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Liva kann ihr Glück kaum fassen: Sie hat einen heiß begehrten Werkstudentenjob bei der renommierten Plattenfirma King Records in L.A. ergattert! Ihr größter Traum? Endlich als Sängerin mit ihren eigenen Songs durchstarten - und hinter den Kulissen als Musikmanagerin arbeiten.
Doch gleich am ersten Tag trifft sie auf Cayden, den Sohn des Plattenchefs. Er ist arrogant, unnahbar - und leider viel zu attraktiv. Ausgerechnet mit ihm muss sich Liva ein Büro teilen. Und obwohl er ihr das Leben schwer macht, ist Liva fest entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen.
Als Cayden sie singen hört, ändert sich alles. Liva berührt ihn mit ihrer Musik, die beiden entdecken immer mehr Gemeinsamkeiten und kommen sich näher. Aber dann kommt ein Geheimnis ans Licht, das alles zu zerstören droht. Und plötzlich steht nicht nur Livas Karriere auf dem Spiel, sondern auch ihr Herz ...
Eine gefühlvolle YA-Romance über Musik, Vertrauen und den Mut, für die eigenen Träume zu kämpfen. Mit einem unwiderstehlichen Setting mitten in L.A.
ONE. Wir lieben Young Adult. Auch im eBook!
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Seitenzahl: 392
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Über dieses Buch
Titel
Widmung
Playlist
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Epilog
Show Me Love
Danksagung
Über die Autorin
Impressum
Liva kann ihr Glück kaum fassen: Sie hat einen heiß begehrten Werkstudentenjob bei der renommierten Plattenfirma King Records in L.A. ergattert! Ihr größter Traum? Endlich als Sängerin mit ihren eigenen Songs durchstarten – und hinter den Kulissen als Musikmanagerin arbeiten.
Doch gleich am ersten Tag trifft sie auf Cayden, den Sohn des Plattenchefs. Er ist arrogant, unnahbar – und leider viel zu attraktiv. Ausgerechnet mit ihm muss sich Liva ein Büro teilen. Und obwohl er ihr das Leben schwer macht, ist Liva fest entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen.
Als Cayden sie singen hört, ändert sich alles. Liva berührt ihn mit ihrer Musik, die beiden entdecken immer mehr Gemeinsamkeiten und kommen sich näher. Aber dann kommt ein Geheimnis ans Licht, das alles zu zerstören droht. Und plötzlich steht nicht nur Livas Karriere auf dem Spiel, sondern auch ihr Herz ...
Nicole Alfa
Love on the last Note
Für alle, die an ihre Träume glauben – oder wieder daran glauben wollen. Es lohnt sich, nicht aufzugeben.
Don’t Blame Me – Taylor Swift
Delicate – Taylor Swift
you were there for me – Henry Moodie
So It Goes – Taylor Swift
Look What You Made Me Do – Taylor Swift
Bejeweled – Taylor Swift
That’s So True – Gracie Abrams
Music Sounds Better – Big Time Rush feat. Mann
Paralyzed – Big Time Ruh
Home – Malik Harris
Helium – Sia vs. David Guetta & Afrojack
Can’t Do It Without You – Austin Moon
Die Musik dröhnt in meinen Ohren. Ich sitze auf einer Bank und wippe mit dem Fuß im Takt des Songs, zu dem ich leise mitsumme und den Kopf bewege. Die strahlende Sonne steht hoch am Himmel und die typische Sommerhitze von Los Angeles treibt mir Schweißperlen auf die Stirn. Nicht weit von hier befindet sich ein stark befahrener Freeway, von dem hin und wieder das hektische Hupen eines ungeduldigen Autofahrers durch meine Kopfhörer dringt. Mehr oder weniger gehetzte Passanten laufen an mir vorbei.
Doch meine Aufmerksamkeit gilt hauptsächlich dem Gebäude vor mir. Es ist ein fünf Stockwerke hoher runder Turm, der größtenteils aus einer Fensterfront besteht. Meinen Internetrecherchen nach sollen die Glaselemente passenderweise Schallplatten darstellen, die auf einem Plattenspieler liegen. Typisch für diese Stadt ist die Straße mit Palmen gesäumt. Auch neben dem Eingang, der von vier großen Säulen getragen wird, sprießen aus einer künstlich angelegten Grünfläche mehrere dieser großen Gewächse in die Höhe. Über dem Eingang sind eine Krone und ein riesiger vergoldeter Schriftzug mit geschwungenen Lettern angebracht:
King Records
Ein Blick auf mein Handy zeigt mir, dass ich noch zehn Minuten habe. Zum gefühlt tausendsten Mal richte ich meine Bluse und mache den verdammten Knopf zu, der andauernd aus dem Loch springt. Ich habe mich ganz klassisch für eine blaue Jeans und meine ärmellose weiße Lieblingsbluse entschieden, die ich mir vor zwei Jahren bei einer Sale-Aktion gekauft habe. Da ich seither nicht viel gewachsen bin, passt sie immer noch. Leider habe ich zu spät bemerkt, dass der Knopf andauernd herausspringt. Ich hoffe, dass er für die nächste Stunde dort bleibt, wo er hingehört.
Schließlich erhebe ich mich von der Bank und nehme meine Sonnenbrille ab. Dann schalte ich die Musik aus und stecke die Sonnenbrille sowie meine knallpinken kabellosen In-Ear-Kopfhörer in meine Umhängetasche. Ich höre immer Musik, wenn ich nervös bin. Sie beruhigt mich. Eigentlich. Dennoch hämmert mein Herz vor lauter Aufregung unglaublich schnell in meiner Brust.
Du schaffst das, Liva. Du wirst sie von dir überzeugen. Dieses Mal klappt es. Da bin ich mir ganz sicher.
Das hat mir Granny vorhin gesagt, als ich mich auf den Weg gemacht habe. Ihr Vertrauen in mich bestärkt mich.
Mit neuem Mut folge ich einer Frau und einem Mann in Anzug, die mit Kaffeebechern in den Händen auf die Drehtür am Eingang zuschlendern.
Ich werfe einen letzten Blick auf mein Handy, um noch mal zu kontrollieren, ob ich die Bestätigungsmail parat habe, und will gerade hineingehen, als ich mit einer männlichen Person zusammenpralle, die im selben Augenblick energischen Schrittes herauskommt.
Etwas Warmes sickert über meine Brust und ich stolpere erschrocken zurück. Mit einem unguten Gefühl im Bauch sehe ich an mir herunter. »Verdammt!« Ein dunkler Kaffeefleck hebt sich in Schlüsselbeinhöhe von meiner weißen Bluse ab. Panisch versuche ich, den Fleck mit den Fingern wegzureiben.
»Kannst du nicht aufpassen?«, rufe ich entsetzt, während mein Gegenüber mich mit denselben Worten und erhobener Lautstärke anblafft.
»An deiner Stelle würde ich das lieber lassen«, fügt die Person, mit der ich zusammengeknallt bin, etwas freundlicher, allerdings immer noch viel zu laut hinzu.
»Irgendwas muss ich doch machen, um den Fleck wegzukriegen!«, verteidige ich mich leicht hysterisch und hebe den Kopf.
Mir stockt der Atem. Ich blicke direkt in klare, stechend grüne Augen, die von dichten Wimpern umrahmt sind.
»Ich ...«, stottere ich überfordert. Noch nie zuvor habe ich einen derart fesselnden Blick erlebt.
Vor mir steht ein junger Mann, etwa in meinem Alter. Er trägt eine ausgewaschene, an den Knien zerrissene Jeans und ein weißes Shirt. Untypisch für das warme Wetter hat er eine schwarze Jeansjacke an, deren Ärmel und Kapuze aus dunkelgrauem Sweatshirtstoff sind. Seine dunkelbraunen Haare schimmern in der Sonne fast schwarz. Ein paar Strähnen hängen ihm in die Stirn. Auf den zweiten Blick entdecke ich in seinen Ohren kabellose In-Ear-Kopfhörer. In der einen Hand hält er ein Handy, auf dessen Display sich die herunterstrahlende Sonne spiegelt, in der anderen einen halb leeren Becher, von dem ein schwacher Kaffeegeruch ausgeht. Dafür nehme ich den Duft nach derbem Aftershave und einem Hauch von Wald wahr.
»Übrigens brauchst du mich nicht anbrüllen. Ich bin nicht schwerhörig«, füge ich hinzu, als ich mich wieder gefangen habe.
Der Typ tippt mit dem Zeigefinger an einen seiner Kopfhörer – vermutlich, um die Musik oder was auch immer er gerade gehört hat, zu pausieren.
»Entschuldige. Der Song war zu laut. Ich wollte nur sagen, dass du es damit nur schlimmer machst«, meint er mit einem Kopfnicken in Richtung meiner Bluse.
Ich erstarre mitten in der Bewegung. Durch mein hektisches Herumreiben ist der Fleck zwar ein wenig heller, aber dafür größer geworden. Tränen treten in meine Augen, als ich fassungslos den Kopf schüttle. Das darf doch nicht wahr sein! Warum musste mir das ausgerechnet jetzt passieren?
»So kann ich doch nicht zu dem Vorstellungsgespräch gehen!« Verzweifelt fahre ich mir durch die Haare.
Die Miene des Typen verändert sich von mitfühlend zu distanziert. Seine buschigen Brauen schießen nach oben und er mustert mich von Kopf bis Fuß. »Du hast hier ein Vorstellungsgespräch? Bist du dir sicher, dass du dich nicht verlaufen hast, Kleine? Die Highschool ist eine Busstation weiter.«
Es ist nicht das erste Mal, dass ich so genannt und auf meine Größe reduziert werde. Mit meinen knappen 1,50 m bin ich für mein Alter ziemlich klein. Früher hatte ich große Probleme damit, mittlerweile habe ich mich so akzeptiert, wie ich bin.
»Ich schätze mal, du wolltest mich mit Kleine beleidigen. Allerdings ist es eine Tatsache, dass ich klein bin und somit keine Beleidigung. Im Übrigen bist du auch nicht gerade riesig«, bemerke ich mit Blick auf seine Statur. Er ist gerade einmal einen Kopf größer als ich. »Außerdem sagt die Größe nichts über den Charakter einer Person aus.« Er starrt mich verblüfft an, was mich darin bestärkt, weiterzureden. So schnell lasse ich mich von ihm nicht einschüchtern. »Ich gehe nicht mehr auf die High School. Ich gehe aufs Coll...«
»Interessiert mich nicht«, unterbricht er mich, tritt zur Seite und geht einfach an mir vorbei.
»Und was soll ich jetzt mit dem Fleck machen?«, rufe ich ihm hinterher. So kann ich unmöglich zu dem Vorstellungsgespräch aufkreuzen. Außerdem war der Zusammenstoß auch seine Schuld.
Doch der Typ beachtet mich nicht. Vermutlich hat er seine Musik wieder angemacht. Er wirft den Kaffeebecher in einen Mülleimer am Straßenrand.
»Toll!«, murmle ich verzweifelt und wende ihm den Rücken zu.
Ich habe nur noch wenige Minuten. Fieberhaft überlege ich, was ich jetzt machen soll. Was, wenn ich deswegen eine Absage bekomme? Nein, ich reagiere über, versuche ich mich selbst zu beruhigen. Es ist nur eine Werkstudentenstelle. Eine von vielen, für die ich mich beworben und immer Absagen kassiert habe. Dieses Mal muss es endlich klappen. Es ist die Chance für meinen nächsten Karriereschritt. Endlich die Chance, einen Fuß in die Musikbranche zu bekommen und erste wichtige Kontakte für meine Zukunft zu knüpfen.
Plötzlich tippt mir jemand von hinten auf die Schulter. Ich wirble herum. Vor mir steht wieder der Typ, in den ich hineingelaufen bin.
»Wow, sorry, ich wollte dich nicht erschrecken«, meint er überraschend sanft und hebt abwehrend die Hände. In einer hält er seine Jacke, die er ausgezogen hat. Jetzt trägt er nur noch seine Jeans und das weiße T-Shirt, das sich über seine breiten Schultern spannt. An seinen Oberarmen kann ich den leichten Ansatz seiner Muskeln erkennen. Er streckt den Arm aus und hält mir die Jacke hin.
»Was soll ich damit?«, frage ich, obwohl ich bereits ahne, dass er sie nicht ausgezogen hat, weil er mir seine von der Sonne gebräunten Arme zeigen möchte.
Der Typ hält mir das Kleidungsstück direkt vor die Nase. »Der Kaffeeunfall tut mir leid. Das war keine Absicht. Ich will mich revanchieren. Entweder du nimmst jetzt meine Jacke und ziehst sie über, um den Fleck zu verbergen, oder ich behalte sie. Deine Entscheidung. Ein zweites Mal werde ich sie dir nicht anbieten.«
Ich bin überrascht, dass er sich bei mir entschuldigt hat. Denn das hätte ich nach dem ersten Eindruck nicht erwartet. Allerdings gefällt mir sein schroffer Tonfall nicht.
Da mir die Zeit davonläuft und ich das Vorstellungsgespräch nicht vermasseln will, greife ich nach der Jacke. Dabei streifen sich kurz unsere Finger. Obwohl die Berührung nur wenige Sekunden dauert, verspüre ich ein leichtes Kribbeln. Mein Blick fällt auf ein Tattoo auf seinem Handgelenk. Es ist ein Notenschlüssel, der oben heller wird, sodass es so aussieht, als würde er sich auflösen. Davon ausgehend zieht sich ein Schweif nach oben bis zu seinem Ellbogen. Dazwischen entdecke ich mehrere Kolibris, die inmitten des Staubs fliegen.
»Wow. Dein Tattoo sieht unglaublich schön aus«, entfährt es mir.
Unwillkürlich strecke ich die Finger danach aus, um über die detaillierte Zeichnung zu streichen. Ein ähnliches habe ich auf meinem Schulterblatt. Aber meins ist nicht so detailreich und besonders wie seins. Erst zu spät fällt mir auf, was ich da gerade tue und ich erstarre.
Der Typ zieht seine Hand sofort zurück, als hätte er sich an mir verbrannt, und tritt einen Schritt von mir weg. Um nicht verloren dazustehen, ziehe ich seine Jacke über. Es wundert mich, dass er bei dem warmen Wetter überhaupt eine trägt.
Er räuspert sich. »Wenn dir die Ärmel zu lang sind, kannst du sie ja hochkrempeln«, fügt er hinzu, als ich im selben Moment bemerke, dass diese tatsächlich über meine Fingerspitzen reichen. Ich folge seinem Vorschlag. Dabei habe ich keine Ahnung, ob ich damit vorstellungsgesprächstauglich aussehe. Aber immerhin verdeckt sie den Kaffeefleck, was besser ist als nichts.
Ich sehe ihn an. »Danke. Ich heiße übrigens Liva.«
»Dachte ich mir schon«, murmelt er mehr zu sich selbst und mustert mich leicht gequält. Ehe ich fragen kann, woher er anscheinend weiß, wer ich bin, spricht er bereits weiter: »Ich habe dir die Jacke nur angeboten, weil es meine Schuld war, dass wir zusammengestoßen sind und ich den Kaffee auf dir verschüttet habe. Das bedeutet aber nicht, dass wir jetzt Namen austauschen und uns gegenseitig Freundschaftsbändchen knüpfen müssen.«
Jetzt bin ich diejenige, die die Brauen hebt. »Schade, ich hatte mich schon so darauf gefreut, deine Bekanntschaft zu machen. An meinem Handgelenk wäre noch genug Platz für ein Freundschaftsbändchen.« Ich halte ihm mein Handgelenk demonstrativ vor die Nase, an dem lediglich mein Glücksarmband baumelt, das mir Mom vor ihrer Abreise geschenkt hat. Durch die herunterscheinende Sonne glänzt es golden.
Sein Mund klappt leicht auf. Er kneift die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Sein finsterer Blick durchbohrt mich ein paar Sekunden lang, doch ich halte ihm stand. Dieser unverschämte Typ kennt mich überhaupt nicht. Was hat er nur für ein Problem, oder ist er heute einfach nur mit dem falschen Fuß aufgestanden?
Schließlich dreht er sich ohne weitere Worte auf dem Absatz um und marschiert zurück in Richtung Straßenrand. Ich lasse meinen Arm wieder sinken.
»Wann und wo kann ich dir deine Jacke zurückgeben?«, rufe ich ihm hinterher. Immerhin hat er sie mir nur geliehen und nicht geschenkt. Oder?
»Gib sie einfach am Empfang ab, wenn du fertig bist.«
Dann geht er, ohne sich nach mir umzudrehen.
»Oookaay. Danke.« Ich wende mich ebenfalls um. Ein Blick auf mein Handy zeigt mir, dass ich nur noch zwei Minuten habe. So viel zu meinem Plan, super pünktlich und mindestens fünf Minuten zuvor da zu sein, um einen guten Eindruck zu machen.
Als ich aus der Drehtür herauskomme, lande ich in einer kleinen, aber hellen Eingangshalle. Draußen war es so warm, dass ich normalerweise mit knappen Klamotten herumlaufen würde. Jetzt schlägt mir eine erfrischende Kühle entgegen. Was auch erklärt, weshalb der Typ beim Herausgehen eine Jacke trug.
Die Begegnung mit diesem unfreundlichen, arroganten jungen Mann verdränge ich, da es jetzt Wichtigeres gibt. Über ihn kann ich mich später auch noch ärgern. Aber dieses Vorstellungsgespräch entscheidet über meine Zukunft.
Ich hetze an einer weißen Wand vorbei zur Rezeption. Die schmalen Absätze meiner Ballerinas klackern auf dem glänzenden Fliesenboden in Natursteinoptik. Eine Empfangsdame mit kurzem Bob wendet den Blick von dem Bildschirm ihres Computers vor sich ab und lächelt mich freundlich an. »Guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?«
»Guten Morgen. Ich bin Liva Green.«
Vor lauter Aufregung umklammere ich mein Handy fest und halte es bereit, sollte sie die Bestätigungsmail verlangen, die ich extra mit einem Stern markiert und gescreenshottet habe, um sie sofort wiederzufinden. »Ich habe um zehn Uhr einen Termin bei Mr. King.«
Wir haben letzte Woche telefoniert. Dabei wirkte das Telefonat auf mich schon wie ein Vorstellungsgespräch. Mr. King hat mir von meinen Aufgaben als Werkstudentin erzählt und wollte wissen, wann ich arbeiten könnte. Zwei Tage später habe ich per Mail die Rückmeldung bekommen, ob ich diese Woche zu einem persönlichen Treffen vorbeischauen könnte.
»Geben Sie mir ein paar Sekunden, ich rufe ihn schnell an«, erwidert die Rezeptionistin und tippt eine Nummer in den Telefonhörer neben sich ein. »Guten Tag, Mr. King. An der Rezeption wartet eine junge Dame namens Liva Green auf Sie.« Sie macht eine kurze Pause und nickt. »In Ordnung, ich werde es ausrichten. Auf Wiederhören, Mr. King.« Sie legt auf und deutet auf eine Sitzecke rechts von der Rezeption. »Sie werden gleich abgeholt. Setzen Sie sich doch solange, Ms. Green.«
»Alles klar. Danke sehr«, antworte ich aufgeregt.
Ich könnte mich auf einen der beiden Sessel niederlassen, doch dafür bin ich zu unruhig. Stattdessen kontrolliere ich noch mal die Knöpfe meiner Bluse und ob die Jacke den Fleck noch verdeckt. Ich will unbedingt einen guten Eindruck hinterlassen.
Es ist mein größter Wunsch, später als Musikmanagerin und vielleicht sogar als Sängerin hier zu arbeiten. Um in der Musikwelt Fuß zu fassen, bringen einen nicht nur Können oder Reichweite voran, sondern auch Beziehungen und Kontakte. Es ist schwer, sich zwischen so vielen talentierten Künstlern zu behaupten. Deshalb will ich alles dafür tun, mir meinen Traum zu erfüllen. Dieser Werkstudentenjob wäre neben meinem Musikmanagementstudium ein weiterer Schritt in diese Richtung.
Ein lautes Ping ertönt. Ich hebe den Kopf, als sich goldene Aufzugtüren nicht weit von mir öffnen und ein schlankes Mädchen die Lobby betritt. Sie hat kupferfarbenes Haar, das ihr glatt über die Schultern reicht. Ich schätze sie auf Mitte zwanzig. Ihre Blicke wandern suchend umher. Als sie mich entdeckt, lächelt sie und kommt zielstrebig auf mich zu. Sie trägt eine dunkelgrüne Jeans und ein schwarzes Oberteil mit durchsichtigen Ärmeln. Ihre grünen Augen, die durch einen perfekt gezogenen schwarzen Lidstrich hervorgehoben werden, sprühen voller Energie. Als sie direkt vor mir steht, entdecke ich ein paar Sommersprossen auf ihrer Nase.
»Hey, du bist Liva, oder?«, wendet sie sich direkt an mich.
Ich nicke. »Genau.«
»Super.« Sie reicht mir fröhlich ihre Hand, die ich schüttle. »Herzlich willkommen bei King Records. Ich bin Zoey und arbeite hier als Trainee.«
Ich erwidere ihr Lächeln. Auf den ersten Eindruck scheint sie sehr nett zu sein. Ganz im Gegensatz zu dem Typen von vorhin.
Sie runzelt die Stirn, als ihr Blick über mein Erscheinungsbild gleitet. »Coole Jacke.«
Hitze schießt mir in die Wangen und ich fühle mich ertappt. »Danke«, bringe ich hervor und weiß nicht, was ich von ihrer Reaktion halten soll.
Zoey dreht sich schwungvoll um. »Folge mir. Ich bringe dich zu Matthew, meinem Vorgesetzten und Chef von King Records. Er hat hier das Sagen.« Sie wirft einen Blick über die Schulter und lächelt mir zu. »Aber du musst keine Angst haben. Er ist supernett.«
»Ich will mich nach dem Studium auch gerne als Trainee bewerben«, sage ich und habe Mühe, mit ihr Schritt zu halten, weil sie so schnell geht. Trainee ist eine Art Ausbildung zur Musikmanagerin nach dem größtenteils theoriebezogenen Studium, bevor man direkt ins Berufsleben startet.
»Wie cool«, bemerkt Zoey und drückt auf einen Schalter, damit sich die Aufzugtüren öffnen. Als wir eintreten, tippt sie auf die Taste für den dritten Stock.
»Was macht dir denn am meisten Spaß daran und gibt es Aufgaben, die du nicht so gerne magst?«, nutze ich gleich die Chance, aus erster Hand von den positiven und negativen Seiten einer Trainee zu hören. Die Türen schließen sich und der Aufzug fährt nach einem kurzen Ruck nach oben.
Zoey lächelt. »Mir macht es großen Spaß, unsere Musiker zu akquirieren und zu betreuen. Bewerbungen zu sichten oder einen potenziellen Star auf Social Media oder Musikveranstaltungen zu entdecken. Ich liebe die Zusammenarbeit und die Wertschätzung, die wir uns hier entgegenbringen. Und an der Entstehung der Songs dabei zu sein – egal, ob es Hits werden oder nicht. Jeder einzelne ist etwas Besonderes, weil so viel Arbeit und Herzblut darin steckt. Hier im Haus haben wir ein eigenes Tonstudio. Was sehr praktisch ist, weil wir bei den Aufnahmen dabei sein können, wenn es zeitlich passt.«
»Wow, das klingt wirklich toll. Man merkt, dass du Spaß an deiner Arbeit hast«, meine ich. Ich kann es kaum erwarten, selbst irgendwann Trainee zu sein. Gleichzeitig muss ich meine Aufregung zurückhalten. Sie haben eigene Tonstudios! Wie cool wäre es, wenn ich dort einen meiner Songs aufnehmen könnte?
»Oh ja. Ich liebe diesen Job«, stimmt sie mir mit funkelnden Augen zu. »Aber wenn du auch Trainee werden willst, ist ja eine Werkstudentenstelle der perfekte Einstieg, um mal ein bisschen Plattenlabelluft zu schnuppern«, meint Zoey zwinkernd.
Nach einem weiteren Ping öffnen sich die Aufzugtüren wieder. Wir betreten einen großen Raum, der mit einem Parkettboden ausgelegt ist. Der Geruch von Kaffee liegt in der Luft. Lautes Geplapper dringt aus verschiedenen Büros an meine Ohren. Mehrere Mitarbeiter wuseln geschäftig mit Kaffeetassen in den Händen und Laptops unter den Armen umher. Sie schenken uns im Vorbeigehen ein freundliches Lächeln.
Zoeys weiteren Erzählungen nach besteht die Etage aus einer Mischung aus Büro- und Besprechungsräumen, die man durch Glastüren hindurchsehen kann. An den Wänden sind eingerahmte Porträts von bekannten Sängern und Bands angebracht, die hier unter Vertrag sind und ihnen große Umsätze eingebracht haben. Ein paar höre ich sogar immer wieder. Ich verspüre ein sehnsüchtiges Ziehen in der Magengrube. Ob ich es wohl schaffe, dass zwischen all diesen Persönlichkeiten auch einmal mein Bild hängt?
Zoey wendet sich schließlich nach links, wo sich ein runder Gang mit Büros zu beiden Seiten nach hinten zieht. An den zum Großteil offenstehenden Türen hängen ebenfalls Plakate von Sängern, Bands oder Coverbildern. Durch die Glaswände kann ich direkt in die Arbeitsräume blicken. Dort sitzen Männer und Frauen an ihren Schreibtischen, tippen etwas auf ihren Computern oder telefonieren.
»Anne Williams von King Records hier«, ertönt die Stimme einer weiblichen Mitarbeiterin und mein Herz schlägt schneller. Ich kann es kaum glauben, dass ich wirklich hier bin! Im Herzen eines der größten Musiklabels!
Zwei weitere Mitarbeiter kommen uns entgegen. Sie sind in ein aufgeregtes Gespräch vertieft, als sie an uns vorbeilaufen. Weil sie jedoch nicht gerade leise sprechen, bekomme ich ein paar Gesprächsfetzen mit, die mich neugierig machen, über wen sie wohl sprechen: »... Stimmung so gut ... Tournee war der volle Erfolg!«
Zoey führt mich zu einem der hinteren Büros und klopft an die offene Tür. »Hey, Matthew, Liva ist hier.«
Ein gutaussehender Mann mittleren Alters blickt von seinen Unterlagen auf. Er hat schwarze, kurze Haare und dunkle freundliche Augen.
Irgendwie habe ich ihn mir im Anzug vorgestellt als Chef und erst recht bei einem Vorstellungsgespräch. Doch Matthew trägt eine lockere Jeans, einen Kapuzenpulli und eine Cap auf dem Kopf. So locker wie er aussieht und auf den ersten Eindruck wirkt, hätte ich mir gar nicht so viele Gedanken über meinen Aufzug machen müssen.
Sein Blick wandert von Zoey zu mir.
»Ah, perfekt.« Er erhebt sich und kommt auf uns zu. »Danke, dass du sie abgeholt hast.«
»Klar, gerne.« Zoey verschwindet wieder.
Dann wendet er sich an mich und hält mir die Hand hin. Er hat ein warmes Lächeln, das ihn sehr sympathisch wirken lässt. »Hallo, Liva, ich bin Matthew. Wir haben letzte Woche telefoniert.«
»Genau. Es freut mich, Sie persönlich kennenzulernen.« Bevor ich hierherkam, habe ich mir schon eine Begrüßung zurechtgelegt. Jetzt weiß ich vor lauter Aufregung nicht, was ich sagen soll. Matthew King ist einer der bekanntesten Musikproduzenten in Hollywood. Obwohl sein Label im Vergleich zu den ganz Großen wie der Universal Music Group oder Capitol Records eher klein ist, hat er sich in den letzten Jahren einen Namen in der Musikbranche gemacht. Kein anderes Label hat wie er so viele Sänger und Bands gleichzeitig an die Spitze der Charts katapultiert. Er ist mein Vorbild. Für viele Künstler wäre es ein Traum, bei ihm unter Vertrag zu sein.
»Ich bin Liva. Aber das wissen Sie ja schon.« Ich laufe knallrot an und hoffe, dass ich nicht unhöflich klinge.
Matthew lacht. Er hat ein tiefes, freundliches Lachen, das mich ein wenig beruhigt. »Ich beiße nicht. Und du kannst mich gern duzen, sonst fühle ich mich so alt«, meint er, als hätte er meine Gedanken gelesen. Wahrscheinlich kann er mir meine Nervosität ansehen. »Setz dich doch.« Matthew macht eine einladende Handbewegung in Richtung einer gemütlichen Ledercouch.
Kaum, dass ich sitze, fällt mein Blick auf die Regale an den Seiten, die mit CDs und Aktenordnern vollgestopft sind. Dazwischen hängt ein signiertes Poster eines Sängers an der Wand. Ryan Ross, ein attraktiver, allerdings auch skandalumwitterter Pop- und R&B-Star, der mit seinen Singles und Alben immer wieder die Spitze der US-Charts dominiert. Außerdem hat er mehrere Grammys und einige Auszeichnungen erhalten. Er gilt neben Justin Bieber und Harry Styles als einer der erfolgreichsten männlichen Sänger weltweit.
Früher habe ich wie unzählige Fans auch für ihn geschwärmt. Ein paar seiner Lieder finden sich immer noch in meiner Spotify-Playlist.
»Ryan Ross war mein Durchbruch als Musikmanager und Produzent«, erklärt Matthew, der meinen Blick bemerkt hat.
Ich kann mir ein »Ich weiß« gerade noch verkneifen und lächele wissend: »Er hat eine unglaublich tiefe und kräftige Stimme, die man sofort wiedererkennt. Sie beschert mir immer wieder eine Gänsehaut, wenn ich seine Songs höre. Dazu sieht er super aus, hat einen coolen Style und ist Single, was ihn bestimmt noch attraktiver macht für die Zielgruppe.«
Matthew schmunzelt warm. »Talent und Aussehen allein sind nicht alles. Man muss den Künstler zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort bekannt machen. Dabei fließen so viele Faktoren wie Vermarktung, Künstlerruf, Trends und was gerade gefragt ist, mit ein, die nicht zu unterschätzen sind.« Er streicht sich über das glatt rasierte Kinn. »Warum hast du dich auf diese Werkstudentenstelle beworben, Liva?«
»Ich will später gern in der Musikbranche arbeiten und möchte neben meinem Musikmanagementstudium Erfahrungen sammeln. Deshalb habe ich mich nach passenden Stellenausschreibungen umgesehen. Und dann bin ich in meiner Fakultät auf Ihre ... äh deine Anzeige gestoßen«, erkläre ich und verschränke meine zitternden Hände ineinander. Ich kann ihm jetzt schlecht sagen, dass ich eigentlich am liebsten Sängerin werden möchte und mir durch diesen Job Kontakte und einen Plattenvertrag erhoffe. Das würde sicher seltsam klingen. »Ich liebe das Singen und Schreiben von Songs. Mein größter Traum wäre es natürlich, irgendwann selbst einmal auf einer großen Bühne zu stehen. Gleichzeitig finde ich die andere Seite sehr spannend. Ich habe auf YouTube ein paar Sänger und Sängerinnen entdeckt. Manche mit großer, andere mit kleiner Reichweite, die mich begeistert haben, aber bei keinem Plattenlabel unter Vertrag sind. Da habe ich gemerkt, dass es mir Spaß machen würde, sie auf ihrem Weg zu unterstützen und zu managen. Ich möchte mit Begeisterung dabei sein. Und ich weiß, dass ich das sein werde, wenn ich voll und ganz hinter einem Klienten stehe. Du hast ja am Telefon bereits erwähnt, dass ich trotz der Werkstudentenstelle viel von dem Leben in der Plattenfirma mitbekommen und Erfahrungen sammeln würde. Und das würde mir sehr gefallen. Es interessiert mich, wie das Musikbusiness hinter den Kulissen funktioniert.«
Matthew kratzt sich an der Stirn. »In deinen Bewerbungsunterlagen hast du erwähnt, dass du verschiedene Social-Media-Kanäle hast, auf denen du Videos von deinem Gesang und deinen Liedern hochlädst. Und in deinem Lebenslauf steht, dass du bereits eine Single herausgebracht hast?«
Ich nicke und das Herz klopft mir bis zum Hals. Er hat sich meinen Lebenslauf gemerkt! Zumindest die wichtigen Punkte.
»Die Single war ein Projekt im Rahmen eines Seminars.« Das laut Studienplan eigentlich erst in einem der letzten Semester belegt werden sollte. Aber weil ich unbedingt daran teilnehmen wollte, habe ich mich für den Kurs eingeschrieben und es nicht bereut. »Wir konnten zusammen oder allein ein Lied schreiben und dazu ein Video drehen. Dabei waren wir in einem kleinen Tonstudio unserer Fakultät für Musik. Da habe ich auch gemerkt, wie viel Spaß mir die Aufnahmen und das Drumherum gemacht haben und dass ich gern mehr darüber erfahren würde. Man hört immer nur die Lieder und sieht die Sänger, aber nicht die Personen und die Arbeit dahinter.« Ich hole Luft, weil ich beim Reden kaum geatmet habe. »Was meine Social-Media-Kanäle angeht: darüber stehe ich in direktem Kontakt zu meinen Followern und bekomme ihre Rückmeldungen zu meinen Songs. Ich schreibe meine Texte selbst und begleite mich mit der Gitarre oder auf dem Klavier. Mit dem Schlagzeug kenne ich mich auch ein wenig aus«, füge ich noch hinzu, weil in der Stellenausschreibung stand, dass es von Vorteil wäre, wenn man selbst Instrumente spielt und kreativ ist.
»Du bringst schon passende Voraussetzungen mit. Das hebt dich von den anderen Bewerbern für diese Stelle ab.« Matthew lächelt und mein Herz schlägt vor lauter Aufregung schneller. Das ist ein gutes Zeichen. Dennoch will ich mich nicht zu früh freuen. Bei den anderen Vorstellungsgesprächen hatte ich auch ein gutes Gefühl und wurde schließlich durch Absagen enttäuscht.
»Wie bereits telefonisch besprochen bist du als Werkstudentin zuständig für die Bearbeitung von Kundenanfragen, Pressearchivierung, diverse Recherchen, Vorbereitungen von Präsentationen für Meetings sowie Updates von Tourdaten und Studioaufnahmeterminen. Du bekommst auch Aufgaben wie Demos oder Tracks abzuhören und Hörproben zu schneiden. Bei Gelegenheit kannst du vielleicht einmal mit in eines unserer hauseigenen Tonstudios kommen und uns bei den Aufnahmen unterstützen.«
»Das wäre großartig!«, rufe ich, weil ich mich nicht zurückhalten kann. Dabei sollte ich nicht so euphorisch sein, weil ich diesen Job noch nicht habe und es sicher noch zahlreiche andere Bewerber gibt.
Matthew schmunzelt. »Auch wenn das nur eine Werkstudentenstelle ist, ist es mir wichtig, dass meine Werkstudenten Erfahrungen sammeln können. Ich habe selbst studiert und weiß, dass die Theorie sehr trocken sein kann und man mehr in der Praxis lernt. Außerdem will ich, dass meine Mitarbeitenden mit ganzem Herzen dabei sind und Spaß an ihrer Arbeit haben«, erklärt er. »Jeder fängt irgendwo klein an. Zoey war hier auch Werkstudentin. Sie hat ihren Job so gut gemacht, dass wir sie als Trainee übernommen haben. Ich will ihre Stelle schnell neu besetzt haben. Du hast einen sehr interessanten Lebenslauf. Dazu hat mich dein Musikwissen beeindruckt. Ich glaube, dass du von allen Bewerbern das meiste Potenzial hast und dass du das hier wirklich willst.« Er macht eine kurze Pause und lächelt mich an. »Deshalb will ich dir gerne eine Chance geben. Von meiner Seite aus ist alles klar, Liva. Wenn du diese Stelle willst, sollst du sie bekommen.«
Ich starre ihn an, weil ich zuerst denke, mich verhört zu haben. »Ist das dein Ernst?«, hauche ich, weil ich es nicht glauben kann. Er nickt lächelnd. »Danke. Wow. Ja!«
Beinahe wäre ich ihm um den Hals gefallen. Ich hätte niemals eine so schnelle Zusage erwartet. Damit bin ich meinem Traum ein Stück nähergekommen.
»Dann hätten wir das schon einmal geklärt. Die Stelle ist zunächst auf ein Jahr befristet. Du kannst aber jederzeit kündigen. Die ersten drei Monate bist du in der Probezeit. Wenn das Jahr vorbei ist, besteht eventuell die Möglichkeit einer Verlängerung«, erinnert mich Matthew noch einmal an die formalen Punkte, die wir am Telefon schon besprochen haben. Dazu gehören auch die flexiblen Arbeitszeiten, die ich mir selbst einteilen kann, damit sich diese nicht mit meinen Kursen überschneiden. Zehn bis maximal zwanzig Stunden in der Woche. Je nachdem wie viel Arbeit ansteht und wie viel Zeit ich habe.
»Wenn du Prüfungen hast und freie Tage brauchst, ist das kein Problem. Bei sonstigen Fragen oder Unklarheiten kannst du dich immer an Zoey wenden. Sie ist deine Ansprechpartnerin.« Er macht eine Pause. »Gibt es sonst noch etwas, was du wissen möchtest?«
Ich überlege kurz, dann schüttle ich den Kopf. »Nein. Ich denke, es ist bereits alles geklärt.«
»Ich leite dir Zoeys Mailadresse weiter. Dann kannst du sie kontaktieren, falls dir im Nachhinein noch etwas einfällt. Ich muss jetzt zu einem Meeting. Aber wenn du kurz Zeit hast, kann dir Zoey gleich deine zukünftigen Kollegen vorstellen«, schlägt mir Matthew vor. »Dann kennst du schon einmal das Team, das du unterstützen wirst.«
Ich nicke überfordert. »Klar, das wäre super.«
Kurz darauf zeigt mir Zoey fast jedes einzelne Büro in diesem Stockwerk. Ich werde den Mitarbeitenden vorgestellt, die für verschiedene Aufgaben wie Marketing, Vertrieb, Herstellung, PR und Lizenzen zuständig sind. Zoey macht uns einander bekannt, es werden Hände geschüttelt, dann geht es für uns weiter. Auf den ersten Eindruck wirken alle sehr nett und offen. Die Namen kann ich mir jedoch nicht merken, aber das wird sich bestimmt noch ändern.
Dabei fühlt es sich so an, als würde ich durch einen Traum wandeln. Ich kann nicht glauben, dass es endlich geklappt hat und ich die Stelle bekommen habe! Was, wenn Matthew es sich doch noch anders überlegt? Immerhin habe ich noch keinen Vertrag unterschrieben.
»Matthew hat zwei Söhne. Einer studiert das Gleiche wie du, ist allerdings schon im sechsten Semester. Er arbeitet wie du als Werkstudent halbtags hier und ...« Zoey hält kurz inne. »... da ist er ja. Cayden, perfektes Timing. Darf ich dir unsere neue Werkstudentin Liva vorstellen?«
Ein dunkelhaariger junger Mann mit dunkelgrauer Jeans und weißem Shirt kommt auf uns zu. Das kann nur ein schlechter Scherz sein. Mir rutscht das Herz in die Hose. Es ist der unfreundliche Typ von vorhin.
Jetzt grinst er mich frech an und sagt zu allem Überfluss so laut, dass es jeder hören kann: »Dann kann ich ja jetzt meine Jacke wieder haben.«
Hitze schießt mir in die Wangen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, weil mich alle anstarren. Cayden grinst überheblich. Er scheint die Aufmerksamkeit und meine Sprachlosigkeit zu genießen.
Erst jetzt fällt mir auf, dass er ähnlich markante Gesichtszüge hat wie sein Dad und dieselbe leicht gekrümmte Nase. Nur, dass seine Augen ein dunkles, stechendes Grün haben, was ihm einen geheimnisvollen Touch verleiht. Außerdem hat er nicht dasselbe warme Lächeln wie Matthew. Ganz im Gegenteil. Sein Dad wirkt trotz seines großen Erfolgs sehr bodenständig, warmherzig und freundlich.
Cayden wiederum hat eine kalte, arrogante Ausstrahlung. Zumindest so, wie er den Mund verzieht und vor uns stehen bleibt. Die Hände hat er in den Taschen seiner Jeans vergraben. Er betrachtet mich, als wäre ich abstoßend. Dabei erinnert er mich so sehr an eine gewisse Person, dass mir übel wird. Doch die aufkeimende Erinnerung dränge ich wie schon so oft schnell in den Hintergrund. Was zählt, ist das Hier und Jetzt.
Der unfreundliche Typ schenkt mir ein falsches Lächeln. »Ich weiß, wer sie ist. Ich hatte vorhin schon das Vergnügen, Bekanntschaft mit ihr zu machen.«
»Cayden?«, ertönt Matthews Stimme hinter uns. Er steht auf dem Gang, einen Laptop unter den Arm geklemmt. »Warum bist du nicht unten? Silver müsste gleich da sein.«
»Unser Superstar verspätet sich mal wieder«, gibt Cayden mürrisch zurück. Er scheint nicht so gut auf sie zu sprechen zu sein. Dabei ist sie eine der aufstrebenden Sängerinnen, die hier unter Vertrag sind. Passend zu ihrem Namen sind ihr Markenzeichen ihre silberfarbenen Haare. Sie ist zwar noch nicht so erfolgreich wie Ryan Ross, aber dennoch sehr beliebt unter ihren weiblichen Teenager-Fans. Hat sie nicht sogar demnächst einen Gastauftritt in einer bekannten Serie, die hier in Hollywood gedreht wird?
Kopfschüttelnd sieht Cayden Matthew an und nickt zu mir. »Ist das dein Ernst? Wieder so ein Möchtegern-Sternchen als Werkstudentin? Reicht es nicht langsam? Sollten wir nicht lieber professionelle Leute einstellen, die diesen Job wirklich wollen?«
Ich spüre, wie mir alle Gesichtszüge entgleiten. Hat er mich gerade als Möchtegern-Sternchen bezeichnet und mir vor allen anderen Unprofessionalität unterstellt?
Matthew winkt Cayden zu sich. Sie wenden sich ab, doch ich kann sehen, wie er leise auf seinen Sohn einredet. Der verschränkt nur die Arme vor der Brust und nickt, wobei er eher abwesend zuhört. Stattdessen wirft er mir immer wieder genervte Blicke zu. Dann, als die Konversation beendet scheint, marschiert er unter dem wachsamen Blick seines Vaters zu mir.
Schließlich bleibt er vor mir stehen. Er mustert mich von oben bis unten, ehe er sich zu mir herunterbeugt. »Schön, dass meine Jacke den Kaffee-Fleck verdeckt. Dafür ist dein Knopf selbstverständlich aus Versehen aufgegangen«, bemerkt er.
Ich sehe an mir herunter und tatsächlich – der verdammte Knopf hat nicht gehalten, weshalb man den leichten Ansatz meiner Brüste sehen kann. Schnell schließe ich mein Oberteil. Hat er mir gerade einen sexistischen, unterschwelligen Vorwurf gemacht?
»Unterstellst du mir gerade, das wäre Absicht gewesen?«
Cayden lehnt sich noch weiter vor. Sein Gesicht kommt meinem dabei gefährlich nahe. »Mein Dad hat dich nur eingestellt, weil er die Stelle so schnell wie möglich besetzt haben und den Zeitaufwand für Vorstellungsgespräche so gering wie möglich halten wollte. Die Mühe hättest du dir sparen können. Er ist glücklich vergeben. Was auch immer du dir erhoffst: Früher oder später wird er feststellen, dass du genauso bist wie die anderen. Du wirst hier nie einen Plattenvertrag erhalten.«
Ich komme nicht einmal dazu, etwas zu erwidern, da Cayden sich plötzlich umdreht und in die Richtung zurückmarschiert, aus der er gekommen ist. Mit offenem Mund sehe ich ihm nach.
»Oh oh«, macht Zoey, die die ganze Szene nur stillschweigend beobachtet hat und seufzt. Es kommt mir so vor, als wäre sie nicht gerade sehr überrascht.
Matthew ist mit wenigen Schritten bei Cayden und hält ihn an der Schulter zurück. Wieder redet er auf ihn ein. Cayden verschränkt abweisend die Arme vor der Brust. Es ist nur allzu deutlich, wie wenig es ihn interessiert, was sein Vater ihm zu sagen hat. Sein finsterer Blick liegt auf mir.
»Ich bin gespannt, wie lange sie es hier aushält«, sagt er extra laut, damit ich ihn höre. Sein Dad sagt etwas, woraufhin Cayden leiser wird. »Ja, ich werde mich entschuldigen«, brummt er nur. »Aber jetzt muss ich erst mal unseren tollen Superstar abholen und sie bespaßen, bis du aus dem Meeting zurück bist. Ich tue genau das, was du von mir wünschst, Matthew.«
Ich runzle die Stirn. Warum nennt er seinen Vater beim Namen?
»Cayden!« Matthew stöhnt auf und wird etwas lauter, weil Cayden schon von ihm wegtritt. »Erst wirst du dich noch bei Liva entschuldigen. Schieb deine persönlichen Probleme mit Silver beiseite und sei freundlich. Hier geht es um ihr Talent und unser Geschäft. Wenn du Arbeit und Privatleben nicht voneinander trennen kannst, kannst du kein Musikmanager und Produzent werden.«
Cayden lächelt ironisch. »Danke für die Erinnerung. Ich habe ganz vergessen, dass es ja immer nur ums Geschäft geht. Das ist wichtiger als alles andere. Nicht wahr?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, dreht er sich von Matthew weg und marschiert in Richtung Aufzug. Im Gehen holt er aus seiner hinteren Jeanstasche eine Zigarette hervor.
»Cayden! Du wirst dich jetzt bei Liva entschuldigen. Außerdem weißt du, dass im Gebäude nicht geraucht wird. Dafür haben wir die Dachterrasse. Mal abgesehen davon, dass es ungesund ist«, schimpft sein Dad. Doch Cayden ignoriert ihn einfach und steckt sie sich in den Mund.
»Sorry«, ruft er mir alles andere als ernst zu.
Ehe sein Vater oder ich etwas erwidern können, ist er bereits im Aufzug verschwunden. Matthew steht da, den Laptop im Arm, und blickt seinem Sohn tief durchatmend nach. Sein Gesicht ist knallrot angelaufen. Schweißperlen stehen ihm auf der Stirn.
Wie es aussieht, ist die Beziehung zwischen Vater und Sohn nicht gerade sehr harmonisch. Es wundert mich, dass sich der Chef einer so bekannten Plattenfirma von seinem Sohn vor allen Mitarbeitenden derart behandeln lässt und nicht härter durchgreift. Allgemein wirkt Matthew auf mich nicht wie der große Musikproduzent, den ich mir vorgestellt habe.
Er fährt sich mit der freien Hand erschöpft durch die Haare. Dann wendet er sich wieder um und kommt zurück zu Zoey und mir. Ich merke ihm an, wie sehr er sich für das Verhalten seines Sohnes schämt. »Ich muss mich für meinen Sohn entschuldigen. Er ist manchmal ein wenig ...« Er unterbricht sich, um nach dem richtigen Wort zu suchen. »... schwierig«, meint er schließlich. »Aber er hat ein gutes Herz. Ein derartiges Verhalten wird nicht mehr vorkommen.«
Das bezweifle ich nach meinem ersten Eindruck von Cayden.
»Jeder hat einmal einen schlechten Tag oder ist mal nicht so gut drauf. Das ist menschlich. Wäre doch komisch, gäbe es keine Konflikte«, versuche ich ihn ein wenig zu beruhigen, weil ich das Gefühl habe, dass der Streit Matthew sehr mitnimmt.
Der lächelt mich dankbar an. »Möchtest du immer noch die Stelle haben?«
»Natürlich«, sage ich sofort. Cayden wird mich sicherlich nicht davon abhalten. »Danke noch mal dafür. Ich freue mich wirklich sehr über diese Möglichkeit.«
Matthew lächelt. »Wunderbar. Dann sehen wir uns in zwei Wochen.«
Wir verabschieden uns und Zoey begleitet mich noch bis nach unten in die Lobby.
»Herzlichen Glückwunsch. Ich hatte deine Werkstudentenstelle für zwei Jahre, ehe ich im letzten Semester meinen Abschluss gemacht habe und als Trainee übernommen wurde. Ich habe zwar auch bei anderen Labels Praktika gemacht, aber hier gefällt es mir irgendwie am besten. Unsere Kollegen sind supernett. Und Matthew ist als Vorgesetzter sehr verständnisvoll«, meint sie strahlend. »Im Gegensatz zu manch anderen in dieser Branche ist er nicht abgehoben, sondern sehr familiär eingestellt. Es ist ihm wichtig, persönlichen Bezug zu seinen Mitarbeitenden zu haben und ein gutes Arbeitsklima aufrechtzuerhalten.«
»Er macht auch einen sehr netten Eindruck.« Was man von seinem Sohn nicht behaupten kann.
»Anders als Cayden?«, errät sie meine Gedanken. Ich nicke nur. »Du trägst seine Jacke, oder?«
Meine Wangen werden heiß. Also hat sie sie tatsächlich erkannt. »Wir sind vor dem Gebäude zusammengestoßen. Dabei hat er seinen Kaffee über meine Bluse verschüttet«, stelle ich klar. »Er hat sie mir ausgeliehen, damit ich den Fleck verdecken konnte.«
Zoey zieht die Stirn kraus und nickt langsam. »Das erklärt einiges. Ich hatte mich schon gewundert.«
»Wir haben nicht viel miteinander geredet«, füge ich noch hinzu, ehe sie falsche Schlüsse daraus ziehen kann. »Aber er scheint etwas gegen mich zu haben.«
»Ach.« Sie winkt ab. »Unser kleiner Sonnenschein hat seine Gründe, weshalb er sich so verhält. Auch wenn es niemand gutheißt.« Sonnenschein. Ich muss grinsen. »Aber er sollte mal seine Vorurteile und seinen Stock aus dem Hintern kriegen«, meint Zoey. »Das ist dir gegenüber unfair. Man sollte jedem eine Chance geben, und du machst einen netten Eindruck.« Ehe ich sie danach fragen kann, was genau sie damit meint, wirft Zoey einen hektischen Blick auf ihre Uhr. »Ich sollte mal wieder hochgehen, bevor sie mich vermissen. Wir haben gleich ein Meeting. Aber ich freue mich schon auf unsere Zusammenarbeit.«
»Ich freue mich auch sehr«, sage ich ehrlich und muss lächeln. Ihre gute Laune steckt an. Sie scheint sich genauso zu freuen wie ich. Das stimmt mich zuversichtlich.
Nachdem sie mich umarmt hat und wieder nach oben gefahren ist, verabschiede ich mich von der Rezeptionistin und trete durch die Drehtür nach draußen.
»Aah!« Kaum, dass ich das Gebäude verlassen habe und auf dem Gehsteig stehe, juble ich laut auf und hole mein Handy hervor.
»Ich habe den Job!«, brülle ich ins Telefon, als ich meiner Mitbewohnerin Alexis eine Sprachnachricht schicke.
Ich habe sie vor einem Jahr bei meinem Einzug kennengelernt. Wir teilen uns nicht nur ein Zimmer im Studierendenwohnheim auf dem Campus, sondern auch unsere Liebe zur Musik. Wobei sie im Gegensatz zu mir den Fokus mehr auf Schauspiel und Tanz legt mit Musik im Nebenfach. Da Alexis eine Fernbeziehung mit ihrem neuen Freund führt, der in Harvard studiert, haben sie während der Semesterferien einen Roadtrip geplant. Sie sind gerade in irgendeinem Nationalpark unterwegs und daher nicht so gut erreichbar. Aber sie wollte unbedingt, dass ich sie auf dem Laufenden halte.
»Bist du dir sicher, dass du den richtigen Job angenommen hast? Willst du nicht lieber zu den Cheerleadern gehen? Mit deinem Herumgekreische bist du nicht zu überhören«, ertönt eine tiefe Stimme nicht weit von mir.
Ich fahre herum. Cayden lehnt an dem Geländer, das die kleine Grünfläche mit den Palmen vor dem Gebäude einschließt. Die Hände hat er in die Taschen seiner Jeans geschoben. Die Zigarette hat er wohl weggesteckt, weil ich sie nirgends entdecke.
Zuerst will ich ihn ignorieren, doch dann überlege ich es mir anders, stecke mein Handy weg und gehe auf ihn zu, bis ich direkt vor ihm stehen bleibe. Ich nehme wieder seinen angenehmen Geruch wahr. Es wundert mich, dass er nicht nach Zigaretten stinkt. Oder raucht er gar nicht und wollte damit nur seinen Vater ärgern?
Fragend hebt er eine Braue. Ich stemme die Hände in die Hüften. Da er ein wenig größer ist als ich, muss ich den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen sehen zu können. Ich bin mir sicher, dass seine stechend grünen Augen einige Mädchen in ihren Bann ziehen. Aber davon lasse ich mich nicht irritieren. Nicht mehr.
Vorhin habe ich die Scham über seine Zurechtweisung hinuntergeschluckt. Auch, weil sein Vater und seine – und somit auch meine zukünftigen – Kollegen in der Nähe waren. Jetzt kann ich mich nicht mehr länger zurückhalten.
»Was ist dein Problem?«
»Mein Problem? Du bist offensichtlich mein Problem«, erwidert er und lächelt spöttisch. »Der offene Knopf deiner Bluse sagt einiges aus. Es wundert mich, dass du nicht gleich über mich oder meinen Dad hergefallen bist. Oder wolltest du damit warten, bis ihr allein seid, damit es weniger auffällig ist?«
Mir klappt der Mund auf und ich frage mich, ob Cayden schon einmal von Sexismus oder Slutshaming gehört hat. »Ist dir eigentlich klar, was du da redest?«
»Es hat schon viele Mädchen vor dir gegeben, die gehofft haben, hier Karriere zu machen. Such dir eine andere Plattenfirma, bei der du dich hochschlafen und die Leute belästigen kannst. Wir suchen professionelle Mitarbeitende.«
Wut kocht wegen dieses unglaublichen Vorwurfs in mir hoch. Doch ich bleibe ruhig und lege den Kopf schief. »Professionelle Mitarbeitende? Dann wundert es mich, wie dein Vater so erfolgreich werden konnte, wenn in diesem Unternehmen alle so professionell, abwertend und sexistisch sind wie du.«Cayden klappt der Mund auf. Doch er fängt sich schnell wieder. »Du bist hier nur eine Aushilfe«, knurrt er. »Du wirst hier nie einen Plattenvertrag bekommen.«
»Du hast doch keine Ahnung, was ich will!«, rufe ich und hebe die Hände. Am liebsten würde ich mir die Haare raufen, weil er mich so fuchsteufelswild macht.
Er schnaubt. »Oh doch! Du bist genauso wie die anderen!«
»Du kennst mich überhaupt nicht!«
»Was ich weiß, reicht mir.«
Mir fehlen die Worte.
»Wow. Du bist richtig unvoreingenommen«, meine ich schließlich sarkastisch und schüttle den Kopf. Ich habe keine Lust mehr, mit ihm zu diskutieren. Dieser Cayden scheint so stur zu sein, dass ich nur gegen eine Wand rede. »Ich dachte schon, mein Exfreund ist ein Riesenarsch. Aber so ein arroganter, miesgelaunter, vorurteilsbehafteter und sexistischer Stinkstiefel wie du ist mir noch nie untergekommen!«
Er macht große Augen. »Sexistischer Stinkstiefel?«
»Von dir habe ich auch nicht gerade einen guten ersten Eindruck«, fahre ich fort, ohne auf seinen verdatterten Einwurf einzugehen. »Weißt du, dein Dad meinte, du hättest heute einen schlechten Tag. Aber du verhältst dich wie ein Arschloch! Ich habe keine Ahnung, welche Probleme du mit deinem Dad hast. Was auch immer bei dir los ist, ist noch kein Grund, deine Wut an anderen auszulassen.« Um mich ein wenig zu beruhigen, hole ich tief Luft. »Nur weil du glaubst, Frauen müssten sich hochschlafen, um erfolgreich zu sein, heißt das nicht, dass diese Vorstellung der Realität entspricht. Wie wäre es, wenn du dich erst mal über geschlechtsspezifische Diskriminierung informierst und mit deinen eigenen Vorurteilen aufräumst und dann meine Arbeit statt die Knöpfe meiner Bluse beurteilst?«
Einige Sekunden lang starrt er mich nur an, als hätte ich ihn geschlagen. Offenbar fehlen ihm die Worte, was mir ein wenig Genugtuung verschafft. Doch dann wandern seine Blicke nach unten und verharren auf meiner Brust. »Der Knopf ist schon wieder offen.«
Ich sehe an mir herunter. Er hat recht. Verfluchte Bluse! Doch dieses Mal mache ich sie nicht zu. Mir liegt schon der Konter auf der Zunge, dass ich mich auch ganz ausziehen kann, doch den verkneife ich mir. Das würde seine Vorurteile mir gegenüber nur noch mehr erhärten. Und warum mache ich mir überhaupt Gedanken darüber, was dieser Typ von mir denkt?
»Ist mein kaputter Knopf das Einzige, was dich interessiert? Ich bin nicht hier, weil ich mich so dringend an dich oder deinen Dad heranschmeißen will«, betone ich ruhig, obwohl ich ihn am liebsten anschreien würde. Doch wer schreit, ist im Unrecht, sagt meine Granny immer. Er wird mir sowieso nicht glauben, so überzeugt wie er scheint. Aber ich will es zumindest klargestellt haben. »Es ist mir egal, was du von mir denkst. Denn ich weiß, wer ich bin und was ich will. Ich habe mich sehr über diese Chance gefreut. Das lasse ich mir von dir nicht kaputt machen!«
Ohne seine Antwort abzuwarten, drehe ich mich um und stampfe mit zu Fäusten geballten Händen davon. Bis mir rechtzeitig einfällt, dass ich seine Jacke noch immer anhabe.