Lua und Caelum 1: Zwischen Himmelglanz und Höllenfeuer - Tine Bätcke - E-Book

Lua und Caelum 1: Zwischen Himmelglanz und Höllenfeuer E-Book

Tine Bätcke

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Beschreibung

»Dämonen sind nicht nett. Sie wollen töten, nicht verhandeln. Sie wollen nicht mit dir reden, keinen Kaffee mit dir trinken und sie wollen auf gar keinen Fall dein Leben retten – und doch tut es einer.«
Die 17-jährige Lua ist tough, ungeduldig, hat permanent den Kopf voller Fragen – und sie kann die Anwesenheit von Dämonen spüren. Als an ihrem ersten Abend in New York ihre Mutter bei einem Dämonenangriff stirbt, ist sie völlig auf sich allein gestellt – wäre da nicht der mächtige und undurchschaubare Hohedämon Caelum, der ihr aus unerfindlichen Gründen seine Hilfe anbietet. Doch anstatt Licht ins Dunkel zu bringen, türmt sich vor den beiden ein immer größer werdender Berg von Rätseln auf. Warum sind die Dämonen hinter Lua her? Was hat es mit dem Stein auf sich, den sie von ihr fordern? Und vor allen Dingen: Welches unsichtbare Band zwischen Lua und Caelum lässt ihr Herz vergessen, dass er eigentlich ihr Feind sein müsste?

Rasante Enemies to Lovers-Romantasy rund um dämonische Wesen, himmlische Mächte und eine düstere Prophezeiung, die den Untergang der Welt bedeutet – voller Herzklopfen, Geheimnisse, aber auch witziger Dialoge!


//Dies ist der erste Band der »Lua und Caelum«-Serie. Alle Romane der teuflisch-guten Liebesgeschichte im Loomlight-Verlag:
-- Band 1: Zwischen Himmelglanz und Höllenfeuer
-- Band 2: Zwischen Dämonenherz und Engelstränen
-- Band 3: Zwischen Todeskuss und Seelenleuchten (Februar 2023)//

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Das Buch

Die 17-jährige Lua ist tough, ungeduldig, hat permanent den Kopf voller Fragen – und sie kann die Anwesenheit von Dämonen spüren. Als an ihrem ersten Abend in New York ihre Mutter bei einem Dämonenangriff stirbt, ist sie völlig auf sich allein gestellt – wäre da nicht der mächtige und undurchschaubare Hohedämon Caelum, der ihr aus unerfindlichen Gründen seine Hilfe anbietet. Doch anstatt Licht ins Dunkel zu bringen, türmt sich vor den beiden ein immer größer werdender Berg von Rätseln auf. Warum sind die Dämonen hinter Lua her? Was hat es mit dem Stein auf sich, den sie von ihr fordern? Und vor allen Dingen: Welches unsichtbare Band zwischen Lua und Caelum lässt ihr Herz vergessen, dass er eigentlich ihr Feind sein müsste?

Die Autorin

© Christine Roch

Tine Bätcke wurde 1971 in Braunschweig geboren und absolvierte ein Lehramtsstudium in Braunschweig und Köln. Wenn sie nicht gerade dabei ist, der Sonne in dieser Welt hinterherzureisen, lebt sie mit den letzten Familienmitgliedern, die noch nicht flügge geworden sind, in einem winzigen Dorf in der ›Toskana Südostniedersachsens‹ mit ganz viel Blick auf freies Feld und ganz viel Ruhe – die perfekte Umgebung, um den Geschichten im Kopf genügend Raum zum Wachsen zu geben.

Tine Bätcke auf Instagram: https://www.instagram.com/tine_baetcke/

Der Verlag

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Loomlight auf Instagram: https://www.instagram.com/thienemannesslinger_booklove

Viel Spaß beim Lesen!

Tine Bätcke

Lua und CaelumZwischen Himmelglanz und Höllenfeuer

Engel sind gut.Dämonen sind böse.Die Erde ist eine Scheibe

Bei manchen Dingen brauchen Menschen Jahrhunderte, bis sie bemerken, dass sie einem Irrglauben folgen.

So viel Zeit hatte ich nicht. Ich musste meine Lektion sehr viel schneller lernen.

Prolog

Wir waren geboren.

Das Gute und das Böse waren erwacht, das Gleichgewicht der Welt war gewahrt. Doch das würde es nicht bleiben.

Noch war ich unbemerkt, bedeutungslos, ein winziges Teilchen im Universum. Aber ich würde wachsen, würde mich mehren. Diese Welt hielt mehr als genug Nahrung für mich bereit.

Ich brauchte nur genügend Zeit. Aber die hatte ich.

1 Lua

»Mom, das war so was von peinlich!« Lachend stolperten wir aus der Drehtür.

»Wieso, man darf sich doch wohl noch erschrecken«, rechtfertigte sie sich leicht beleidigt.

»Erschrecken ja, aber du hast den ganzen Film über geschrien.«

»Lua! Du übertreibst wie immer maßlos.«

Ich verdrehte die Augen. »Hey, du hast gequiekt wie ein Schweinchen. Hätte nur noch gefehlt, dass du dich übergeben musst.«

»War ja schließlich keine Liebesschnulze«, erwiderte sie empört. »Das war schon ziemlich eklig.«

Breit grinsend hakte ich mich bei meiner Mom unter.

»Dann solltest du im Sinne deiner Gesundheit beim nächsten Mal wohl lieber eine Schnulze und keinen Splatterfilm aussuchen. Nicht, dass du noch einen Herzinfarkt bekommst.«

Ihre Antwort fiel leicht trotzig aus. »Schnulzen sind genauso gefährlich. Die können einem das Herz brechen.«

Ich sah sie mit hochgezogenen Brauen an. »Das glaubst du nicht wirklich, oder?«

Ihr Trotz schmolz nach nur wenigen Sekunden dahin und sie begann unbeschwert zu lachen. Während wir uns auf den Weg nach Hause machten, sah ich sie leicht sentimental von der Seite an. Ich mochte das Lachen meiner Mom.

Ich mochte meine Mom generell – was ein ziemlich großes Glück war, sie war schließlich der einzige Mensch, der mein ganzes Leben lang an meiner Seite war. Alle anderen Beziehungen hätte ich eher als oberflächlich, sprunghaft und in jedem Fall vorübergehend bezeichnet.

Nachdem wir unser albernes Gekicher in den Griff bekommen hatten, gingen wir schweigend weiter, wobei jeder seinen Gedanken nachhing. Vermutlich überlegten wir beide, was uns diese Stadt in Zukunft bringen würde. New York, der Big Apple. Es war das erste Mal, dass ich in einer Großstadt lebte – und dann gleich New York.

Ich hatte schon viele große und noch viel mehr kleine Städte gesehen. So sehr ich meine Mom auch liebte, sie hatte eine entscheidende Macke: Egal wo wir lebten, nach höchstens einem Jahr fiel ihr die Decke auf den Kopf und sie beschloss, dass sie einen Tapetenwechsel brauchte.

Meine Mom war Künstlerin, sie malte. Und es war völlig gleich, wie wunderschön ein Ort war oder wie aufregend oder wie groß. Nach spätestens einem Jahr behauptete sie, keine Inspiration mehr zu finden, und das bedeutete Umzug.

Immer und immer wieder. Jedes Jahr ein Neuanfang. Ich hatte mich in den siebzehn Jahren meines Lebens letztlich damit arrangiert. Immerhin hatten wir es im Laufe der Zeit geschafft, den alljährlichen Umzugstermin in die Sommerferien zu legen, so blieb es mir meistens erspart, mitten im laufenden Schuljahr die Klasse zu wechseln. Dieses Mal hatte es allerdings nicht geklappt. Es war bereits Oktober.

Ich würde also am Montag in den peinlichen Genuss kommen, als ›die Neue‹ einer gut funktionierenden Klassengemeinschaft vorgestellt zu werden. Mindestens zwanzig Augenpaare würden mich neugierig scannen und sich fragen, ob ich ihrer Freundschaft würdig war oder nicht. Ich hatte mich auch daran gewöhnt, dass das Urteil manchmal zu meinen Ungunsten ausfiel. Schließlich war es ja nach einem Jahr ohnehin wieder vorbei und dann hieß es wieder: neues Spiel, neues Glück.

Auf meiner letzten Schule, in einem winzigen Ort kurz vor der kanadischen Grenze, war das Urteil ausgesprochen positiv ausgefallen. Wahrscheinlich trafen die Menschen dort einfach nicht so oft auf neue Gesichter. Deshalb bedauerte ich es sehr, dass meine Mom auch dieses Mal, nach immerhin erst vierzehn Monaten, die Segel gestrichen hatte.

Wie dem auch sei, heute war erst Samstag. Ich hatte also morgen noch genug Zeit, mich auf das Schaulaufen vorzubereiten.

Es war unser erster Abend in New York. Meine Mom und ich hatten im Laufe der Jahre gemerkt, dass es weder den Umzugskisten noch uns wehtat, wenn sie einen Tag lang unangetastet blieben, zumal unser Hab und Gut aus nachvollziehbaren Gründen recht klein ausfiel. Am ersten Abend an einem neuen Ort ließen wir deshalb die Kisten Kisten sein und erkundeten die Stadt. Manchmal gingen wir essen, manchmal einfach nur spazieren, heute war es ein Kinobesuch gewesen. Dieses Mal könnte es allerdings sein, dass die Kisten sogar noch länger als üblich ihr Dasein fristeten. New York war eindeutig nicht an einem Abend erkundet.

Ich ließ meinen Blick umherschweifen und freute mich auf die nächste Zeit. Die Stadt war riesig und versprach Unmengen an neuen Eindrücken. Abgesehen von der leidigen Schulgeschichte musste ich mir eingestehen, dass ich es inzwischen immer reizvoller fand, einen weiteren weißen Fleck auf meiner persönlichen Landkarte mit Erlebnissen zu füllen. Bei diesem Gedanken fühlte ich mich sehr erwachsen und weltoffen. Ich musste erneut kichern, woraufhin meine Mom mich verständnislos ansah. Ich lächelte sie an, ohne mich weiter zu erklären, denn langsam, aber sicher wurde ich müde.

Der Umzug forderte seinen Tribut. Erfahrungswerte hin oder her, Obergeschoss blieb Obergeschoss und ein Umzugsunternehmen konnten wir uns nicht leisten. Also schleppten wir selbst. Das machte sich nun bemerkbar. Auf dem Hinweg war mir der Weg von unserem Haus bis zum Kino nur halb so lang vorgekommen. Was einem ein erschöpfter Körper doch so alles vorgaukeln konnte … In diesem Moment unterbrach meine Mutter meine Gedanken.

»Lua? Könnte es sein, dass wir vorhin einen anderen Weg genommen haben?«

Das konnte sogar mit ziemlicher Sicherheit so sein, denn meine Mutter war der orientierungsloseste Mensch auf der ganzen Welt. Warum sie es jedes Jahr auf sich nahm, sich das Straßennetz einer neuen Stadt merken zu müssen, blieb mir ein Rätsel. Allerdings war auch ich heute so in Gedanken versunken gewesen, dass ich nicht aufgepasst hatte, wo wir hingingen. Verdammt, das passierte mir sonst nie. Ich war quasi das Navi meiner Mutter.

Aufmerksam blickte ich mich um, ob ich nicht doch etwas wiedererkannte. Fehlanzeige. Das, was ich stattdessen sah, war nicht besonders vertrauenerweckend. Ich musste wirklich sehr in Gedanken gewesen sein, sonst wäre ich hier niemals gelandet. Wir befanden uns in einer kleinen, schlecht beleuchteten Nebenstraße, die Häuser ziemlich runtergekommen, der Müll alles andere als korrekt entsorgt. Wir sollten so schnell wie möglich von hier verschwinden, das war mir klar. New York war schließlich kein Kindergarten und zwei so unbedarfte Neuankömmlinge wie wir ein gefundenes Fressen für Raubüberfälle oder Schlimmeres.

Ich beschleunigte meine Schritte und zog meine Mom in die nächste Gasse, von der ich mir erhoffte, wieder in eine belebtere Gegend zu gelangen. Wenn meine Orientierung mich nicht völlig im Stich ließ, müsste die größere und verkehrsreichere Straße in dieser Richtung liegen. Uns war beiden ziemlich mulmig zumute. Angespannt schaute ich mich um. Am Ende der Straße machte diese eine scharfe Rechtskurve. Perfekt, genau dorthin wollte ich.

»Alles okay, Mom. Ich weiß ungefähr, wo wir hinmüssen. Hinter der Ecke dort sollten wir gleich wieder auf die Hauptstraße treffen.«

»Das will ich auch stark hoffen, ich würde den Inhalt meines Portemonnaies nämlich gerne noch ein wenig behalten.«

Ich musste schmunzeln. Finanzen waren auch nicht unbedingt die Stärke meiner Mom. Wir bogen um die Ecke und ich blieb ruckartig stehen. Mist! Erst jetzt erkannte ich im Dunkeln, dass wir in einer Sackgasse gelandet waren. Am Ende der Straße erhob sich eine mehrere Meter hohe Mauer. Himmel noch mal, wie konnte man nur so viel Pech haben? Jetzt konnten wir diesen ganzen, wenig vertrauenerweckenden Weg auch noch zurückgehen.

»Scheiße!«, kam es mir sehr deutlich und ehrlich über die Lippen, was mir sofort einen tadelnden Blick bescherte. Meine Mutter hatte ein etwas gespaltenes Verhältnis zu Schimpfwörtern, selbst wenn sie noch so alltäglich waren. Wir machten auf dem Absatz kehrt und traten zügig den Rückweg an. Diese Gegend war mir so was von nicht geheuer. Aufmerksam musterten wir die Umgebung. Keiner von uns war jetzt noch in Gedanken versunken, vielmehr waren unsere Sinne zu hundert Prozent geschärft. Wir hörten es sofort. Ein Scharren. Ein Kratzen.

Mit ganz viel Wohlwollen hätte man es für ein Tier halten können, aber wir wussten beide, dass es keins war. Dafür hatten wir diese Art von Geräusch schon zu oft gehört. Sofort spürte ich es. Ein leichtes Kribbeln wanderte durch meinen Körper, wie ein Sensor, der Alarm schlug.

Langsam drehten wir uns um. Verdammt, sie waren zu dritt. Bislang war es immer höchstens ein Kampf zwei gegen zwei gewesen, aber okay. Größere Stadt, größere Herausforderung. Jetzt gerade wusste ich nicht mehr, ob ich New York wirklich so attraktiv fand wie noch vor ein paar Minuten. Ich atmete tief durch.

Konzentrier dich, Lua.

Ohne den Blick von ihnen abzuwenden, bückte ich mich, um das Messer aus meinem Stiefel zu ziehen. Seit ich zwölf war, war dieses Messer mein ständiger Begleiter. Niemals ging ich ohne aus dem Haus. Wachsam scannte ich meine Gegner. Die Drei hatten genau einen Pluspunkt auf meiner Liste: Sie waren ungefähr so groß wie ich, also nicht besonders groß. Okay, sie waren klein. Ich selbst maß ganze ein Meter vierundfünfzig, das fiel nicht mal mehr in die Kategorie ›ein bisschen groß‹.

Langsam kamen sie mit ihren kurzen krummen Beinen auf uns zu. »Wo ist er?«, begann der Mittlere von ihnen mit krächzender Stimme zu sprechen, während sein Blick an meiner Mutter hängen blieb.

»Als ob ich das ausgerechnet dir verraten würde«, erwiderte meine Mom mit fester Stimme und ich hatte eine Menge Hochachtung vor ihr, dass sie das in diesem Moment fertigbrachte.

»Gib ihn raus und wir können uns das hier ersparen!«

»Niemals!« Mehr Entschlossenheit konnte man in ein Wort nicht legen. Irritiert runzelte ich die Stirn. Small Talk war bislang vor einem Kampf kein Thema gewesen. Was ging hier vor? Wieso um alles in der Welt hatte ich das Gefühl, dass meine Mom wusste, um was es bei seinem irren Gequatsche ging? Was verbarg sie vor ihnen? Oder vielmehr vor mir?

Leider hatte ich keine Gelegenheit mehr, mir über irgendwelche Geheimnisse Gedanken zu machen, denn seine nächste Aussage machte unmissverständlich klar, dass die diplomatischen Verhandlungen jetzt abgeschlossen waren.

»Chance vertan«, ließ er uns in herablassendem Ton wissen. »Aber ich hab die harte Tour ohnehin lieber.«

Dann griffen sie an. Doch wir waren vorbereitet.

Ich trainierte mit meiner Mom seit über fünf Jahren. Seit dem Tag, an dem ich im Alter von zwölf Jahren das erste Mal einen Dämon gespürt und gesehen hatte, bereitete mich meine Mutter auf die Begegnungen mit ihnen vor. Und das bedeutete Training. Hartes Training. Meine Mom war der liebste und einfühlsamste Mensch der Welt, aber wenn es ums Kämpfen ging, war sie unerbittlich. Inzwischen wusste ich wieso.

Im Gegensatz zu meiner Mom waren Dämonen alles andere als lieb und einfühlsam. Im besten Fall waren wir ihnen zu klein und unbedeutend und sie ignorierten uns. Für gewöhnlich aber taten sie es nicht. Sie waren böse, aggressiv und kampflustig, genau wie die drei Exemplare vor uns.

Ihre ledrige graue Haut schimmerte im Schein der Laternen, während sie uns umkreisten und auf die erste Angriffsmöglichkeit warteten. Allerdings hatte ich nicht vor, ihnen die zu bieten. Ich täuschte einen Ausfallschritt nach links an, der auf die Angreifer wie ein Fluchtversuch wirken sollte, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne und hieb mein Messer nach dem Dämon rechts von mir. Leider waren die Biester verdammt schnell, sodass ich ihm dabei lediglich einen Kratzer am Oberschenkel zufügte.

Blitzartig holte er mit seinen schlaksigen langen Armen aus und versuchte im Gegenzug, mich am Brustkorb zu erwischen. Im letzten Moment duckte ich mich unter seinem Schlag hinweg und entkam seinen langen Krallen, mit denen er mich vermutlich mit einem Schlag in Fetzen reißen konnte. Noch immer in geduckter Haltung wich ich nach links aus und versetzte dem Dämon schräg hinter mir einen Tritt vor die Brust. Er taumelte zurück und verschaffte mir damit ein wenig Platz.

Ich scannte denjenigen, der noch in meinem Blickfeld war, und suchte seine Schwachstelle. Die Drei sahen aus wie überdimensionale Fledermäuse. Bislang waren ihre federlosen Flügel noch auf dem Rücken zusammengefaltet, aber ich wartete auf den Moment, in dem sie sie benutzen würden. Die Haut direkt am Ansatz ihrer Schwingen war immer eine Schwachstelle.

Als der Dämon erneut vorpreschte, um nach mir zu schlagen, sprang ich nach rechts weg und ließ ihn ins Leere laufen. Ich wirbelte herum und wollte ihm mein Messer in den Rücken rammen, als ich den wütenden Aufschrei meiner Mom hinter mir hörte. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich abgelenkt, aber das reichte ihm leider, um seine kräftigen Schwingen auszubreiten und mir damit einen Schlag zu versetzen, der mich sofort zu Boden warf. Meine Chance. Wenn du am Boden liegst, denken sie, sie haben dich, und werden überheblich. Das ist ihre Schwachstelle. Ich wusste nicht, wie oft ich diesen Rat in den letzten Jahren gehört hatte, aber offensichtlich oft genug, denn so wusste ich haargenau, was ich jetzt zu tun hatte.

Ich fing den Sturz ab, indem ich mich abrollte. Noch während dieser Bewegung fasste ich mein Messer fester, schnellte aus dem Rollen wieder nach oben und stieß es der Kreatur mit voller Wucht in den Brustkorb. Augenblicklich sackte sie in sich zusammen und löste sich nur einen Atemzug später in Rauch auf. Ich erstarrte mit offenem Mund, so etwas hatte ich noch nie gesehen. Schnell ermahnte ich mich, mich davon nicht ablenken zu lassen, und fixierte den nächsten Gegner.

Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass in ebendiesem Moment meine Mutter in zusammenbrach. Eine Kratzspur zog sich von ihrem Schlüsselbein bis weit über den Brustkorb.

Nein, bitte nicht.

Es sah schlimm aus, aber so sehr es mein Herz zerriss, ich musste erst die beiden verbliebenen Gegner ausschalten, bevor ich Mom helfen konnte. Sie standen direkt vor mir. Warum sie mich nicht schon längst angegriffen hatten, war mir ein Rätsel.

Kurz verharrten wir alle, schätzten die Situation neu ein und machten uns bereit für den nächsten Angriff. Dann gefror mir das Blut in den Adern. Ich nahm eine so gewaltige Präsenz in meinem Rücken wahr, wie ich sie noch nie zuvor gespürt hatte. Ein Kribbeln erfasste meinen gesamten Körper und überlagerte für einen Augenblick jede andere Wahrnehmung. Ich konnte die Anwesenheit von Dämonen seit fünf Jahren spüren und die Reaktionen, die sie bei mir auslösten, waren unterschiedlich stark, aber so etwas hatte ich noch nie erlebt. Es war mehr als das bekannte Kribbeln, eher schien es, als ob eine fremde Macht von mir Besitz ergreifen wollte und sich über mich stülpte. Seine Präsenz pulsierte in Wellen durch meinen Körper, wollte ihn sprengen und presste ihn gleichzeitig in ein viel zu enges Korsett, das mich nach Luft schnappen ließ und meinen Verstand für einen kurzen Moment lahmlegte. Als er sich endlich wieder aus dem Nebel befreite, spielte mir mein Gehirn eine unheilvolle Information zu.

Ein Hohedämon, doch selbst unter ihnen war mir bislang niemals einer mit dieser Stärke begegnet, keiner, der eine solche Macht ausstrahlte. Ich war endgültig verloren. Selbst wenn ich eine ganze Armee an meiner Seite hätte, hätten wir keine Chance gegen ihn.

Mir schoss der absurde Gedanke durch den Kopf, dass der Teufel persönlich gerade auf der Bildfläche erschienen war. Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, ging alles so schnell, dass ich dem Geschehen nur noch mit größter Mühe folgen konnte. Die beiden Dämonen vor mir griffen an, gleichzeitig. Ich fragte mich, warum ich überhaupt noch weiterkämpfte. Selbst wenn ich mit den Fledermäusen fertigwerden würde, was nicht zu erwarten war, war da weiterhin der Hohedämon. Er würde mein Ende schneller besiegeln, als ein Frosch eine Fliege fing, aber meine Instinkte ließen es dennoch nicht zu aufzugeben.

In letzter Sekunde wich ich dem Angriff aus, schaffte es, unter ihren Armen wegzutauchen und mich hinter ihrem Rücken zu positionieren. Einer von beiden drehte sich blitzschnell um und erhob sich in einer Drehung in die Luft. Dann stieß er mit rasender Geschwindigkeit auf mich hinab. Und ich ihm mein Messer direkt in den Hals.

Mit einem Schlag kehrte Ruhe ein. Ich sah gerade noch, wie sich beide Angreifer in Rauch auflösten, dann war es totenstill. Was war mit dem Zweiten passiert? Wieso war er tot? Wer hatte ihn getötet? Wo war der Hohedämon? Warum griff er nicht an? In meinem Kopf tobte das Chaos.

Hektisch um mich blickend versuchte ich, meinen letzten Gegner ausfindig zu machen. Ich wollte dem Tod wenigstens ins Auge sehen, wollte wissen, wer für mein Ende verantwortlich sein würde.

Der Tod sah auf den ersten Blick verdammt gut aus, das sahen Hohedämonen oft. Und er war groß, sehr groß sogar. Ich schätzte ihn auf fast zwei Meter. Allerdings hatte ich verständlicherweise wenig Muße, mich an seiner Erscheinung weiter zu ergötzen. Panisch schaute ich mich um. Verdammt, es musste doch irgendeinen Ausweg aus dieser todbringenden Gasse geben!

Tief in mir drin lungerte bereits die Erkenntnis, dass das nicht der Fall war, schon gar nicht mit meiner verletzten Mom an der Seite. Diese Gasse würde der letzte Ort sein, den ich in meinem Leben zu sehen bekam. Ich weigerte mich jedoch standhaft, diese Erkenntnis zu akzeptieren. Stattdessen suchte mein Gehirn fieberhaft nach einer Lösung, aber sie wollte sich nicht zeigen.

Der Dämon schlenderte in aller Seelenruhe auf mich zu, wobei er mich nicht eine Sekunde aus den Augen ließ. Meine Verzweiflung war mit Händen zu greifen. Warum konnte er nicht wenigstes kurzen Prozess machen? Warum mussten sie das Töten immer zelebrieren? Unsere Angst genießen?

Auf der Suche nach einem Ausweg blickte ich mich ein letztes Mal hastig um. Dann schloss ich die Augen und traf eine Entscheidung. Ich drehte mich um, ließ den Dämon in meinem Rücken und kniete mich zu meiner Mom. Ich würde sterben. Wir beide würden sterben. Aber ich wollte es nicht ohne Abschied tun.

Sie sah schrecklich aus. Blut lief aus der langen Schnittwunde auf die Straße. Es hatte sich bereits ein kleiner dunkler See um sie herum gebildet. Vorsichtig nahm ich ihre Hand in meine.

»Mom«, flüsterte ich.

Nicht ein einziges weiteres Wort kam über meine Lippen. Alles, was ich sagte, würde endgültig klingen. Das konnte ich nicht. Also hielt ich stumm ihre Hand und strich ihr mit dem Daumen beruhigend über den Handrücken. Sie würde nicht allein sein. Weder jetzt noch danach. Ich würde gleich nachkommen.

»Lua.« Es kostete sie unendlich viel Kraft, überhaupt zu sprechen.

»Schsch, nicht reden. Es wird alles gut. Wir kommen hier raus, Mom. Wir kommen hier raus.«

Sie schüttelte langsam den Kopf. Ich hätte mir meine Lügen auch nicht geglaubt.

»Die Erinnerungskiste ... Lua ... versprich mir ...« Ich drückte ihre Hand fester.

»Ich weiß, Mom. Ich gucke sie mir an. Versprochen.«

Ihre Züge entspannten sich. Das Versprechen war ihr wichtig gewesen. War es schon immer.

»Ich hab dich lieb ... mein Spatz.«

Tränen traten in meine Augen, während ihre sich für immer schlossen.

»Ich dich auch, Mom.«

Sie hörte es bereits nicht mehr. Aber sie hatte es auch so gewusst. Wir hatten es uns oft genug gesagt.

2 Lua

Meine Welt zerbrach. Sie zerbrach in eine Million winzige Scherben, die ganz sicher niemals wieder jemand zusammenfügen konnte. Ohne weiter auf die Umgebung zu achten, legte ich den Kopf auf die blutverschmierte Brust meiner Mutter und hielt sie fest, nicht fähig, sie gehen zu lassen. Meine Tränen mischten sich mit ihrem Blut und hinterließen helle Sprenkel in dem tiefroten See, der sie umgab. Vielleicht konnte ich so lange weinen, bis ich in diesem See ertrank.

Der Klang von Schritten und ein weiterer Schub dieser gigantischen Präsenz holte mich zurück in die Realität. Der Hohedämon betrat erneut die Bühne. Gut so, ich war bereit, meiner Mom zu folgen. Fast fühlte ich so etwas wie Erleichterung. Wenn ich jetzt starb, musste ich den Schmerz des Verlustes nicht länger ertragen.

»Sie ist tot. Du solltest lieber gehen.«

Eine dunkle, warme Stimme. An einem anderen Ort zu einer anderen Zeit hätte ich sie gemocht, sehr sogar. Jetzt und hier beschwor sie kalte Wut in mir herauf.

»Wann ich gehe, bestimme ich selbst«, entfuhr es mir knurrend.

»Da wäre ich mir nicht so sicher.«

Mit diesen Worten griff er nach meinem Arm und zog mich von meiner Mom weg. Der Anflug von Erleichterung wich augenblicklich der Panik. Nein, bitte! Ich wollte sie weiter festhalten, wollte beim Sterben ebenso wenig allein sein wie sie. Ich brauchte sie, ich schaffte das hier nicht ohne sie. Obwohl ich ahnte, dass es nichts bringen würde, wehrte ich mich. Ich schrie, ich tobte und schlug wie verrückt um mich. Während die Tränen weiter ungehindert über meine Wangen strömten, versuchte ich mit aller Verzweiflung, mich aus seinem Griff zu befreien. Aber vergebens. Seine Präsenz hatte nicht getäuscht. Er besaß eine schier grenzenlose Kraft und er hatte gewonnen.

Ich gab den Kampf auf und mit meinem Widerstand erlosch auch mein Lebenswille. Fest von ihm umklammert und unfähig, mich weiter zu wehren, starrte ich auf meine Mom. Als ich sah, was dann geschah, war ich froh, dass ich bald keine Gelegenheit mehr haben würde, mich daran zu erinnern.

Aus meiner toten Mutter stieg Rauch auf. Eine immer größer werdende Rauchsäule erhob sich Richtung Himmel, während sie selbst sich aufzulösen schien und vor meinen Augen langsam verschwand. Bevor es jedoch endgültig so weit war, drehte der Dämon mich in seinem starken Griff von ihrem Anblick weg und zog meinen Kopf eng an seine Brust.

»Du solltest nicht hingucken.«

Und hier, in der festen Umarmung des mächtigsten Wesens, das mir je begegnet war, hatte ich das absurde Gefühl, dass nur seine Arme mich davor bewahrten, mich genauso aufzulösen wie meine Mutter. Ich wusste nicht, wie lange wir so beisammenstanden, aber als er seinen Griff plötzlich lockerte, wusste ich, dass es zu kurz gewesen war. Loslassen war nicht gut. Seine Umklammerung war vermutlich das Einzige gewesen, was mich noch auf den Beinen gehalten hatte. Und er hatte wirklich gut gerochen ...

Wieder auf mich allein gestellt, nahm mein Gehirn seinen ordnungsgemäßen Dienst langsam wieder auf. Es sollte mir definitiv egal sein, wie er roch, er war ein Hohedämon und ganz gewiss nicht irgendeiner. Ich hatte keine Ahnung, was er mit mir vorhatte, aber was auch immer es war, ich wollte, dass es schnell vorbeiging. Mit einer hastigen Handbewegung wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht.

»Es wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, das hier endlich zu beenden. Ich wäre dann so weit«, versuchte ich, die Sache zu beschleunigen. Sein Blick war so abfällig, als sei ich ein Hundeschiss unter seinem Schuh.

»Wenn ich das gewollt hätte, wärst du längst tot«, belehrte er mich. »Du bist ein Nichts, ein Wurm, den ich jederzeit mit meinem kleinen Finger zerquetschen könnte. Dazu brauche ich ganz bestimmt nicht auf deine Erlaubnis zu warten.«

Ich sah zu ihm hoch und reckte trotzig das Kinn. Er schien die besondere Begabung zu haben, den Widerstand in mir auch in der ausweglosesten Situation noch zu wecken.

»Ich bin kein verdammter Wurm!«

Mit zusammengekniffenen Augen musterte er mich von oben herab, aufgrund unserer verschiedenen Körpergrößen zugegebenermaßen von sehr weit oben.

»Stimmt. Wenn ich es mir genau überlege, bist du nicht mal ein Wurm, höchstens ein Würmchen.« Er spie mir dieses Wort entgegen, als wäre es das Widerlichste, was in seinem Wortschatz existierte.

»Bin ich nicht. Ich habe gekämpft, und zwar verdammt gut!« Kaum hatte ich das ausgesprochen, schlug ich mir innerlich mit der Hand gegen die Stirn. Dass mein Gehirn wieder normal funktionierte, hatte ich wohl falsch eingeschätzt. Stritt ich mich hier gerade wirklich mit diesem Inbegriff der Macht?!

»Deine Definition von ›gut‹ weist durchaus einige Abweichungen zu meiner auf. Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass du eine Chance gegen die hattest?«

Ehrlich gesagt zweifelte ich sogar ziemlich stark daran, aber das würde ich ihm ganz sicher nicht sagen.

»Ich habe zwei von ihnen getötet. Den Dritten hätte ich locker ebenfalls geschafft.«

Er lachte gehässig auf. Dann beugte er sich zu mir herunter und sagte leise und bedrohlich: »Der Dritte hätte dich schon geschnappt, als du dich umgedreht hast, wenn ich ihn nicht davon überzeugt hätte, es sein zu lassen.«

Ich starrte ihn an. Langsam wich meine Wut der Verwirrung. Stimmte das, was er sagte? Hatte er tatsächlich den dritten Dämon getötet? Einen seiner eigenen Art? Was, um alles in der Welt, hatte ihn dazu bewogen, mir zu helfen? Ich fand absolut keine plausible Erklärung dafür, aber was auch immer der Grund war, es konnte nichts Gutes für mich bedeuten.

»Was willst du von mir?«

Ein äußerst genüssliches Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus. »Keine Ahnung. Muss ich mir noch überlegen.«

»Hör zu, ich weiß, was du bist, und ich weiß, dass ihr nichts ohne Gegenleistung tut. Aber ich habe weder nach deiner Hilfe gefragt noch habe ich sie gebraucht, also wird es keine Gegenleistung geben.«

»Ach, und was bin ich?«, fragte er, während sich seine Augenbrauen belustigt hoben.

Ich schüttelte innerlich den Kopf über meine Dummheit. Noch nie hatte ich auch nur irgendjemandem verraten, dass ich Dämonen erkennen konnte. Es ausgerechnet ihm gegenüber zu tun, war vermutlich nicht die schlaueste Idee des Tages gewesen. Aber aus dieser Nummer kam ich jetzt wohl nicht mehr raus.

»Ein Hohedämon.«

Ihm entwich ein Schnauben. »Und woher weißt du so genau, wie ich mit Gegenleistungen umgehe?«

»Erfahrungswerte.«

»Könnte es sein, dass die Erfahrungswerte eines Würmchens sehr begrenzt sind?« In seinen Worten hatte eindeutig eine ordentliche Portion Arroganz und Belustigung gelegen.

Ich schloss die Augen und atmete durch. Wir diskutierten hier jetzt bereits eine ganze Weile, und langsam, aber sicher gingen mir sowohl Argumente als auch die Kraft aus, zumal ich nicht die geringste Ahnung hatte, wohin diese Diskussion überhaupt führen sollte. Abgesehen davon schien er unerklärlicherweise kein Interesse daran zu haben, mich umzubringen. Vielleicht war ich ihm zu unbedeutend – an einem Wurm machte man sich ja nicht gerne die Hände schmutzig. Erschöpft versuchte ich, die Sache zu Ende zu bringen.

»Hör zu, wenn du mich sowieso nicht umbringen willst, dann gehe ich jetzt. Da meine Mom sich gerade vor meinen Augen in Rauch aufgelöst hat, wäre ich jetzt gerne ein bisschen allein, um –«

Um meine Wunden zu lecken, um zu weinen, bis die Wohnung geflutet war, um in die Erinnerungskiste zu gucken. Nein, Letzteres ganz bestimmt noch nicht. Mühsam kämpfte ich die erneut aufsteigenden Tränen nieder. Ich ahnte, dass ich kurz vor einem Totalzusammenbruch stand, aber den konnte ich mir in seiner Gegenwart nicht leisten.

»Wo gehst du hin?«

Ich seufzte. »Nach Hause.« Ich schnappte mir mein Messer, das auf dem Boden lag, und warf einen letzten Blick auf die Stelle, an der meine Mom gestorben war. Außer einem dunklen Fleck war dort nichts mehr zu sehen. Nicht einmal Asche. Ich hatte das dringende Bedürfnis, mit der Hand über die Stelle zu fahren. Als würde ich dort doch noch etwas von ihr finden. Als könnte ich sie dort noch einmal berühren, noch einmal ihre Stimme hören. Ich schluckte hart und rang den Drang nieder, mich hinzuknien. Stattdessen wandte ich mich um und ging.

»Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist.«

Wie bitte?! Meine Trauer verwandelte sich augenblicklich in Ärger. Mit einem wütenden Funkeln in den Augen drehte ich mich langsam zu ihm um.

»Und ich denke nicht, dass meine Ideen ausgerechnet von dir bewertet werden dürfen.«

Ich war eindeutig lebensmüde. Wieso sonst meinte ich, dass ich diesem mächtigen Wesen ständig die Stirn bieten musste? Meine Mom hatte mir in Endlosschleife eingeschärft, dass Dämonen hinterhältig, reizbar und unberechenbar waren. Und gefährlich. Unendlich gefährlich. Warum machte ich mich also nicht einfach schnell und unauffällig aus dem Staub? Stattdessen ließ ich mich immer wieder von ihm provozieren, obwohl mir klar war, dass jede patzige Antwort zu einem spontanen Sinneswandel und damit zu einem Kampf führen konnte. Und den würde ich hundertprozentig nicht gewinnen.

Vielleicht hatte ich ja einen Schock. Vielleicht aber auch einfach einen Knall. Auf jeden Fall hatte ich aus völlig irrationalen und unerfindlichen Gründen keine Angst mehr vor ihm. Ich wollte ihn nicht länger in meiner Nähe haben, ganz sicher nicht. Aber meine innere Stimme flüsterte mir leise zu, dass er mich nicht umbringen würde, zumindest nicht, wenn ich ihn nicht weiterhin dazu ermutigte.

Abgesehen davon hatte ich das Gefühl, dass seine Präsenz deutlich schwächer geworden war. Konnte er sie etwa beeinflussen? Oder hatte ich mir seine Stärke vorhin bloß eingebildet? War mein Eindruck durch den Kampf so verzerrt gewesen?

Meine Mom meinte, dass manche Dämonen dazu in der Lage waren, unsere Gefühle und unsere Wahrnehmung zu beeinflussen. Verdammt, manipulierte er mich etwa gerade? Fühlte ich mich nur deshalb sicher, weil er es so wollte? Die Angst fand spontan ihren Weg zu mir zurück.

Dieses Kopfchaos machte mich wahnsinnig. Ich konnte im Moment einfach nicht klar denken. Nicht nach allem, was in der letzten halben Stunde passiert war. Und nicht in seiner Gegenwart. Dabei war Denken sicher dringend nötig. Ich musste ihn unbedingt loswerden. Allein zu Hause würde ich meine Gedanken dann in Ruhe sortieren können.

»Ich komme mit«, drang seine tiefe Stimme zu mir durch.

Oh nein, sicher nicht! Wenn ich ihn an genau einem Ort nicht haben wollte, dann in meiner Wohnung. Die brauchte ich jetzt definitiv nur für mich.

»Bist du irre? Ich gehe allein.«

Er sah mich ungläubig an. »Bist du lebensmüde?«

»Vielleicht ein bisschen im Moment«, räumte ich mit selbst für mich überraschender Ehrlichkeit ein. »Könnte an der Gesamtsituation liegen.« Damit machte ich auf dem Absatz kehrt und marschierte los.

Leider war er von meiner Vorstellung, den Abend zu beenden, nicht so überzeugt wie ich selbst. Er folgte mir, anscheinend nicht willens, mich ziehen zu lassen. Nach wenigen Metern hatte er mich eingeholt und ging neben mir.

»Was wollten die von euch?«

Ich sah ihn von der Seite an und holte tief Luft. »Ich weiß es nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß.

Er packte meinen Ellbogen und zwang mich zum Stehenbleiben. »Ich glaube dir kein Wort.« Seine Stimme wurde schärfer. »Lüg mich nicht an!«

Resigniert schüttelte ich den Kopf. »Ich lüge nicht. Im Gegenteil, ich würde alles dafür geben, es zu wissen.«

Seine Augen verengten sich zu Schlitzen und er musterte mich durchdringend, als ob er damit herausfinden könnte, ob ich die Wahrheit sagte. Sollte er ruhig überlegen. Ich setzte mich wieder in Bewegung, wollte bloß noch weg hier. Meine Bereitschaft, auch nur noch eine Sekunde länger mit ihm zu diskutieren, lag bei minus zehn Prozent. Seine leider bei ungefähr hundertzehn. Er packte mich erneut, dieses Mal an der Schulter, und drehte mich grob zu sich um.

»Du hast noch weniger Verstand als jeder Wurm, den ich jemals zerdrückt habe. Und das waren einige.«

Glaubte ich ihm aufs Wort. Bislang hatte ich allerdings gedacht, dass ich halbwegs intelligent war. Es konnte aber durchaus sein, dass seine Kritik ganz aktuell berechtigt war.

»Wieso?«, lautete meine wenig sprachgewandte Nachfrage.

»Diese Dämonen wollten etwas von euch. Und es ist scheißegal, ob du weißt, worum es geht oder nicht. Sie wollen es immer noch. Was glaubst du also, ist ihr nächster Schritt?«

»Ich denke nicht, dass sie noch große Schritte planen können, jetzt, wo sie sich in Rauch aufgelöst haben.« Wow, einen so genervten Blick hatte ich im Leben noch nicht gesehen.

»Schon mal einen Gedanken daran verschwendet, dass die Kumpels haben könnten?«

Nein. Stirnrunzelnd musterte ich ihn. In der Vergangenheit hatte ein Angriff alle paar Monate stattgefunden. Ganz bestimmt nicht zweimal an einem Abend. Sollte es in dieser Stadt so viele Dämonen geben, dass mehrere Überfälle an einem Tag möglich waren? Wieso hatte meine Mom mich dann hierhergeschleppt?

»Sie werden mich nicht gleich wieder angreifen«, entgegnete ich mit fester Stimme. »Das haben sie noch nie.«

»Die greifen dich so oft an, wie sie wollen«, grollte der Höhedämon.

Ich fuhr mir mit den Händen übers Gesicht. Meinen ersten Abend in New York hatte ich mir eindeutig lustiger vorgestellt. Zum wiederholten Male versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen.

War es wirklich möglich, dass er recht hatte? Dass sie irgendetwas suchten, was in meinem Besitz war, ohne dass ich davon wusste? Dass sie in unsere Wohnung eindrangen, um es sich zu holen? Und war es tatsächlich möglich, dass dieser mächtige, selbstgefällige und herablassende Dämon meinen rettenden Strohhalm darstellte? War er derjenige, der mich beschützen würde?

Jede Synapse meines Gehirns, die noch halbwegs funktionierte, schrie ›Nein‹, allerdings brüllte mir mein Bauchgefühl ein sehr deutliches ›Doch‹ entgegen. Und es war im Moment eindeutig meinem strapazierten Denkapparat überlegen.

Ich musste es zumindest versuchen. Wenn er mich töten wollte, würde er es sowieso tun. Egal wann oder wo. Ich hatte also nichts zu verlieren. Falls er meine Chance auf Rettung war, würde ich sie sicher nicht verstreichen lassen.

Die Show war also vorbei. Ich musste ihm nicht weiter die Stirn bieten und ich hatte auch keine Kraft mehr. Das hörte man meinen nächsten Worten vermutlich an. Meine Stimme klang lange nicht mehr so fest und selbstbewusst, wie ich es gerne gehabt hätte. Vielmehr transportierte sie ziemlich überzeugend den Eindruck endgültiger Verzweiflung.

»Ich muss aber in diese Wohnung. Es ist wichtig. Und ich weiß nicht, wohin ich sonst gehen soll.«

Er überlegte. Fast schien es, als ob er einen inneren Kampf austrug, bevor er sich zu einer Antwort herabließ.

»Okay. Wir sehen nach, ob in deinem Erdloch alles ruhig ist. Aber ich verspreche dir, das wird es nicht. Würmer werden nämlich eher zerquetscht, als dass sie recht behalten.«

Ich schloss die Augen. Vielleicht doch keine Rettung, eher Verderben. Aber ich hatte mich entschieden. Ich wollte nach Hause und ich hatte inzwischen Angst, dort allein hinzugehen, auch wenn ich immer noch glaubte, recht zu behalten. Es würde alles ruhig sein, er würde verschwinden und ich könnte endlich nachdenken, zusammenbrechen und schlafen. Und vielleicht würde ich mir morgen früh überlegen, wie mein Leben weiterging. So weit der Plan ...

Angenehm schweigsam machten wir uns auf den Weg. Meine Mom und ich hatten eine kleine Wohnung in Queens gefunden, genauer gesagt in der 86ten Straße in Jackson Heights. Die Wohnung lag im ersten Stock eines unscheinbaren Hauses, das neben uns nur noch von dem älteren Vermieterehepaar bewohnt wurde.

Während unseres wortlosen Marsches schaute ich mich irritiert um. Die Gegend wirkte für eine so große Stadt seltsam ruhig und beschaulich. Wie konnte es bloß sein, dass wir ausgerechnet hier gleich am ersten Abend in einen Kampf verwickelt worden waren?

Nach zwanzig Minuten standen wir endlich vor unserer Wohnung. Mit zitternden Händen fischte ich den Haustürschlüssel aus meiner Jackentasche und schloss auf. Ich war extrem angespannt, wobei ich nicht wusste, was mich mehr beunruhigte: die Tatsache, dass mich in meiner eigenen Wohnung weitere Dämonen erwarten könnten, oder die Tatsache, dass ich gerade selbst einen mächtigen Hohedämon in genau diese Wohnung hineinließ.

Oben angekommen, sah es erwartungsgemäß chaotisch aus. Wir hatten heute lediglich die Wohnzimmermöbel an Ort und Stelle platziert und unsere Betten aufgebaut. Der Rest war ein wildes Durcheinander von Umzugskisten, unaufgebauten Möbeln und ersten herumfliegenden Klamotten.

Ich schluckte schwer und versuchte den Gedanken beiseitezuschieben, dass ich dieses Chaos ohne meine Mom beseitigen würde. Dass ich überhaupt nie wieder etwas mit meiner Mom gemeinsam tun würde. In meinem Kopf blitzte ein Bild von ihr auf, wie sie sich heute Nachmittag lachend auf mein Bett geschmissen hatte, als wir es endlich fertig aufgebaut hatten. Die Erinnerung raubte mir für einen Moment den Atem. Nur noch ein paar Minuten, tröstete ich mich. Dann könnte ich der Trauer nachgeben. Jetzt noch nicht, jetzt musste ich erst mal meinen unliebsamen Begleiter loswerden.

Der Dämon schaute sich konzentriert um, kontrollierte jedes Zimmer und sah aus jedem Fenster. Herrje, er tat ja beinahe so, als wäre er vom FBI. Fehlte nur noch die erhobene Pistole in seiner Hand. Bei der Vorstellung musste ich kichern. Wahrscheinlich drehte ich jetzt endgültig durch. Würde mich nicht wundern.

Er hingegen funkelte mich wütend an; mein Signal, dass er verschwinden durfte.

»Okay. Danke für dein überaus großzügiges Angebot, mich bis hierhin zu begleiten, aber du siehst, es ist alles ruhig. Ich denke, du kannst dann gehen.« Damit hielt ich ihm die Wohnungstür auf.

»Das denke ich nicht.«

Wie bitte? Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Der war ja wie die Pest. Langsam, aber sicher wurde ich ernsthaft wütend. Seine endlose Hinhaltetaktik machte mich wahnsinnig. Entweder sollte er jetzt mal zur Sache kommen und kurzen Prozess mit mir machen – oder verschwinden. Ich wollte allein sein, wollte mir eine Decke über den Kopf ziehen und nie wieder darunter hervorkommen und ... Verdammt! Aufgrund meiner Wut hatte ich sie viel zu spät bemerkt. Er hatte tatsächlich recht gehabt.

Sie schossen wie aus dem Nichts auf uns zu. Dieses Mal waren sie zu zweit. Zwei riesige, hässliche, schleimige Würmer. Wie passend. Vielleicht könnte ich sie ja als neue Familienmitglieder bei mir aufnehmen.

Jeder von ihnen hatte einen Durchmesser von etwa einem Meter und war mehrere Meter lang. Eigentlich hätten sie gar nicht in unsere winzige Wohnung passen dürfen. Ihre Haut war glatt, grau und von einem glänzenden Film überzogen, wie bei einem gestrandeten Wal. Nur dass der wesentlich willkommener gewesen wäre als die beiden hier.

Den Ersten von ihnen fegte mein selbst ernannter Beschützer mit einer einzigen Bewegung in eine Ecke des Zimmers, wo er in einen Weichholzschrank krachte. Ich hatte den Schrank gemocht. Aber darüber durfte ich mir jetzt wohl keine Gedanken machen.

Der Zweite hatte mich ins Visier genommen. Sein Gesicht war ausdruckslos, lediglich seine echsenartigen Augen fixierten mich. Ich starrte wie paralysiert zurück, zu keiner Bewegung fähig. Bevor er jedoch zum Angriff übergehen konnte – dem ich definitiv nichts entgegenzusetzen gehabt hätte –, fing auch er sich einen Hieb ein und landete auf der anderen Seite des Zimmers in einem Kistenstapel. Ich seufzte. Das Aufräumen morgen würde ewig dauern …

Der Hohedämon riss mich aus meinen Gedanken und brüllte: »Raus hier! Verschwinde aus der Wohnung!«

Ich schüttelte den Kopf. Ich musste hier raus, da hatte er zweifellos recht, aber vorher musste ich etwas holen: die Erinnerungskisten. Meine Mom und ich besaßen jeweils eine. Es waren lediglich zwei bunt beklebte Schuhkartons, aber sie waren mein Leben. Ich konnte nicht ohne sie gehen.

Meine Mom und ich hatten das Ritual gehabt, uns aus jeder Stadt, in der wir gelebt hatten, ein Erinnerungsstück mitzunehmen. Mal war es ein hässliches Souvenir, mal ein Abschiedsgeschenk eines netten Mitschülers, manchmal ein witziges Foto oder einfach nur eine schöne Muschel.

Diese Kisten waren jetzt alles, was mir von meiner Mom geblieben war. Nichts war im Moment wichtiger, als sie zu finden. Also rannte ich nach nebenan in das Zimmer, das meins hätte werden sollen.

Hinter mir hörte ich Kampfgeräusche. Der Hohedämon würde mir die Viecher schon vom Leib halten, auch wenn die Einrichtung dabei in Mitleidenschaft gezogen wurde. Hektisch wühlte ich mich durch Umzugskartons. Im dritten fand ich meine Klamotten. Einer spontanen Eingebung folgend, schnappte ich mir meine große Sporttasche und stopfte alles hinein, was ich in die Finger bekam. Wo auch immer ich heute Nacht bleiben würde – und bei den Geräuschen hinter mir war ich mir ziemlich sicher, dass es nicht diese Wohnung sein würde –, ein paar eigene Klamotten wären bestimmt hilfreich. Ich entdeckte meinen Rucksack und füllte ihn mit dem Inhalt des nächsten Kartons.

Plötzlich erschien der Dämon in der Tür. »Komm hier verdammt noch mal raus!« Offensichtlich war auch er jetzt ernsthaft wütend.

Aber ich hatte bisher nicht gefunden, was ich suchte, also schüttelte ich den Kopf. »Gleich.«

Unvermittelt spürte ich Hitze in meinem Rücken. Das verhieß definitiv nichts Gutes. Wenn es nebenan zu brennen begann, käme ich hier nicht heil raus. Wollte ich ohne meine Kisten aber auch gar nicht. Ich ignorierte die Hitze und suchte weiter. Im sechsten Umzugskarton hatte ich endlich Glück.

Ich drückte die zwei fest verschnürten Kisten an meine Brust, hob Rucksack und Sporttasche vom Boden auf und machte mich auf den Weg zurück ins Wohnzimmer, beziehungsweise in das, was noch davon übrig war.

Kurz versuchte ich, mich zu orientieren. Alles war zertrümmert, kein Möbelstück mehr zu erkennen, aber vor allem brannte es lichterloh. Der Hohedämon stand inmitten der Flammen, die ihm scheinbar nichts anhaben konnten, und erledigte genau in diesem Moment einen der beiden Würmer, indem er ihn mehr oder weniger in zwei Teile riss. Dunkelbraunes Blut und Gedärme verteilten sich im Raum. Der Splatterfilm kam mir dagegen im Nachhinein wie eine Komödie vor.

Völlig gelähmt starrte ich auf die Szene und bemerkte so den zweiten Wurm erst, als es bereits zu spät war. Er schoss auf mich zu und stieß mich mit dem Kopf so fest vor die Brust, dass ich all mein Hab und Gut fallen ließ. Schwer atmend taumelte ich zurück und krachte gegen einen Türrahmen. Leider stand dieser bereits in Flammen.

Ich stöhnte, als sich die Hitze meinen Rücken hinauffraß, und schrie auf, während ein weiterer Schmerz mich durchzuckte. Diese elenden Würmer hatten Zähne! Rechts an meinem Bauch war ein scharfes Brennen zu spüren, dort, wo sein Biss vermutlich meine Haut aufgerissen hatte. Mein Gegner ließ mich nicht aus den Augen und kroch langsam auf mich zu. Instinktiv griff ich nach meinem Messer, doch ich sollte nicht mehr dazu kommen, es zu benutzen.

Von links raste eine Feuerkugel auf mich zu, die endgültig unser aller Ende bedeuten musste, inklusive das der Wohnung. Entgegen meiner Erwartung traf die Kugel jedoch nicht mich, sondern den Wurm. Sie schlug in seine rechte Seite ein wie ein Gummigeschoss in ein Stück Butter. Mein Feind erstarrte.

Für eine endlos lange Sekunde geschah nichts, dann explodierte er. Ein riesiger Schwall aus Gedärmen, Blut und Fleischfetzen verteilte sich großzügig über den gesamten Raum. Kein Putzgeschwader der Welt würde diese Sauerei jemals wieder beseitigen können.

Mir blieb allerdings keine Zeit, mir über etwaige Aufräumarbeiten Gedanken zu machen. Während ich meine heruntergefallenen Sachen schnappte, wurde ich von dem Hohedämon am Arm gepackt und aus dem Inferno hinausgezerrt. Ich schaffte es gerade noch, mir meine Jacke zu angeln, dann rannten wir nach draußen und auf die andere Straßenseite. Keuchend drehte ich mich um. In demselben Moment explodierte das komplette Obergeschoss.

Mein Zuhause und mit ihm mein gesamter Besitz existierten nicht mehr. Das einzig Beruhigende daran war, dass sich jetzt definitiv niemand mehr um die Sauerei da oben kümmern musste.

Als die Druckwelle der Explosion uns erreichte, wurde ich mit voller Wucht gegen das Haus hinter mir geschleudert. Ein stechender Schmerz durchzuckte meinen ohnehin schon in Mitleidenschaft gezogenen Oberkörper. Das, was ich an einem Tag an Schmerzen ertragen konnte, war heute eindeutig erreicht. Ein Stöhnen suchte sich ungewollt den Weg ins Freie, als ich mich mühsam zum Sitzen hochstemmte.

An die Hauswand gelehnt, starrte ich auf unser brennendes Haus und gab mich einen Moment lang dem Schmerz hin. Die Vorstellung, hier einfach für den Rest der Nacht sitzen zu bleiben und in die Flammen zu schauen, war auf einmal unglaublich verlockend. Der Hohedämon hatte allerdings andere Pläne, wie ich leider feststellen musste. Er griff nach meinen Taschen und zog mich unerbittlich auf die Beine.

»Wir müssen hier weg. Mach schon!«

Schnell zog ich meine Jacke über, schnappte mir meine Kisten und presste sie fest an mich. Dann rannten wir los. Aus dem Augenwinkel sah ich das ältere Ehepaar aus der Wohnung unter uns fassungslos auf ihr zerstörtes Haus blicken. Immerhin hatten sie überlebt.

Der Dämon trieb mich unerbittlich an. Meine Lunge brannte und ich bekam kaum noch Luft, doch er hetzte und zerrte mich mitleidlos weiter. Straße um Straße eilten wir durch das Viertel und ich hatte weder eine Ahnung, wo wir waren, noch wie lange ich durchhalten würde. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde er schließlich langsamer und blieb stehen. Ich tat es ihm gleich, aber während er völlig entspannt wirkte, keuchte und schnaufte ich wie eine altersschwache Dampflok.

Er scannte mich von oben bis unten. »Alles okay?«

Nein, nichts war okay. Ich hatte heute Abend zweimal gegen Dämonen gekämpft, hatte meine Mom und meine Wohnung verloren, war verletzt und stand mit einem fremden und gefährlichen Hohedämon allein irgendwo in New York. Nichts davon war auch nur ansatzweise okay.

Dennoch nickte ich. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es der richtige Moment war, um ihn in die Geheimnisse meiner Gefühlswelt einzuweihen.

»Na, dann weiter.«

Wir waren an der Jackson Heights Station angekommen und gingen dort hinunter zur U-Bahn. Erleichtert atmete ich auf, das bedeutete zumindest, dass ich nicht mehr rennen musste.

Als wir etwa auf der Hälfte der zweiten Treppe waren, meldete mir mein Gehirn überraschend, dass es nicht besonders schlau war, einem Hohedämon noch länger wie ein Lamm zur Schlachtbank zu folgen. Abrupt blieb ich stehen.

»Stopp. Gib mir bitte meine Sachen. Ich komme nicht mit dir mit.«

Er hielt ebenfalls und drehte sich langsam zu mir um. Dank der beiden Stufen zwischen uns waren wir zum ersten Mal an diesem Abend auf Augenhöhe. Er legte den Kopf schief und reckte das Kinn vor.

»Kommst du nicht?« Da war sie wieder, diese Mischung aus Arroganz und Belustigung. Sie hatte mir schon vorhin nicht gefallen.

»Nein, komme ich nicht«, erwiderte ich trotzig.

»Und in welchem Erdloch wird der Wurm sich dann heute Nacht verkriechen?«

So wenig mir sein Tonfall gefiel, so berechtigt war leider seine Frage. Ich konnte ja wohl schlecht in einer U-Bahn-Station schlafen und auf den nächsten Angriff warten. Denn der würde stattfinden, da war ich mir inzwischen sicher.

In meinem Kopf ging ich mit geschlossenen Augen alle Möglichkeiten durch, die ich hatte. Polizei? Auffangstation für Obdachlose? Jugendamt? Letzteres vermutlich nicht mitten in der Nacht. Ich biss mir auf die Unterlippe. Unter alle Optionen drängelte sich lautstark eine zweifelnde Stimme.

Würde mich auch nur an einem dieser Orte irgendjemand vor weiteren Dämonen beschützen können? Würde ich überhaupt den Weg bis zu einem dieser Orte überleben? Wie sollte ich offiziell das Verschwinden meiner Mutter erklären, ohne in der Psychiatrie zu landen? Wie vielen Dämonen würde ich heute Nacht noch begegnen?

Verzweiflung kroch in mir hoch und mit ihr wollten sich erneut Tränen ihren Weg bahnen. Schon wieder schluckte ich sie hinunter. Irgendwann würde der Moment kommen, in dem ich ungestört weinen konnte, aber dieser Moment würde sicher nicht in seiner Gegenwart stattfinden. Stattdessen öffnete ich widerwillig die Augen.

»Und? Wohin soll’s gehen?«, erkundigte er sich im Plauderton, als würde ich gerade darüber nachdenken, welchen Kinofilm ich mir heute anschauen wollte.

Ich setzte mich mit den Schuhkartons auf dem Schoß auf eine Stufe und starrte die unzähligen Treppenstufen der U-Bahn-Station hinab. Dann schüttelte ich den Kopf.

»Ich weiß es nicht«, flüsterte ich. »Wohin wolltest du mich bringen?«

Es vergingen endlose Sekunden des Schweigens. Ich befürchtete bereits, dass ich mir die Möglichkeit, mit ihm zu gehen, mit meiner Aktion gerade verspielt hatte, als er mir schlussendlich doch antwortete.

»In meine Wohnung. Im Gegensatz zu deiner existiert die nämlich noch und außerdem kommen da nicht ungefragt mordlustige Dämonen rein.«

Aber er selbst. Ich stellte meine Kartons neben mich auf die Stufen und presste mir die Hände vor die Augen. Wie sollte ich bloß jemals die richtige Entscheidung treffen?

Mom, ich brauche dich. Ich war schon bei Kleinigkeiten nicht der entscheidungsfreudigste Mensch der Welt, aber schwierige Entscheidungen hatten meine Mom und ich immer gemeinsam getroffen. Wenn es schwierig wurde, hatte sie mir einen heißen Kakao mit ganz viel Sahne gemacht. Sie war der Ansicht gewesen, dass Sahne die meisten Probleme von ganz allein löste. Doch keine Sahne der Welt würde mir jetzt gute Ratschläge geben.

Meine Trauer schnürte mir die Kehle zu. Ich konnte das hier nicht allein. Mom, bitte. Hilf mir. Ich verstärkte den Druck auf meine Augen, sodass kleine Lichtpunkte hinter meinen Lidern explodierten. Anders konnte ich weder die Tränen noch die Bilder unterdrücken, die sich immer wieder an die Oberfläche wühlten.

Ich atmete zitternd ein und versuchte, Luft in meine Lunge zu bekommen, um mein Gehirn irgendwie mit Sauerstoff zu versorgen. Ich musste nachdenken. Ich musste endlich eine Entscheidung fällen. Was hätte meine Mom mir geraten? Ganz sicher nicht, mit einem Hohedämon mitzugehen.

Mühsam versuchte ich, Ordnung in mein Gedankenchaos zu bringen. Er hatte mir heute Abend zweimal das Leben gerettet. Würde er es mir in seiner Wohnung letztendlich nehmen? Langsam nahm ich die Hände von meinem Gesicht und blinzelte gegen das grelle Deckenlicht.

»Warum hast du mir geholfen?«, versuchte ich seine Beweggründe herauszufinden.

»Warum nicht?«

»Wieso hast du noch nicht versucht, mich umzubringen, so wie alle anderen?«

»Wird das hier jetzt ’ne längere Diskussion?«

»Beantwortest du jede Frage mit einer Gegenfrage?«

Er ging in die Hocke und sah mich mit einem überlegenen Grinsen an. »Braucht dein Wurmhirn immer so lange, bis es eine Entscheidung fällt?«

Neben meiner Verzweiflung fand tatsächlich ein bisschen Wut den Weg in meinen Gefühlspool. »Nein, nur wenn mir wichtige Informationen vorenthalten werden. Und wenn ich ganz nebenbei eine Entscheidung über Leben oder Tod fällen muss«, entgegnete ich.

In seinem Gesicht konnte ich eine ordentliche Portion Genervtheit erkennen.

»Falls es dir entfallen ist, erinnere ich dich gerne daran, dass ich dich längst zerquetscht hätte, wenn mir danach wäre.«

Das half jetzt nicht wirklich weiter.

»Und? Ist dir danach?«

»Wenn du mich weiter mit Fragen nervst, ja«, lautete seine eindeutige Antwort.

Dann sollte ich jetzt vielleicht ausnahmsweise mal den Mund halten. Zumal ich, wie ich mir eingestehen musste, die Entscheidung eigentlich längst gefällt hatte. Unter den gegebenen Umständen schien in diesem Fall ausgerechnet die Höhle des Löwen Schutz vor noch böseren Raubtieren zu bieten. Vielleicht hatte ich ja Glück und dieser Löwe war Vegetarier.

Also gab ich mir einen Ruck und sah zu ihm auf. »Wenn das Angebot noch steht, würde ich doch mitkommen.«

»Wow, das ging ja schnell.« Es war schon erstaunlich, wie viel Ironie man in einen einzigen Satz legen konnte. »Können wir dann jetzt weiter?«

Ich nahm meine Kartons auf den Arm und nickte. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging die Stufen zur U-Bahn hinunter. Ich folgte ihm in der verzweifelten Hoffnung, nicht ausgerechnet die Entscheidung getroffen zu haben, mit der ich meinen Tod besiegelte.

3 Lua

Schweigend nahmen wir in der Bahn Platz. Ich lehnte meinen Kopf gegen die kühle Scheibe, versuchte meinen schmerzenden Rücken zu ignorieren und schloss die Augen. Ich brauchte Kakao. Und Sahne. Ach, Mäuschen, hörte ich Moms Stimme in meinem Kopf. Das wird schon wieder. Das wird es immer.

Nein, Mom. Dieses Mal nicht ...

Ich wischte mir mit den Händen über das Gesicht. Ich musste mir meine Trauer aufheben, musste sie so tief wie möglich in mir verschließen. Ich wusste nicht, wann ich mir erlauben durfte zu weinen, wann ich meinen Schmerz endlich in die Welt hinausschreien konnte. Aber jetzt nicht. Nicht in seiner Gegenwart. Später, viel später.

Ich unterdrückte nicht nur jede Erinnerung an meine Mutter, ich unterdrückte direkt auch alle anderen Gedanken. Müde zog ich die Beine zu mir heran und ließ das Rauschen der U-Bahn alles sein, was sich in meinem Kopf breitmachen durfte.

Rauschen ... Leere ... Rauschen ... eine warme tiefe Stimme. Verwirrt öffnete ich die Augen. Ich musste kurz eingenickt sein und hatte wohl ein paar Haltestellen verpasst. Die Bahn war deutlich voller als zu dem Zeitpunkt, an dem wir eingestiegen waren. Der Dämon blickte aus dem Fenster in die Dunkelheit des U-Bahn-Schachts und telefonierte, offensichtlich regelte er gerade das Problem, welches Dämonengedärme in einer abgefackelten Wohnung hervorrufen könnten. Ich verstand nur einzelne Wortfetzen, aber es war von ›Gasexplosion‹ und ›du wirst sie schon überzeugen‹ die Rede.

Ich nutzte den Moment, um ihn mir zum ersten Mal in Ruhe anzuschauen. Er sah tatsächlich verdammt gut aus, eine gelungene Mischung aus Hugo-Boss-Model und Bad Boy. Dunkelbraune, chaotisch verstrubbelte Haare, dunkelblaue Augen, weiche volle Lippen. Wunderschöne Lippen ... Ein Dreitagebart, darunter ein kantiges Kinn und hohe Wangenknochen. Unter dem schwarzen Langarmshirt war – was auch sonst – ein muskulöser Körper zu erahnen. Zusammenfassung: keine Wünsche offen.

Ich schüttelte innerlich den Kopf und rief mich zur Vernunft. Ich konnte nicht einmal sicher sein, dass er auf meiner Seite stand. Es konnte schließlich immer noch ein Fake sein, die ganze Sache mit der Hilfe. Abgesehen davon wartete ich nach wie vor auf seine Forderung einer Gegenleistung. Aber bevor die kam, beschloss ich, einfach ein wenig seinen Anblick zu genießen. Vielleicht half das ein bisschen beim Stressabbau.

»Wir müssen umsteigen«, riss er mich jäh aus meinen Gedanken.

Himmel, wir waren schon ewig unterwegs. Warum war diese Stadt bloß so groß? Orientierungssuchend blickte ich mich um. Times Square. Unter anderen Umständen wäre ich jetzt gerne nach oben gegangen und hätte mir die riesigen, funkelnden Leuchtreklamen angeschaut. Aber für Sightseeing war jetzt wohl kaum der richtige Moment. Also stapfte ich schweigend hinter ihm her und stieg in die nächste Bahn Richtung Brooklyn.

Nach weiteren sieben Haltestellen signalisierte er mir mit einem Nicken auszusteigen. Clark Street, Brooklyn Heights.

Selbst im Dunkeln erkannte ich, dass das hier ein wirklich schöner Stadtteil war, mit all den kleinen, bunten Häusern. Ich konnte aber nicht länger die Kraft aufbringen, mich umzusehen, und blickte stattdessen auf meine Füße. Jetzt, wo das Adrenalin in meinem Körper auf ein normales Maß geschrumpft war, war ich kurz davor, vor Erschöpfung umzufallen.

Irgendwann blieb der Dämon stehen, allerdings bemerkte ich es zu spät und lief stumpf in ihn hinein. Sofort umfing mich sein Geruch, wie schon vorhin in der Gasse. Sandelholz – ich atmete tief ein. Ich mochte den Geruch, obwohl ich mir nicht erklären konnte, wie man nach einem solchen Kampf noch so gut riechen konnte. Ich selbst stank vermutlich wie ein Iltis. Betreten trat ich einen Schritt zurück und schaute hoch.

»‘tschuldigung.«

Er verdrehte nur die Augen und schloss die Haustür auf. Mein Blick wanderte an dem Gebäude entlang nach oben. In dem ganzen Viertel hatte ich bislang kein einziges Hochhaus gesehen. Wieso wohnte ausgerechnet er in so einem riesigen, hässlichen Klotz? Mir sollte es egal sein. Eine Nacht, vielleicht ein Sofa, dann war ich ohnehin wieder weg – oder tot. Wir stiegen in den Fahrstuhl. Er drückte den Knopf für das oberste Stockwerk. Zweiundzwanzig.

Ende der Leseprobe



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