Löwenstimm  - 2 - Sonja Kowalski SKG - E-Book

Löwenstimm - 2 E-Book

Sonja Kowalski (SKG)

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

 Löwenstimm 2 - Mit Hand und Fuß   Zweiter Teil der "Löwenstimm-Reihe."     Nach den dramatischen Ereignissen auf dem Ponyhof, führt der Fund einer skelettierten Frauenleiche im Nobelvorort Kranten, Tala, Lennart und ihre Kollegen der Mordkommission Eckenburg, in einen Sumpf aus Sex und Lügen, Schweigen und Standesdünkel. Die Überheblichkeit des Ehepaares bei der die Tote als Hausmädchen angestellt war, lässt sie rasch verdächtig erscheinen. Aber was ist das für eine Spur die zu Benny Schnittker führt, dem Abwehrspieler und Publikumsliebling des Erstligisten Eckenburger SV? Was verbirgt da der Fußballer vor der Kollberg-Kommission und der Welt? - Tala und Lennart gehen weit in ihren Ermittlungen. - Zu weit?     Ein harter Fall. 

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Sonja Kowalski SKG

Löwenstimm - 2

Mit Hand und Fuß

Für die Straßenkinder des Stuttgarter Bahnhofsviertels.BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Section 1

 

 

 

 

 

 

 

Für die

Straßenkinder

des

Stuttgarter

Bahnhofviertels.

 

 

 

 

 

Löwenstimm

Löwenstimm

- 2 -

 

Mit Hand

und Fuß

 

 

Kriminalserienroman

 

 

Von Sonja Kowalski

Kapitel 1 ~ Spitzen ~

 

Kapitel 1 ~ Spitzen ~

 

„Hör auf damit, oder ich kleb‘  Dich an die Decke!“

Gedankenverloren hatte der Oberkommissar in seinem Bürostuhl gelehnt und am Druckknopf seines Kugelschreibers herum gespielt. Jedenfalls bis Tala ihr genervtes Konterfei am Bildschirm vorbei geschoben hatte. Ihre preußische Augenbraue dabei in messerscharfer Kerbung vertikal durch ihre Stirnhälfte gezogen, erinnerte Lennart Assmuth daran, dass die Räume einer unterbesetzten Mordkommission kein Ort waren in denen man Müßiggang schätzte.

Auch die beiden Kollegen zur Rechten an ihren Tischen, warfen schnelle aber genervte Blicke in seine Richtung.

Er hörte wie Talas Finger wieder über die Tastatur tapsten und atmete durch.  

Es wackelt immer ein bisschen, wenn ein Leben in ein anderes fällt, hatte sie ziemlich am Anfang ihrer Zusammenarbeit gesagt. In der Tat waren die Erschütterungen schon weniger geworden, er härtete ab gegenüber ihrem Temperament, ihren Plötzlichkeiten und dem Stachel den sie ausfahren konnte, geradezu aus dem Nichts. Andererseits geizte sie auch nicht mehr mit guten Worten in seine Richtung und stärkte ihm den Rücken wann immer er es brauchte. Es überraschte ihn immer noch wie zielsicher ihr Gespür dafür geworden war. Der Dienststellenleiter, der Erste Kriminalhauptkommissar Kollberg, hatte Recht behalten. - Tala mochte nervtötend kompliziert und elend verkorkst sein, aber sie war trotz aller väterlicher Gewalt ein soziales Wesen geblieben.

Er stopfte den Stift zu seinen Genossen in die henkelamputierte Tasse der Polizeiakademie Rundstadt und versuchte sich weiter auf den Bericht zum Unfall mit Todesfolge und Fahrerflucht zu konzentrieren, den sie vor zwei Tagen aufzuklären im Stande gewesen waren, aber es wollte ihm einfach nicht gelingen.

Denn gerade war er dabei gewesen sich eine Idee davon zu machen, wie seine Kollegen in der für ihn noch immer neuen Dienststelle wohl ihre Freizeit verbringen würden?  - Fast zwei Monate arbeitete er nun schon mit ihnen zusammen. Es kam ihm länger vor, aber wie viel wusste er von ihnen überhaupt schon?

Gerd – GeGe – Löffler war der Älteste unter ihnen. Ein guter Kerl im Grunde, eine ruhigere Instanz und ein gesetzter Charakter. Len wusste von keiner Ehefrau, hatte aber aufgeschnappt wie seine Schwester Schäferhunde züchtete und er ihr wenn zeitlich möglich, beim Training der jungen Hunde half. Abseits davon allerdings reichte seine Phantasie nicht aus ihn sich woanders als in einer Lieblingskneipe sitzend vorzustellen, wo er ein Bierchen zischen und mit Kumpels die Spiele der Nationalliga verfolgen würde. Manchmal roch er nach Gasthausessen. Manchmal nach nassem Hund. Aber immer umwehte ihn ein Anflug von Anständigkeit.

Eine ganz andere Marke, Kai-Uwe – Kalle – Krell. Er war offen, ungemein offen zuweilen, aber – so weit Lennart erkennen konnte, eine ehrliche Haut. Er schätzte ihn auf knapp 50 und es war offensichtlich, wie ihn das Älterwerden wenig interessierte. Einen freien Tag würde er mit Sport zubringen. Sich dann vermutlich das Motorrad seines Nachbarn ausleihen und zu einer ordentlichen Spritztour über Land starten. Vielleicht würde er wo einkehren, vielleicht sich aber auch mit Thermoskanne und kalter Pizza selbst versorgen und im Grünen Rast machen. Und Ja, vielleicht würde er auch ab und an einen Abstecher in ein Bordell machen, oder versuchen sich aus einem Club etwas für die Nacht an Land zu ziehen.

Tala von Löwenstimm, mit der er von Beginn an eng zusammen gespannt worden war, vermochte er sich jedenfalls privat nirgendwo anders vorzustellen, als auf dem Rücken ihres Pferdes die Gelände im Wangener Forst und rund um die Wasserkuppe zu durch streifen. Ihr Glück der Erde trug Hufeisen.

Bei wem es ihm allerdings überhaupt nicht gelang sich irgend ein Bild vom Privatmann zu machen, war ausgerechnet sein Chef, EKHK Konstantin – Konner – Kollberg. Auf Lennart wirkte er wie einer der erst eine Rollierung Stacheldraht um sein Herz legte, ehe er das Haus verließ und allem Träumen den Riegel vorschob.  - - Er hatte als Jugendlicher mit erlebt, wie ein Mitschüler im Chemieunterricht durch eine selbst verschuldeten Unfall mit Chemikalien ums Leben kam. Ihm selbst blieb davon eine entstellte Brust, Narben, die sichtbar bis über die Kragen seiner Hemden reichten. Der junge Mann konnte sich vorstellen, wie schwer er sich damit tun würde, andere in seine Verwundungen einzulassen. Um so überraschter war er gewesen über die seltsame Umarmung, mit der Tala Konner getröstet hatte. Vor zwei Monaten, war es gewesen, als das Wohnhaus des Ponyhof Maximus brannte und es ihm und Kollberg nur knapp gelungen war daraus zu entkommen. Das Brandopfer früherer Tage war unter Schock gestanden. Aber Talas intime Geste war es gelungen, ihn zu erreichen. Es gab da wohl eine Verbindung zwischen diesen beiden Menschen, die tiefer rührte und tiefer drang, als er hätte ahnen können.

„Okay, Len, schreibst Du mir ne Karte aus Deinem Kurzurlaub?“

Er schreckte hoch. Sie stand neben seinem Tisch und blickte stirnrunzelnd auf ihn herunter. „Irgendwas Kitschiges mit Sonnenuntergang und so!“

„Was soll das?“, beschwerte er sich der Ertappte. „Ist Dir langweilig, brauchst Du wen zum spielen?“

„Was geht Dir im Kopf rum?“

„Meine Sache!“

„Lenny hat Geheimnisse vor uns, so so“, nahm sie ihre Tasse und bewegte sich hinüber in den winzigen Nebenraum in dem die Kaffeemaschine stand.

„Kein Geheimnis. Geht Dich nur nichts an“, öffnete sich der Oberkommissar ein neues Formular auf seinem Bildschirm.

„Apropos Spiel, GeGe – wann wird das Pokalspiel morgen angepfiffen?“, wollte Kalle Krell von seinem Kollegen von gegenüber wissen, „nachmittags, oder ist es ein Abendspiel?“

„Wieso? Willst Du hin?“

„ - Bin ich Krösus?“

„Lenny?“, folgte unterdessen Assmuth der Kollegin. „Habe ich Dir das irgendwann erlaubt?“

„Komm runter, Bubi, ich will Dich doch nur ärgern...“

„Bubi?“

„Pokalspiele übertragen doch die Öffentlich-Rechtlichen, oder? - Wenn sie abends spielen, könnte ich mir vorher noch war vom Türken mitnehmen.“

„Immer noch zu geizig für Pay-TV? - Diese Saison spielt des ESV doch einen richtig guten Angriffsfußball, der Lehner hat den Schnittker endlich mehr nach vorne gezogen, Kimutai und Gospic bleiben hinten und Schnitte kann seine Pässe schön nach vorne ziehen, der beackert die rechte Seite richtig toll…!“

„Nur dass der sich bei dem System die Lunge aus dem Hals rennen muss und der  Maik Struyken vorne in aller Ruhe auf die Pässe warten kann. Der bleibt doch immer nur vor der Mittellinie, muss keinen Meter als unbedingt nötig nach hinten mitarbeiten, das ist doch ein völlig veraltetes System..!“

„Ich wusste nicht dass wir beide schon da sind?  Bei Lenny.“

„Da will ich ein Mal unkompliziert sein, ein Mal! - Und dann machst Du hier gleich die Welle? - Wenn Du schon da stehst, gib mir doch mal die Sojamilch aus dem Kühlschrank, ja?“

Kaum ausgesprochen, hielt sie auch schon mitten in der Bewegung inne. Krell und Löffler waren plötzlich still geworden, das konnte nur eines bedeuten. Sie stellten sich in die Tür zum größeren Nebenraum.

Noch immer parkten die Schreibtische im eigentlichen Besprechungszimmer der Mordkommission. Das weiße Fallboard war größer geworden, aber von anschaulicher Digitalität war diese Kommission noch weit entfernt.

Konner Kollberg stand in der Tür seines angrenzenden kleinen Büros, des Glaskastens, in der Hand einen seiner gelben Telefonnotizzettel: „Es tut mir leid Ihre erhellenden Konversationen zu unterbrechen, Herrschaften, aber der KDD hat gerade angerufen. Ein Leichenfund, weiblich, bereits skelettiert, in einem Haus im Mehmet-Katzenschrei-Weg, draußen im Stadteil Kranten. Das Haus gehört dem Ehepaar Fetzer, die allerdings die vergangenen vier Monate in ihrem Ferienhaus auf Capri weilten und bei ihrer Rückkehr die Tote fanden. Sie war in einen Teppich gewickelt, darum setzt der KDD voraus, dass es sich hierbei um Fremdverschulden handelt. Mit anderen Worten, Kalle Krell, wir sind im Spiel. Tatortmaßen werden gerade durchgeführt, SpuSi und KTU sind schon vor Ort.“

„Kranten“, stieß Tala Lennart in die Rippen.

„Wie meinen Sie, Tala?“

„Lennart wuchs in Kranten auf. - Sagt Dir der Name was, - Fetzer?“

„ - Wer um Himmels willen war Mehmet Katzenschrei?“

„Später ist sicherlich Zeit auch für dieses Detail, Krell. - Lennart?“

„Natürlich kenne ich sie, Kranten ist klein, dort stolpert man immer wieder übereinander. - Fetzers  gehörten die vier Perplexa -Boutiquen in Eckenburg und Rundstadt, Nobel-Läden mit denen er richtig gut verdient hat. Erst recht dann mit dem Verkauf der Läden und auch des Labels. Sie waren kinderlos, wenn ich mich recht erinnere. Jetzt sind sie wohl beide Privatiers.“

„Gut denn. Tala, Sie, Assmuth und ich fahren zum Leichenfundort, verschaffen uns so viele Informationen wie möglich. Wie lange die Geschädigte dort schon liegt, Alter, Todesursache, Befragungen der Nachbarn, das volle Programm. - Krell, Löffler, Sie recherchieren hier nach weiteren Informationen zu Fetzer und klappern die Vermisstenmeldungen ab. Wir sollten so rasch wie möglich wissen, mit wem wir es bei der Toten zu tun haben.“

Für gewöhnlich steuerte der Chef persönlich sobald er mit ihnen zusammen die Dienststelle verließ, doch diesmal fügte er es anders. Den Schlüssel warf er über Talas Schulter dem jungen Oberkommissar in die Hände. „Ist Ihr Reich, sie kennen den Weg besser“, meinte er dazu nur.

Die Nähe des Chefs machte ihn unverändert befangen. Seit dem gemeinsamen Erlebnis auf dem brennenden Ponyhof, war ihr beider Verhältnis beschädigt. Wie wenig es ihm gelang ihn sich als Privatmenschen vorzustellen, war ihm dafür nur ein weiterer Hinweis.

Zudem fuhr er ungern den Weg nach Kranten. Seine Eltern wohnten dort - und der ganze kalte Geist von Leuten, die Aufstieg und Erfolg im Beruf alles Persönliche unterzuordnen bereit schienen.

Kaum angekommen betrachtete sich Tala den grauen Himmel. Die Wolken wirkten auf sie wie geschüttelte Gespenster. Vielleicht war ein Gespenst darunter, das nichts anderes war, als der Geist dieses armen Opfers, vermutete sie.

Konner versorgte sich und Lennart aus dem Kofferraum mit den Schuhüberziehern, Tala streckte zuerst ihre Hände in die Gummihandschuhe.

Der Weg führte über einen längs bebauten weiten Hang. Eine weiche schwebende Stille hing über dem erste Haus der schmalen Straßenweges. Die blau-weißen Plastikbänder der Polizei sperrten den Eingang zu einem zweigeschossigen Bungalow ab, der mit seiner Klinkerfassade, dem schwarzen Schieferdach und nicht zuletzt seinen Ausmaßen, die satten Kontostände seiner Bewohner wittern ließen.

Noch während sie sich mit der Schutzkleidung ausstaffierten trafen Lennart und Tala auf ein bekanntes Gesicht. Micha Wennigkeit vom Kriminaldauerdienst kam mit hoch gezogenen Schultern vor Kollberg zu stehen, missmutig schielte er zu Löwenstimm hinüber und nickte zu Assmuth nur einen stummen Gruß. Wie gering ihn Tala schätzte, hatte Lennart schon am ersten Tag erfahren dürfen und mutmaßte Konners Anwesenheit als einzigen Grund weswegen zwischen den beiden nicht abermals die Fetzen flogen.

„Nun, Micha? - Was erwartet uns da drinnen?“, wollte Kollberg wissen.

„Jedenfalls nicht das großartigste Aroma“, schneuzte sich der Beamte die Nase. „Wegen des Geruchs hatten das Paar von nebenan die Fetzers im Urlaub angerufen weil die vermutet hatten, es trete Gas aus, oder es verrotte irgendein Tier im Innern. Als das Ehepaar Fetzer zurück kam, fanden sie ihm Wohnzimmer einen zusammen gerollten Teppich und da drinnen dann die Leiche einer Frau, völlständig verwest, zum allergrößten Teil skelettiert, oder mumifiziert. - Sie sagen sie hätten den Teppich nie gesehen, er wird wohl zum Transport Leiche benutzt worden sein...“

„Also ist anzunehmen, das hier ist kein Tatort.“

„Die SpuSi ist gerade noch dabei Spuren zu sichern. - Aber wer immer das hier getan hat, wusste was er tat. Der Knauf der Haustür wurde nicht abgewischt. Er wurde zuvor mit einem schlanken Schmierfett behandelt.“

„Schmierfett?“, kam Tala heran. „Ich kenne den Trick. Fingerabdrücke bestehen aus Hautfetten, die bestimmte Schmierfette vernichten.“

„Richtig“, nickte der junge Bachelor der Kriminalistik hinter ihr.

„Warum so umständlich?“, fragte Tala mehr zu sich als zu anderen. „Warum nicht das gute alte Abwischen? - Weil das auffallen hätte können?“

„Die Leute in Kranten langweilen sich furchtbar“, wusste Lennart. „Wer das weiß, weiß auch, das jeder Schritt vor die Haustür aus Fenstern reihum beobachtet würde.“

„ - Mit anderen Worten, Assmuth, Sie meinen wer immer das Fett verwendet hat, käme von hier?“, war Konner in Gedanken bei der Sache.

„Oh, ich habe nur laut gedacht...“

„Nein, nein, Lennart, das überzeugt mich. Sie und Tala haben da durchaus einen Punkt getroffen.“

„Würde das nicht aber auch bedeuten“, mischte Wennigkeit mit, „wer immer das Haus durch diese Tür verlassen hatte, unauffällig für die Nachbarn hier wäre? Ein wiederkehrender Gast vielleicht?“

„Wie weit sind Sie mit den Befragungen der Nachbarn?“

„Am Anfang. - Die Nachbarn zur Linken sind noch da, sagen aber ihnen wäre nichts aufgefallen, außer dem Geruch. Und die von gegenüber sind bereits in den Weihnachtsurlaub nach Südafrika geflogen, das kann dauern die zu erreichen. Und Ihr seht ja selber, das hier ist das erste Haus der Straße und der Auffahrt von der Dalmatiner Straße hier rein. Rechts davon ist dann nur noch das bisschen Gestrüpp und Unterholz, ein alter Bombentrichter aus dem Krieg, dem man vergessen hatte zuzuschütten und jetzt zu einer Art Klein-Biotop erklärt ist.“

„Trotzdem der Aufwand mit dem aufgebrachten Fett“, meine Tala und stellte fest: „Hier zelebriert jemand eigene Überlegenheit, wenn Ihr mich fragt.“

Wennigkeits Mimik hatte nicht gelogen, der Gestank im Innern des Hauses war wortwörtlich atemberaubend. Zwar hatten sich die drei von der Mordkommission vorsorglich OP Masken vor Mund und Nase gezogen, aber der Dunst des Todes und Moderns drang durch alles.

Im Wohnzimmer lag aufgeschlagen ein Teppich, schon reichlich zerfleddert und zernagt von den Säften, Würmern und Ungeziefern, die dem Leib der Getöteten entstiegen waren.

Tala von Löwenstimm beugte sich zu den Überresten hinunter, betrachtete sich den Kopf am intensivsten. „Was weiß der Doc schon über sie zu sagen? Alt war sie nicht, oder?“

„Er schätzt sie“, blätterte der Mann vom KDD in seinen Notizen, „auf nicht älter als 25. Ihre Haarfarbe war blond, wohl nicht gefärbt, Spuren von Gewalteinwirkung vermutlich am Hals, da wollte er sich aber nicht festlegen ehe er sie bei sich auf dem Tisch hatte. Bei den Zähnen war ihm das Material der einen Füllung am Backenzahn aufgefallen. Die Behandlung wäre so nicht in Deutschland erfolgt. Eher östlich von uns. - In den Taschen der Jeans fand man jedenfalls nichts, nicht mal ein Taschentuch mit DNA dran oder irgendwas anderes das helfen könnte eine Identität fest zu stellen. Kein Smartphone, kein Geldbeutel, nichts. - Die Frau war wohl bekleidet, aber es fehlt der BH und auch unter der Hose trug sie nichts. Und sie hatte weder Schuhe noch Strümpfe an. Gesetz dem Fall man hätte ihr diese Dinge postmortal angezogen, hättet Ihr wenigstens eine verbliebene Möglichkeit durch die Kleidung an Spuren eines Tatortes, oder vielleicht schon Täters zu kommen.“

Die Kriminalhauptkommissarin nickte still. „Na? Mäuschen?“, frage sie leise, fast verschwörerisch in das zerfressene Rest von Gesicht. „Was ist Dir passiert, Mädchen, hmh? An wen bist Du da nur geraten?“ - Ein letztes Würmchen züngelte aus einer Augenhöhle.

„Eigentlich schade“, meinte sie dann und stellte sich wieder auf, „dass man sein Hirn über Jahre mit dem erstaunlichsten Wissen füttert, - nur damit es am Ende vergammelt.“

Hinter ihr hörte sie ein heftiges Rumpeln. Sie sah gerade noch wie Lennart, Kollberg zur Seite stieß, aus dem Haus stolperte und von draußen erstes heftiges Würgen zu hören war.

Sie und Konner wechselten einen verständigen Blick. Er nickte auffordernd und sie folgte ihrem jungen Kollegen.

Sie begann über den sich wölbenden Rücken zu rubbeln. „Gehört dazu. Wir haben alle die Natur grün gekotzt bei unserem ersten Gammelklienten.“

Schnaufend spuckte er ein Stück Rosine seines Frühstückmüslis aus, das ihm zurück in die Mundhöhle gepumpt worden war. „Ich dachte … ich schaffe das. Scheiße, ging das schnell! Ein mal Luft geholt da drinnen – und das reichte aber auch schon...“

Sie setzte ihn auf einen der Findlinge mit denen der Eingang gesäumt war, reichte ihm ihre angebrochene Packung Taschentücher. „Siehste? - Das ist einer der Vorteile, wenn man nicht von der Uni kommt, sondern als Streife begonnen hat. Meine erste Leiche in einem solchen Zustand, war eine Frau, die sich erhängt hatte. Schulden. Als der Gerichtsvollzieher die Wohnung öffnen lassen wollte, hatten Beamte dabei zu sein. Ich war wenig länger im Dienst als Du und mich hat es auch aus den Socken gehauen. Ich will nicht sagen, dass man sich daran gewöhnt. Das ist der Erbteil der Evolution. Den Verwesungsgeruch eines Menschen erkennt das Hirn sofort und schaltet ebenso schnell auf Alarm. Und ehe man sich es versieht reihert man die Umgebung schön. War bei mir damals übrigens die Aufzugkabine, Mann die Kollegen haben sich vielleicht gefreut zur Aufnahme da immer wieder rein zu müssen.  - Jedenfalls, ich habe gelernt dieses Aroma nicht mehr zu Herzen zu nehmen, das Mädel würde sicher gerne anders riechen. - Wirst schon sehen, wenn man darauf vorbereitet ist, wird es besser.“

„Willst Du nicht wieder rein?“, wunderte sich Lennart, wie entspannt Tala neben ihm saß und in den grauen Himmel blickte.

Sie schüttelte nur den Kopf und meinte: „Das ist kein Tatort. Alles was es über das Opfer zu wissen gilt, hat nichts mit diesem Haus zu tun.“

„Darin bist Du Dir aber schon sehr früh sehr sicher“, meinte der Oberkommissar und wischte sich die Stirn und den Mund. „Was ist mit dem Täter? Vielleicht erzählt uns das Haus etwas über ihn?“

Wieder Kopfschütteln. „Höchstens die Adresse und das es von Fetzers bewohnt wurde. - Irgendwer hat ihnen da ein ganz übles Ei ins Nest gelegt. Der wahrscheinlich größte Fehler, den er gemacht hat. - Oder sie.“

„Das Haus wurde gezielt ausgesucht?“

„Wer immer sie da abgelegt und dazu derart die Spuren am Türknauf manipuliert hat, ist ein arroganter Affe. Das Töten war noch nicht Kick genug.“

Die Jungs von der Gerichtsmedizin trafen ein, wickelte einen ihrer weißen Leichensäcke aus und hievten sorgsam die letzten brüchigen Überreste des Opfers hinein. Sie hörte bis nach draußen wie der Reißverschluss rippte. Die KTU sammelte den Teppich ein.

Konner erschien bei ihnen beiden.

„Ich höre gerade, dass das Ehepaar Fetzer behandelt werden musste, die Frau musste mit einem Schock ins Krankenhaus. Zu der Befragung fahren wir beide,Tala. Aber erst fühlen wir den Nachbarn auf den Zahn, die den Geruch bemerkten, vielleicht kriegen wir mehr aus ihnen heraus als Wennigkeit. - Lennart? Wie fühlen Sie sich?“

„Alles klar“, meinte der und reckte den Daumen und hob sich wieder auf die Füße. Er schwankte noch etwas und das reichte dem Chef schon. „Schön, Sie gehen zum Wagen und warten auf uns. - Kommen Sie, Tala...“

„Aber… ich bin wieder fit“, protestierte der junge Beamte, aber da hatte sich Konner schon umgedreht und erste Schritte hinüber zum nächsten Bungalow getan.

Sie folgte ihm wie selbstverständlich. Da gab es keinen Blick zurück zu ihm. Lennart fühlte sich ausgeklammert, vom Chef persönlich. Und mehr und mehr nahm er es auch persönlich.

„Musste das sein?“, klagte sie unterwegs.

„Was?“

„Du wolltest, dass er bleibt. Wolltest dass ich ihn dazu bringe seine Versetzung ins LKA abzusagen – jetzt ist er da, arbeitet gut mit, aber Du?“

„Aber ich? - Situative Notwendigkeit, Tala, ich führe mit dem jungen Mann kein Scharmützel. - Assmuth braucht eine Auszeit, so ist er uns zu nichts Nütze. Erinnere Dich daran wie es Deinen Magen umgestülpt hat bei Deinem ersten Mal mit diesem Geruch und Du weißt wieder, warum.“

„Du hattest ihn wissen lassen, dass  Du ihm nicht mehr trauen könntest, nach dem er dich so desolat im brennenden Ponyhof erlebt hat. Weil er ja wiederum Dir nicht mehr trauen könnte. - Machst Du Dir bitte mal bewusst wie tief dieser Text in den Kerl gedrungen ist?“

„Ich hätte einiges dafür gegeben, hätte man mir damals bei meiner ersten Nase Verwesung eine kleine Auszeit eingeräumt“, verhielt der Chef stoisch und sie seufzte enttäuscht. Die Flammen des Brandes in jenem Haus – und der junge Kollege als Zeuge seines Aussetzers, nagten selbst an ihrem  gegenseitigen Verständnis. Bislang hatte das so noch wenig bis gar nichts fertig gebracht.

Als sie vor der Haustür angekommen waren, folgte ihr Blick Lennart, wie er mit hängenden Schultern zum BMW schlürfte.

Kollberg drückte die Klingel, der ein sonorer Gong war, eine Polizeibeamtin öffnete den Kollegen. Im Innern begrüßte sie ein hysterisches Wimmern, eine ältere Frau hielt sich ein Taschentuch vor Mund und Nase gedrückt und weinte erschrocken vor sich hin. Einer vom psychologischen Dienst saß neben ihr und redete in beruhigendem Ton mit ihr. Ein etwas gleichaltriger Mann stand im Pullover vor einem der zimmer hohen Fenster und blickte hinaus. Hin und wieder schüttelte er fassungslos den Kopf. - Beide Kripobeamten steuerten auf ihn zu.

„Herr Schuster? - Ich bin Hauptkommissar Kollberg, das ist meine Kollegin KHK Löwenstimm. Wir sind von der Mordkommission Eckenburg und hätten ein paar Fragen. - Falls Sie sich dazu im Stande fühlen?“

„Ja, ja, sicher nur zu. Aber ich denke ich habe Ihren Kollegen schon alles gesagt.“

Sie zückte ihren Notizblock: „Wann fiel Ihnen der besondere Geruch zuerst auf?“

„Naja“, drehte sich die Frau zu ihnen um, „wenn man es genau nimmt, schon vor ein paar Wochen. Als wir die Gartenstühle von der Terrasse hinüber in den Schuppen brachten. Das war am Abend eines eigentlich noch sehr warmen Tages, wissen Sie, - nachdem die den letzten Grünabfall abgeholt hatten, erinnerst Du Dich, Herrmann? - An dem Tag danach.“

„Das war Anfang September“, nickte der Mann zu den beiden. „Da habe ich aber wohl gemeint, dass das von weiter drüben kommt, von dem Gestrüpp. Dass da vielleicht ein Tier liegt, ein toter Waschbär oder so.“

„Ja – und da habe ich Dir noch gesagt, dass das anders riecht. Und aus dem Fetzer-Haus! - So habe ich es Dir doch gesagt, Herrmann! - Und jetzt lag da wirklich jemand drin…!“, schüttelte es die Frau erneut.

„Wir sind Ende September zu einem längeren Aufenthalt nach Schweden aufgebrochen – unsere Tochter studiert dort. Zusammen wollten wir Weihnachten zu Hause verbringen, sind ihr voraus gefahren. Wir kamen rein ins Haus, wollten durchlüften, machen die Tür zur Veranda auf – und uns verschlug es den Atem! Eine einzige faule stinkende Blase die da in der Luft stand! - Klara hat dann die Nummer von Fetzers in Italien heraus gesucht und sie angerufen. Die sind sofort hier geflogen – und dann fanden sie die Bescherung.“

„Fetzers sind wann in Urlaub geflogen, wissen Sie das zufällig?“

„Ende Juli. Sie fliegen immer Ende Juli, da hat Frau Fetzer Geburtstag und den feiern sie nie hier, immer unten auf Capri.“

„Ist Ihnen nach der Abreise der Fetzers etwas Ungewöhnliches aufgefallen? Im Nachbarhaus, oder überhaupt? In der Nachbarschaft?“

„Der August war doch so heiß“, schüttelte Schuster den Kopf. „Da haben wir alle die Jalousien herunter gefahren, die Ventilatoren summen und brummen den ganzen Tag...“

„ - Aber nachts? - Da macht man doch alles wieder auf, hofft auf etwas abendliche Kühle, nicht wahr? - Ihnen fiel auch dann nichts auf?“

„Nein, gar nichts. Wie Sie sagen, abends da geht man wieder etwas hinaus, trifft Nachbarn, hält einen kleinen Schwatz. Aber nein, niemand hat etwas Ungewöhnliches erwähnt.“

„Einen Bekannten vielleicht der zu Fetzers gewollt hätte, an der Haustür war? - Hat niemand so etwas gesehen, erzählt?“, stocherte Tala weiter. „Es muss nichts wirklich Ungewöhnliches gewesen diese Personen dort zu sehen.“

„Nicht mal der Briefträger geht mehr an die Tür, weil die sich alles nachsenden lassen, die Zeitungsfrau läuft da nicht mehr hin. Nur die Jungens die die Werbungen austragen, die stopfen den Briefkasten voll. Aber meine Frau geht dann meistens hin und holt sie raus. - Ich habe das dem Johannes auch schon mal gesagt und gefragt ob er da keine Angst hat, dass man ihm einbricht, wenn es so wenig ein Geheimnis ist, dass im Haus keiner mehr ist. Aber da hat er nur abgewunken, es sei ja ohnehin nichts Wertvolles zu holen.“

 

Lennart hatte sich aus dem Kofferraum mit einer Packung Feuchttücher versorgt und sich damit Gesicht und Hände abgewischt. Er hatte sich bei offener Tür auf die Hinterbank des Dienstwagens gesetzt und neben dem unverdauten Frühstück, einen Stich des Vorgesetzten zu verdauen.

„Na Du?“, grüßte wenigstens Tala bei ihrer beider Rückkehr zum Auto.

„Ich sagte doch, ich bin wieder an Deck!“, erwiderte er eine Spur lauter als nötig. Kurz glaubte er, Kollberg hätte ihn durch den Rückspiegel einen sengenden Blick zugeworfen.

„An den flachen Stellen der Nacht, findet man die tiefsten Geheimnisse“, setzte sich die Hauptkommissarin neben den Chef. „Wenn ich da nach mir gehe – und warum sollte das in dieser Gegend anders sein, findet man an so heißen Tagen, wie im August den tiefsten Schlaf erst in den ersten Morgenstunden. Ich wette alle meine unvorhandenen Millionen, die Leiche wurde in der Früh hier abgelegt, meinetwegen zwischen drei und fünf Uhr.“

„Setzt einiges an Planung voraus, findest Du nicht?“, war Lennart skeptisch. „Das Herausfinden dieser Sache mit dem Schmierfett, sich überlegen, wann die Leute im Hochsommer am tiefsten schlafen. Nicht zuletzt, - wie sind sie überhaupt ins Haus rein gekommen? So richtig offensichtliche Einspruchsspuren gab es ja schon mal keine.“

„Das ist ein Punkt“, nickte Tala und merkte dann aber schon an. „Die Leiche lag nicht weit von der Terrassentür entfernt. Durch die sind wohl auch die Verwesungsgase hinüber in den Nachbargarten gewabert. Wer weiß, vielleicht sind die Täter von hinten ins Haus rein?“

Doch der Chef schüttelte den grauen Schopf. „Diese Türen in solchen Häusern, sind inzwischen meist sicherer als die Vordertüren.“

„Wetten, es gibt hier in Kranten einige des selben Fabrikats, wenn nicht gar welche die  baugleich sind. Wer beim Einbau der eigenen Türen, die Schwachstellen genannt bekommt auf die es zu achten gäbe, kennt die Schwächen aller baugleichen in anderen Häusern ebenso.“

„Tala, wie sehr ich Ihre Spekulationen auch schätze, aber wir hier brauchen zuallererst mehr Substanz, erste Bausteine, echte Grundlagen und die besorgen uns nun mal Spurensicherung und KTU...“

Das Smartphone des Chefs klingelte. Konner verband es mit der Freisprechanlage.

„Ja, Löffler, haben Sie schon was für uns?“

„Ich habe die Vermisstenmeldungen durchgesehen und vielleicht etwas gefunden. Den Kollegen liegt ein Amtshilfeersuchen aus Polen vor. Da wurde von einem Ehepaar die Tochter vermisst gemeldet, die in Kranten angestellt ist. Oder war.“

„Das Opfer war eine junge Frau, Gerd, das könnte stimmen!“, horchte Tala auf. Lennart wusste wohl, dass die Kollegin fließend polnisch sprach. Sie verstand sich auch äußerst gut mit dem polnischen Stallmeister auf dem Reiterhof auf dem ihr Pferd stand.

„Gut denn, vermisst wird eine Zuzanna Pawelcyk aus Sepopol. - Sie wäre bei einem gewissen Rudolf Reuthmayer als Hausmädchen angestellt...“

„Hausmädchen? - Wer hält sich denn heute noch Hausmädchen?“

„ - Na, Tala, Kollegen forschten da jedenfalls auch nach, hätte aber nichts ergeben, steht hier. Reuthmayer gab an, das Mädchen hätte wohl großes Heimweh gepackt und sie hätten vermutet sie wäre einfach wieder nach Hause gefahren. Am Tag vor ihrem Verschwinden hätte es immerhin einen kleinen Streit gegeben.“

„Rudolf Reuthmayer!“, stöhnte Lennart und schmiss sich gegen die Rücklehne.

Tala drehte sich zu ihm um: „Bekannter?“

„Er ist der zweite Vorsitzende des Golfclubs Eckenburg, mein alter Herr der zweite Vorsitzende des Tennisclubs von Eckenburg, - was glaubst Du wohl, wie gut sich die beiden verstehen! Wenn ich nur dran denke, kommt es mir grade noch mal hoch..!“

„Heißt übersetzt – was?“, wollte Konner wissen.

„Wie soll ich das erklären?“, ächzte Lennart weiter: „ - Leute wie die Reuthmayers sind besessen von einer Teilhabe an den so genannten besseren Kreisen. Brüsten sich mit den Kontakten, die sie durch ihre Tätigkeiten und Funktionen in diesen Club erlangt hätten. Sie generieren sich als Leute die die Möglichkeiten hätten, Strippen zu ziehen, Karrieren zu beflügeln, - oder sie zu zerstören. Sie sind die die in der Hautevolee angekommen sind und so Schritte hinein tun könnten in die wahren Machtzentren der Stadt und des Landes...“

„Elite“, fasste Konner trocken zusammen.

„Zumindest glauben sie das.“

„Ich möchte offen fragen, Assmuth,“, sah ihn der Chef durch den Rückspiegel an. „ - Macht das was mit Ihren Loyalitäten, falls ich Sie nachher mit Tala zusammen zu diesem Reuthmayer schicke?“

Es zuckte etwas in Lennarts Brust. Ein Widerstreben mehr als ein Unwohlsein. Dennoch drängte es ihn festzuhalten: „Welche Loyalitäten?“

„Gut denn, hier sind wir fertig, - fahren wir zurück und schauen uns an was die Spürnasen für uns haben“ ,entschied Kollberg und steuerte den silbergrauen Dienstwagen aus bayrischer Autoschmiede mit jener sportlichen, ja teils erstaunlich unverschämten Fahrweise die überhaupt nicht passen mochte zu dem nüchternen und allzeit beherrschten Naturell des Dienststellenleiters.

Lennart sah sich bereits im Wohnhaus der Reuthmayers stehen und ihm wurde flau dabei. Aber vielleicht würde eine von Krells Brezeln heute morgen übrig geblieben sein, die ihm wieder auf sicherere Beine half. Und seiner Courage unter die Arme griff.

„Werden wir wirklich warten müssen bis ein DNA Abgleich da ist um zu wissen, wer das Opfer ist?“, war er keine Stunde wieder ein Ausbund an Ungeduld. „Das kann bis morgen dauern“, jammerte er, „bis die Proben aus Polen hier sind und im Labor getestet werden können…!“

„Jupp, so geht das eben. Mir wäre es auch lieber, wir könnten da zügiger ran. Jetzt weiß schon der ganze Stadtteil von dem Leichenfund. Und ich wette der - oder die Täter, ebenso. Das wird es uns nicht leichter machen“, seufzte Tala von jenseits der Bildschirme. Schicksalsergebenheit aber klang anders. In ihr rumorte es nicht weniger, als am Tisch gegenüber.

„Wir haben immerhin“, trat Konner aus dem Glaskasten, „eine komplette Beschreibung der Kleidung des Opfers von der KTU erhalten. - Man könnte“, tauchte er neben Lennarts Schreibtisch auf und legte ihm die Autoschlüssel neben die Tastatur, „zu Reuthmayers fahren und sie fragen, ob sie eine Ahnung haben, ob dieses oder jenes Kleidungsstück zu dem verschwundenen Hausmädchen gehört hat.“

Tala blickte erstaunt zu ihrem Chef hinauf, Kalle Krell und Löffler wechselten einen nicht weniger überraschten Blick.

„Aufschrecken?“, war die KHK baff. „Wir sollen ernsthaft aufschrecken?“

„Ist das nicht genau Ihr Gusto, Tala?“

„Meines, ja! - Aber … aber, ich hätte nie geglaubt…!“

„Stimmt schon, das Überraschungsmoment ist nicht mehr auf unserer Seite, die Täter wissen vom Fund, wissen, dass wir keine Spuren an der Haustür fanden und warum nicht.  Sie sagten es doch am Fetzer-Haus selbst, - hier wollte jemand Überlegenheit demonstrieren. Wer immer die Leiche in diesem Haus abgelegt hat, fühlt sich mehr als sicher und wie Sie gehe ich davon aus, dass genau damit der größte Fehler begangen wurde. - Umso mehr – und da muss ich Sie schon rügen, Lennart, ein kleines Detail hier noch nicht genannt wurde. - Irene Reuthmayer ist die Besitzerin der Fashionista -Boutique. Nobelmarken in Reih und Glied hängen da auf den Bügeln. - Ich nehme nicht an, dass sich Frau Fetzers Perplexa und die Fashionista zu keiner Zeit in Konkurrenz befunden hätten, oder Lennart?“

Der lief tiefrot an, hechtete in Gedanken nach jedem Wortfetzen, den er dazu bei seiner Mutter aufgeschnappt haben könnte. „Wenn ich mich recht erinnere, haben die sich gegenseitig sogar mächtig Dampf gemacht. - Der Verkauf der vier  Boutiquen von Fetzers und der Rückzug aus dem Geschäft hatte – glaube ich – auch damit irgendwie zu tun. Zu viel Stress, wohl. - Meine Mutter plappert über solche Dinge permanent, ich habe schon lange aufgehört zuzuhören, tut mir Leid!“

„Das sind mir zu viele Zufälle!“, unterstrich Tala und Konner nickte beifällig. Der junge Oberkommissar indes hockte unglücklich in seinem Bürostuhl. Tala musste ihm den Zündschlüssel erst in die Hand drücken: „Auf, auf! Hopp! Hopp!“

„Und dran denken Tala, fühlen Sie den beiden ruhig empfindlich auf den Zahn“, schickte ihnen Kollberg noch hinterher. Löwenstimm kam aus dem Staunen nicht heraus. „Solange ich ihn kenne hat er noch nie aufgescheucht – ganz im Gegenteil!“, rief sie während sie zum Wagen liefen. „Mir hat er noch nie gesagt, ich solle nicht zimperlich sein – ganz im Gegenteil!“

Lennart Assmuth hörte sie nicht. In seinem noch immer unruhigen Magen brannte der derbe Niederschlag der Kollberg‘schen Rüge. Natürlich sollten solche Details über die Menschen des Stadtteils in dem er aufgewachsen war, in diesem Fall seine besondere Domäne sein. Konner Kollberg hatte sich nicht nur nicht darauf verlassen, sondern selbst Dinge zu Tage gefordert, die wichtige Linien zogen zwischen Menschen die in diesen Mord verwickelt waren. So oder so.

„Was ist denn?“, wollte sie denn auch wissen, als er hadernd vor der geschlossenen Tür des BMWuppdich – wie Tala den Grauen liebevoll nannte – stehen blieb.

„Er verlässt sich nicht auf mich.“

„Mann, er ist Dein Vorgesetzter! Und kein Erster Hauptkommissar weil er so geschickt an seinem großen Zeh spielen könnte. - Er weiß, dass Du heute etwas angeschlagen bist und war wohl der Meinung, seinen Job zu machen, wäre jetzt nicht die dümmste aller Ideen. - Er hat Dir auch keinen Vorwurf gemacht…“

„ - Ach nein?“

„Wenn Konstantin Kollberg jemandem in seiner Kommission Vorwürfe macht, Jungchen, hört sich das anders an! Ganz anders! - Und jetzt kommt, mach den Wuppdich klar! Ich will sie kennenlernen, diese Reuthmayers!“

„Wollten Du und Konner nicht erst zu den Fetzers ins Krankenhaus und die befragen?“

„ - Die laufen uns nicht weg. - Wenn es wichtig ist, erledigen das Krell und der Löffel.“ - Ihr dämmerte etwas: „Macht Dich so ein Besuch bei Reuthmayers etwa bange?“

Doch Lennart atmete nur tief durch.

„Was soll schon passieren? - Du bist Oberkommissar Lennart Assmuth und kommst vom Auffindeort einer jungen Frau, die vermutlich dort gearbeitet hat. Daran ist doch nichts verkehrt?“

„Ich weiß, wir hatten darüber gesprochen, Du und ich, oben an der Brandruine des Ponyhofes. Ich müsse aufhören der Sohn von jemanden zu sein, der nie damit anfangen wollte, Vater zu sein. Dass der ein Projekt mit mit hätte durchziehen wollen, dass nur zum Ziel hatte, mich an seiner Seite in seiner Welt stehen zu sehen. Dass es gescheitert wäre, aber ohne meine Schuld. Dass ich mich darauf konzentrieren soll, der Oberkommissar zu sein, weil das zu sein, Teil meiner eigenen Entscheidungen gewesen sei und meine Entscheidungen das einzige sei, auf das ich mich immer verlassen könne. In meinem Kopf kommt das wohl an, Tala, aber bis das sitzt wo es soll, dauert es eben länger. - Leute wie Reuthmayers zu begegnen heißt der Welt zu begegnen für die ich gemacht worden war.“

„Ich wäre nicht verwundert wenn Du jetzt sagst, dass Dich das Ganze abstößt, Du davon abprallst. Befangenheit aber, verstehe ich nicht. - Zeige denen doch, aus welchem Holz der Kerl geschnitzt ist, den der Sparkassenfilialleiter Assmuth nicht in die Form pressen konnte, die solchen Leuten vorschwebt. Du musst nicht überlegen sein. - Sei frech, Lennart, - bloß nicht brav“, stiegen sie endlich ein. „Bloß nicht brav“ wiederholte sie als sie sich anschnallte. „Du hast Konner gehört, - den Bohrer raus und auf den Nerv gesetzt!“

 

 

Schon der Eingang der Villa machte den Wunsch deutlich heraus gehoben zu sein.  Wo bei den Häusern der Umgebung höchstens eine Einfahrt zu einem Carport neben dem Zugang zum Haus angelegt worden war um die Platzansprüche von mehr als nur einem popeligen Auto zu dokumentieren, hatten Reuthmayers eine Auf-und Abfahrt in einem Halbbogen aus säuberlich gerechten Kies vor ihrer weißen schweren Eingangstüre vorzuweisen. Die Hecken längs davon waren rasiermesserscharf auf Maß geschnitten. Das Haus und die straffen Formen von Pflanzen und Flächen wirkte auf Tala von Löwenstimm elend aus der Zeit gefallen. Hier vermisste es jemand Schlossbesitzer zu sein. Sie bekam von solchen Dingen einen bestimmten Juckreiz im Kopf und war Konner sehr dankbar, dass er sie hier wohl weißlich von der Leine gelassen hatte.

Sie warf einen Blick zu ihrem jungen Kollegen, der schon mal den Dienstausweis gezückt hatte und die Lippen nach innen stülpte. Ihm war nicht wohl zu Mute. Vernarbte Herzen brauchen mehr Kraft um zu schlagen. Wer wüsste das besser als sie.

Ein Vorhang bewegte sich, noch bevor sie an der Tür läutete. Sie zog den Ausweis.

Ihnen öffnete – ein Hausmädchen. Wohl gewachsen und in einer Montur aus Netzstrümpfen, die aus einem Paar schwarzer Stöckelschuhe ragten und erst abschlossen bei einem gewagt kurzen schwarzen Rock über dem eine weißes Spitzenschürzchen geschnürt war. Die Knöpfe der weißen Bluse, hatten gut zu tun, den Stoff über den Proportionen der jungen Frau zusammen zu halten.

„Ja, bitte, Sie wünschen?“, kam es von ihr im brüchigen Deutsch – und einem Dialekt, der Tala umgehend er kannte.

<<Wo kommen Sie denn her?>>, fragte sie sie auf polnisch.

Das Mädchen war perplex: <<Polen, Jaraczwo>>, antwortete sie und etwas Ertapptes lag auf ihrem Gesicht, in dessen schüchternen Augen sich wenig spiegelte von der forschen Farbe ihres Lippenstiftes.

Tala und Lennart hielten ihre Ausweise hoch. „Kriminalpolizei Eckenburg, ich bin Hauptkommissarin Löwenstimm, - mein Kollege OK Assmuth. - Wir müssen mit dem Ehepaar Reuthmayer sprechen. - Sie sind beide da nehme ich an?“, bahnte sich Tala auch schon eine Weg an ihr vorbei. Sehr sicher stand das Kind Polens nicht auf den hohen Absätzen.

Zielsicher steuerte von Löwenstimm links ab von einem dunkelroten Flur und landete mit dem OK zusammen in einem Wohnzimmer. Einer schwer zu fassenden Mischung aus Klassizismus und Modern Art. Hier waren die schweren Samtvorhänge zuvor bewegt worden. Von der Seite fielen indes zwei breite Lichtbalken durch Terrassentüren. In Gedanken verdammte sie die Gelegenheit verpasst zu haben, sich über das Fabrikat im Fetzer-Haus zu vergewissern. Um den Fehler nicht noch mal zu begehen, ging sie zu den geschlossenen Flügeln der gläsernen Pforte, las den Namen ab, zückte ihren kleinen Notizblock und fügte es zu den anderen Details des Falle hinzu.

„Na – wenn das nicht der Lennart Assmuth ist!“, erscholl eine Stimme aus der wuchtigen Sofaecke an der Seite des Raumes.

Ein Mann, Mitte Fünfzig, in einem rostroten Tweedanzug mit Weste und Krawatte, rückte sich seine Brille gerade und steuerte mit ausgefahrener Hand auf den Genannten zu. Der riss in einer richtigen Abwehrbewegung den Ausweis hoch: „Dienstlich!“, rief er dazu. „Wir sind rein dienstlich hier, Herr Reuthmayer, - Frau Reuthmayer“, nickte er zurück in die Ecke aus der Lennarts Elend getreten war.

„Herr Reuthmayer! Na sag‘  mal! - Junge, ich kenne Dich, seit Du knapp höher warst als dieser Tisch da!“, konterte der Fünfziger aufgeräumt. „Na? - Jagst Du immer noch so gerne mit dem Schläger dem Ball nach?“

„Nein!“, kam er es sehr entschieden von Tala. „Der Oberkommissar Assmuth zieht es nun vor Mörder zu jagen.“ - Sie hob ebenfalls Marke und Ausweis unter die Augen des Mannes. „Wir sind von der Kripo Eckenburg. Ich bin KHK von Löwenstimm, - das ist der Oberkommissar Lennart Assmuth.“

„Den Kerl hier brauchen Sie mir nicht vorzustellen, - ich bin gut bekannt mit seinem Vater!“

„So“, entgegnete Lennart, „ - im Gegensatz zu mir!“ - Ja er hatte sich etwas überlegt gehabt, wollte genau darauf vorbereitet sein. Die Floskel war so unausweichlich, wie seine Wut über diese Klarstellung von Bekanntheitsgraden die wie selbstverständlich zueinander bestünden und aus denen sich – natürlich - auch immer etwas ableitete. Um so mehr drängte es ihn, hier eine Grenze zu ziehen. Nicht nur zwischen dem Paar Reuthmayer und ihm, sondern unbedingt auch zu dem Mann den diese Zwei so gut zu kennen vorgaben.

„Nochmal – falls das nicht angekommen ist bei Sicht unserer Ausweise, - wir sind dienstlich hier!“, schob sich die Hauptkommissarin dazwischen.

Aus dem großen Sofa erhob sich die Gattin und schlenderte ihren schlanken Körper eine Spur zu graziös für Talas Geschmack, auf sie zu: „VON Löwenstimm, - habe ich richtig gehört?“ - Ein recht gestelltes Lächeln bog sich in die künstliche Bräune der Blonden, während ihr Blick mit dem sie Tala maß, passte zu diesem Anflug von spöttischem Unterton, den die Kommissarin wahrgenommen hatte. „Ein Vergnügen Sie kennen zu lernen!“

„Ich war schon vergnügter“, parierte Tala knapp, merkte aber einen Unbill auf sich zusteuern. Nun hatte sie ihren Rücken durch zu drücken. „Wir sind hier wegen Ihres vermissten Hausmädchens, Zuzanna Pawelcyk. - Sie wurde gefunden.“

„Zuzanna?“, kehrte sich Rudolf Reuthmayer vom jungen Assmuth zu den beiden Frauen. „ - Ach, ist sie wieder aufgetaucht? - Wie schön, - besonders für ihre Familie, natürlich. Sie waren schon in so großer Sorge.“

Tala bekam die Gelegenheit ihn sich genauer anzuschauen und ihr war, als entdeckte sie eben das was sie gesucht hatte, den einen Grad an Überheblichkeit, der der Knauf am Haus der Fetzers den Schmierfettfilm verdankte.

Statt an ihn, richtete sie wieder das Wort auf das Häufchen scheuer Sexiness, das in der Tür stand und auf irgend etwas wartete und packte wieder ihr gutes Polnisch aus: <<Wie heißt Du? Seit wann arbeitest Du hier?>>

<<Ich? - Wiktoria. Wiktoria Kupzak. - Seit Novemberanfang bin ich hier.>>

<<Wiktoria, weißt Du etwas über das Mädchen das vor Dir in diesem Haus gearbeitet hat?>>

<<Nein. Nichts. Das Zimmer in dem ich wohne, war leer, Herr Reuthmayer sagte, sie sei weg gelaufen und wieder nach Hause gefahren, aus Heimweh...>>

„Ich würde es sehr begrüßen“, hob die Dame des Hauses schon die Stimme und wie Tala zufrieden bemerkte, tat sie das etwas irritiert. „wenn Sie das Wort ausschließlich an mich oder meinen Mann richten würden, Frau von Löwenstimm!“

Tala nickte. Aber schon im nächsten Augenblick fragte weiter und auf polnisch: <<Wiktoria, wer hat Dich armes Täubchen denn in eine solche Kluft gesteckt? Ist das Deine Idee so herum zulaufen?>>

Das Hausmädchen senkte den Blick und schüttelte kurz den Kopf.

„Frau von Löwenstimm, ich muss doch sehr...“

„ - Frau Kommissarin reicht vollauf…!“

„Wie schon gesagt, ich würde es reizend finden, redeten in diesem Haus ausschließlich mit mir oder meinem Mann...“

„Ich habe Wiktoria gefragt, woher sie diese absurde Kostümierung hat. Sie meinte, es wäre auf Ihrem Mist gewachsen. - Hatte Zuzanna ebenso aufgetakelt vor Ihnen und Ihrem Mann herum zu scharwenzeln?“

„Ich muss doch sehr bitten!“

„Lass nur, Irene, lass nur, - das ist Viktor von Löwenstimms Tochter. Der letzte Ritter derer von Löwenstimm, erinnerst Du Dich nicht? Mein Vater hat Dir doch auch mal erzählt, wie sehr sich dieser auch so feine Herr zu benehmen wusste, insbesondere nachts und betrunken und am Funkgerät sitzend. Ich nehme schwer an, hier fällt der Apfel nicht sehr weit vom Stamm. - Und im Golfclub hat sie überdies schon ihre etwas sehr extreme Duftnote hinterlassen bei der Festnahme des Fiete Mullemeit, Karl hatte sich beim Polizeipräsidenten persönlich über sie zu beschweren!“

„Beantworten Sie bitte die Frage meine Kollegin“, sprang nun Lennart bei. „Hatte Frau Pawelcyk eine ebensolche Aufmachung zu tragen während sie hier arbeitete?“

„Ich verstehe beim besten Willen den Sinn Ihrer Frage nicht!“, verschwand bereits etwas von der ohnehin löchrig gewordenen Freundlichkeit.

Tala neigte den Kopf nach hinten: „Hatten die schon immer so eine lange Luxusleitung, oder sind sie wirklich so dumm?“

„Ich muss doch sehr bitten!“

„Gnädigste, denken Sie ernsthaft die Kriminalpolizei stellt sich mit zwei Leuten in Ihr Wohnzimmer, weil in Polen Mutter Pawelcyk glücklich ihre Tochter in die Arme schließen konnte?“

„Zuzanna“, stellte sich Rudolf neben seine Frau und legte seinen Arm um ihre Schulter, „ist von hier weggelaufen. Wir haben mit dem Mädchen nichts mehr zu tun. - Sie sehen ja, wir haben uns bereits anderweitig geholfen.“

„Ja ich sehe und für meinen Geschmack sehe ich ein bisschen viel davon.“ - Tala verschränkte die Arme. Auf Lennart wirkte sie noch eine Spur angriffslustiger. Und es gefiel ihm.

„Überhaupt, - Sie scheinen beide einen rechten Hang für die Mädchen aus unserem Nachbarland zu haben. - Eine rechte Vorliebe, möchte man meinen.“

„In meiner Familie waren wir mit unseren Polen immer zufrieden. Immer sauber und katholisch, so haben wir sie immer gern gemocht.“

„Sie müssen wissen, meine Frau stammt aus einer recht hochstehenden Familie, die ein großes Gut in Schlesien besaßen und später eine Möbelmanufaktur in Eulenbroich...“

„Mit den Aussagen welches katholischen Katechismus bringen Sie denn diese Rocklänge in Verbindung? - Voraus gesetzt das ist überhaupt ein Rock und nicht nur ein  breiterer Gürtel!“

Rudolf blähte erstmals die Nasenlöcher unterhalb seiner Brille: „Warum genau sind Sie nochmal hierher gekommen?“

„Heute morgen wurde eine Leiche gefunden. Von einer jungen Frau, in einen Teppich gewickelt und fast vollständig skelettiert.“

„Und diese junge Frau ist Zuzanna? - Das wissen Sie genau?“

„Donnerwetter, Ihre Erschütterung eben war ja mit Händen zu greifen!“

„Ich mag hoffen, Sarkasmus gilt bereits als anerkannte Berufskrankheit bei Kriminalbeamten, ja?“

Tala wechselte eine schnellen Blick mit dem Kollegen. „Es fehlt lediglich noch der Zahnabgleich. Bis die Unterlagen aus Sepopol auf dem Präsidium eintreffen, dauert es etwas länger. Ansonsten sind wir sicher.“ - Assmuth stand still. Sie sollten Staub aufwirbeln, wenn es einen gab und neben ausreichend Staub, den man hier willens war ihnen in die Augen zu streuen, stank es hier zum Himmel. Talas Misstrauen gründete offensichtlich zuerst im Unmut über die Ausstaffierung des Hausmädchens – und über die wäre er kein Deut weniger gestolpert.

„Das“, wechselte das Ehepaar vor ihnen einen Blick, „ist in der Tat bedrückend, nicht wahr? - Das arme Kind, - das wird die Eltern sicherlich schwer treffen, nehme ich an. - Ich verstehe nur nicht, weshalb Sie hier sind? - Ich danke Ihnen zwar, dass Sie den Weg auf sich genommen haben uns vom Verbleib der Zuzanna zu berichten, aber wenn Sie da keine weiteren Fragen...“

„ - Hatte Zuzanna Pawelcyk während ihrer Tätigkeiten hier im Haus, auch ein solches Dings, so ein Sonderangebot aus dem Sexshop zu tragen, ja oder nein?“

„Ich verstehe Ihre Zusammenhänge nicht, - Frau Kommissarin!“

„Frau Pawelcyk kam bei keinem Unfall um, sie wurde getötet. Sie trug keine Unterwäsche und nur hastig übergestreifte Bluse und Jeans. Ein sexueller Hintergrund der Tat kann nicht ausgeschlossen werden, - ich halte ihn sogar für sehr wahrscheinlich.“

Rudolf Reuthmayer schob die Hände in die Hosentasche und streckte das Kinn nach vorn. „Und da sehen Sie mich an?“

„Und da sehe ich Sie an.“

„Das ist ungeheuerlich!“, stürzte Irene auf Tala zu. „Was bilden Sie sich ein, Sie… Sie hässlicher kleiner Uhu! - Das ist keine Anfertigung aus dem Sexshop, dass Sie es wissen! Das ist Avantgarde! - Aber Sie, Sie können ja nicht weiter sehen als bis zu Ihren Leichensäcken!“

„Oh doch, Madame, denn ich blicke durch diese Säcke hindurch, zu den Opfern. -  Für sie sind wir unterwegs, wir stellen ihre Fragen, wir sind die die für sie reden. Und würde Zuzanna Pawelcyk hier stehen, Reuthmayers, dann hätte sie Ihnen sicherlich eine ganze Menge zu sagen. - Dafür dass mir das klar werden durfte, danke ich von Herzen“, wollte sie eigentlich schon gehen, drehte sich dann aber noch einmal um: „ - Apropos, sagen. - Als die Beamten der Vermisstenmeldung aus Polen nachgingen, erzählten sie denen etwas von einem Streit, den es zuletzt zwischen Zuzanna und Ihnen gegeben hätte. - Worum ging es dabei?“

Irene war schon dabei den Mund aufzumachen, aber ihr Rudolf versetzte ihr mit dem Arm an ihrer Schultern einen Schubs und so schloss Irene den Kiefer wieder. Ihr Mann erklärte dann lediglich: „Sie wollte nach Hause, das sagten wir doch schon. Unser Interesse war, sie zu halten, wir machten ihr Angebote, kamen ihr entgegen, so gut wir nur konnten, aber ihr Heimweh war wohl doch stärker.“

„Gehaltsverhandlungen sind für Sie gleichsam ein – Streit?“

„Es ging schon laut zu, das muss ich gestehen. - Ihr slawisches Temperament hat sich gemeldet, nehme ich an. Sie wissen sicher was man sagt: Slawisches Blut tropft schwerer durch die Adern, - aber wenn, - dann...“

„Dann … geht die Post ab, dass es einem Herren und seinem Gemächt ein gar schauriges Vergnügen ist, hab‘  ich Recht?“

Ohne eine Antwort abzuwarten drehte sie sich wieder um, gab Lennart ein Zeichen und gemeinsam gingen sie wieder hinaus auf den Flur, die geöffnete Haustür schon in der Hand, wandte sie sich aber noch mal zu dem verzagt stehenden Mädchen in dem kurzen Rock: <<Wiktoria, Mädchen, sieh zu dass Du hier heraus kommst! - Hast Du das mitbekommen? Wir sind von der Polizei und das Mädchen das vor Dir hier gearbeitet hat, wurde getötet. - Das hier geht für Dich auch nicht gut aus>>, warnte sie.

Aber die kleine Kupzak schüttelte heftig den Kopf: <<Aber das Geld ist gut! Und ich brauche es so dringend!>>

<<Mädchen, verstehe es doch, hier spielst Du mit Deinem Leben, - deinem Körper so wie so, - Wiktoria, diese beiden scheißen auf Dich!>>

Doch an diesem Vormittag gab es hier nichts weiter das verzagte schüchterne Wesen in dieser aufreizenden Verpackung, verzichtendes Kopfschütteln - und zwei Kripobeamte die von einer recht aufgebrachten Frau des Hauses die Tür vor den Nasen zugeschlagen bekamen.

„Manchmal, mein Lieber, muss man Durchbrüche in Mauern meißeln, Türen einrennen, den Weg frei schaufeln. Manchmal auch nichts dergleichen. Weil sie es einem geradewegs servieren, - in diesem Fall sogar auf dem Serviertablett!“, erklärte die Hauptkommissarin von Löwenstimm und gerade so laut, dass man es hinter der Tür auch ja sicher verstand.

Sie rollten die Ausfahrt herunter und waren kaum auf der Straße, da meinte Assmuth bereits: „Das war der sichtbarste Treffer, - Dein Polnisch.“

„Sie verloren dadurch die Kontrolle über sie und das mochten sie so gar nicht leiden!“, stimmte Tala zu.

„Du glaubst wir haben ihn? Reuthmayer als – Täter?“

„Wenn es nicht stimmt, schütte Eier Mehl und Zucker über mich und schiebe mich vierzig Minuten in den heißen Ofen!“

„Einverstanden, aber wie willst Du es beweisen? - Immerhin, das Gros der Informationen ist ja noch nicht mal da. Könnte es nicht doch sein, dass ein Fund von Spurensicherung, Gerichtsmedizin oder der KTU uns da auf andere Fährten setzt?“

„Bestimmt sogar“, überraschte Tala den jungen Kollegen, „und wir werden jeder dieser Spuren folgen, so gut und so lange wie wir es vermögen. Aber wenn es in diesem Haus da, zu keinen Übergriffen gegenüber dem Mädchen gekommen ist und die fehlende Unterwäsche des Opfers kein Indiz darauf ist, welcher Natur diese Übergriffe waren, fresse ich den Besen samt Hexe! - Nicht zuletzt der Auffindeort, das Haus der Fetzers, eines Paares zu dem man in beruflicher Konkurrenz gestanden hat. - Ich mag ja Zufälle, aber das sind mir zu viele auf einem Haufen.“

Er blickte zur Seite zu der Kommissarin, der er gerade mal eine Handvoll Wochen direkt unterstellt war. „Bei dem Fall der getöteten Frau Reyler auf dem Ponyhof, warst Du bedeutend vorsichtiger – und hast mir Vorhaltungen gemacht, weil ich zu früh von einem Täter gesprochen hätte, - erinnerst Du Dich?“

„Ich habe auch nicht von Täter gesprochen, Du hast das Wort in den Mund genommen. - Reuthmayers sind Verdächtige. Sie verhalten sich verdächtig und reagieren auf den Tod des Hausmädchens, als wäre ihnen ein Schmuckteller von der Wand gefallen, nicht mehr. - Sie haben keine zwei Wochen nach der Vermisstenmeldung – die aus Polen weiter gegeben war, gewartet, ehe sie die nächste Avantgardekünstlerin aus dem Polen-Katalog geordert haben. “

„Empathie ist ein rares Gut in dieser Gegend, das hätte ich Dir auch vorher sagen können.“

„Alleine schon diese Kluft!“, schäumte Tala auf. „Was soll das werden? - Soll sie ihm den ganzen Tag als Aphrodisiakum so vor der Nase herum tanzen? - Wollen die uns für blöd verkaufen? Das ist doch vollkommen klar worauf diese Aufmachung abzielt! - Und dann dieses Geschwafel über polnisches Temperament und slawisches Blut!“

„Sie sind keine Heiligen, Tala, ich hatte Dich gewarnt. Die Frage bleibt, wenn sie es waren - oder etwas mit dem Tod der Kleinen zu tun haben, wie beweist man das solchen Leuten?“

„ - So wie anderen Leuten auch, OK Assmuth. Genau so und nicht anders!“

Doch der Sohn des Sparkassenfilialleiters Assmuth, des zweiten Vorsitzenden des honorigen Tennisclubs der Stadt, verzog die Mundwinkel wie unter einem stillen Schmerz.

 

 

Konner Kollberg begrüßte sie mit, für seine Verhältnisse, zufriedener Miene. Tala nickte zu Lennart als sie dabei waren, ihre Jacken abzustreifen und über die Stühle zu hängen. „Der liebe Rudolf hat schon angerufen.“

„Da wir nun wieder alle versammelt sind, tragen wir mal zusammen was wir haben“, eröffnete der Ermittlungsleiter die Runde vor dem Fallboard.

„Die Daten sind zwar noch nicht offiziell, aber nach allem was wir bislang wissen, handelt es sich bei dem Opfer tatsächlich um die 23 jährige Zuzanna Pawelcyk aus Sepopol in Polen. Sie arbeitete bis zur ihrer Vermisstenmeldung im September bei dem Ehepaar Rudolf und Irene Reuthmayer als Hausmädchen“, malte er die beiden Namen auf. „ - Die KTU untersucht noch den Teppich in den die Tote gewickelt war, lässt aber schon mal wissen, dass er wohl neu war, Massenware aus einem schwedischen Möbelhaus. - Die Kleidung war von den Verwesungsprozessen stark angegriffen, auch hier wird die Auswertung noch Zeit beanspruchen. - Die Gerichtsmedizin hat sie schon auf dem Tisch und konnte zumindest mit Bestimmtheit sagen, dass das Zungenbein gebrochen wurde, - der Tod also durch ein Strangulieren oder gewaltsam durch eine Kraftwirkung auf den Hals eingetreten ist. - Interessantes Detail“, wies er kurz mit dem Stift in die Richtung der Frau im Raum, „war in der Tat, die Fortsetzung der Verwendung des Schmierfettes an der Klinke der Terrassentür, - sowohl innen, wie außen. - Gut möglich, dass die Leiche durch den rückwärtigen Zugang ins Haus gelangt ist.“

„Irgendwas das uns weiterbringt von den Fetzers selbst?“, fragte Tala zu den beiden Männer an den benachbarten Tischen.