Thequiemus! - Sonja Kowalski SKG - E-Book

Thequiemus! E-Book

Sonja Kowalski (SKG)

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

 Band 2 Der Serie "Thequiemus!"     "Im  Ragedinger Holz   bei Bischoffsbrück wird eine kopflose Leiche gefunden. Der Tote scheint ein unauffälliges Leben geführt zu haben und Tigran Thequiemus und seine Leute der örtlichen Mord-Kommission stehen vor einem Rätsel, bei der Frage nach einem Motiv für eine solch brutale Tat. Doch Stück für Stück setzt sich das Bild zusammen in dem Menschen auftauchen in deren Leben das Opfer eine verstörende Rolle spielte." ~ Die Autorin weist darauf hin, dass im Text die Inquit-Regeln modern interpretiert werden. ~ 

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Sonja Kowalski SKG

Thequiemus!

Blutende Köpfe

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Titel

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Thequiemus!

 

 

-Blutende Köpfe

 

 

Band 2

 

Kapitel 1 ~Kopfsache~

„Wer immer diese Bremsschirme rein programmiert hat, hat eine Arschloch-Werkstatt aus diesem Spiel gemacht!“

„Komm schon, Paps, - die die hinten liegen, wollen eben auch noch eine Chance haben vorbei zu ziehen!“

„Dafür gibt es diese Basketbälle, die man auf den Führenden loslassen kann! - Das ist schließlich ein Rennspiel, oder? Da hat es um fahrerisches Geschick zu gehen, - oder eben Glück!“

Lion lachte laut auf während er seinem Vater die Treppe hinunter in die Küche folgte: „Komm schon, Paps, - das ist doch nur ein kleines PC-Spiel!“, lachte er. „Ständig schimpfst Du über meine Daddelei, aber kaum sitzt Du mal selber vor so was, nimmst Du alles irre persönlich.“

„Im Gefrierfach sind noch ein paar von den Mikrowellen-Pommes, willst Du? - Oder sollen wir uns was bestellen? - Morgen wird der Kühlschrank aus gesteckt und verfrachtet.“

„Pommes sind okay“, hievte der frischgebackene Abiturient die langen Beine über einen der Kartons mit denen der Raum sattsam zugestellt war.

„Wird wirklich hohe Zeit, dass dieser ganze Umzug und Stress ein Ende finden! - Seit Wochen sehe ich bloß noch Kartonburgen um mich herum, - echt, Paps, mich nervt das ganz schön!“

Tigran nickte, ihm ging es kaum besser. Das alte Familienhaus mit dem großen Grundstück war für ihn zu keiner Zeit ein heiterer Ort gewesen, nicht zu seinen einsamen Kindertagen, nicht in den Jahren in denen er hier mit seiner eigenen Familie gewohnt hatte. Seit zwei Monaten war er nun schon von Ines geschieden, ein kurzer Prozess, klarer Schnitt, - nichts das nicht irgendwann vorherzusehen gewesen wäre, dennoch war ihr Fortgehen nichts gewesen womit er gerechnet hätte. Schon gar nicht an einem Tag an dem der gemeinsame Sohn von einem Rocker angefahren worden war, um dem Vater einen Denkzettel zu verpassen.

Nun war das alte Haus lukrativ verkauft, Tigran glücklicher Eigentümer eines teilweise umgebauten kleinen, mehrstöckigen Lagerhauses am Corveleyn-Park und auch der frisch eingeschriebene Student an der Polizeiakademie in Rundstadt konnte sich darauf freuen bei seinen freien Wochenenden daheim in Bischoffsbrück, in seinen eigenen vier Wänden wohnen zu können. Sein ausgezahlter Anteil am Erlös und Erbe hatte ihm den Kauf eine Zweiraumwohnung im 8ten Stock eines Hochhauses der Siedlung Burgeleit draußen in Wossenau möglich gemacht. Nicht die beste Wohngegend, doch sein Vater hatte einzusehen, dass Lion willens war sein Leben in die eigene Hand zu nehmen und dazu eben auch gehörte, sich dabei auch mal die Hand an etwas verbrennen zu können.

„Tja, mein Lieber, das wird so lange brauchen, wie es eben braucht“, schob Tigran die geöffnete Schachtel in die Mikrowelle. „Aber morgen Abend schon kommen die Leute von der Spedition und bringen das meiste Zeug gleich rüber in meinen Speicher, Brackenhorsts Bruder hat mir die neuen Schlüssel schon ins Präsidium geschickt. Faktisch könnte ich ab morgen schon dort mein müdes Haupt zur Ruhe legen.“

„Aber dass Du ja die Leute die Kisten schleppen lässt, Deine Schulter ist längst nicht wieder hergestellt!“

„Herrje, Junge, der Überfall war vor vier Monaten, die Schulter hatte mir der Kerl noch da draußen selbst wieder eingekugelt, die Bänder halten, die Nerven haben sich regeneriert, - weißt Du mehr als die behandelnden Ärzte? - Ich werde jedenfalls nicht nur daneben stehen und Kommandos geben. - Viel wichtiger ist mir aber“, drehte er sich zum Junior, „willst Du das Zimmer ganz oben unter meinem neuen Dach vorgehalten bekommen, oder nicht? - Ich fände es schön, wenn Du die ein oder andere Nacht bei mir übernachten würdest. Du wirst mir immer hochwillkommen sein – und ich sage das nicht bloß so.“

„Dito“, grinste Lion zurück.

„Oh je, die Burgeleit, da gabs für mich ….“

„… Schon neun Tatorte zu besichtigen, ich weiß, ich weiß!“

„Ich wüsste nur wirklich gerne, weshalb es Dich in diese Gegend zieht? - Wohnt da jemand besonderes? - Jemand die das Risiko wert ist?“

„Risiko, - meine Güte, wie Du Dich anhörst! - Ist in Deiner Welt für einen Kerl nur eine Frau ein Risiko wert?“

„Wir hatten das Thema doch schon, Li, mir ist egal wen Du liebst, wenn Dich die Liebe nur glücklich macht.“

„Dito“, grinste Lion noch breiter.

Die geschwungene Augenbraue des Vaters flog nach oben. „Lass das!“, probte er eine Strenge auf die der Sohn schon nicht mehr hereinfiel.

„Wäre Bonnie Dein Risiko wert?“

Der Mann ächzte genervt: „Bonnie ist meine….!“

„ - Stellvertreterin und Kollegin - und die Dienstvorschriften sagen eindeutig Nein zu Beziehungen innerhalb einer Dienststelle! - Tausend Mal gehört.“

„Das ist nicht der Punkt! - Überhaupt, hast Du wirklich oben nichts mehr zu packen, oder so? - Den PC zum Beispiel und Monitor und so?“

Doch des Versuchs den Sticheleien ein Ende zu setzen hätte es gar nicht bedurft. Das Smartphone schepperte und der Ton war der des Kriminaldauerdienstes, des KDD und das konnte nur eines bedeuten.

„Thequiemus hier, - habt Ihr was für uns? - Einen, - was? - Und der Kopf? - Okay, ich komme, wo seid Ihr denn genau?“

 

Die Route ins Waldgebiet „Ragedinger Holz“ war schnell in das Navi des Dienstwagens getippt, doch so einfach wie auf dem Display angezeigt war der Weg nicht. Das Gelände mit dem satten Mischwald war in privaten Besitz und das ließ der Eigentümer Besucher durchaus spüren. Von den vielen Hinweisschildern und Zutrittsverboten abgesehen, hatte man hier auch schwere Findlinge sich nähernden Fahrzeugen in die Spur gesetzt, um die man gekonnt steuern können musste. Gröschel von der „Tatortgruppe“, einem budgetsparenden Zusammenschluss von Kriminaltechnik, Spurensicherung und Rechtsmedizin, hatte auch einiges an Mühe ihn telefonisch zum Zielort zu dirigieren. Er parkte schließlich dicht hinter dem Truck der Gruppler am Rand des Waldes.

„So was sieht man nicht alle Tage“, begrüßte er den Leiter der Ständigen Mordkommission mit der Taschenlampe in der Hand. „Der Tote ist männlich, Mitte oder Ende Vierzig, alles ist da, - außer dem Kopf und den Schuhen. - Siehst es Dir am Besten selbst an. - Kein schöner Anblick, ich muss Dich warnen, der Körper hat hier wohl die letzte Nacht über gelegen – und der Spurenlage nach zu urteilen waren noch mehrere Wildschweine dran.“

Thequiemus hatte sich schon behände die gereichten Füßlinge übergezogen und war dabei gewesen die Finger in die Latex-Handschuhe zu schieben, als ihn die letzte Bemerkung des Kollegen stocken ließ.

„Bissspuren nur an der Trennstelle, soweit wir erkennen können. Die Rechtsmedizinerin meinte schon, es würde sauschwer werden da noch Spuren zu verifizieren, die darauf schließen ließen, womit der Kopf abgetrennt wurde.“ Gemeinsam standen sie vor den ersten Baumreihen. „Der Boden um die Leiche herum ist frostfrei bis etwa eine Tiefe von sieben Zentimetern, erst darunter ist alles noch recht hart und die Klauen der Tiere haben hier schon ordentlich gewühlt und andere Spuren haben wir in diesem Unterholz noch keine gefunden.“

„Wie sieht es mit dem Blutaufkommen aus? - Haben wir hier den Tatort?“

„Bestimmt nicht. Der Körper hat nach den Bissen der Schweine nicht mehr viel nach geblutet. Das ist definitiv nur ein Ablageort.“

Gemeinsam stapften sie gut dreißig Meter in den fast schon nachtschwarzen Wald hinein. Gröschel leuchtete den Weg aus so gut es ging. Der Boden war dicht mit vielen Schichten alten Laubes und abgeworfenen Ästchen belegt, es raschelte und knackte unter ihren Füßen, gütiger frommer Geruch von nasser frischer Erde schwemmte in seine Nase, bald schon gemengt mit dem süßlichen rostigen Aroma von Blut.

Umringt von den vereinigten Kräften in der Tatortgruppe in ihren weißen Einmalanzügen lag rücklings der beschriebene Leichnam, um die Hüfte leicht verdreht, kopflos und barfüßig. Die Lichtstreifen der Stirnlampen der Kollegen sichelten über den Toten im geschäftigen Takt von Menschen, die sich hier an einem Arbeitsplatz befanden und sich von Mitleidsgesten fern hielten.

„Das ist Radfahrerkluft“, stellte Tigran sofort fest. „Könnte er vor seinem Tod so heftig gestürzt sein, dass es ihn aus den Schuhe gehauen hat? - Bei Sporträdern gibt es doch diese Klickverschlüsse an den Pedalen, die sie mit den Schuhen fest verbinden?“

„Gestürzt ist er sicher“, erwiderte Claudia Zoller, eine der beiden Rechtsmedizinerinnen im Tross. „Ich lasse die Deutung der Risse an der Kleidung mal der SpuSi, aber hier“, strahlte sie mit ihrer Lampe an das Ende ihrer deutenden Finger, „der 3te und 4te Halswirbel sind zertrümmert, sie wurden rücklings mit hoher Krafteinwirkung gegeneinander gedrückt. Das war kein Werk eines Wildsaukiefers.“

„Der Kopf wurde nach hinten überstreckt“, verstand der Kommissar. Es war nicht das erste Opfer mit solch tödlicher Diagnose mit dem er es in seinen langen Berufsjahren zu tun bekam. „Er könnte also mit seinem Fahrrad gegen etwas geprallt sein und wurde dabei nach vorn über den Lenker geschleudert. Beim Aufprall auf dem Boden oder einem anderen Hindernis“, deutete er auf die schwarzen Stämme ringsum, „zu Tode gekommen sein.“

„Gegen Genickbruch hilft kein Helm der Welt.“

Gröschel nickte.„Geschwindigkeit, Aufprallwinkel, wenn es dumm läuft ist so was tödlich.“

„Claudia, irgendwas zum Todeszeitpunkt?“

„Die Temperaturen machen das nicht gerade einfach, aber ich gehe sicher davon aus, dass er länger als nur diesen Tag über hier gelegen hat, die Bissspuren der Tiere sind mehr als nur ein paar Stunden alt. Vermutlich beigefügt vergangene Nacht, als die Leichenstarre schon wieder nach gelassen hatte. Wofür auch spricht, dass er in der Körpermitte leicht eingeknickt liegt. Auch hat sich die Blase post mortem wohl nicht hier entleert. Ein paar Stunden mindestens muss er also woanders gelegen haben. Genaueres zu Deiner Frage aber erst nachdem wir ihn auf dem Tisch hatten. Lebertemperatur, Verdauungsstatus, Resorptionstand des Magens und so weiter, danach kann ich Dir da genauere Aufschlüsse geben.“

Er besah sich die Leiche näher und wie erwartet bot sie selbst bei diesem wenigen und unruhigen Licht keinen schönen Anblick. Gröschel hatte Recht, die Bisse der Windschweine hatten allein am bereits offen liegenden Fleisch stattgefunden und hatten weder an den Händen, noch in den Unterleib des Mannes ihre Hauer und Zähne versenkt. Die Kleidung war kein Billigkram und das notierte er sich ebenso in sein altertümliches Notizbuch, mit dessen Hilfe er sich die einfach Dinge besser besser merkte, - einmal geschrieben war immer besser als zehnmal gelesen. Sein Smartphone zückte er nur um eine einzige Gesamtaufnahme der Leiche und ihrer Auffindesituation zu machen. Der KDD hatte gewiss noch weitere und detaillierte Aufnahmen gemacht und vielleicht noch während es etwas heller war. Ansonsten waren Versuche Anhaltspunkte darüber zu bekommen, aus welcher Richtung kommend man die Leiche verbracht haben könnte, hoffnungslos, das war ihm rasch klar. - Als Tierfreund zog er sich viel und oft in den Wald zurück, suchte dort Ruhe und Ausgleich und beobachtete dabei auch von Ansitzen herunter das Leben ringsum. Die Wildschweine würden bei einer Futtersuche ganze Arbeit geleistet und Laub und losen Untergrund aufgeworfen haben. Sollten sich dort jemals Laufspuren von Menschen befunden haben, waren sie weg auf Nimmerwiedersehen. Zwar war es noch möglich, der Spurensicherung gelänge es einen Ursprung menschlicher Abdrücke verfolgen können, aber wahrscheinlich war der Tote mit einem Auto bis an den Waldrand gebracht worden, das vermutlich dort abgestellt worden war, wo jetzt sein Dienstwagen und das Fahrzeug mit der große Aufschrift „Tatortgruppe“ standen. Und wieder verzweifelte er still über Größe und Gewicht des Trucks, die taugten tatortnahe Spuren komplett zu vernichten – und damit der Rotte Schwarzwild in Nichts nachstand.

„Hat der KDD schon bei den Vermisstenmeldungen nachgesehen, ob es da etwas Passendes gibt?“, wollte er noch wissen, als er die abgezogenen Füßlinge und Handschuhe in den Abfallsack stopfte.

„Die hätten sich gemeldet, wenn.“

„Angenommen dass der Tote vorher tatsächlich mit seinem Bike unterwegs war - gibt es hier denn irgendeine Strecke? Für die Downhill-Gemeinde sind die doch extra ausgewiesen und ich kann mir schwer vorstellen, dass der Eigentümer von diesem Waldstück ein Fan von solchen Dingen ist. - Dieser Schilderwald hier her spricht eher für jemanden, der an Besuchern jedweder Art so gar keinen Spaß hat.“

„Dachten wir uns auch schon, aber bitte - das ist schließlich Eure Baustelle.“

Er wollte es weise anstellen und sich für die kommenden Stunden nur jene Kollegen an die Seite holen, die er auch mit Arbeit würde füttern können und das waren die beiden vom Informationsmanagement der Dienststelle, Max Grasshoff und Norbert Stellmacher, der alte Fahrensmann. Dennoch informierte er alle Mitglieder der MoKo über den internen Informationsdienst über den Fund und dass er sie alle schon Morgen um sieben im Präsidium haben wollte.

„Was ist mit Bonnie?“, wollte Norbert wissen, nachdem Thersian, den Kommissionsältesten auf dessen Heimweg vom Discounter auf dem Handy erreicht hatte. „Sollte sie heute Abend nicht auch dabei sein?“

„Sie ist meine Vize. - Ich bin doch da. - Außerdem habe ich gehört, wie sie Godeysen sagte, dass sie mit ihrem Jungen bei ihrer Mutter ist, die hat Geburtstag, oder so.“

„Wie Du meinst, aber wenn sie Dir morgen mit ihren Blicken Löcher in den Pelz brennt, - meine Schuld ist das nicht!“

So unrecht hatte er nicht, das war auch Thequiemus klar, die Last einer beginnenden Ermittlung gehörte von Beginn an auf beide leitenden Schultern verteilt.

Während er zurück zum schwarzen Dienst-Audi ging, war ihm noch immer nicht klar woran das lag, dass er sich in den letzten Wochen mit ihrer Gegenwart so schwer tat. Sicher war ihm nur, dass es etwas zu tun haben musste mit dem Besuch seiner Ex-Frau Ines bei Bonnie, kurz nachdem sie die Koffer gepackt und ihn und Lion verlassen hatte. Er hatte nie erfahren was die beiden Frauen miteinander zu besprechen gehabt hatten, doch er musste sich eingestehen, dass sie ihn seit dem zunehmend irritierte. Noch immer strahlten diese orangefarbenen Sterne in ihren braunen Augen und schaffte der besondere Weichspülerduft, der ihrer nächsten Nähe entstieg, kurze wohlige Serotonin-Wellen durch seinen Verstand zu senden, aber nebst all dem gewohnt Köstlichen an Bonnie Bruneau, hatte sich ein eigenartiges Unbehagen gesellt. Lion war nicht der Einzige der sich immer wieder in Andeutungen darüber übte, wonach es zwischen Bo und ihm mindestens knistern würde und es hatte etwas Erschreckendes, wie weit diese Reden schon Kreise zogen.

Stellmacher war vor ihm in der Kommission und es überraschte ihn nicht. Norbert stand nur noch ein paar Monate vor seiner Ruhestand und man merkte ihm durchaus eine Furcht vor diesem neuen Lebensabschnitt an. Er stand allein in seiner Zeit, wenn man von seiner Schwester und deren Foxterrierzucht mal absah. Er war immer der der morgens als Erster kam und abends als Letzter ging.

Wie immer hatte er auch bereits dafür gesorgt, dass die Kaffeemaschine, in der kleinen Küchennische am Ende des lang gestreckten Raumes, eine große Kanne Frischgebrühten parat hielt.

„Es gibt eine Vermisstenmeldung die passen könnte“, begrüßte er den Chef und sah dazu nur kurz von seinem Bildschirm auf. „Ein gewisser Johannes Mascher, wohnhaft in der Mechthilder-Straße drüben im Stadtteil Liesthal.“

„Liesthal, so so“, schenkte sich Tigran eine erste Tasse ein, der Abend konnte lang werden.

„Ja, einer aus der besseren Gegend. Seine Ehefrau hat die Meldung erst heute vor keiner Stunde aufgegeben. Ihr Mann sei gestern, also am Dienstagmorgen zum Sport aufgebrochen, mit dem Fahrrad und nicht zurück gekehrt. - Sie hätte sich erst keine Sorgen gemacht, da ein Freund von ihn, ein gewisser Alexander Abele ebenso verschwunden sei und sie glaubte, die beiden wären zusammen unterwegs. Erst als dessen Freundin sich an sie gewandt hätte, weil sie von dem Abele nichts mehr gehört hatte und ihn genauso wenig hatte erreichen können, sind sie zur Polizei. Hier steht noch die Beschreibung des Fahrrades, ein Mountainbike der Marke: Zeitstrahl, Typ „Baumfalke“, 28 Zoll, in bronzemetallic.“

Dumpf pochte es Tigran im Magen. Unversehens zuckte bei ihm das Bild von Lions Fahrrad auf, wie es trostlos verbogen in der Eingangstür des Hauses gestanden hatte, nachdem ihn der Sohn nach der Attacke des Bikers zu sich gerufen hatte. Doch er sammelte sich rasch wieder. Auch wenn es nervte und schmerzte, aber solche Zuckungen des Gedächtnisses gehörten zu seinem Beruf wie Rülpser zum Sprudelwasser.

„Also werden gleich zwei Leute vermisst, Mascher und Abele – und weiß man ob beide mit den Rädern unterwegs waren?“

„Tja Tig, ab hier werden die Angaben für uns interessant für uns, - dieser Abele war – so gib die Frau Mascher an, am Montagabend bei ihnen zu Gast und hat sich nach acht Uhr nachhause verabschiedet. - Dort aber, - so sagt es jetzt die Freundin vom Abele, kam der an dem Abend gar nicht an. Mascher ist am Morgen darauf mit dem Rad aufgebrochen, wie gesagt. - Die Meldungen über die beiden Männer wurden erst mal nur der Vermisstenstelle zugeleitet, Karadavut selbst hat schon ersten Zugriff auf die Informationen genommen, wenn ich das hier richtig lese.“

„Ich telefoniere gleich mal mit ihm. Mascher und Abele kannten sich und sollte einer tot sein und der andere verschwunden bleiben, müssen wir uns schnell kurzschließen können.“

„Hat die SpuSi schon irgendwas feststellen können bezüglich der fehlenden Schuhe?“

„Claudia Zoller wollte sich noch nicht mal auf eine Todeszeit einlassen. Temperaturen und Lage der Leiche machten nur deutlich, dass er die Nacht über an der Stelle gelegen haben muss, aber zuvor gut ein paar Stunden an einem anderen Ort. Die Blase war leer und als die Schweine schmausten, war die Leichenstarre schon am Abklingen.“

„Also durchaus möglich, dass er schon am Dienstagmorgen zu Tode gekommen ist.“

„Tödlich war bereits der Bruch der Halswirbel, das war das Einzige, worauf sich Claudia da draußen schon festgelegt hatte. - Stark anzunehmen, er ist zu Tode gestürzt. - Und der fehlende Kopf macht deutlich, dass wir es hier mit Fremdverschulden rechnen müssen, ein solcher Sturz kann schließlich auch bewusst herbeigeführt worden sein. Die anschließende Enthauptung war jedenfalls Ausdruck von einer Menge Hass. Er war ja schon tot.“

„Was zum Tatort? Anhaftungen an der Kleidung, die aufgefallen wären?“

Der Chef schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Was mich stutzig macht ist, die Leiche war barfüßig. Ein heftiger Sturz reißt ihm die Schuhe von den Füßen als er aus dem Sattel geschleudert wird, so weit verstehe ich es schon. Die Täter kriegen das mit, wollen aber nicht, dass man erkennt, wo er gestürzt ist und verbringen das Rad mit allem was dranhängt in die eine Richtung - und den Toten in die andere? - Die Schuhe verraten was, aber die Kleidung nicht?“

„Und warum nimmt man ihm den Schädel ab? Und womit? - Wenn es nur darum gegangen wäre zu vertuschen, dass man sich irgendwo verbotenerweise aufgehalten hätte, - eine Strecke gefahren, die eigentlich keine sein sollte, - schneidet man einem Toten einfach und ausgerechnet den Kopf ab? - Mit einer Säge, oder Machete oder Axt oder Beil, irgendeinem sauscharfen Ding, das man idealerweise in einer Satteltasche gleich mit sich führt? - Oder aber man ist gewöhnlich eben doch mit solchen Dingern im Wald unterwegs?“

„Daran habe ich auch schon gedacht. Der Besitzer von diesem Ragedinger Holz hat unzählige Verbotsschilder hängen. Da sitzt bei einem eine Menge Frust über ungebetene Besucher. - Aber auch so viel Wut wie es braucht jemandem durch den Hals zu schneiden?“

„Das ist die überhaupt die andere große Frage“, fand Norbert, „wo ist der Kopf?“

„Kann ja sein, dass ich als Kind zu viele schlechte Abenteuerbücher gelesen habe, aber für mich hört sich das nach einer verdammten Trophäe an! Nach jemandem, der es als ultimativen Triumph empfindet, diesem bestimmten Mann den Schädel vom Rumpf zu trennen.“

„Nach einem Jäger, vielleicht? - Ist der Waldeigentümer auch der der da als Jäger unterwegs ist?“

„Finden wir es raus, Norbert, - ran an die Tasten. Wenn wir was finden, suchen wir den Herrn heute Abend noch auf.“

Dem Alten zog es den Schnurrbart nach unten: „Noch vor den Obduktionsergebnissen?“

„Ich will wissen, ob es in seinem Holz einen Pfad gibt den sich Mountainbiker angelegt haben und falls Ja, ob er uns etwas zu deren Nutzern sagen kann. Gab es Wortwechsel, Gespräche, Zuspitzungen? - Sollte der Tote der Mascher sein, wäre es gut heraus zu finden, wer bei diesem Unfall nachgeholfen hat. - Wir stehen hier nicht vor zwei verschiedenen Delikten, da ein vorsätzlicher Totschlag und da eine Leichenschändung.“

„Täter und Opfer waren einander keine Fremden.“

„ - Mit anderen Worten: Wo steckt Abele?“

„Wir können aber nicht auch noch zur Frau Mascher fahren um uns nach deren Verbindung zu dem zu unterhalten, wenn wir noch nicht mal sicher wissen, ob es sich bei der Leiche wirklich um Johannes Mascher handelt. Kara hat sie heute schon besucht und über die beiden Vermissten befragt, das wird ihr schon genug zugesetzt haben. Deswegen sage ich doch, warten wir die Identifizierung ab.“

Thequiemus lenkte mit einem Seufzer ein: „Wie Du meinst.“ - Angesetzt auf einen neuen Fall, war seine Geduld verschwindend.

„Der KDD schickt gerade die Bilder der beiden Vermissten, die die Damen bei der Meldung mitgebracht hatten“, las Stellmacher von seinem Monitor aus der Email in deren Anhang die beiden Gesichter und Beschreibungen der Männer der Mordkommission zugingen. Tigran stellte sich hinter seinen Kollegen, blickte auf den Bildschirm.

„Ja, das ist er. Diese Schulterlinie, sie ist sehr gerade, siehst Du?- Genau wie die des Opfers das im Wald liegt. - Sicher, wir warten die Tests und Ergebnisse der Rechtsmedizin ab, doch ich lege mich da jetzt schon fest: Johannes Mascher ist tot - und freiwillig ist er das nicht.“

Max Grasshoff bog um in den Raum der Kommission und wickelte sich aus seinem Schal. „Unser Toter hat schon einen Namen?“

„Dir auch einen guten Abend. - Nicht offiziell, aber es gibt eine Ähnlichkeit in der Physiognomie.“

„Spurenlage? Ich meine, - bei einem fehlenden Kopf?“

„Genau genommen haben wir noch überhaupt keine Spur, nichts Heißes darunter jedenfalls. - Es gibt einen Vermissten, der am Dienstagmorgen mit dem Fahrrad los ist und der Tote im Wald trägt entsprechende Sportkleidung. Mehr ist nicht.“

„Haben die Leute in der Rechtsmedizin schon DNA-Material von ihm? - Müssen wir hin und uns das besorgen?“ - Der junge Beamte verzog das Gesicht nicht umsonst wie unter Schmerzen. Zu Angehörigen zu fahren und mit nichts Konkretem aufwarten zu können, gleichzeitig aber um DNA-Träger zu bitten, das war schon eine hässliche und für alle Seiten nervenaufreibende Sache.

„Offiziell haben wir den Fall noch gar nicht, darum werden das die Kollegen des KDD machen dürfen. Ich gebe Karadavut schnell Bescheid, dass wir hier eine erste Verbindung zu seinem Vermissenfall ziehen können“, erklärte Tigran und verschwand gleich darauf in seinem von zimmerhohen Scheiben abgetrennten Büro, dem „Glaskasten“ und knipste sich die Leuchte über dem Schreibtisch an.

Es dauerte bis er sich wieder in allen Systemen der Kriminalpolizei eingeloggt hatte und um so schneller waren die Telefonate mit dem Chef der Vermisstenstelle und anschließend mit Pierre Gunthermann vom KDD erledigt, wobei auch der erfahrene Kollege nicht gerade erfreut über einen solchen Auftrag war.

Nachdem er in die Suchmaske den Namen des Privatwaldes eingegeben hatte, spuckte die interne Datenbank eine Reihe erfolgter Anzeigen und Platzverbote aus, die ein gewisser Hinrich Siegwart aussprechen hatte lassen. Grund waren unbefugtes Betreten, lautes Feiern und – da merkte Tigran sofort auf, das Missbrauchen von Radfahrern der Waldflächen als Hindernisstrecke, auch unter Hinzunahme illegalerbauter Hindernisse.

Grasshoff klopfte gegen die offenstehenden Tür nach der Aufmerksamkeit seines Chefs. „Diese Johannes Mascher ist der Schwiegersohn vom Augustus Paisch. - Waschmittelfabrik Paisch, stellen unter anderem das Kolomo her, wenn Dir das was sagt?“

„Lion besteht da eher auf etwas mehr ökologischem Pulver. - Aber klar, die Marke kenne ich, sieht man ja auch in allen Discountern, wenn ich mich nicht irre. Die Paisch-Werke sind also in Familienbesitz, so so. - Und der Mascher ist verheiratet mit einer Tochter vom Boss?“

„Zoe Mascher, 33 Jahre jung, die Hochzeit war vor neun Jahren. Der Johannes hat aber nie bei Paisch gearbeitet, er war angestellt in einem Architekturbüro.“

„Na nu? Als Angestellter wird er kaum so viel verdient haben seiner Frau den Lebensstil zu finanzieren, den sie gewohnt ist. - Hing er am Ende am Geldhahn der Familie Paisch?“

„Einem Hahn, der jedenfalls prall gestopft wäre“, wusste Max.

„Die Familienverhältnisse werden wir uns näher ansehen, wenn wir Anlass dazu haben. - Im Augenblick interessiert mich dieser Waldbesitzer mehr als der Kerl mit dem Waschpulver. Es gibt eine Reihe von Anzeigen, die er rausgehauen hat, auch wegen Mountainbiker, die sich da illegal einen regelrechten Parcours zwischen die Bäume gebaut haben sollen.“

„Wir stehen also mit reichlich leeren Händen da?“

„Wir stehen da wo wir immer stehen, wenn wir am Anfang sind,Max, - nämlich einem Toten gegenüber der nicht tot sein wollte und es ist an uns zu klären, wie es dennoch dazu kam und wer dafür verantwortlich ist.“

„Ich hätte plötzlich doch gewisse Sympathie für die Idee, den Siegwart aufzusuchen. Immerhin wurde auf seinem Eigentum eine Leiche gefunden, Polizei und Kripo werden sich die kommenden Stunden und vielleicht auch Tage dort viel aufhalten, da wäre es günstig dem Unmut des Herrn vorzubeugen.“

„Na also! - Schlüpfe gleich wieder in deine Jacke, Max, Diensthandy geschnappt und dann dem Herrn mal auf den Busch geklopft! - Norbert, die Adresse?“

„Ich sehe gerade, Du hast die digitale Fallakte schon eingerichtet? - Ohne leitenden Staatsanwalt? - Riskant ist das schon. - Wenn wir wieder den Peuker kriegen, wird er Dir alleine dafür schon die Hölle anheizen.“

„Sollte wir wieder das Vergnügen miteinander haben, wird er mir einheizen sobald ich auch nur aua sage. Über Staatsanwälte mache ich mir wirklich keine Gedanken mehr.“

„Welch tapferes Wort!“

Bei Max sieht das Unbehagen. „Wo ist Bonnie? - Sollte sie nicht mit Dir raus fahren? - Du hast das Info-Management hier rein telefoniert, damit wir hier recherchieren und eingehende Meldungen sammeln und auch Euch weiter reichen, oder?“

Tigrans geschwungene Augenbraue wölbte sich fragend in die Stirn hinein, als er den Mitarbeiter fixierte. „Was ist los? - Keine Sorge, ich fahre nicht noch mal an die Fundstelle.“

„Sobald die was finden und die von der Tatortgruppe durchrufen, schon.“

Er mochte Max Grasshoff, wirklich, er war ein Ass im Internet und ein netter ruhiger Kerl, aber dafür dass er Beamter in einer Mordkommission war, hatten weder er noch sein Magen ein Klarkommen mit dem Anblick von Leichen, geschweige deren besonderer Aromen. Auch das hatte den Spott des ehemaligen Kollegen Monheim provoziert gehabt, unter dessen Teilhabe an der Kommission Max heftig zu leiden gehabt hatte. Thequiemus versuchte auf die Einschränkungen seiner Leute Rücksichten zu üben so gut er nur konnte, nur war jetzt eben die Zeit am Fortschreiten und von den anderen niemand da.

„Da hörst Du’s!“, pflichtete Stellmacher bei. „Ruf’ Bo an!“

„Ihre Mutter hat Geburtstag!“

„Im Ragedinger Holz liegt ein Mann ohne Kopf!“

„ - Wenn Du so Lust darauf hast, komm’ Du mit. - Du warst schon länger nicht mehr draußen und bei einer Befragung dabei!“

Bevor er seinem Chef aus dem offenen Büroraum folgte, drehte er sich noch schnell mit eindeutiger Geste zu Max um: „Ruf Bonnie an“, bat er ihn halblaut, „sie soll unbedingt heute noch reinschauen!“

„Du wirst in jüngster Zeit ganz schön gallig, sobald es um die Kollegin geht“, merkte Norbert an als er sich im Audi den Gurt anlegte. „Das hat nicht immer noch etwas mit dem letzten Fall zu tun? Dem Überfall auf sie, - oder ihrer Nacht mit Monheim? - Ich frage nur weil ich angenommen hatte, Ihr beide hättet da alles fertig ausgeräumt. - Ja, klar, dass Dich das nervt, aber Ihr seid Boss und Vize und ehrlich gesagt hatten wir mit diesem Pavel Politikersohn schon ausreichend Kostproben davon zu schlucken, wie das für uns ausgeht sobald erst mal eine Unruhe im Team ist. Das war suboptimal für die Ermittlungen um diesen Gärtnerssohn, dem Rauschnabel. Von dem gibt es bis heute keine Spur.“

„Das ist nicht mehr unsere Sache! Wenn Staatsschutz plus der Leute aus dem Bundesbüro ihn nicht auftun, werden Truppe und seine Gang ihn ausgeknipst und begraben haben. Das war uns aber schon letzten Herbst klar, oder? - Ich kann auch nicht erkennen, dass dieser verfluchte Bandenchef dazu Gelegenheit bekommen hätte, weil ich abgelenkt gewesen wäre, oder einen Hinweis von Euch überhört hätte. Ich kann Pavel Monheim eine Menge vorwerfen, weiß Gott! Aber keinen einzigen Torpedoabschuss auf unsere Ermittlungen“, stellte Tigran klar, startete den Motor und kurbelte sie beide im Audi durch das rund gemauerte Portal des alten Klinkergebäudes.

„Und? - Woher kommt nun diese Allergie gegen unsere Schöne?“

„Ich kann Dir da nicht nur nicht folgen, ich gehe überhaupt schwer davon aus, nie mehr dort zu stehen zu kommen wo Du immerzu Deine kruden Standpunkte bezüglich irgend jemandes Privatleben herhast!“

„Bonnie ist eine so schöne Frau. Und eine kluge Frau. Sensibel, keine von diesen taffen Beamtinnen, die glauben fehlende eigene innere Stärke durch burschikoses Auftreten und kesse Sprüche ausgleichen zu können. Und sie hat ihn Dir ja seit jeher den idealen Partner, - also beruflich! Nicht nur, dass Du sie damals extra angefordert hattest, als sie jede andere Dienststelle im Präsidium nicht mal mehr mit der Kaminzange angefasst hatte. Nein, Du kümmerst Dich um sie, tröstest sie wenn sie mal wieder einen rassistischen Spruch rein gewürgt bekommen hat…“

„Ja, - und? Sie ist eine Kollegin , das gehört sich so!“

„ … Unterstützt die Mama Bonnie, damit sie Zeit für das Söhnchen hat, wenn nötig. Unterstützt die Kriminalbeamtin, wenn sie sie wieder einen Beförderungskurs ansteuert...“

„Die Zeitstrahl Räder sind geradezu High-End Produkte, auf Maß gefertigt und sauteuer. Schon möglich, dass der Mascher zu den Leuten gehörte, die meinen eine solche Investition wolle ausgefahren werden und sich mit den ausgewiesenen Strecken der Stadtverwaltung nicht zufrieden geben wollte.“

Der Alte ächzte vernehmlich. Besser man lenkte ein, sonst könnte die Fahrt länger als nötig werden: „Warum redest Du von Mascher schon in der Vergangenheitsform? Die Identifizierungermittlung hat noch nicht mal angefangen.“

„Weil ich einen Besen samt Hexe fresse wenn es ein andere sein sollte. Eine solch gerade Schulterlinie samt Radfahrerkluft in der passenden Farbe, gibt es nicht so oft.“

„Wie viele Hexen und Stiele Dir schon im Hals stecken geblieben sein müssen, mein Lieber.“

„Keine Sorge, ich habe Deine Zweifel an mir nicht vergessen.“

„Beim letzten Fall ging erst Einiges in die falsche Richtung und dann in die Hose. - Aber was soll’s. Ist passiert. Jeder Bock macht Mist. - Darüber hinaus mag ich Dich viel zu sehr um nachtragend zu sein.“

„Das habe ich gerade gehört.“

Das Navi dirigierte dieses Mal recht zielsicher zur Adresse des Waldbesitzers, obwohl das Haus recht abgelegen war.

„Ich hoffe Du hattest auch ein paar Gedanken darauf verwandt welche Fragen wir dem Siegwart stellen wollen, sonst kann es gleich kritisch werden. Ich habe seinen Schilderwald gesehen, gute Kirschen serviert der Herr niemandem“, stellte Thequiemus klar und wollte auch schon aus dem Wagen klettern, als das Diensthandy den Dienststellenton schepperte. „Max? Was gibts?“

„Dieser Besitzer ist an der Fundstelle und macht den Kollegen das Leben schwer. Soll ich Bo und Daniel hin beordern? Sind beide auf dem Weg ins Präsidium.“

„Die SpuSi sollen sich eine Streife zur Unterstützung holen wenn es mit dem Kerl Probleme gibt, sind doch keine Anfänger! - Richte ihnen aus, sie sollen trotzdem versuchen Siegwart an Ort und Stelle zu halten, - wir sind unterwegs zu ihnen.“

Stellmacher grunzte düster: „Hase und Igel, wie nett!“

„Max, irgendwas Neues in der Zwischenzeit?“

„Nein, eben nicht. Die Leiche ist noch immer nicht abtransportiert.“

„Was?“

„Der Siegwart verhindert doch dass sich weitere Autos dem Waldstück nähern und mit dem Truck dürfen sie sie ja nicht transportieren. Streife ist wohl vor Ort, aber der Herr hat einen starken Willen, wie es scheint.“

Er hatte genug gehört, die Reifen quietschten, als er das Pedal schon nach der nächsten Kurve durchdrückte.

 

Die Streifenwagenbesatzung hatte den renitenten Endsechziger zwischenzeitlich in ihren Wagen befördert und blickten sichtlich erleichtert auf die beiden Männer, die aus dem schwarzen Audi mit den Nummernschildern des Präsidiums stiegen. Dass der Tote zwischenzeitlich doch noch abtransportiert hatte werden können, erfuhren sie als Erstes und dass der Wunsch der Kriminalpolizei den Störenfried an vor Ort zu halten, ihnen allen wenig Vergnügen bereitet hätte.

Auf der Rückbank des Streifenwagens hockte Hinrich Siegwart. Unter seinem grünen Lodenhut quoll eine weiße Mähne hervor, die auf dem Kragen seines schwarzen langen Mantels aufsetzte, der sich um die hochgezogenen Oberarme spannte, die er ablehnend vor seine bebende Brust gezogen hielt.

„Guten Abend, Herr Siegwart. - Ich bin Kriminalhauptkommissar Thequiemus, das ist mein Kollege Oberkommissar Stellmacher“, stellte sich Tigran vor. Doch keine Reaktion.

„Wir sind von der Ständigen Mordkommission Bischoffsbrück. In Ihrem Waldstück wurde eine männliche Leiche gefunden. Eine – kopflose Leiche, genau genommen. Herr Siegwart, der Tote trägt eine recht hochwertige Radfahrerkluft. Da stellt sich für uns die Frage, ob sich in Ihrem Wald zuweilen Leute getroffen haben um hier mit ihren Mountainbikes…“

„Zuweilen? - Zuweilen?“, brauste Hinrich sofort auf. „ - Die ganze Zeit schießen die hier durch meinen Besitz! Ganze Hindernisse haben die sich dahin gezimmert, Schanzen und so alberne Tische und die ganzen Wurzeln der Bäume fräsen die kaputt mit ihren verdammten Reifen! - Sie schrauben sich da kleine Spikes dran! Die verdichten den ganzen Boden um die Bäume herum, meine herrlichen alten Buchen! - Wissen Sie wie viele intakte Buchenwälder von dieser Größe es überhaupt noch gibt?“

„Sie haben einige Platzverweise aussprechen lassen, Anzeigen erstattet und so weiter. Klingt aber nicht als hätten Sie damit großen Erfolg gehabt?“

„Die Polizei tut nichts! - Bis die angekrochen kommt sind die doch über alle Berge! - Und wenn sie doch mal einen antreffen, dann stellen die sich erst mal hin und halten schönen Smalltalk mit denen, notieren sich Namen und Anschrift von diesen Gangstern und das wars! Die Polizisten steigen in ihr Auto, die Radler lachen sich schlapp und fahren lachend an mir vorbei, zeigen mir den Finger und sagen rotzfrech nächstes Wochenende sähe man sich wieder!“

„Ich will mal so fragen, Herr Siegwart, haben Sie darüber hinaus etwas unternommen diese Radler aus Ihrem Wald zu bekommen? - Diese Hindernisse etwa, haben Sie sie abgebaut, zerstört? - Oder haben Sie sonst wie versucht diese Strecke für deren Zwecke unbrauchbar zu machen?“

„Ja, was glauben Sie denn? - Ich komme ja zu nichts anderem mehr, als denen immer hinterher räumen zu müssen! Ich nehme die Bretter die sie da verbauen auch immer gleich mit, aber die kommen am Samstagmorgen mit neuem Zeug und nageln sich zusammen was sie wollen. - Und dann legen Sie los! Mit lauten Johlen und Juchee die Waldfee! - Arschlöcher!“

„Ich will ganz offen fragen: Haben Sie die Strecke versucht zu manipulieren?“

„Ein Mal habe ich eine dieser Parkplatzketten gekauft, 200 Meter, was die gekostet hat! - Die habe ich auf einem dieser Abschnitte zwischen meine Buchen zickzack quer über die Strecke gespannt!- Da bringen die einen Bolzenschneider und – zack! - schneiden die mir kaputt, in ganz kleine Stücke! - Ich bin nicht mehr Herr auf meinem eigenen Besitz!“

„Auch in jüngster Zeit? Haben Sie solche Dinge wiederholt versucht? Etwas quer über die Strecke gezogen, eine weitere Kette, oder ein Seil, etwas in der Art?“, hakte Stellmacher nach.

Doch Hinrich hing fest in seinem Frust: „ - Nichts! Nichts tut die Polizei dagegen!“

So versuchte es Tigran damit sich mehr darauf einzulassen, wo das Gegenüber sich gerade befand und in diesem Fall fiel ihm das auch gar nicht schwer: „Ich kann Sie sehr gut verstehen, Herr Siegwart. Tatsächlich halte mich privat viel und oft im Wald auf und liebe ihn ruhig und still. - Für die Tiere ist ein solcher Radau ja eine Zumutung.“

„Die haben mir gesagt, die Wildsauen waren dran am dem? - Weil sie außer Rand und Band geraten, wenn sie keine Ruhe kriegen! - Wenn diese Rabauken wenigstens mal begreifen würden, dass ein Wald kein Spielplatz ist und wie gefährlich die Wildschweine für sie werden können! Wildschweine bedeutet dass sind wilde Tiere! - Aber nein, sie wollen bloß immer nur ihren Spaß, Spaß Spaß!“

„Waren Sie dabei wenn meine Kollegen diese Platzverweise aussprechen ließen? Haben Sie die Namen von diesen Leute, diesen Rabauken aufgeschnappt?“

„Wenn Sie Namen brauchen müssen Sie Ihre Kollegen fragen, - ich habe da nichts dazu notiert! Wozu auch? - Für einen dem man einen Verweis ausspricht, jagen tags drauf drei oder vier von denen zwischen meinen Buchen durch!“

„Mascher? - Johannes Mascher, fiel dieser Name einmal?“

„Ist das der Depp der da liegt?“

Tigran musste tief durchatmen. Er mochte kein Verunglimpfen von Opfern. Bei seinen Leuten verbot er es mit einer Schärfe, die selbst sie ihm abnahmen. Bei Zeugen und Beteiligen fielen bei ihm sogar schon so manches Mal rüde Schimpfworte. Zu vermeiden war das trotzdem nicht immer, aber hingenommen wurde sie von ihm nur mit gewissen Schmerzen im Selbstverständnis des Mordermittlers. „Das wissen wir noch nicht sicher. - Und? - Schon mal gehört, den Namen?“

„Nein! - Aber wenn Sie wissen möchten, ob er hier öfter herum gerast ist, müssen Sie sich hier nur am Wochenende oben bei der Weggabelung hinstellen, rechts von der Wildtränke und warten. Da treffen die sich immer. - Fragen Sie doch die!“

„Wir werden ohnehin noch einige Zeit in Ihrem Wald bleiben müssen und Spuren sichern. Dazu wird es unter anderem nötig sein, dass Sie meinen Leuten den genauen und ganzen Verlauf dieser Downhill-Strecke zeigen. - Herr Siegwart, ich möchte dass Sie das endlich auch seinen Dimension verstehen: Auf Ihrem Besitz wurde höchstwahrscheinlich ein schweres Verbrechen begangen, das einem Menschen das Leben kostete . Wer immer das getan hat, ist noch auf freiem Fuß. Das können und werden wir nicht zulassen. - Der Tote war erkennbar ein Radfahrer, sie hatten schon länger und heftigen Ärger mit Radfahrern, so gesehen ist es ratsam für Sie sich uns weiter zur Verfügung zu halten. - Und im beiderseitigen Bestreben Nerven zu schonen und das Ganze hier nicht künstlich in die Länge zu ziehen, Herr Siegwart, lassen Sie – bitte - meine Kollegen in Ruhe arbeiten!“

Der Uniformierten waren einverstanden Siegwart sicher zu Hause abzusetzen.

„Und was machen wir jetzt? - Hier draußen bringt eine Suche erst etwas wenn es wieder hell wird“, meine Norbert und der Chef nickte. „Alles was zur Stunde relevant wird, läuft auf dem Präsidium ein. - Ich will endlich schwarz auf weiß, wer der Tote ist.“

Sie fuhren schweigend zurück, was ziemlich ungewöhnlich und auch ungemütlich wirkte. Der Fall war jung und außergewöhnlich, da tat es normalerweise ganz gut, das Wenige das man an Informationen hatte nochmals Revue passieren zu lassen.

Erst als sie hinter der gemauerten Zufahrt ausstiegen merkte Tigran an: „Er sprach nur davon, die Radfahrer würden sich immer am Wochenende treffen. - Mascher aber hat sich am Dienstagmorgen verabschiedet.“

„ - Was immer und wer immer ihm in der Zwischenzeit zugestoßen sein könnte, - es muss nicht bedeuten, dass es ihm im Ragedinger Holz zugestoßen ist.“

„Meine Rede.“

Oben angekommen erwartete ihn die MoKo in all ihrer Vollständigkeit. Wie dumm es von ihrer aller Leiter gewesen war, etwas anderes erwartet zu haben.

„Was sind das für neue Moden?“, begrüßte Bonnie die beiden bei ihrem Eintreffen. „Einem Mann fehlt der Kopf, aber der Leiter der Mordkommission ruft seine Leute nicht zusammen?“

Der Gerügte war schon auf halben Weg in den Gaskasten gewesen: „Ich habe das Info-Management zusammen getrommelt, wie Du siehst. Und Deine Mutter hatte Geburtstag, oder?“, erwiderte er ohne sich umzudrehen. Ihr Ton war deutlich, Sie war angesäuert.

„Meine Familie weiß welchen Beruf ich habe, für meinem Chef sollte das nicht weniger gelten.“

„Ich wollte Rücksichten üben und Du beschwerst Dich darüber?“

Sie schloss die Tür hinter ihnen beiden und Tigran bekam sofort ein noch mulmigeres Gefühl, ähnlich dem das ihn anfiel wenn Bo aus der Kantine zurück kam, mit großen kräftigen Schritten, mit einem Salat-To-Go im Anschlag und erst recht sobald sie anfing an ihrem Schreibtisch sitzend mit ihrer Gabel das arme Grünzeug wieder und wieder wütend zu erdolchen. Bei diesem Anblick war klar, dass ihr irgendein Kantinenfunk ins Ohr geflogen war, der mal wieder ihre früheren Beziehungen zu Kollegen, ihr uneheliches Söhnchen, - oder gleich ihre dunkle Hautfarbe aufgespießt hatte. Migrationshintergründe waren noch in jeder Polizeikantine ein verbaler Teaser mit dem man piesacken konnte – und es auch je nach Laune sattsam tat.

„Warum gehst Du mir aus dem Weg?“

„Was redest Du da?“, packte er seine Jacke über den Haken an der Wand. „Du bist meine Stellvertreterin, Bo, wir arbeiten in einer Ständigen Kommission, weshalb sollte ich da anfangen wollen, Dich zu schneiden? - Pass auf“, kehrte er sich um, nur um geradewegs in einer frischen Wolke ihres Weichspülerduftes zu landen, ein einsames Glückshormon kickte ihm in den Magen. Aber als er aufschaute erkannte er keine ihm freundlich funkelnden Sternchen in ihren braunen Augen. „Der Tote liegt in einem Privatwald, der Kopf ist weg, er wurde abgetrennt und die Trennwunde von mehreren Wildschweinen verbissen. Die Spurenlage vor Ort ist wortwörtlich saumäßig und wird uns höchstwahrscheinlich auch nach einer weiteren versuchten Auswertung bei Tageslicht nicht klüger aus der Wäsche schauen lassen. Es gibt einen ersten Hinweis darauf wer das Opfer sein könnte, aber nicht mehr. Der KDD besorgt sich bei der Ehefrau des Vermissten DNA um abzugleichen, - Du weißt wie lange Ergebnisse einer solchen Untersuchung brauchen. - Mit anderen Worten, Bo, - wir haben nichts. Und den Einzigen, den man befragen könnte, haben Norbert und ich gerade gesprochen, der Bericht kommt gleich. Aber da waren keine Infos darunter, die nicht unsere Beiden vom Info-Management ausrecherchieren könnten. - Ehrlich, ich finde es toll, dass der Laden voller Ermittler ist, die heiß darauf sind ihren Job zu machen, aber es gibt keine Spuren auf die ich sie alle ansetzen könnte!“

„Seit wann glaubst Du nicht mehr an die Kraft eines gemeinsamen Brainstormings? - Du hast Dich verändert seit dem letzten Fall, Tigran und denke nur nicht, ich wäre die Einzige, der das auffällt.“

„Danke, - Norbert hat in die selbe Kerbe gehauen und ich finde ich habe das Recht aus den Ereignissen der vergangenen Monate verändert heraus gekommen zu sein – und damit meine ich nicht nur die Begegnung mit den Bloody Bishops, oder dem Staatsschutz, oder Jan Hiltrup. In meinem Leben hat sich einiges zugetragen. Und ich muss zusehen, wie ich da durch komme. - Bei Dir war es doch kaum besser, Bo! - Du wurdest von ihnen überfallen, zusammengeschlagen, Du besuchst die Leute vom Psychologischen Dienst noch immer regelmäßig – und alles was ich heute Abend wollte, war, dass Du ihn im Kreise Deiner feiernden Familie zubringen kannst. Weder habe ich Dich ausgesperrt aus diesem Fall und noch habe ich es vor zu tun“, versicherte er, schob sich dann aber auch schon an ihr vorbei auf den Schreibtisch zu. „ - Jetzt entschuldige, Bonnie, aber ich muss Lion anrufen, damit er für mich morgen die Möbelpacker in Haus lässt.“

Sie wollte etwas erwidern. Aber schon die Art wie er sich an ihr vorbei drückte machte ihr deutlich, wie seine Beteuerungen sein Verhalten nicht überlebten. Ihr Gesprächspartner beim Psychologischen Dienst hatte versucht sie mit den Veränderungen bei sich , wie auch bei allen anderen Beteiligten, zu versöhnen. Aber wie sollte sie ein Auskommen damit finden, wie sehr ausgerechnet dieser Mann anfing Bogen um sie zu schlagen? - Vor keinem halben Jahr wäre es kein Problem für ihn gewesen, sie einzulassen in sein Probleme und ihre Hilfe zu erfragen. Nun schien diese wohltuende Nähe fort geprügelt worden zu sein. Von Truppe und seinen Leuten, der Scheidung von Ines und noch von etwas Weiterem, für das sie keine rechten Worte fand. Als trüge er in sich einen eigenen Stress, der ihn kurz angebunden blieben ließ, wo zuvor ruhige Worte gute Brückenbauer gewesen waren.

„Kurz gesagt, wir haben nichts“, fasste Max am Ende seines Vortrages zusammen.

„Das Einzige, das mich bis hierin hatte aufhorchen lassen“, fügte Tigran an, „war dass Mascher am Dienstagmorgen aufgebrochen ist und uns der Waldbesitzer erklärt hat, die Leute die durch sein Holz preschen, träfen sich dazu immer erst an den Wochenenden. - Dies bedeutet wir müssten uns umschauen auf allen anderen möglichen Strecken, auf die er sich begeben haben kann. - Wir brauchen unseren Tatort, Leute. Der Ragedinger wurde nur zur Ablage ausgesucht, anzunehmen ist, man tat es in der Hoffnung bei der geringen Publikumsdichte die dort herrscht, würde er nicht gefunden, - vermute ich mal.“

„Ja nu, Meister, laut Bericht der Kumpels vom KDD hat ihn aber ein Hasso gefunden, der mit seinem Herrchen Gassi war“, erinnerte Daniel Schüssler und streckte seine langen Beine unter seinem Tisch aus.

„Der Weg unterhalb des Waldes gehört zwar auch zu Siegwarts Besitz und er bemüht sich auch das jedem klar zu machen, ist aber asphaltiert und qua Rechtsverfügung für Forstverkehr freigegeben und befahrbar und da unterhalb die Äcker beginnen sind da häufiger Spaziergänger unterwegs. Darum denken wir auch“, erklärte Stellmacher weiter, „dass der Leichnam mit einem Auto an den Wald gebracht und dann die etwa dreißig Meter hineingetragen und abgeladen wurde.“

„Wir kriegen kein Reifenprofil, richtig?“

„Die Kriminaltechnik und der SpuSi werden tun was in ihrer Macht steht, aber wir sollten nicht auf Wunder hoffen.“

„Dieser fehlende Kopf“, überlegte Bonnie laut, „welche Art von Tätern kommt für ein solches Verhalten überhaupt in Frage? - Dass Hass eine Rolle spielt, wird ja wohl deutlich, aber wodurch ausgelöst? Warum diese Aggression gegen den Kopf? Was wollte man getilgt sehen? - Augen? Hat das Opfer etwas gesehen, was es nicht hätte sehen sollen? Oder Mund, - hat er etwas Falsches gesagt?“

„Du gehst von Rache aus?“

„Jedenfalls nicht von einem verschrobenen Blutrausch, oder Fetisch.“

„Darf ich daran erinnern“, hob Max die Hand, „an die Gruppe Jugendlicher, die in Radolfheim im Wald die Leiche eines Mannes geschändet haben, der sich Tage zuvor dort umgebracht hatte?“

„Darfst Du, selbst wenn sich beim Gedanken daran automatisch die Fäuste ballen. - Ich habe die Leiche im Holz gesehen und selbst wenn wir lauter Verbiss an der Halswunde haben, so lege ich mich fest, der Kopf wurde mit einem scharfen Werkzeug abgetrennt. - Was braucht man für so etwas? - Gartenmachete? Axt? Beil? Keramikmesser? - Wer geht aus Versehen in den Wald mit solchen Waffen? - Leute, Täter und Opfer kannten sich. Der Mann ist nicht von ungefähr vom Rad gestürzt, da wurde sicherlich nachgeholfen. In der Absicht das Opfer mindestens so zu beschädigen dass es wehrlos würde. Anschließend wurde der Kopf abgetrennt. Mit Werkzeug das zu diesem Zweck mitgeführt wurde. Extra.“

„Diese Stelle müsste doch aber auffallen, Wald hin oder her. - Der Blutverlust muss enorm gewesen sein!“, wusste Tenna.

„Deswegen sage ich ja, - wir dürfen uns da nicht in Gedanken im Ragedinger festlaufen, sondern von Beginn an alle Moutainbike-Strecken abklappern, die man kennen kann.“

„Und wenn er gar nicht bis dahin gekommen ist? - Der tödliche Sturz, - provoziert, oder nicht, überhaupt nichts mit Downhill und dem ganzen Sport zu tun hatte?“

„Lies die Vermisstenanzeige, Phillip, Frau Mascher hat genau das darin gesagt. Ihr Mann war passionierter Downhill-Rider. Nur zum Brötchen holen schafft sich keiner ein Zeitstrahl-Rad an, dafür sind die Biester zu teuer.“

Der junge Beamte bekam rote Ohren, aber daran hatten sich die Kollegen schon gewöhnt. Godeysen war erst ein paar Wochen bei ihnen und schon diese Frist war länger, als alle vorherigen Teilhaben an diversen Dienststellen im Präsidium. Noch immer tat er sich schwer, aber dass seine neuen Mitstreiter genau darüber hinweg sahen, machte es ihm auch wieder leichter Fuß zu fassen. Nur mit Thequiemus fremdelte er nach wie vor und darum enthielt der kleine Tadel auch einen echten Stich für ihn. „Dass er hinwollte heißt ja nicht, dass er hinkam.“

„Einverstanden, Phil, er saß auf einem Fahrrad und kann sich auf ihm in vielen Bereichen der Stadt aufgehalten haben, sein Radius könnte beachtlich sein, aber nirgends kann man jemanden wahrscheinlicher in eine geplante Falle lenken und ihm dann noch den Kopf abschneiden – und all das ungesehen, - als in einem dichten Wald. Zudem: Diese verschmutzte Kleidung, die Risse darin, die Abschürfungen, - das kann ich nicht alles den Wildschweine zuordnen. - Und dann noch diese Bemerkung von Siegwart, wie er mal im zickzack eine Kette gespannt hätte von Baum zu Baum, um so die Strecke zu sperren. Das war unfassbar gefährlich. Es macht zudem deutlich, wie einfach es ist eine kleine und schmale Rennstrecke so zu präparieren, dass Menschen auf ihr zu gefährlichen Stürzen gebracht werden können. Schnell gespannt, schnell wieder beseitigt, der Verunglückte wird von der Unfallstelle entfernt – mit ihm das Rad – und niemand der die Stelle nach ihm vorüberfährt, würde mehr erkennen können, was sich dort gerade noch abgespielt hat.“

„Zudem an einem Wochentag. Da sind nicht viele auf den Pisten unterwegs, würde ich wetten.“

„Hoffentlich weiß die Frau was darüber, wo sich ihr Mann regelmäßig den Hügel heruntergestürzt hat“, meinte Tenna Mauren und blickte ein wenig entgeistert von ihrem Bildschirm auf: „ich lese hier nämlich von sieben offiziellen Strecken, die angelegt wurden, drei davon am Kober, drei drüben zwischen Hannigwald und Kirschenhoff und eine im Zwindener Tann. - Das ist eine beachtliche Kilometerzahl, die die KT da abzuackern hat. Und das sind nur die offiziellen Strecken, wer weiß, wie viele illegale es davon noch gibt!“

Thequiemus schnellte sich neben die junge Kollegin und blickte mit ihr auf den Monitor: „Tann?“

Auch Stellmacher war interessiert näher gekommen: „Das wäre die am nächste bekannte Strecke zu seiner Wohnadresse.“

„Tann, - Tannenwald, Nadelhölzer!“rief er aus. „ - Im Ragedinger, stehen hauptsächlich Siegwarts geliebte Buchen, auch am Kober gibt es ausschließlich Mischwald, der Hannigwald steht voller Laubbäume. - Der Säuregehalt im Tann ist durch die ganzen herab fallenden Nadeln ein viel höherer. Wenn die Rechtsmedizin uns auf der Kleidung des Toten Spuren von Baumnadeln sichern kann, hätten wir eine erste Spur hin zu einem möglichen Tatort.“ - Die junge Tenna Mauren nickte ihm zu und auch die anderen machten keinen ablehnenden Eindruck „Ich rufe gleich runter zu Doc Khalid und Gröschel, die sollen uns so rasch wie möglich die PH-Werte der Bodenproben heraus filtern!“ - Wieder verschwand der Chef im Glaskasten.

„Bin gespannt, was uns die Rechtsmedizin überhaupt sagen kann“, ächzte Max. „Alleine die ganzen tierischen Speichelspuren am Körper des Opfers zu extrahieren um an Spurenmaterial zu kommen, das vielleicht von einem Täter, oder dem Ort stammt wo man den Schädel abgetrennt hat, - Wahnsinn wie aufwendig das alles ist.“

„Erstes Ziel muss sein zu erfahren wer der Tote ist“, wiederholte Bonnie die Aussage des Chefs. „Dann können wir wirklich raus und Fragen stellen. Und erst dann besteht die Chance die Zahl der Fragezeichen zu verringern.“

„Da wir gerade drüber reden“, meldete sich Stellmacher und winkte Tigran wieder heran. „Der KDD schreibt uns hier, Frau Mascher habe endlich festgestellt welche grüne Kluft ihr Mann getragen haben muss, als er am Dienstagmorgen durch die Tür ist und siehe da, die Marke stimmt überein.“

„Okay, das reicht mir fürs Erste, - lernen wir den Herrn Mascher schon mal ein wenig kennen. - Was gibt es über ihn zu wissen, Soziale Netzwerke, Presse, alles was möglich ist! Unser Bild von ihm muss so komplett wie möglich werden – bevor wir uns mit der Gattin und ihrer Familie auch nur nähern.“

Kapitel 2 ~Kopflos~

Bonnie Bruneau staunte nicht schlecht. Unterhalb ihres Wohnzimmerfensters stand der Dienstwagen des Dienststellenleiters mit dem selbigen am Steuer. Üblich geworden war es, dass das präsidiumseigene Fahrzeug, - eigentlich entgegen der Regularien – so gut wie nach jedem Feierabend Bonnie statt Tigran nach Hause begleitete, - nachdem sie ihn bei sich zu Hause abgesetzt hatte. Das offizielle Nummernschild erlaubte ihr vor ihrer Haustür ein Parken als Anlieger und als Alleinerziehende hatte sie vielfältige Verwendung für einen fahrbaren Untersatz. Thequiemus wiederum rief bei Bedarf ein Taxi oder ließ sich einen Mietwagen vor die Haustür stellen. Machten es die Umstände nötig, dass der Chef länger blieb als seine Vize, fuhr sie mit einem Taxi, er fuhr den Dienst-Audi. Dass er sie aber am Morgen darauf damit abholte, war in den sechs Jahren in denen sie nun schon bei der MoKo und damit mit ihm arbeitete, nur sehr selten vorgekommen - und unabgesprochen schon gar nicht.

„Hallo! - Das ist ja mal eine angenehme Überraschung!“, begrüßte sie ihn, während sie sich in den Beifahrersitz fallen ließ.“

„Guten Morgen, - ja, ich dachte es wäre mal Zeit Ausgangspunkt von angenehmen Überraschungen zu sein, - der erhabenen Abwechslung halber.“

Wider Erwarten startete er nicht gleich den Motor. Sie lehnte sich zurück. Tigran wollte reden. Darauf hatte sie wochenlang gewartet.

„Zu gestern. Zugegeben, in mir verschieben sich gerade ein paar Dinge. Nicht nur ausgelöst von meinen Bedingungen ringsum. Auch in mir selbst. So wie ich mich bis hierher verstanden habe, ist meine Aufgabe dabei aber nicht endlos dagegen anzustrampeln, sondern das Neue kennenzulernen und anzunehmen. Was aber nicht bedeuten muss, dass sich zwischen uns beiden etwas ändern muss. Das möchte ich nicht. Darum, ja, es kann sehr gut und sogar oft der Fall sein, dass ich Dir die nächste Zeit auf die Zehen trete. Du solltest das – bitte – nicht persönlicher nehmen, als gut ist.“

Es hätte an diesem Punkt und an diesem Morgen von ihrer Seite aus so vieles dazu zu sagen gegeben. Sie hatte eine solche Lust darauf darüber zu erzählen, wie es ihr mit sich selbst kaum anders ging und sie ebenso Beklemmungen erlebte, ob sie sich ihm gegenüber noch immer richtig verhielt, noch richtig einschätzte, oder nicht doch überreagierte und überinterpretierte. Eines dieser Unbehagen ragte aber nun doch zu spitz in das Gemüt der Vize, als dass sie es verschweigen hätte können: „Du hast das Team nicht zusammen gerufen, obwohl wir einen neuen Fall hatten. Wenn das der neue Tigran ist, wendet er sich nicht hin zu etwas Besserem.“

Er schnaufte auf. „Bo, ich wollte es richtig machen und denen von Euch noch Ruhe gönnen, die die Spurenlage noch nicht gefordert hat. - Zudem, streng genommen, war es ein Leichenfund, aber noch kein neuer Ermittlungsauftrag. Es gab auch bis gestern am späten Abend noch immer keinen leitenden Staatsanwalt, der uns für eine Bearbeitung dieses Fall offiziell eingesetzt hätte.“

„Der KDD hatte Dich informiert über einen auffälligen Leichenfund und die Frage ob die Bürokratie im Tempo mit uns Schritt halten kann, hat uns noch nie daran gehindert gehabt anzufangen unseren Job zu machen. Du hast uns vor den Kopf gestoßen. - Was immer sich da gerade alles bei Dir neu zusammen fügt, aber in Deinem Verhalten uns gegenüber solltest Dir treu bleiben. Du hast während des letzten Falles bei uns sehr viel weniger Schaden genommen, als Du denkst. Verspiele dieses Pfund nicht leichtfertig.“

„Wirklich? - Ist das Dein Eindruck? Sie sehen mich anders an, Bo und ich bilde mit das unmöglich ein. Bis zu jenem Fall war ich der Häuptling Strengbraue, streng mit sich, streng mit anderen. - Bis es dann passiert war. Ich habe meine Gefühle über meine eigenen Grundsätze herrschen lassen. Ich wurde zu keinem Straftäter dadurch, aber dennoch ist das nichts, das man einem Ermittlungsführer durchgehen lassen muss. Wäre ich an ihrer Stelle, ich hätte da noch ganz anders reagiert. - Daniel war der Einzige, der gelassen geblieben war und nichts anderes stelle ich bis heute bei ihm fest. Er weiß aber auch, dass er selbst schon etliche Nägel reingehauen hat, die keine größeren Konsequenzen hatten, weil ich versuchte den Deckel drauf zu halten. - Tenna ist noch nicht so lange bei uns und offengestanden ich habe nicht den Eindruck, sie hätte überhaupt richtig verstanden, was alles im letzten Fall gedroht hat aus dem Ruder zu laufen und warum. Sie hat nicht mehr verstanden als dass der Staatsschutz eingriff und der - nachdem diese Rockerbande ihren Boss verloren hatten, alle Ermittlungen zu dieser Gruppierung übernommen hat. Darüber hinaus höre ich von ihr nur, wie froh sie sei, dass Monheim weg ist. - Dann aber Max und Norbert. - Ich werde nie vergessen wie sie reagierten, als ich ihnen von den Treffen mit Hiltrup berichtet hatte. Klar, sie verhielten sich beide wie gute Beamte, die die Gefahren erkannt hatten, zweifellos. Doch ein grundsätzliches Vertrauen in mich hätte anders geklungen. - Ja und unser Neuzugang, Herr Godeysen, stieß zwar erst nach Truppes Tod zu uns, hat aber von Beginn an wenig Hehl daraus gemacht, wie ihn die Berichte über das was sich zugetragen hat, geradezu persönlich gekränkt zu haben scheinen…!“

„Wenn man Grenzen überschreitet, macht man Fehler und in unserem Job allemal. Du bist nicht fehlerlos, Tigran und natürlich geht jeder im Team anders damit um und hat unterschiedlich ausgeprägte Toleranzen. Aber das Team ist nicht kaputt gegangen. Du kannst Dich auf uns noch immer verlassen.“

„Verlassen sie sich noch auf mich? Glaubst Du das? - Bonnie, ich muss das wissen.“

„So was kann man nie wissen“, war sie überzeugt. „Nur erfahren.“

„Und Du? - Verlässt Du Dich noch auf mich?“

„Wenn ich mich jemals in meinem Leben…!“ - Sie brach ab.

Er lächelte leise zu ihr herüber. Noch immer entdeckte sie darin diese ganz eigene Ermüdung. Als glaubte er im Grunde keiner noch so kleine Freude wert zu sein. - Vor Monaten hätte sie daran einer herrischen Ines und ihrer Launen die Schuld gegeben, doch nach wie vor tauchte diese Emotion in seinem hübschen Gesicht auf. Was immer dabei war sich in diesem Mann zu etwas Neuem zu formen, diese Schwere kippte es nicht aus seinem Gemüt.

„Obwohl ich gestern über Deinen Kopf hinweg entschieden hatte?“

„Nächstes Mal ist die Reihe an mir. Aber, - apropos Kopf?“

„Weder KDD noch die Rechtsmedizin, noch die Tatortgruppler haben mich heute aus dem Schlaf geklingelt. Das ist schon mal kein gutes Zeichen“, startete er endlich den Motor.

„Sie werden uns sicher sagen können, ob es der Mascher ist. - Und sollte er es sein, stehen uns heute noch einige schwierige Gespräche bevor.“

Tigran begann laut zu überlegen:„Warum wurde der Tote nicht vergraben? Sollte er gefunden werden, oder war dieses liegen lassen Teil dieser todbringenden Verachtung? - Oder einer Zeitnot geschuldet? Wurden sie unterbrochen?“

„Der Boden war noch bis eine solche Tiefe aufgetaut? Vielleicht?“

„Um das sicher zu wissen, hätte sie es versuchen müssen. Ihn in den Wald zu tragen, dort zu graben, bei all den Wurzeln, das wäre wenig klug gewesen, aber gut, man muss nicht klug sein, um jemanden töten zu wollen.“

„Der fehlende Kopf spricht schon für eine erhebliche Brutalität, aber bleiben wir mal dabei, das Opfer fuhr zuvor in eine gelegte Falle – und eine, die ihn gezielt treffen würde und das auf einer Trail-Strecke, die ja auch von anderen genutzt werden würde, - das spricht schon eher für Täter, die sich gut und lange überlegt haben, was sie da tun.“

„Diese Strecke! - Die macht mich irre! Nicht genug, dass wir die bekannten Trails absuchen müssen, es gilt ja auch noch die aufzutun, die unter Umständen nur innerhalb einer Szene bekannt sind!“

„Haben wir Glück weiß Frau Mascher wo ihr Mann bevorzugt die Hügel runter ist.“

 

„Murat Karadavut hat uns eine interessante Information für die Fallakte hinterlassen, gestern haben wir uns erst darüber unterhalten“, begrüßte Stellmacher die beiden. „Er schreibt, er habe Frau Mascher danach gefragt, wo er hatte hinwollen und die Aussage war klar: Zwindener Tann. Er habe ihr dazu auch immer wieder gesagt er würde da eine besondere Strecke kennen.“

Tig und Bo wechselten einen Blick. „Na also! - Irgendwas von Doc Khalid, Rechtsmedizin?“

„Der Gute will heute Morgen zu uns stoßen, die haben da unten wohl wirklich die Nacht durchgemacht.“

„Keine abschließende Identifizierung?“

„Haben die uns jedenfalls nicht in die Digitalakte getippt.“

„Gibts doch nicht!“, frustriert rammte er den Mantel über den Haken im Glaskasten.

Bonnie interessierte noch etwas anderes: „Sag mal, - einen leitenden Staatsanwalt haben wir noch immer nicht zugeteilt bekommen?“

„Na klar doch! - Rate mal!“

„Sobald Du diesen maliziösen Zug um den Mund bekommst, machst Du mit Angst. - Peuker? - Echt?“

„Hat unser lieber Polizeipräsident Kallenbach das nicht unlängst klar gemacht? - Tigran und die Hölle in die er ihn wünscht und die er ihm bereiten möchte, wann immer möglich?“