig an meinem Handgelenk anliegen, obwohl ich in der Beschreibung bis auf die Klasse des Spielers keine besondere Einschränkung entdeckt hatte. Aber ich war schließlich Nekromant!

Knochen-Rosenkranz der 13 Schädel

Regeneration der internen Energie +13 %.

Einschränkungen: nur für Nekromanten, Anhänger der Sekte der Toten und Priester der Götter des Todes

Was sollte das? Ich war doch Nekromant — und noch dazu Jünger der Sekte der Toten! Gleich beides auf einmal! Was fehlte denn noch?

„Onkel John“, sagte Neo und streckte mir die Beute entgegen.

Ich winkte ab. „Warte.“

Stirnrunzelnd versuchte ich, mich auf meine Empfindungen zu konzentrieren. Wenn ich versuchte, den Rosenkranz um mein linkes Handgelenk zu legen, fing ein Finger deutlich an zu kribbeln, und zwar der, an dem ich den Silberring mit dem Katzenauge trug. Kaum hatte ich den Ring abgelegt, wurde der Energieregenerations-Bonus aktiv. Und da der Ring die Wahrnehmung um einen Punkt erhöhte, steckte ich ihn an die linke Hand neben den Siegelring des Vampirs.

Energie: 47/260

Regeneration: 62 % pro Stunde (+13 % Bonus)

Viel besser! Ich bekam 162 Punkte pro Stunde, musste 96 für Neo aufwenden und behielt damit 66 Punkte übrig. Nicht gerade ideal, aber daran ließ sich nichts ändern. Ich würde mich so schnell wie möglich mit Wiederherstellungselixieren versorgen müssen — und zwar mit hochwertigen, nicht mit dubiosen selbstgemachten.

„Onkel John“, wiederholte Neo und zupfte mich am Ärmel.

Seufzend nahm ich ihm die Beute ab, musste den Zauberstab aber sofort zurückgeben, da meine Hand eiskalt wurde, kaum dass sie ihn berührt hatte. Dieses Objekt war nicht für die Lebenden bestimmt. Das ging aus der Beschreibung eindeutig hervor:

Knochenstab

Enthält den Zauberspruch Hieb des Todes

Einschränkung: nur für Nekromanten, die den Weg des Todes eingeschlagen haben

Schaden: 30 - 45

Erneuerungs-Anforderungen: 15 Energiepunkte

Ich schnaufte verärgert. Dieser Stab war eine tolle Bereicherung für alle, die eine der drei Haupt-Spezialisierungen gewählt hatten, nämlich die Selbstkasteiung. Der darin enthaltene Zauberspruch entsprach der Stufe 7 und stand erst ab Level 40 zur Verfügung; darüber hinaus konnte er jegliche physische Rüstung überwinden. Ja, die Verbindung mit dem Stab blockierte die Möglichkeit, den Schaden auf die aktuellen Willenskraft-Werte des Besitzers abzustimmen — aber dennoch war dieser „Zauberstab“ unendlich viel mächtiger als jeder der Zauber, die ich aktuell einsetzen konnte. Wie ärgerlich.

Neo sah mich verwirrt an und drehte den Stab dann in den Händen, ohne etwas zu sagen. Ich ließ an der linken Hand eine kleine Weiße Flamme entstehen, die uns den Weg leuchtete, und ging zur Treppe. Wir mussten hier verschwinden, ehe unerwünschte Besucher auftauchten und den einzigen Ausgang versperrten. In letzter Zeit hatte ich es mir mit vielen verscherzt, deshalb war eine solche Entwicklung nicht vollkommen ausgeschlossen.

Kapitel 2

ICH BESCHLOSS, NICHT wieder in die Hütte des Friedhofwächters zu gehen, sondern ließ mich auf der obersten Stufe der Kryptatreppe nieder und legte mir das in menschliches Leder gebundene Buch auf den Schoß.

Dann sah ich mich nach Neo um, der noch in der düsteren Krypta stand.

„Hast du etwa Angst vor Helligkeit?“, fragte ich mit unverhohlenem Sarkasmus, obwohl ich insgeheim fürchtete, dass er meine Vermutung bestätigen könnte.

„Nicht im Geringsten, Onkel John.“

„Warum kommst du dann nicht raus?“

„Ich habe einfach keine Lust.“

Ich zuckte die Schultern und schlug das Buch auf.

Sofort nahm es mich in Beschlag.

Ein kleiner Geist fürchtet den Tod. Er will schlichtweg nicht sterben. Nekromanten gehen mit dem Tod Hand in Hand — aber dennoch glauben manche unter ihnen, sie könnten ewig leben. Doch es ist ein großer Unterschied, ob man tatsächlich lebt oder nur existiert! Und mit jenen, die den Tod bereitwillig angenommen haben, kann es niemand von ihnen aufnehmen.

[ Annehmen ]

Der Einstieg in das Buch konnte mich nicht begeistern, aber das störte mich wenig. Wieso auch? Schließlich hatte ich nicht darauf gehofft, die dunklen Künste zu beherrschen. Ich musste lediglich einen Pfad wählen, der von Anfang an Vorteile für die sehr speziellen Aufgaben brachte, die ich zu erledigen hatte.

Spezialisierung wählen:

Sezierer

Auslöscher

Wahrer Nekromant

Naturphilosoph

Zombiejäger

Paladin der Sekte der Untoten

Lotse der Toten

Herr des Friedhofs

Spontan war ich von der Auswahl wie erschlagen, doch bei genauerem Hinsehen stellte ich fest, dass etliche der Spezialisierungen gar nicht in Frage kamen, da sie mit meinen aktuellen Eigenschaften kollidierten. Wie dumm von mir. Warum hatte ich nicht in Spielforen nachgeschaut? Dort hätte ich sicher ausführliche Level-Pläne für alle Entwicklungszweige gefunden.

Zu spät. Jetzt musste ich mich auf mein Gefühl verlassen.

Nicht zur Wahl standen für mich Sezierer, Auslöscher, Naturphilosoph und Paladin. Trotzdem schaute ich mir die entsprechenden Beschreibungen an. Ich musste mich erst entscheiden, wenn ich Level 25 erreichte, und hatte also immer noch die Möglichkeit, meine Werte entsprechend zu optimieren, wenn einer der aktuell nicht verfügbaren Entwicklungszweige besonders vielversprechend aussah.

Sezierer. Er ist der Gott der Chirurgie und unangefochtener Experte für Vivisektion, sodass er Schimären und Kadaver erschaffen kann wie niemand sonst.

Mit der Berufsbeschreibung hielt ich mich nicht auf, sondern ging direkt zu den Eigenschaften, Vor- und Nachteilen über. Allzu viele waren es nicht.

Sezierer haben Zugriff auf die Spezialzauber der Schule des Golembaus; dabei gelten die gleichen Bedingungen wie bei Nekromantie-Zauber. Für diese Klasse von Zaubersprüchen gilt keine Einschränkung.

Dir fehlt: Intellekt, Chirurgie

Ich hatte nicht vor, widerliche kleine Kreaturen zu fabrizieren, deshalb sah ich mir die nächste Spezialisierung an.

Auslöscher sind der Inbegriff des Todes, geräuschlos und unsichtbar. Man entdeckt sie erst, wenn es zu spät ist, und nur durch die Leichen, die sie auf dem Gewissen haben, kommt man ihnen auf die Spur.

Auslöscher haben Zugriff auf alle Nekromantie-Zauber bis Stufe 4 sowie auf die Fähigkeiten von Schurken und Attentätern bis Stufe 8. Außerdem gilt für sie ein Spezialitätsbonus für Tarnung, Vergiften, Flüche und Verhexen. Sie nutzen die Lebenskraft ihrer Opfer, um schneller und tödlicher zu werden als gewöhnliche Kämpfer.

Dir fehlt: Beweglichkeit

Ich verzog das Gesicht. Der Beruf hatte seine Vorteile. Ein flinker, unauffälliger, mörderischer Hexenmeister? Das klang nicht schlecht. Hätte ich darauf geachtet, die Beweglichkeit hochzuleveln, wäre diese Option für mich interessant gewesen — aber mit den drei Levels, die mir noch blieben, war das nicht zu schaffen.

Egal. Was blieb mir noch verwehrt?

Naturphilosophen kennen sich mit Leben und Tod besser aus als jeder sonst...

Der Einstieg klang nicht sehr vielversprechend, deshalb ging ich direkt zu den Anforderungen über. Mir fehlten reichlich Intellekt und Wahrnehmung. Egal. Ich hatte sowieso nicht vor, als grüblerischer Theoretiker zu spielen.

Paladine sind die Kampftruppe des radikalen Flügels der Sekte der Toten und mit Schwert und Zauberkraft gleichermaßen versiert. Zwar steht ihnen nur Nekromantie-Zauber bis Stufe 6 zur Verfügung, doch sie haben auch Zugriff auf Kampfkünste dieser Stufen sowie Priester-Zauber der Stufen 9 und 10.

Dir fehlt: Stärke, Wahrnehmung.

Ja, ja. Ein Universal-Soldat, der im Alleingang sämtliche Aufgaben erledigen könnte. Den Paladin hätte ich nicht einmal gewählt, wenn ich gekonnt hätte. Ich hatte nicht die Absicht, Befehle zu befolgen; ich war es leid, ständig herumkommandiert zu werden.

Den Auslöscher dagegen hätte ich ohne Zögern genommen. Mir blieb nur die Hoffnung, unter den Spezialisierungen, die mir zur Verfügung standen, etwas noch Interessanteres zu finden. Hoffentlich! Sonst musste ich nach allem, was ich durchgemacht hatte, vielleicht doch den Pfad eines Knochensammlers wählen.

Aber vielleicht auch nicht. Das zeigte mir schon die nächste Alternative auf der Liste.

Wahre Nekromanten sind daran gewöhnt, alles in Sichtweite zu kontrollieren. Wichtige Entscheidungen treffen sie nicht übereilt. Wenn die Zeit reif ist, wählen sie zwischen Lich, Knochensammler und Höherem Vampir. Und zu dieser Entscheidung stehen sie. Sie liegt ganz allein bei ihnen.

Diese Spezialisierung brachte zwar keine nennenswerten Boni, verlangte aber immerhin keine sofortige Entscheidung für eine der klassischen Routen der Nekromantie, sodass man auf unbestimmte Zeit körperlich am Leben bleiben konnte. Das allein bewirkte, dass ich mich auf der Stelle besser fühlte. So war ich nicht unter Druck, sondern behielt etwas Freiraum.

Zombiejäger sind die Schlimmsten unter den Verrufenen, die Parias unter den Ausgestoßenen. Sie werden nicht nur von ordentlichen Bürgern, sondern auch von Ihresgleichen gehasst und gefürchtet. Zombiejäger verzichten auf die Fähigkeit, Tote aufzuwecken, und können dafür den Untoten schaden; noch dazu können sie militärische Fähigkeiten bis Stufe 6 erlernen.

Ich schüttelte enttäuscht den Kopf. Nur zu gerne wäre ich Zombiejäger geworden, wirklich, ohne das leiseste Zögern. Nach dem Auslöscher war diese Spezialisierung perfekt für mich geeignet — aber sie kam nicht in Frage! Ohne Neo kam ich nicht weiter, deshalb durfte ich auf die Fähigkeit, Tote zu erwecken, nicht verzichten. Zu schade.

Lotsen der Toten sind nie allein, sondern stets von Horden von Untoten umgeben, die dem Nekromanten zwar Energie abzapfen, ihm im Kampf aber Kraft und Ausdauer verleihen.

Lotsen haben Zugriff auf Nekromantie-Zauber bis Stufe 4. Darüber hinaus können sie alle Beschwörungszauber erlernen und sind so geübt in der Erweckung der Toten, dass dies sogar direkt in der Schlacht möglich ist. Außerdem haben sie Zugriff auf Kampfzauber bis Stufe 8.

Ich lachte auf und zählte die Vorteile an den Fingern ab. Schwerpunkt auf der Schaffung von Untoten, einfachere Kampfzauber und die Möglichkeit, im Notfall Zombies zu erschaffen — all das bedeutete, dass ich mich nicht mit Ritualen oder dem Ausweiden von Leichnamen abmühen musste. Es lohnte sich durchaus, dafür auf höherwertigen Nekromantie-Zauber zu verzichten. Im Augenblick konnte mir nichts Besseres passieren.

Dennoch wollte ich nichts überstürzen und warf noch einen Blick auf die letzte der Spezialisierungen, die zur Verfügung standen.

Der Herr des Friedhofs bewacht Ruhestätten. Er genießt in seinem jeweiligen Herrschaftsbereich fast uneingeschränkte Macht, verliert jedoch jeglichen Bonus, sobald er diesen verlässt.

Weiter las ich nicht. Ich hatte nicht die Absicht, ein Feudalherr zu werden. Zumal ein Solo-Spieler niemals eine Chance gegen ein eingespieltes Team schwächerer Spieler hat. Ein Nekro konnte sich nur schützen, indem er im Verborgenen tätig war — aber wie sollte das gelingen, wenn man an einen bestimmten Ort gebunden war? Oder sollte man von einem Friedhof zum nächsten hetzen und ständig den Standort wechseln wie ein aufgescheuchtes Karnickel?

Oder irrte ich mich? Ich überlegte, ließ mir die Sache durch den Kopf gehen und entschied dann spontan dagegen. Das war nicht mein Fall.

Und damit wurde die Welt um einen Lotsen der Toten reicher.

Möchtest du die Spezialisierung Lotse der Toten wählen?

[Ja/Nein]

Wenn ich freie Wahl gehabt hätte, wäre ich definitiv ein Auslöscher geworden, so jedoch kam im Prinzip nichts anderes in Frage.

Ja! Das möchte ich! Bestätigt!

Herzlichen Glückwunsch! Du hast eine Spezialisierung gewählt: Lotse der Toten!

Einen Weg zur Perfektion auswählen: Quest abgeschlossen!

Erfahrungspunkte: +500

Unberührte Pfade: Versteckte Quest abgeschlossen!

Erfahrungspunkte: +1.000

John Doe

Hexenmeister/Nekromant/Lotse der Toten

Level 23

Aktueller Fortschritt: 2.795/3.100

Klassenmerkmale:

Die auferweckten Kreaturen können um 3 Punkte höhere Level haben als ihr Lotse.

Wenn ihr Lotse stirbt, leben die auferweckten Kreaturen weiter, bis ihre Energiereserven verbraucht sind.

Lotsen haben Zugriff auf alle Nekromantie-Zauber bis einschließlich Stufe 4 (außer Zauber zur Erschaffung von Untoten).

Lotsen haben Zugriff auf Kampfzauber und Fähigkeiten bis Stufe 8.

Alle 2 Level sinkt die zur Versorgung der Untoten erforderliche Energie um 1 %.

Alle 4 Level erhöht sich der Widerstand gegen psychische Kontrolle um 1 Punkt.

Achtung! Lotsen der Toten bleiben lebendig und sind nicht immun gegen Todeszauber!

Klassenfähigkeiten:

Vom Tod durchdrungen

Seelenfänger

Unterwerfung der Toten

Du kannst die folgenden Spezialisierungszauber der Stufe 9 auswählen:

Todesketten

Macht der Toten

Das waren so viele Informationen auf einmal, dass sich mir der Kopf drehte. Die Klassenfähigkeiten mussten warten, jetzt beschäftigte mich eine Angabe, die mir besonders ins Auge gefallen war.

Wenn ihr Lotse stirbt, leben die auferweckten Kreaturen weiter, bis ihre Energiereserven verbraucht sind.

Sie sterben nicht. Erst, wenn ihre Energiereserven verbraucht sind. Aha!

Ich holte eine Flasche selbstgebrautes Wiederherstellungselixier aus der Tasche und reichte es Neo. „Hier, nimm einen Schluck.“

Mein untoter digitaler Freund nahm mir den Glasbehälter aus der Hand, zog den festsitzenden Stopfen heraus und schnupperte misstrauisch daran.

„Zombies können nichts riechen“, erinnerte ich ihn.

Neo gab ein Tröpfchen der Flüssigkeit in die hohle Hand, leckte es mit seiner grauen Zunge auf und verzog sichtlich angewidert das Gesicht.

„Wie ekelhaft“, sagte er, verschloss das Gefäß wieder und gab es mir zurück.

„Aber es soll deine Zauberkraft wiederherstellen!“

Neo tippte sich mit dem Finger auf die Brust. „Die Regenerationsoptionen stehen für diesen Körper nicht zur Verfügung. Alle Funktionen sind gesperrt. Er ist digitaler Müll!“

Ich fluchte, verstaute das Elixier wieder und studierte dann die Auswahl an Zaubersprüchen.

Mit Todesketten konnte man Schaden an die Toten, die man kontrollierte, weitergeben. Wenn man diesen Zauber auf Stufe 8 hochlevelte, erstreckte er sich auch auf wilde Zombies, und bei Stufe 7 sogar auf feindselige. Auch der Energieverbrauch sank dann jeweils.

Die Macht der Toten war genauso interessant. Durch diesen Zauber wurden die kontrollierten Zombies zwar ein wenig unbeholfener und schwächer, dafür stiegen jedoch die Werte des Nekros. Bei Stufe 9 besserte sich nur die Beweglichkeit, doch schon bei Stufe 8 zusätzlich auch die Stärke — und auf der höchsten Stufe konnte man mit der Energie der Untoten, die man kontrollierte, riesige Sprünge machen.

Das war ideal, wenn man sowohl Zauberkraft als auch das altbewährte beidhändige Schwert benutzte. Dabei gab es nur ein Problem: Damit das gelang, musste man mindestens drei Zombies unter Kontrolle haben. Und ich hatte vorerst nur Neo — und selbst er saugte mir bereits viel zu viel Energie aus dem Leib. Den Traum von einer Armee der Untoten konnte ich damit begraben.

Und deshalb entschied ich mich letztendlich für Todesketten. Wenn ich noch einen weiteren Toten auferweckt hatte, konnte ich ihn als menschlichen — halt, falsch — als unmenschlichen Schild benutzen.

Ich unterbrach meine Beschäftigung mit der Spielstatistik und ließ aus der Perspektive des Raben den Blick über meine Umgebung und den Friedhof schweifen. Da ich nichts Verdächtiges bemerkte, widmete ich mich wieder den Spezialfähigkeiten, die ich gerade bekommen hatte.

Vom Tod durchdrungen

Klassenfähigkeit

Ermöglicht Lotsen der Toten, ihre untoten Diener mit so viel Energie zu versorgen, dass sie 30 Minuten lang eigenständig bestehen können.

Eine Gnadenfrist von einer halben Stunde war jedoch nicht die Lösung. Wenn ein Spieler getötet wurde, betrug die Zwangspause mindestens 20 Minuten — und anschließend musste ich von meiner Respawn-Stelle wieder zu Neo gelangen! Andererseits lohnte es sich vermutlich, diese Fähigkeit zu aktivieren, sobald meine inneren Reserven wiederhergestellt waren.

Sehr gut. Was noch?

Unterwerfung der Toten

Klassenfähigkeit

Ermöglicht Lotsen der Toten, wilde und feindliche Zombies zu kontrollieren. Die Erfolgsaussichten richten sich nach der Willenskraft-Stufe des Lotsen.

Auch das war eine Stärke meiner gewählten Spezialisierung. Ich musste mich nicht mehr mit Ritualen abmühen, sondern konnte ganz einfach verlassene Zombies versklaven oder sie sogar ihrem Besitzer stehlen, wenn dieser ein geringeres Level hatte. Das war natürlich nicht ernst gemeint. Aber in jedem Scherz steckt ein Fünkchen Wahrheit. Eine sehr gute Fähigkeit. Sehr nützlich.

Und die nächste war eine wahre Pracht.

Seelenfänger

Klassenfähigkeit

Ermöglicht Lotsen der Toten, eine entweichende Seele auf dem Schlachtfeld einzufangen, wenn sie den Leichnam verlassen will, und wieder hineinzuschicken, sodass ein gehorsamer Sklave entsteht. Wird die Todesenergie durch das Ritual nicht richtig konzentriert, zerstört die negative Todesenergie jedoch das Fleisch der Kreatur, sodass ein solcher Zombie nur sehr kurz existiert; die Dauer richtet sich ganz nach dem Intellekt des Hexenmeisters.

Volltreffer! Schließlich war ich ein Kampf-Nekro, da gab es kein Vertun! Ich konnte eine ganze Horde Zombies losschicken, die auf Kosten meiner Feinde stärker und schneller wurden, und alle erlittenen Schäden auf sie umlenken, während ich die Toten erweckte — sowohl feindliche Soldaten als auch meine eigenen — und sie wieder in die Schlacht schickte!

Schnell überschlug ich die erforderliche Energie. Oh, das sah nicht gut aus. Andererseits war nichts anderes zu erwarten. So funktionierte die Spielbalance nun einmal.

Mit den möglichen Komplikationen würde ich mich später beschäftigten, jetzt öffnete ich die letzte Beschreibung.

Die letzte, aber längst nicht die unattraktivste. Diese Fähigkeit gab jedem Zombie 5 Extrasekunden Leben pro Intellektpunkt und reduzierte die für den Bau erforderliche Energie um 0,5 %. Auch die Wahrnehmungsstufe spielte eine wichtige Rolle, denn sie wirkte sich 1:1 auf die Zeitspanne aus, in der ein Nekromant einen Toten erwecken konnte; für jeden Wahrnehmungspunkt gab es eine Sekunde extra.

Ich öffnete die Statistik zu meinem Charakter. Mit dem letzten Level hatte ich jeweils einen Punkt Intellekt und Willenskraft bekommen. Vor diesem Hintergrund investierte ich die beiden verbleibenden Punkte in Wahrnehmung und nickte zufrieden.

Damit hatte ich in einer Schlacht 15 Sekunden Zeit, um einen Zombie zu schaffen, der höchstens anderthalb Minuten am Leben bleiben konnte, obwohl er im Kampf wahrscheinlich nicht so lange bestehen würde.

Dann prüfte ich das Verhältnis von eingehender und verbrauchter Energie — hier sah es leider nicht so rosig aus wie erhofft. Trotz der Klassenboni brauchte ich stolze 86 Punkte, um Neo zu versorgen, und netto blieben mir deutlich unter 100 übrig.

Also musste ich jetzt auch meine Wahrnehmung ausbauen! Ganz zu schweigen vom Intellekt. Auf Willenskraft konnte ich auch nicht verzichten. Und wenn Lotse der Toten tatsächlich eine Art Kampfklasse war, durfte ich Stärke und Konstitution ebenfalls nicht vernachlässigen.

Verflixt und zugenäht! Wollte ich zu viel auf einmal? Das würde mich teuer zu stehen kommen, daran gab es keinen Zweifel! Was sprach schon dagegen, mich für den Auslöscher zu entscheiden? Andererseits lauerten dabei höchstwahrscheinlich auch versteckte Stolpersteine.

Sicher hätte ich noch länger über die optimale Levelstrategie nachgegrübelt, doch plötzlich begann der tote Rabe heiser zu krächzen, um mich auf unerwünschten Besuch hinzuweisen.

Wer zum Teufel mochte das sein?

Kapitel 3

ICH KLOPFTE MIR den Staub von dem zerfallenen Grabmal von den Händen und erhob mich. „Neo! Verschwinde von hier!“

„Wirklich, Onkel John?“, fragte mein toter Partner widerwillig, während er sich langsam zurückzog.

„Los, mach schon!“, knurrte ich und wechselte dann wieder in die Perspektive des Raben. „Nein, warte. Falscher Alarm.“

Es waren Kain und Abel, die wieder zurückkamen. Sie hatten in der Wächterhütte nachgeschaut, mich dort nicht gefunden und sich dann zögerlich am Eingang zum Friedhof umgesehen. Ich zwang den Raben, durch den Mittelgang zur Krypta zu tauchen, ehe ich ihn zum nächsten Aufklärungsflug starten ließ.

Die beiden Elfen waren so schlau, dass sie den Hinweis verstanden, und kamen in meine Richtung. Als sie mich begrüßten, klangen sie misstrauisch.

„Wir dachten, du wolltest nicht hier bleiben“, sagte Kain.

Abel nickte zustimmend.

Ich zuckte die Schultern. „Es kam leider anders.“

„Zum Glück“, zischte es hinter mir.

Ich fuhr zusammen, wirbelte herum und hatte schon zum Flammenschwert gegriffen, ehe mir auffiel, dass ich dieses Zischen schon einmal gehört hatte.

Tatsächlich, als der Fremde die Kapuze seines rot-schwarzen Umhangs abstreifte, kam sein nichtmenschliches Gesicht zum Vorschein.

Wie um alles in der Welt war es ihm gelungen, auf mein Grundstück zu gelangen?

Weiße Haut, keinerlei Gesichtsbehaarung — genaugenommen überhaupt gar keine Haare —, große Augen mit vertikalen Pupillen, der breite Mund eine kaum sichtbare Linie und zwei schmale Atemschlitze anstelle von Nasenlöchern.

Es war Made! Oder vielmehr sein Zwillingsbruder Blutegel. Der sagenumwobene Mentor der Nekromanten, den es nur im Doppelpack gab.

„Was zur Hölle?!“, entfuhr es mir. Beim Anblick dieses unappetitlichen Bewohners von Sammelbecken konnte ich nicht an mich halten.

Blutegel ging nicht darauf ein, sondern deutete mit einem spitzen, grellroten Nagel auf Abel. „Das Portal! Nicht hier, Bursche! In der Krypta!“

Ich protestierte nicht dagegen, dass er uns herumkommandierte. Geschäft war schließlich Geschäft. „Da unten ist, äh, einer meiner Leute“, warnte ich.

Abel hatte offenbar begriffen, denn er reagierte nicht erstaunt, als er auf eine dunkle Gestalt stieß, die der Hauch des Todes umwehte. Er stellte keine Fragen. Schließlich hat ein Nekromant ein Anrecht auf einen untoten Diener, oder?

Ich dagegen platzte fast vor Neugier und sah Blutegel durchdringend an. „Bei allem Respekt, aber beschränkt sich Ihre Tätigkeitsfeld nicht auf Sammelbecken?“

„Eure Eskapade... oder vielmehr unsere...“, Blutegel öffnete die schmalen Lippen, sodass seine schwarze Zunge zum Vorschein kam, „hat mir — uns — Auftrieb gegeben, sodass ich mein Geschäft erweitern konnte. Ich — wir — Made und ich — sind keine Bewohner mehr, sondern im Außendienst unterwegs. Freie Spieler sozusagen. Oder Eventveranstalter, wenn man es genau nimmt. Ist das verständlicher?“

„Klar“, sagte ich und nickte verwirrt — oder vielmehr misstrauisch.

Schließlich hatte er bei unserer ersten Begegnung gesagt, Made und Blutegel seien dafür zuständig, neue Entwicklungen einzuleiten und dem Spiel Würze zu geben. Ich hatte nicht die Absicht, schon wieder als Katalysator in einem verrückten Plan zu dienen. Nicht jetzt. Ganz bestimmt nicht jetzt!

„Die Aktion mit dem Bankraub kam gut an.“ Blutegel wirbelte auf dem Absatz herum und verwandelte sich in seinen Zwillingsbruder. Jetzt starrte mich Made an, der eine etwas andere Körpersprache hatte und etwas leiser sprach. „Das ist wahre Kreativität! Mein Freund Roman ist ein ordentlicher Taktiker, das lässt sich nicht bestreiten. Seine Stellung in Sammelbecken hat sich erheblich verbessert, aber... ihm fehlt das gewisse Extra. Keine Ahnung, ob er nicht anders kann oder ob er schlichtweg nicht genug Ehrgeiz hat...“

Ich sah rasch hinüber zu Kain, der den Blick auf die Spitzen seiner Stiefel fixiert hielt. Es war deutlich zu merken, dass er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte.

Auch mir war unbehaglich zumute. Es gefiel mir nicht, in welche Richtung sich das Gespräch entwickelte.

„Also, mein junger Freund...“ Made glitt näher an mich heran, neigte den Kopf und spähte in die Augenschlitze meiner Maske. „Wir können dich gut gebrauchen. Wir haben immer Bedarf an Leuten, die um die Ecke denken können.“

„Wie kommen Sie darauf, dass ich das kann?“

„Nun, immerhin bist du noch am Leben“, erwiderte Made. „Du hast nicht den Weg der anderen Nekromanten eingeschlagen. Für sich genommen ist das weder gut noch schlecht, doch es verrät einiges über dich. Wir brauchen Leute wie dich. Wie viele hier im Spiel sind so wie du, fünf Prozent?“

„Sechs.”

„Und wer bist du jetzt?“, fragte der Mentor der Nekromanten neugierig. „Verzeih mir, dass ich so direkt bin, aber deine aktuelle Spezialisierung entscheidet darüber, ob wir dich gebrauchen können oder nicht. Solltest du dich beispielsweise für den Zombiejäger entschieden haben, dann trennen sich unsere Wege... ganz freundschaftlich.“ Der Sarkasmus in seiner Stimme war unüberhörbar.

Ich hatte nicht die Absicht, ihm meine Entscheidung zu verheimlichen. „Ich bin Lotse der Toten.“

Er schob die Lippen vor, bis sie nur noch zwei schmale Striche waren, konnte seine verärgerte Miene jedoch nicht verbergen. Schnell gewann er wieder die Fassung. „Meine Jungs sagten, du hättest auch ein Herr des Friedhofs werden können, aber deine Wahl ist auch nicht schlecht. Das reicht. Schade, dass du kein Auslöscher geworden bist, aber damit hatten wir ohnehin nicht gerechnet. Nicht mit diesem monströsen Schwert...“

„Freut mich, dass Sie mit meiner Entscheidung einverstanden sind.“ Ich seufzte. „Leider habe ich hier im Spiel jedoch andere Pläne. Ich habe nicht die Absicht, für Sie die Kastanien aus dem Feuer zu holen.

Made wirbelte herum, sodass mich Blutegel anstarrte. „Was für andere Pläne, wenn ich fragen darf?“, erkundigte er sich lächelnd.

Das brachte mich ins Grübeln. Mir fehlten die grundlegendsten Informationen. Ich hatte bislang keine Zeit gefunden, im Wiki nachzuschauen oder mich in Foren umzuhören. Aber vielleicht konnte mir dieser Irre mit der gespaltenen Persönlichkeit auf die Sprünge helfen? Ich hatte nichts zu verlieren.

„Burg Arnstern“, sagte ich und ergänzte dann vielsagend: „Dort werde ich erwartet.“

„Die liegt im Osten!“ Blutegel verzog ärgerlich das Gesicht. „Jeder weiß, dass sich im Osten nur Freaks, abgehalfterte Clans, Rassisten und Chauvinisten herumtreiben! Globale Events gibt es dort so gut wie nie. Das ist wirklich das Ende der Welt.“

„Tatsächlich?“

Blutegel schnaubte höhnisch. „Allerdings. Wer das leiseste Fünkchen Verstand hat, setzt keinen Fuß dort hin. Ein bisschen wie früher in Europa, als sich jeder Gutsherr mit einem Dorf, ein paar Feldern und einem Wald als König bezeichnen konnte, auch wenn seine Burg kaum mehr als ein Schweinestall war!“

Er war so aufgebracht, dass er offenbar nicht neutral bleiben konnte, doch Kain stimmte ihm zu.

„Dort gibt es keine nennenswerte politische Struktur. Alle gegen alle. Absolutes Chaos.“

„Und vor allen Dingen liegt diese Gegend am anderen Ende des Kontinents.“ Blutegel reckte einen grellroten Fingernagel in die Höhe. „Offiziell braucht man Level 25, um Zutritt zu bekommen, aber realistisch gesehen sollte man mindestens Level 40 haben, ehe man sich dorthin wagt, ob mit Unterstützung eines Clans oder ohne.“

Oh. Das klang nicht gut. Es war zwar nicht so schwer, zwei weitere Levels zu erreichen, aber wenn ich mit einem Zombie im Schlepptau den ganzen Kontinent durchqueren wollte, würde ich unweigerlich erhebliche Schwierigkeiten bekommen. Man könnte das vermutlich auch als „spannende Abenteuer“ bezeichnen, aber „Schwierigkeiten“ klang mir realistischer.

„Ich könnte Level 25 erreichen, bis ich dort ankomme“, sagte ich mürrisch. „Na klar!“ Ich schnippte mit den Fingern, als mir ein Einfall kam. „Ein Portal! Ich könnte mir eine Portal-Schriftrolle kaufen!“

Kain schüttelte den Kopf. „Das würde dich ruinieren. Unsere Beute reicht dafür nicht einmal annähernd.“

„Tatsächlich?“

„Ja.“

Blutegel wirbelte wieder herum. Jetzt starrte mich Made an.

„Wenn du mir hilfst, ein kleines Geschäft einzufädeln, könnte ich dich vielleicht nach Arnstern befördern“, bot er an. „Das wäre viel schneller und könnte dir noch dazu ordentlich beim Hochleveln helfen. Vielleicht springt sogar etwas Geld dabei heraus. Es gibt also nur Vorteile.“

Allerdings hatte ich nicht allzu großes Vertrauen in die Versprechen meines ehemaligen Mentors, deshalb öffnete ich die Karte der Spielwelt, auf die ich nun endlich Zugriff hatte, seitdem ich eine Spezialisierung gewählt hatte.

Was ich sah, konnte meine Laune nicht bessern. Als ich nach „Arnstern“ suchte, erschien am anderen Ende der Karte ein einsamer Punkt. Die beste Route dorthin führte durch verschiedene Städte, sodass Portalsprünge mehr als 500 Goldkronen gekostet hätten. Und aus eigener Kraft konnte ich unmöglich dorthin gelangen. Ich würde mehrfach sterben und Neo unterwegs verlieren.

„Worum geht es bei diesem Geschäft?“, fragte ich also notgedrungen.

„Nun eine kleine Sabotageaktion gegen die Hellen“, sagte Made so leichthin, als handele es sich um einen gewöhnlichen Überfall auf einen Geldtransporter. „Diese Orte hier sind zwar vollkommen wertlos“, fuhr er mit einer Geste über den Friedhof fort, „aber sowohl die Union der Westlichen Fürstentümer als auch die Konföderation der Inseln des Sonnenuntergangs halten um jeden Preis daran fest. Im Prinzip geht es ihnen ums Prestige; sie sondieren die Lage, ehe es ans Eingemachte geht.“

„Was soll das heißen?“

„Diese Regionen bleiben zwar neutral und sind nicht an die globale Welt angegliedert, doch keine der beiden Parteien kann hier Respawn-Stellen für Spieler mit mehr als Level 25 einrichten. Sie müssen über Portale hergeschickt werden. Dein Job wäre es, das Teleportieren zu sabotieren.“

Kains langes Gesicht verriet, dass er von diesen Einzelheiten auch nichts geahnt hatte. „Wie sollen wir das machen?“, wollte er empört wissen. „Jeder weiß doch, wie gut diese Portale bewacht werden.“

„Hier schon, das stimmt. Aber nicht in Altara.“

„Altara liegt im Gebiet der Löwen des Lichts! Dort wimmelt es von Gesetzeshütern!“, stieß der Elf hervor. „Das ist Selbstmord! Man wird uns die Eingeweide aus dem Leib reißen!“

Made winkte ab. „Erstens steht die Stadt auf alten Katakomben. Somit ist es dort recht sicher, sofern man nicht an eine Plündertruppe gerät. Und zweitens hat unser nekromantischer Freund hier eine ziemlich seltsame Aura. Gerade hell genug, dass er nicht auf dem Scheiterhaufen landen wird.“

„Aber wie sollen wir in die Stadt gelangen?“, erkundigte sich Kain, immer noch mit skeptischer Miene.

„Keine Sorge, darum kümmere ich mich.“ Made nickte, als würde er sich selbst beipflichten „Oh ja, eine solche Maßnahme liegt noch im Bereich des Zulässigen.“

Ich ließ mir all das kurz durch den Kopf gehen und erkannte sofort eine krasse Unstimmigkeit. „Moment mal. Seid ihr nicht Blutmagier? Ich dachte, die unterstützen die Nördlichen Herzogtümer!”

„Ich bin niemandem verpflichtet“, erwiderte Made nachdrücklich. Dann warf er einen Blick auf Kain und lachte auf. „Das gilt natürlich nicht für meine Jungs. Sie haben eine Quest für den Hexenzirkel zu erledigen. Aber ganz im Vertrauen, die Nordler haben nicht die Absicht, sich um diese Gegend zu streiten. Sie heucheln nur Interesse, um sicherzustellen, dass die Fürstentümer und die Inseln sich richtig Mühe geben.“

Kain war seine Enttäuschung deutlich anzusehen. „Dieses Portal“, fragte er mit Blick auf die Krypta, „ist also nur Attrappe?“

„Ich würde es als einen Aspekt dieser Intrige bezeichnen“, entgegnete Made vage und sah mich dann durchdringend an. „Also, was sagst du?“

Ich zögerte. Und das war weder gespielt und noch Strategie. „Es kann doch nicht so schwer sein, jemand anderes für diese Aufgabe zu finden. Nekromanten gibt es in Hülle und Fülle.“

„Aber nicht mit grauer Aura. Unsere Kollegen sind nicht gerade für ihre einwandfreie Ethik bekannt. Normalerweise scheren sie sich wenig um gesellschaftliche Konventionen.“ Made grinste. „Außerdem, John, möchte ich eines ganz offen sagen. Es bedeutet mir viel, dich ins Spiel zu bringen. Ihr seid unsere Schüler, wir sind eure Mentoren — und Agenten, wenn man so will. Die Fähigkeit, Talente zu erkennen und optimal zu nutzen, ist nur eine der vielen Kompetenzen, die man als Freiberufler braucht.“

Darauf fiel mir nichts ein, deshalb seufzte ich nur und stellte meinerseits Bedingungen. „Zunächst einmal möchte ich Antwort auf ein paar rein theoretische Fragen.“

„Dazu gibt es das Hilfe-Menü.“

„Das hat alles mit der Quest zu tun!“, fuhr ich ihn an. „Ich muss wissen, welche Belohnung ich dafür verlangen sollte.“

Made schürzte die Lippen. „Ich fürchte, du bist nicht in der Position, dass du handeln könntest.“

Ich ließ mich jedoch nicht beirren. „Die Quest ist einzigartig, und das bedeutet, dass die Belohnung variieren kann, stimmt’s?“

„Na gut, schieß los.“

„Kain, wir sind gleich wieder da“, sagte ich und entfernte mich ein Stück von der Krypta. Made folgte mir.

„Gibt es eine Möglichkeit, den Geist eines Zombies in einen anderen Körper zu übertragen?“, fragte ich ihn.

Ich muss ihm zugutehalten, dass er nicht nachhakte, wieso ich das wissen wollte. „Nekromanten arbeiten nicht mit körperlosen Wesen“, sagte er kopfschüttelnd. „Dafür sind Exorzisten und Dämonologen zuständig.“ Er überlegte kurz und schüttelte dann wieder den Kopf. „Und nein, Dämonologen könnten nicht mit deinen Zombies arbeiten, selbst wenn du es erlauben würdest. Ihre Fähigkeiten sind mit den Ritualen zum Heraufbeschwören und Beherrschen verknüpft.“

Verdammt! Wenn er ehrlich zu mir war — und es gab keinen Grund, daran zu zweifeln —, war Neo damit endgültig im Körper des toten Geistlichen gefangen. Selbst wenn ich meinen NPC-Freund befreite und versuchte, einen geeigneteren Zombie zu erwecken, war damit nicht garantiert, dass Neo aus seinem digitalen Limbo entkommen konnte. Und ein Zombie würde er in jedem Fall bleiben! Möglicherweise mit ein paar mehr Fähigkeiten, aber nach wie vor ein Zombie.

So ein Mist!

„Sonst noch Fragen?“, wollte Made wissen.

„Welche Behälter eignen sich zur Speicherung von magischer Energie und wie kann man einen solchen Behälter in einen Zombie einsetzen?“

Jetzt wurde er doch neugierig. „Hängst du so sehr an diesem toten Fleischbrocken?“

Ich zuckte die Schultern, denn ich sah keinen Sinn darin, ihm langwierige Erklärungen zu liefern. Die Wahrheit konnte ich ihm nicht verraten, und ich wollte auch keine abstruse Geschichte erfinden, denn dann bestand die Gefahr, dass er mir auf die Schliche kommen würde. War das wirklich nötig?

Made sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. Offenbar erkannte er, dass er keine Antwort bekommen würde. „Im Prinzip kommt es darauf an, wie der Geist in den Zombie verpflanzt wurde“, sagte er deshalb. „Es gibt eine interessante Fähigkeit namens Transplantologie. Die solltest du dir näher anschauen. Allerdings kann ich dir dabei nicht helfen, dazu musst du dich an Golembauer wenden.“

„Was habe ich mit Transplantologie zu tun?“, fragte ich mit unverhohlener Verwunderung.

„Für diese Zwecke stehen die verschiedensten magischen Behältnisse zur Verfügung, aber Kristalle eigenen sich nur für Knochenmobs. Totes Fleisch stößt sie ab. Vermutlich könntest du die inneren Organe legendärer Ungeheuer mit Energie versorgen... zum Beispiel das Herz oder auch die Leber eines Drachen... was käme noch in Frage... auch ein uralter Lich...“

Ich seufzte schwer. Ausgeschlossen, dass ich ein solches Ungeheuer eigenhändig besiegen konnte, und im Ankauf kosteten solche Organe ein kleines Vermögen. Es sei denn, jemand schickte mich auf eine Quest. Eine Quest also... das wäre —...

„Das reicht!“, unterbrach Made meinen Gedankengang. „Genug mit diesem Frage-Antwort-Spiel!“

Auf der Stelle erschien eine neue Systemnachricht.

Neue Gruppenquest erhalten: Portal nach Altara

Strafe bei Ablehnung: Dein Ansehen bei Made/Blutegel sinkt auf Abneigung.

Strafe bei weiterer Weigerung: Der Große Fluch des Verdorbenen Blutes.

Belohnung: variabel

Annehmen / Ablehnen

Ich wollte mich nicht zu einer Antwort drängen lassen. „Dazu möchte ich erst mehr erfahren“, sagte ich mürrisch.

Made zuckte die Schultern und schickte mir die Beschreibung der Quest.

Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Bande ‚Einmaliger Auftrag‘ das Kontrollsystem des Stadtportals von Altara manipulieren.

Frist: 1 Woche

Belohnungen:

Ein Nekromantie-Zauber der Stufe 9

100 Goldmark

Teleportieren in die Nähe von Arnstern

Ich verzog das Gesicht. „Das lohnt sich nicht.“

Damit meinte ich nicht die Aufgabe an sich, sondern die dürftige Belohnung für eine so umfassende Quest. Ich war mittlerweile ein wenig verwöhnt: Für den Bankraub hatte ich dreimal so viel bekommen wie das, was mir hier angeboten wurde, und der Zauberspruch der Stufe 9, der offenbar im Nachhinein ergänzt worden war, machte die Sache nicht viel attraktiver. Na gut, eigentlich schon, aber trotzdem sah ich bei diesem Angebot noch reichlich Verhandlungsspielraum.

Made sah mich finster an und verschränkte dann die Arme vor der Brust. „Was willst du? Aber werde nicht zu unverschämt. Verlang nicht zu viel.“

„Sie könnten mir wenigstens eine Fähigkeit beibringen!“

„Das kann ich nicht. Es sei denn, du wirst Jünger des Pfades des Verdorbenen Blutes...“

Ich stöhnte auf und änderte meine Taktik. „Die Quest ist ziemlich anspruchsvoll, nicht wahr? Gut möglich, dass wir damit scheitern. Dann hätten wir nicht nur eine Woche unserer Zeit verschwendet, sondern würden auch in Altara festsitzen, wo sämtliche Gesetzeshüter auf uns losgehen würden.“

„Tja, dann versteckt ihr euch in den Katakomben.“

„Trotzdem wäre das Zeitverschwendung.“

Made starrte mich erbost an. „Willst du eine Anzahlung?“

„Nein, eigentlich nicht. Ich will nur das Versprechen, dass ich unabhängig vom Ausgang der Quest nach Arnstern befördert werde.“

„Ausgeschlossen.“

„Aber — “

„Das kannst du vergessen!“

Ich versuchte es noch ein paarmal, aber er ließ sich nicht erweichen. „Okay“, gab ich mich schließlich geschlagen. „Wie wäre es mit einem Zauberspruch jetzt und einem weiteren nach Abschluss der Quest?“

Made nickte widerwillig. „Blutegel wird mir an die Gurgel gehen, aber wenn du darauf bestehst, John...“

Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Bande ‚Einmaliger Auftrag‘ das Kontrollsystem des Stadtportals von Altara manipulieren.

Frist: 1 Woche

Belohnungen:

Vorab ein Nekromantie-Zauber der Stufe 9 und 100 Goldmark.

Nach Abschluss ein Nekromantie-Zauber der Stufe 9 und Teleportierung in die Nähe von Arnstern.

Strafe bei Scheitern: Ein Schwacher Fluch des Verdorbenen Blutes.

Mir fiel sofort die Strafe auf, mit der Made den Einsatz dreist erhöht hatte, doch ehe ich etwas sagen konnte, ergriff mein Mentor das Wort.

„Denk an die Spielbalance!“, betonte er. „Die Balance ist das A und O! Wenn du eine Anzahlung willst, solltest du bereit sein, das Risiko einzugehen.“

„Schon gut, schon gut.“ Ich winkte ab und erkundigte mich gar nicht nach dem genauen Zauberspruch, den er mir verraten würde. Der Transport nach Arnstern war die Hauptsache, dafür war ich bereit, jegliche Bedingungen zu akzeptieren.

Made nickte. Dann zuckte sein Kopf unvermittelt.

„Made, was soll das?“, ertönte zischend die Stimme von Blutegel.

Sofort übernahm Made wieder die Kontrolle über seinen Körper. „Das geht dich gar nichts an, Blutegel!“, stieß er hervor. „Kümmer dich um deine eigenen Schüler und lass mich in Ruhe! Wir haben das bereits ausdiskutiert.“

An den Streitigkeiten dieser gespaltenen Persönlichkeit hatte ich kein Interesse, doch da ich meine Belohnung noch nicht bekommen hatte, räusperte ich mich leise, um mich in Erinnerung zu bringen.

„Du!“, keifte Made. „Du bist an allem schuld!“ Trotzdem beruhigte er sich schnell wieder. „Egal“, sagte er und verzog das breite Maul. „Ich habe einen sehr nützlichen Zauberspruch für dich, den du nach Abschluss der Quest bekommst. Und jetzt nimmt diesen hier.“

Möchtest du den Zauberspruch Schädelfalle erlernen?

Ich bestätigte ohne nachzudenken und stellte erst dann fest, dass es sich um einen Zauber der Stufe 10 handelte. Gerade wollte ich meiner Empörung Luft machen, da erschien eine neue Nachricht.

Möchtest du den Zauberspruch Schädelfalle auf Stufe 9 aufwerten?

Was für eine dumme Frage! Ich hatte zwar Anspruch auf kostenlose Spezialisierungszauber, doch wenn ich sie aufwerten wollte, musste ich dafür einen meiner wenigen Fähigkeitspunkte opfern. Ganz eindeutig hatte Made das ausgeheckt, um mir in die versprochene Suppe zu spucken.

Nein, Moment. Ich wurde langsam paranoid. Ja! Bestätigen!

Von diesem Zauber hatte ich schon einmal gehört; außerdem gab es in diesem Spiel keine wertlosen Zaubersprüche.

Explodierender Schädel

Stufe: 9

Schaden: 32 bis 53

Wirkungsradius der Explosion: 3 Meter

Splitterschaden: 21 bis 28

Eindringtiefe der Splitter: 15 bis 20

Energieverbrauch: 38

Erhöht die Wahrscheinlichkeit, den Feind umzuwerfen und damit zu betäuben.

Ich griff nach dem Zauber. Sofort entstand auf meiner Handfläche ein durchscheinender Schädel — und kaum hatte ich ihn mit Energie versorgt, wurde er so schwer und fest wie echte Knochen.

Nur zu gerne hätte ich ihn zur Probe auf einen der Grabsteine geschleudert, aber so etwas geziemte sich für den Hüter des Friedhofs nicht. Ich erkannte jedoch, dass es sich um einen erstklassigen Zauber handelte, der höchstwahrscheinlich auch mit einigen anderen kombiniert werden konnte. Keine Ahnung, weshalb Made so verächtlich das Gesicht verzog. Entweder war er auch der Ansicht, dass sich ein Nekromant nicht auf den Nahkampf einlassen sollte, oder der andere Zauber, den er für mich in petto hatte, war ein echter Leckerbissen. Naja, man würde sehen.

Ich wischte den Schädel weg und schüttelte meine taub gewordenen Finger, damit sie wieder Gefühl bekamen. „Wann geht es los?“

„Sobald Abel das Portal öffnet“, erwiderte Made.

Und von da an nahm die Katastrophe ihren Lauf.

Der Rabe krächzte, um die Ankunft von Fremden anzukündigen. Auf der Stelle erschienen zwei neue Nachrichten.

Portal nach Altara: Quest aktualisiert!

Bedingung: Das Friedhofsportal verteidigen.

Optional: Das Friedhofsportal geheim halten.

Was zum Teufel?!

Kapitel 4

WIE ICH REAGIERT habe? Nun, erwartungsgemäß habe ich heftig geflucht. Direkt danach wechselte ich in die Rabenperspektive und sah ein halbes Dutzend Reiter, die sich über den Waldpfad dem Friedhof näherten.

Ich fluchte erneute, zwang den Raben, einen weiten Bogen über die Gruppe zu fliegen, damit ich sie besser begutachten konnte, und stöhnte ernüchtert auf. Nicht nur, dass vor den Männern drei kräftige Jagdhunde über den Pfad trabten, sondern einer der Reiter war niemand anderes als ein gewisser Augustus Leam, der Möchtegern-Paladin im Dienst der Göttin Alta.

Ich schnaufte heftig. „Neo, versteck dich hinter den Gräbern! Kain, du hältst dich vorerst heraus. Ich will versuchen, mit ihnen zu reden.“

Der stämmige Kain nickte zustimmend und löste sich im wahrsten Sinne des Wortes in Luft aus.

Neo dagegen war leider nicht so geschickt. Mit dem Knochenstab in der Hand stieg er widerwillig aus der Krypta und wankte mit unsteten Zombie-Schritten auf die Hecke zu. Dort brach er durchs Gebüsch und verbarg sich hinter einem steinernen Grabmal ein wenig abseits vom Hauptgang. Nun ja, immerhin besser als nichts.

Mit verärgerter Miene wandte ich mich zu Made um. „Ich gehe nicht davon aus, dass Sie uns helfen werden, oder?“

„Hier bist du zuständig“, sagte die rätselhafte Kreatur mit gehässigem Grinsen. „Mal sehen, wie du dich schlägst.“

Er machte es sich auf einem Grabstein bequem und schlug die Beine übereinander.

Ohne die Maske auf dem Gesicht hätte ich wütend ausgespuckt. So jedoch verzichtete ich darauf. „Fragen Sie dann bitte Abel!“, sagte ich nur.

Made schüttelte den Kopf. „Er ist mit dem Portal beschäftigt und darf nicht gestört werden.“

Da ich damit gerechnet hatte, beharrte ich nicht darauf. „Wenn diese Kerle einen Handschuh, eine Maske oder ein Paar Stiefel fallenlassen, gehören sie mir.“

„Der Rest ist meins“, war Kain sarkastisch hinter den Gräbern zu hören. „Ich wüsste nur zu gerne, ob sie unsere Habseligkeiten auch schon unter sich verteilt haben.“

Das war seine Hauptsorge? Ich dagegen hätte nur zu gerne die Beine in die Hand genommen. Nur kann man einer Hundemeute leider nicht davonlaufen — wer das versucht, ist lediglich völlig außer Atem, wenn er stirbt.

Natürlich hatte ich noch gut in Erinnerung, dass es mir in Grenzenloses Reich gelungen war, zwei Höllenhunden zu entkommen. Doch damals war die Lage ganz anders gewesen, ich war ihnen mit schierem Glück davongeschwommen. Diesmal würde das nicht gelingen, ich musste versuchen, unseren Besuchern ihre Absicht auszureden. Es stand schlichtweg zu viel auf dem Spiel. Und noch dazu diese elende Quest! Wenn ich damit scheiterte, würde Made mir niemals helfen und mich vielleicht sogar verfluchen. Er war unberechenbar.

Wenn wir dieses kleine Problem nur lösen könnten, ehe es hart auf hart kam. Ich wünschte...

Als ich mich nach Made umdrehte, war er bereits vom Erdboden verschwunden. Gerade eben hatte er sich noch auf dem kleinen Grab gefläzt, und nun war nichts mehr von ihm zu sehen.

So ein gerissener Bursche. Wie gerne hätte ich das auch gekonnt.

* * *

Letztendlich beschloss ich, mich nicht zu verstecken. Die räudigen Tölen wären mir ohnehin sofort auf die Spur gekommen. Ich stellte mich mitten auf den Hauptweg und wartete mit dem Flammenschwert auf der Schulter auf ihre Ankunft.

Die Gesellschaft, die auf dem Friedhof eintraf, lässt sich nur als ‚bunter Haufen‘ bezeichnen — und das war noch freundlich ausgedrückt.

Den Anfang machten die drei Jagdhunde, die an den Leinen zerrten. Dahinter folgte mit stolzgeschwellter Brust der Anführer, ein Kerl mittleren Alters, der viel zu wichtig für diesen Ort wirkte. Unter einem grauen, eher unansehnlichen Waffenrock trug er eine komplette Rüstung, die ebenfalls nicht besonders eindrucksvoll war — im Gegensatz zu ihrem Träger. Er nötigte Respekt ab. Ein scharf geschnittenes Gesicht mit Adlernase, graue Strähnen im Haar, kurz gestutzter Bar und Augen wie polierter Stahl. Unser bescheidener Friedhof hatte die Ehre, vom Hohepriester des Ireus persönlich besucht zu werden.

Direkt hinter ihm folgten zwei weitere Männer, die Seite an Seite ritten: mein Freund, der Möchtegern-Paladin, sowie ein Krieger mit Bastardschwert, Brustharnisch und offenem Helm.

Dahinter sah ich einen unauffälligen Kerl mit Umhang und spitzem Hut. Eindeutig ein Hexenmeister. An seinen Sattel waren mehrere Bündel Äste gebunden.

Die Nachhut bildeten zwei Bogenschützen: ein Elf und ein Halbelf, beide schmal und wendig, furchtbar angespannt und wachsam. In ihren Bogen lagen schussbereit die Pfeile.

Neben dem Anführer der Gruppe war mein Freund Augustus eindeutig der ansehnlichste Anblick. Die anderen machten nicht viel her, sowohl Waffen als auch Level waren sehr mittelmäßig. Entweder waren sie gerade erst aus Sammelbecken eingetroffen oder sie taugten so wenig, dass die für andere Fraktionen nicht interessant waren.

Ein ungutes Gefühl hatte ich nur in Bezug auf den Hexenmeister — im Gegensatz zu den Kämpfern war er eine unbekannte Größe.

Was den Priester betrifft, so gab es keinen Zweifel. Wenn er sich in den Kampf einschaltete, waren wir erledigt. Selbst mit meinem Friedhof-Bonus hatte ich dann keine Chance, das Level dieses Typen war schlichtweg zu hoch.

„Nekromant!“, rief der Priester mit donnernder Stimme und stellte sich in den Steigbügeln auf. „Und ich dachte schon, wir müssten dich aus der Krypta ausräuchern.“

Die Hunde zerrten zwar weiter an ihren Leinen, fletschten die Zähne und hatten Schaum vor dem Maul, doch ich rührte mich keinen Zentimeter.

„Nun, das ist doch etwas übertrieben, mein Herr!“, erwiderte ich bewusst überheblich und wandte mich dann an Augustus.

---ENDE DER LESEPROBE---