Löwenstimm - 1 - Sonja Kowalski SKG - E-Book

Löwenstimm - 1 E-Book

Sonja Kowalski (SKG)

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

  "Die Kriminalkommissarin Tala von Löwenstimm ist weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen und macht damit dem unerfahrenen neuen Kollegen, dem jungen Lennart Assmuth den Neustart in der Mordkommission Eckenburg, nicht gerade einfach. Dabei wäre eine reibungslose Zusammenarbeit um so drängender, denn der Mord an Carmen Reyler, der Betreiberin des Ponyhofs Maximus, führen die ehemalige Turnierreiterin Tala zu alten Bekannten, guten Freunden - und auch auf schmerzhafte Scheidewege. Lennart erfährt wie auch unter Pferdehaltern Streit eskalieren kann um den richtigen Impfstatus, wie skrupellose Händler ahnungslose Käufer betrügen und Turnierreiterei mitunter zu einem dreckiges Geschäft werden kann. Die Verdächtigen werden immer mehr statt weniger und selbst der seltsame und stets so beherrschte Dienststellenleiter Konner Kollberg, gerät an eine Grenze. Der Fall fordert alle."

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sonja Kowalski SKG

Löwenstimm - 1

Das Leben ist kein Ponyhof

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

„Löwenstimm“ - 1 -

 

 

 

„Löwenstimm“ - 1 -

 

 

Das Leben ist kein Ponyhof

Das Leben ist kein Ponyhof  

 

Kapitel 1 ~ Neuigkeiten~

 

Kapitel 1 ~ Neuigkeiten~

 

„Nanu, Konner, - hier oben sieht man Sie auch selten!“, grüßte erstaunt der Kriminalrat Oppermann den Ersten Kriminalhauptkommissar Kollberg auf den oberen Fluren der Führungsetage des Polizeipräsidiums.

„Nun ja, es hieß, wir bekämen endlich eine  weitere Unterstützung in unser Kommissariat. Dazu muss man sich hier oben schon mal blicken lassen.“

„An den Budgetkürzungen vorbei? - Mann, Sie müssen mir unbedingt mal sagen, wie Sie das hingebogen haben!“

„Gebogen hat sich höchstens die Kurve der schweren Verbrechen und das nach oben, das wird der eigentliche Grund sein“, erwiderte der KHK und hob schon freundlich die Hand zum Abschied. Er wurde erwartet.

Konstantin Kollberg, der Leiter der Ständigen Mordkommission der Kapitale Eckenburg, war sehr wohl allgemein geschätzt und seine Qualitäten waren unumstritten, aber bei niemandem wuchs der Impuls mit dem ernsten Mann kameradschaftliche Hiebe zwischen die Schulterblätter auszutauschen. Ein  Schwatz auf Fluren war eher Ausnahme als Regel.

Als er vorgelassen wurde wartete in dem Büro mit dem Polizeipräsidenten auch seine unmittelbare Vorgesetzte, die Kriminalrätin Brigitte Sonderburg.

„Kollberg, mein Guter!“, trompete Jürgen Marquardt. „Schön, dass Sie gleich kommen konnten!“

„Gute Nachrichten machen die Wege leicht.“

„Ganz recht, - nehmen Sie Platz, mein Bester!“

Er bemerkte Sonderburgs verhangene Miene und wollte so recht nicht mehr an gute Nachrichten glauben.

„Die Mordkommission erhält endlich eine Verstärkung?“

„Keine Umschweife, Kollberg, - so loben wir uns das!“, fiel Marquardt in seinen Schreibtischsessel und rückte sich die schwere Hornbrille auf seiner kleinen Nase zurecht. „Tja, mein Lieber, wir hätten da tatsächlich einen jungen Mann für Ihre Truppe. Er kommt aus dem Dezernat Wirtschaftskriminalität, wo er allerdings nicht ganz glücklich zu werden schien. - Er selbst sieht seine Talente wohl eher im polizeilich praktischen Bereich und hat gebeten ihn an eine Stelle weiter zu reichen die seinen Talenten mehr entspräche...“

„Seit wann funktioniert so etwas nach der Maxime Wünsch-Dir-Was?“, entfuhr es Kollberg argwöhnend, als sich auch schon unter dem Tisch die Hand der Kriminalrätin hinüber schob und ihn unsanft in die Rippen stupste.

Marquardt schielte über die dicken Gläser. „Mein guter Kollberg, die Talente dieses Lennart Assmuth sind unbestritten und es ist nicht einzusehen, sie versauern zu lassen in einer Kommission, die – sagen wir, nicht das rechte Händchen hatte.“

„Er ist ein schwieriger Typ?“

„Nein! - Ganz und gar nicht! - Er stammt aus einer sehr guten Familie!“, beeilte sich der Präsident zu versichern und nun verstand Konner auch die kleine Aktion seiner Vorgesetzten. „Mag sein, in mancherlei Hinsicht wirkt er doch ein wenig unbedarft, etwas weniger verdorben von unserem so harten täglich Brot, wenn sie verstehen was ich meine?“

„Mit anderen Worten, statt eine Unterstützung zu erhalten, werden wir nun eine Art …  - Babysitter?“

„ - Ausbildungsstätte!“, hob Marquardt den Finger und unterstrich: „Höchstens!“

Sonderburg und Kollberg wechselten einen Blick, der dem Gegenüber nicht verborgen blieb. „Er wird sich schnell einfinden.  - Voraus gesetzt man bringt ihn mit den richtigen Leuten zusammen, die ihm hier und dort ein wenig unter die Arme greifen, wird er recht rasch einen sehr brauchbaren Ermittler abgeben. Davon bin ich genau so überzeugt wie seine damaligen Dozenten auf der Polizeihochschule. - Aber genau  das bringt mich zu dem Punkt, der mir Bauchschmerzen bereitet...“

Der Dienstellenleiter ächzte leise, er wusste was nun kommen würde.

„… Löwenstimm.“

„Kriminalhauptkommissarin Tala von Löwenstimm wäre untröstlich zu wissen, unserem geschätzten Polizeipräsidenten Schmerzen zu bereiten“, versuchte er denn auch gleich eine Ladung Salbe auf ein schwärendes Thema zu reiben.

„Es wäre ihr vollkommen gleich!“, widersprach Marquardt unerwartet scharf. „Genauso  wie ihr unerhört viele Dinge egal sind!“

„Löwenstimm ist die eine große Stütze meines Teams“, begegnete Konstantin Kollberg mit fester Stimme und stellte klar: „ - Der  junge  Mann wird mit ihr auskommen, oder nicht. Es liegt an ihm sich auf das einzulassen was wir sind - oder eben Wanderpokal zu werden bis er irgendwann eine Stelle hat die ihm  - und seiner Familie -  gefällt.“

„Konstantin“, mengte sich die Kriminalrätin ins Gespräch. „ - Die Zahl der Beschwerden über Löwenstimm ist so hoch wie die aller anderen Beamten zusammen genommen! - Da kann man sich nicht immer heraus reden!“

„Sie wurde in den letzten beiden Jahren zu sage und schreibe drei Sensibilisierungsgesprächen gebeten, zwei Kriminalhauptkommissare und Kriminalrat Oppermann saßen ihr dabei gegenüber um die Standpunkte des Präsidiums deutlich zu machen. Keinem der Herren wäre dabei aufgefallen, dass sie sich grob widersprüchlich zu dem verhalten hätte, was Recht und Gesetz ihr zubilligen. Drei Disziplinarmaßnahmen und drei Mal im Ergebnis gleich Null.“

„Streiten wir uns nicht!“ - Nur mit Mühe brachte sich Marquardt dazu seine wülstigen Lippen zu einem Lächeln zu biegen. „ - Mein lieber Hauptkommissar, der Kriminaloberkommissar Lennart Assmuth stößt heute Nachmittag das erste Mal zu ihrem Team. Ab Morgen dann beginnt er seinen regulären Dienst bei der Mordkommission“, reichte er ihm die zugehörige Mappe nebst den Personalbögen.

„Ich weiß, ich sollte mich bedanken. Doch ich weiß nicht recht wofür“, nahm der Dienststellenleiter die Papiere aus den Händen des Polizeipräsidenten. Der senkte wieder den Kopf und blickte ernst über den Hornrand der Brille. „Mir scheint“, meinte er etwas angestrengt, „Löwenstimm beginnt abzufärben.“

Konner Kollberg verabschiedete sich gänzlich ernüchtert und verließ das Büro  ohne sich noch einmal umzublicken. Zurück blieben Polizeipräsident und Kriminalrätin und beiden gemein war ein ehrlicher Seufzer.

„Sie ist sein Softspot“, wusste Sonderburg. „Es ist nicht zu erwarten, er würde jemals in die Klagen über sie einstimmen.“

„Ich frage mich ernsthaft, ob es bei ihm nicht mehr ist?“

„Iwo! - Er ist Profi durch und durch!“, zeigte sich die Vorgesetzten überzeugt und erinnerte: „Sie ist Kriminalhauptkommissarin und das nicht ohne Grund. Sie ist erfolgreich in dem was sie tut – und sie hat das Team auf ihrer Seite.“

„Ich habe hier die Klage aus dem Golfclub Eckenburg e.V. vorliegen, - Menschenskinder, ich kenne den Vorsitzenden dort seit Jahrzehnten und derart aufgebracht habe ich ihn noch nie erlebt!“

Brigitte Sonderburg nickte. So war das eben, zum Lob gehörten immer auch die Prügel.

 

 

Lennart Assmuth war groß gewachsen, blond, hatte helle Augen, wirkte trainiert und schlank, das junge Gesicht war nicht unsympathisch – doch nun stand er nur vor der halben Glastür zum Besprechungszimmer, unschlüssig und schüchtern wie ein Sechstklässler nach einem Schulwechsel vor der neuen Klasse.

Gerd Löffler und Kai-Uwe Krell wechselten schon fragende Blicke, aber keinem stand der Sinn danach aufzustehen und den Kerl zu fragen. „Irgendein Kollege“, raunte Löffel zu Kalle Krell über den PC-Bildschirm. „Trägt keine Jacke“, nickte der Kollege, „wartet vielleicht auf den Chef?“

„Ach, - mir schwant da was! - Der wollte doch fragen wegen `nem Neuen. - Das wird doch nicht das Käuzchen hier sein?“, wackelte Gerds  Schnauzer missliebig.

„Den macht die gute Tala gleich platt...“, unkte Kalle.

„Abwarten, vielleicht gefällt ihr ja so ein braves Hündchen. Sie war noch immer für Überraschungen gut.“

„Wo steckt sie überhaupt?“

„Die Beerdigung der Laubhahn war doch heute.“

„Heute erst? - Brauchten die so lange die Leiche freizugeben? Sogar das Urteil steht seit Wochen!“

„So hat sie es gestern jedenfalls gesagt. Sie war noch auf jeder Beerdigung unserer Toten.“

„ - Ach, Entschuldigung“, streckte das Käuzchen doch den Kopf durch die Tür, „der Leiter der Dienstelle…?“

„Ist gerade nicht hier“, gab Löffler an, stand dann doch auf und ging zu dem jungen Mann. „Was wollen Sie denn von ihm?“

„Ja, also“, war der nervös, wischte mit einer Hand über den Mund, „das ist hier doch die Mordkommission Eckenburg?“

„Nun, - wir befinden uns hier in Eckenburg, ganz recht“, blickte Löffel vielsagend über die Schulter. „Und das hier ist die Mordkommission. So steht es auch auf dem Schild da, gleich neben der Tür, sehen Sie?  - Was wollen Sie von Kollberg?“

„Tja nun, - es hat geheißen, dass ich ab Morgen hier anfange.“

„Hier? Sie?“

„ - Ja, - oh, entschuldigen Sie“, streckte der Junge die Hand aus, „mein Name ist Lennart Assmuth, - Kriminaloberkommissar. - Bis gestern noch im Dezernat Wirtschaftskriminalität.“

„Ach“, kam nun auch Kalle näher, „und da geht man einfach her und verbringt einen aus der Wirtschaftskriminalität in die Mordkommission?“

„Eher ungewöhnlich, ich weiß. - Aber ich hatte mich schon vor einiger Zeit in die Mordkommission beworben – und als ich hörte, dass eine weitere Stelle geschaffen würde, habe ich gleich meinen Hut in den Ring geworfen.“

Endlich erbarmte sich Löffel denn doch und griff die Hand, Kalle Krell beließ es bei einem Begrüßungsnicken.

„So“, meinte Assmuth und ließ den Blick schweifen. „Das ist nun also die Mordkommission?“

„Ja“, machte Gerd Löffler einen Schritt zur Seite. Der junge Kerl befremdete ihn, stand der hier herum wie ein Kind vor dem Nikolaus.

„Wir stehen in unserem Besprechungszimmer, - sollte es jedenfalls sein, woanders aber hatten unsere Tische eben keinen Platz. - Hinter der Tür mit der Milchglasscheibe sitzt der Chef, KHK Konstantin Kollberg. Wir sind hier übrigens alle per Sie, also mit dem Chef und er mit uns, da legt er Wert drauf! - Sie und Vorname, damit spricht er uns an. Untereinander sind wir per Du. - Was allerdings Tala angeht, sie…“, zog Löffler die Luft durch die Zähne, „naja, die wirst Du noch kennenlernen. Sie ist KHK und Du näherst Dich ihr wohl erst Mal – etwas abwartend.“

„Abwartend?“, zeigte sich Krell offen verwundert über die Wortwahl des Kollegen. Der lange Endvierziger überlegte seinerseits, blies die Backen: „Ich denke, gefasst, trifft es eher.“

Löffler nickte.

„Zugegeben, man hört so Manches. So groß ist das Präsidium nicht, dass man ihren Namen nicht schon gehört hätte, aber...“

Die Milchglastür schob sich auf, Konner Kollberg erschien darin und wie auf ein unsichtbares Zeichen hin, begaben sich beide Oberkommissare wieder zu ihren Schreibtischen und nahmen dahinter Platz. „Der OK Assmuth, - er wollte zu Ihnen, Chef!“, erklärte Löffel und zeigte mit dem Daumen hinter sich.

„Dachte ich mir schon“, schob der Dienststellenleiter das Kinn nach vorn, Löffler und Krell sahen sich an. Erfreut sah der Boss nicht gerade aus.

„Kommen Sie rein, Assmuth.“

 

 

Dienstbeginn war halb neun Uhr Morgens. - Immer voraus gesetzt kein aktueller Fall erforderte die besondere Einsatzfreude der Kommissare.

Lennart hatte vorbildlich sein wollen und war schon um Sieben in den Räumen seinen neuen Kommission eingetroffen. Es hatte ihm nicht gefallen, wie reserviert der KHK Kollberg auf ihn reagiert hatte. - Schließlich war es kein Geheimnis wie lange der um die zusätzliche Stelle gekämpft hatte. Aber noch weniger gefielen ihm die Andeutungen bezüglich der zweiten KHK von Löwenstimm.

Als er sich auf die neue Stelle beworben hatte, hatte er sich naturgemäß einiges davon versprochen, doch sicher nicht, dass er sich bei der neuen Kollegin auf etwas gefasst machen solle. Sicher, innerhalb der Kollegenschaft eilte ihr ein Ruf voraus, sie galt als wenig angepasst, aber nicht als extravagant – und erfolgreich war sie überdies.

Aber Kollberg hatte gestern seine Beurteilungen in Händen gehalten und in seinem Beisein aufmerksam gelesen ohne eine Miene zu verziehen. Immerhin galt Lennart als ein Ass in Internetrecherchen, kannte sich auch im Darknet etwas aus und es verwunderte ihn ehrlich, wie alleine das bei einem Vorgesetzten ganz ohne Widerhall bleiben konnte.

Doch wenn er ehrlich war, ganz unbefangen war auch er nicht in diesem Büro gesessen. Kollberg galt eben als unnahbarer Geselle. Er hielt eher auf Distanz und beharrte auf Hierarchien, in der Kantine sah man ihn selten. So nah wie gestern war er nie vor ihm gewesen und er hätte lügen müssen, hätte er seine Augen nicht ein paar Mal zu gebannt auf den Narbenkranz über dem Kragen am Hals des Mannes kleben gehabt. Er hatte mal dazu Gesprächsfetzen auf geschnappt, wonach durch einen Unfall im Chemieunterricht in der Schule, Kollbergs Haut am Oberkörper bis zum Hals verbrannt worden war – und ein Klassenkamerad dabei das Leben verloren hatte. Mochte sein das ernsthafte Naturell des Mannes wurzelte im Geschehen jenes traurigen Tages. Lennarts Stimmung jedenfalls hatte die Bekanntschaft mit dieser Natur eher nicht aufgeholfen.

Es war ihm nun alles andere als fremd sich den Respekt von Kollegen erst noch erarbeiten zu müssen, aber wie emsig er sich auch stets bemüht hatte, so richtig gelungen war ihm das noch nirgendwo. Er war einfach kein Ankommer.

Immerhin, sie hatte ihm einen weiteren Schreibtisch in den zweckentfremdeten Beratungsraum geschoben, Monitor und PC angeschlossen, eine Mappe mit den Passwörtern und Zugängen. Was das anging konnte man meinen, hier erwartete man tatsächlich eine fähige Kraft hin zu zu gewinnen. Er hoffte sehr, bald mit seinen Möglichkeiten einen guten Eindruck hinterlassen zu können.  

Interessiert las er sich darum im Intranet die Berichte der jüngsten Fälle der Kollberg-Kommission durch. Und obschon es alles in der Antisepsis des Polizeibeamtendeutsch verfasst war, fand er alles unerhört fesselnd. - Wie deutlich wurde, wie sich Schritt für Schritt, Beobachtung für Beobachtung, Verhör für Verhör, die Sachlagen immer weiter aufklarten, wie sich Spurensicherungen und Obduktionen zu einem Bild zusammen fassten von Umständen eines gewaltsamen Todes – und letztlich alles zusammen auf die Spur führte, derer die dafür Verantwortung trugen.

In ihm wühlte die Unruhe, er wolle nicht nur hier sitzen und auf Bildschirme starren. Etwas sollte seinen Tatendrang unterstreichen.

Auf dem Fensterbrett hinter dem seitlich aufgestellten Tisch stand eine Sprühflasche mit Reiniger und er verfiel der unsinnigen Idee etwas Staub zu wischen.

Eine schmale Tür führte in eine kleine Abstellkammer, sie barg nur Aktenschränke, wie er bei einem schnellen Blick gesehen hatte und er staunte nicht schlecht, als er das Neonlicht anknipste und erkannte wie sich in der Enge des Raumes auf einer langen halbhohen Ablage, eine Kaffeemaschine in einen Winkel quetschte. Darüber ragte ein  einsamer Hängeschrank hinein.

Gerade als er ihn öffnen wollte, erschien Gerd Löffler wortlos in der kleinen Tür, schob sich neben ihn und angelte Filter und Kaffeedose aus dem Einsamen. Ein paar Schepperer später stand ein Rudel Tassen neben einem braunen Bastkörbchen in das der Kommissar eine Tüte Brezeln leerte. „Eigentlich“, merkte Löffler an, während er konzentriert den Maßlöffel in den Filter zählte, „macht der Erste im Büro immer auch die erste Kanne Kaffee.“

„Ich – ich wusste bis eben noch nicht mal dass da eine Maschine steht!“, erklärte Lennart baff, aber ehrlich. Er war der Neue. Wenn irgendetwas zählte, dann Ehrlichkeit. Das hatte er gelernt.

Gerd nickte. „Sieben gestrichene Löffel, - merken!“ - Er deutete auf die Flasche und den Wischlappen: „Sauberkeitstick?“

„Nicht wirklich. - Ich wollte mich nur ein wenig nützlich machen.“

„So“, nickte Löffler wieder.

Dann begab der sich nur an seinen Platz, hängte die Jacke über den Stuhl, fuhr seinen PC hoch und setzte sich.

Lennart Assmuth kam sich geduldet vor.

„Was dagegen, wenn ich meine Tasse dazu stelle?“, fragte er tapfer.

„Jeden Freitag zehn Euro in die Kaffeekasse“, erwiderte der Mann mit dem vollen graumelierten Haupthaar und dem weißen Schnauzer, meldete sich im System an, blickte dann aber doch noch auf und brummte: „Aber weil es der erste Tag ist, geht die erste Tasse wohl aufs Haus.“

„Okay, danke!“

„Aber die Brezeln sind abgezählt!“, mahnte es hinter Lennart her.

Assmuth fingerte gerade aus seiner Hosentasche sein Portemonnaie um nicht schon am ersten Tag mit Schulden in der Teamkasse aufwarten zu müssen, da trat schon Kai-Uwe Krell durch die Tür, stutzte kurz als er auf dem neu aufgestellten Tisch den abgestellten Reiniger plus Lappen stehen sah, raunte dann aber doch ein „Morgen!“ in den Raum.

„Guten Morgen, Herr Krell...“

„Morgen, Kalle, - Kaffee läuft erst noch durch..!“

„Brezeln?“

„Wo sie immer sind.“

Lennart war enttäuscht, die formelle Anrede hätte er gerne ersetzt bekommen mit dem Angebot eines „Du“, aber so weit war mal wohl noch nicht.

Tala von Löwenstimm stieß sich zu ihnen durch die Tür. Sie war relativ klein, Lennart schätzte sie spontan auf 164cm, nicht mehr. Die kurz geschnittenen grau blonden Haare verrieten ein Alter, das man dem Gesicht nicht unbedingt ansah. Hinter den runden Gläsern der dunkelblauen Hornbrille blitzte es aus hellen Augen hellwach zu ihm nach oben. Sie schwang ihre Schultertasche herunter und platzierte sie zielgenau am Bein ihres Tisches. Der Verschluss schlug ein kräftiges Fis aus dem metallenen Tischbein. Auch sie knöpfte sich ihre olivgrüne Kapuzenjacke auf und hängte sie über die Lehne ihres Stuhls. Lennart kannte sie vom Sehen, ihre beiden langen Narben am Kinn waren ihm bekannt. Aus der Nähe wirkten sie dennoch auf ihn. Sie verzogen ihr Gesicht sobald sie sprach.

„Guten Morgen heißt das hier, junger Mann!“, ließ sie ihn denn auch gleich wissen. „Ganz gleich ob er auch einer ist.“

„Oh, ja sicher, - guten Morgen, Frau von Löwenstimm!“, - sagt´s und machte spontan einen angedeuteten Diener.

„Ne, Jungchen“, schnaubte sie verblüfft, „Verbeugungen machen wir hier keine, - das merke Dir mal ganz schnell!“

„Der Kaffee ist durch!“, rief Löffel von hinten.

„Jau, danke Dir! - Apropos, hast du den Kaffee mit Spiritus aufgesetzt?“

„Der Neue hat ein wenig herum gewischt“, erklärte Krell, „ihm war wohl langweilig.“

„Jaaaa“, dehnte Tala und funkelte zu dem Reiniger auf dem Tisch des Neuen, „das ist immer so: Gib einem Kerl eine Flasche Fensterreiniger – und er putzt dir damit das ganze Haus.“

Lennart sah auf das Etikett der Sprühflasche auf seinem Schreibtisch: „Verdammt!“, entfuhr es ihm halblaut.

Im selben Augenblick betrat Kollberg den Raum, den Mantel über dem Arm, die Laptoptasche in der anderen Hand. Eine feine Spur Rasierwasser stritt sich mit dem Kaffee und dem Reiniger um eine Sekunde Lufthoheit, als er sie geradewegs passierte und ein „Guten Morgen, miteinander!“, zurück ließ.

Nachdem er den Mantel über einen Bügel gehängt und den PC hochgefahren hatte, begab er sich zu ihnen nach draußen. Ein Blick bannte Lennart, der andere Tala: „Okay - machen wir die Sache offiziell!“, stellte sich der Dienstellenleiter in die Mitte und wartete bis die anderen ihn auch alle um standen.

„Also, dieser junge Mann hier, ist der Kriminaloberkommissar Lennart Assmuth. Das neue Mitglied in der Kommission. Er hat zuletzt im Dezernat gegen Wirtschaftskriminalität mit gemischt und hatte sich da den Ruf erarbeitet recht fähig im Bereich Internet und Internetrecherche zu sein. Auch war er schon in Außeneinsätzen dabei, auch schon bei Razzien. - Sie werden sehen, Lennart, dass es hier vielleicht nicht unbedingt ruhiger zu geht, aber doch anders. Wie ich Ihnen gestern bereits erklärt habe, brauchen wir keine Rambos die glauben hier wäre es wie im Fernsehen.  - Ich habe in Ihrer Akte gesehen, dass sie sehr wohl ein passabler Schütze sind und auch ihre Bewertungen aus den Selbstverteidigungskursen können sich sehen lassen. Tun Sie sich selbst etwas Gutes und lassen nicht zu, dass mir beide Talente zu einem Kummer werden. - Wir sind eine recht kleine Kommission, Aufgabenverteilung gibt es hier keine, hier muss jeder alles können und auch machen, am Besten ohne zu murren. Wir verlassen uns aufeinander. - Sie reden mich mit Sie an, wie ich Sie ebenso sieze. Ich bin kein Freund allzu flacher Hierarchien, dennoch ist das kein Grund nicht gut miteinander auszukommen. - Sollten Sie mit irgendwas Probleme haben oder bekommen, kommen Sie immer erst zu mir.  - Wir haben noch für alles eine faire Lösung gefunden. - Vorerst“, machte er eine Kopfbewegung hin zu der einzigen Frau im Raum, „werde ich Sie KHK Löwenstimm direkt unterstellen. Sie werden ihr neuer Fahrer..“

„Frei, frei, frei!“, reckte Krell erleichtert die Arme in die Höhe.

„… und bleiben auch sonst erst Mal an ihrer Seite. Ich denke so finden Sie am Ehesten in die ganzen Dinge hinein. - Von Ihrer Seite dazu noch Fragen, Lennart?“

„Äh, ich… nein, nein, keine Fragen.“

„ - Na denn, Lennart Assmuth, Willkommen im Team!“, hielt ihm Kollberg die Hand hin, die der Junge hastig griff und einen sehr kurzen Druck später schon wieder los war.

„Nicht so schnell, Konner“, verhinderte Tala eine allzu schnellen Abgang des Vorgesetzten, „da soll es einen Leichenfund gegeben haben am frühen Morgen, der KDD hat die Leiche in der Gerichtsmedizin angemeldet. - Ist das was für uns?“

„Da wissen Sie mehr als ich, aber die Kollegen werden es uns schon rechtzeitig wissen lassen, Tala.“

„Ich steche ungern in die Wunde, Konner, aber der Kriminaldauerdienst hat diesen Monat schon einmal zu spät reagiert und uns und die Spurensicherung dadurch um wertvolle Zeit und Informationen gebracht!“

„Die Kollegen sind unterbesetzt wie wir..“

„Dessen bin ich mir im Klaren. Es ging auch nicht um einen Vorwurf, nur darum...“

„Sie kennen die Prozedere, Löwenstimm.  - Erst wenn der KDD einen unnatürliche Todesursache für gegeben ansieht, kommen wir ins Spiel… Aber ich sehe was ich tun kann, denen bei dieser Entscheidung unter die Arme zu greifen.“ - Zurück in seinem Büro nahm er hinter seinem Tisch Platz und hob sich den Hörer ans Ohr.

Die Frau wirkte mehr schicksalsergeben, als zufrieden, als sie sich zur Kaffeemaschine stellte und sich ihre Tasse füllte. Lennart trottete hinter her und tat es auch sonst der Kollegin gleich. Die warf einen stirnrunzelnden Blick auf seine blau-rote Tasse. „Hockeyclub Ulmenthal e.V.?“

„Ja. Ich habe dort einige Jahre gespielt, - war auch in der Jugendauswahl U-17 bei einem Bundesturnier! - Mit meiner Schulmannschaft waren wir zweimal Meister in der ...“

„Schulmannschaft? - In welcher Schule spielt man denn Feldhockey? - Sag mir nicht, du warst oben in Thessenheim, in diesem elenden Elite-Internat?“

Gerd Löfflers Kopf schwang von seiner Tastatur nach oben. Sein Blick hatte etwas Empörtes.

„Nein, nein!“ beeilte sich Lennart, „Ich war im Bodenfeld Institut.“

„Aha“, machte Tala, aber es war kein angenehmer Laut. Ihr Mund stand dabei halb offen, ihre Zunge stemmte sie gegen den zweitletzten Zahn des Unterkiefers. „Privatschüler also.“

„Naja, - meine Eltern hatten das so entschieden.“ - Es war nicht das erste Mal, dass die Erwähnung des Instituts ihm hoch gezogene Augenbrauen bescherte. Der Ausgangspunkt seiner Bildung brachte ihn immer neu in die Defensive. Ein Stress, der ihn um die Befriedigung brachte, wie selbstverständlich Löwenstimm ihn mit Du angeredet hatte.

Sie nickte und wirkte verständig: „Eltern“, meinte sie, „ - ja, dagegen kann man nichts machen.“

Beim besten Willen, Lennart vermochte bis jetzt nichts zu erkennen bei dieser Frau, was ihn auffordern würde sein Vermögen an Fassbarem aufzustocken.

Die Tassen waren noch nicht geleert, da trat Kollberg wieder in die Tür und nickte Tala zu. „Tatsächlich, eine Frauenleiche. Heute Morgen aufgefunden von ihrem Ehemann. Ich habe den KDD angerufen, Tala und da waren sie gar nicht mal unglücklich über unsere Neugier. Auffindeort war nämlich der Ponyhof „Maximus“ draußen bei Zehenbroich und da gäbe es eine Vielzahl von Vorfällen in der Vergangenheit, bei denen es ganz ratsam sei jemanden drüber sehen zu lassen, der von der Sache etwas verstünde. Die Tote, eine,“, er blickte in die Notiz am ausgestreckten Ende seines Armes, „Carmen Reyler betrieb diesen Ponyhof wohl und sei sichtlich gewaltsam zu Tode gekommen. Tatortmaßnahmen würden gerade noch durchgeführt...“

„ - Die Leiche?“

„Noch vor Ort, sie lassen alles so wie sie es vorfanden, bis wir eingetroffen sind!

„Na also! - Hat unser Protestgeheule doch etwas bewirkt!“ hob Löwenstimm schon die Jacke vom Stuhl.

„Ponyhof Maximus, - klingelt das was bei Ihnen, Tala?“

„Überhaupt nicht! - Zehenbroich ist klein, ich kann mir da weit und breit keinen Hof vorstellen, der genug Grund und Boden hätte mehr als drei oder vier Pferde unterzubringen!“

„Sie und Lennart machen sich auf den Weg, Tala, - Kalle und Löffler, Sie  sammeln hier noch letzte Informationen und folgen Ihnen dann.“

„ - Einverstanden.“

Auffordernd stellte sie sich neben Lennart, der aus seinem Sitz schoss und hektisch nach seiner Jacke griff.

„Wo andere einen Geduldsfaden haben, baumelt bei mir eine Zündschnur, Assmuth“, garnierte sie ihre Ungeduldsgebärde.

Über ihre Schulter flogen Autoschlüssel in seine Richtung und die Reflexe des Sportlers reichten nicht aus sie zu fangen. Scheppernd landeten sie unter seinem Tisch. Als er sie erfolgreich geangelt hatte, war sie schon durch die Tür in den Gang entschwunden.

Ihr fahrbarer Untersatz war ein silbergrauer BMW aus der Flotte der Fahrbereitschaft.

Er wollte gerade die Tür aufziehen, merkte dann aber wie Tala innehielt. „Das hier ist ein BMWuppdich...“

„Ein, - was?“

„So nenne ich ihn. Wenn ich Dich also mal auffordere Dich um den Wuppdich zu kümmern, ihn zu waschen, zu tränken, ihn auf Touren zu bringen, oder auch nur aufzusuchen ecetera“, stellte sie den Zeigefinger senkrecht auf das silberne Dach, „ist dieses Fahrzeug damit gemeint!“ - Sie stieg ein, schlug die Tür zu, Lennart folgte ihrem Beispiel, leidlich verwirrt. „Und das hier, ist mein Wuppdich-Platz. Mein Platz, meiner, ausschließlich. - Es sei denn der Chef chauffiert selbst, dann darfst Du. ABER – wehe Du vergisst danach den Sitz wieder auf die Ausgangsposition zurück zu stellen! Wehe!“

Er nickte, glaubte er jedenfalls und startete das stolze Coupe.

„Schon mal in Zehenbroich gewesen?“

„Nur durchgefahren.“ - Er steuerte durch den gemauerten Torbogen und in den Verkehr Eckenburgs hinein.

Erst als sie schon auf die Südliche Ringstraße ein bogen und seine neue Kollegin immer noch nichts gesagt und nur in ihr Smartphone geschaut hatte, tastete er sich langsam vor: „Du … hast damit zu tun? Ponys, Pferde und so?“

„Ich bin Turniere geritten, früher.“ - Nur kurz hatte sie die Nase vom Screen genommen.

„ - Ist das auch irgendeine familiäre Tradition, vielleicht? - Ich meine, von Löwenstimm?  - Husaren oder Dragoner oder so?“

Die Antwort wartete bis Tala sie mit einem schneidenden Blick in sein neugieriges Gesicht begleiten konnte: „Ich bin mein eigener Mensch!“

Fürs Erste war er nun eingeschüchtert genug und stellte erst Mal alle Konversation ein. Sehr leicht machte auch sie es ihm nicht, bedauerte er.

Gerade als sie auf die Landstraße 109 ein bogen, an deren Peripherie sich das Dorf Zehenbroich befand, ließ sie ihn wissen: „Löffel simst es sei ein Hof am Ortsausgang, Richtung Nackenwang, unterhalb des Wangener Forstes… Meine Güte, da soll ein Ponyhof hinein gepasst haben?“

Lennart verstand die Überraschung, als sie auf dem kleinen alten Bauernhof eintrafen, den Ärger in der Stimme seiner Kollegin eröffnete sich ihm hingegen nicht gleich. Die  Zufahrt überschlug schließlich ein einladend bunter Holzbogen mit der Aufschrift „Maximus“ nebst handgemalten Bildern von getüpfelten Ponys.

Zwei Streifenwagen parkten noch im Innenhof des ehemaligen Bauernhofes, zwei uniformierte Kollegen standen mit Zweien in Zivil zusammen. Der Leichenwagen parkte dicht an einer großen Schiebetür vor dem langgestreckten Seitenanbau, die wohl in die Ställe führte. Auf das Eintreffen des silbernen Fahrzeuges mit der Kennung des Präsidiums reagierte man sparsam.

„Micha Wennigkeit, - KDD, - mein Blutbruder!“, höhnte Tala. Sie schälte sich den Gurt von der Schulter: „Na denn, Lennart, - folge mir unauffällig! - Und wenn ich sage unauffällig, meine ich das auch so!“

„Oh, - okay...“

Sie stiegen aus und gingen zu den Beamten. Den Streifen nickte sie einen freundlichen Gruß zu, der erste der Zivilen aber kriegte die erste Breitseite: „Wennigkeit! - Gut siehst du heute aus , - hätte dich fast nicht erkannt!“

„Ist das der Dank dass wir Euch gleich gerufen haben? Ja, ich sogar nach Deinem fachmännischen Rat verlangt habe?“, beschwerte sich der Mitfünfziger sofort mit grimmig verengten Augen.

„Du hast zur Abwechslung mal deinen Job gemacht, dafür gibt´s bei mir keine Bonuspunkte!“, schob sie ihre Hände in die Gummihandschuhe. „Ach ja“, nickte sie neben sich, „OK Assmuth, unser Neuer. - Lennart, - die OK Wennigkeit und Huber, KDD.“

Die Männer tauschten Händedrücke aus, wobei Micha eher schon zu kondolieren schien.

„Das Opfer liegt wo? Drinnen?“, streifte sich die Kommissarin bereits die Schuhschützer mit einer geübten Bewegung über die Halbstiefel.

Lennart war eifrig ihr Tempo halten zu können, doch scheiterte kläglich. Aber zum ersten Mal heute zeigte sie Geduld mit ihm, hielt ihm sogar ihren Unteram hin, damit er sich daran festhalten konnte, während er auf einem Bein wankte.

„Rein und rechter Hand, am Ende des Stallganges.“

Sie gingen hinein und dann entlang einer Zahl von recht neu und säuberlich zusammen geschraubten aber leeren Stallboxen. Das Holz dünstete noch. Tala sog die Luft tief ein. Heuduft mengte sich mit Pferdeschweiß, Mistgestank mit einer guten Note Lederöl.

Schon von weitem erkannte Tala die Leiche. Unterhalb einer geöffneten Luke zu einem Heuboden, das Gesicht in einem Haufen des Raufutters vergraben, lag die Tote auf dem Bauch. Aus dem rotbraunen kurz gelockten Schopf, stachen drei klaffende steile Wunden hervor. Die Hiebe waren dicht neben einander gesetzt. Einer der Schläge hatte den Schädelknochen durchschlagen.

„Carmen Reyler, 37, hier wohnhaft und Betreiberin des Ponyhofes. Sie lebt hier mit ihrem Mann, Günther, 46. Er ist Postinspektor in Eckenburg und fand heute Morgen gegen Acht die Leiche seiner Frau. Ihr Kopf zeigt deutliche Spuren einer erheblichen Gewalteinwirkung mit einem stumpfen länglichen Gegenstand, etwa 15 cm lang. Bislang haben wir aber nichts gefunden, was als Tatwaffe in Frage kommen würde.“

„Die Forensiker und die KT waren schon da, hoffe ich?“

„Kamen mit uns und der SpuSi hier an.“

„Ist ihnen etwas aufgefallen?“

„Die Blutflecke sind rund. Das Opfer hat sich nach dem ersten Hieb schon nicht mehr vom Ort der Tat fort bewegt. Die Blutstreifen an der rechten Wand machen deutlich, dass die Tatwaffe mit der rechten Hand geführt worden sein muss.“

Die Spurensicherung hatte die Leiche und die Blutflecke an Boden und der  Wand, mit weißen Kreisen und Nummerntäfelchen markiert. Sie stand vor der Kreide und dem Blut und es wirkte auf Lennart, als scanne sie das Ende des Ganges mit ihrem Blick regelrecht ein. Sie schien gewillt keinen Millimeter ihrer Aufmerksamkeit entgehen zu lassen. Dann schloss sie die Augen und Lennart konnte sich nicht helfen, es sah genau so aus als versenke sie sich in diesen Ort. In etwa, als gelte es eine Schwingung abzufangen, einen letzten Rest jenes Zeitpunktes aufzuspüren an dem hier das Unfassbare geschah.  Auch Wennigkeit und Huber standen still, obwohl ein solches Verhalten doch eine Steilvorlage gewesen wäre Giftpfeile abzuschießen, die beide gewiss ausreichend im Köcher mit sich führten.

„Warum fand er sie?“, tauchte sie plötzlich wieder auf.

„Was?“

„Der Ehemann, - warum kam er in den Stall? - Er ist Beamter, verbringt die meiste Zeit im Büro. Aus Gewohnheit betritt der doch morgens keinen Stall, um dann den Rest des Tages nach Pferdeäpfeln zu riechen.“

„ - Das, meine werte Dame, sind genau die Feinsinnigkeiten für die Ihr ja jetzt verantwortlich zeichnet, ne? - Zu uns sagte er lediglich, er hätte etwas gehört und wäre dann in den Stall gelaufen – wo er sie dann fand.“

„Und wann hattest Du vor das Geräusch zu erwähnen?“, beschwerte sich die Kriminalhauptkommissarin.

„Löwin! - Der Mann ist ungeheuer durch den Wind!“, verteidigte Huber und Wennigkeit ergänzte: „ - Er faselt. Sofern Dir der Sinn nach festen Informationen steht, - kümmere Dich drum! - Ich schicke meinen Bericht an die Kommission und Dein Kollberg kann dann entscheiden, was er damit anfangen will. - Wir“, kehrte sich Micha dann um, „machen uns vom Acker. - Der Mann sitzt im Haus. - Viel Spaß!“

„Nur zu!“, ätzte Tala hinter den beiden Männern her. „Die Lücke, die ihr hier hinterlasst, ersetzt Euch voll und ganz!“

Sie erfasste Lennarts konsternierten Blick und erklärte: „Ich weiß, wir sind auf sie angewiesen und es wäre klüger mit ihnen besser umzugehen.“

„Warum sind wir also gerade nicht klug?“

„ - Es ist nicht immer so ideal wie heute. Wir kommen an die meisten Tatorte - und sehen nichts! Wurde eine unnatürliche Todesursache erst hinterher festgestellt, ist für uns unmittelbar kein Tatort mehr vorhanden. - Wir sind dann angewiesen auf die Aufnahmen der Auffindesituation, wie die Leiche lag, wie sie fiel, was um sie herum liegt, Abdrücke. Ihre Aufnahmen ersetzen uns den eigenen Augenschein! - Ich kann gar nicht mehr nachzählen, wie oft uns Michas Werke ins Leere laufen ließen, wie oft die Winkel nicht stimmten, die Belichtung grottig war und wie sagenhaft ignorant für Details der Kerl ist!“

„Darüber ging also die kurze Anmerkung heute Morgen?“

„Selbst Konner war oft genug ungehalten – und so leicht bekommt man ihn nicht aus der Fassung.“

„Und jetzt?“

Tala hob den Finger, zog ihr Smartphone aus der Tasche: „Input!“ - Sie drückte die Schnellwahl: „Löffel? - Alles klar, leg‘ los, - was muss ich wissen? Was war hier los?“ - Sie stellte den Lautsprecher an und gemeinsam hörten sie den Kollegen erst Mal tief durch prusten: „Nicht wenig, so viel ist sicher. Ich habe hier mehrere Anzeigen im System die mit dem Ponyhof und dem Namen Reyler in Verbindung stehen. Da gibt es einen Nachbarn, einen Landwirt wohl, Hinrich Nooke. Der wurde immer wieder angezeigt, mal von Carmen Reyler, mal von einem Günther Reyler. Ging wohl um einen Vollzug des Wegerechts. Das Gewohnheitsrecht hat dem Hof von Reyler die Durchfahrt über dessen Grundstück eingeräumt, das Nooke aber einfach gekippt hatte. Die Sache ist noch bei Gericht, ein Urteil liegt noch nicht vor.“

„Okay, - und weiter?“

„Dann wirds international. Ein Pferdehändler, ein Aron Haverkamp, aus Schneeverdingen in Holland hatte den Reylers mehrere Pferde verkauft. Carmen Reyler hatte ihn verklagt weil einige davon krank gewesen wären, was der Händler verheimlicht hätte. Gutachten bestätigte den Zustand der Pferde zwar, aber machten die Händler nicht haftbar, weil die Mängel wohl offensichtlich gewesen wären.“

„Sie verstand nichts von Pferden, so so.  - Okay, - Löffel, weiter?“

„Dann gibt´s hier ein wütendes Durcheinander zwischen den Reylers und einem Gisbert Kupfer und Markus Hollentagh.“

„Hollentagh?“, war Löwenstimm überrascht. Aber nicht freudig. „ - Er ist Reitlehrer auf Thessenheim, ich hatte früher mit ihm zu tun, auf dem ein oder anderen Turnierplatz. Was hatte sie denn mit dem zu schaffen?“

„Gisbert Kupfer hatte wohl ein Turnierpferd, das im Stall des Internats untergebracht war. Als es mal auf der Weide stand, ist wohl ein kleiner Hengst von der Weide des Ponyhofs ausgebrochen zu dem Pferd hin und soll es ein bisschen über die Weide gejagt haben. Anderntags habe man das teure Tier tot im Stall gefunden und der Kupfer machte den Hengst  und damit seine Eigentümerin dafür verantwortlich. - Als dann zwei Tage später Reylers zwei tote Ponys auf ihrer Weide aufgefunden haben, hatte sie wiederum den Kupfer in Verdacht, aus Rache die Vergiftung der Ponys beauftragt zu haben. Ganz wie sie – und so schließt sich der Kreis, auch vermutet hatten, dass Kupfer den Nooke bezahlt hätte, damit der den Zugangsweg dicht macht.“

„Uje“, rieb sich die KHK die Nasenwurzel. „Und Hollentaghs Rolle dabei war welche?“

„Er hatte die Anzeige erstattet wegen des Hengstes auf Thessenheims Weiden. Wenn ich das hier richtig lese, meinte er die Papiere der Ponys von Maximus wären lückenhaft und wiesen keinen komplettierten Impfschutz der Tiere aus.“

„Verstanden, Löffel, danke Dir! - Du und Kalle ihr kommt hierher und versucht mal ein erstes Gespräch mit dem Mann des Opfers. Ich und Lennart müssen einen Abstecher nach Nackenwang machen. Wir treffen uns dann auf dem Ponyhof.“

Sie bemerkte den konsternierten Blick des Neuen durchaus.

Assmuth schnallte sich an, startete den Motor: „Wohin in Nackenwang?“

„Nicht so zimperlich“, mahnte Tala. „Wenn du nicht verstehst was ich tue und warum, spucks ruhig aus. Ich bin durchaus zugänglich für die Fraktion Tacheles.“

Lennart schluckte diesen Rüffel. „Nun gut, - warum entfernen sich die Ermittler von einer Leiche, die noch in der Auffindesituation ist?“

„Der KDD war vor Ort, Tatortsmaßnahmen sind fertig durchgeführt und Ermittler fahren zu ihr wie zu ihrem Mann, Löffel und Kalle. Zudem sind ja noch die beiden von der Streife da und die Gerichtsmediziner und passen auf, dass die Geschädigte nicht geklaut wird. - Wir entfernen uns, weil ich mehr Input brauche, mehr an Background, als ich ihn gerade bekomme habe. Meine Philosophie ist, je mehr Informationen ich habe, desto präziser werden meine Fragen in den Verhören und immer geringer die Möglichkeiten der Gegenüber auszuweichen. In diesem Job, Lennart Assmuth, führen selten die Abkürzungen zum Ziel.“

„Wir fahren jetzt also wohin? Und Warum?“

„Das erste Gehöft nach dem Ausgang Nackenwang, Reiterhof Weilerhöhe. Die Besitzerin ist eine gute Bekannte von mir, Franziska Peikh. Sie ist die einzige Nachbarschaft, die in der Liste der Verklagten bislang nicht aufgetaucht ist. Aber bei dem was Carmen Reyler hier alles getrieben hat steht Ska nicht nur daneben und denkt sich ihren Teil.“

Ein bisschen verstand Lennart weswegen sich Tala entsetzt gezeigt hatte über die geringe Größe des Ponyhofes von dem sie kamen. Der Reiterhof Weilerhöhe bestand aus zwei großen L-förmigen Hofgebäuden die einen großen Innenhof um standen. Der Einfahrt gegenüber erstreckte sich ein langer Stalltrakt hinter dem gehorteter Pferdemist in das grau-grau eines Himmels aus Bleiglasur dampfte. Rechter Hand erhob sich frech eine  Reithalle in moderner Stahl-und Glasoptik aus der klinkerfarbenen Patina der übrigen Gebäude. Am unteren Ende des Stalles gab es einen kleinen Durchgang, der zu den dahinter liegenden großen und grünen Weiden und Koppeln führte.

Tala von Löwenstimm schien sich gut auszukennen.

Im Durchgang wiederum gab es einen Zugang zu den Ställen.

„Warten“, beschied sie ihm knapp und ging hinein. Lennart sah, wie sie die Gasse zwischen den Boxen betrat, kurz entlang blickte und dann gleich darauf wieder neben ihm stand. „Der Schatz ist nicht da, sie muss draußen sein.“

Ein paar Schritte in Richtung der ersten weißen Koppelzäune und schon sahen sie entfernt eine Frau auf einem Rappen die Koppelgasse hinunter traben.

Tala blickte Lennart auffordernd an: „Na los doch, junger Mann,  - die Frau da müssen wir sprechen. Halte sie auf!“

Brav joggte der junge OK auf den Spuren des Pferdes her, winkte ihr mit einem Arm: „Hallo? - Hallo!“

Der schickte Rappe stoppte, wendete und seine Reiterin blickte empört zu dem Heran geeilten herunter, schnaufte ihn an: „Ich bin kein Telefon!“

„Oh … okay, - aber meine Kollegin möchte Sie sprechen“, zeigte er den Weg hinauf an dessen Ende Löwenstimm grinsend winkte.

„Tala!“, lächelte Ska Peikh als sie bei der Kommissarin eintraf. „Länger nicht gesehen!“

Doch die schien nur Augen für den Schwarzen zu haben, strich ihm sanft aber vertraut über die Nüstern und die Stirn: „Hallo Schatz, mein Lieber, du wirst stolzer und schöner mit jedem Tag!“

„Allerdings – und er weiß es auch!“, strich seiner Reiterin ihm den Hals ehe sie abstieg. „Aber wenn er so weiter frisst, wird er uns noch nichts als fett!“

„Iwo!“, wuschelte Tala begeistert den Schopf des Tieres das an der Art der Behandlung sichtbar Gefallen hatte und Tala leicht gegen die Schulter stupfte. „Er arbeitet an der Ausweitung flauschbarer Grundfläche, gell Schatz?“

Wieder war Lennart verwirrt. Aber in gut. Die hellen Augen der Kollegin glänzten durch die kleinen Brillengläser, ihr Lachen war breit und in der unmittelbaren Gesellschaft des Tieres war alle vermutete Scham ob des durch die Narben verzogenen Gesichts, wie fort gewischt.

„Du bist aber nicht auf Besuch bei deinem alten Sportskameraden hier, nehme ich an?“

Die Unbefangenheit fiel in sich zusammen. Tala räusperte sich, straffte die Jacke und wollte dann wissen: „Fällt dir etwas ein zu einer Carmen Reyler?“

„Oh, lieber Himmel“, ächzte die Mittvierzigerin und warf ihren blonden Zopf nach hinten, „was ist nun schon wieder?“

Löwenstimm erwiderte nur mit einem auffordernden Blick.

„Na gut, sie kam mit ihrem Mann vor gut einem Jahr hier an, kaufte dem alten Bauer Stecher den Hof ab und meinte sie könnte hier einen Ponyhof aufziehen. Aber es fehlte an allem, vor allem an Pferdeverstand. Ließ sich von so einem holländischen Windhund ein paar Ponys andrehen, die der aus der Schlachtung gekauft haben muss, - weiß Gott wo in Europa. Die wenigsten waren überhaupt eingeritten und einige sogar kaum halfterführig. In dem Lot vom Holländer waren auch zwei Warmblüter – und ein Friese. - Tala, sieh dir den bloß nicht an! Der ist ein Fall für den Tierschutz! - Er soll Winterehe haben und deswegen diese Schmerzen in Hufen, aber wenn das kein Hufkrebs ist, habe ich noch nie einen gesehen!“

„Sie soll überhaupt einigen Ärger gehabt haben?“

„Es gibt keinen  Pferdehalter ringsum mit dem sie nicht im Clinch liegt!“

„Man hat ihr Ponys vergiftet?“

Ska schüttelte vehement den Kopf. „Das redet sie sich sein. Die armen Shettys sind an einer Sandkolik eingegangen, - das hat ihr die Hartmann auch klar zu machen versucht!“

„Äh, - Hartmann ist…?“, fädelte Lennart ein.

„Unsere Tierärztin hier draußen. - Aber die Reyler will das nicht gelten lassen. Die beiden könnten ja nicht zu selben Zeit eine Kolik bekommen haben.“

„Wenn man beiden zu selben Zeit das selbe füttert und sie es nicht vertragen, dann schon.“

„Eben! - Und jetzt stell dir vor, die hatte zu Anfang wirklich geglaubt, das bisschen Weide am Haus würde genügen, den Tieren im Sommer über Nahrung zu sein!  Von Weide-Management keinen blassen Schimmer! - Die Betty ist auch schon wieder um die Ponys gestrichen. Und stell Dir vor, - die hat sie machen lassen!  - Na, jedenfalls, Tala, so traurig es ist, Reylers fütterten zu,  mussten sie ja, aber statt Heu und Ohmd – suchte sie die Kosten niedrig zu halten und versorgte sich von einer Großbäckerei säckeweise mit altem Brot!“

„Brot?“, fuhr Löwenstimm hoch und Lennart erkannte eine wütende Falte, die die ganze Stirn spaltete. Sie saugte beide Augenbrauen fast bis zur Hälfte hinein. Die Lippen wurden schmal wie ein Knopfloch.

„Da stehen also diese Ponys auf dieser von diesem Scheiß-Dürresommer ausgetrockneten Weide, die ohnehin schon abgenagt ist – und ziehen noch die kleinsten Hälmchen aus den Böden“, klärte Peikh mit Blick zu Lennart auf.  „Natürlich mit den Wurzeln und der Erde und dem Sand der alles daran haftet. Das landet in der Verdauung der Ponys die zuvor mit dem Klebstoffanteil des Weizen und erst Recht des Roggen heillos überfordert ist!“

„Sandkolik, verstehe. Sie hat den Tod der Tiere also selbst verschuldet“, nickte Assmuth.

„Und will noch nicht mal etwas davon bemerkt haben! - Die hat von Pferden und Pferdehaltung null Ahnung! - Hat sich eine rosarote Brille über gezogen, wie toll es doch wäre, wenn man ein paar Ponys hätte, zu denen die Kinder aus der Stadt kommen könnten um mal ein bisschen darauf durch die Gegend zu juckeln! - Totaler Schwachsinn das!“

„Wie hat ihr Mann zu all diesen Dingen gestanden?“

„Wenn ich auf auf dem Hof war, hat er immer irgendwas gehandwerkelt. Darauf versteht er sich. - Aber was fragst du? - Weshalb seid ihr beiden hier?“

„Carmen Reyler wurde heute Morgen tot aufgefunden. - Fällt dir dazu etwas ein?“

Franziska Peikh blickte zwischen den beiden Kriminalern hin und her und erklärte dann verärgert: „Was soll mir dazu bitte einfallen?“

„Nicht böse sein, Ska, wir müssen fragen“, hob Tala die Hände um sie gleich darauf wieder um das vertraut an ihr reibende Pferdemaul zu legen. „Carmen Reyler schied nicht freiwillig aus dem Leben und Unfall war es ebenso keiner. Die Situation um sie herum war verfahren, sie hatte sich wenig Freunde gemacht, so weit verstehe ich es. Aber aller Unwille und alles Unverständnis das sie auf sich gezogen hat, - ist kein Motiv zu einer solchen Tat.“

„Warum fragst Du nach dem Mann?“

„Hast du jemals beobachtet, dass sie sich stritten, uneins gewesen wären was das Vorgehen betroffen hätte, gegen den Nooke zum Beispiel, oder die oben in Thessenheim?“

„Bei der Sache mit dem Nooke hatten sie mich sogar auf ihrer Seite, weiß Gott was in den alten Griesgram gefahren ist! - Da habe ich aber das Paar als Paar erlebt, sie zogen am selben Strang. Thessenheim war diese Sache mit diesem weißen Hengst der die teure Stute besucht hatte? - Da weiß ich nur was die Hartmann mir erzählt hat. Die Stute lag 20 Stunden später tot in der Box. Aortenabriss.  - Der Eigner, dieser Baulöwe Kupfer, ist darüber aus gerastet und soll wieder zu den Reylers auf den Hof gefahren sein, alle wüst beschimpft und eine Anzeige raus gehauen haben!“

„Wieder?“, hakte Lennart nach und Tala registriert zufrieden, wie wach der Neue war.

„Na, an dem Nachmittag, als Hollentagh und zwei seiner Jungs den Ausreißer zurück brachten, war er mit dabei und hat getobt, weil der Hengst die Stute wohl bestiegen haben soll. Hartmann fand zwar keine Anzeichen dafür bei der Stute, aber er wollte nicht hören...“

„Das Urteil der Tierärztin steht aber nicht sehr hoch im Kurs“, argwöhnte Assmuth.

„Zum ignoranten Arschloch mutiert so mancher – und erst Recht wenn man auf einer Elite-Auktion ein Pferd für 90.000€ ersteigert und große Pläne damit hatte.“

„Das heißt dann für mich, dass ich da hoch muss und dort nachfragen“, seufzte Tala von Löwenstimm und rollte die Augen: „Hollentagh, - Gott steh mir bei!“

„Ich weiß, du magst ihn nicht“, wendete Ska den Rappen, kletterte auf einen  Schemel der in den Weidezaun eingebaut war und stieg in den Sattel. „Ich bin auch kein Fan von ihm, wie du sehr wohl weißt. Aber“, nahm sie die Zügel auf, „was Pferde betrifft ist er ein Mann vom Fach. Ob er aber einschätzen kann, wie der Ehemann auf diesen ganzen Aufruhr reagiert hat?“

„Ich danke Dir sehr, Ska!“, rief sie der Frau nach die den stolzen Rappen in einen zügigen Schritt pariert hatte. Sie winkte zurück ohne sich um zudrehen. „Hals und Bein, Tala!“

„Hals und Bein!“

„90.000€“, dachte Lennart laut und Löwenstimm nickte: „Man hat schon für weniger getötet.“

 

 

„Warum magst du diesen Hollentagh nicht?“, wollte Lennart wissen als er den Wagen wendete um den Reiterhof in Richtung des Dorfes Haldenkopf zu verlassen das unterhalb des alten Schlosses Thessenheim genestet lag. Vor einem Jahrzehnt erst war es von einem reichen Investor in ein Nobel-Internat verwandelt worden.

„Ich mag nicht wie er reitet. - Oder genauer, ich mag seine Methoden nicht. Geht es um Sieg oder Niederlage ist er der Letzte der auf der Seite des Pferdes stünde! Der Gedanke, wie er als Reitlehrer dieser Eliteschüler sein Denken als Dogma für Erfolg verkauft, macht mich ganz krank!“

„Verstehe ich das richtig? Bislang war mir, als wäre der Ehemann der Getöteten Hauptverdächtiger, aber nun fahren wir...“

„Haupt verdächtige haben wir erst man Ende des Weges!“, schnitt Tala scharf dazwischen. „Und wir sind erst am Anfang. Ganz am Anfang! - Wir suchen ein Motiv. Haben wir ein Motiv, suchen wir nach den Möglichkeiten derer die eines hätten, die Tat durchzuführen. Dann fragen wir die Labore, durch flöhen die Ergebnisse der SpuSi nach Hinweisen die zu dem ein oder dem andern führen. Passt eines zum anderen, haben wir Grundlagen zu einem Verhör. Grundlagen, Lennart, noch nicht mal einen Schlachtplan. Mit Glück aber dann eben dies: Hauptverdächtige.“

„Steht zu erwarten, dass wir auf diesen Kupfer treffen? Wenn er das Pferd da als Privatmann untergebracht hatte, wie deine Freundin meinte, stehen die Chancen dafür nicht gerade gut.“

„Ich fürchte ich muss nächstens Wachsmalstifte mitnehmen, damit ich dir aufmalen kann, was ich sage, oder?“

Beinahe hätte Lennart den Wagen über steuert, so überraschte ihn der verbale Nierenhaken.

„Hast du nicht zugehört, als ich sagte, ich benötigte Input? Und warum ich ihn brauche?“

„Doch. - Kein Grund gleich beleidigend zu werden!“, fand der junge Mann ehrlich.

„Einer von uns beiden ist gerade klüger, als du!“, war sie erkennbar genervt.

So trat es also hervor, dachte Lennart etwas benommen, das Gift mit dem Tala von Löwenstimm unvermittelt attackierte. Er war sehr erpicht darauf nicht  fassungslos zu sein und zu wirken wie einer, der nicht vor gewarnt gewesen wäre. Er umfasste das Lenkrad so fest, dass die Knöchel seiner Hände weiß hervor traten. Die Warnung war da gewesen.  Indes, - es war sein erster Tag und die Sache mit den Stiften - unfair. Mehr noch, - er fühlte sich plötzlich nicht mehr ernst genommen. Schwer zu sagen, was ihn mehr traf.

Er steuerte den Wagen zurück auf die 109 und suchte wieder Luft zu bekommen. Das Leben an Bord einer Mordkommission war nun mal eine harte Nummer, dachte er sich und gerichtet auf die neue Kollegin vermutete er weiter: Wer zu lange selbst keine Schwäche zeigen durfte, verlernt die Schwäche anderer ertragen zu können. Er hatte Schwäche gezeigt. Auch wenn ihm nicht recht klar wurde, wobei.

 

Sie parkten auf dem großzügigen Parkplatz unterhalb des weitläufigen Schlosses, der Kies knirschte satt unter den neuen Winterreifen des Wuppdich.

Oben am Himmel fraß der Himmel ein Flugzeug, was Tala nie bemerkt hätte, wäre ihr nicht nach dem Aussteigen umgehend nach einem Stoßgebet gewesen.  Aber ihr schien, als hingen dort oben heute nur ein paar der grauen Engel mit ihren alten Augen.

Eine gelangweilte Schülerin erklärte ihnen den Weg hinüber in die angegliederte Reitschule und den Ställen.

Weder Architekt noch Baufirma hatten an Geld sparen müssen. Die Gebäude waren neu hochgezogen und sehr großzügig geschnitten.

Der Novemberwind hatte den Himmel aufgeraut, Sonnenbündel blitzten  hindurch und schafften makelloses  Weiß auf die Wände. Es strahlte mit dem Anstrich der angrenzenden Weidezäune um die Wette.

Zusammen machten sie sich daran um das Stallgebäude zu laufen. Vor den Stallboxen, waren Paddocks angelegt, kleine umzäunte Flächen auf die die Pferde hinaustreten und frische Luft genießen konnten. Die wenigen Pferde die draußen standen passierte Tala dabei mit geschürzten Lippen und leicht schmatzenden Lauten, ein paar mal schnalzte sie auch laut mit der Zunge. Es wirkte auf ihren jungen Begleiter, als zwinkerte sie den Vierbeinern freundschaftlich zu. Die quittierten den Gruß mit interessierten Blicken und aufmerksam gespitzten Ohren. Keck spitzelte eine Spatzenbande in Heu und Stroh und Pferdeäpfeln nach leckerer Saat und Spelz. Alles wirkte wie aus dem Prospekt. Nur die Menschen fehlten.

Hinter dem Gebäude begannen zwei große Sandplätze. Auf dem hinteren trabte ein graues Pferd über staubenden Grund, Satteldecke und Bandagen in einheitlichem Look, auch die Weste der Reiterin teilte den Hang zu seichtem Türkis. Ziemlich in der Mitte des Platzes stand ein hochgewachsener Schlacks in Reithose und Stiefeln, verschränkten Armen und unzufriedenen Rufen hin zu dem modischen Paar.

„Hollentagh!“, rief Löwenstimm schon von weitem hinüber. Sie kehrte sich zu Lennart um und forderte knapp: „Schritt halten musst du selbst!“ - Er schloss die freiwillig entstandene Lücke zu ihr hin, während der Schlacks der Reiterin eine Pause verordnete  und den beiden Besuchern entgegen kam.

„Löwenstimm?“, runzelte er die Stirn im Näher kommen. Als sie voreinander standen, kein Handschlag. Der Reitlehrer verknotete wieder die Arme vor seiner Brust, Tala packte ihre kleinen Hände in die ausgebeulten Taschen ihrer Jacke.

„Lange nicht gesehen“, stellte der Lange mit den rotblonden Wimpern fest.

Sie antwortete ihm knapp: „Zu unser beider Freude!“ - Und hielt ihren Polizeiausweis hoch. „KHK Löwenstimm, OK Assmuth.“

Sein Blick schwankte zwischen gelangweilt und amüsiert: „Dienstlich?“

„Carmen Reyler“, nickte sie.

Auch er rollte mit den Augen: „Was ist nun schon wieder?“

„Verrate mir erst was los gewesen ist? - Warum steht Thessenheim auf der Liste derer gegen die sie eine Anzeige erstattet hat?“

„Eines ihrer Ponys ist ihr ausgebüxt, hierher, hat eine ziemlich wertvolle Stute kreuz und quer über die Weide gejagt. Wir fangen den Kerl ein, bringen ihn zurück, lassen ein paar deutliche Worte da und von mir  gabs eine Anzeige, weil der Hengst keine Papiere hatte.  Kaufvertrag vom Schlachthof mit Angabe einer Lebensnummer, die aber klar gefälscht war. Sonst nichts weiter, keine Impfpapiere – auch keine neu ausgestellten! - Und so einer prescht hier über die Weide auf der unsere Pferde stehen, I was not amused!“

„Eines soll hier daraufhin eingegangen sein?“, wagte sich Lennart ins Gespräch.

„Die Stute die der Ausreißer gejagt hatte lag zwanzig Stunden später tot in ihrer Box. Aber das eine muss mit dem anderen nichts zu tun haben.“

„Aortenabriss, wie ich gehört habe.“

„Hat die Hartmann festgestellt, kannst sie ja selbst fragen.“

„Wie kommt es dann aber dass Thessenheim deswegen eine Anzeige gegen Reylers raus gehauen hat?“

„Nicht wir!“, stellte Hollentagh klar. „Ihr Eigentümer, Gisbert Kupfer, war am Durchdrehen! - Erst weil er glaubte der Hengst hätte die Stute bestiegen, obwohl ich ihm gesagt habe, ich hätte beide die längste Zeit im Blick gehabt und der Kleine nicht zum Zuge gekommen wäre. Aber der war ja nicht zu bremsen und hat ihr mit Anwalt und Klage und allen Höllenhunden gedroht.“

Tala hatte ihn gerade weder scheel angesehen noch belehrt oder geteert, also fädelte sich Lennart erneut ein: „Er hat sich das Pferd ja auch einiges kosten lassen, wie man hört?“

„120 Mille! - Von der Eliteauktion Hannover! Das Gestüt Lewitz soll sogar gegen Kupfer geboten haben, - Stall Schockemöhle! - Eine Acordelli-Tochter, Acord Zwo! Ahorn Z  mal Cor de la Bryere, Capitol! - Aus einer Lavall-Mutter, nicht mal du hättest daran vorbei schauen können, Löwenstimm!  Diese Alondra war schon ein kleines Juwelchen!“

„Man reitet nicht auf Abstammungstafeln!“, kommentierte Tala unbeeindruckt.

„Möchte mal dein Gesicht sehen wenn das einer zu dir sagt, sobald Du auf Deine Trakehner Böcke zu sprechen kommst!“

„Ihr Besitzer hatte also große Pläne mit der Stute? - Ihr Tod hat dann entsprechend auf ihn gewirkt, nehme ich an?“

„Er war am überschnappen, wenn ihr mich fragt! - Ich habe es ihm rauf und runter erklärt mit dem Aortenabriss und dass das nichts mit Belastung oder Stress zu tun haben muss, aber da war kein Rankommen!“

„Wart ihr nach dem Tod der Stute nochmal bei Reylers?“, steuerte Tala ihr Interesse wieder auf den Fall.

Der blonde Mann hob abwehrend die Hände: „Wenn es jetzt wieder um die beiden toten Shettys geht, - damit habe ich nichts zu tun! - Hartmann hat gesagt die wären an einer Kolik verreckt! - Ich weiß, Tala, wir haben verschiedene Ansichten zu den allermeisten Dingen, aber keiner aus Thessenheim killt doch kleine Ponys!“

„Und Kupfer?“

Markus Hollentagh hob die steilen Schulterblätter zu einem sporadischen Zucken: „Sicher, er war aufgewühlt und geschockt natürlich, 120 Tausend Ocken schreibt wohl keiner einfach in den Wind! - Er würde sich da die Hände aber nicht schmutzig machen, denke ich. Das ist ein Krawattenmann, der hetzt Anwälte in Kompaniestärke auf einen wenn es ihm nötig scheint, aber Ponys vergiften?“

„Carmen Reylers Leiche wurde heute morgen aufgefunden“, erkläre Tala dann. „Sie wurde getötet.“

Der Gegenüber atmete tief durch eher er sich mit beiden Händen durch üppigen Haare fuhr. „Holla“, schnaufte er, „das sind freilich Neuigkeiten.“

„Dir kommt niemand in den Sinn der dafür in Frage käme?“

„Angelegt hat sie sich mit allen! - Niemand mit dem sie nicht im Clinch gelegen wäre. - Hast du schon mit Ska gesprochen?“

„Von ihr kommen wir gerade“, erklärte Lennart und Tala ergänzte: „Sie war die einzige mit der sie wohl nicht im Streit lag. Aber sie konnte schon einen passablen Blick liefern auf die Namen derer die nicht gut auf sie zu sprechen waren.“

„ - Nicht im Streit? Und wie! - Aber wer kann es ihr übel nehmen, diese Ponyhof war eine einzige Farce, kein Konzept, keine Idee, - lässt sich kranke Tiere andrehen, die hatte Vorstellungen die waren schlicht lächerlich!“

„Gefährlich lächerlich?“

„Na, - für ihre Ponys ja zweifellos!“

„Aber der Hengst ist nicht ausgebrochen, weil sie wenig Ahnung hatte“, meinte Lennart. „Trotzdem musste sie sich des Vorwurfs erwehren, verantwortlich für den Tod eines verdammt teuren Pferdes zu sein. Ihre mangelnden Kenntnisse können Viele gestört und auch zur Weißglut getrieben haben, - aber ob einer darunter ist, der sie deswegen tötet?“

„Ich war noch nie in der Situation jemanden umbringen zu wollen, - nicht mal die Frau hier nehmen Ihnen. Ich kann Ihnen also auch nicht sagen, was es braucht ehe man so weit geht.“

Assmuth wollte weiter fragen, aber Löwenstimm griff nach seinem Arm, schüttelte den Kopf. Sie zog eine Visitenkarte aus der hinteren Hosentasche, reichte sie dem Reitlehrer: „Wir brauchen Kupfers Kontaktdaten! Sieh zu, dass sie schnell an diese Emailadresse geschickt werden, Kollegen werden sich dann um ihn kümmern.“ - Sie nickte zu Lennart: „Hier sind wir fertig.“

Doch keine drei Schritte Richtung Auto gelaufen, drehte sie sich noch einmal um und rief dem davon schreitenden Schlacks hinterher: „Hollentagh! - Diese Sache mit den gefälschten Nummern, - war das so offensichtlich?“

„Für jeden der Papiere schon öfter mal in Händen gehalten hat schon. Aber sie hatte nun mal von Nichts eine Ahnung!“

„So,“ nickte Tala nur.

„Warum ist das wichtig?“, traute sich Lennart nachzuhaken.

„Jedes Pferd, das in der EU geboren wird, erhält eine eigene Lebensnummer. Die zu fälschen ist kein Kavaliersdelikt!“, gingen sie weiter, „ - Irgendwelche Figuren kaufen sich auf dem schwarzen Markt Papiere und Chips von  Pferden aus guter Zucht, die getötet oder geschlachtet wurden Eigentlich sind die unbrauchbar gemacht, aber sie fälschen sie nach. Dann fahren sie nach Osteuropa und kaufen sich dort auf den Schlachthöfen oder aus anderen dubiosen Quellen Pferde, die zu den in den Papieren beschriebenen Pferden passen könnten, also Größe, Farbe, Abzeichen, all die Dinge, die man in den Papieren angibt. Denen verpassen sie die gefälschten oder erbeuteten Chips, bringen sie dann hierher und verkaufen sie dann mit entsprechend fetten Gewinnen.  - So gelangen Pferde illegal nach Deutschland, manche eben auch mit ansteckenden Krankheiten. Kein Wunder, dass Hollentagh hoch gegangen ist,  - ein einzelner Pferdeapfel eines infizierten Pferdes auf Weiden für deren Pflege er verantwortlich ist, kann bereits enormen Schaden in einer Population anrichten! Ganz üble Sache das. - Oder in Kurzform: Ein Händler der mit Pferden mit nachweislich mit gefälschten Nummern und Chips unterwegs ist, ist seinerseits ganz schnell ruiniert!“

Lennart schloss den Wagen auf. „Ein Motiv meinst du?“

„Zumindest kein kleines Detail.“

„Wohin jetzt?“

„Maximus.  - Krell und der Löffel werden schon ungeduldig mit den Fingern trommeln.“

Zufrieden startete er den BMW. Sie hatte weder geschimpft noch war sie ihm  in die Parade gefahren und auch jetzt noch saß sie fertig angeschnallt und brav da, hob sich nur das Samsung unter die Nase und schrieb ihre Infos an den Kollegen vor Ort.

Bis hierhin, dachte er, gings gut. Solange er sich darauf konzentrierte seinen Job als Polizist zu machen, war mit der Kriminalhauptkommissarin auszukommen. Zeigte er sich dünnhäutig, machte sie zu. So weit, glaubte er, hatte er es verstanden.

„Mist, ich habe vergessen ihn nach Günther Reyler zu fragen!“

„Soll ich umdrehen?“

„Du sollst gefälligst mitdenken! - Weshalb lasse ich dich zu Wort kommen, wenn du dann doch nichts redest!“

„Aber…!“

„Ach, Lennart, verdammt, einen Kollegen der nicht mitdenkt, kann ich genauso gut in den Harz kicken!“

„Das war dein Fehler!“- Kaum ausgesprochen verfluchte er die Erkenntnis die er noch vor Sekunden hatte.

„Diese Befragung haben wir zu Zweit geführt, oder irre ich mich? - Du sollst hier was lernen!“

„Also gut, dann war es auch  mein Fehler!“

„Was könnte Markus Hollentagh beobachtet haben, welches Detail auf geschnappt haben, das wir jetzt nicht haben?“, überlegte sie laut und tippte wieder auf ihrem Samsung herum.

„Eine Reaktion auf den Hengst und die Leute die ihn zurück brachten, vielleicht?  - Wenn Kupfer wirklich auf dem Hof Gift und Galle gespien hat, wird der Mann des Hauses nicht im Fernsehsessel kleben geblieben sein.“

Tala hielt sich das Smartphone ans Ohr.

„Thessenheim?“, hoffte der Fahrer.

„Kripo Eckenburg, Löwenstimm, guten Tag! - Bitte kann ich Herrn Hollentagh sprechen? Es ist dringend! - Ja, geben Sie mir seine Mobilnummer?“

Sie wählte sie Nummer wobei sie noch immer angefressen zu Lennart schielte,  schaltete aber auch gleich die Freisprechanlage an.

„Markus, wir sind´s nochmal. - Als Du auf diesem Ponyhof warst, welchen Eindruck hattest Du dabei von Carmen Reylers Mann?“

„Der? - Der war von allem völlig überrumpelt. Er hat ja die Papiere für diesen  Welsh-Mix zu uns nach draußen gebracht, nachdem Kupfer und ich wissen wollten, was das überhaupt für ein Pony ist und wo es herkommt. Nervös war er halt, überfordert, fahrig.“

„Im Gegensatz zu seiner Frau?“

„ Als Kupfer meinte – und ich übrigens auch, dass es den Schimmel erst nicht auf fremdes Grün gezogen hätte, hätte er genügend Futter auf seiner eigenen Weide und in seinen Trögen gefunden, uiuiuije! Da hätte nicht viel gefehlt und sie hätte uns mit der großen Mistgabel vom Hof gejagt! - Der Mann ist da nur blasses Beiwerk gewesen. Armer Kerl.“

„Inwiefern?“

„Der dachte wohl seine Frau wüsste schon was sie da tut, mit dem Hofkauf, der Anschaffung der Pferde und dem ganzen Gedöns. Als sich heraus stellte wie dusselig sie sich anstellte und wie absurd diese ganze Idee gewesen ist, war es zu spät und er konnte nur noch daneben stehen und zusehen wie alles den Bach runter geht.“

„Okay, Markus, danke schön!“

Lennart setzte den Blinker von der 109er. „Wie lange erträgt einer wohl die Katastrophe in der er steckt?“, dachte er laut. Tala dachte leise. Vermutete er.

Sie fuhren auf den Zubringerweg zum Hof Maximus. Keine hundert Meter von dem bunten Holzbogen passierten sie wieder die Absperrfragmente, Bretter und Bohlen, mit denen Nachbar Nooke den Reylers das Leben schwer gemacht hatte.

Der zweite silberne BMW der Kollberg-Kommission stand vor dem Wohnhaus. Der Leichenwagen mit dem Opfer hatte den Hof verlassen. Trotzdem führte sie ihr erster Weg wieder in den Stall und zu der Stelle an der die Tote gefunden worden war. Lennart, artig, folgte ihr auf dem Fuße.

„Hast du solche Wunden schon mal gesehen, Assmuth?“

„Ich hatte zuerst an eine stumpfe Axt gedacht. Oder ein anderes längliches Metall das man nur mit genügend Wucht geführt hat.“

Sie nickte nur.

Langsam nachdenklich lief sie den Gang wieder in Richtung der Schiebetür, trat hinaus und  blickte hinauf zu einem Himmel, der ihr seltsam leer geleuchtet vorkam.

Auf ihren Begleiter wirkte sie für einen langen Moment matt und müde. Er meinte eine Pein über ihr Gesicht laufen zu sehen, etwa wie bei schmerzenden Schläfen. Die kleinen Hände hingen schwer in den Taschenbeulen ihrer Jacke. Doch dann ging ein Reißen durch ihren Körper, die Augen flogen auf. „Nun, ich möchte die Pferde sehen und die Ponys. Sie sind schließlich auch Hauptpersonen in diesem Fall. - Wenn ich das heute früh richtig gesehen habe, lief ein Weg zu den Weiden neben dem Haus, also los junger Mann!“

Neben und hinter dem Wohnhaus erhob sich ein einsamer umzäunter Hang. Assmuth schätzte  ihn auf die Maße knapp unter denen eines erstligatauglichen Fußballfeldes. Bäume darauf streckten lustlos fast leer gewehte Äste von sich. Die Wiese war keine. Am Zaun der direkt am Haus entlang führte, bestand der Untergrund aus aufgewühltem Matsch und der Rest verdiente die Farbbezeichnung braun und öd, eher als grün und saftig.