Love in Boothbay Harbor: Sammelband mit allen vier Büchern der romantischen Serie - Kerry Greine - E-Book

Love in Boothbay Harbor: Sammelband mit allen vier Büchern der romantischen Serie E-Book

Kerry Greine

4,0

Beschreibung

Der perfekte Schmöker mit über 600 Seiten für romantische Lesestunden. Hol dir die vier Liebesromane von Kerry Greine zum Sparpreis. Die exklusive Love Story "Cappuccinoliebe" gibt es nur in diesem Sammelband! Buch 1: Eine Chance für die Zukunft Nach Jahren steht Annie plötzlich ihrem ersten und einzigen One-Night-Stand Colin gegenüber und ist wie erstarrt. Sie fühlt sich zurückkatapultiert in diese eine gemeinsame Nacht. Trotz allem, was seit damals geschehen ist, knistert die Spannung zwischen ihr und Colin und sie kann den aufkommenden Gefühlen für diesen gut aussehenden Mann nicht widerstehen … Buch 2: Hoffnung am Horizont Jules kehrt völlig ausgebrannt aus Japan zurück ins heimische Boothbay Harbor. Hier will sie ihr Leben neu ordnen und endlich zur Ruhe kommen. Doch schon der Rückflug verläuft nicht nach Plan und kostet sie fast die letzten Nerven. Als sie dann auch noch mit einem unverschämten Macho zusammenstößt, hat sie endgültig genug. Sie ahnt nicht, dass das Schicksal ihr bereits am nächsten Tag genau diesen Mann ins Leben schubst … Buch 3: Stumme Verzweiflung Christopher erfüllt sich seinen größten Traum. Er verkauft seine IT-Firma in Boston und zieht nach Boothbay Harbor auf ein altes Gestüt. Immer wieder sieht er dort am nahegelegenen Waldrand eine engelsgleiche Frau, die ihn in bisher nie gekannter Weise fasziniert. Völlig zurückgezogen lebt sie allein in einer heruntergekommenen Hütte, weitab der Zivilisation. Mit jedem Tag fühlt er sich mehr zu der einsiedlerhaften Unbekannten hingezogen, bis ein weiterer Schicksalsschlag die beiden näher zusammenführt, als Chris je zu hoffen gewagt hätte … Bonusgeschichte: Cappuccinoliebe Monatelang war Jesse für Lane nur ein Stammkunde in ihrem kleinen Coffeeshop in Boothbay Harbor. Sie hat von Männern die Nase voll und mehr als ein belangloser Flirt über den Tresen kommt für sie nicht in Frage. Dennoch kommt sie nach einem kleinen Missgeschick nicht umhin, ihn zu bemerken. Jesse weckt Gefühle und Sehnsüchte in ihr, die sie nie wieder empfinden wollte, denen sie aber nicht entfliehen kann …

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Seitenzahl: 836

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Love in Boothbay Harbor

… wenn alles verloren scheint - Sammelband mit vier Liebesromanen

Kerry Greine

Impressum

Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages!

Im Buch vorkommende Personen und Handlung dieser Geschichte sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.

Copyright © 2017 dieser Ausgabe Obo e-Books Verlag,

alle Rechte vorbehalten.

M. Kluger

Fort Chambray 

Apartment 20c

Gozo, Mgarr

GSM 2290

Coverdesign: Wolkenart - Marie-Katharina Wölk, www.wolkenart.com

Inhalt

Eine Chance für die Zukunft

Hoffnung am Horizont

Stumme Verzweiflung

Cappuccinoliebe

Lust auf mehr?

Über den Autor

OBO e-Books

Eine Chance für die Zukunft

1

Mist, das ist ja mal wieder typisch. Ich will gerade den Coffeeshop verlassen, als ich gegen etwas pralle. Meine morgens so lebensnotwendige Dosis Koffein ergießt sich über meine neue Jacke. Zum Glück ist es jetzt im Juni schon so warm draußen, dass ich auch ohne Jacke nach Hause gehen kann. Ansonsten würde jeder mein peinliches Missgeschick bemerken. Nachdem ich mich kurz gesammelt habe, sehe ich erst, gegen was ich da eigentlich gelaufen bin. Ein breiter, sehr männlicher Rücken. Ein enges, dunkelgraues T-Shirt schmiegt sich um die schlanke Taille, die sich nach oben hin in einem kräftigen Kreuz verbreitert.

„Oh, Entschuldigung, ich war in Gedanken …“, sage ich automatisch und gucke kurz zu dem Gesicht hoch, das sich mir in diesem Moment zudreht und gehe an ihm vorbei auf die Promenade am Hafen.

Als ich schon ein paar Meter weiter gegangen bin, hält mich plötzlich jemand am Arm fest.

„Annie …?“

Irgendwo in meinem Unterbewusstsein regt sich etwas, noch bevor ich mich umgedreht habe. Ich kenne diese männliche Stimme, den Klang, wie sie leise meinen Namen ausspricht. Ich drehe mich um und schaue hoch.

Für einen Moment ist mir, als bliebe die Zeit stehen. Ich werde zurückkatapultiert in einen heißen Sommerabend vor vier Jahren.

Vier Jahre zuvor

Mein Bruder Chris hat mich zu einer Wohltätigkeitsparty mitgenommen. Nicht, dass ich mir jemals auch nur den Eintrittspreis hätte leisten können. Seine IT-Firma war eine der Sponsoren dieser Party, daher bekam er zwei Eintrittskarten, um sich auf der Feier, auf der von den Reichen unserer Stadt Gelder für soziale Kinderprojekte gesammelt werden sollten, zu zeigen.

Man hatte für diese Veranstaltung ein altes Herrenhaus mit weitläufigen Gärten ausgesucht und ein Zelt für mehrere hundert Personen aufstellen lassen. Im Zelt standen lange Reihen mit Tischen, wunderschön dekoriert mit teuer aussehenden Leinentischdecken, edlem Porzellan und echtem Silberbesteck.

Ein Streichquartett spielte ruhige Klassik im Hintergrund, während wir ein mehrgängiges, köstliches Menü verzehrten. Nach dem Essen wurde eine Reihe von Reden gehalten, die die wohlhabenden Gäste zum Spenden animieren und über die geplanten Projekte informieren sollten.

Nachdem der offizielle Teil des Abends beendet war, wurde auf einer kleinen Tanzfläche zum Tanzen aufgefordert. Daneben befanden sich eine kleine Bar und einige Stehtische mit cremefarbenen, glänzenden Hussen. Kellner gingen mit Tabletts voll Champagner zwischen den Leuten umher.

Mir war warm, es war stickig im Zelt und ich wollte mich draußen ein bisschen abkühlen. Ich nahm mein Abendhandtäschchen, das ich mir, genau wie das kurze weinrote Cocktailkleid, extra für heute Abend gekauft hatte und ging nach draußen.

Die Gartenanlagen waren mit Fackeln geschmückt, die die verschlungenen Wege in ein flackerndes Halbdunkel tauchten. Ich wanderte langsam durch die Gärten und die warme, sommerliche Brise spielte mit meinem kurzen Kleid.

Ich wollte diesen Abend in vollen Zügen genießen und mich endlich einmal wieder richtig amüsieren. Ein paar Wochen vorher hatte ich erfahren, dass mein Freund mich mit meiner vermeintlich guten Freundin und Arbeitskollegin betrogen hatte. Okay, es war jetzt nicht die große Liebe, sondern vielmehr die Bequemlichkeit, die uns die letzten zwei Jahre zusammengehalten hatte, trotzdem tat der Verrat mir weh und mein Selbstbewusstsein war doch stark angeknackst. Nachdem der Schmerz und die Wut jetzt abgeklungen waren, wollte ich mir heute Abend beweisen, dass ich auch als Single auf einer Party, über die morgen noch dazu die ganze Stadt sprechen würde, meinen Spaß haben kann.

Aber leider war das Ganze doch eher eine dumme Idee. Ich gehörte nicht auf dieses gesellschaftliche Parkett der Reichen und Schönen. Ich war nur eine kleine Journalistin in der Presseabteilung eines Pharmakonzerns. Ich würde hier nie dazugehören und war mir nicht mal sicher, ob ich das überhaupt wollen würde.

Völlig in meine Gedanken versunken stolperte ich auf einmal über einen Stein am Boden, den ich in der Dunkelheit nicht gesehen hatte. Ich machte einen Schritt nach vorne, aber in den ungewohnt hohen Schuhen zu meinem schicken Kleid fand ich so schnell keinen Halt auf dem Kies des Gartenwegs. In dem Moment, als mir noch durch den Kopf schoss, na super, jetzt leg ich mich auch noch lang, wurde mein Fall von zwei starken Armen aufgehalten. Ich wurde abrupt mit dem Rücken an eine breite Brust gedrückt, sodass mir einen Moment die Luft wegblieb und ich mich nicht rühren konnte.

„Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Haben Sie sich wehgetan?“ fragte eine tiefe, raue Stimme und ich wurde sanft umgedreht. Ich musste den Kopf in den Nacken legen um meinen Retter anzusehen. Geschätzte 1,90 Meter groß, schwarze Haare, die ein bisschen zu lang waren und Augen, deren Farbe ich in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, obwohl sie mich intensiv musterten. Er trug ein schwarzes, weiches Hemd zu einer ebenfalls schwarzen Anzughose. Beides sah aus, als wäre es maßgeschneidert und sehr teuer. Das Jackett, Pflicht auf so einer Veranstaltung, hatte er anscheinend auf Grund der Wärme irgendwo abgelegt. Er war umwerfend. Ich spürte, wie mir beim Blick in seine Augen die Röte ins Gesicht schoss und ich instinktiv den Atem anhielt, nachdem ich den Duft seines Aftershaves tief in mich eingesogen hatte. Ich merkte erst, dass er mir eine Frage gestellt hatte, als er wieder fragte: „Sind Sie okay? Oder haben Sie sich verletzt?“

Ich konnte nur nicken. Noch immer hielt er mich fest an seinen unglaublichen Körper gepresst. Ich konnte seine harten Bauch- und Brustmuskeln durch das Hemd an meinem Oberkörper fühlen. Mir wurde ganz heiß und mein Hals war trocken.

„Kommen Sie, da drüben habe ich eine Bank gesehen. Setzen wir uns erst einmal und dann erzählen Sie mir, was Sie hier so ganz allein in der Dunkelheit machen.“

Ich kam nicht auf die Idee, ihn zu fragen, was ER denn hier allein machte. Er legte seinen Arm um meine Taille und führte mich zu der Bank. Langsam erwachte ich aus meiner Starre und konnte endlich wieder sprechen.

„Danke! Sie haben mich gerade vor einer riesigen Peinlichkeit bewahrt. Ohne Sie wäre ich wahrscheinlich hingefallen und hätte mir hier die Blöße gegeben.“

Oje, hatte ich das wirklich gerade gesagt? Das war ja noch schlimmer als mein atemloses Schweigen vorhin.

„Ich glaube, dass Sie unter dem Kleid durchaus sehenswert sind …“

Was war denn das jetzt? Flirtete er etwa mit mir? Nein, er wollte bestimmt nur einen Scherz machen. Was sollte jemand wie er ausgerechnet an mir finden? Nicht, dass ich hässlich wäre. Ich selbst finde mich einfach nur … unauffällig. Mit meinen 1,67 Meter eher normal klein, lange, dunkelbraune, lockige, normale Haare und eine schlanke, normale Figur. Das Einzige, was an mir ungewöhnlich ist, sind meine hellen, grün-blauen Augen mit langen, schwarzen Wimpern. Richtig geschminkt und zurechtgemacht bin ich, glaube ich, durchaus ansehnlich. Aber eigentlich bin ich eher so ein sportlicher Typ in Jeans und Pulli und mit einem einfachen Pferdeschwanz.

„Meinen Sie nicht, dass es hier hinten im Garten ein wenig zu dunkel ist, um das zu beurteilen?“

Meine Antwort war ausgesprochen, bevor ich überhaupt darüber nachgedacht hatte.

„Das stimmt, hier wäre es zu dunkel, wenn Sie mir nicht schon den ganzen Abend über aufgefallen wären. Sie sind mit dem dunkelhaarigen Mann im grauen Nadelstreifenanzug hier und haben bisher nicht so ausgesehen, als würden Sie sich besonders wohlfühlen. Ihr Freund?“

Ich war ihm den ganzen Abend über aufgefallen? Okay, er flirtete tatsächlich mit mir.

„Nein, mein Bruder Chris. Seine Firma ist einer der Sponsoren heute Abend.“

„Oh, gut …!“

Während ich mich noch fragte, was er mit „gut“ meinte, merkte ich schon wie er seinen Arm hinter mich auf die Rückenlehne der Bank legte und dann weiter mit mir über den Abend und die Party plauderte. Ich war auf einmal ganz entspannt und fühlte mich gleichzeitig kribbelig.

Der Wind hatte ein paar Strähnen aus meiner schicken Hochsteckfrisur gelöst, die mir ums Gesicht wehten. Während wir uns weiter über alles Mögliche unterhielten, spielte er mit meinen umher wehenden Haaren und strich sie mir ganz sanft hinter die Ohren. Dabei streifte er leicht mit dem Daumen über meine Wange. Nur der Hauch einer Berührung, aber mich durchfuhr ein Schaudern. Ich schaute hoch und sah direkt in seine beeindruckenden Augen. Er musterte mich mit einem intensiven Blick, der mir eine Gänsehaut verursachte. Ein leichtes Lächeln umspielte seinen Mund, während seine Augen über mein Gesicht glitten und an meinem Mund hängen blieben. Ich war schon wieder außer Atem und mir wurde heiß.

Er beugte sich zu mir herüber und ich schluckte trocken, als ich in seinen Augen sah, was er vorhatte. Ich hörte einen leisen Seufzer. Als mir gerade klar wurde, dass ich es war, die geseufzt hatte, berührte sein Mund auch schon meine Lippen. Ganz sanft und vorsichtig strich er darüber, als wollte er mir Zeit geben mich an das Gefühl zu gewöhnen. Immer wieder streichelte er meinen Mund mit seinen Lippen, dann mit seiner Zunge. Mit einem weiteren Seufzen öffnete ich meinen Mund ganz leicht. Darauf hatte er anscheinend nur gewartet. Seine Zunge tauchte, vorsichtig erst, dann immer weiter in meinen Mund und verwöhnte ihn. Er strich mir mit der Zunge über die Zähne und wagte sich weiter vor, bis meine Zunge ihn fand.

Der Kuss wurde drängender, immer leidenschaftlicher. Ich hörte sein leises Stöhnen und legte meine Hände auf seine Schultern. Sein Arm war von der Rückenlehne zu meiner Taille gerutscht und streichelte mich ganz leicht, während er mich dichter an sich zog. Den anderen Arm hatte er auf meinen Oberschenkel gelegt. Ich spürte, wie sich seine Finger in mein kurzes Kleid gruben. Ich wollte mehr, so viel mehr. Mit einem letzten Kosten seiner Zunge auf meinen Lippen zog er sich langsam zurück. Sein Atem ging abgehackt, als er flüsterte.

„Was machst du mit mir …? Du schmeckst so wunderbar, ich kann nicht aufhören. Vielleicht sollten wir eine Runde gehen, um uns etwas abzukühlen.“

Er nahm mich bei der Hand und zog mich auf den Gartenweg zurück. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Wie lange war es her, dass er mich aufgefangen hatte? Zehn Minuten? Eine Stunde? Ich wusste es nicht und es war mir auch eigentlich egal. Ich wollte nur wieder seinen Mund auf meinem spüren. Seine Hände auf meinem Körper. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Bisher kannte ich jeden Mann, der mich küsste zumindest ein paar Dates lang. Aber auch das war mir egal. Ich kam mir vor wie in einem Traum, als wir in der lauen Sommernacht Hand in Hand durch die Gärten des Herrenhauses spazierten. In der Ferne konnten wir die Musik der Feier hören, aber wir waren so weit weg, dass uns keiner der anderen Gäste begegnete.

Die Wege mit den Fackeln hatten wir lange hinter uns gelassen und nur der Vollmond am wolkenlosen Himmel erhellte uns den Weg. Er legte den Arm um mich und zog mich dicht an seinen harten Körper, ich legte meinen Kopf an seine Schulter. Wir sprachen nur wenig und hin und wieder schauten wir uns einfach nur an. Vor uns tauchte ein kleiner See in der Dunkelheit auf. Das Mondlicht spiegelte sich im Wasser und leichte Wellen kamen mit leisem Plätschern an das grasbewachsene Ufer. Wir blieben stehen und sahen uns lange in die Augen. Dann beugte er sich zu mir herunter und flüsterte: „Ich kann nicht anders, ich muss dich wieder küssen.“

Mir stockte der Atem.

„Ja …!“, keuchte ich, da lagen seine Lippen auch schon auf meinen. Seine Hand grub sich in meine Haare als er meinen Kopf an sich zog, während die andere meinen Rücken streichelte. Ich ging auf die Zehenspitzen um ihm noch näher zu sein und legte meine Hände auf seine Brust. Durch sein Hemd konnte ich seine Muskeln spüren, die sich unter meinen Fingern zusammenzogen. Er küsste mich voller Leidenschaft, ließ seine Zunge mit meiner spielen, während er mit der Hand tiefer wanderte und meinen Hintern umfasste. Er stöhnte auf, als er mich dichter zog und mein Unterleib sich an seine beeindruckend harte Männlichkeit presste. Ich merkte, wie sich die Feuchtigkeit immer mehr zwischen meinen Beinen sammelte. Ich wollte mehr. Ich wollte alles.

„Wenn wir nicht gleich aufhören, gibt es kein Zurück mehr. Wenn du nicht bis zum Ende bleiben willst, solltest du jetzt schleunigst das Weite suchen“, presste er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor.

Da wurde ich mutig. In der Anonymität der Nacht fragte ich: „Und wenn ich bleiben will …?“

Ich hörte, wie er scharf Luft holte. Dann war sein Mund auch schon wieder auf meinem und seine Zunge teilte meine Lippen. Ich versank in seinem Kuss, schmeckte wie sehr er mich wollte. Da hob er mich hoch. Ich schlang meine Beine um seinen Bauch und spürte seine Erregung an meiner sensibelsten Stelle. Ich merkte, wie der Reißverschluss meines Kleides an meinem Rücken geöffnet wurde. Das Oberteil rutschte über meine nackten Brüste hinunter. Ich trug keinen BH, weil das Kleid ihn nicht verbergen würde. Eine kühle Brise strich über meine bereits harten Brustwarzen. Er stöhnte auf und küsste sich einen Weg zu meinem Ohr. Als er das Ohrläppchen in den Mund nahm keuchte ich vor Erregung auf und begann, mich auf seinem Arm zu bewegen. Ich rieb meinen Unterleib an seiner Männlichkeit bis er laut stöhnte: „Wenn du so weitermachst, ist das Ganze beendet, bevor wir richtig anfangen.“

Ich versuchte still zu halten, aber ich wollte mehr. Sanft legte er mich in das kühle Gras, fuhr mit der Hand unter mein Kleid und streichelte meine Oberschenkel. Sein Mund bahnte sich einen Weg meinen Hals hinunter bis er meine Brust erreichte. Vorsichtig küsste er meine rechte Brustwarze und nahm sie in den Mund, während seine Hand sich meinem Hintern näherte. Er legte sie auf meine Pobacke und drückte leicht zu. Dann wanderte er weiter zu meinem empfindlichen Zentrum und schob seine Finger unter meinen Slip. Ich keuchte und meine Hüften fingen an zu zucken. Seine Lippen verwöhnten meinen Busen, saugten an der harten Knospe. Mir schoss die Leidenschaft wie ein Blitz in den Unterleib, während er die andere Brust mit der Hand streichelte.

Ich wand mich unter ihm und stöhnte. Mit zitternden Fingern griff ich nach ihm und knöpfte sein Hemd auf. Er half mir, es über seine kräftigen Schultern zu streifen und zog es aus. Im Mondlicht bewunderte ich seinen gestählten Oberkörper. Er war so schön. Die harten Brustmuskeln, der flache Waschbrettbauch. Ich erkundete ihn mit den Händen, fühlte seine leichte Brustbehaarung unter meinen Fingerspitzen. Dann folgte ich dem Weg der Haare, die sich über dem Bauch zu einer schmalen Linie verjüngten und in seiner Anzughose verschwanden. Seine Hände wanderten über meinen Körper, während er mich bewundernd ansah. Mein Kleid hing verknotet um meine Taille. Er zog es mir aus und mein Slip folgte. Ich öffnete seine Hose und zog sie ihm samt der engen Boxershorts über die Hüfte. Weiter kam ich nicht, da strichen seine Hände schon über meinen Bauch und zwischen meine Beine. Er küsste mich wieder voller Verlangen und legte sich vorsichtig auf mich, sein Gewicht auf die Unterarme gestützt. Dann schob er sein Knie zwischen meine Schenkel und ich spreizte sie. Behutsam drang er in mich ein und bewegte sich langsam in mir. Ich hob ihm meine Hüften entgegen und er steigerte das Tempo. In meinem Bauch ballte sich die Lust zusammen, ich stand kurz vor der Klippe. Er küsste mich wieder, drang mit der Zunge in meinen Mund und stürzte mich so über den Rand. Während ich noch kam, stieß er noch ein paar Mal keuchend hart in mich, dann spürte ich, wie er sich in mir ergoss.

Er rollte sich neben mich und zog mich dabei in seine Arme. Während unser Atem sich langsam beruhigte, strich er sanft über meinen Rücken und hielt mich fest. Es war unglaublich, ich hatte noch nie zuvor einen One-Night-Stand gehabt und jetzt ausgerechnet hier, nachts an einem See, auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung mit einem Mann, vom dem ich nicht einmal den Namen wusste. Allmählich klärte sich mein Bewusstsein und mir dämmerte, was ich da gerade getan hatte. Jetzt, wo wir so still nebeneinander lagen, hörte ich auch die Musik und die Stimmen der Party wieder. Wir waren anscheinend einen Bogen gelaufen und der Feier näher, als wir gedacht hatten.

Oh nein, was, wenn uns jemand erwischte. Ich entwand mich seinem Arm und stand auf. Mit schläfrigem Blick sah er mich erstaunt an.

„Wo willst du hin?“

Schnell schlüpfte ich in mein Kleid, zog den Reißverschluss hoch und griff nach meinem Abendtäschchen, das im Gras lag.

„Ich muss gehen …“

Ich drehte mich um und ging in Richtung der Stimmen.

„Sehen wir uns wieder? Wie kann ich dich erreichen? Ich weiß noch nicht einmal deinen Namen.“

Ich ging schneller und sah über die Schulter, dass er aufgestanden war und sich in seine Hose kämpfte.

„Annie. Ich heiße Annie“, beantwortete ich nur noch seine letzte Frage, bevor ich auf den Weg zum Herrenhaus einbog. Ich warf noch einen Blick zurück auf ihn, wie er da am See stand, nur in seiner Hose, mit dem gemeißelten, nackten Oberkörper vom Vollmond beschienen. Der Wind trug noch einmal leise seine Stimme zu mir: „Annie …“

2

Er ist es. Vor mir steht der Mann, den ich eben im Coffeeshop umgerannt habe. Ich habe ihn nur kurz aus dem Augenwinkel gesehen, aber er ist eindeutig derselbe, wie in jener verhängnisvollen Sommernacht auf der Wohltätigkeitsveranstaltung. Der Mann, von dem ich seit vier Jahren immer wieder träume und mich frage, wer er ist. Zum ersten Mal sehe ich ihn im hellen Sonnenlicht. Ich bewundere sein schönes markantes Gesicht. Die schwarzen Haare sind noch immer eine Spur zu lang, seine schiefergrauen Augen sehen mich gerade so intensiv an, als könnte er in meinen Gedanken lesen, wie in einem Buch. Sein muskulöser Oberkörper zeichnet sich deutlich unter dem engen T-Shirt ab, seine langen Beine stecken in einer schwarzen Cargohose. Seine Haut ist leicht gebräunt, als käme er gerade aus dem Urlaub. Langsam kehrt mein Verstand in die Wirklichkeit zurück und ich merke, dass ich ihn noch immer anstarre.

„Annie? Geht es dir gut? Du bist ja kalkweiß!“

Er klingt besorgt. Seine Hand liegt noch immer auf meinem Arm. Ich sehe, wie er die andere zu meinem Gesicht hebt, als wolle er mir über die Wange streichen. Ich zucke zurück und er lässt mich sofort los.

„Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken“, sagt er.

Ich bin zu geschockt, ich kann es nicht glauben, dass er tatsächlich vor mir steht. Er sieht noch besser aus, als in meiner Erinnerung. Was macht er hier, in meiner Kleinstadt, hier am Hafen. Ich muss hier weg ... ist mein einziger Gedanke.

„Sie müssen mich mit jemandem verwechseln“, kann ich grade noch herausbringen, bevor mir die Stimme versagt. Schnell drehe ich mich um und gehe weiter. Sehr glaubhaft, nachdem ich ihn gerade gefühlte zehn Minuten lang angestarrt habe. Er muss bemerkt haben, dass ich ihn genauso erkannt habe, wie er mich. Ich reiße mich zusammen, um nicht loszurennen. Zum Glück steht mein Auto nur ein paar Meter entfernt. Ich springe hinein und fahre los. Im Rückspiegel sehe ich ihn auf dem Fußweg stehen. Sieht er enttäuscht aus? Oder bilde ich mir das nur ein?

Ich zittere am ganzen Körper nach dieser Begegnung, fühle seine Hand noch auf meinem Arm, als hätte ich mich verbrannt.

Ich weiß nicht, wie lange ich wie blind durch die Gegend fahre. In meinem Kopf wirbeln Gedanken, Fragen umher. Was macht er hier? Wir sind 160 Meilen von Boston entfernt, wo damals die Feier stattfand und ich gelebt habe. Ein paar Monate vor der Veranstaltung habe ich hier in Boothbay Harbor von meiner Patentante ein Häuschen mit einem verwilderten Garten geerbt. Ein bisschen außerhalb dieses, im Sommer von Touristen bevölkerten, Hafenstädtchens. Das Grundstück liegt direkt an einem Abhang, von dem aus man über eine Treppe an einen kleinen Strand kommt. Eigentlich ein ideales Ferienhaus, vor allem für eine Großstadtpflanze wie mich. Zumindest war ich das, bis sich mein Leben vor vier Jahren grundsätzlich änderte. Es passierte einfach zu viel in zu kurzer Zeit, ich brauchte Abstand und einen Neuanfang. Den habe ich hier in meinem Strandhäuschen gefunden. Irgendwann schlage ich den Weg nach Hause ein. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren.

In meiner Einfahrt bleibe ich kurz stehen und betrachte mein Zuhause, während die Erinnerungen und Gedanken weiter wie ein Platzregen auf mich einprasseln.

Ich sehe das kleine Holzhäuschen, das an drei Seiten von einer überdachten Veranda gesäumt wird. Links vom Haus schmiegt sich meine Garage an die Hauswand und rechts kann ich den Abhang erkennen, der zum Meer führt. Das alles hier war vier Jahre lang meine Oase, mein sicherer Zufluchtsort. Obwohl die Sonne weiterhin warm vom wolkenlosen Junihimmel strahlt, kommt es mir vor, als hätte sich meine Welt verdunkelt. Er ist hier. In meiner Stadt, in meiner Sicherheit.

Ich parke mein Auto und gehe langsam ins Haus. Eigentlich wartet mein Schreibtisch auf mich. Ich muss dringend mein angefangenes Buch fertigstellen. Damals habe ich meinen Job bei der Pharmafirma aufgegeben und bin aus meinem WG-Zimmer, in dem ich immer noch seit dem Studium gelebt habe, ausgezogen. Bei der Arbeit konnte ich den Anblick meiner ehemaligen Freundin mit meinem Ex nicht mehr ertragen und ich hatte auch schon lange vor dem Abend der Wohltätigkeitsfeier nach einer eigenen Wohnung gesucht. Mit 25 Jahren dachte ich, es wäre langsam an der Zeit mir etwas Eigenes zu suchen. Nach weiteren Katastrophen hatte ich ein paar Wochen später einfach meine Sachen gepackt und bin hierher, in das Haus meiner Patentante gezogen, um meine Wunden zu lecken und mich auf meine neue Zukunft vorzubereiten. Ich fing an, Bücher zu schreiben, Thriller um genau zu sein. Spannend und blutrünstig bis ins Detail, um mich von meinem eigenen Leben abzulenken und zu entfliehen. Ich hatte vorher gewusst, dass die Verlage sicher nicht auf jemanden wie mich warteten und trotzdem fand ich eine Verlegerin.

Meine Bücher verkaufen sich gut, das hätte ich gar nicht so erwartet und irgendwann hatte ich als Autorin mein bescheidenes Auskommen, solange ich weiter schreibe und meine Abgabetermine einhalte. So wie jetzt. Meine Verlegerin wartet dringend auf das nächste Kapitel. Aber ich kann mich nicht konzentrieren. Nicht nach diesem Morgen, dieser Begegnung mit meiner Vergangenheit und irgendwie auch immer noch Gegenwart. Nur noch eine Woche bis zum Abgabetermin. Ich habe mir diese letzte Woche extra komplett freigeschaufelt um keinerlei Ablenkung zu haben und mich ganz dem Schreiben widmen zu können. Und jetzt? Na toll, denke ich und fange an, mich statt zu schreiben, dem dringend nötigen Hausputz zu widmen. Vielleicht kann ich mich durch Fenster putzen und Bäder schrubben so weit auspowern, dass ich ihn endlich aus meinen Gedanken verbannen kann. Vielleicht schaffe ich es auch später noch ein paar Seiten an meinem Thriller weiterzuschreiben. Aber ich kann mir selbst nichts vormachen. Immer wieder sehe ich sein schönes Gesicht vor mir, spüre seine Hand auf meinem Arm und das Kribbeln, das mich bei dieser Berührung durchlief.

Ich darf ihn nicht wiedersehen, schießt es mir durch den Kopf.

Reiß dich zusammen, Annie, du wirst ihn nicht wiedersehen! Mach dir nichts vor, sage ich mir immer wieder. Es war ein Zufall, dass ich ausgerechnet IHN im Coffeeshop über den Haufen gerannt habe. Er ist bestimmt nur auf Stippvisite hier in der Stadt. Es ist schließlich Freitag und viele Leute kommen über das Wochenende aus der Stadt hierher, um auszuspannen und an den Strand zu gehen. Und nach meiner glorreichen Reaktion auf ihn und meiner Weigerung ihn zu erkennen, wird er sowieso beim nächsten Mal einen großen Bogen um mich machen. Warum sollte ein Mann wie er auch noch einmal jemanden ansprechen, der ihn angeblich nicht mehr kennt. Aber warum hat er mich angesprochen? Ich verstehe meine kleine Welt nicht mehr.

Als mir auffällt, dass ich seit fast zehn Minuten meinen Küchentisch abwische, packe ich die Putzsachen weg und setze mich an den Schreibtisch, versuche doch noch ein wenig zu arbeiten. Aber ich starre nur auf den Bildschirm und mein Kopf ist überall, bloß nicht bei meinem Buch.

Okay, Zeit zum Abendessen, stelle ich fest, als ich auf die Uhr sehe. Wieso ist es eigentlich schon Abend und wo ist dieser Tag geblieben? Ich mache mir etwas zu essen und setze mich mit meinem Teller auf die Couch - Fernseher an und Nachrichten schauen. Ich bekomme nichts mit. Nach dem vergeblichen Versuch noch einem Film zu folgen, schalte ich den Fernseher aus und gehe früh ins Bett. Wann stand ich eigentlich das letzte Mal so neben mir, wie heute?

3

Erstaunlicherweise erwache ich am nächsten Tag ausgeschlafen und gut gelaunt. Ich konnte tatsächlich schlafen. Allerdings habe ich das diffuse Gefühl, ich hätte von ihm geträumt. Aber der Traum ist nicht greifbar. Vielleicht bin ich ihm gestern gar nicht begegnet? Wahrscheinlich war das mein Traum, unser Zusammenstoß im Coffeeshop. Ich mache mir einen Kaffee und springe schnell unter die Dusche. Nicht weiter darüber nachdenken, heute schreibe ich, nehme ich mir ganz fest vor, obwohl ich genau weiß, dass das gestern kein Traum war. Er war real, genau wie seine Berührung. Ich setze mich mit meinem Kaffee an den Laptop und schaffe es, jeden Gedanken an ihn zu verbannen.

Fünf Stunden später habe ich ein gutes Stück des neuen Kapitels geschafft. Wenn ich so weiterschreibe brauche ich gar nicht mehr diese ganze Woche, um es fertigzustellen. Ich speichere die Dateien ab. Draußen lacht die Sonne wieder vom strahlendblauen Himmel bei angenehmen 25 Grad. Das muss ich ausnutzen. Shopping? Oder Strand? Gesellschaft? Oder allein? In Erinnerung dessen, was gestern in der Stadt passiert ist, entscheide ich mich für Strand. Allein. Nur für den Fall, dass die zufällige Begegnung gestern doch kein Traum war, für eine weitere wäre ich definitiv noch nicht bereit. Ich schlüpfe in meinen hellgrünen Bikini und mache mich mit einem guten Liebesroman – ja, ich schreibe Thriller und lese lieber Liebesromane – auf den Weg zu der kleinen Bucht neben meinem Haus. Zum

Glück ist es dort einsam und verlassen, weil sie versteckt und abseits der Touristenströme liegt. Nachdem ich mich im flachen Wasser etwas abgekühlt habe, lege ich mich in die Sonne und vertiefe mich in die romantische Geschichte. Schade, dass es so etwas nur im Buch gibt, denke ich noch.

Auf einmal ist er da. Mit nacktem Oberkörper liegt er neben mir auf der Seite. Seine Hand streicht mir über die Wange und dann weiter nach unten bis zu meiner Taille. „Annie …“ Er beugt sich über mich und küsst mich ganz sanft. Mein Bauch fängt an zu kribbeln, der Kuss ist so schön, ich will mehr …

Ich muss eingeschlafen sein. Durch meine geschlossenen Augenlider merke ich, dass die Sonne verschwunden ist. Es ist kühl geworden. Nur langsam komme ich zu mir, verlasse diesen wunderbaren Traum und öffne die Augen. Die Sonne geht allmählich unter, es ist anscheinend schon Abend. Noch ganz befangen vom Schlaf, stehe ich auf und gehe zurück.

Das restliche Wochenende komme ich mir vor wie ein Schlafwandler. Alles, was ich mache, geschieht automatisch, ohne nachzudenken. Ich esse, schreibe und schlafe.

Am Montagmorgen klingelt mein Wecker wieder um sieben und ich nehme meine Wochentagroutine wieder auf. Aufstehen, duschen, anziehen, kleines Frühstück. Um acht Uhr sitze ich wie jeden Tag unter der Woche in meinem Auto auf dem Weg zum Coffeeshop, um koffeingestärkt im Supermarkt einkaufen zu gehen. Als ich mein Auto um die Ecke vom Coffeeshop abstelle, zögere ich kurz. Die Erinnerung an meinen letzten Besuch hier am Freitag lässt sich nicht verdrängen. Ich versuche mir einzureden, dass er bestimmt schon wieder zurück in Boston ist, in meinem Kopf war er ja nur ein Wochenendtourist.

Trotzdem sehe ich mich genauer um, als ich auf den Coffeeshop zugehe, kann ihn aber natürlich nirgendwo entdecken. Mit meinem Caramellatte in der Hand trete ich den Rückweg an – und bleibe mitten in der Tür wie angewurzelt stehen. Da, gegenüber des Ladens, an die Mauer zum Hafen gelehnt, steht er. Von Ferne merke ich, wie ich angerempelt werde und sich jemand an mir vorbeidrängelt. Automatisch mache ich einen Schritt zur Seite, aus der Tür heraus, während ich ihn mit offenem Mund anstarre und mein Gehirn versucht, diesen Schock zu verarbeiten.

Seine Haare sind vom Wind leicht zerzaust, sein Kinn ziert ein Dreitagebart, was ihn irgendwie gefährlich aussehen lässt, aber auch unglaublich sexy. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, sodass ich befürchte, er könnte es hören. Statt der Cargohose von Freitag trägt er heute eine Jeans, die sich eng an seine muskulösen Oberschenkel schmiegt. Er sieht umwerfend aus. Und er sieht mich die ganze Zeit an, während ich hier stehe wie festgewachsen. Langsam stößt er sich von der Mauer ab und kommt auf mich zu. Meine Beine lösen sich wie von selbst aus ihrer Starre, ich werde wie magnetisch von ihm angezogen. Am Rand der Promenade bleiben wir voreinander stehen. Ich kann mal wieder nichts sagen, mein Kopf ist leergefegt und ich habe das Gefühl, ich bekomme nicht genug Luft.

„Was machst du hier?“, krächze ich.

„Ich wollte dich sehen und mich bei dir entschuldigen. Ich habe gehofft, dass dieser Laden eine Regelmäßigkeit für dich ist. Und bevor du wieder vor mir wegläufst, ich weiß, dass du mich am Freitag auch erkannt hast, Annie. Es tut mir leid, dass dich mein Anblick so erschreckt hat, aber als ich dich in dem Coffeeshop sah, musste ich dich einfach ansprechen.“

„Warum?“, frage ich atemlos.

„Gute Frage …!“, sagt er und fährt sich mit der Hand durch die Haare, als wäre er selber ratlos.

„Es ist mir noch nicht oft passiert, dass Frauen vor mir weglaufen. Und du sogar gleich zweimal“, lacht er leise und spielt damit auf unsere Nacht vor vier Jahren an.

„Nein, im Ernst. Du bist mir nach jenem Abend einfach nicht aus dem Kopf gegangen. Ich bin eigentlich nicht der Typ für One-Night-Stands, erst recht nicht mit Frauen, deren Namen ich noch nicht einmal weiß. Ich habe damals versucht, dich zu finden, aber du warst verschwunden. Keiner kannte dich oder wusste, wo du bist. Ich hatte ja auch nur deinen Vornamen – es ist doch dein richtiger Vorname?“

Auf einmal guckt er so fragend wie ein Hundewelpe, dass ich lachen muss.

„Ja, ich heiße wirklich Annie. Annie Briggs.“

„Sehr angenehm, Annie Briggs. Ich bin Colin Mitchell“, sagt er mit einem Lächeln, das mein Herz klopfen lässt. Colin heißt er also. Ich habe viel darüber nachgedacht, wie er wohl heißen mag. Colin passt zu ihm. Auf einmal ist meine innere Anspannung verschwunden. Ich genieße es hier zu stehen, in der morgendlichen Sonne, neben ihm und zu wissen, er ist meinetwegen gekommen. Colin sieht mich an, mustert mein Gesicht mit seinem durchdringenden Blick aus den stahlgrauen Augen. Vielleicht kann ein kleiner Flirt meinen Tag heute noch verschönern, denke ich als sich mein Mund automatisch zu einem Lächeln verzieht.

„Ich würde dich ja gerne auf einen Kaffee einladen, aber da war ich wohl zu spät“, bemerkt Colin mit Blick auf meinen To-go-Becher in der Hand.

„Hast du stattdessen Lust auf einen Spaziergang durch den Hafen?“

Auf einmal werde ich wieder unsicher. Ich schaue auf meinen Kaffee.

„Das ist nett, danke. Aber ich muss weiter“, ziehe ich mich zurück und will mich umdrehen. „Annie, bitte. Geh nicht. Gib mir wenigstens deine Telefonnummer. Ich will nicht nochmal vier Jahre brauchen, um dich wieder zu finden.“

Ich zögere. Es gibt einfach zu viel, was er nicht über mich weiß. Zu viel, was ich ihm irgendwann erklären müsste, wenn wir uns wiedersehen würden. Aber ich kann ihn nicht einfach hier stehen lassen. Vier Jahre lang habe ich ihn immer wieder vor Augen gehabt. Jedes Wort, jeden Blick, jede Berührung von ihm in Gedanken noch einmal erlebt. Vier Jahre lang hatte er für mich keinen Namen. Und jetzt? Ich weiß, es wird nicht besser, wenn ich jetzt einfach gehe. Ich hätte sogar das Gefühl, wieder vor ihm wegzulaufen. Ich kann nicht zurück zu meinem Leben vor unserem Wiedersehen, kann ihn nicht wieder ausblenden, wie die letzten Jahre.

Colin.

In Gedanken sage ich wieder seinen Namen. Was ist schon eine Telefonnummer? Versuche ich mich zu beruhigen. Er wird sowieso nicht anrufen. Außerdem stehe ich nicht im Telefonbuch, er kann also meine Adresse nicht herausfinden. Es sei denn ich gebe sie ihm selbst. Nur eine Nummer. Und wenn er wider Erwarten doch anruft, kann ich immer noch sehen, was weiter passiert.

„Okay“, sage ich und gebe ihm meine Telefonnummer. Er speichert sie in seinen Kontakten und grinst mich augenzwinkernd an.

„Danke! Was für ein toller Tag! Noch nicht einmal neun Uhr und ich habe schon die Nummer einer wunderschönen Frau bekommen.“

Ich rolle lachend mit den Augen. Wunderschöne Frau? Er übertreibt maßlos! Als hätte er meine Gedanken gelesen, beugt er sich zu mir runter und flüstert mir mit rauer Stimme ins Ohr: „Du bist wirklich wunderschön, Annie. Besonders, wenn du lachst.“

Bevor ich verarbeitet habe, was er gerade so ernst gesagt hat, nimmt er mich freundschaftlich in den Arm und drückt mir einen schnellen Kuss auf die Wange.

„Ich ruf dich an! Verlass dich darauf.“

Dann lässt er mich los und ich erinnere mich daran, dass ich ja gesagt habe, ich müsse gehen.

An der Ecke drehe ich mich noch einmal um. Er steht noch an der Promenade und schaut mir nach, der Wind zaust seine Haare und mir bleibt mal wieder die Luft weg, so gut sieht er aus. Er winkt mir kurz zu und ich gehe weiter. Ganz in Gedanken bei ihm fahre ich nach Hause.

Dort angekommen merke ich, dass ich vergessen habe einkaufen zu gehen. Na ja, dann müssen die Reste in meinem Kühlschrank für heute ausreichen. Ich muss ja nur mich versorgen.

Den Rest des Tages über versuche ich mir einzureden, dass ich nicht auf seinen Anruf warte. Warum sollte Colin mich auch anrufen? Wir haben uns ja heute Morgen erst gesehen. Also setze ich mich vor den Computer und schreibe weiter. Es läuft gut, irgendwie verliere ich mich voll in meiner Geschichte, obwohl mir so viel durch den Kopf geht. Bis zum Nachmittag habe ich das Kapitel abgeschlossen. Ich muss es nur noch überarbeiten, aber das hat bis morgen Zeit. Ich fahre den Computer herunter und denke wieder an heute früh zurück. In Gedanken gehe ich das Treffen noch einmal durch. Findet er mich wirklich schön? Wenn nicht, warum hat er es dann gesagt? Aus Höflichkeit? Andererseits hat er mir ja schon einmal gesagt, dass ich durchaus sehenswert sei, und ich weiß ja, wohin das damals geführt hat …

Ich verbringe den Nachmittag auf meiner Veranda mit meinem Liebesschmöker. Diesmal ohne einzuschlafen. Abends beschließe ich, doch noch kurz zum Supermarkt zu fahren und meinen leeren Kühlschrank zu füllen. Als ich wiederkomme habe ich einen Anruf in Abwesenheit von einer unterdrückten Nummer, ich habe mein Handy zu Hause vergessen. Mist, sollte Colin tatsächlich angerufen haben? Obwohl wir uns vorhin erst gesehen haben? Nein, wahrscheinlich war das nur irgendein Werbeanruf oder jemand hatte sich verwählt, beruhige ich mich selber, bevor ich wieder ins Grübeln verfalle.

4

Am nächsten Morgen mache ich mich auf den üblichen Weg zu meinem geliebten Caramellatte. Als mein Kaffee frisch auf dem Tresen des Coffeeshops steht und ich gerade danach greifen will, legt sich eine große Hand auf meine Schulter.

„Guten Morgen, Annie!“, höre ich Colins Stimme.

Ich zucke zusammen und er nimmt sofort seine Hand weg.

„Ich habe dich schon wieder erschreckt. Entschuldige! Das scheint eine schlechte Angewohnheit von mir zu werden.“

Ich atme tief durch und drehe mich langsam zu ihm um.

„Nein, ist schon okay“, sage ich, „Ich habe nur nicht damit gerechnet, dich hier zu sehen.“

„Ich habe dich gestern Abend nicht erreicht, als ich angerufen habe, deshalb dachte ich mir, ich versuche es heute Morgen wieder hier. Hast du Zeit, deinen Kaffee im Sitzen zu trinken?“ Ich überlege kurz. Ein Kaffee, was kann das schaden? Mein Kapitel ist fertig, heute ist erst Dienstag und ich habe noch bis Freitag Zeit zum Überarbeiten, bevor meine Verlegerin es bekommt.

„Ja, ich habe ein bisschen Zeit“, antworte ich nervös lächelnd.

Ich finde einen Tisch in einer ruhigen Ecke, während Colin sich auch mit Koffein versorgt und sich dann zu mir setzt. Einen Moment lang mustert er mich eindringlich über den Rand seines Bechers, als wollte er meine Gedanken lesen, während er vorsichtig an seinem heißen Kaffee nippt. Ich rutsche unruhig auf meinem Stuhl hin und her und versuche seinem Blick auszuweichen.

„Was ist los? Entspann dich! Wir trinken nur einen Kaffee zusammen“, sagt er leise und legt seine Hand auf meine. Die Berührung soll wohl beruhigend sein, bewirkt aber bei mir eher das Gegenteil. Er merkt es wohl, denn er nimmt seine Hand wieder weg. Komisch, ich habe sofort das Gefühl, als würde etwas fehlen, und ich spüre noch immer die Wärme, die er hinterlassen hat.

Ich atme tief durch und sage: „Es ist einfach nur lange her, dass ich mit einem Mann Kaffee trinken war.“

Ich war noch nie gut in ersten Dates und irgendwie kommt es mir so vor, als wäre das hier eins. Er zieht nur fragend die Augenbrauen hoch, sagt aber nichts dazu. Stattdessen fragt er mich, was ich beruflich mache. Ich erzähle ihm, dass ich Autorin bin und diese Woche einen Abgabetermin habe. Wir reden über unsere Geschmäcker bei Büchern, die Stadt und den Hafen mit seinen Touristen und andere unverfängliche Themen. Die Zeit rennt viel zu schnell. Nach unserem Kaffee gehen wir noch ein bisschen am Hafen spazieren. Irgendwie habe ich das Gefühl, als wollten wir uns beide nicht voneinander trennen. Nach einem Sandwich auf die Hand zum Mittagessen muss ich leider langsam nach Hause, um heute noch ein bisschen zu arbeiten. Colin bringt mich zu meinem Wagen, der noch immer beim Coffeeshop steht. Er nimmt mich zum Abschied kurz in den Arm und gibt mir wieder einen Kuss auf die Wange. Als er hochkommt, funkeln seine Augen und einen Moment glaube ich, er will mich küssen. Richtig. Auf den Mund. Ich halte die Luft an, aber da ist der Moment auch schon vorbei und er schiebt mich Richtung Auto.

„Danke für den tollen Vormittag, meine Süße!“, höre ich noch, da tritt er auch schon ein paar Schritte zurück.

Ich möchte nicht gehen, aber ich muss. Er fehlt mir sobald ich im Wagen sitze und ich muss mich zwingen nicht wieder zu ihm zu laufen und mich in seine starken Arme zu werfen. Komisch, so etwas habe ich noch mit keinem anderen Mann erlebt. Nur Colin hatte bisher diese Anziehungskraft auf mich. Auf der Fahrt nach Hause fällt mir ein, dass ich ihn noch gar nicht gefragt habe, was ihn hier in diese Kleinstadt verschlagen hat oder was er eigentlich beruflich macht. Ich muss ihn unbedingt danach fragen und ich habe keinen Zweifel daran, dass ich ihn wiedersehen werde, aber bis abends höre ich erst mal nichts mehr von Colin und arbeite konzentriert.

Am Mittwochmorgen steht er schon mit zwei Bechern Kaffee vor dem Coffeeshop, als ich ankomme. Lächelnd reicht er mir meinen Caramellatte, bevor er zur Begrüßung seinen Mund leicht auf meine Wange legt.

„Hast du Zeit?“, fragt er.

Ich kann nur nicken. Was hat dieser Mann nur an sich, dass ich in seiner Gegenwart ständig atemlos bin? Und wieso fühle ich mich so magisch von ihm angezogen? Schweigend gehen wir los, dieselbe Runde durch den Hafen wie gestern. Wir betrachten die Schiffe, die dort liegen und unterhalten uns so entspannt, als würden wir uns schon ewig kennen. Heute Morgen ist es nicht so warm, wie die letzten Tage und ich schaudere unter dem kühlen Wind.

„Ist dir kalt?“, fragt Colin und legt mir freundschaftlich den Arm um die Schulter.

„Komm her, ich wärme dich!“

Er zieht mich näher zu sich, als uns Leute entgegenkommen und ich genieße seine Wärme und das Gefühl in seinem Arm zu sein. Ein angenehmes Kribbeln breitet sich in mir aus. Wir spazieren wieder stundenlang durch die Stadt und reden. Zwischendurch bleiben wir stehen oder setzen uns kurz auf eine Bank. Und die ganze Zeit bleibt sein Arm auf meiner Schulter. Es ist, als wolle er mich nicht wieder loslassen. Gegen Mittag bringt Colin mich zu meinem Wagen. Er muss sich verabschieden, hat noch einen wichtigen Geschäftstermin. Gerade will ich endlich fragen, was er beruflich macht, da sagt er: „Am liebsten würde ich bei dir bleiben. Ich mag mir gar nicht vorstellen, jetzt arbeiten zu gehen. Können wir uns heute Abend wiedersehen?“

Er guckt mich bittend aus seinen faszinierenden Augen an, nimmt meine Hände in seine und streichelt mit den Daumen sanft über meine Handrücken. Die Berührung fährt mir direkt in den Bauch. So etwas habe ich schon seit … ja, seit vier Jahren nicht mehr erlebt. Seit jenem Abend mit ihm. Dem Abend, über den wir noch immer nicht gesprochen haben, obwohl er die ganze Zeit zwischen uns steht. Wir müssen endlich darüber reden was damals passiert ist. Vielleicht ist ein Treffen heute Abend keine schlechte Idee. Ich hole tief Luft.

„Okay, heute Abend.“

Ich schaue ihm in die Augen, als er sich langsam zu mir vorbeugt. Er sieht mich an, als wolle er um Erlaubnis fragen für das, was er gleich tun wird. Ich kann mich nicht rühren, obwohl ich weiß, was kommt. Ich habe schreckliche Angst davor, schaffe es aber auch nicht, einen Schritt zurückzutreten. In Zeitlupe senkt sich sein Mund auf meine Lippen. Er küsst mich. Ein kleiner, fast schon keuscher Kuss, aber mir wird heiß von Kopf bis Fuß. Mühsam kann ich ein Aufstöhnen unterdrücken, als er sich mir viel zu schnell wieder entzieht.

„Ich muss los, meine Süße“, flüstert er, seine Stirn an meine gelegt.

„Wir sehen uns später. Soll ich dich abholen? Um sieben?“

„Nein!“, beeile ich mich zu sagen, „Schick mir einfach eine SMS, wo ich hinkommen soll. Ich fahre gern selbst. Und jetzt ab mit dir, sonst kommst du noch zu spät. Wir sehen uns dann um sieben.“

Ich schiebe ihn von mir und steige schnell ins Auto. Das wäre beinahe schiefgegangen. Fast hätte ich ihm meine Adresse gegeben. Er darf nicht wissen, wo ich wohne, bevor ich nicht mit ihm gesprochen habe.

5

Ich bin so aufgeregt. Colin hat einen Tisch in einem noblen Restaurant direkt an einer Felsklippe über dem Meer reserviert. Ich stehe frisch geduscht vor meinem Kleiderschrank und frage mich, was zum Teufel ich anziehen soll. Ich bin eher so der Jeans-und-T-Shirt-Typ und gehe normalerweise nicht so schick weg. Nach langem hin und her entscheide ich mich für ein türkises Sommerkleid mit einer weißen Strickjacke dazu. Die Farbe betont meine sommerliche Bräune und passt zu meinen grün-blauen Augen. Meine Haare lasse ich offen in großen Locken bis auf den Rücken fallen. Ich trage meistens einen einfachen Pferdeschwanz oder einen unordentlichen Knoten, weil es praktischer ist, aber heute kommt es mir so, zu diesem schicken Restaurant, einfach passender vor.

Ich treffe pünktlich ein und Colin erwartet mich schon auf dem Parkplatz vor der Tür. Ich habe das Gefühl, seine Augen glühen, als er mich von oben bis unten ansieht.

Er nimmt mich in den Arm und flüstert mit rauer Stimme: „Du bist so wunderschön! Am liebsten würde ich hier sofort mit dir verschwinden!“

Ich halte die Luft an und merke wie sich die mittlerweile vertraute Wärme bei seinen Berührungen, gemischt mit einem Gefühl der Angst in mir breit macht. Da hat er mich schon wieder losgelassen und führt mich zum Eingang. Beim Hineingehen legt er mir eine Hand auf den unteren Rücken. Meine Haut fängt an zu kribbeln und ich fühle mich sicher und beschützt.

Nachdem man uns an unseren Tisch in einer Nische mit wunderbarem Blick auf das Meer gebracht hat, kommt der Kellner mit den Speisekarten. Wir bestellen unser Essen und dazu einen Rotwein, den Colin ausgesucht hat. Nachdem der Kellner gegangen ist, um unsere Bestellungen weiterzugeben, unterhalten wir uns entspannt. Es ist so leicht mit Colin zu reden. Er hat an allem Interesse, ist sehr intelligent und hat einen ganz wunderbaren Sinn für Humor. Er fragt mich nach meiner Arbeit als Autorin und meiner Familie. Familie … Jetzt ist wohl der Moment der Wahrheit gekommen, denke ich. Ich merke, wie ich mich innerlich anspanne und tief Luft hole, um ihm etwas zu sagen, was ich schon längst hätte machen sollen.

„Bist du glücklich?“

Ich bin so überrascht von seiner Frage, dass ich ihn erst nur schweigend anstarre. Langsam sickern seine Worte zu mir durch und verdrängen, was ich ihm gerade erklären wollte.

Ich denke darüber nach. Bin ich glücklich? Mit meinem Leben? Ich glaube, ich bin mittlerweile zumindest zufrieden. Ich verdiene durch meine Bücher jetzt keine Millionen, aber es reicht zum Leben. Ich habe nicht viele Freunde hier im Ort, eigentlich nur meine beste Freundin Jules, die allerdings gerade für ein halbes Jahr beruflich in Japan ist. Trotzdem kenne ich genug Leute hier, um immer menschlichen Kontakt zu haben, wenn mir danach ist. Meine Eltern und mein Bruder wohnen 160 Meilen entfernt in Boston, trotzdem versuchen sie mir zu helfen, so gut es eben auf diese Distanz geht, wie auch diese Woche, damit ich mein Buch fertigschreiben kann. Ihnen fiel es, nach allem was vor vier Jahren passiert ist, sehr schwer mich hierher ziehen zu lassen. Sie konnten meine Entscheidung nicht verstehen, aber eigentlich habe ich selbst es nie bereut. Ja, ich glaube, ich bin so glücklich, wie ich es sein kann.

„Wo bist du, Annie? War die Frage so schwer? Oder zu persönlich?“, seine Stimme dringt leise in mein Bewusstsein.

„Was? Nein …, ich meine, doch …“, stottere ich, noch halb in meinen Gedanken versunken. „Doch, ich glaube, ich bin glücklich. Warum fragst du?“

„Du wirkst manchmal so weit weg, nachdenklich, wie in einer anderen Welt.“

Zum Glück rettet mich in diesem Moment der Kellner, der unsere leeren Teller mitnimmt. Schnell wechsele ich das Thema. Mir ist der Mut vergangen, ihm mein Geheimnis anzuvertrauen.

„Was machst du eigentlich hier? Bist du beruflich in der Stadt?“, frage ich ihn endlich, um von mir abzulenken.

„Ja, sozusagen. Ich habe gerade den Hauptsitz meiner Firma hierher verlegt. Ich vermittele Personenschützer an Reiche und Berühmte. Außerdem erstelle ich Sicherheitssysteme für Privatleute und Firmen. Überwachungskameras, Alarmanlagen und so etwas. Ich hatte hier in der Gegend mehrere Aufträge und habe mich ganz einfach in dieses Städtchen verliebt. Ich wollte schon länger aus Boston weg und na ja, hier bin ich nun.“

Ach herrje, mir schießen mehrere Gedanken auf einmal durch den Kopf. Er hat eine Sicherheitsfirma? Wohnt und arbeitet er jetzt hier? Ist er kein Tourist? Heißt das, ich werde ihm immer wieder über den Weg laufen? Ich bin total verwirrt. Damit habe ich nicht gerechnet.

„Und wo wohnst du jetzt?“, frage ich ihn.

„In einem Penthouse, direkt am Hafen, nur ein paar Minuten vom Coffeeshop entfernt. Wenn du magst, zeige ich es dir morgen. Man hat einen tollen Blick über die ganze Bucht von da oben.“

Ah ja, das erklärt, warum er immer zu Fuß am Hafen ist. Hat er Penthouse gesagt? Das klingt danach, als hätte er Geld. Zu viel Geld, um an jemandem wie mir interessiert zu sein. Was mache ich dann hier? Was will er von mir?

Kurze Zeit später hat Colin bezahlt und wir stehen auf. Er nimmt meine Hand und wir gehen raus auf den Parkplatz.

„Wollen wir noch einen Spaziergang auf den Klippen machen? Da oben führt ein Pfad lang, von dem man eine herrliche Aussicht auf die Stadt hat“, fragt Colin.

Ich will mich noch nicht von ihm trennen, nicht zurück nach Hause. Auf einmal kommt mir die Vorstellung an mein Häuschen einsam vor. Ich möchte nicht einsam sein, nicht heute Abend. Ich habe nur noch zwei Tage Zeit zu machen, wonach mir gerade ist und das will ich ausnutzen. Ich möchte die Zeit mit Colin einfach nur genießen. Die letzten Tage hatte ich das Gefühl, dass die Spannung zwischen uns knistert. Ich möchte einfach wissen, ob es tatsächlich so ist. Kann jemand wie er, an mir Interesse haben? Ich möchte wissen, was passiert, wie es weitergeht mit uns.

Langsam gehen wir den Klippenpfad entlang, Colins Arm liegt um meine Schultern und ich schmiege mich eng an ihn. In der Ferne sehe ich Schiffe auf dem Meer schaukeln, ein Leuchtturm schickt sein zuckendes Licht über die Bucht und als wir um eine Biegung kommen, sehe ich meine kleine Heimatstadt. Es ist atemberaubend, das alles zu sehen. In der Dunkelheit leuchten die Lichter des Hafens und der Stadt. Es wirkt, als würde sie sich gegen die felsigen Klippen schmiegen.

„Komm, ein Stück weiter ist eine Aussichtsplattform“, sagt Colin.

Schweigend gehen wir weiter, während er mich dichter an sich zieht. Oben angekommen stelle ich mich an die kleine Mauer, die die Besucher der Plattform vor dem Sturz von den Klippen bewahrt. Ich lege meine Hände darauf. Die Steine sind noch warm von der Sonne heute. Ich spüre, wie Colin hinter mich tritt, kann seinen frischen Geruch riechen. Dasselbe Aftershave wie vor vier Jahren. Er legt seine Hände um mich herum, zu meinen auf die Mauer. Ich fühle seinen warmen Atem an meiner Wange. Ansonsten berührt er mich nicht. Noch nicht. Ich ahne, was gleich kommt und fange an zu zittern. Vorfreude? Oder Angst? Ich weiß es selbst nicht, aber ich will es herausfinden.

„Frierst du?“, fragt Colin und tritt von hinten näher. Ich spüre seinen kräftigen Oberkörper an meinem Rücken und lasse mich langsam gegen ihn sinken. Er legt einen Arm um meinen Bauch und zieht mich dicht an sich. Er küsst mich vorsichtig auf den Hals und vergräbt sein Gesicht in meinen Haaren. Einen Moment verharren wir so, dann dreht er mich in seinen Armen um, ohne mich loszulassen.

Seine schiefergrauen Augen wirken fast schwarz und er schaut mir direkt in die Augen, als wollte er wieder in ihnen lesen. Dann senkt er seinen Mund langsam auf meinen. Er streichelt meine Lippen mit seinen. Ganz sanft berührt er mich mit seiner Zunge, bittet um Einlass. Ich zögere kurz, dann lasse ich ihn gewähren. Als seine Zunge auf meine trifft, überläuft mich ein Schauder. Er drückt mich an sich und der Kuss wird leidenschaftlicher, unsere Zungen spielen miteinander, mir wird heiß. Seine Hand wandert vorsichtig über meinen Rücken bis zu meinem Hintern und streichelt ihn, die andere vergräbt er in meinen Haaren, hält meinen Kopf fest bei sich. Ich will mehr, lasse meine Hände über seine Brust und weiter über seinen Rücken streichen. Mit einem leisen Stöhnen löst er seine Lippen von meinen und küsst sich einen Weg, meinen Hals hinunter zu meinem Dekolleté. Er kostet meinen Brustansatz, während seine Hände vorsichtig über meinen Busen streichen. Ich versteife mich kurz, muss mich daran gewöhnen, dass er mich dort berührt. Sofort richtet er sich auf und auf einmal sind seine Lippen wieder auf meinen.

„Scht“, flüstert er an meinem Mund. „Keine Angst, ich werde dir nicht wehtun.“

Hat er meine Reaktion bemerkt? Bevor ich länger über seine Worte nachdenken kann, küsst er mich noch einmal voller Leidenschaft, löst sich dann von mir und schiebt mich ein Stück von sich, um mich anzusehen. Sein ernster Blick ruht auf mir, als er mit heiserer Stimme sagt: „Lass uns zurückgehen. Sonst enden wir heute genau wie damals … Dieses Mal möchte ich dich in einem Bett haben. Aber nicht heute Abend, nicht so schnell, wir haben Zeit.“

Seine Worte bringen mich ganz in die Wirklichkeit zurück. Was mache ich hier? Ausgerechnet mit Colin. Ich merke einen Knoten der Angst in meinem Bauch. Ich bin mir sicher, Colin hat meine Reaktion bemerkt. Was denkt er jetzt von mir? Damals war ich ein One-Night-Stand und jetzt mach ich hier auf prüde? Auf dem Rückweg denke ich nur darüber nach, während Colin mich an der Hand zu meinem Auto führt. Dort gibt er mir noch einen kurzen Kuss und wünscht mir eine gute Nacht.

6

Am nächsten Morgen mache ich mich freudig auf den Weg zum Coffeeshop. Nachdem ich die halbe Nacht darüber nachgedacht habe, was hier eigentlich gerade in meinem Leben passiert, habe ich beschlossen, einfach mal in den Tag hineinzuleben und zu genießen, was da jetzt kommt. Ich habe ja nur noch heute und morgen die Zeit dazu. Gestern Nachmittag habe ich mein Buchkapitel fertig korrigiert und nachher treffe ich meine Verlegerin um es durchzusprechen. Danach kann ich mich in aller Ruhe auf den Schluss meines Buches konzentrieren. Aber jetzt sehe ich erst einmal Colin zu unserem morgendlichen Kaffeeritual. Er erwartet mich schon mit zwei Bechern in der Hand und einem warmen Lächeln auf den Lippen.

„Hallo mein Sonnenschein. Hast du gut geschlafen?“, fragt er, als ich ihm einen Becher abnehme und legt vorsichtig die Arme um mich.

Ich schaue zu ihm hoch, in sein schönes, markantes Gesicht und seine strahlenden Augen. Sanft küsst er mich. Er schmeckt nach Kaffee und dem Rest seiner Zahnpasta. Ich möchte in seinen Armen und seinem Kuss versinken, ich könnte ewig hier stehenbleiben, auf der Promenade am Hafen, während die Sommersonne warm auf uns herab scheint.

Während wir uns immer noch küssen, höre ich das Tuten der auslaufenden Schiffe und das Geschrei der Möwen über uns. Und ein leises Klingeln. Colin brummt unwirsch an meinem Mund.

„Tut mir leid, das ist mein Handy. Ich muss da leider rangehen. Könnte wichtig sein.“

Er zieht sich zurück und lässt mich los. Während er ein paar Schritte weggeht, zieht er das Telefon hervor und nimmt den Anruf entgegen. Er sieht nicht begeistert aus und je länger das Gespräch dauert, desto kälter wird sein Blick. Er scheint demjenigen am anderen Ende deutlich seine Meinung zu sagen. Oh, oh, das sieht nicht gut aus. Ich habe ihn bisher noch nie wütend erlebt, aber ich bin mir sicher, das möchte ich auch nicht. Nach ein paar Minuten legt er auf und kommt mit grimmigem Blick auf mich zu.

„Es tut mir so leid. Einer meiner Mitarbeiter hat Mist gebaut und ein komplettes Alarmanlagensystem bei einer großen Firma lahmgelegt. Der Kunde ist stinksauer und will nur noch mit dem Chef, also mit mir, arbeiten. Ich muss da leider hin und das wieder ausbügeln. Ich weiß, ich wollte dir heute meine Wohnung zeigen, aber das holen wir nach. Versprochen. Ich melde mich bei dir, vielleicht können wir uns ja heut Abend noch sehen. Hast du Zeit?“

Ich überlege kurz, mein vorletzter freier Abend, ja, ich habe Zeit. Und die möchte ich mit ihm verbringen. Mit der Verlegerin bin ich bis heute Abend durch.

„Ja, klar. Melde dich einfach, wenn du fertig bist.“

„Okay, danke. Entschuldige nochmal. Ich habe mir den Tag irgendwie anders vorgestellt.“

Ja, ich auch … Aber er kann ja nichts dafür. Das ist wohl der Preis, den man zahlen muss, wenn man so erfolgreich ist. Er küsst mich noch einmal zum Abschied, leidenschaftlicher und länger, als es sich morgens mitten auf der Promenade gehört. Seine Zunge spielt mit meiner, bis mir die Knie weich werden und ich mich an ihn lehnen muss. Dann löst er sich widerwillig von mir.

„Damit du mich nicht vergisst …“, flüstert er noch atemlos und merklich aufgewühlt, bevor er davongeht.

Und was mache ich jetzt? Irgendwie kommt mir der Tag auf einmal nicht mehr so schön vor. Ich fühle mich leer, als hätte Colin einen Teil von mir mitgenommen. Er fehlt mir jetzt schon. Komisch, vor einer Woche noch kannte ich ihn nicht – na ja, mal abgesehen von jener Nacht – und jetzt weiß ich ohne ihn nichts mit mir anzufangen.

Ich bummele noch ein bisschen ziellos herum und mache mich dann auch auf den Weg nach Hause. Dort setze ich mich an den Computer und checke das erste Mal seit dem Wochenende meine E-Mails. Jules, meine beste Freundin, hat aus Japan geschrieben. Wir kennen uns schon seit unserem Studium in Boston und waren vom ersten Moment an die besten Freunde. Mittlerweile ist sie für mich, und auch für meinen Bruder Chris, fast wie eine Schwester. Und jetzt hat sie fast schon eine Vermisstenanzeige aufgegeben, weil ich mich so lange nicht gemeldet habe. Normalerweise schreiben wir uns mehrmals die Woche und wissen immer, was die Andere gerade macht. Trotzdem vermisse ich sie sehr und freue mich darauf, wenn sie im Herbst endlich wieder hier ist. Es ist einfach nicht dasselbe, nur per E-Mail in Kontakt zu stehen, mit seiner besten Freundin muss man reden können und sich sehen.

Jules weiß noch nichts von Colin und unserem Wiedersehen. Ich schreibe ihr eine lange Mail und versuche, die letzten Tage irgendwie in Worte zu fassen. Sie ist eine der Wenigen, der ich von der Nacht vor vier Jahren und somit von Colin, wenn auch ohne Namen, erzählt habe. Jules weiß auch alles, was danach passiert ist, deshalb hoffe ich, dass sie meine Situation jetzt versteht und mir einen Rat geben kann, was ich machen soll. Nachdem ich die E-Mail endlich abgeschickt habe, mache ich mich fertig und gehe zum Treffen mit meiner Verlegerin.

Sie ist begeistert. Ich freue mich jedes Mal wieder, wenn sie meine Ideen und Umsetzungen gut findet. Ich weiß zwar durch den Verkauf meiner Bücher, dass ich anscheinend wirklich schreiben kann, aber irgendwie bleibt immer eine kleine Unsicherheit, wenn ich etwas Neues anfange. Gutgelaunt fahre ich nach Hause, mit einem Kopf voller Ideen, wie mein Buch weitergehen soll. Kaum angekommen piept mein Handy. Eine Nachricht von Colin. Er schafft es heute leider nicht mehr, aber bis morgen Mittag ist er durch, schreibt er. Ob ich ihn um zwölf Uhr am Coffeeshop treffen will, er hätte eine Überraschung für mich. Klar will ich! Schade, dass er heute Abend keine Zeit mehr hat, aber auf der anderen Seite kann ich so gleich alle meine neuen Ideen zu Papier beziehungsweise Notebook bringen, ohne weitere Ablenkung. Ich verliere mich so in meiner Geschichte, dass ich erst spät in der Nacht meinen Computer herunterfahre und todmüde, mit brennenden Augen ins Bett torkele.

Am nächsten Morgen mache ich mich gutgelaunt auf den Weg zu meiner Koffeindosis. Als mir klar wird, dass dies der erste Kaffee dieser Woche wird, den ich allein trinke, dämpft das meine Stimmung ein bisschen. Na ja, heute Mittag sehe ich ihn wieder.

Ich verbringe den Vormittag mit Einkaufen und Hausarbeit. Ab morgen ändert sich mein Leben, wie ich es diese Woche hatte, wieder schlagartig. Ich freue mich darauf, habe aber auch ein schlechtes Gewissen, weil ich Colin noch nichts von dieser weiteren Person in meinem Leben erzählt habe, die ab morgen wieder eine Menge Wirbel hier veranstalten wird. Später, denke ich mir und nehme mir ganz fest vor, es ihm heute endlich zu sagen.

Um Punkt zwölf stehe ich vor dem Coffeeshop. Colin ist schon da und gibt mir zur Begrüßung einen seiner heißen Küsse, bei denen die Schmetterlinge in meinem Bauch Cha Cha Cha tanzen.

„Hallo mein Sonnenschein. Lust auf eine kleine Ausfahrt?“

Er führt mich zu einem alten Mustang Cabriolet. Ein wunderschöner, dunkelroter Oldtimer mit cremefarbenen Ledersitzen und offenem Verdeck. Mir bleibt vor Staunen der Mund offen stehen.

„Atmen Süße, es ist nur ein Auto.“

Nur ein Auto? Ja, in einer Welt wie der Seinen, sicher. In meiner Welt ist so etwas ein unbezahlbarer Traum! Und ich darf darin mitfahren. Voller Ehrfurcht steige ich in das Schmuckstück, ich liebe alte Wagen.

Wir fahren über die Serpentinen an den Klippen entlang, hoch zu dem Leuchtturm, den wir neulich – ist es wirklich erst zwei Tage her? – aus der Ferne blitzen gesehen haben. Oben angekommen parkt Colin den Mustang im Schatten und wir steigen aus. Er nimmt einen großen Korb vom Rücksitz, der mir bisher gar nicht aufgefallen ist und dann gehen wir ein paar Schritte durch den Wald, der hinter dem Leuchtturm ist. Nach ein paar Minuten kommen wir an eine Lichtung. Von hier aus hat man einen wahnsinnigen Blick über das Meer und die Bucht. Kleine Schiffe und beeindruckende Yachten schaukeln träge in der Mittagssonne auf dem Meer. Fischerboote ziehen in der Ferne ihre Netze durch die ruhige See. Ich genieße den atemberaubenden Ausblick bis Colin hinter mich tritt und seine Arme um meinen Bauch schlingt.