Son of Flames (Die Geschichte von Kyron und Salina 2) - Nicole Alfa - E-Book

Son of Flames (Die Geschichte von Kyron und Salina 2) E-Book

Nicole Alfa

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Beschreibung

**Eine unmögliche Liebe gegen alle Widerstände …** Salinas Seele scheint endgültig an die Dunkelheit verloren. Doch Kyron gibt die Hoffnung nicht auf. Er setzt alles daran, seine eine wahre Liebe zu retten. Auch wenn das bedeutet, dass er sich gegen seinen Vater stellen und mit seinem größten Kontrahenten verbünden muss. Währenddessen spitzt sich die Lage im Kampf zwischen Licht- und Schattenwesen immer mehr zu. Und Salina steht plötzlich nicht mehr zwischen zwei, sondern drei Fronten in einem Krieg aus Licht, Schatten und verlorenen Seelen …  Berührend, außergewöhnlich und fantastisch!   Eine verbotene Liebe zwischen den Kindern zweier verfeindeter Anführer mitten im urbanen London. Ein neues Romantasy-Highlight aus der Feder von Nicole Alfa, der Autorin des Bestsellererfolgs »Prinzessin der Elfen«. Im starken Autorinnenduo mit Wattpad-Entdeckung Saskia Reymann. //Dies ist der zweite Band der packenden und berührenden Romantasy-Reihe »Die Geschichte von Kyron und Salina«. Alle Bände der Reihe:  -- Band 1: Daughter of Shades   -- Band 2: Son of Flames -- Die komplette Geschichte von Kyron und Salina in einer E-Box!//  Diese Reihe ist abgeschlossen.   

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Saskia Reymann, Nicole Alfa

Son of Flames (Die Geschichte von Kyron und Salina 2)

**Eine unmögliche Liebe gegen alle Widerstände …**Salinas Seele scheint endgültig an die Dunkelheit verloren. Doch Kyron gibt die Hoffnung nicht auf. Er setzt alles daran, seine eine wahre Liebe zu retten. Auch wenn das bedeutet, dass er sich gegen seinen Vater stellen und mit seinem größten Kontrahenten verbünden muss. Währenddessen spitzt sich die Lage im Kampf zwischen Licht- und Schattenwesen immer mehr zu. Und Salina steht plötzlich nicht mehr zwischen zwei, sondern drei Fronten in einem Krieg aus Licht, Schatten und verlorenen Seelen …

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Vita

Danksagung

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© Photo Hübner

Nicole Alfa schrieb bereits mit elf Jahren die Erstfassung für ihre Debütreihe. Nachdem sie ihre Manuskripte auf einer Plattform für Autoren hochlud und dort Zuspruch von ihren Lesern bekam, verfestigte sich ihr Wunsch, Schriftstellerin zu werden. Oft lässt sie sich für ihre Charaktere und deren Schicksale durch ihre Umgebung, Erfahrungen, Musik oder Fotos inspirieren. Ihr Motto ist es, nicht aufzugeben, auch wenn andere sagen, dass es unmöglich ist.

© Regina Claus

Saskia Reymann wurde in einer Dezembernacht 1995 geboren und wuchs in einem kleinen Dorf in Hessen auf. Sie veröffentlichte ihre ersten Werke auf einer Schreibplattform. Am liebsten fantasiert sie von zukünftigen Welten und magischen Wesen, die auf der Erde im Verborgenen leben. Neben dem Schreiben fährt sie gerne Inliner, macht Yoga und schaut Serien.

»Licht und Schatten waren schon immer eins. Die Welt braucht ein Gleichgewicht.«

- Kyron Dalton

Kapitel 1

Salina

»Wach auf, Schattenmädchen«, flüsterte eine belegte Stimme in meiner Nähe. Ich spürte einen warmen Atem auf meinem Gesicht und etwas Nasses, das meine Wange traf. Meine Lider zuckten, doch sie fühlten sich schwer an. Genauso wie mein Kopf. Als waberte ein dichter, dunkler Schleier durch ihn hindurch. Die Geräusche um mich herum klangen dumpf. Ich nahm Schreie, Kampflärm, das Knirschen von Schnee und das wilde Heulen des Windes wahr. Langsam lichtete sich der Nebel und ich schlug mühsam die Augen auf, sah in Kyrons entsetztes Gesicht. Kyron. Der Lichtjunge, dessen Nähe mich, seit ich ihn kennengelernt hatte, so nervös machte.

»Salina«, ertönte seine Stimme erneut.

Noch immer sah ich ihn an, doch fühlte gar nichts. Die dunklen Augen, in denen ich so gern versunken war, lösten kein Herzflattern mehr in mir aus. Seine Hand, mit der er meine hielt, fühlte sich eiskalt an. Und obwohl ihm eine Träne über die Wange rann und er anscheinend litt, regte sich in mir nichts.

»Nein«, murmelte er. Unablässig schüttelte er den Kopf. »Nein«, wiederholte er immer wieder. »Du bist nicht …« Er sah an mir vorbei zu meinem Bruder, der neben uns stand und uns mit aufrechter Haltung und kalter Miene betrachtete. »Was hast du nur getan?«, brüllte Kyron ihn an. Das letzte Mal hatte ich ihn so verzweifelt erlebt, als Sebastian mich unter der Treppe beim White Tower auf dem Gelände der Lichtwesen entdeckt und angegriffen hatte. »Sie ist deine Schwester!«, warf er meinem Bruder lautstark an den Kopf. Dabei pfiff uns Wind heulend um die Ohren und Kampflärm drang nun ungefiltert zu mir. Als ich mich umsah, erkannte ich, dass Licht- und Schattenwesen sowie Seelenlose noch immer gegeneinander kämpften. Feuer erhellten die Dunkelheit und im Hintergrund donnerten die Wellen gegen die Klippen der Seven Sisters. Die Kliffküste im Süden Englands, in deren Nähe sich das Geheimversteck der Schattenwesen befand.

Als ich mich wieder von dem Kampfgeschehen abwandte, hob Carter nur eine Braue. »Genau darum musste ich es tun. Weil sie meine Schwester ist.« Er sah von Kyron zu mir und streckte die Hand nach mir aus. »Komm mit mir, Salina. Lass uns gehen. Deine Familie wartet auf dich.«

»Familie?«, wiederholte Kyron verwirrt. Er atmete schwer, offenbar noch erschöpft vom Kampf. »Was meint er damit? Ich dachte, eure Mutter wäre gestorben«, fragte er nun mich.

Doch ich reagierte nicht auf ihn, war ganz fixiert auf meinen Bruder. Familie. Immer wieder hallte das Wort in meinem Kopf wider wie ein dumpfes Echo.

Meine Familie war kaputt. Mum war vor zwei Jahren gestorben, dann war Carter verschwunden und ich mit Dad allein gewesen. Mehr oder weniger eingesperrt in den dunklen Tiefen des Bergwerks, wo wir uns so lange vor den Lichtwesen versteckt hatten, bis ich sie direkt hierhergeführt hatte. Sie waren nur wegen mir hier. Der Kampf um uns herum war meine Schuld.

Doch das war mir merkwürdigerweise vollkommen egal. Für mich zählte einzig und allein, dass Carter jetzt bei mir war. Vielleicht konnten wir wieder eine Familie werden. So wie früher.

Wie mechanisch stand ich auf. Doch ehe ich zu Carter gehen konnte, schlossen sich Finger um mein Handgelenk und hielten mich fest.

»Lass mich los«, zischte ich Kyron zu, der sich ebenfalls aufgerappelt hatte.

»Bitte, Salina, geh nicht mit ihm! Bleib hier. Bleib … bleib bei mir. Zusammen finden wir eine Lösung«, flehte er mich an.

Wie verzweifelt er doch war. Er verhielt sich lächerlich. »Ich werde mich nicht noch einmal wiederholen«, warnte ich ihn.

»Salina …«, begann Kyron. Nun hatte ich genug von dem Gesülze.

Der starke Wind peitschte mir die Haare ins Gesicht, doch ich machte mir nicht die Mühe, sie zurückzustreichen. Ich konzentrierte mich auf seinen Körper, machte mir jeden einzelnen Wasserpartikel bewusst und entzog Kyron gnadenlos seine Körperflüssigkeit. Entsetzt riss er die Augen auf und ging vor mir auf die Knie. Seine Lippen wurden spröde, sein Gesicht faltig.

Keuchend fiel er nach vorn und hielt seinen Fall mit den Händen auf, die tief im Neuschnee versanken. Es zischte und Rauch stieg von seinen Händen auf. Der Schnee schmolz unter seinen Fingern, von denen glühende Hitze ausging. Langsam kam er wieder auf die Beine. Schwer atmend stellte er sich uns mit zu Fäusten geballten Händen entgegen.

Plötzlich züngelte Feuer von seinen Fingerspitzen über seine Arme. Die Ärmel seiner Jacke standen in Flammen und verkohlten innerhalb von Sekunden. Der Lichtjunge sah mir tief in die Augen. »Du magst jetzt eine Seelenlose sein, aber ich weiß, dass du kein Monster bist. Ich werde dich nicht aufgeben. Ich hole dich zurück, Salina. Das verspreche ich dir.«

Bei seinen Worten regte sich etwas in mir, doch es war so schwach, dass es schnell von der Kälte überlagert wurde. Ein Gefühl, das der Vergangenheit angehörte. So klein, dass es bald vollständig verschwunden sein würde.

Ehe ich antworten konnte, erschuf er eine gewaltige Feuerwand aus dem Boden, die ihn vor uns abschirmte. Zwar ging das Feuer nicht auf uns über, jedoch schlug uns Hitze entgegen, sodass Carter und ich zurückweichen mussten. Als mein Bruder die Feuerwand mit Luftentzug erstickte, war Kyron verschwunden.

***

Ich wusste nicht, wie lange wir bereits unterwegs waren, als die Gruppe langsamer wurde. Vor uns tauchte das Windsor Castle auf und verwundert betrachtete ich das prächtige Bauwerk, das unsere Endstation zu sein schien.

Carter hatte den Rückzug befohlen, nachdem Kyron verschwunden war. Daraufhin hatten sich alle Seelenlosen sofort um uns versammelt und sich in Schatten verwandelt. Es wunderte mich, dass mein Bruder die Befehlsgewalt hatte, aber ich wollte ihn nicht infrage stellen. Also nahm ich wie alle anderen wieder menschliche Gestalt an.

Das Schloss war fast eine Stunde Autofahrt von London entfernt. Soweit ich wusste, war es im Gegensatz zum Tower of London im Besitz einer adligen Menschenfamilie geblieben, die die Lichtwesen unterstützte. Was also wollten wir hier?

»Seelenlosen ist es zwar verboten, mit den Schatten zu wandeln, aber im Gegensatz zu unserem feigen Vater lassen wir uns von den Lichtwesen nicht unterdrücken«, meinte Carter, der neben mir gelandet war.

Vater. Bei dem Stichwort hörte ich in mich hinein. Als Feigling hatte ich ihn noch nie gesehen. Dass er sich unter der Erde ein neues Leben aufgebaut hatte, war notwendig gewesen, um zu überleben. Aber Carter hatte auch recht. Statt wie mein Bruder und seine Freunde zu kämpfen, versteckte sich mein Vater lieber dort, wo wir laut den Lichtwesen hingehörten.

Das Bergwerk war für mich nie ein Zuhause gewesen und hatte eher einem Gefängnis geglichen. Deshalb hatte ich mich bei jeder Gelegenheit rausgeschlichen und meine Freiheit genossen. Nun konnte ich nicht mehr zurück, selbst wenn ich wollte. Denn als Seelenlose war ich für meinen Dad so gut wie tot. Ich war der Feind.

Es fiel mir schwer zu realisieren, dass ich jetzt eine Seelenlose war. Nicht nur dass ich dadurch meinen Dad verloren hatte und nun zu den meist gefürchtetsten Wesen der Welt gehörte. Was bedeutete das für mich selbst? Welche Veränderungen würden noch auf mich zukommen?

Wenigstens hatte ich meinen Bruder wieder. Mit ihm hatte ich mich ohnehin besser verstanden als mit Dad. Carter war, genauso wie Mum und ich, sehr freiheitsliebend und mir gefiel es, dass er sich als Schattenwesen und Seelenloser nicht als Abschaum betrachtete. Im Gegenteil: Er sah sich als vollwertiges Wesen und kämpfte gegen die Unterdrückung an.

»Also seid ihr so was wie Rebellen?«, hakte ich nun nach.

Mein Bruder schenkte mir ein gezwungenes Lächeln. »Ich würde uns eher als Freiheitskämpfer oder modern denkende Wesen bezeichnen, die sich nichts mehr so leicht gefallen lassen.« Das war für mich die Definition von Rebellen, aber vielleicht war es für mich noch schwer, ihre Denkweise nachzuvollziehen.

Wir überquerten nun einen Teil des Innenhofes – viel konnte ich im Dunkeln nicht erkennen – und betraten das Schloss durch einen Seiteneingang, der uns in einen langen Flur führte. Der Fußboden bestand aus festem hellem Holz, das größtenteils von einem roten Samtteppich mit kunstvollen Verzierungen verdeckt wurde. Um uns herum erhoben sich mächtige Wände mit Rundbögen und allerlei verschnörkelten Dekor. Hüfthohe Steinstatuen, Gemälde und verschiedenste Wappen ließen alles noch herrschaftlicher wirken.

Carter forderte mich mit einem Wink seiner Hand auf, ihm zu folgen. »Du wirst bereits erwartet.«

Er lächelte mich aufmunternd an, wenngleich es eher mechanisch wirkte.

»Von wem?«, wollte ich sofort wissen. »Und ist es nicht gefährlich, an einem so bekannten Ort zu leben?«

»Ungeduldig und neugierig. Du hast dich nicht verändert, Schwesterchen«, meinte Carter und sah mich von der Seite an. »Wer dich erwartet, siehst du gleich. Du wirst dich sicher noch an sie erinnern«, antwortete er. »Was die Lage hier angeht: Am sichersten ist es für uns gerade da, wo die Lichtwesen uns nicht erwarten. Generationen von Seelenlosen leben hier bereits seit Jahrzehnten, ohne enttarnt worden zu sein. Und was glaubst du, wie viele unbemerkt zwischen Menschen, Licht- und Schattenwesen leben? Wie viele Seelenlose es in hohen Positionen gibt?«

»Aber …«, begann ich, weil ich nicht glauben konnte, was er mir da erzählte, doch mein Bruder unterbrach mich. »Deine Fragen werden alle noch beantwortet. Aber jetzt müssen wir erst mal weiter.«

Wir ließen die anderen zurück und bogen am Ende des mächtigen Ganges um die Ecke, wo ich zwei Wachen vor einer zweiteiligen Tür stehen sah. Sie wirkten nicht so, als hätten sie uns bemerkt, doch kaum näherten Carter und ich uns ihnen, öffneten sie beide jeweils einen Teil der Tür und ließen uns eintreten. Carter führte mich in den dahinterliegenden Raum, der nicht besonders breit, dafür aber lang war. Neben einem der Fenster stand im Schatten eine schlanke Gestalt, die das Gesicht zu uns gewandt hatte. Sie trug ein knielanges kobaltblaues Gewand mit langen Ärmeln, das ihre Kurven dezent zur Geltung brachte.

»Mum?«, flüsterte ich, nicht imstande mehr hervorzubringen. Mein Herz raste, als die Frau sich aus dem Schatten löste und ins Licht trat, das von der Decke ausging.

Die Frau besaß dicke, dunkle Haare, die sich bis zu ihren Hüften wellten, ein spitz zulaufendes Kinn und grün-blaue, eng beieinanderstehende Augen. Aufgrund ihres glatten, faltenfreien Gesichts wirkte sie jung und je länger ich sie betrachtete, desto eindeutiger passte ihr Aussehen zu einem Bild in meinem Kopf. Einem Bild aus der Vergangenheit – genauer gesagt meiner Kindheit, an das ich mich noch vage erinnern konnte. Mein Herz blieb stehen. Ich kannte diese Frau. Jedoch war sie nicht meine Mutter.

Kapitel 2

Kyron

Vor meinem inneren Auge sah ich immer wieder, wie Salina am Boden lag und Carter sie niederdrückte. Wie sich ihr Mund weit öffnete und ihre Seele in Form von schwarzem Rauch emporstieg. Ich spürte Bastians schweren Körper auf meinem, mit dem er mich auf die mit Schnee und Blut bedeckte Wiese nagelte. Während ich dabei zusehen musste, wie meinem Schattenmädchen die Seele geraubt wurde. Ich sah mich selbst, wie ich mich von Bastian losriss und zu Salina rannte. Wie ich ihre Hand ergriff und sich ihre Augen plötzlich öffneten. Augen, deren Iriden und Pupillen zu einer schwarzen Masse verschmolzen waren, über der ein Nebelschleier lag. Augen, die von schwarzen Schatten umgeben waren. Ein sicheres Erkennungszeichen für Seelenlose.

Immer wieder durchlebte ich den Augenblick, als ich erkannt hatte, dass ich Salina verloren hatte. Dass Salina nun eine von ihnen war.

Ich hatte es nicht rechtzeitig geschafft.

Salina war fort und ich hatte keine Ahnung, wo sie war, was sie gerade tat und ob sie überhaupt noch am Leben war. Ständig fragte ich mich, wie es ihr gerade ging, was sie dachte und fühlte, wenn sie überhaupt noch etwas fühlte.

Ich hatte ihr versprochen sie zu finden und zurückzuholen. Ich wusste, wer sie war. Wer sie in ihrem tiefsten Inneren war. Doch ich wusste auch, was aus Schattenwesen wurde, wenn ihnen die Seele geraubt wurde. Was, wenn Salina nicht dagegen ankämpfen konnte? Wenn sie wirklich zu einem Monster wurde?

»Aufgrund der vergangenen Vorfälle habe ich Verstärkung auf der ganzen Welt angefordert«, drang die tiefe Stimme meines Vaters wie aus der Ferne an mein Ohr.

Salina und das Schlachtfeld auf den Seven Sisters verschwammen vor meinen Augen und wurden ersetzt durch den Konferenzsaal im Tower of London.

Der Kampf war erst ein paar Tage her, doch er hatte tiefe Wunden hinterlassen. Mal abgesehen von den hohen Verlusten, die wir zu beklagen hatten. Der Kampf gegen die Seelenlosen und die Schattenwesen hatte uns deutlich geschwächt, weswegen mein Vater eine Versammlung einberufen hatte, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Einige hochrangige Führungskräfte, Generäle und Lords der Umgebung hatten sich an dem langen Tisch versammelt.

Durch kleine Glasfenster konnte man den gegenüberliegenden White Tower erkennen, der uns als Gefängnis für Schattenwesen diente. Allerdings hatten wir nach dem Kampf auf den Klippen der Seven Sisters zum ersten Mal keine Gefangenen gemacht, sondern nach dem Verschwinden der Seelenlosen ebenfalls den Rückzug angetreten.

»Einige Anführer und ihre Angehörigen sind meinem Aufruf gefolgt. Die letzten werden heute und im Laufe der nächsten Tage bei uns eintreffen, damit wir gemeinsam gegen die Schattenwesen vorgehen können«, fuhr mein Vater gerade fort. »Obwohl wir noch nicht ganz vollständig sind, möchte ich das Thema heute schon ansprechen. Wir dürfen es uns nicht mehr erlauben, lange zu zögern. Die paar Nachzügler werden im Nachhinein informiert.«

Plötzlich schlug die Tür mit einem Knall gegen die Wand und zwei Frauen kamen gefolgt von ein paar Wächtern und Wächterinnen herein. Mein Vater verstummte, während die restlichen Anwesenden ihre Köpfe in Richtung der Neuankömmlinge drehten. Obwohl ein Angriff auf unseren Stützpunkt schier unmöglich war, hatten manche der Anwesenden bereits die Hände zur Verteidigung erhoben. Auch ich war angespannt, was bei den derzeitigen Ereignissen verständlich war. Die meisten entspannten sich jedoch wieder, als mein Vater mit einer knappen Handbewegung signalisierte, dass alles in Ordnung war.

Mein Blick blieb an den beiden Frauen hängen, die anscheinend die Anführerinnen der Truppe waren, weil sie mit Stolz erhobenen Häuptern vorangingen. Ich blinzelte ein paarmal, weil ich erst glaubte mich zu täuschen. Doch ich halluzinierte nicht. Es waren zwei Jahre vergangen, seit ich die beiden Frauen – genauer gesagt Schwestern – das letzte Mal gesehen hatte. Mein Herz wurde schwer, während ich sie betrachtete.

Sie waren etwa gleich groß und besaßen ähnliche Gesichtszüge, weshalb sie als Zwillinge durchgehen könnten. Rhosyn – die ältere Schwester – trug eine enge schwarze Jeans und ein gleichfarbiges bauchfreies Shirt, während Asha in ein schwarzes Kleid gehüllt war, das aus einem hochgeschlossenen, bauchfreien Oberteil bestand und durch Ringe mit einem engen kurzen Rock verbunden war. Die Füße der beiden Frauen steckten in Kampfstiefeln und sie trugen Lederjacken in unterschiedlichen Farben. Asha trug ihre hüftlangen, gelockten Haare offen, während Rhosyn sie zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden hatte. Gürtel zierten ihre Hüften, an denen zwei Holster hingen, aus denen Pistolengriffe herausragten. So, wie ich sie kannte, waren das nicht die einzigen Waffen, die sie an ihren Körpern trugen.

Mühsam schluckte ich den Kloß hinunter, der sich in meinem Hals gebildet hatte, und versuchte Fassung zu bewahren. Sie jetzt wiederzusehen versetzte mich in eine emotionale Zeit zurück – vermutlich die schlimmste meines Lebens. Doch daran zu denken, konnte ich mir jetzt nicht erlauben. Ich holte tief Luft und hob den Kopf, um mich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Obwohl die beiden nicht besonders groß waren, strahlten sie eine derart respekteinflößende Ausstrahlung aus, dass einige der umstehenden Wächter sofort vor ihnen zurückwichen, als sie an ihnen vorbeischritten.

Asha ließ den Blick umherwandern und machte bei mir halt. Ein erfreutes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie mich erkannte. So wie ich schien auch sie ihre Emotionen zurückhalten zu müssen, aber wir hatten Zuschauer. Die persönliche Begrüßung konnten wir auf nach der Konferenz verschieben. Wenigstens fühlte ich mich jetzt nicht mehr so allein. Denn ich hatte eine Freundin hier an meiner Seite. Mehr oder weniger.

Die Miene meines Vaters hellte sich auf und er trat auf die Schwestern zu, um ihnen nacheinander die Hände zu schütteln.

»Es tut uns sehr leid, aber unser Flug hatte Verspätung«, begann Rhosyn.

»Das ist kein Problem, ihr kommt gerade rechtzeitig«, meinte mein Vater und machte eine ausschweifende Bewegung durch den vollen Saal. »Darf ich vorstellen? Das sind Rhosyn de Lorris und Asha Norton. Sie stammen aus dem zweitgrößten Lichtwesenclan der Welt.«

»Danke für die freundliche Vorstellung, Priamos, aber das können wir auch selbst übernehmen«, fiel Rhosyn ihm ins Wort und wandte sich direkt an die versammelten Lichtwesen. »Wir stammen aus dem Lichtwesenclan in Paris. Unsere Mutter, die Anführerin, lässt sich entschuldigen. Dafür sind meine Schwester«, sie nickte lächelnd zu Asha, »und ich heute als Vertreterinnen unseres Clans hier.«

Daraufhin erhielten sie zur Begrüßung ein knappes Kopfnicken der Anwesenden. Rhosyn beugte sich zur Seite und gab Asha flüsternd eine Anweisung, ohne dabei meinen Vater aus den Augen zu lassen. Asha nickte und ging zu den umstehenden Lichtwesen, wo sie sich zwischen ein paar Soldatinnen stellte. Rhosyn ging unterdessen auf meinen Vater zu, der Haltung annahm, und platzierte sich neben ihm.

Mein Vater fuhr mit seiner Einleitung fort und erläuterte, wo wir die Lichtwesen, die in den nächsten Tagen noch bei uns eintreffen sollten, unterbringen würden. Wenn das so weiterging, brauchten wir bald einen zweiten Stützpunkt, um die ganze Verstärkung zu beherbergen. Die Lage schien ernst zu sein. Nicht einmal nach Mutters Tod hatte Vater zu solch drastischen Maßnahmen gegriffen.

»Was hast du denn jetzt vor? Warum so viele Sicherheitsvorkehrungen?«, fragte ich geradeheraus.

Ich wusste, dass mein Vater Fragen während seiner Rede nicht billigte, aber es war mir egal. Obgleich ich Angst vor der Antwort hatte, wollte ich wissen, auf was ich mich seelisch vorbereiten musste. Welche Kämpfe ich demnächst in meinem Inneren ausfechten musste, weil mein Vater und ich verschiedene Ansichten hatten.

Wie erwartet reagierte er mit einem missbilligenden Stirnrunzeln auf meine Unterbrechung. Doch er blieb souverän. »Wie du weißt, vermeide ich Gewalt lieber und wende sie nur in Notfällen an«, erklärte er ruhig. »Aber es ist viel passiert. Wir haben in den letzten Monaten verstärkt Aktivitäten von Schattenwesen und Seelenlosen aufgezeichnet. Die Angriffe auf Lichtwesen und Menschen haben sich in den letzten Wochen verdoppelt, wenn nicht sogar verdreifacht. Die Seelenlosen vermehren sich wie Parasiten und es ist eine Tatsache, dass nur Schattenwesen zu Seelenlosen werden können. Wir müssen dagegen angehen. Gemeinsam. Deshalb habe ich Verstärkung einberufen. Zudem haben wir eine sehr schwere Entscheidung zu treffen, in die ich gern alle miteinbeziehen würde.« Er sah nahezu jedem Einzelnen der Anwesenden eindringlich in die Augen und platzierte beide Hände hinter seinem Rücken. »Das, was vor ein paar Tagen geschehen ist, hat gezeigt, dass es nicht möglich ist, Konflikte mit Schattenwesen friedlich zu lösen. Sie hatten meinen Sohn Kyron in ihrer Gewalt und wollten mich erpressen.«

»Wolltest du nicht das Gleiche tun? Immerhin wusstest du doch, wer das Schattenmädchen war, das wir in unserer Gewalt hatten«, warf ich ein, weil es mich wütend machte, wie er über Schattenwesen redete.

»Kyron.« Mein Vater sah mich mit ernster Miene an. Mit einem kaum merklichen Kopfnicken deutete er zu den versammelten Wächtern. Bisher hatte ich mich seinen Entscheidungen immer gebeugt, auch wenn ich sie innerlich nicht guthieß, und ihm auch noch nie widersprochen. Ich sah ihm an, dass ihm mein Verhalten unangenehm war. Es warf kein gutes Licht auf ihn, wenn sich sein eigener Sohn gegen ihn stellte. Aber ich konnte nicht einfach dastehen und schweigen. Nicht mehr.

»Sie haben schon genug Elend und Leid über uns alle gebracht«, meinte mein Vater abfällig. »Ich habe mich mit meinen engsten Beratern zusammengesetzt und unterhalten. Wir haben Risiken und Alternativen abgewogen und sind zu einem Entschluss gekommen, der uns nicht leichtgefallen ist. Gemeinsam mit euch möchte ich darüber abstimmen, ob wir diesen wirklich in die Tat umsetzen sollen.« Mein Vater sah zu Boden und holte tief Luft, als bräuchte er genügend Kraft für seine nächsten Worte. Als er den Kopf wieder hob, wirkte seine Miene versteinert und ernst. »Wir denken, es ist das Beste für unser aller Überleben, wenn wir die Seelenlosen und Schattenwesen auslöschen.«

Kapitel 3

Kyron

»Du willst eine ganze Spezies auslöschen?«, fragte ich entsetzt und unterbrach damit die erdrückende Stille, die eingetreten war. Die Pläne meines Vaters lösten in mir ein bitteres Gefühl aus. Unfassbar, dass er so etwas überhaupt in Erwägung zog. Ich erkannte ihn in diesem Augenblick nicht mehr wieder. Was, wenn wir an Stelle der Schattenwesen wären? Wäre er dann derselben Meinung wie jetzt?

»Denkst du nicht, das geht zu weit?«, fragte ich nun weiter. »Haben wir nicht aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt? Denk an den Zweiten Weltkrieg, die Feindlichkeit gegenüber Flüchtlingen in Europa …«

»Wir sind keine Menschen, sondern Lichtwesen. Unsere Aufgabe ist es, das Volk vor diesen schwarzen Bestien zu beschützen«, warf ein älterer Wächter mit tiefer Stimme ein.

»Ich bin dafür«, stimmte eine stämmigere Frau zu. »Mein Mann und ich sind Forscher in einem der Labore in Connecticut. Wir beschäftigen uns schon länger mit der Frage, warum nur Schattenwesen zu Seelenlosen werden können. Zwar sind wir in der Forschung bisweilen zu keiner Lösung gelangt, aber es liegt auf der Hand, dass sie eine Gefahr für uns alle sind. Manchmal muss man Opfer bringen, um die zu beschützen, die man liebt.«

Mir blieb die Luft weg. Unfassbar, wie engstirnig sie alle waren! Wesen zu opfern, von denen die meisten unschuldig waren, war nicht nur falsch, sondern auch gewissenlos.

»Die Schattenwesen haben einen Pakt mit dem Teufel geschlossen!«, warf ein älterer Mann mit Halbglatze ein. »Sie haben ihm ihre Seele verkauft. Das ist die einzige Erklärung, weshalb sie so sind, wie sie sind. Sie gehören ausgeräuchert wie das Ungeziefer, das sie sind!«

»Nein!«, protestierte ich und alle Aufmerksamkeit lag nun auf mir. »Ich stimme zu, dass die Schuld zum Teil auch bei den Seelenlosen liegt. Aber es ist nicht so, dass sie sich bewusst dafür entscheiden, zu Seelenlosen zu werden. Das liegt nicht in ihrer Macht. Daher finde ich, das ist nicht der richtige Weg, dieses Problem zu lösen.«

Ich hatte versucht sachlich zu bleiben. Einen hitzköpfigen Jugendlichen würde keiner der erfahrenen Wächter und Anführer ernst nehmen. Abgesehen davon hatte ich genau das von meinem Vater gelernt. Stets Ruhe zu bewahren und bloß nicht zu zeigen, was wirklich in mir vorging. Selbst wenn ich innerlich gerade explodierte.

Vater bedachte mich mit harter Miene. »Hast du einen besseren Vorschlag?«

Einen besseren Vorschlag, als gewissenlos, von Fremdenfeindlichkeit und Angst getrieben, Lebewesen auslöschen zu wollen? Da fielen mir so ungefähr tausend ein. »Warum verbünden wir uns nicht einfach mit den Schattenwesen?« Ich unterbrach mich, als einige der Anwesenden laut loslachten. Andere wiederum starrten mich an, als wäre ich von allen guten Geistern verlassen.

Vor ein paar Wochen hätte ich bei diesem Vorschlag wohl auch gelacht. Aber seitdem war viel geschehen. Deshalb ließ ich mich von dem höhnischen Gelächter nicht abbringen. »Lasst uns einen Waffenstillstand mit ihnen schließen, statt sie zu töten. Sie sind genauso geschwächt wie wir, noch dazu leben sie in ärmlichen Verhältnissen. Sie können uns nichts tun. Sie sind auf unsere Hilfe angewiesen. Und gemeinsam können wir gegen die Seelenlosen vorgehen.«

»Ich schließe mich Kyron an«, ertönte Ashas Stimme. »Ich finde es auch nicht in Ordnung, ein Volk einfach auszulöschen. Jedes Wesen hat ein Recht auf Leben.«

Überrascht blickte ich zu ihr, erleichtert darüber, dass wenigstens eine Person hinter mir stand.

Allerdings stimmte ihr nicht jeder zu. »Die Seelenlosen sind keine Lebewesen«, schnaubte eine Frau mit ernstem Gesichtsausdruck und streng nach hinten gebundenen Haaren. »Sie haben das Recht auf Leben verwirkt.«

»Wir müssen an unsere Sicherheit und die unserer Familien und Kinder denken«, warf ein junger Mann ein.

Eine wilde Diskussion brach los, als jeder seine Argumente einbrachte, warum und ob die Schattenwesen sterben oder leben sollten. Schließlich hob mein Vater die Hand, um sie zur Ruhe zu bringen, doch niemand beachtete ihn. Da steckte Rhosyn zwei Finger in den Mund und pfiff so laut, dass einige der Anwesenden zusammenfuhren. Allmählich verstummten alle.

Mein Vater nickte Rhosyn dankbar zu. »In einer Woche sollten alle Lichtwesen eingetroffen sein«, sagte er. »Ihr habt bis dahin Zeit, in Ruhe darüber nachzudenken und euch Alternativen zu überlegen. Am Ende wird es eine Abstimmung geben, um die finale Entscheidung zu fällen.«

***

Nach der Versammlung rauschte ich mit gesenktem Blick an den Lichtwesen vorbei, die sich nun überall im Raum verteilten. Ich konnte niemandem in die Augen sehen. Immerhin wollten viele von ihnen ein ganzes Volk auslöschen.

Wenn wir Glück hatten, waren Asha und ich nicht die einzigen Vernünftigen in diesem Saal. Doch ich konnte mir vorstellen, dass andere, die unseren Standpunkt vertraten, es sich nicht mit meinem Vater verscherzen wollten und deshalb schwiegen. Für mich würde es hingegen keine weitreichenden Konsequenzen geben, weil ich der Sohn des Anführers war. Für irgendetwas musste dieser Status ja gut sein. Ich hatte nur das Gefühl, dass Vater mich bald zu einem Gespräch unter vier Augen bitten würde, um mit mir über mein Verhalten zu sprechen. Und darauf konnte ich im Moment gut verzichten. Er wusste nicht, wie viel mir Salina bedeutete, und durfte es nicht erfahren. Ich wusste ja selbst nicht, was genau ich für sie fühlte. Nur, dass dieses Mädchen Gefühle in mir weckte, die ich noch nie zuvor gefühlt hatte.

Vater hatte noch immer keine Ahnung, dass sie eine Seelenlose war. Interessieren würde es ihn sowieso nicht. Wahrscheinlich hätte er sie schon vergessen, wenn sie nicht die Tochter des Anführers der Schattenwesen wäre.

Als ich den Raum verlassen wollte, hielt mich die Stimme meines Vaters zurück. »Kyron, bitte lass uns kurz reden«, bat er mich. Über seine Stirn zogen sich tiefe Falten.

Mein Magen sackte ab. Das gefürchtete Vater-Sohn-Gespräch kam früher als gedacht. Doch ich wusste, dass ich früher oder später mit ihm reden musste. Vielleicht konnte ich ihn davon überzeugen, dass sein Vorschlag mehr als falsch war. Deshalb holte ich tief Luft, nickte und folgte ihm aus dem Saal hinaus. Mein Vater überraschte mich, als er nicht wie erwartet den Weg zu seinem Büro einschlug. Stattdessen liefen wir den Gang entlang zu einer Wendeltreppe, die auf die Plattform eines kleinen Eckturms führte.

Insgesamt gab es zwei davon, die den Eingang flankierten und zwischen denen sich eine große Uhr befand. Der Himmel war wolkenverhangen und von der Themse wehte ein kühler Wind zu uns herüber, der den salzigen Geruch von Meer in meine Nase brachte.

Von hier aus hatten wir einen guten Blick über das gesamte Gelände des Tower of London. Direkt vor uns lag der White Tower, den ich schon vom Konferenzsaal aus gesehen hatte und der die Sicht auf die Tower Bridge verdeckte. Dafür konnte ich hinter den Festungswällen das dunkle Wasser der Themse erkennen, das uns von der anderen Seite Londons trennte. Auf den Mauern patrouillierten heute mehr Wachen als sonst, auf der Themse schaukelten ein paar Schiffe umher. Ansonsten war es seltsam ruhig.

Die Ruhe vor dem Sturm, schoss es mir mit einem unguten Gefühl im Magen durch den Kopf.

»Du wolltest reden«, begann ich mit bemüht neutraler Stimme und wandte mich meinem Vater zu. »Also rede.«

Mein Vater erwiderte meinen Blick aufmerksam. In diesem Moment brach die Wolkendecke ein wenig auf und ein kleiner Sonnenstrahl fiel auf sein Gesicht, der es nur noch bleicher wirken ließ. Erst jetzt fiel mir auf, dass seine Wangen eingefallen waren. Schatten lagen unter seinen Augen, die leicht gerötet waren. Er schien in der letzten Zeit nicht viel geschlafen und kaum gegessen zu haben.

»Ich weiß, dass du mit meinem Entschluss unzufrieden bist«, begann er.

»Unzufrieden?«, wiederholte ich ungläubig. »Ich bin entsetzt darüber, was du gerade tust. Das ist falsch und das weißt du genau!« Für einen kurzen Moment sah ich die Zweifel in seinen Augen. Doch dann blinzelte er und legte eine undurchschaubare Miene auf. »Als du in den Fängen dieser … dieser Bestien warst … hättest du sterben können, Kyron.«

»Ich bin ein Wächter. Jedes Mal, wenn ich da draußen bin«, erwiderte ich und machte eine ausschweifende Handbewegung in Richtung der Londoner Altstadt, »könnte ich sterben. Das ist das Risiko, das wir alle zu tragen haben.«

»Das ist mir durchaus bewusst«, meinte mein Vater und seufzte schwer. »Und auch während deiner Einsätze mache ich mir Sorgen um dich. Aber deine Entführung hat mich noch klarer sehen lassen. Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren.«

»Du hast mich aber nicht verloren«, antwortete ich ungeduldig. Auf was wollte er hinaus?

»Ich habe deine Entscheidungen immer unterstützt. Weil du mein Sohn bist und ich dir vertraue«, fuhr er fort und sah mir tief in die Augen. »Aber in manchen Punkten kann ich das nicht. Was auch immer du in diesem einen Schattenwesen siehst: Diese Monster gehören nicht in unsere Welt.«

Mir wurde heiß und kalt. Ahnte er, dass Salina mir mehr bedeutete, als sie durfte?

»Sie sind keine Monster«, widersprach ich ihm. »Sie sind genauso wie wir, nur dass sich ihre Fähigkeiten von unseren unterscheiden und sie zu Seelenlosen werden können – worauf sie nicht abzielen.« Ich musste erneut an das Schattenmädchen denken und ein Kloß bahnte sich in meinem Hals an, den ich schnell hinunterschluckte. »Glaubst du, sie werden freiwillig zu Seelenlosen? Sie suchen sich das nicht aus!«

»Dann erlösen wir sie von ihrem Leid«, konterte mein Vater. Ich wollte schon protestieren, da hob er eine Hand und brachte mich mit einem scharfen Blick zum Schweigen. »Ich bin nicht nur dein Vater, Kyron. Ich habe Verantwortung für Dutzende Lichtwesen und Menschen.«

»Das verstehe ich. Aber du suchst die Schuld bei den Falschen«, versuchte ich zu ihm durchzudringen.

»Kyron.« Er sah mich an und wollte etwas sagen, schüttelte dann jedoch den Kopf und trat an die Brüstung. »Was siehst du, wenn du hier stehst?«, fragte er mich.

Ich war verwirrt. Was hatte das mit unserem Gesprächsthema zu tun? Da mein Vater das jedoch bestimmt nicht grundlos fragte, trat ich neben ihn. »Ich sehe unser Hauptquartier«, begann ich zögernd. Mein Blick fiel auf die vielen Wächter, die sich auf dem Gelände tummelten. »Ich sehe Lichtwesen.«

Aus den Augenwinkeln sah ich meinen Vater leicht lächeln. Doch es wirkte verkrampft. »Unsere Familie hat sich schon vor Jahrhunderten dem Schutz des Volkes verschrieben. Deshalb haben unsere Vorgänger auch beschlossen, sich der Welt zu zeigen und diesen Stützpunkt als Hauptquartier auserkoren. Es ist aber viel mehr. Es ist unser Zuhause, Kyron. Ein Zuhause für so viele Lichtwesen. Wir müssen der Pflicht und dem Erbe unserer Blutlinie nachkommen und unsere Leute, unsere Familie beschützen.«

»Schön und gut, wenn unsere Urahnen das so geregelt haben«, begann ich. »Ich kann ihre Beweggründe sogar verstehen. Aber denkst du wirklich, unsere Urahnen würden wollen, dass wir ein ganzes Volk auslöschen?«

Er beugte sich ein wenig in meine Richtung. »Ich würde dieses Problem gern anders lösen. Ich habe schon vor Jahren für Frieden gekämpft, aber die Schattenwesen haben nicht mit sich reden lassen. Denk an deine Mutter. Willst du, dass noch weitere Lichtjungen und Lichtmädchen das gleiche Schicksal wie du erleiden müssen, ihre Eltern, Geschwister, Freunde, ihre Familie verlieren?«

»Es ist nicht richtig«, wiederholte ich leise.

»Die Schattenwesen sind zusammen mit den Seelenlosen in der Überzahl«, fuhr Vater fort. »Wenn wir nichts gegen sie unternehmen, werden die Seelenlosen in den nächsten Monaten immer mehr Schattenwesen verwandeln, bis wir die Kontrolle verlieren.« Er entfernte sich wieder ein wenig von mir. »Und denk nur an ihre gefährlichen Fähigkeiten.«

»Du suchst doch regelrecht nach negativen Eigenschaften!«, warf ich ihm vor.

»Haben sie denn so viele gute?«, fragte er herausfordernd.

Ich wollte bereits aufzählen, welche Eigenschaften Salina besaß, biss jedoch rechtzeitig die Zähne zusammen. Wenn er mir schon jetzt nicht glaubte, würde er, wenn ich ihm von Salina erzählte, nur denken, ich wäre ein hormongesteuerter junger Mann, der nicht mit dem Kopf dachte. Ich musste es irgendwie anders angehen. Deshalb holte ich tief Luft, ehe ich begann: »Vater, ich war bei ihnen, sie haben mich gut behandelt und …«

»Dalton!«, ertönte da plötzlich eine Stimme hinter uns.

Mein Vater und ich fuhren erschrocken herum und sahen uns zeitgleich nach der Person um, die gerufen hatte. Als sie sich als Asha entpuppte, die auf der letzten Stufe der Treppe stand, erfasste mich Nervosität. Fasziniert sah sie sich um und strich sich eine ihrer langen Strähnen zurück, die der raue Wind ihr ins Gesicht peitschte. Falls sie die angespannte Stimmung zwischen meinem Vater und mir bemerkt hatte, ließ sie es sich nicht anmerken.

»Wow, schöne Aussicht. Die habe ich vermisst, als ich in Paris war. Noch schöner wäre sie allerdings, gäbe es statt Häusern nur grüne Hügel«, fügte sie mit gerunzelter Stirn hinzu.

»Es ist schön, dass du wieder da bist. Wir mussten damals zwei vielversprechende Kriegerinnen ziehen lassen«, meinte mein Vater und trat an mir vorbei zu Asha, um ihr die Schulter zu drücken. »Ich muss zu einer Besprechung, aber ich hoffe, du wirst dich während deines Aufenthalts hier wohlfühlen.«

Asha lächelte ihn an. »Danke, Priamos.«

Nun nickte Vater mir zu. »Wir können dieses Gespräch ein anderes Mal fortführen. Ihr habt wahrscheinlich einiges zu bereden.«

Auch ich nickte, woraufhin er im Gebäude verschwand.

Müde fuhr ich mir durch die Haare und kehrte Asha den Rücken zu. Dann atmete ich tief durch. Mit welchem Mist ich mich in letzter Zeit herumschlagen musste … Ich brauchte dringend eine Pause.

»Ignorierst du mich?« Ashas Stimme war nun ganz nah und ich wandte mich zu ihr um. »Eigentlich wollte ich dich direkt nach der Versammlung gebührend begrüßen, aber du warst verschwunden. Beim Versteckspielen hast du schon damals immer gewonnen«, neckte sie mich. Ich hingegen wusste nicht, was ich sagen oder wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte. Die Situation war mir unangenehm. Ich hatte damals ohne Erklärung den Kontakt zu ihr abgebrochen. Womöglich war sie davon nicht sehr begeistert gewesen.

Doch dann überbrückte sie die Distanz zwischen uns und schloss mich in eine feste Umarmung. Damit löste sie den Knoten in meiner Brust. Ich entspannte mich. Asha hatte mit ihrer aufgeschlossenen, lockeren Art schon immer gewusst, wie sie mich aufheitern oder ablenken konnte. Lächelnd trat ich von ihr zurück.

Sie legte den Kopf schief, als sie mich von oben bis unten musterte. »Du bist nicht mehr der kleine schmächtige Junge von früher.« Sie drückte meinen Oberarm und hob anerkennend eine Braue. »Du hast wohl viel trainiert. Passt zu dir. Jetzt bist du so heiß wie Feuer. Ich sollte aufpassen, dass ich mich nicht an dir verbrenne.« Sie grinste mich an und ich lachte verhalten. Sie hatte noch nie ein Blatt vor den Mund genommen und klopfte gern große Sprüche – auch wenn sie noch so schlecht waren.

»Du siehst auch gut aus«, entgegnete ich nach einer kurzen Pause, weil mir nichts Besseres einfiel und es die Wahrheit war.

»Danke, ich weiß«, gab Asha neckisch zurück und seufzte bedauernd. »Warum sind eigentlich die häufigsten Anlässe, zu denen man sich nach Jahren wiedertrifft, Krisensituationen oder Beerdigungen?«

»Manchmal auch Hochzeiten«, meinte ich achselzuckend.

Sie schob die Unterlippe vor. »Eher selten heutzutage.«

»Ich versuche nur, positiv zu denken«, sagte ich und bemühte mich um ein lockeres Grinsen.

»Seit wann denn das? So kenne ich dich gar nicht, Dalton.« Sie seufzte noch einmal. »Glaub mir, eine Hochzeit wäre mir auch lieber gewesen.«

»Kommt vielleicht noch«, scherzte ich, obwohl eine Heirat wohl das Letzte war, das in der aktuellen Lage passieren würde.

Asha sah mich überrascht an, ehe ihre Lippen sich zu einem Grinsen verzogen. »Ach ja? Wie habe ich das denn zu verstehen?«, neckte sie mich. »Hast du etwa eine Freundin?«

Ich bemühte mich um eine neutrale Miene. Gedanken an Salina verursachten gerade zu viel Schmerz. Vielleicht würde es helfen, mit Asha darüber zu sprechen. Aber ich wollte den schönen Moment nicht ruinieren.

»Nein, habe ich nicht«, antwortete ich deshalb knapp und schaffte es sogar, ebenfalls zu grinsen.

Ich war erleichtert, dass das Gespräch sich so einfach und zwanglos anfühlte. Als wären keine sechs Jahre vergangen, seit wir uns das letzte Mal persönlich gegenübergestanden hatten. Wer weiß, was bei Asha in den letzten Monaten los gewesen war. Vielleicht wäre der Kontakt so oder so abgebrochen, wie das manchmal passierte, wenn man sich aus den Augen verlor. Wobei tiefe Freundschaften so stark waren, dass sie auch Distanzen standhielten. Jedenfalls schuldete ich ihr noch eine Erklärung.

»Bist du eigentlich sauer, weil ich mich … nicht mehr bei dir gemeldet habe?«, wagte ich zu fragen.

Asha sah mich ernst an. »Ich war wütend, o ja. Aber noch mehr war ich verletzt. Ich kann verstehen, dass dir der Tod deiner Mutter sehr zugesetzt hat. Aber wir waren so lange Freunde. Komm das nächste Mal, wenn du Probleme oder etwas auf dem Herzen hast, einfach auf mich zu. Ich werde dir zuhören und für dich da sein. Darauf hast du mein Wort, Kyron.«

Auch wenn ich bei Bastian und seinen Kumpels auf die falschen Freunde gesetzt hatte, mit Jodie und Asha hatte ich dafür umso mehr Glück gehabt. Die beiden Frauen waren zwar so ziemlich das Gegenteil voneinander, aber sie hatten eines gemein: ein großes Herz. Irgendwie erinnerten sie mich an meine Mutter, die auch immer ein offenes Ohr für mich gehabt hatte.

Obwohl ich nicht nah am Wasser gebaut war, spürte ich einen Kloß im Hals, den ich schnell hinunterschluckte. »Danke, Asha, das bedeutet mir viel«, flüsterte ich. Nur wenige Sekunden später fand ich mich abermals in ihrer Umarmung wieder. Sie drückte mich fest an sich. »Ich hab dich lieb, Kyron. Und ich bin froh, dass wir uns wiederhaben.«

»Ich auch«, erwiderte ich ehrlich.

Ich war froh, dass sie wieder hier war. Je mehr Freunde ich in diesen Zeiten um mich hatte, desto besser.

Kapitel 4

Kyron

Asha und ich überquerten den Innenhof, um zu meinem Zimmer im Salt Tower zu gehen. Auf halbem Weg stieß plötzlich Bastian zu uns.

Ruckartig blieb ich stehen. Erinnerungen prasselten auf mich ein. Davon, wie ich ihn in Salinas Zelle angetroffen hatte, als sie im White Tower eingesperrt war. Wie Bastian sie unter der Treppe erwischte, als die Lichtwesen nach einem schweren Kampf zurückkehrten. Wie er mich davon abgehalten hatte, Salina zu helfen, als ihr Bruder sie in eine Seelenlose verwandelt hatte.

Meine Wut auf ihn kroch langsam, aber sicher an die Oberfläche und ich verzog säuerlich den Mund. Bastian trug seine dunkle Uniform – bestehend aus einer schwarzen Hose und einem T-Shirt sowie einer gefütterten Jacke. Vermutlich hatte er heute Außendienst und wartete auf seine Kameraden, um weitere unschuldige Schattenwesen zu fangen oder zu töten. Allein bei dem Gedanken wurde mir übel.

»Ach«, machte Bastian überrascht, als sein Blick auf Asha fiel. Mich ignorierte er. »Du bist auch wieder hier? Wobei, Priamos sagte ja, dass er alle Clans eingeladen hat.«

»Jap«, erwiderte Asha. »Ich habe euch zu sehr vermisst«, scherzte sie. Doch dann wurde sie ernst. »Spaß beiseite. Das habe ich wirklich.«

Sie umarmte Bastian zur Begrüßung. Die beiden waren ebenfalls befreundet gewesen. Wenn Asha erfuhr, was er Salina und mir angetan hatte, würde sie dann genauso wütend auf ihn sein wie ich?