Lutz Geißlers Almbackbuch - Lutz Geißler - E-Book

Lutz Geißlers Almbackbuch E-Book

Lutz Geißler

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Beschreibung

Eine Alm. Traumhafte Natur. Faszinierende Ausblicke. Dazu duftendes, ganz besonderes Brot. Der Gipfel des Genusses. Brotbacken entschleunigt und macht kreativ. Aber was passiert, wenn sich Brotbegeisterte an einem besonderen Ort treffen, um ihre Liebe zum Brot zu teilen? Sie erschaffen neue Rezepte – und neue Lebensgeschichten. Lutz Geißler beschreibt die eindrucksvolle Landschaft der Hohen Tauern und die jahrhundertealte Geschichte der Kalchkendlalm. Er kombiniert über 120 der besten Rezepte aus seinen Almbackkursen mit Geschichten darüber, wie gutes Brot Lebensläufe verändert und neue Ideen geboren hat. Ein Buch zum Backen, Träumen, Freuen und Genießen.

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Seitenzahl: 464

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Für Roswitha.

Und alle Brotbäcker, für die Brotbacken mehr als eine Arbeit ist.

In Liebe für Lotte, Emil und Willi.

Lutz Geißlers

ALMBACKBUCH

Die besten Brotrezepte und -geschichten

VON DERKalchkendlalm

Inhalt

VORWORT

DER ZEIT ENTRÜCKT

VON EINEM, DER AUSZOG, GUTES BROT ZU LEHREN

IN EINEM LAND VOR UNSERER ZEIT

Das andere Mittelmeer

Auf Kollisionskurs

Der große Crash

Mittendrin

In Bewegung

Fahrt nach Rauris

Da fehlt etwas

Von schroffen Flanken und sanften Hügeln

Landschaftskünstler Eis

Brotbacken mit Geschichte

DAS GOLD RUFT

Selbstversorger

LEBEN LERNEN

Das Tal der Holzöfen

Zwei Brotfreunde finden sich

Auf der Suche nach dem Brot der Armen

Das Ende ein Neuanfang

TIPPS ZUM BACKEN

Grundregeln des Brotbackens

Zubehör

Zutaten

Mischen und Kneten

Wassermengen

Teigruhe

Formen

Vor- und Nachbereiten

Backen

Zeit und Temperatur

Rezepthinweise

Backen im Holzofen

BROT

ROGGEN-& ROGGENMISCHBROTE

Bergkruste

Doppeltgebackenes Bauernbrot & Kastenlandbrot

Fröstlberg-Kruste

Gewürztes Bauernbrot

Großer Bauernlaib

Jacobsbrot

Kalchkendlbrot

Kärntner Bauernbrot

Pumpernickel

Pumpernickelstange

Rauriser Glanzbrot

Rauriser Roggenbrot

Rheinisches Schwarzbrot

Roggenbrot mit Schrot

Rustikaler Roggenlaib

Schwarzbrot mit Sonnenblumenkernen

Seidlwinkler Schrotbrot

Sonnenblumenbrot

Tonis Brot

Waldstaudenroggenbrot

Walliser Roggenbrot

WEIZEN- & WEIZENMISCHBROTE

Almweizen

Baikalbrot

Banater Weißbrot

Bauern- & Walnussbrot

Buttertoast mit 50 % Vollkornanteil

Fladenbrot & Ciabatta (inkl. Pizza)

Fougasse

Französisches Landbrot

Kalchkendl Bread

Kartoffel-Walnuss-Brot

Käse-Speck-Oliven-Brot

Miche

Neujahrsbrot

Pane Valla Maggia

Rustikales Mischbrot

San Francisco Sourdough Bread

Sauerteig-Ciabatta

Schwarzweißbrot

Siegmars Weißbrot

St. Galler Kräuterbrot

Susannes 3C-Brot

Thomas’ Sonnensternbrot

Thomas’ Weizenlaib (30-Kräuter-Brot)

Tobias’ Kürbisruchbrot

Weißer Laib

Weizensauerteigbrot (mit Walnüssen)

Weizenvollkornsauerteigbrot

Wurzelbrot

DINKEL-& DINKELMISCHBROTE

Dinkelbrot mit Haferkochstück

Dinkelvollkornsauerteigbrot

Einfaches Dinkelkastenbrot

Hafer-Dinkel-Brot

Sandwichbrot

Vierkornbrot

BROT AUS ANDEREN GETREIDEN

Reinkornbrot

Rotkornweizensauerteigbrot

KLEINGEBÄCK

WEIZEN

Ägyptisches Fladenbrot

Baguette au levain

Beugerl

Brezeln mit gekochtem Sauerteig

Butter-Salz-Brötchen

Dinnete

Dörfli

Frühstückssemmeln

Gewürzte Morgenbrötchen

Grissini

Handsemmeln

Hüttenbrezeln

Hüttensemmeln

Joggingsemmeln

Kartoffelbrötchen (Weizen)

Kerstins Hefeklöße

Kümmelbrötchen

Laugenflesserl

Mediterrane Brötchen

Milchhörnchen

Pflaumen-Walnuss-Ruchmehl-Brötchen

Pizza

Raurisrustis

Schlesische Schaumbrezel

Sonntagsbrötchen

Weiße Brötchen

ROGGEN

Hütten-Vinschgerl

Vinschger Paarlen

Vinschgauer

Paun sejel Val Müstair

Schüttelbrot

DINKEL

Dinkellaugengebäck

Dinkelseelen über Nacht

Kartoffelbrötchen (Dinkel)

Sonntagsdinkelbrötchen

FEINGEBÄCK

KUCHEN & CO.

Apfeltaschen

Dinkelstrudel

Guglhupf (Dinkel)

Hefekuchen (Grundrezept I)

Mohnrolle (Mohnstollen)

BRÖTCHEN

Hüttenmilchbrötchen

Krentebollen

Kürbiswattebausch

BRIOCHES, SCHNECKEN, ZÖPFE & CO.

Almzopf

Brioche mit Kamut

Dinkelbrioche & Nussschnecken

Kanelboller

Mohnschnecken & Dinkelzopf

Peters Geburtstagsbrioche

Pottweck

Quarkschnecken

Schwäbische Flachswickel

Schwedische Lussekatter

GEBLÄTTERTES

Tipps & Tricks

Brioche feuilletée

Buttercroissants

Dinkelvollkornfranzbrötchen

Laugencroissants

Pain aux Raisins (Hüttenplunder)

Schweinsohren & Prasselkuchen

GLOSSAR

SERVICE

Brotbackzubehör allgemein

Tipps zum Buch

Brotbacken mit Lutz Geißler

DANK

REGISTER

Lutz Geißler hat für Sie noch mehr Rezepte von der Alm aufbereitet. Über 40 weitere Brote, Brötchen und Feingebäcke warten auf Sie im digitalen Beiheft zum Buch.

Roswitha kocht beglückt im Freien

VORWORT

Es gibt nur wenige Menschen, die mich so beeindruckt haben wie Roswitha Huber. Ich weiß bis heute nicht genau, was uns verbindet, aber es ist stark genug, um jedes Jahr wieder zu ihr auf die Kalchkendlalm zu fahren. Es ist stark genug, um hoffnungsvoll in die Zukunft zu schauen, auch wenn das eigene Leben manchmal alles andere als hoffnungsvoll ist.

Roswitha hat in ihrem bewegten Leben viel erlebt, vieles getan, was von ihr als junge Frau in einem versteckten Tal inmitten von depressiven Bauern ganz und gar nicht erwartet wurde. Sie ist ihren Weg gegangen. Mit vielen Höhen und Tiefen. Roswitha hat das Leben gelernt. Inzwischen ist Roswitha rastlose Lehrerin im Ruhestand und tut ganz sicher noch immer nicht die Dinge, die manch einer von ihr erwarten würde. Aber sie tut sie mit einer Freude, dass jede Erwartung dahinter erblasst.

Grund genug, ihr und ihrer Liebe zur Kalchkendlalm mit diesem Buch ein Denkmal zu setzen. Ein Denkmal voller Geschichten und voller Brot. Ein Denkmal voller Leben. Leben, das in ihrem Haus hoch oben in den Bergen tobte. Genau das wünscht sie sich auch für die Zeit nach ihr. Kein Museumsstück, kein Bergidyll-Hotel. Nein. Einen Ort, an dem sich Menschen begegnen, um etwas mit ihren Händen zu tun und mit allen Sinnen fokussiert sind. Zum Beispiel auf Brot.

Nichts wurde auf Roswithas Almhütte öfter zubereitet als Brot. Meine besten Rezepte entstanden und entstehen auf der Alm. Nichts lenkt ab. Umringt von Bergen mit einer Geschichte, die uns allen nur die Sprache verschlagen kann, bleibt ein Gefühl von Demut in jedem, auch in mir. Und Demut vor der Natur ist der erste Schritt zu gutem Brot. Kein Wunder also, dass ich eigentlich noch viel mehr als die über 160 Rezepte hätte ins Buch und ins ergänzende E-Book aufnehmen können. Der Kreativität sind am Fröstlberg keine Grenzen gesetzt.

In meinen Kursen auf der Alm backen wir mit den Elementen der Natur. Wir lassen Teige über Nacht im Freien gehen, tourieren im Schneetreiben, backen mit Feuer, auf und in der Glut, lassen den Bergwind Brezeln anhauten oder treiben die Wut aus uns heraus, wenn wir stundenlang Teigmassen von Hand kneten. Brotbacken hat an diesem Ort eine andere Bedeutung. Wir backen um des Backens Willen, um unser Willen, um zu wissen, wer wir sind.

Wer auf die Alm kommt, lässt sein normales Leben im Tal und findet es hinterher manchmal nicht wieder. Ich bin einer davon. Aber diese Geschichte wird ein anderes Mal erzählt werden müssen …

Lutz Geißler

Roswitha wandert oberhalb ihrer Kalchkendlalm

DER ZEIT ENTRÜCKT

Es dämmert. Ich liege im Bett, blicke aus dem kleinen Holzfenster genau auf den schmalen, mit nächtlichem Neuschnee bedeckten Grat zwischen dem Schodenkopf und dem Platteck, etwa 700 Meter über mir. Ich höre das leise, beruhigende, hintergründige Rauschen der Hüttwinklache, die unablässig Schmelzwasser der Gletscher und Schneereste der umliegenden Berge ins Tal führt.

Die Melodie aber spielt das Plätschern der Kalchkendl-Quelle direkt vor der Hütte. Hinter der Fensterbank ziehen wabernde Nebelpakete vom Tal herauf, lösen sich hier und da auf oder entstehen wie aus dem Nichts neu. Es wird heller. Ich ziehe mich an, gehe vor die Tür. Es fröstelt mich. Der Tag macht dem Fröstlberg alle Ehre. Er liegt noch schlafend in der Dämmerung. Eine dünne, löchrige Schneedecke bedeckt die hölzernen Treppenstufen. Meine Füße hinterlassen die ersten Abdrücke an diesem Tag. Ich bin auf dem kurzen Weg zum Holzofen, vorbei an der über 500 Jahre alten Holzhütte. Zwei durchgefrorene, hungrige Katzen schleichen um mich herum. Die nächtliche Jagd war offenbar nicht erfolgreich. Ich wühle in meiner Hosentasche nach Streichhölzern. Ich finde sie. Aber ausgekippt.

Mein etwas mürrischer, müder Blick fällt ins Tal hinunter nach Wörth. Dorthin, wo sich die beiden Bäche Seidlwinklache aus dem Nachbartal und Hüttwinklache, die im Frühjahr zu Strömen heranwachsen, zur Rauriser Ache vereinigen und mit ihrer schimmernden, graugrünen, milchigen Gletscherwasserfracht weiter Richtung Norden ziehen. Mein Blick wandert nach oben, nach hinten, in die Weite, zum 30 Kilometer entfernten Hochkönig und seinen Gipfelkollegen in den Kalkalpen, die wie eine Wand hinter dem Raurisertal stehen und im Morgenlicht rötlich leuchten. Die weißen Nebelschwaden hängen wie Zuckerwatte in der Luft. Unter und über ihnen ist die Luft so klar wie ein Bergkristall. Die Bäume auf der anderen Talflanke ruhen schneebepudert im Schatten. Die ersten Sonnenstrahlen lassen nur die Spitze des Ritterkopfs glühen. Die Ache rauscht unablässig weiter. Das kleine, hoch erhoben und erhaben in Bucheben ruhende Kirchlein steht noch im Schatten des Hüttwinkltals, das sich bei Wörth mit dem Seidlwinkltal zum Raurisertal vereinigt. Vor dem Ritterkopf gleitet mit mächtigen Flügeln ein Steinadler über das noch dunkle Tal. Hinter mir höre ich helle Glocken klingen. Roswithas Ziegen sind schon auf der Anhöhe. Alles erwacht. Auch die Talflanken. Ein dumpfes Grummeln zieht meinen Blick an den gegenüberliegenden, steilen Talhang. Es kostet Mühe und Konzentration, an dieser mächtigen Wand Details zu erkennen. Aber doch. Eine Lawine. Dort, wo die ersten Sonnenstrahlen des Tages bereits gearbeitet haben, rauschen Schnee- und Geröllmassen hangabwärts.

Es wird Zeit. Ich öffne die Ofentür. Wohlige Wärme von gestern strömt mir entgegen. Es passiert automatisch, wie einstudiert. Ich öffne den Zug, ziehe das Streichholz über die raue Schachtelseite, sehe die Flamme auflodern, halte sie an das gestern schon eingeschlichtete Holz. Ganz verhalten glimmt die erste Holzfaser, steckt die benachbarte Faser an und diese die umliegenden. In Sekunden lodern alle Scheite, bringen die Ofenkuppel im Inneren zum Leuchten. Dunkle Rußschwaden steigen nach oben und ziehen an den Kuppelrändern symmetrisch nach vorn zum Abzug. Die Flammen schlagen auch hinein und blinzeln vor dem dämmrigen Halbdunkel der Bergwand ein wenig aus dem Schornstein hinaus. Ich drehe mich um, wärme meinen Rücken vor dem Feuer, das uns später 20 tiefbraun ausgebackene Roggenbrote schenken soll. Zeit für einen Tee. In der Backstube.

ICH BIN AUF DEM KURZEN WEG ZUM HOLZOFEN, VORBEI AN DER ÜBER 500 JAHRE ALTEN HOLZHÜTTE. ZWEI DURCHGEFRORENE, HUNGRIGE KATZEN SCHLEICHEN UM MICH HERUM…

Die Kalchkendlalm

VON EINEM, DER AUSZOG, GUTES BROT ZU LEHREN

Wer ist dieser Kerl, der ein solch dickes Buch schreibt und wahrlich nicht sein erstes dickes Buch? Nicht etwa Bücher über verschiedene Themen. Nein. Es geht immer nur um Brot. Zehn Bücher in sieben Jahren, viele davon Bestseller.

Was muss das für ein Typ sein, der sich seit mehr als zehn Jahren fast rund um die Uhr nur mit einem Thema beschäftigt – mit Brot? Was fasziniert die Menschen an ihm so, dass Tausende seine Kurse besuchen, seine Brotreisen und Brotrezepte im Internet verfolgen?

Kein ganz normaler Typ wahrscheinlich?

Ja. Ich bin definitiv nicht normal. Und ich war es noch nie. In jungen Jahren habe ich häufig zu spüren bekommen, dass meine Art zu denken und meine Interessen mit den Ansichten und Erwartungen meiner gleichaltrigen Umgebung kollidierten. Wer beschäftigt sich als junger Gymnasiast schon mit Bergbau und schreibt Arbeiten über Pressluftwerkzeuge der WISMUT? Wer befasst sich mitten in der Pubertät mit Kernphysik und Strahlenschutz oder gewinnt mit einem Video über den Atomausstieg politische Wettbewerbe? Wer geht freiwillig neben der Schule in einen Chemie-Nerd-Club an die Universität?

Ich.

Ich bin ein Scheidungskind und ein Wendekind. Beides hängt vermutlich miteinander zusammen. Wie ich ohne Scheidung und ohne Wende geworden wäre, weiß ich nicht. Vermutlich ein wenig normaler. Vielleicht auch nicht.

Ich bin in Ostdeutschland geboren als Kind zweier angehender Geologen, in der schönsten Stadt Sachsens, in Freiberg. In Freiberg habe ich meine Wurzeln, auch wenn meine Kindheit einer Odyssee durch Ostdeutschland gleicht: Freiberg, Gera, Johanngeorgenstadt, Cottbus, Chemnitz, Freiberg.

In Freiberg begann mein erstes Leben. Ohne Brot, aber mit Gestein. Obwohl ich nie das Klischee erfüllen wollte, den Beruf meiner Eltern zu erlernen, blieb am Ende nach den für mich allzu theoretischen, technischen oder laborlastigen Fächern Mathe, Physik, Bergbau oder Chemie nur die Geologie übrig. Sie versprach nicht nur Wissen, sondern Erkenntnis. Erkenntnis über alles, was mich umgab. Sie sollte das philosophische Grundgerüst meines Lebens werden.

Ich studierte an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg, der ältesten Montanuniversität der Welt. Auch dort fiel ich im Vergleich zu meinen Kommilitonen mit einem nicht ganz normalen Verhalten auf. Statt Partys und Alkohol zu frönen, belegte ich nicht nur die Wahlpflichtblöcke Lagerstättengeologie, Petrologie (Gesteinskunde) und Brennstoffgeologie, sondern auch Ingenieurgeologie, Hydrogeologie, Geomathematik, Geoinformatik und andere mehr. Nebenbei war ich im Fachschaftsrat aktiv, Mitglied der Redaktion der Studentenzeitung, im Vorstand des örtlichen Student Chapters einer weltweiten Fachgesellschaft für Explorationsgeologie, gründete eine eigene bergbauliche Arbeitsgemeinschaft, arbeitete als Hilfswissenschaftler in den Geowissenschaftlichen Sammlungen der Universität, war Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Fachgesellschaften, organisierte Exkursionen und Tagungen, gründete einen Verein für geowissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit und schloss quasi nebenbei mein Studium als Diplomgeologe mit der Note 1,1 ab. Und das in der Regelstudienzeit, wäre die halbe Tonne von mir gesammelter, goldhaltiger Gesteinsproben aus Nordkalifornien für die Diplomarbeit nicht mit einem halben Jahr Verspätung in Freiberg eingetroffen. Die Uni verlieh mir die höchste Auszeichnung für Absolventen: Die Georgius-Agricola-Medaille.

Ich habe schon immer gern gearbeitet, weil sich die Dinge, die ich tat, nicht wie Arbeit anfühlten. Sie erfüllten mich, brachten mich weiter, erschlossen mir neue Welten. Und doch gab es Phasen, auf die ich gern verzichtet hätte. Etwa jene Zeit, in der ich wochenlang am Mikroskop oder im Labor die in meinen kalifornischen Goldproben versteckten Informationen über die Entstehung der Goldlagerstätte zusammensammelte. Eine großartige, aber belastende Bewährungsprobe für meine latente Ungeduld.

Wahrscheinlich wäre ich ans Ende meiner mentalen Kräfte gekommen, ehe ich die 500 Seiten starke Diplomarbeit hätte abgeben können, wenn ich nicht während eines Frühstücks auf die Idee gebracht worden wäre, einmal selbst Brötchen zu backen. Passgenau zog ich zu dieser Zeit aus dem backofenlosen Studentenwohnheim in meine erste eigene Wohnung. Mit Backofen.

Im Nachhinein war es nicht anders zu erwarten. Das Thema Brot zog mich in seinen Bann. Mehl, Wasser, Salz und manchmal etwas Hefe. Wenig Aufwand und viel sinnliche Freude. Wie ich zuvor schon die Erde, unsere Welt verstehen lernen wollte, studierte ich nun einen viel kleineren, aber nicht weniger komplexen Kosmos rund ums Brot. Meine Ergebnisse sammelte ich in meinem Blog, der bis dahin eigentlich mit meiner Kinoleidenschaft gefüllt war. Ein besseres Archiv fiel mir nicht ein.

Nach meinem Abschluss arbeitete ich als Projektgeologe in einem Freiberger Ingenieurbüro, backte, schrieb an meiner Promotion, backte, wechselte als Chefgeologe in ein erzgebirgisches Bergbauunternehmen, backte weiter, lernte meine damalige Frau kennen, ließ mit ihr drei Kinder das Licht der Welt erblicken und baute nebenbei den heutigen Plötzblog auf, mit jedem Rezept etwas genauer und akribischer.

Mit den Jahren häuften sich die Anfragen nach Brotwissen, Brotrezepten und Brotbackkursen. Und so begann ich 2012 auf Nachfrage nebenberuflich erste Kurse zu geben. Im selben Jahr fragte der Ulmer-Verlag bei mir an, ein Brotbackbuch zu schreiben. Eines kam zum anderen. Ich arbeitete neben den familiären Verpflichtungen täglich etwa zehn Stunden als Geologe und sechs bis acht Stunden für das Brotbacken. Auch für einen arbeitserprobten Menschen wie mich war klar, dass es so nicht weitergehen konnte.

Weihnachten 2013 traf ich die Entscheidung, meinen Beruf als Geologe im Erzgebirge und meine Promotion an den Nagel zu hängen und mich ganz und gar dem Brot zu widmen. Roswitha und ihre Kalchkendlalm kannte ich damals schon. Drei Monate zuvor war ich bei ihr zu Gast (Seite 57). Dass mich das Thema Brot heute mehr faszinieren würde als je zuvor und ich nun ein Buch über diese Roswitha, über meine Almkurse und diesen fantastischen Ort schreiben würde, konnte ich damals noch nicht ahnen. Ahnen konnte ich auch nicht, dass diese Alm, dass mein Brot auf der Alm einmal der Ausgangspunkt für mein zweites Leben, weit weg von Freiberg, sein würde.

Geahnt habe ich wohl aber schon immer, dass ich anderen Menschen etwas von dieser vielfältigen Welt nahebringen möchte. Das von der Geologie geprägte Weltbild lässt mich auf eine Art und Weise Brote backen, die für viele Menschen spannend genug ist, um mir auf die Kalchkendlalm zu folgen. Dort, inmitten der Berge, entstanden all die Brote, die nun in diesem Buch abgedruckt sind.

AUF DER ALM BIN ICH LEHRENDER UND LERNENDER ZUGLEICH. GIBT ES ETWAS SCHÖNERES?

Lutz Geißler mit dem Schießer am Holzofen

Unsere erste Begegnung im Jahr 2013

Lutz Geißler beim Pizzaformen

Blick von Norden nach Süden ins Raurisertal mit Rauris, dahinter Wörth und kaum zu erkennen Bucheben. Rechts zweigt das Seidlwinkltal ab, während sich das Raurisertal verengt und ab Bucheben als Hüttwinkltal bis zum Talschluss führt

IN EINEM LAND VOR UNSERER ZEIT

Niemand, der auf der Kalchkendlalm steht, sich die weichen Hänge im Osten und die steilen, schroffen Felswände im Westen ansieht, wird erahnen, wie all die uns überflutende Natur entstanden sein mag. Und selbst für begeisterte Geologen ist es mehr als eine Lebensaufgabe, zu entschlüsseln, welche wechselvolle Erdgeschichte diese Landschaft erzählt. Eine faszinierende Geschichte, deren Teil wir noch heute sind und die sich auch dann noch weiterschreibt, wenn es uns Menschen nicht mehr geben wird. Es ist die unglaubliche Geschichte vom Werden und Vergehen von Ozeanen und Kontinenten durch die rastlose Bewegung der in Platten zerteilten Erdkruste. Und ohne diese Geschichte könnten wir heute nicht dort Brot backen, wo wir es tun: An einem der schönsten Flecken unserer Erde.

Die Alpen aus dem All: Rauris liegt inmitten eines der geologisch komplexesten Gebirge der Erde

Der Superkontinent Pangäa vor seinem Zerfall

Das andere Mittelmeer

Reisen wir etwa 220 Millionen Jahre zurück. Zu dieser Zeit sind bereits rund 96 % der bisherigen Erdgeschichte erzählt. Während der übrigen vier Prozent werden die Alpen entstehen, wie wir sie heute kennen. Es ist die Zeit der Trias und des Jura. Der Superkontinent Pangäa zerfällt.

Zwischen dem damaligen Europa und Afrika entsteht ein relativ flacher Ozean, eine Art Mittelmeer. An den von Wasser bedeckten Kontinentalrändern (dem Schelf) beider Platten schütten Flüsse aus dem Hinterland Sedimente ins Meer, darunter Sande, Schluffe und Tone. Es entstehen zudem großflächig Kalke aus und mit den Resten von Meerestieren sowie Mischungen aus Ton- und Kalkablagerungen, die Mergel genannt werden. Abseits der Ränder, in tieferen Meeresteilen, lagern sich auch Kalke, aber vor allem Tone, Schluffe und Sande auf den Basalten ab, die am mittelozeanischen Rücken stets neu aus Magma entstehen. Dort, in der Mitte der ozeanischen Platte unter dem sich spreizenden Ozean, wird das Gesteinsmaterial nachgeliefert, das an anderer Stelle beim Abtauchen einer Platte unter eine andere Platte wieder aufgeschmolzen wird. Ein Kreislauf. Kurzum: Es gibt im Wesentlichen drei Bereiche, in denen zu dieser Zeit neue Gesteine entstehen: Der europäische Kontinentalrand, der afrikanische Kontinentalrand und der Ozeanboden zwischen beiden. Über Jahrmillionen wurden dort kilometerdicke Sedimentpakete aufgetürmt und zu Gesteinen verdichtet.

Auf Kollisionskurs

Parallel zur Entstehung neuer Gesteine beginnt ein Teil Afrikas sich vor ca. 150 Millionen Jahren loszulösen und sich als eigenständige Platte auf Europa zuzubewegen. Es ist die Zeit, in der sich auch Nordamerika von Europa lösen und der Nordatlantik entstehen wird.

Schematische Darstellung eines ozeanischen Rückens (Spreizung) und einer Subduktionszone. Am ozeanischen Rücken entsteht neue ozeanische Kruste. In der Subduktionszone taucht die alte ozeanische Kruste ab und wird unter der kontinentalen Kruste aufgeschmolzen.

Bewegt sich eine Platte, entsteht auf der einen Seite der Platte neuer Ozeanboden. Auf der anderen Seite wird die Platte unter eine andere Platte geschoben und aufgeschmolzen. Es ist wie ein riesiges Ozeanboden-Förderband, auf dem die Kontinente mitfahren. Die ozeanischen Teile einer Erdplatte sind durch die größere Dichte der Gesteine (Basalte) schwerer als ihre kontinentalen Pendants. Deshalb tauchen sie bei der Kollision mit einem kontinentalen Teil unter diesem ab. Das geht natürlich nicht ohne Schrammen vonstatten. So auch zwischen Afrika und Europa.

Das losgelöste Plattenschnipsel von Afrika, die Apulische Platte, nähert sich Europa immer mehr.

Die heutige Lage der Apulischen Platte zwischen den von ihr durch Kollision aufgetürmten Alpen, Dinariden und Apenninen

Das europäische Festland wirkt wie ein Käsehobel. Im Keil zwischen beiden Platten werden Ozeansedimente und Basalte zusammengeschabt, aufgefaltet und überschoben. In größeren Tiefen wird die abtauchende Platte zu Magma aufgeschmolzen. Teile des Magmas steigen bis in den Keil und die kontinentale Platte auf, wo sie unterhalb der Erdoberfläche zu Graniten und Begleitgesteinen erstarren. Andernorts dringt das Magma bis an die Oberfläche und ergießt sich über Vulkane als Lava auf die Erde. Großräumiges Krusten-Recycling.

Recycelte Erdkruste kommt als Lava zurück auf die Erde und erstarrt zu neuer Kruste

Dringt zähes Magma aus der aufschmelzenden Platte in die darüberliegenden deformierten Gesteine ein, so bahnen sich dessen flüssige Bestandteile einen Weg in höhere Stockwerke. Unter hohem Druck und hoher Temperatur pressen sich 250–400 °C heiße Fluide in die von Störungen und Klüften durchzogenen Gesteinseinheiten und kühlen langsam ab. Die Fluide sind angefüllt mit gelösten Metallen aus dem Magma und auch aus dem durchflossenen Gestein. Mit sinkender Temperatur und sinkendem Druck fallen die Metalle in Form von Erzmineralen aus und bilden lange und tiefe Gänge aus Quarz, in dem sie als gediegen (elementares) Gold und Silber, als goldhaltiger Pyrit, Arsenopyrit oder Bleiglanz vorliegen. Die erzführenden Gänge sind in den Gneisen der Hohen Tauern bereits seit rund 4000 Jahren von Bergleuten abgebaut worden, anfangs als Auswaschungen (Seifen) in den Bächen und Flüssen, später direkt im Berg am Gang (Seite 41).

Der große Crash

Treffen zwei kontinentale Platten aufeinander, kommt es zur Hebung der Kruste mit Gebirgsbildung. Weil beide Landmassen in etwa die gleiche Dichte haben, findet keine vollkommene Subduktion statt und beide Landmassen werden stark nach oben gedrückt.

Vor etwa 65 Millionen Jahren schließlich erreicht die Apulische Platte Europa und kollidiert. Als Kontinentalplatte besteht sie vorwiegend aus ähnlich dichten Gesteinen wie die Europäische Platte. Ein Abtauchen der einen oder der anderen Platte wird schwieriger. Niemand gibt nach.. Gleichzeitig schiebt quasi von hinten immer mehr ozeanische Kruste nach, die zwischen der Afrikanischen und Apulischen Platte das Mittelmeer öffnet. Die einzige Chance, um den Druck aus dem Hinterland abzubauen, ist das Auftürmen eines riesigen Gebirges. Der Hauptschub findet vor etwa 30 Millionen Jahren statt. Ein Frontal-Crash wie bei einem Autounfall. Schlimmer noch, denn zuvor nebeneinander liegende Zonen werden nun kompliziert übereinander geschoben, abgeschuppt, deformiert, zerbrochen oder verfaltet. Ein Gebirge fast wie Blätterteig, aber sehr unsauber ausgerollt. Die Falten erstrecken sich dabei über wenige Millimeter bis hin zu mehreren Kilometern. Blicken wir von der Kalchkendlalm in Richtung Süden über die Buchebener Kirche hinweg zur markanten Ritterkopf-Spitze sehen wir an dessen Flanke einen Teil einer Großfalte. Wir stehen mitten in gestauchtem Gebirge.

Blick nach Süden auf die Ortschaft Bucheben. Der von einer Wolke angehauchte, markante Gipfel ist der Ritterkopf

Auch wenn es harmlos aussieht, ist Wasser einer der mächtigsten Spieler gegen das Wachstum der Alpen

Der ehemalige europäische Kontinentalrand wird überfahren von den Gesteinen des Ozeans, gefolgt vom ehemals afrikanischen, nun apulischen Kontinentalrand und den Gesteinen des Hinterlandes. Im Fachjargon werden diese Einheiten als Helvetikum, Penninikum, Ostalpin und Südalpin bezeichnet (siehe Abbildung Seite 34).

Die einzelnen Einheiten schieben sich teils über mehr als 100 Kilometer weit übereinander, wie auf zu weicher Butter ausgerollte Teigschichten eines Blätterteiges. Sie drücken durch ihre Last unterlagernde Bereiche in große Tiefen von mehr als zehn Kilometern. Dort, bei hohem Druck und hoher Temperatur, entstehen aus den Sedimenten, Basalten und Kontinentalgesteinen durch chemisch-physikalische Umwandlung die heute für die Alpen so typischen Gesteine wie Gneis, Glimmerschiefer, Phyllit, Amphibolit, Marmor oder Quarzit. Es türmt sich sowohl in die Tiefe als auch in die Höhe ein mächtiges Gebirge auf.

Mittendrin

Es ist ein Gebirge, das auch heute noch wächst. Wir sind auf der Kalchkendlalm mittendrin in der Entstehung eines der größten Gebirge der Erde. Ein bis zwei Millimeter pro Jahr steigen die Alpen empor. Klingt wenig, aber selbst wenn die Alpen nur einen Millimeter pro Jahr wachsen würden, betrüge der Zuwachs in einer Million Jahren schon einen Kilometer. Und was sind schon eine Million Jahre angesichts der Zeit, die unsere Erde bereits hatte und noch haben wird?

Doch es gibt einen mächtigen Gegenspieler, der die Alpen kleinhalten will: die Verwitterung und Abtragung. Sobald sich Gesteine der Umwelt aussetzen, werden sie von Wind, Sonne, Regen, Schnee, Frost und Vegetation angegriffen. Flüsse schneiden sich ins Gestein, Gefrorenes Wasser dehnt sich in den Klüften aus und sprengt Gesteinsbrocken ab, so wie es auch Pflanzenwurzeln tun. Regenwasser setzt chemische Reaktionen im Gestein in Gang, die das Gestein schwächen und der Abtragung preisgeben. Je nachdem wie die Gesteine zusammengesetzt sind, kann die Verwitterung und Abtragung der Gesteine schneller oder langsamer ablaufen. Sind die Gesteine durch den tektonischen Druck der nachschiebenden Platte weiter geschwächt, vergrößert sich die Angriffsfläche für Wasser, Eis und Vegetation entlang von großen Brüchen (Störungen), an denen sich Gesteinspakete gegeneinander bewegt und zerrieben haben. Kein Wunder also, dass die Täler der Alpen diesen Hauptstörungen folgen, im Raurisertal in Nord-Süd-Richtung. Die Flüsse tragen die Sedimente letztlich aus den Alpen hinaus ins Alpenvorland.

In Bewegung

Im Moment halten sich Hebung und Abtragung der Alpen ungefähr die Waage. Und beide bedingen sich auch gegenseitig. Tektonisch höher gehobene Bereiche der Alpen, etwa die Westalpen, sind den Abtragungskräften stärker ausgesetzt als weniger hohe Bereiche. Gleichzeitig sorgt der stärkere Abtrag aber auch dafür, dass das Gebirge leichter wird und sich durch Auftrieb hebt, ganz wie ein Schiff, das ohne Ladung weiter aus dem Wasser herausragt als unter Volllast. Auch die Gletscherschmelze der letzten Jahrhunderte lässt die Alpen auftreiben. Hat die große Eislast vorher die Erdkruste nach unten in den dichteren Erdmantel gedrückt, hebt sie sich nun wieder heraus.

Am schnellsten heben sich nach wie vor die Westalpen. Die Ost- und Südalpen verharren dagegen fast in ihrer vertikalen Position, bewegen sich aber mit anderthalb Millimetern pro Jahr horizontal nach Osten. Dabei wird vor allem der Ostrand der Alpen stark deformiert. Wer also die Kalchkendlalm besucht, bewegt sich pro Tag etwa vier Mikrometer nach Osten, ohne dass er sich körperlich bewegen muss. Wer rund eine Million Jahre Geduld hat, ist schon anderthalb Kilometer ohne Anstrengung in Richtung Osten gewandert.

Fahrt nach Rauris

Wer von München über Salzburg kommend Richtung Raurisertal fährt, durchquert reines Ostalpin, also jene Gesteine, die ursprünglich am von Meer bedeckten Kontinentalrand (Schelf) Afrikas lagen. Im normalen Sprachgebrauch handelt es sich dabei um die nördlichen Kalkalpen, von der Kalchkendlalm aus herrlich als hell leuchtende Wand zu sehen, wenn wir weit nach Norden blicken. Sie bestehen vor allem aus im flachen Meer unter tropischen Klimaten entstandenen Kalksteinen. Zeitlich darunter liegende Gesteinseinheiten, die nun teilweise weit übereinander verschoben und deformiert zu Tage treten, zeugen noch von mehreren früheren Gebirgsbildungsprozessen weit vor 350 Millionen Jahren, als an die Alpen noch gar nicht zu denken war.

Südlich von Bischofshofen wandeln sich die Gesteine plötzlich (siehe Abbildung Seite 34). Was zunächst wie zusammengewürfeltes Chaos aussieht, ist eine Mélange aus kontinentalen und ozeanischen Krustensplittern sowie Sedimentgesteinen aller Art. Es sind Gesteine, die sich im Keil zwischen den beiden Platten gefangen und neu zusammengeschachtelt haben. Weiter südlich, immer entlang der Route nach Rauris, folgen Schiefer von ehemals tonig-kalkiger Zusammensetzung, die überall in den Westalpen zu finden sind und nun auch hier ganz im Osten. Die sogenannten Bündner Schiefer sind die deformierten und umgewandelten Sedimente vom Grund des Ozeans, der sich ursprünglich zwischen Europa und Afrika aufspannte und der Kollision zum Opfer fiel.

Zwischen den Schiefern tauchen immer wieder große, dunkle Bereiche von Amphiboliten auf, ehemalige Ozeanbodenbasalte. Der Großglockner ist zum Beispiel Teil eines solchen eingeschuppten Fetzens ozeanischer Kruste.

Rings um Rauris und speziell auch am Fröstlberg sind die Bündner Schiefer oft als Wechsel aus Glimmerschiefern, kalkhaltigen Glimmerschiefern und sogar Marmoren ausgebildet. Marmor ist unter hohem Druck und hoher Temperatur rekristallisierter Kalkstein. Ihren Namen trägt die Kalchkendlalm also nicht von ungefähr, auch wenn die Namensgebung mit „Kaltkendl“ ursprünglich eine andere war und auf die Temperaturen am Fröstlberg hinwies. Erst nach 1820 wandelte sich der Name des damaligen Bauernguts. Ob ein Hör- bzw. Sprachfehler dazu führte oder bewusst auf das Kalkbrennen hingewiesen werden sollte, ist heute nicht mehr belegbar.

Im Hüttwinkltal, südlich von Bucheben, wird der Marmor in verschiedenen Qualitäten auch heute noch bergmännisch gewonnen und unter anderem als Naturstein zum Verkleiden von Fassaden, als Bodenplatte oder Dekoelement verwendet. Auch der große Holzofen auf der Kalchkendlalm ist mit diesem Marmor verkleidet.

Da fehlt etwas

Der Wechsel der Gesteine südlich von Bischofshofen ist ungewöhnlich, zumindest mit dem Auge eines Geologen betrachtet. Die Gesteine verschiedenfarbig auf eine geologische Karte gebracht, erscheinen die Einheiten rings um Rauris, zwischen Sterzing, Matrei, Spittal und Tamsweg, wie ein Loch inmitten der sonst verbreiteten Gesteine des Ostalpins. Weitet sich der Blick auch über die Westalpen, dann fällt auf, dass in diesem Loch genau die gleichen Gesteine auftreten wie in den Westalpen. Sie gehören zum Penninikum, also zum Ozeanboden zwischen beiden Platten. Das Ostalpin dagegen ist ursprünglich der von Meer bedeckte, flache Kontinentalrand Afrikas gewesen. Wie ist dieses Loch, in dem sich auch die Kalchkendlalm befindet, entstanden?

Die Antwort ist einfach: An der Stelle des Lochs wurden die Alpen bereits stärker abgetragen als in der Umgebung. Die Gesteine des Penninikums liegen durch die Überschiebungsvorgänge unter denen des Ostalpins. Durch die mit der Hebung der Alpen einsetzende Abtragung sind vor etwa 20 Millionen Jahren die letzten Teile des Ostalpins über Rauris verschwunden. Die Schiefer des Penninikums wurden freigelegt. Es ist ein bisschen so, als wären die Alpen an dieser Stelle auf ihren Knien herumgerutscht und hätten die Hose durchgescheuert. Würde ein Riese namens „Verwitterung und Abtragung“ einmal am Rand der ostalpinen Decke ziehen und sie zur Seite nehmen, sähen die Gesteine der ganzen Ostalpen so aus wie in der Gegend um Rauris und in den Westalpen. In den Westalpen hat er es schon geschafft, in den Ostalpen braucht er noch ein paar Millionen Jahre dafür. Die großen Gneisvorkommen innerhalb dieses „Lochs“ sind vermutlich sogar noch dem europäischen Kontinentalrand, dem Helvetikum zuzuordnen. Die Hose ist also noch stärker durchgeschuppert, als Wissenschaftler lange Zeit dachten. Der Hohe Sonnenblick, der nach Süden von der Kalchkendlalm gut zu sehen ist, besteht aus eben diesen Gneisen. Unter Geologen ist das eben beschriebene „Loch“ weltweit berühmt. Sie nennen es „Tauernfenster“, weil es einen Blick in geologisch tiefere Einheiten ermöglicht, ohne dass die Geologen unter die Erdoberfläche schauen müssen. Ein Blick durch das Fenster der Erdgeschichte.

Von schroffen Flanken und sanften Hügeln

Die Gesteine des Raurisertals bestehen vor allem aus vergleichsweise hartem Kalkglimmerschiefer und eher weichem Phyllit, auch eine Art Glimmerschiefer. Der Westhang des Tals ist bis Wörth vor allem aus Kalkglimmerschiefern aufgebaut. Der Osthang rund um die Kalchkendlalm besteht unter den Schuttmassen hauptsächlich aus Phylliten. So erklärt sich auch der steile Abfall des Talhanges im Westen und das seichte Anschmiegen der Ostflanke. Nur dank dieser Verteilung der Gesteine konnte die Kalchkendlalm gebaut und auch landwirtschaftlich genutzt werden.

Wer von Bucheben nach Norden Richtung Wörth durch das Tal wandert oder fährt, dem wird die Talenge am Ortseingang Wörth auffallen, hinter der sich das Tal in die Breite zieht, die schroffen und hohen Bergspitzen verschwinden und sich die Landschaft in eher geglätteten Formen zeigt. Auch das liegt an den Gesteinen unter der Vegetation. Bis in die Ortschaft Rauris hinein sind beide Talflanken durch die weichen Phyllite geprägt, die der Verwitterung und Abtragung viel schneller nachgeben als die widerstandsfähigeren Kalkglimmerschiefer, die in Wörth am Übergang zum Seidlwinkltal erstmal eine Pause einlegen.

Bündner Schiefer hoch oben über der Ortslage Rauris

Der Fröstlberg macht seinem Namen alle Ehre. Kein Wunder also, dass die neben ihm liegende Kalchkendlalm früher Kaltkendlalm hieß

Blick nach Süden mit dem Hohen Sonnen ­blick in der Ferne

Der Blick von der Alm nach Norden, an der Enge am Ortseingang Wörth vorbei in das weit ausladende Raurisertal. Rechts im Bild der bewaldete Fröstlberg. Im Hintergrund sind blass die nördlichen Kalkalpen zu sehen

Die nördlichen Kalkalpen haben einen weiten Weg hinter sich. Vor geologisch nicht allzu langer Zeit waren sie noch von Meerwasser bedeckte Sedimente am Rande Afrikas

Stark vereinfachte geologische Karte der Alpen. Deutlich zu erkennen ist das Tauernfenster, in dessen östlichen Zentrum sich Rauris befindet

Die Buchebener Kirche thront erhaben über dem Hüttwinkltal

Geologie als Grundlage von Religion und Kultur

Die Buchebener Kirche liegt auf einem markanten Bergsturz-Blockwerk und erhebt sich so über die gesamte Ortschaft

Landschaftskünstler Eis

Nach der Alpenauffaltung haben vor allem die Gletscher das Bild des Hochgebirges geprägt. Die Erde befindet sich seit mindestens 2,7 Millionen Jahren in einem Eiszeitalter. Gletscher gehören seither zum Erscheinungsbild der Alpen, auch wenn ihre Mächtigkeit schwankt, abhängig davon, ob innerhalb des Eiszeitalters Warm- oder Kaltzeiten vorherrschen. Trogtäler, Moränenablagerungen oder Gletscherschliffe sind untrügliche Zeichen der Millionen Jahre langen Arbeit der Gletscher am Gebirge.

Das Raurisertal wurde ursprünglich durch Wassermassen v-förmig eingeschnitten. Relikte davon sind noch oberhalb der Waldgrenze gegenüber der Kalchkendlalm zu sehen, wo die Talflanke flacher abknickt. In dieses ehemalige Kerbtal schnitt sich der Gletscher ein und höhlte es allmählich durch unter ihm abfließendes Schmelzwasser, Frost-Tau-Wechsel an der Gletscherunterseite, mitgeführtes Gesteinsmaterial und Eisabschliff aus. Das Raurisertal ist nun ein typisches Trogtal, das von Gletschermassen ausgeschürft und teils wieder angefüllt wurde. Der sanfte, sich U-förmig an die Talränder anschmiegende Talboden wurde nach dem Rückzug des Gletschers von Schuttmassen der Seitenbäche und Flüsse, aber auch von mächtigen Bergstürzen und Hangrutschen, angefüllt. Auch große Moränenablagerungen (vor allem Geröll) der Gletscher kollabierten im Laufe der Zeit und gaben teils mächtige Felsblöcke frei, die heute im Tal liegen.

Auf einem markanten Bergsturz-Blockwerk steht die Kirche von Bucheben, die von der Kalchkendlalm bestens zu sehen ist und regelmäßig von den ersten Sonnenstrahlen des Tages vom Osthang her beschienen wird. Auch die markante Auskerbung der westlichen Talflanke südwestlich der Kalchkendlalm, direkt vor der Kulisse des imposanten Ritterkopfes, ist durch einen riesigen Bergsturz entstanden, auf dessen Überresten sich heute die Feldereralm befindet.

Kalkhaltige Glimmerschiefer am Osthang oberhalb der Kalchkendlalm

Blick auf nach der Gletscherschmelze hangabwärts gerutschte Gesteinspartien, die hinter der heutigen Kalchkendlalm zu liegen kamen. Die spitz zulaufende Holzkonstruktion und die Holzpflöcke markieren den Standort des früheren Marmorabbaus und der Kalkbrennstelle

Marmorbänder im Glimmerschiefer

Die ursprüngliche steile Morphologie der Talhänge zeigt sich heute schon wieder etwas ausgeglichener als direkt nach dem Gletscherrückzug. Der gesamte Osthang des Raurisertals südlich von Bucheben bis nach Wörth ist überschüttet von abgerutschten Gesteinsmassen und Moränenablagerungen, auf denen auch die Kalchkendlalm steht. Selbst die so massiv erscheinende, kleine Felsformation hinter der Hütte ist nur ein abgerutschtes Stück Gebirge. In diesen Glimmerschiefern kommen immer wieder kalkhaltige Partien vor, teils als Marmorbänder ausgeprägt, die von den früheren Besitzern der Hütte bis in die 1950er Jahre im Nebenerwerb bei rund 1000 °C als Kalk gebrannt und zu Kalkfarbe oder Mörtel weiterverarbeitet wurden.

Wo gehobelt wird, fallen Späne. Wenn die Gletscher mit ihrer Gesteinsfracht über den Untergrund schrammen, schleifen sie parallele Rillen und Kratzer in das Gestein, sogenannte Gletscherschliffe. Das dabei entstehende Gesteinspulver wird vom Wasser weggetragen und färbt die Hüttwinklache und später die Rauriser Ache so wunderschön graugrün-milchig. Wer genau hinsieht, wird das Wasser voller in der Sonne glitzernder Partikel sehen. Das sind vom Schiefer abgekratzte Glimmer, kleine, wie Spiegel reflektierende Minerale, die dem Glimmerschiefer seinen Namen gaben. Mit etwas Glück lassen sich Gesteinsbruchstücke mit Gletscherschliffen im Gelände finden.

Brotbacken mit Geschichte

Atmen wir einmal durch und überlegen, was wir gerade erfahren haben:

Die Kalchkendlalm steht auf mindestens 150–220 Millionen Jahre altem Boden, auf dem Grund eines Ozeans, der schon einmal über zehn Kilometer unter die Erdoberfläche versunken war. Ein Boden, der umgewandelt, gequetscht, intensiv verfaltet und wieder an die Erdoberfläche gespuckt wurde. Über der Alm lagen ursprünglich kilometerdicke Gesteinspakete vom Rande Afrikas, die Wind und Wasser über Jahrmillionen abgetragen haben. Den bislang letzten Schliff gaben der Landschaft dann die großen Gletscher, deren Nachwehen auch heute noch das Raurisertal formen.

In diesem spektakulären Umfeld backen wir Brot, schlicht, zurückgenommen, puristisch, natürlich. In viele meiner Bücher schreibe ich zu meinem Autogramm den Spruch: „Demut vor der Natur ist der erste Schritt zu gutem Brot“. Sie lässt sich am besten in Landschaften wie dieser lernen.

DEMUT VOR DER NATUR IST DER ERSTE SCHRITT ZU GUTEM BROT.

Die Buchebener Kirche inmitten einer alten Goldbergbauregion

Ausgewaschen aus dem Gebirge sammelt sich Gold in ruhigeren Bereichen von Bächen und Flüssen

DAS GOLD RUFT

Die Besiedlung des Raurisertales hängt unmittelbar mit Goldfunden zusammen, die am Talschluss gemacht wurden. Schon vor rund 4 000 Jahren müssen Menschen von Süden her durch das Tal gekommen sein und Gold gesucht haben. Vor 2 400 Jahren haben Kelten das Raurisertal durchquert und Gold geschürft. Vor rund 2 100 Jahren lockten weitere Goldfunde vor allem Glückssucher aus dem heutigen Italien in die Berge. Die Römer intensivierten und modernisierten vor gut 2 000 Jahren den Tauerngoldbergbau, bis er mit der großen antiken Völkerwanderung zwischen 400 und 600 nach Christus einschlief.

Als erste feste Siedler gelten Slawen, die vor etwa 1 300 Jahren den Knappenort Kolm-Saigurn am Talschluss gründeten und den Goldbergbau wieder aufnahmen. Ihre Zeit währte nicht lange. Vor 1 200–1 000 Jahren übernahmen die Bajuwaren und Franken die Herrschaft über das Gold.

Die Haupttransportroute für Waren und Menschen ging über Jahrhunderte hauptsächlich über das benachbarte Seidlwinkltal, während das Hüttwinkltal vor allem bergbaulich geprägt war. In Wörth, wo beide Täler zusammentreffen, beginnt das eigentliche Raurisertal mit der heutigen Ortschaft Rauris. Das Raurisertal war im Winter der einzige offene Zugang über die Tauern, der durch das Seidlwinkltal bis zum Hochtor auf 2 576 m Höhe führte.

Rauris selbst war über Jahrhunderte unter dem Namen Gaißbach bekannt, benannt nach dem von Osten ins Raurisertal mündenden Bach, auf dessen Schuttfächer die Stadt errichtet wurde. Als „Rauris“ wurde damals das gesamte Tal bezeichnet. Der Begriff stammt aus dem Keltischen und wurde Anfang des 12. Jahrhunderts erstmals urkundlich erwähnt. Gaißbach selbst entwickelte sich seit dem 13. Jahrhundert. Bis dahin wurde auch nur in den Bächen und Flüssen nach Gold gesucht, das aus dem Gebirge ausgewaschen und als sogenannte „Seifen“ abtransportiert wurde. Immerhin sollen so jährlich 50 kg Gold und 200 kg Silber zustande gekommen sein.

Wahrlich überrannt wurde das Tal im 15. und 16. Jahrhundert während der Hochzeit des Goldbergbaus, als auch direkt in den Fels Gänge getrieben wurden. Eine recht warme Klimaperiode ließ die Gletscher schwinden und gab den sogenannten Goldberg rings um Kolm-Saigurn frei. Über 2 000 Bergleute sollen damals nach Gold, aber auch nach Begleitelementen wie Kupfer, Blei, Eisen, Silber und Schwefel gesucht haben. In rund 450 Bergwerken haben sie über 100 Kilometer Strecken in den Gneis geschlagen, nur mit Hammer und Meißel („Schlägel und Eisen“). Hinzu kamen Arbeiter, die das Erz zerkleinern (pochen) und aufschmelzen (verhütten) mussten, um die Metalle von Begleitmineralen und Nebengestein zu separieren. Aus dieser Zeit stammt auch der Name des Hüttwinkltales.

Das Raurisertal galt damals als Zentrum der Goldgewinnung rings um Salzburg. Über 3 000 Menschen lebten im Tal. Je nach Quelle sollen jährlich zwischen einer Tonne und vier Tonnen Gold gewonnen worden sein. Auch das Grundstück der heutigen Kalchkendlalm muss schon damals besiedelt worden sein. Im alten Holzschuppen neben dem Holzofen ist die Jahreszahl 1497 eingeschlagen.

Nachlassende Funde, durch starke Niederschläge überschwemmte Gruben und während der Kleinen Eiszeit vorrückende Gletscher brachten den Goldbergbau Ende des 16. Jahrhunderts nach rund 100 Jahren Boom schnell zum Erliegen. Nur vereinzelt wurde noch geschürft.

Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts gab es etliche feindliche Übernahmen des Tales und Aufstände gegen diese. Die Rauriser waren schon immer recht wehrhaft.

Der Goldbergbau keimte immer wieder auf und wurde unter Einsatz modernerer Technik fortgesetzt. 1832 begann der Bau einer steilen, von einem Seil bewegten Schienenbahn von Kolm-Saigurn zum Goldberg. Von dort sollten das Erz ins Tal und Bedarfsgüter zu den Stollen nach oben transportiert werden.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde das wichtigste Bergwerk an einen französischen Konzern verkauft, der aber kein Glück hatte und den Betrieb schloss.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde ein erneuter Versuch unternommen, Gold abzubauen, aber auch dieses Vorhaben scheiterte an wirtschaftlichen Fragen.

Mit einem neun Kilometer langen Stollen von Kolm-Saigurn nach Osten durch die Gneise bis Nassfeld (Sportgastein) versuchte sich die Preußische Bergwerks- und Hütten AG ab 1940 ein letztes Mal am Goldbergbau im Raurisertal. Aber auch hier zeigte sich, dass der Goldbergbau in über 2 000 Metern Höhe wirtschaftlich nicht mehr tragbar war. Ein 1984 angedachtes Projekt einer US-amerikanischen Gesellschaft, das verbliebene Gold chemisch aus den Gesteinen auszulaugen, wurde aus Umweltschutzgründen gar nicht erst zugelassen.

Seitdem gibt es noch vereinzelt private Goldsucher, die im Wesentlichen in den Achen Goldseifen waschen. Ein Fund ist nicht unwahrscheinlich. Neben den verwitterten und fortlaufend vom Wasser angegriffenen Erzgängen liegen noch rund 100 Millionen Tonnen Nebengestein und Aufbereitungsreste auf Bergbauhalden im Tal und auf dem Goldberg. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind auch dort nicht unbedeutende Goldmengen enthalten, die vom Wasser weggetragen und in den Achen abgelagert werden. Insgesamt wurden im Raurisertal rund 50 Tonnen Gold und 200 Tonnen Silber gefördert. Die Zeit des Goldbooms ist aber lange vorbei. Stattdessen hat sich vor allem der Tourismus nach dem Zweiten Weltkrieg als Wirtschaftszweig neben der Landwirtschaft etabliert. Ein wichtiger Schritt dorthin war 1984 die Einrichtung des Nationalparks Hohe Tauern. Aber bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts wurden vorsichtige Schritte zu einer stärker touristisch geprägten Talgeschichte gegangen. Die ersten Skier wurden ebenfalls um diese Zeit ins Tal gebracht und gewannen schnell an Beliebtheit, bei Einheimischen wie Reisenden. Ignaz Rojacher, einer der letzten Bergwerksbetreiber im Tal, und sein Freund und Mäzen Wilhelm von Arlt forcierten schon damals den Ausbau der touristischen Infrastruktur und legten so die Grundlage für einen neuen Boom im Raurisertal.

Selbstversorger

Das Raurisertal war auch während des Goldbergbaus immer geprägt von kleinen Bauernhäusern, deren Bewohner meist arm waren und sich selbst versorgten. Jeder Hof baute Getreide an (vor allem Gerste, Hafer und Roggen), versorgte Vieh und pflegte den Obst- und Gemüsegarten. Trinkwasser wurde von den zahlreichen natürlichen Quellen an den Talflanken gewonnen, so auch aus der Kalchkendlquelle auf 1 199 m Höhe.

Als im Jahre 1817 eine Hungersnot ausbrach, ließ der damals über das Tal herrschende bayerische Kaiser Saatkartoffeln schicken, die fortan im Tal angebaut wurden.

Ab den 1960er Jahren ließen immer mehr Familien vom Getreideanbau ab. Die Moderne zog allmählich ein.

1 Alter Aufzug zum Goldberg, der von Ignaz Rojacher Jahrzehnte später erweitert wurde

2 Auch wenn heute die meisten Goldseifen gewonnen sind, bleibt immer noch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für neue Funde, denn das Wasser im Gebirge entreißt dem Gestein unablässig Gold

3 Die Kalchkendlquelle versorgt noch heute die gesamte Hütte auf der Kalchkendlalm mit Wasser

Wie früher wird auf der Kalchkendlalm auch heute wieder ein Obst- und Gemüsegarten gepflegt

Roswitha im Jahr 2019

LEBEN LERNEN

Betritt Roswitha Huber den Raum, wird es ruhig. Ohne dass sie etwas sagen muss, wissen alle, dass da eine besondere Frau vor ihnen steht. Eine Frau, die das Leben gelernt hat. Sie lebt im Jetzt und interessiert sich doch für die Vergangenheit. Sie ist chronisch verspätet und chronisch unerreichbar. Ist sie aber da, vor Ort, bei den Menschen, spielt all das keine Rolle mehr. Sie kann Menschen für sich einnehmen, sie Frust und Angst vergessen lassen. Sie kann ihre Freude am Leben, ihre Freude am Brot mit nur einem Satz, einem Wort auf andere übertragen. Sie entscheidet aus dem Bauch heraus, aber trotzdem überlegt. Sie braucht ihre Zeit. Unsere Zeit braucht sie.

Roswitha stammt aus Oberösterreich zwischen Salzburg und Linz, der Kornkammer Österreichs. Sie wurde 1955 in Wendling in eine Kleinbeamtenfamilie geboren. Sie erlernte den Lehrerberuf an der Pädagogischen Akademie in Salzburg. Freie Stellen waren damals nur in wenigen Schulen zu haben, darunter in Rauris. Für Roswitha hatte Rauris einen guten Klang, fanden doch dort seit 1971 die Rauriser Literaturtage mit überregional bekannten Schriftstellern statt. Berge mochte Roswitha auch, also ging sie am 1. November 1976 in das ihr noch unbekannte Raurisertal.

In Rauris lernte sie beim Skifahren den jungen Andreas Huber kennen, der sich im Winter am Lift etwas zuverdiente. Andreas war Bauer im Seidlwinkltal. Sie heiratete ihn, „ohne zu wissen, was ich tue, sehr naiv und blauäugig“, sagt Roswitha heute.

Andreas war Bauer wider Willen. Sein Vater erwartete von ihm, den Hof zu übernehmen. Der Junge hatte sich aber insgeheim dem Holz verschrieben. Roswitha ging ihrem Lehrerberuf nach, ganz entgegen der im Tal herrschenden Vorstellungen von den Aufgaben einer Bauersfrau. Sie brachte fünf Kinder zur Welt, zwei Jungen und drei Mädchen. Einer der Jungs, Sepp, ist nun mit Leib und Seele Bauer und führt den Huberhof inzwischen mit ein paar Kühen zur Milchproduktion fort.

In Kontakt mit Brot kam Roswitha das erste Mal bewusst bei ihrer Schwiegermutter. Sie backte regelmäßig das Brot für die Familie und für ihre Gäste, die Semmeln brachte täglich einer der beiden Rauriser Bäcker ins Haus. Sie war damals eine der ersten, die Urlauber auf ihrem Hof aufnahm. Das hatte gute Gründe. Die Einnahmen aus der Übernachtung durfte sie selbst behalten. Alle anderen Einnahmen standen ausnahmslos ihrem Mann zur Verfügung.

Roswitha hat durch die Back- und Kochkünste ihrer Schwiegermutter einen ganz anderen Bezug zu Lebensmitteln bekommen. Sie verwertete alles vom Bauernhof. Auch Roswithas Mutter kochte hervorragend, aber die Lebensmittel wurden eingekauft und kamen nicht direkt vom Bauernhof.

Den ersten eigenen Brotbackversuch musste Roswitha aus der Not heraus wagen. Ihre Schwiegermutter war verreist. Roswitha kannte die Prozedur und doch war es etwas anderes, es das erste Mal selbst zu tun. Natürlich ging es schief. Roswitha hatte die Laibe nicht gehen lassen, sondern direkt nach dem Formen in den Ofen geschoben. Dichte, kleine Brote, die ganz anders waren als jene ihrer Schwiegermutter.

ROSWITHA HAT DURCH DIE BACK- UND KOCHKÜNSTE IHRER SCHWIEGERMUTTER EINEN GANZ ANDEREN BEZUG ZU LEBENSMITTELN BEKOMMEN. SIE VERWERTETE ALLES VOM BAUERNHOF.

SCHWIEGERMUTTERS WUCHTELN

Roswitha bäckt sie gern. Und sie sind gut. Ihre Schwiegermutter, die ihr so vieles in der Küche beigebracht hat, backte sie meist sonntags. An normalen Sonntagen nahm sie das gesamte Ei. An hohen Feiertagen aber kam nur Eigelb zum Einsatz. Auch die Eimenge wurde an wichtigeren Tagen erhöht. An den anderen Backtagen schüttete sie stattdessen mehr Milch und weniger Ei in den Teig. Entsprechend wandelten sich ihre Wuchteln von Backtag zu Backtag. Natürlich wog sie keine Zutaten ab. Sie hatte es im Gefühl. So wie Roswitha auch.

Um ihr Rezept für die Nachwelt zu erhalten und Menschen mit einem weniger stark ausgeprägten Gefühl fürs Backen die Wuchteln zugänglich zu machen, habe ich eines Tages einmal alle Zutaten abgewogen, die Roswitha nach Gefühl in den Teig gab.

HAUPTTEIG

1000 g Weizenmehl 550

250 g Milch

20 g Frischhefe

60 g Zucker

125 g Butter

6 Eier

125 g Salz

NACHBEREITUNG

100 g Butter

Preiselbeermarmelade

Puderzucker

Das Mehl in eine Schüssel geben und in die Mitte eine Mulde drücken.

Etwas lauwarme Milch hineingeben und die Hefe samt Zucker mit ein wenig Mehl darin auflösen. Einige Minuten stehen lassen.

Währenddessen die Butter schmelzen und die restliche Milch darin einrühren. Anschließend die Eier und das Salz in die Butter-Milch-Mischung einrühren, bis eine homogene Flüssigkeit entstanden ist.

Die Ei-Milch-Butter-Mischung in die Schüssel mit dem Mehl geben und alles mit einem Holzlöffel zu einem weichen Teig rühren. Sobald der Teig zusammengekommen ist, den Teig mit dem Holzlöffel oder von Hand solange schlagen bis er Blasen wirft, sich von der Schüssel löst, sich gut auseinanderziehen lässt, glatt und straff aussieht. Das kann durchaus eine halbe Stunde dauern.

Die Stube gut einheizen und den Teig etwa 2 Stunden bei 24–26 °C reifen lassen. Das Volumen sollte sich in dieser Zeit mindestens verdoppeln. Ist es noch nicht so weit, dann einfach länger stehen lassen. Die Qualität der Wuchteln steht und fällt mit der Volumenverdopplung des Teiges.

Unterdessen in einer Auflaufform 100 g Butter zum Schmelzen bringen.

Ca. 40 g schwere Teiglinge abstechen, in der Hand ausziehen, mit je 1 Teelöffel Preiselbeermarmelade füllen und verschließen. Die Teiglinge mit der glatten Seite in der geschmolzenen Butter wenden und mit der glatten Seite nach oben eng aneinander liegend in die Form setzen.

Etwa 1–1 ½ Stunden bei 24–26 °C gehen lassen, bis sich das Volumen wieder etwa verdoppelt hat.

Bei 220 °C fallend auf 180 °C ca. 30 Minuten backen. Mit Puderzucker abstäuben und servieren.

Roswitha ist eine wunder bare Köchin. Ihr Spezialgebiet: Wie kochen wir aus fast nichts etwas Gutes

Die letzten Bauern der Kalchkendlalm

Der frühere Heuboden dient heute als große Wohnstube für alle Gäste der Kalchkendlalm. Er ist etwa 400 Jahre alt

Andreas’ Vater kaufte 1956 von einem Bauern eine alte Hütte samt Grundstück im benachbarten Hüttwinkltal – die Kalchkendlalm. Sie bestand aus einem Stall samt Heu- und Dreschboden, der vor etwa 400 Jahren gebaut wurde, und aus einem Wohnbereich, der mindestens einmal abgebrannt und vor etwa 200 Jahren wiedererrichtet worden war.

Der Bauer ging nach Rauris und baute sich ein kleines Haus. Er erwarb die Hütte wenige Jahre zuvor von einem anderen Bauern, den ein schlimmes Schicksal zum Aufgeben zwang. Seine Frau und er lebten dort mit ihren 12 Kindern. Bei der Geburt des 13. Kindes starb die Frau. Aus der Not heraus, nicht alle Kinder versorgen zu können, gab der Bauer all seine Kinder weg, bis auf das älteste und das jüngste Kind. Und doch musste der Bauer irgendwann aufgeben.

Die Bauernfamilie lebte als Selbstversorger. Sie bauten Herbst-Roggen, Hafer, Gerste und selten Weizen an. Weizenanbau war riskant, weil er an den kargen Hängen und durch das raue Klima oft zu Missernten führte. Der Acker befand sich neben der Hütte in Richtung Süden. Außer Getreide wuchsen auch Kräuter, Kartoffeln, Rüben oder Bohnen auf dem Feld. Mit Hilfe von Tieren wurde das Feld gedüngt. Sogar Kleidung wurde aus Schafwolle, Flachs oder Leder selbst hergestellt.

Zwei kleine Mühlen am Graben vor der Hütte vermahlten das eigene und das Getreide des Nachbarn. Später kam ein weiter oben errichteter Teich hinzu, um mehr Wasser zum Mahlen zu haben.

An dieser Stelle standen früher zwei Mühlen, mit denen das eigene Getreide vermahlen werden konnte

Roswithas Schwiegervater wollte die alte Hütte wegreißen, hatte aber nie Zeit dafür. Die Hütte lag Jahrzehnte brach. Irgendwann richtete sich ein Berliner Ehepaar darin zwei Zimmer her. Sie machten regelmäßig im Seidlwinkltal Urlaub. Die Frau erkrankte im Laufe der Jahre an einer Blutkrankheit. Ihr Arzt empfahl ihr deshalb, lange Zeit auf einer Höhe von über 1000 m zu verbringen. Die Kalchkendlalm befindet sich auf 1200 m. Unten im Stall der Hütte und auf den umliegenden Wiesen hausierten und weideten die Kühe vom Huberhof im Seidlwinkltal. Sie wurden auf der Alm gemolken. Die Milch kam ins Tal.

Kühe prägen auch heute noch die Wiesen der Kalchkendlalm

Blick nach Osten auf die Kalchkendlalm und den weit ausgespülten Tiefenbachgraben. Der Weg darüber führte früher direkt neben der Alm entlang. Heute muss dem Graben bis ins Tal gefolgt werden, um ihn unbeschadet überqueren zu können

Andreas’ Vater ließ den Bauernhof nach dem Kauf zur Alm umwidmen. Das Haus rottete langsam vor sich hin. Alte Häuser wie dieses hatten in den 1950ern und danach keinerlei Wert, waren eher eine Belastung und wurden jahrzehntelang mit Wonne abgerissen, auch weil man sich nicht mehr an diese schlechte Zeit erinnern wollte.

Heute sehen wir solche urigen Gebäude mit anderen Augen, nicht zuletzt, weil eine andere Infrastruktur vorhanden ist. Bis ins Jahr 2005 gab es keine Straße zur Hütte, sondern nur den Fußweg nach Bucheben hinunter und eine kleine Materialseilbahn. Der Weg nach Bucheben verlief früher direkt über den benachbarten Tiefenbachgraben und erst dann ins Tal. Er war damals viel schmaler und mit einer Brücke versehen. Heute ist der Graben tief ausgewaschen zu breit zum Überqueren. Der Übergang liegt nun viel weiter unten im Tal.

Roswitha, inzwischen fast 20 Jahre lang Lehrerin an der Volksschule in Rauris, merkte von Jahr zu Jahr, dass die Kinder immer weniger wussten, was sie da eigentlich jeden Tag in ihrer Brotdose mitbekamen und aßen. Ihnen fehlte der Bezug zu Lebensmitteln, den Roswitha durch ihre Schwiegermutter so innig gelehrt bekam. Die Kinder lernten auf Papier, was sie viel besser oder überhaupt erst durch ihr eigenes Tun hätten erlernen können. Der Wandel in den Familien, der Wandel der Schulbildung, der Wandel überall frustrierte sie. Statt zu resignieren, fasste sie allmählich den Entschluss, den Kindern selbst zu zeigen, wie Lebensmittel entstehen. Die brachliegende Kalchkendlalm schien ideal zu sein, um die Lebensmittelproduktion vom Ursprung her zu lehren. Lebensnahes Lernen war und ist Roswithas Leitmotiv.

Roswitha hätte mit den Kindern Fleisch oder Milch verarbeiten können. Aber ein anderes Lebensmittel drängte sich geradezu auf. Es ist an einem Tag zu verarbeiten, hygienisch unbedenklich und jeder mag es: Brot.

Kinder beim Teigkneten während eines Kurses von Roswitha

Einen Holzofen hatte es gegeben, 1956, neben dem alten Schuppen von 1497. Er wurde damals weggerissen. Roswitha wollte ihr Brot unbedingt im Holzofen backen, obwohl sie zuvor noch nie ein Holzofenbrot gegessen hatte. Ihre Schulkinder sollten den Umgang mit Feuer lernen, weil sie in ihrem „modernen“ Leben immerzu davon ausgesperrt wurden.

Andreas maß alte Öfen im Tal ab, baute ein Fundament mit umliegenden Steinen, kaufte Schamottsteine und baute ein Holzgerüst, um das das Schamottgewölbe gemauert wurde. Die Dachschindeln aus Lärchenholz fertigte er selbst. Sein Auftakt als „Holzwurm“ der Kalchkendlalm. Das Ofendach deckte Roswithas eigene Schulklasse. Der Holzofen stand auf der Alm, bevor es fließendes Wasser oder eine Toilette gab, vom Plumpsklo einmal abgesehen. Im Haus stand auch nur ein einziger beheizbarer Raum, die alte Stube, zur Verfügung, um zu backen.

Den Ausschlag, die jahrelang in ihr gereifte Idee, eine „Schule am Berg“ zu gründen, gab Alfred Winter, ein Mitarbeiter der Salzburger Landesregierung, der sich vehement für kulturelle Sonderprojekte einsetzte. Er unterstützte sie beim Backofenbau, bezahlte die Schamottsteine und die Metalltür und half ihr mit Kontakten, unter anderem zu Dr. Fritz Sehwald von der Pädagogischen Hochschule Salzburg, der mit seinen Lehramtsstudenten zum Backofenbau kam. Ein glücklicher Umstand, der auch die Studenten prägte. Sie kamen später als Lehrer mit ihren Schulklassen zu Roswitha zurück.

Seit 1996 gibt Roswitha nun Kurse in ihrer eigenen Schule. Sicher, ob sie wirtschaftlich überleben würde, war sie sich in den ersten Jahren nie. Aber schon mit der ersten Schulklasse, die zum Brotbacken auf die Alm kam, sah sie den Stolz und die Freude der Kinder über ihr erstes selbstgebackenes Brot. Ohne diesen Lohn hätte sie sofort wieder aufgehört. Stattdessen spornte sie der Enthusiasmus der Kinder an, das Haus nach und nach herzurichten – ohne ihren damaligen Mann Andreas undenkbar. Jedes Stückchen Holz, jedes Türschloss, jedes Bett, jede Dachschindel stammt aus seiner Hand. Er konnte mit 50 Lebensjahren endlich seiner Profession nachgehen, was er als Bauer auf dem elterlichen Hof nie gekonnt hätte.

Roswitha blieb nebenbei Lehrerin, reiste durch die Welt auf der Suche nach anderen Holzofenbäckern, schrieb deren Geschichten und Rezepte auf. 2004 ließ sie sich vom Schuldienst beurlauben, um sich ganz und gar ihrer Schule am Berg zu widmen. Allein 2005 haben mehr als 1000 Kinder bei ihr gelernt, ihr eigenes Brot zu backen.

Und neben all dieser Arbeit, all den Reisen, all den Wünschen und Vorhaben zog sie fünf wunderbare Kinder groß. Wer Roswitha begegnet, spürt, dass er einer Frau gegenübersteht, die so leicht nichts aus der Bahn wirft. Lebensnahes Lernen ist nicht nur ihr pädagogischer Leitsatz für ihre Schulkinder. Sie selbst ist das beste Beispiel dafür.

Die heutige Kalchkendlalm

Der Holzofenrentner war einstmals der Jüngste auf der Alm

Das Dach des Ofens hat damals Roswithas Schulklasse gedeckt

Die Ofentür gäbe es ohne Alfred Winter nicht

Roswithas Kaspressknödel (Rezept siehe nächste Seite)

ROSWITHAS KASPRESSKNÖDEL

Es gibt sie immer, wenn ich auf der Alm bin. Nicht für mich, sondern für meine Teilnehmer. Roswitha macht oft einen Kochkurs daraus. Und es ist spannend. Ein so einfaches Rezept aus alten Semmeln oder altem Weißbrot. Dazu der fantastische Käse aus Evis Käserei vom Bauernhof Aubauer ein paar Minuten unterhalb der Kalchkendlalm, ein paar Gewürze und schon sind sie da, die Kaspressknödel. Ich hoffe bei jedem Essen darauf, dass ein paar übrigbleiben, die von meinen Teilnehmern bis zum nächsten Tag im Kühlschrank deponiert und meist vergessen werden. Ein Glück. Denn wenn ich morgens aufstehe, mich auf den Weg in die Backstube mache, dann führt mein erster Gang am Kaspressknödelkühlschrank vorbei, um mir einen oder zwei oder drei der vergessenen Knödel zu angeln. Aber nicht weitersagen, sonst werden womöglich nach dieser Buchveröffentlichung keine Knödel mehr vergessen...

ZUTATEN

1 kg Semmelbrot

6 Eier

1,5 l Milch

3 kleingeschnittene, angeschwitzte Zwiebeln

Salz und Pfeffer zum Abschmecken

1 Hand voll gehackte Petersilie

800 g geriebener Käse (am besten Pinzgauer Käse)

Das Rezept ist für 30–40 Stück ausgelegt. Vorratshaltung lohnt sich. Sie lassen sich auch hervorragend einfrieren.

Alle Zutaten bis auf den Käse vermengen und so lange ruhen lassen, bis das Brot die Flüssigkeit aufgesogen hat.

Nun den Käse dazugeben.

Die Festigkeit der Masse prüfen. Je nach Beschaffenheit des Semmelbrotes muss noch Mehl hinzugegeben werden. Es empfiehlt sich, einen Probeknödel zu braten.

Dazu die Masse zu Kugeln formen und flachdrücken.

Fett (z. B. Butterschmalz) etwa 10–15 mm hoch in die Pfanne füllen und erhitzen. Darin die Knödel goldbraun backen.

Die Knödel werden in klarer Suppe oder Zwiebelsuppe serviert, alternativ auch ohne Suppe mit Salat oder Sauerkraut.

Knödelherstelung: Pinzgauer Käse, grob gerieben

Roswitha mischt die Knödelmasse mit Restbrot, Eiern und Milch

Die geformten Knödel

Serviert wird der Kaspressknödel klassisch in klarer Suppe oder in Zwiebelsuppe

Oder mit Salat

Ein alter, verfallener Holzofen auf einem benachbarten Bauerngut neben Roswithas Alm

Die Kalchkendlalm liegt auf rund 1200 m Meereshöhe hoch oben über dem Raurisertal

Das Tal der Holzöfen

Brotbacken war über Jahrhunderte Lebensgrundlage der Bauern im Raurisertal. Aus eigenem Getreide, gemahlen in eigenen, kleinen, wasserbetriebenen Mühlen. Mit dem Wandel der Landwirtschaft, mit dem Bau von Straßen, dem Anschluss ans Strom- und Kommunikationsnetz der Moderne und dem veränderten Einkommens- und Kaufverhalten fiel der naturgegebene Zwang zum Brotbacken weg. Öfen verfielen, wurden abgerissen.

Im Jahr 2005 gab es nur noch 17 freistehende Holzbacköfen in Rauris. Inzwischen sind es wieder über 30 Öfen, obwohl seit Mitte der 1980er Jahre im Tal kein Getreide mehr angebaut wird. Roswitha hat es aber gegen anfängliche Widerstände und anderslautende Meinungen geschafft, das Wissen über die Verarbeitung von Getreide zu Brot im Tal zu erhalten und Menschen zu motivieren, ihre alten Öfen nicht abzureißen, sondern zu reparieren oder gar neue Öfen zu bauen.

Der letzte Handwerksbäcker zog sich im Jahr 2000 aus dem Tal zurück. Seitdem liefern Filialisten aus dem Umland Backwaren nach Rauris. Erst 2018 eröffnete wieder ein Bäcker samt Schaubackstube, aber von einer Rückkehr des Bäckerhandwerks kann noch immer keine Rede sein.