Löwenstimm - 3 - Sonja Kowalski SKG - E-Book

Löwenstimm - 3 E-Book

Sonja Kowalski (SKG)

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

 Dritter und abschließender Teil des Kriminalserienromans "Löwenstimm".     Tala ist fassungslos. Ist der TV-Schauspieler und Serienkommissar Bernd "Berry" Goldbacher, wirklich gesehen worden, wie er hektisch von einem Tatort flüchtete? Die Zeugin ist sich sicher ihn wieder erkannt zu haben und Tala hin und her gerissen zwischen der Verehrung für den Schauspieler - und der Abneigung gegenüber dem dazugehörenden Mann und Menschen.   Den Ermittlungen hilft das nicht gerade und Lennart ist geforderter denn je die Kollegin am Fallgeschehen zu halten.   Konner Kollberg indes hat persönliche Gründe an Talas Gefühlschaos zu leiden. 

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Sonja Kowalski SKG

Löwenstimm - 3

Der nicht relevante Mord

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Löwenstimm -3 -

Löwenstimm  -3 -

 

Der nicht relevante Mord“

Der nicht relevante Mord“

 

Kapitel 1 ~ Künstlich ~

Kapitel 1 ~ Künstlich ~

 

Aufgerissen lag die Nacht da, offen und ungeschützt. Der Mond hatte eingefallene Rippen und trug einen Umhang aus Lumpen. Er glaubte noch Wölfe wie Streiflichter über sich springen zu sehen, der Puls klopfte ihm in den Ohren. Halluzinationen, verdammte, Gaukelbilder verfluchte, dachte er. Der Regen tropfte in Punkten und Ringen in die große Pfütze neben seinem zertrümmerten Schädel. Seine Lippen suchten etwas, doch er erinnerte sich nicht. Das Blut schlingerte durch den Sand der losen Randsteine und mengte sich mit dem dreckigen Himmelswasser neben seiner Wange. Vor seinen Augen versank ihm die Welt. Er fühlte nicht. Der Schmerz war vergangen, nur das Herz schlug, pochte bebte, - doch vergeblich. Wars das?, dachte er - und starb.

 

„Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur die falsche Kleidung“, fand Lennart, als er sich auch schon mit ergebendem Ächzen aus dem Fahrersitz des grauen BMW der Fahrbereitschaft stemmte.

„Es gibt keine schlechte Laune, es gibt nur die falsche Gesellschaft!“, konterte Tala grantig.

Schon seit gestern Morgen zerfloss das bunte Gesicht Eckenburgs im emsigen Regen, endgültig hatte sich der Winter umgestülpt und wollte Frühjahr werden und sich wohl gleichsam dazu entschlossen, die Schleusen zu öffnen und geöffnet zu halten. Zwar hielt der Tag seinen blassen Bauch ins Licht, aber so richtig hell wurde der Morgen nicht.

Die Spurensicherung hatte schon einen weißen Pavillon über die Fundstelle aufgebaut, auch die Kriminaltechnik war noch da und machte den Platz unter der schützenden Plane reichlich knapp.

Tala hatte sich wohl weißlich heute früh für ihre wasserfeste Reitjacke entschieden. Sie hatte immer schon gefunden, Reiter hätten die allerbeste Outdoorkleidung. Die über gezogene Signalweste mit der strammen Aufschrift „Kriminalpolizei“, verdeckte überdies den Aufnäher mit dem Trakehner Brandzeichen.

Lennart hatte den Kopf weniger zusammen gehabt, wie Tala wiederholt hatte feststellen müssen und wartete mit einer dünnen Cordjacke auf. Ihn fröstelte aber ihr Mitgefühl hielt sich in Grenzen. Zwar hatte die Ständige Mordkommission seit Wochen keinen wirklich neuen Fall mehr gehabt, aber ein guter Kriminalbeamter hatte immer mit allem zu rechnen, auch mit einer Tatortsmaßnahme mitten im Wolkenbruch.

Wie stets hatte der Kriminaldauerdienst, der KDD,  den ersten Augenschein auf den Toten bekommen und Fotos gemacht - und wie immer hatte sich die Kriminalhauptkommissarin schwarz geärgert über deren mangelhafte Qualität. Obendrein hatte wegen des Wetters die Gerichtsmedizin darauf bestanden das tropfnasse Opfer so rasch wie irgend möglich auf ihren Tisch zu bekommen. Nachdem auch die Spurensicherung grünes Licht gegeben hatte, war der Tote abtransportiert worden. Zu dem Zeitpunkt hatten die beiden von ihrem Chef, dem Ersten Kriminalhauptkommissar Konner Kollberg gerade mal den Auftrag erhalten, zu den Neubauten an der Julmondis-Gasse im Alten Gerberviertel zu fahren und sich die Sache aus der Nähe anzuschauen.

Wennigkeit vom KDD war noch da. Geduckt wartete er auf das Eintreffen seiner Erzfeindin.

„Bei dem lausigen Licht waren bessere Aufnahmen einfach nicht drin!“, versuchte er auch schon gleich eine Verteidigung, kaum dass sich Tala und Lennart unter dem Pavillon die Jacken ausschüttelten.

„Kopp zu!“, kläffte Löwenstimm zurück, „Du Pfuscher!“

So war es abermals an Lennart versöhnlichere Töne anzuschlagen, damit man an Brauchbares kam. „Was wissen wir schon über das Opfer?“

„Frank Hämmerle, 54 Jahre, verheiratet, keine Kinder, lebt in der Kussmund-Straße 34a. Gearbeitet hat er im Vermessungsamt. Über ihn haben wir nichts im System. - Interessant ist nur, dass er einer der beiden Vorsitzenden des Theatervereins Gleis 4 ist. Das ist so ein Amateurtheater, das sich im alten Bahnhof an der stillgelegten Linie der alten Käscher-Bahn eingerichtet hat, draußen in Perlekrug.“

„Kenne ich, nette kleine Bühne haben sie da rein gezimmert. Aber was sie da spielen ist zuweilen völlig verkopftes Zeug“, suchte sich Tala anhand der Spurentafeln der SpuSi und der noch sichtbaren Lage des Opfers ein erstes eigenes Bild zu machen, ehe sie schon wissen wollte: „Wer hat ihn gefunden?“

„Ein Anwohner, der auf dem Weg zur Frühschicht war und den Toten hier liegen sah. Es sagt, er wäre gegen 5 Uhr aus dem Haus gegangen, hätte hier an der Baustelle kurz Windschatten gesucht um sich eine Zigarette anzuzünden und hat ihn dann hier liegen sehen. - Die KT meint aber er wäre sicher schon länger hier gelegen, er und die Kleidung war komplett durchnässt. Hanselmann von der Gerichtsmedizin schätzte aufgrund der Leichenstarre und der niedrigen Temperaturen der Nacht, den Todeszeitpunkt auch eher auf gegen Mitternacht. - Todesursache: Gewalteinwirkung gegen den Kopf, aller Wahrscheinlichkeit nach mit diesem Pflasterstein hier“, baumelte in einer Asservatentüte ein steinernen Quader an Wennigkeits ausgestrecktem Arm. Nur noch schwach ließen sich Reste von Blut darauf erkennen. „Damit hat man ihm mit einem einzigen Hieb das Schläfenbein zertrümmert, der Tod trat in weniger als einer Minuten ein, meinte er. Für mehr reicht die Spurenlage noch nicht.“

„Ein Glück sind Fingerabdrücke nicht wasserlöslich. Da bleibt der Forensik hoffentlich genug Material für eine erste Spur.“

„Die Pfütze hier“, nickte Tala bedenklich, „muss voller Blut gewesen sein. Aber der Regen der Nacht hat das allermeiste wieder heraus geschwemmt. Opfer und Stein lagen lange unter dieser Wolkendusche.“

„Von der Straße kann man auch schlecht hier herein sehen“, meinte Lennart. „Dieser Eingangsbereich ist erst noch im Entstehen, die Briefkastenanlage mit der Beleuchtung ist  noch gar nicht dran. Wäre der Zeuge da nicht hin, der hätte bis Mittag hier unentdeckt liegen können. Bauarbeiter kommen bei dem Wetter keine und so dunkel wie es unter den Wolken ist...“

„Du meinst, man hat es darauf angelegt?“, zweifelte Tala. „Nein, Lennart, das ist ein Tatort. Nichts wohin man ihn absichtsvoll verbracht hätte.“

„Was hat er dann hier gewollt? - Zu Nacht schlafender Zeit?“

„Solche Dinge heraus zu finden, zählt zu unserer Job-Beschreibung, OK Assmuth!“, klatschte sie ein mal auffordernd in die Hände. „- Kussmund-Straße 34a!“

 

Sie hatte extra nachgefragt, noch niemand hatte der Ehefrau des Opfers vom Tod ihres Mannes informiert. „Bleibt es an uns hängen.“ - Sie blickte zu ihrem Fahrer. „Du bist ja davon bislang verschont geblieben, fällt mir gerade auf. - Fühlst Du sich nun schon sattelfest genug dafür?“

Er plusterte die Backen. „Also, eigentlich...“

„Du hast nur noch schlappe drei Monate bis Du nach Rundstadt wechseln willst“, mahnte sie. „Da solltest Du gewisse Dinge schon auf der Liste abgehakt haben, weeste?“

Sie gönnte ihm keine Ruhe damit. Klar, er war im letzten Mordfall zu weit gegangen mit seiner Hackerattacke auf die PC des Verdächtigen und hatte damit sicherlich die Karriere von Kollberg und seiner Kollegin gefährdet. Dem anschließenden Abkommen zwischen ihnen Dreien, wonach er nach einer Anstandspause von wenigstens sechs Monaten, die Eckenburger Mordkommission wieder verlassen müsse, hatte er bedenkenlos zugestimmt gehabt. Doch dass nun kein Tag verging, an dem sie ihn nicht daran erinnern musste und willens schien ihm so viel Input wie nur möglich rein zustopfen, nervte ihn immer mehr.

„Jemandem mitzuteilen, dass der Ehepartner tot ist, noch dazu getötet, das ist nicht so ein Ding, das man auf Listen ganz oben zu stehen hat.“

„Du wirst es ihr mitteilen. Punkt.“

„Sollte das nicht besser eine Frau…? Von Frau zu Frau spricht es sich vielleicht leichter?“

„Hast Du heute etwa wieder am witzigen Stein geleckt?“, lachte sie ihn aus, doch die kleine hämische Heiterkeit, wich ersatzlos mit dem Eintreffen vor der Adresse des Toten.

„Versaue es nicht, Lenny. Bleibe ruhig und setze Deine Worte so gezielt wie möglich. Nicht zu viel, nicht zu wenig.“

Das konnte sie. Plötzlich hieß er wieder Lenny – obwohl er so nicht gerne hieß, aber Tala verband damit wohl irgendeinen Subtext, den er wohl zu blöd war zu kapieren - und bekam von ihr ruhig vorgetragene Anweisungen aus berufenem Munde.

„Und … wenn sie zusammen klappt?“

„Dann tut der Oberkommissar das was ein Herr Lennart Assmuth ebenso tun würde. - Nichts künstlich verkomplizieren jetzt!“

In der Kussmund-Straße standen mehrere Blöcke mit Mehrfamilienhäusern aus den Sechzigern, gepflegte Fassaden in Reih und Glied und entsprechend gesichtslos. Haus 34a stand versetzt hinter der 34. Zwischen den Häusern der hinteren Reihe hatte man hauslange Dächer aus transparenten Wellplatten gebaut, unter denen Papiertonnen standen und Trockenleinen gespannt waren.

Eine Frau stand darunter, vor einem Korb nasser Wäsche und blickte nur kurz und aus müden Augen auf den seltsamen Besuch. Tala und ihr Kollege nickten ihr einen sporadischen Gruß zu. Man war Polizei, man war höflich.

Gerade als sie klingeln wollten, kam ein Teenager aus der Tür gestürmt machte große Augen und klappte die Kapuze über die erdbeerrote Haare.

Sie klingelten bei Hämmerle, Lennart hatte sich gerade den Oberkörper straff gezogen, da  schimpfte die Erdbeere auch schon: „Die Hämmerle, die steht doch da, Ihr Blindfische!“

„Vorsicht!“, hielt der Oberkommissar dagegen und den Zeigefinger mahnend nach oben gereckt. Er hatte eine fortschreitende Allergie entwickelt gegen solch abwertende Kommentare.

Seine Kollegin war da abgebrühter, trat unter das Dach und schüttelte den Regenschirm aus.

„Guten Morgen“, grüßte sie gegen den prasselnden Stepptanz der Tropfen an. „Sie sind Frau Hämmerle, richtig?“

Erdbeerchen und Oberkommissar wechselten noch ein paar bissige Blicke, bis dann auch Assmuth neben Tala stand und sich vorstellte.

Doch weder auf Talas noch auf seine Ansprache hin reagierte die Frau, die Tala spontan auf Mitte Vierzig schätzte.

„Frau Hämmerle? - Wir sind von der Kriminalpolizei, Erste Mordkommission und müssen mit Ihnen reden!“, erhob  sie die Stimme und trat näher zu ihr hin.

„Ich habe Sie schon gehört“, antwortete die Frau an der Leine lethargisch. Sie ging weiter daran ein Herrenhemd nach dem nächsten mit den Klammern zu befestigen.

„Gut denn, ich bin Kriminalhauptkommissarin Löwenstimm, das ist mein Kollege Oberkommissar Assmuth.“

Auffordernd nickte sie ihm zu.

Doch der Kollege war irritiert. Noch immer wirkte der Besuch der Kripo bei der Frau vor ihm allem Anschein nach überhaupt nicht. Es half ihm auch nicht gerade, dass es wohl ausgerechnet die Hemden des Getöteten waren, an deren Pflege die Ehefrau solches Interesse zeigte.

„Frau Hämmerle, - Ihr Mann, Frank, - wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?“, übernahm Tala denn doch.

Endlich, die Hand glitt nicht wieder in den Klammerbeutel, die Frau drehte sich um. Sie wirkte sehr unausgeschlafen und ausgelaugt. „Ist er in Schwierigkeiten?“

„Frau Hämmerle, - können wir drinnen weiter sprechen? Es wäre nur zu Ihrem Besten.“

„Was wollen Sie in meiner Wohnung?“, ein keiner Anflug von Entrüstung löste die Müdigkeit ab, aber nur kurz.

Tala hob den Ausweis aus ihrer Jackentasche, Lennart folgte ihr darin unverzüglich. „Wir sind wirklich von der Polizei, sehen Sie?“, hielten sie die Dienstausweise unter die Augen der Frau. Sie waren von einem herrlichen Kornblumenblau. Überhaupt, dachte Tala, musste sie einmal eine sehr ansehnliche Person gewesen sein. Doch nun war sie wenig mehr als eine ungeschminkte, übernächtigte und ganz bestimmt unterliebte Frau eines Mannes, dem der Schädel eingeschlagen worden war.

„Frau Hämmerle, Ihr Mann wurde heute am frühen Morgen vor einem Haus in der Julmondis-Gasse aufgefunden. Tot. - Mein – unser – aufrichtiges Beileid.“

Frau Hämmerle aber sah von Tala zu Lennart und wieder zurück und nichts ließ erkennen, dass sie die Tragweite der Nachricht erfasst hätte.

Im Gegenteil, sie kehrte sich wieder zu ihrem Korb, hob ein weiteres Teil heraus und klappte es über die Leine.

„Frau Hämmerle, haben Sie gehört, was Ihnen meine Kollegin gerade mitgeteilt hat?“, blieb Lennart verwirrt, Tala war schon einen Schritt weiter.

„Frau Hämmerle, gibt es jemanden, den wir informieren sollen, der Ihnen in dieser Situation zur Seite stehen kann?“

„Weiß Hetty schon davon?“, fragte die Seltsame plötzlich.

„Bitte wer?“, zückten beide Kriminalisten ihre Notizbücher.

„Henriette Babusch“, wandte sie sich doch noch mal von ihrer Wäsche ab. „Hetty. - Seine aktuelle Geliebte. - Sie wohnt in der Grünzeug-Straße, Nummer weiß ich aber nicht. Der müssen Sie das sagen. Für mich war der Frank schon lange gestorben.“

„Frau Hämmerle..“

„Nennen Sie mich nicht immer bei seinem Namen!“, schimpfte die Frau nun. „Nennen Sie mich Rosi, wenn es sein muss!“

„Gut denn, - Rosi, - Ihr Mann, also der Frank, der wurde nieder geschlagen, verstehen Sie?  Es war kein Unfall. Er kam ums Leben durch die Hand von jemandem den wir noch nicht kennen. - Darum sind mein Kollege und ich hier. Von der Mordkommission. Wir müssen und wollen heraus finden, wer dieser Tat zu verantworten hat. - Rosi, wir würden in diesem Zusammenhang gerne einige Fragen an Sie stellen? Wenn das möglich wäre?“

„Fragen Sie“, seufzte die Frau und nestelte an einer feuchten Socke herum. Erneut hatte sich diese bleierne Lethargie wie eine Glocke über sie gestülpt.

„Können Sie sich vorstellen, was er letzte Nacht im Gerberviertel gewollt haben könnte? Kann er sich dort mit jemandem verabredet haben? Beabsichtigte er dort vielleicht eine Immobilie zu erwerben?“

„Fragen Sie Hetty. Die weiß so was. Ich nicht.“

„Frank hat hier nicht mehr gewohnt, nein?“, schielte Tala auf die blauen Herrenhemden.

„Doch, doch. - Ich wollte ja schon ewig die Scheidung, aber er hielt nichts davon. Hat noch nicht mal gesagt, warum. War nicht weil noch an unsere Ehe geglaubt hätte, oder so. Da gab es keine Schwüre von seiner Seite, Besserung hat er mir nie gelobt. Er hat nur gesagt, er will keine Scheidung. Dann hat er die Nase wieder in seine Stücke gesteckt und das wars.“

„Stücke – Theaterstücke? Die Arbeit für das Gleis 4 hat ihn wohl sehr beschäftigt?“

„Jede freie Minute. Wenn er nicht gerade seine Freundinnen besprungen hat. Dann nicht. Aber sonst, jede freie Minute.“

„Er hat wohl wenig anbrennen lassen?“

„Nichts hat er anbrennen lassen. Er wusste schon wie er sie kriegt. Er war im Vorsitz, er war Regisseur, die Frauen wollten spielen und er ließ sie, - oder eben nicht. Und je jünger, desto besser. Ein Mann ist so jung wie die Frau die er fühlt, verstehen Sie?“

„Ja, den Spruch kenne ich schon. - Können Sie sich vorstellen, eine der Frauen im Theater könnte so wütend auf ihn sein und sich zu einer solchen Tat hinreißen lassen?“

„Warum nicht? - Ich selbst war wütend genug auf ihn um ihm den Tod an den Hals zu wünschen. - Sie werden hier keine trauernde Witwe finden, Frau Kommissarin. Und nein, ich brauche niemanden, der meine Hand hält und tröstet.“

„Dennoch, Rosi, Sie müssen heute über Tag ins Polizeipräsidium, in die Gerichtsmedizin und Ihren Mann identifizieren. Am Empfang fragen, die bringen Sie dann schon hin.“

Die Witwe wollte keinen Trost und Tala schnitt sich keinen aus den Rippen.

„Ach, bevor wir es vergessen, Rosi, - wo waren Sie denn heute Nacht?“

„Ich?“, kehrte sich die Frau von der Wäscheleine ab und maß die Fragestellerin mit einem empörten Blick. „Hier! - Wo sonst? - Im Bett bin ich gelegen!“

„Verzeihung wenn ich das so sage, aber Sie sehen nicht aus, als hätten Sie viel geschlafen.“

„Habe ich auch nicht. In meinem Kopf gehen Tausend Sachen durch. Frank hat mich ausgespuckt wie die Kerne einer schlechten Zitrone, ich sei eine schwarze Katze für ihn geworden, hat er gesagt. Mit allem hat er mich alleine gelassen,  jedem Cent Wirtschaftsgeld musste ich hinterher jagen. Für Hetty war ihm nichts zu teuer. Ich hätte meine Koffer packen und meiner Wege gehen sollen. Aber wie das so ist, am Ende ist man zu gewohnt an das Unglück und sieht zu wie man durch kommt. - Er ist jetzt wirklich tot?“ - Sie nickte in sich hinein, schüttelte die Jeans aus und klammerte sie fest. „Na denn.“

„Kann das jemand bezeugen, dass sie heute Nacht zu hause waren? - Könnte jemand Ihren Fernseher gehört haben, oder so was in der Art?“

„Mit meiner Schwester in Australien habe ich am Abend geskypt. Aber in der Nacht, war ich alleine. Falls Sie es nicht verstanden haben, - ich war nachts immer alleine…!“

 

 

Kaum waren sie wieder zurück ins Auto geklettert, telefonierte Tala mit ihrem Chef und Ermittlungsführer, Konstantin – Konner – Kollberg. Die Schilderung der deutlich eingebremsten Reaktion der Ehefrau auf die Todesnachricht, ließ auch ihn aufhorchen.

„Andererseits hat sie klar gesagt, für sie wäre er schon längst gestorben gewesen“, blieb Tala skeptisch. „Geht so jemand her und knallt ihm noch einen Stein gegen den Kopf?“

„Wenn es einen Anlass gab?“

„Täter und Opfer standen in einer Beziehung zu einander, das war eine Tat im Affekt. Davon berichtet uns alleine schon der Tatort. Die sind sich auf der Baustelle nicht zufällig über den Weg gelaufen und auch der Stein war nicht vorsorglich da hingelegt worden. Man geriet in einen Streit, die Gemüter kochten hoch, Wut, dann der Griff nach etwas das in Reichweite lag und – zack.“

„Für Sie scheidet die Ehefrau also schon aus, Tala?“ - Konner wirkte unzufrieden, ihm zog die Kriminalhauptkommissarin mal wieder zu schnell Schlüsse.

„Die fehlende Trauer über den Mann kann auch einer Depression, oder einem Burnout geschuldet sein. Sie sah wirklich nicht gut aus. - Das Opfer wollte keine Scheidung und ich bin gespannt, wie darauf die Geliebte reagiert haben mag.“

Kollberg gab die volle Wohnadresse in der Grünzeug-Straße weiter und ließ die beiden Beamten nachfühlen bei der Frau, mit der sich Frank Hämmerle intensiver beschäftigt hatte.

 

 

„Tot? Er ist tot? Nein! Nein!“, Henriette Babusch stand mit zitternden Knien in ihrem Wohnzimmer, die beiden Hände vors Gesicht geschlagen und suchte wieder zu Atem zu kommen. Lennart schob ihr einen der Sessel heran und drückte sie sanft in das Polster.

Hier hatte die Botschaft von Frank Hämmerles Ableben eine echte Reaktion zur Folge, so viel stand fest.

Die Enddreißigerin weinte ungebremst, der Kajal und die Wimperntusche tunkten  Augenränder und Liddeckel in finstere Farben. Sie rang ihrer Fassungslosigkeit kaum eine Aufmerksamkeit für die beiden Beamten mehr ab. Lennart sah fragend zu seiner Kollegin, die aber wenig Anstalten machte, die Geliebte ihrer Trauer zu überlassen.

Tala von Löwenstimm hatte ihn schon mit manchem Talent zu überraschen gewusst. Sie konnte große Empathie empfinden für Opfer und Hinterbliebene. - Doch zuweilen glich sie mehr einer Prinzessin von Taktloshausen, als einer abgeklärten Kriminalbeamtin.

Im Grunde hätte nun das Angebot kommen müssen, ihr Nahestehende zu informieren, auf dass die ihr beistehen könnten in diesen schweren Stunden. Aber nichts dergleichen.

„Frau Babusch“, setzte sie eine Stimme auf, die willens war durch alle Tränenschleier zu stechen, „wann haben Sie Herrn Hämmerle das letzte Mal gesehen?“

„Gesehen? - Das letzte Mal?“ - wieder ertranken die Worte im Tränenfluss.

Tala reichte ihr die Tücherbox, die auf einem Sideboard abgestellt war.

„Naja“, wischte sich die Frau endlich die Spuren der Fluten aus dem Gesicht, „gestern Morgen, denke ich. Als er aus dem Haus ging. Er wollte vor der Arbeit noch nach Hause und frische Sachen zum Anziehen holen.“

„Haben Sie sich am Abend nicht gewundert, dass weder er, noch die frische Wäsche hier waren?“

„Ich dachte, er wäre wieder im Theater, - die Wäsche sortiert er immer selbst ein, ich weiß nicht, ob er...“

„Hatte er in letzter Zeit mit jemandem Ärger?“, forschte Lennart nun auch nach. „Gab es vielleicht Unstimmigkeiten mit Kollegen im Büro, oder im Gleis 4?“

„Na, die Brigitte, die hat ihm immer zugesetzt. Sie und er teilen sich den Vereinsvorsitz. Sie hat immer so seltsame Vorstellungen von Theater und besteht darauf, dass die Stücke ein Intellektuelleres Publikum ansprechen sollen. Die träumt von Aufführungen von Samuel Beckett und Kohout! - Das ist ein Amateurtheater mit Amateurdarstellern, die wenigsten kriegen einen einzigen dialektfreien Satz hin!“

„Hämmerle inszenierte lieber die leichtere Kost?“

„Er hat das Theater voll gekriegt mit seinen Komödien und den Mundart-Krimis! - Volkstheater das allen Spaß und Freude macht, das ist Seins! - War Seins…!“

„Und dieser Nervenkrieg spitzte sich also in jüngster Zeit zu?“

„Im Frühjahr fallen die letzten Entscheidungen darüber welche Stücke mit welchen Akteuren von Juli bis Dezember gegeben werden sollen. Da ist immer Highlife und Frank kaum zu Hause, also - hier. Es spitzte sich zu, weil Brigitte unbedingt den Kris brauchte für ihr Stück – und Frank eben auch. Er hatte dem Publikum versprochen, den Fahnder Fähnlein in einem weiteren Fall zu inszenieren und den spielt eben der Krister Leberecht. Und der kann sich nun mal nicht zwei teilen. Als sich Kris dann für Franks Stück entschieden hatte, sollen zwischen beiden die Fetzen geflogen sein. An dem Abend, habe ich ihn das erste mal davon reden hören, dass er Lust hätte das Ganze hinzuschmeißen.“

„Brigitte, wer?“, hielt Tala den Fineliner wieder über ihr neues Notizbüchlein.

„Sontheim-Kugelsdorf. Sie wohnt irgendwo hinter der Habakuk-Brücke, auf so einem Resthof.

„Frau Babusch, verzeihen Sie die Frage, aber wie stehen Sie zu Frau Hämmerle?“

Nichts, wirklich gar nichts ließ erkennen, dass Tala diese Frage verziehen würde. „Wie soll ich schon zu ihr stehen?“

„Wissen Sie ob sie an Depressionen leidet?“

„Nein weiß ich nicht!“, kam es trotzig. „ - Sie hat uns doch alles kaputt gemacht! - Bekniet hat er sie  doch, dass sie in die Scheidung endlich einwilligt! Aber sie hat ihn einfach nicht losgelassen! Geklammert hat sie, hat ihm gedroht sich etwas anzutun, wenn er sie verlässt und zu mir zieht! - Frank hat immer gesagt, sie wäre zu allem fähig, nur damit er sie nicht verlässt!“

Die beiden Beamten wechselten einen überraschten Blick.

„Da hat sie uns gerade aber eine genau gegenteilige Geschichte erzählt.“

„Die erzählt viel wenn der Tag lang ist! Da würde ich nicht viel drauf geben, wenn Sie mich fragen!“

„Könnte Sie soweit gegangen sein, ihm etwas anzutun?“

„Weiß ich doch nicht! - Frank sagte: zu allem fähig!“

„Woher kennen Sie Frau Hämmerle? Frank wird sie Ihnen kaum vorgestellt haben.“

„Wir haben in drei Stücken zusammen gespielt. - Da hatte ich aber nicht den Eindruck, die Ehe wäre glücklich. - Darum haben er und ich wohl auch zusammen gefunden. Er war einsam, verstehen Sie? Männer haben eben gewisse Bedürfnisse und Frauen die das nicht begreifen werden die Männer immer verlieren, glauben Sie mir!“

„Gut dass Sie es sind die es ansprechen, - Frank war wohl ziemlich bedürftig, nicht? Er soll sich wenig schadlos gehalten haben und mit so manch einer seiner Mitspielerin im Bett gelandet sein. - Wissen Sie da mehr?“

„Ach“, wischte sie sich trotzig über die Nase, „das war alles vor meiner Zeit! - Mir war er treu! Auf wen sollte er denn auch anspringen? - Das Ensemble ist doch jetzt schon völlig überaltert! - Oder soll er mit der Wollodia vögeln, dieser hässlichen Kuh? - Frank, wissen Sie, der wusste schon was ihm gut tut! Und nichts tat ihm besser, als ich! Das hat er mir immer wieder gesagt!“

„Wusste Rosamunde Hämmerle von Beginn an von ihrer Affäre?“

„Ich bin keine seiner Affären! - Wir lieben uns! - Wäre er frei gewesen, hätte er mich geheiratet!“

Hier kamen sie nicht weiter, entschied Tala. Sie hatte solche Dinge so, oder so ähnlich im Laufe ihrer Karriere schon zu oft gehört. Das Opfer hatte das Talent besessen, Menschen gleichermaßen einzunehmen und abzustoßen, so viel wurde deutlich.

Die abschließende Frage nach ihrem Alibi, quittierte Hetty Babusch mit einem vernichtenden Blick und der Auskunft, im Bett gelegen zu sein. Tief und fest hätte sie geschlafen und erst der Wecker habe sie geweckt.

„Was hältst Du von ihr?“, fragte Lennart, kaum dass sie wieder im Auto saßen.

„Ich mag sie nicht. - Aber das will nicht viel heißen, ich hatte nie einen Faible für Ehebruch und Ehebrecher.“

„Nanu? - Für so konservativ hatte ich Dich ehrlich nicht gehalten.“

„Ein Ring am Finger sollte etwas bedeuten. Dieses Gejaule, von wegen meine Frau versteht mich nicht, aber Sie, ja, Sie verstehen mich…!  Ekelhaft! Findet sich dann noch Weibchen die dumm genug sind auf die Nummer herein zu fallen, ist das Elend produziert – und die Frauen gehen bei so was niemals als Gewinner vom Platz!“

„Du sprichst nicht zufällig aus eigener Erfahrung?“

„- Aus beruflicher Erfahrung, mein Bester, jawohl. Es ist immer das gleiche, Männer wollen immer diejenigen sein, die förmlich über das Wasser gehen können, das ganz große Rad drehen, stellen sich hin, als die Creme de la Creme der Schöpfung! - Aber kaum dass sie anfangen mit ihrer Untertassensektion zu denken, beharren sie plötzlich darauf vom Affen abzustammen und klären die Frauen ganz gnädig darüber auf, es gäbe da ein evolutionäres Verlangen untreu zu sein und den Samen so großräumig wie möglich verstreuen zu müssen. Das sei seit den Höhlenmenschen so und sie könnten dagegen ja nicht an. Basta!“

„Und Frauen – Ehefrauen gehen niemals fremd? - Oder ist das dann etwas vollkommen anderes?“

„Zumindest geben Frauen bei so was Gründe an, die weit weniger weit hergeholt sind, als das Paarungsverhalten des Homo Erectus!“

Bevor sie ins Kommissariat zurück kehrten, hatte sie einen Abstecher zu ihrer beider Pausenbäckerei getan und bei Mayers Brotcafé Tüten mit Proviant befüllen lassen.

Die Erste Mordkommission Eckenburg fristete noch immer ihr Dasein in einem eigentlichen Beratungszimmer, in dem die vier Tische je zu Zweien zusammengestellt waren, in einer Ecke hängte ein weißes Fallboard, während an der Stirnseite des Raumes, ein weiteres kleines Büro hinter großen Glasscheiben grenzte. In ihm residierte der Chef des Quartetts und blickte interessiert auf, als seine Beamten durch die Tür traten.

Kalle Krell machte sofort den Hals nach dem Inhalt der braunen Tüten lang. Keine seiner Miezen, die er zuweilen immer noch in den Clubs aufreißen konnte, stellte ihm schließlich am Morgen ein Frühstück vor die Nase.

Gerd Löffler ihm gegenüber kreiste gelassen mit dem Brillenputztuch über die Gläser seiner Sehhilfe. Er zählte die Monate bis zu seinem Rentenantritt schon an beiden Händen ab. Was immer Tala über den jüngsten Fall mitbringen würde, es könnte ihn nicht mehr schrecken. Nachdem sie vor Weihnachten einem Profi seines geliebten Eckenburger SV hatten helfen können, gerade noch den Kopf aus der Schlinge zu kriegen, war er überzeugt, dass es nichts geben könne, was ihn vergleichbar Nerven kosten könnte.

 

Konner mühte sich die unterschiedlichen Aussagen der beiden Frauen auf das Board zu skizzieren.

„Frau Babusch traute auf Nachfrage der Frau vom Opfer eine solche Tat zu. Umgekehrt meinte Frau Hämmerle, wann immer es um Frank Hämmerle ginge, solle man sich an Frau Babusch wenden, denn sie und ihr Mann wären im Grunde miteinander fertig gewesen“, schloss Lennart seinen Bericht. Er hatte sich mit einem Geschirrtuch aus der winzigen langen Teeküche versorgt gehabt und die Haare trocken zu reiben versucht, mit mäßigem Erfolg. So fror er weiter vor dich hin.

„Tala, - wie ist Ihr Eindruck von dieser Frau Babusch?“, wollte Konner wissen. Die Kollegin war zu still.

„Der Einschlag war deutlich. Sie hatte keine Ahnung, was Frank Hämmerle zugestoßen war. Natürlich, hätte sie mitbekommen, dass ihr Geliebter sie nach Strich und Faden belogen hat und es gar nicht die Ehefrau war, die die Scheidung verweigerte, könnte das schon was in ihr bewegt haben, so was ist uns ja nicht neu. Frank Hämmerle hat beide Frauen manipuliert nach belieben. Und wer das bei Zweien schafft, der versucht vielleicht das auch bei weiteren.“

„Allerdings“, fädelte Assmuth ein, „stößt das im Theaterverein wohl an natürliche Grenzen, - fand zumindest die Babusch. Die weiblichen Mitglieder wären zu alt für solche Spielchen, - oder zu wenig ansehnlich für dessen Geschmack.“

„Sie behauptet nur was ihr zuvor Hämmerle geschworen hat, darauf zu setzen birgt für uns keine Erkenntnisse, die wir ernst nehmen sollten“, schüttelte Kollberg den grau blonden Schopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Lennart vernahm wieder dieser feine Note der Salbe, mit der der Vorgesetzte noch immer die Brandnarben an Brust und Hals einreiben musste, die er seit Schülertagen durch sein so ernsthaft gestaltetes Dasein zu tragen hatte.

„Hämmerle ist ein Opfer, dass uns nach Abschluss der Ermittlungen so fremd sein wird, wie jetzt zu Anfang“, prophezeite Tala auch schon. „Von Keinem und erst recht von KeineR werden wir ein Bild erhalten, das uns ihn so spiegelt wie er wirklich war. Der spielte Verstecken mit sich und der Welt. - Was es uns um so schwieriger machen wird heraus zu finden, wer heute Nacht zum Stein griff, - wütend. Was hat Hämmerle wann mit wem gemacht, dass der oder die in eine solche Rage brachte? Eine solche Suche bei einem solchen Chamäleon“, fiel sie ächzend in ihren Bürostuhl, „kann endlos werden.“

„Es fiel ein weiterer Name in dieser Befragung, - Brigitte Sontheim-Kugelsdorf, da flogen die Fetzen, haben Sie gesagt, Tala, nicht?“

„Allerdings. Gezerre um einen Darsteller. Aber - das könnte ein letzter Tropfen gewesen sein. Wie ich heraus gehört habe, schwelt ein sehr elementares Unverständnis über die künstlerischen Strömungen zwischen den beiden und das schon seit Jahren. Ich war selbst ein paar Mal in Aufführungen in dem alten Bahnhof. Ist schon nicht schlecht, was sie da aufziehen können, aber die Auffassungen über die richtigen Wege zur Kunst driften da schon sehr auseinander. Da kann ich mir schon vorstellen, wie es hinter den Kulissen hergegangen sein muss, wenn sich die beiden Alphatiere nicht gütlich einigen mögen.“

 

Lennart fror nicht nur wie ein Schneider, er war auch merklich an gesäuert. Ein vernünftiger Chef, fand er, hätte ihn nicht wieder raus in die spärlichen Frühjahrestemperaturen geschickt. Aber er und Kollberg standen nicht mehr gut zueinander. Ihm war bewusst, dass er alleine zusehen musste, wie er über die kommenden Monate käme.

Sie waren kaum in den grauen BMWuppdich eingestiegen, er hatte gerade den Schlüssel ins Zündschloss gedrückt, da kniff sie ihn in die Rippen und meinte: „Bevor wir auch nur einen Schritt über die Habakuk machen, fährst Du heim, holst Dir trockene Klamotten – und endlich eine vernünftige Jacke! - So holst Du Dir den Tod, Du Trottel!“

„Konner Trottel!“, gab der junge Mann zurück. „Wer schickt mich denn so raus? Haben meine Zähne echt so leise geklappert, sag mal?“

„ER! - Gerade damit Du nach Hause fahren kannst! - Er weiß, dass ich weder frierende noch hungrige Kollegen ertrage!“

Tala und Konner hatten eine lange und wie er fand besondere Verbindung zueinander. Die Geschichte der beiden hatte unmittelbar mit einer halb erfrorenen jugendlichen Tala zu tun, die von ihrem eigenen Vater erst schwer im Gesicht verletzt worden war, dann aus dem Haus geworfen und sie sich über Wochen auf der Straßen bei eiseskalten Temperaturen selbst überlassen worden war. Bis endlich ein junger Polizist namens Konstantin Kollberg bei einer Razzia in einem Abbruchhaus das als Junkie-Höhle diente, das Mädchen in ihrem Versteck fand und in Sicherheit brachte.

Sie hatte ihm ehrlich und offen von den Wochen ohne Obdach und ohne Hoffnung erzählt, hatte ihn eingelassen, in die Erlebniswelten jener Abgründe an denen Menschen sie abgestellt hatten.

 Sie wollte nicht mit nach oben kommen. Die Wohnung im Hochhaus der Nelkenburg-Siedlung, der Satellitenstadt in der es sich Lennart leidlich häuslich eingerichtet hatte, war belastet von den Erinnerungen an die Nacht in der sie der Kollege hierher telefoniert hatte, um ihr zu sagen, was er bei seiner Hackerattacke auf den PC des Ehepaares Reuthmayer an Abscheulichkeiten gefunden hatte. Unter anderem das Tape auf dem der Mord aufgenommen war. Sie selbst hatte sich die Aufnahme nicht wirklich angesehen, es hatte genügt zuzuhören, wie sie das Opfer vergewaltigten, quälten und letztlich erwürgten. Zudem plagte sie die Erinnerung an Konners Reaktion. Sie hatte ihn hinzu telefoniert gehabt. Nur mit Mühe, das wusste sie zu gut, hatte der sich anschließend dazu durchgerungen gehabt, zuzustimmen den Hack für sich zu behalten und Details der Aufnahme als Grundlage für weitere Ermittlungen – an der Staatsanwaltschaft vorbei - zuzulassen. Aber im selben Atemzug war eben die Forderung gekommen, nach der Lennart die Kommission verlassen müsse, ohne Wenn und Aber. Dass er ihn nicht mehr ertragen könne, hatte Konner ihm gesagt. Und ihr hatte er gesagt, sie wäre von Assmuth ausgenutzt worden. Sie hatte einzusehen gehabt, wie das nicht halb so absurd war, wie es zuerst geklungen hatte. Sie hatte begonnen sich für den jungen Mann verantwortlich zu fühlen, dessen zerrüttetes Verhältnis zum Vater begonnen hatte Auswirkungen auf den Polizisten Assmuth zu haben. Sie hatte ihre Nase in Dinge gesteckt, die sie als ranghöhere Beamtin nicht zu interessieren hätten brauchen. Sie hatte dem Hackerangriff ihren Segen gegeben – und Konner damit erstmals ernsthaft gegen sie einnehmen lassen.

So war es besser hier im Wagen sitzen zu bleiben, auf einer Brezel herum zu kauen und sich vorzunehmen bei diesem Fall alle Sinne beisammen zu halten, den Job zu machen – und nichts als den Job und der Gewissheit mehr Bahn zu lassen, nach der sie Lennart verlieren würde. Kaum da, wieder weg. Die Planstelle blieb der Kommission erhalten, Gott sei Dank. Jemand neues würde an ihre Seite gestellt werden und Lennart einer werden, von dem man höchstens mal zu Weihnachten eine Karte bekam, ein paar Jahre lang wenigstens.

„So!“, hopste er zurück auf den Sitz hinter dem Steuer. Der braune Parka war wieder gekehrt, noch war nicht Zeit für Übergangsjacken an Übergangsmenschen.

Brigitte Sontheim-Kugelsdorf wohnte in einer renovierten ehemaligen Gesindeküche eines ehemaligen Gehöftes, das zu den Ländereien Derer zu Thessenheim gehört hatte. Dieser Umstand schien der Bewohnerin ziemlich wichtig zu sein, denn kaum dass sich Tala und ihr Kollege vorgestellt hatten und routinemäßig den Blick über die Wände und Möbel hatten schweifen lassen, bekamen sie es lang und breit erzählt.

Die offene Gestaltung der Räume und die verteilt stehende Töpferware und Keramik aus Bunzlauer Manufaktur, erinnerte Tala spontan an die heimelige Atmosphäre von alternativen Wohngemeinschaften der frühen Achtziger des vorigen Jahrhunderts. Aber schon die interessierte Frage: „Hatten die Von Löwenstimms mal mit dem Thessenheimer Adel zu tun?“, machte deutlich, wie sich der Geist in diesen Wänden gewandelt hatte.

„Nun, Sie haben es nun mit mir zu tun, das muss Ihnen reichen!“, konterte sie denn auch trocken und argwöhnte: „Fragen Sie sich überhaupt nicht weshalb hier die Kriminalpolizei bei Ihnen aufgetaucht ist?“

Brigitte Sontheim-Kugelsdorf machte auf die Hauptkommissarin einen etwas fahrigen Eindruck, etwas Kapriziöses umgab die Dame, die sich eine ihrer langen grauen Strähnen aus einem erhitzten Gesicht wischte.

„Ich nehme an, Sie werden schon noch auf den Punkt zu sprechen kommen?“  

„Heute Morgen wurde an einer Baustelle in der Julmondis-Gasse, die Leiche von Frank Hämmerle aufgefunden. Erschlagen.“

„Oh!“, entfuhr es Frau. Sie schlug ihre Hände vor das Gesicht und japste ein: „Das ist ja schrecklich!“

„Wir haben erfahren, dass Ihrer beider Verhältnis reichlich angespannt gewesen sein soll, stimmt doch?“

Brigitte setzte sich auf einen Stuhl am großen Esstisch. „Ja nun, wissen Sie, - wir hatten abweichende Vorstellungen was das Theater und die künstlerische Darreichungsformen betraf, sicher. Aber erschlagen, meine Güte, wie furchtbar, wer macht denn so etwas?“

„Das versuchen wir heraus zu finden. - Und hoffen dabei auch auf Ihre Hilfe.“

„Meine? - Wieso das denn? - Ich haben doch nichts mit einem Mord zu tun!“

Die beiden Beamten wechselten einen schnellen Blick. „Das hat auch niemand behauptet.“

„Sie sind die zweite Vorsitzende des Theatervereins Gleis 4, Herr Hämmerle hielt sich viel und lange dort auf, steuerte die Prozesse dort, inszenierte, probte… Sie sagten selbst, da gab es öfter einmal Unstimmigkeiten zwischen Ihnen beiden?“

„Das ist aber doch auch kein Geheimnis.“

„Da gab es erst zu Letzt einen heftigeren Zusammenstoß wegen eines Schauspielers, den sie auch gerne gehabt hätten?“

„Um den Kris, ja. Er hat ihn rum gekriegt mit dem neuen Stück über den Fähnlein, wie immer. Die schlichteren Gemüter spielen lieber vor einer johlenden Menge, als vor einem kritischen und gebildeten Publikum“, nestelte sie an ihrer langen Holzperlenkette.

Der Bachelor der Kriminalistik erkannte daran genau, wie es hier jemanden danach drängte sich einen Halt in dieser Situation zu verschaffen. Brigitte Sontheim-Kugelsdorf fürchtete wohl hier ins Schwimmen zu kommen. Er fand das durch aus interessant und notierte es in seine Seiten.

„Wissen Sie von noch weiteren Mitgliedern des Ensemble, das mit Hämmerle über Kreuz gelegen wäre?“

„Nein!“, kam es überzeugt. Für Tala eine Idee zu laut. „Er konnte etwas recht Joviales an den Tag legen, - wenn es seinen Zwecken diente, versteht sich. - Er ist bei seinen Leuten recht gelitten...“

„Seinen Leuten?“, merkte Lennart auf.

„Na, seine Claqueure eben, die Teile des Vereins, die seine Einstellungen teilen und unterstützen. Die sich um ihn herum rudeln, an seinen Lippen kleben und gierig darauf warten, dass es ihnen gnädig die nächste Rolle zuwirft.“

„Gab es innerhalb dieses Rudels in jüngster Zeit irgendeine Unruhe, einen Streit, oder Ähnliches?“

„Weiß ich nicht. Die unterhalten sich sehr selten mit mir.“

„So tief sind die Gräben?“

„Sie hatten lange Zeit sich zu bilden. - Diese Animosität geht zurück bis zur Gründung des Vereins 1985. Wie ich das so lange ausgehalten habe, ist mir selbst das größte Rätsel.“

„Könnte jemand aus Ihrer Gruppe einen tieferen Groll gegen Herrn Hämmerle gehegt haben?“

„Ausgeschlossen!“ - Schon wieder dementierte die Frau für Talas Geschmack zu laut. „Das würde bedeuten sich die Hände schmutzig zu machen. Meine Freunde im Verein, wissen sehr gut wer sie sind, was sie können und was sie wollen. Wir sind da sehr fokussiert. Seitenhiebe von Hämmerle tun uns nicht weh.“

„Welch tapferes Wort...“, versuchte Tala beeindruckt zu klingen. „Gelten Künstler nicht als eher zartbesaitet und temperamentvoll sobald es darum geht einen künstlerischen Anspruch zu verteidigen?“

„Was immer man sich bei der Polizei auch darunter vorstellen mag, nicht wahr? - Aber da Sie es haben mit einem gewissen Naturell und empfindlicheren Gemütern, - darf ich Ihre Aufmerksamkeit lenken auf eine gewisse Ella Wollodia?“

„Sie dürfen mir vor allem mehr über sie erzählen.“

„Da gibt es nicht viel. Sie tauchte vor gut eineinhalb Jahren das erste Mal bei unseren Übungsabenden auf. Die sind offen für Interessierte. - Eine hässliche kleine Maus, schon jenseits der Vierzig, mit Zahnprothese und Hummelhüften, so unförmig die hätte nicht mal Rubens Model sitzen lassen. Eine kleine Existenz, wenn Sie mich fragen, kleine Stimme. Zugegeben, sie hat ein gewisses Verständnis fürs Spielen und fürs Theater, vielleicht auch ein bisschen Talent. Aber die war nichts für unsere Bühne, nein, da waren Frank und ich uns wohl einig. Ich war selbst ja nicht dabei aber bei einem der letzten Übungsabende soll die Kleine den Rappel bekommen und Frank ein paar unschöne Dinge an den Kopf geworfen haben. Die Türen sollen geknallt haben. Hat mich überrascht, sie wirkte eigentlich immer so ruhig.“

„Eine Ahnung worum dieser Streit ging?“

„Diese Abende heißen zwar Übungsabende, sie haben mit den Proben nichts zu tun. Was Frank da meistens macht sind Tai-Chi-Übungen, Atemübungen, - einfach auch um unter der Woche unseren Akteuren die Gelegenheit zu bieten den Sprech- und Bewegungsapparat in einer Spannung zu halten, ehe es an den Wochenenden an die Proben oder die Aufführungen geht. Der Kleinen...“

„Frau Wollodia...“

„Ganz recht, der ist wohl der Geduldsfaden eingerissen. Links und rechts an ihr vorbei wurden neue Stücke geplant, die Schauspieler sprachen dafür vor, wurden besetzt, - aber für die Wollodia tat sich eben kein Türchen auf. Sie hat Frank wohl zur Rede gestellt, weswegen sie nicht mal für eine Rolle vorsprechen hätte dürfen. Naja, wie gesagt, zum Schluss flog eine Tür zu. - Sie hat den Wink mit dem Zaunpfahl wohl länger nicht verstanden...“

„Oder aber sie hat ihn sehr wohl verstanden. - Und immerhin, Frau Sontheim-Kugelsdorf, sie hätten sie ja auch mal vorsprechen lassen können, nein?“

„Wie gesagt, Frau von Löwenstimm. Solche Figuren taugen nicht für die Bühnen. Glauben Sie mir, ich weiß doch wovon ich da rede…!“

Lennart erkannte ohne Schwierigkeiten, wie sich seine Kollegin gerade auf die Zunge biss. Das hatte er mehr als gelernt, Tala hatte umgehend Abneigungen gegenüber Personen, die andere aufgrund ihres Aussehens abwerteten und auch alle Dienstbeflissenheit half ihr da nur wenig. Die Narbe, die ihr der eigene Vater mittels einer zerbrochenen Whiskyflasche zurück gelassen hatte, durchzog immerhin ihr halbes Gesicht. Sie gehörte zu dieser Schwesternschaft der Verlachten und Verstoßenen. Ihr Dienstrang stützte ihren Selbstwert wie ein Korsett, darüber hinaus gab es weniges das ihr ein Podest hätte mauern können, auf dem ihre Persönlichkeit ruhen konnte. Die Siege auf den Turnierplätzen der Umgebung, die die begeisterte Reiterin nach dem Umzug zu einer Verwandten der toten Mutter als junge Frau hatte erringen können, wurden getrübt von dem Zerwürfnis, das sich zwischen ihr und jener Frau zugetragen hatte, an deren Seite sie damals ritt und siegte. Er war daneben gestanden, als im Herbst letzten Jahres, Tala eben dieser Frau, der Reitstallbesitzerin Ska Peikh, klar zu machen hatte, dass sie sie für den Mord auf dem Ponyhof verdächtig hielt und sich ganz schnell diese so wichtige Akzeptanz sich entpuppt hatte, als ein einziges Trugbild. Es hatte Momente gegeben, an denen er geglaubt hatte, sie würde an den Vorwürfen und Vorhaltungen Peikhs, zerbrechen.

„Wo waren Sie heute zu Mitternacht? Plus minus 1 Stunde?“

„Hier!“

„Kann das jemand bezeugen?“

„Nein, stellen Sie sich vor. - Der Scheunenkater ausgenommen, der sprang mir am Abend gegen die Fensterscheibe, hat wohl irgendwas gejagt. Ich habe mich furchtbar erschrocken!“

„Aussagen von Haustieren sind nicht justiziabel. - Sonst wer?“

„Nein, ich war die Nacht alleine. Und hier, selbstverständlich!“

„Selbstverständlich...“, notierte Tala laut in ihr Büchlein.  

 

 

Kapitel 2 ~ Künstler ~

Kapitel 2 ~ Künstler ~

 

„Polizeipräsidium Eckenburg, Polizeiobermeister Nolde am Apparat?“

„Ja, hallo? Bin ich da bei der Polizei?“

„Nein, ich bin bei der Polizei. Sie haben nur hier angerufen.“

„Ach so. - Ich rufe an wegen diesem Toten im Gerberviertel. Bitte, wer ist dafür zuständig?“

„Die Kommission von EKHK Kollberg, soll ich Sie zu ihm durchstellen?“

„Kriminalpolizei Eckenburg, Mordkommission, - Kollberg.“

„Guten Tag, mein Name ist Magdalena Dezel. Sind Sie zuständig für den Toten im Gerberviertel?“

„Allerdings. Können Sie uns etwas darüber sagen?“

„Ich habe den Mann gesehen, der es getan hat.“

„Sie haben den Täter gesehen?“

„Heute Nacht, da habe ich gesehen, wie er sich erst über den Mann am Boden gelehnt hat, dann ist er aufgesprungen, als er mich gesehen hat – und dann ist er los gerannt, direkt auf mich zu! Beinahe hätte er mich umgerissen! Aber ich habe ihn genau erkannt!“

„Von wem reden Sie bitte?“

„Von diesem Schauspieler, diesem Bernd Goldbacher!“

„ - Goldbacher? - Wie kommen Sie denn darauf?“

„Erkannt habe ich ihn, ganz sicher! - Und auch das linke Bein, das krumme, das hat er auch gehabt!“

„Gute Frau, sind Sie sicher, dass Sie das nicht verwechseln? - Bernd Goldbacher agiert im Fernsehen vor einem Millionenpublikum, - hatte der Mann der auf Sie zu rannte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Schauspieler…?“

„Nein! Ich sage Ihnen, es war der Bernd Goldbacher! Ich sehe diese Polizei-Serie seit Jahren, ich weiß doch ob der da leibhaftig vor mir steht, oder ein anderer!“

„Gut, gut, Frau Dezel. - Ich schlage vor, Sie kommen hierher und wir nehmen Ihre Zeugenaussage auf und klären die Sachlage dann ab, einverstanden?“

„Nein, nix! Keine Zeugenaussage! - Ich habe nur angerufen, um Ihnen eine Mitteilung zu machen! Weiter nichts! - Den Goldbacher, den müssen Sie mal fragen und tüchtig verhören, - nicht mich!“ - Es knackte in der Leitung, dann das Leerzeichen der Telefonvermittlung des Präsidiums.

Nachdenklich betrat Konner den Beratungsraum mit den besetzten Tischen seiner Kollegen.

Tala und Lennart hatten die Mitgliederliste des Theatervereins mitgebracht, sich die Adresse der Ella Wollodia heraus gesucht und waren abermals bereit zum Aufbruch gewesen, da hielt sie ihr Chef auf: „Moment, Sie beide! - Ich hatte da gerade einen Anruf einer Zeugin, die gesehen haben will, dass sich niemand geringeres als Bernd Goldbacher beim Toten aufgehalten haben soll. Erst soll er sich über ihn gebeugt haben, dann beim Eintreffen der Zeugin, fluchtartig den Ort verlassen haben.“

„Goldbacher? DER Goldbacher?“, - Krell machte große Augen und eine gewichtige Miene. „Mein lieber Kokoschinski! - Die Promis geben sich bei uns ja die Klinke in die Hand in letzter Zeit. Da muss sich was rum geschwiegen haben, oder?“

„Etwas ernsthafter Kalle!“, mahnte Konner. „Sie behauptet fest, ihn wieder erkannt zu haben – auch sein krummes linkes Bein will ihr aufgefallen sein. - Es ist doch sein linkes Bein, das so ein bisschen krumm gewachsen ist, Tala?“

„Äh, ja, ich glaube...“ - Ihr junger Kollege traute seinen Augen nicht. Die Frau wurde rot.

„Sie sind doch Fan von ihm, wenn ich mich recht erinnere?“ - Er konnte sich täuschen, aber der gute Konner Kollberg hatte da doch einen deutlich verkniffenen Zug um den Mund?

„Das… das ist ziemlich her. Und Fan, das trifft es nicht annähernd...“

„Na komm schon“, neckte Krell, „der Goldbacher mit der Silberzunge! - Diese Stimme! - Damit raspelt der schon Süßholz wenn er sich nur beim Bäcker ne Tüte Brötchen bestellt! - Die Frauen fallen reihenweise sobald der den Mund aufmacht!“

„Früher vielleicht“, winkte sein Tischnachbar ab, „da war er wohl schwer um die Häuser, aber der ist jetzt fast in meinem Alter, da bleiben die Hörner unten, glaubs mir!“

„Pah! - Das ist kein halbes Jahr her, da habe ich ihn oben hocken sehen in der alten Jägerklause, mit ner Champagnerbuddel auf dem Tisch – und alleine war er nicht, das magste mal glauben!“

„Was auch immer!“, schnitt Kollberg ungewohnt scharf in diese Frotzelei. „Zu diesem Zeitpunkt der Ermittlung kann und will ich das nicht ungehört lassen. - Sie beide“, deutete der Chef wieder auf die Frau und ihren jungen Kollegen, „fahren zu erst zu  diesem Goldbacher. - Wir müssen wissen, ob sie einander kannten, ob es eine Verbindung gegeben hat zwischen den beiden Schauspielern - und auch wo er heute Nacht gewesen ist.“

„Warum wir?“, beschwerte sich Lennart umgehend. „Könnten das jetzt nicht mal die anderen beiden machen?“

„Ich möchte auch wissen, weshalb er und ich diesen Besuch machen müssen?“, schaltete auch Tala von Löwenstimm auf stur. „Voraus gesetzt wir bekommen ihn überhaupt zu fassen…“

„Wir sind keine Reporter des Boulevard, wir sind Mordkommission! Wir klingeln nicht höflich um Interviewtermine an, wir holen diese Interviews. - Wir haben den Hinweis, dass er am Tatort war, - bei der Leiche! Wir wissen, dass es sich dabei um keine Dreharbeiten gehandelt haben kann, ergo ist er für uns so interessant wie jeder andere über den wir solche Informationen bekommen - und genauso wird er auch behandelt. - Ich vertraue auf Ihre Professionalität, Tala, Lennart. Sollten Sie aber der Meinung sein, dass ich das nicht mehr kann, sagen Sie es ruhig und ich schicke die beiden Männer.“

„Mit anderen Worten, Sie misstrauen der Professionalität dieser beiden anderen hier? - Sehen Sie nicht? - Tala ist es unangenehm zu diesem Kerl zu fahren...“

„Unangenehm, gehts noch? - Ziehst Du Luft, oder so was?“

„Im Fall des Erstligaspielers Schnittker, haben Sie beide eine überdurchschnittliche Empathie an den Tag gelegt, der Dank des Fußballers ist Ihnen beiden ewig gewiss. Wenn jemand Bernd Goldbacher auf bekommt, dann Sie beide.“

„Goldbacher ist kein Schnittker!“, widersprach Tala Konner ungewohnt heftig. „Er ist schwierig. Ein kantiger Charakter und ganz nebenbei ein verdammt guter Schauspieler. Der kann uns mit seinem Spiel an der Nase bis zum Sankt Nimmerleinstag herum führen und wir würden es unmöglich merken!“

„Mag sein“, mühte sich Konner  überraschend offen Talas Unmut zu kühlen, „diese Lage klärt sich ja schon während des allerersten Gesprächs. Wenn er ein Alibi hat, ist er ja aus dem Schneider. Und Sie beide brauchen nie wieder sein Haus anzusteuern.“

 

"Sein Blick aus stechend blauen Augen zielt noch immer auf die Mitte der Herzen seiner meist weiblichen Fans. Die dichten Haare grau meliert, das Gesicht markant und gereift und Lippen die genau wissen wie Frauen küssen. - Bernd Goldbacher (64) spielt den Serienkommissar Lenski in der erfolgreichen Vorabendserie "Kommissar Kassio", mit einer Verve und Präsenz, die nichts von ihrer Strahlkraft eingebüßt haben. Sitzt man neben ihm, spürt man eine ungemein männliche Aura...", Lennart  ließ sein Smartphone sinken: „ - Wann hast Du denn bitte Zeit eine Vorabendserie zu gucken?"

„Schon mal was von Mediatheken gehört?“

„Du stehst auf den? „Das Alter hat mich nur stärker gemacht.“ - Interview mit einem der wenigen verbliebenen Charakterköpfe im deutschen TV...“

„Willst Du mir jetzt jede Zeile der letzten 20 Jahre über den um die Ohren hauen? - Zündschlüssel! Zündschloss! – Und dann bitte ab durch die Mitte, - aber villa! - Wir müssen danach noch zu der Wollodia – und die Berichte schreiben sich hinterher auch nicht von selbst!“

„Donnerwetter, Du bist ja ganz hübsch nervös…!“

„Muss Konner mir den Vortrag halten von wegen wir kümmern uns um keine großen Namen – und das alleine nach dem letzten Fall?“

„Was willst Du? - Er ist eifersüchtig!“

„Wie! Oft! Noch? - Ist er nicht! Er sorgt sich um meine Durchschlagskraft, mein Rückgrat bei den Ermittlungen, meine Chuzpe, meine Energien – und das ist schlicht unglaublich!“

„Tala, entschuldige, ich stand neben Dir und habe gesehen, wie Du rot geworden bist – und der liebe Chef sah das ebenso! - Du bist nervös! - Du stehst auf Kommissar Kassio…!“

„Kassio Lenski ist ein Idiot! So wie der ermittelt, kriegten wir unsere Täter in Jahrzehnten nicht!“

„Die raffen diese ganzen Sachen eben, die Realität hätte niemals Chancen beim Publikum.“

„Der Goldbacher“, erklärte Tala nachdem der BMWuppdich endlich durch den gemauerten Rundbogen des Präsidiumsparkplatzes gerollt war, „ist ein hervorragender Schauspieler, das sagte ich ja schon. Er beeindruckt - und er weiß das auch. Ich habe meine Probleme mit dem Mann, wenn Du es genau wissen willst.“

„Genauer gesagt mit seinem Charakter, oder? - Der Mann an sich gefällt Dir nämlich schon ganz gut.“

„Er hat manche Sachen gesagt, die mir ziemlich gegen den Strich gegangen waren. - Aber das ist jetzt ja wohl absolute Nebensache!“

„Gegen den Strich, hä? - Dann kann das da drinnen ja jetzt nur heiter werden...“, lenkte Lennart den Wagen schon in eine Parklücke in der Otras-Kavantur-Allee.

Der Regen hatte nachgelassen, aber der Nordwind peitschte immer neue dunkle Wolkenfetzen über Eckenburgs Dächer. Den alten Lindenbäumen wuchsen neue Frisuren, die die Böen fleißig kämmten.

Sie verzichtete auf den Schirm, die paar Schritte Nass von oben, waren ihr egal. Sie war nicht aus Zucker – und bestimmt nicht aus dem Material aus dem Frauen waren, die sich unter dem Klang der Stimme eines Schauspielers gleich lasziv auf dem Teppich räkelten. Wie um das zu beweisen knallte sie die Wagentür mit einem lauten Schlag zu. „Was soll das heißen? Und dann auch noch mit diesem spöttelnden Unterton?“

Lennart wischte sich amüsiert über das Gesicht. „Spöttelnd? Hast Du das gerade wirklich gesagt? Spöttelnd?“ - Er wollte sie ablenken, nicht aufziehen, aber wie meist verpassten seine Absichten die richtige Abfahrt auf seine Stimmbänder.

Das Haus 15 war in eine Jugendstil-Villa, mittleren Zuschnitts. In der ohnedies üppig und überladen verbauten Allee fiel sie nicht besonders auf. Tala bemerkte nur wie der leicht verspielte Jugendstil der Fassade, ein dezentes Farbenspiel durchaus vertragen würde. Während ihrer frühen Jahren im Einbruchsdezernat hatte sie einige solcher Häuser von innen kennengelernt und rechte Zuneigung zu ihren leicht bauchigen Formen entwickelt. Jugendstil-Häuser schienen immer satt und zufrieden.

Der kleine Vorgarten war gepflegt, aber ohne erkennbare eigene Note, ein paar Tulpen zappelten im Wind, das wars.

„Es gibt ja keine Garantie, dass er überhaupt da ist“, versuchte Lennart denn doch noch einen Trost, ehe er die unbeschriftete Klingel drückte.

Tala zog ihren Ausweis heraus und natürlich glitt er ihr aus der Hand. Ihre Verzweiflung wuchs. - So viele Jahre, so viele Fälle, Verhöre, Tatorte und ausgerechnet jetzt flatterten ihre Nerven. Sie fühlte sich scheußlich.

Sie riss den Ausweis hoch und hielt ihn vor den Türspion. „Nein, das ist nicht Versteckte Kamera! - Die Ausweise sind echt!“, rief sie.

„Ich wette“, kommentierte der junge Mann die verschlossene Tür, „das hat er genau so schon öfter gehört und darum schlage ich… Was tust Du?“

„Soll er im Präsidium anrufen und sich bestätigen lassen, dass die Kripo vor seiner Tür steht!“, sie riss die Seite mit der Durchwahl der Kommission darauf aus ihrem Buch und schob sie unter der Tür durch.

„Wir sind Hauptkommissarin Löwenstimm und Oberkommissar Assmuth von der Ersten Mordkommission Eckenburg! Es gab heute Morgen einen Toten im Alten Gerberviertel, den Sie gekannt haben könnten. Und wenn ich noch lauter rufen muss, ...“

Die Tür öffnete sich langsam und leise und Bernd Goldbacher stand darin. Den Blick durch die Lesebrille, die etwas schief auf seiner Nase hing, richtete er erst auf den Zettel und dann auf die beiden Besucher: „Was soll das sein?“, brummte er unwillig.

„Das ist die Telefonnummer unseres Chefs, des EKHK Konner Kollberg. Wenn Sie sich erst vergewissern möchten…?“

„Ja doch ich kenne Konstantin Kollberg“, machte der Mann noch immer keine Anstalten sie ins Haus zu lassen.

„Das ist erstaunlich, denn er kannte sie nicht.“

Der Oberkommissar war überrascht und das angenehm. Tala von Löwenstimm war stimmlich in ihrem üblichen Fahrwasser verblieben.

Goldbacher nahm das Kinn nach oben, gestattete seinen in der Tat tadellos blauen Augen einen Blick auf die Frau vor ihm. „Löwenstimm. Sind sie das freche Biest, dass dem armen Fiete Mullemeit letztes Jahr auf dem Golfplatz den Ball ins Gebiss gedroschen hat?“

Selbst im Regen war zu hören wie sie die Luft tief durch die Nase einzog und Assmuth bekam eine Idee davon was die Kollegin gemeint haben könnte, mit jenen Dingen die ihr im Charakter des Mannes übel aufstießen.

„Ein Freund von Ihnen?“, machte er sich hörbar.