Luves - Die Magier von Cimala - Bianca Schäfer - E-Book

Luves - Die Magier von Cimala E-Book

Bianca Schäfer

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Beschreibung

"Halt die Ohren und die Augen offen, dann wird dir deine Mission gelingen und du wirst die wundersamsten Dinge erleben." Das Land Aestra steht unter der grausamen Herrschaft dreier Magiergilden. Der junge Magier Luves wird von ihnen ausgesandt, um eines der geächteten Wesen zu fangen, damit er in den Stand eines Jägers aufsteigen kann. Ein Rang, auf den er lange Zeit mühsam hingearbeitet hat. Von Ehrgeiz getrieben, begibt er sich auf eine abenteuerliche Reise und es gelingt ihm, den betörend schönen Faun Semingion aufzuspüren. Doch dann erliegt Luves seinen Reizen. Um Semingion zu retten, muss Luves mit allen Regeln brechen. Eine waghalsige Flucht beginnt … Bildgewaltige Fantasy mit einer bitter-süßen Liebesgeschichte

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Bianca Schäfer

Luves - Die Magier von Cimala

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Nachwort

Impressum neobooks

Prolog

Bianca Schäfer

Luves

Die Magier von Cimala

Fantasy

Die Kunst bestand nicht darin, den Schmerz und die Erschöpfung zu erdulden, sondern vielmehr anzunehmen und zu akzeptieren. Wenn man diese Stufe erreicht hatte, konnte man all dies abwerfen wie einen Mantel und hinter sich lassen. Mit jedem Schritt, den Luves tat, entfernte er sich von den Qualen. Er nahm weder die auf ihn niederbrennende Sonne noch seinen trockenen Atem wahr, der seine Kehle zerkratzte. Seit Stunden umrundete er den staubigen Übungsplatz hinter dem Gildenhaus der Jäger, ohne dass er eine Rast eingelegt hatte. Der Durst war übermächtig und ließ seinen Körper gegen ihn rebellieren. Jede Faser seines Leibes war erschöpft und der Schweiß rann ihm von der Stirn in die Augen. Mühsam blinzelte er, um seinen verschleierten Blick zu klären. Er erlaubte sich einen kurzen Seitenblick auf die übrigen Schüler und Anwärter der Jägergilde, die bereits ausgeschieden waren. Sie versammelten sich unter den schattigen Bäumen auf der grasbewachsenen Fläche neben dem Übungsplatz. Schweigend sahen sie zu, wie er sich abmühte.

Es wäre leicht, einfach stehenzubleiben und aufzugeben. Das kam für ihn nicht infrage. Seine Willenskraft trieb Luves dazu an, bis an seine Grenzen zu gehen und sie zu überschreiten. Zwar zählte er nicht zu den Größten oder Stärksten unter den Schülern. Aber er besaß Ehrgeiz und versuchte jeden Tag aufs Neue, diese Prüfung zu meistern. Wenn es ihm gelang, war er mit seinen zehn Jahren das jüngste Mitglied der Gilde, das jemals das Siegel erhalten hatte und so vom Schüler zum Anwärter aufstieg. Er musste seine letzten Kräfte gut aufteilen und Stärke beweisen, wenn er diese Aufgabe bewältigen wollte. Luves konzentrierte sich auf die von unzähligen Jungen ausgetretene Strecke aus rötlichem Lehmboden vor sich. Etliche Schritte vor ihm lief Reget, der mit seinen achtzehn Jahren zu den Ältesten unter den Anwärtern zählte. Er war als einziger Gegner übrig geblieben und ihn galt es zu überwinden.

Kurz bevor die Strecke einen Bogen beschrieb, hob Meister Zudu seine Hand als Zeichen, dass sie eine weitere Runde gemeistert hatten, wenn sie ihn erreichten. Reget passierte ihn und Luves biss die Zähne zusammen, als er ihm folgte. Der Ältere erreichte ein Spalier aus sechs erwachsenen Jägern, von denen jeder einen langen Holzstab bei sich trug. Der Junge ließ sich auf die Knie fallen und krabbelte zwischen ihnen hindurch. Seine Bewegungen waren schwerfällig und ungelenk durch die Erschöpfung, die auch ihn zu plagen schien. Das machte ihn zu einer leichten Zielscheibe, als die Jäger auf ihn einschlugen. Ein Hieb traf ihn am Kopf und er schrie auf, bevor er bewusstlos zu Boden sank. Damit war Luves' letzter Gegner ausgeschaltet und ein Gefühl des Triumphs stieg in ihm auf, gab ihm neue Kraft. Er brauchte nur noch die Jäger passieren und seinen Ausbilder erreichen. Der Erhalt des Siegels lag in greifbarer Nähe, wenn er nur durchhielt. Er erreichte die Gruppe und kroch auf allen vieren zwischen ihnen hindurch. Die Schläge trafen ihn hart und fuhren durch seinen ganzen Leib. Tränen verschleierten seinen Blick, den er starr auf das Ende des Durchganges gerichtet hielt. Regets regungsloser Körper versperrte ihm den Weg und er musste über ihn klettern, doch dann hatte er es geschafft.

Luves versuchte sich zu erheben, aber seine Arme und Beine verwehrten ihren Dienst. Verzweifelt und wütend zugleich schluchzte er auf. Er war seinem Ziel niemals zuvor so nahe gekommen und jetzt sollte alles umsonst gewesen sein. Dann hörte Luves die Stimme. Von den Bäumen her schrie Toge, ein Schüler, der mit ihm eine kleine Kammer teilte, seinen Namen, worauf weitere Jungen mit einstimmten. Verwirrt sah er sich um, als die Stimmen: »Lauf, Luves! Lauf!«, riefen. Taumelnd kam er hoch und setzte sich in Bewegung. Benommen stolperte er vorwärts, um das nächste Rund herum, dann auf die Gerade, wo ihn sein Meister erwartete. Der hob bereits seine Hand und blickte ihm mit steinerner Miene entgegen. Die Anwärter am Rand des Übungsplatzes erhoben sich und jubelten ihm zu, als er seine letzten Kräfte zusammennahm. Er passierte den Ausbilder, der seinen Arm senkte und die Prüfung somit als beendet erklärte.

Luves ließ sich erschöpft zu Boden sinken. Sein Herz schlug schmerzhaft in der Brust und sein Atem ging in kurzen Schüben. Er schaffte es irgendwie, sich auf den Rücken zu drehen und schloss die Augen, als die Sonnenstrahlen ihm schmerzhaft in die Augen stachen. Er drehte den Kopf zur Seite und sah, wie ein Jäger Reget einen Eimer voll Wasser über den Kopf schüttete. Der regte sich stöhnend, als er wieder zu Bewusstsein kam. Luves konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Mochte Reget ihm auch an Jahren, Kraft und Wissen überlegen sein, so hatte der Jüngere ihn mit Ehrgeiz übertreffen können. Und auch mit Glück, das musste er sich eingestehen. Die übrigen Anwärter stürmten auf den Übungsplatz, zogen ihn auf die Füße und gratulierten ihm zu seinem Sieg. Luves schwankte und eifrige Arme stützten ihn, führten ihn zum Haus der Gilde, wo er sich erholen konnte. Heute Abend würde er das Brandzeichen des Siegels der Gilde der Jäger erhalten und er würde vom Schüler zum Anwärter aufsteigen. Der Stolz auf seine Leistung und die Vorfreude über die kommende Auszeichnung ließ ihn alle Schmerzen vergessen.

Kapitel 1

Ein weißes Blatt Papier ist unschuldig und rein. Es sind die Worte, die darauf geschrieben stehen, die ihm sein Gewicht verleihen, denn schon ein kurzer Satz kann ein Leben auf ewig verändern. Doch davon ahnte der Jungmagier Luves nichts, als er die Nachricht entgegennahm, die sich auf einem unscheinbaren Stück Pergament befand, das man sorgsam gefaltet hatte. Er musterte es skeptisch, da es in der Regel nichts Gutes für einen Anwärter der Magiergilden verhieß, wenn er ein solches Schreiben erhielten. Meistens handelte es sich um den Befehl, sich bei einem der Ausbilder zu melden, um die Bestrafung für das Übertreten von einer der vielen Regeln zu erhalten. Doch er war sich keines Vergehens bewusst. Mit gerunzelter Stirn musterte er die akkurate Handschrift mit ihren harten, kantigen Zügen. Er las die Nachricht, die eher einer Notiz glich, da sie nur aus einem Satz bestand.

»Ich soll mich umgehend zum Ältestenrat der drei Gilden begeben«, sagte er halblaut zu Toge, einem Jungmagier, der ihm die Botschaft überbracht hatte. »Hat Meister Zudu eine Andeutung gemacht, warum ich bei den Veteres vorsprechen soll?«

Toge schüttelte nur den Kopf und widmete seine Aufmerksamkeit dem Treiben auf dem Platz, wo die Anwärter der Gilde der Jäger sich im Schwertkampf übten. Um sie herum klirrten die aufeinanderprallenden Klingen und in ihrem Eifer wirbelten die Kämpfenden Wolken von Staub auf, die den ganzen Platz überzogen. Doch das beeindruckte die beiden Achtzehnjährigen wenig.

Luves hielt in der einen Hand sein Schwert, in der anderen das Blatt und sah Toge an, der gelangweilt in den Staub spuckte.

»Ich sollte dir nur die Nachricht überbringen. Das war alles. Aber du scheinst sie nicht zu verstehen, obwohl sie nur aus einem einzigen, kurzen Satz besteht.«

»Wie meinst du das?« Mit dem Handrücken strich er sich das schweißnasse braune Haar aus der Stirn.

»Steht dort nicht etwas davon, dass du dich umgehend in das Hauptquartier begeben sollst? Soweit ich mich erinnere, bedeutet das, dass du dich sofort auf den Weg machen musst.«

Luves zuckte zusammen. Hastig faltete er das Papier und steckte es ein, während er zu dem Waffenmeister lief, der die Übungen überwachte. Toge beobachtete ihn grinsend, wie er umständlich erklärte, warum er den Unterricht abbrechen musste und dann in Richtung der Quartiere davoneilte.

»Wo willst du hin?«, rief er Luves nach, der sich im Laufen zu ihm herumdrehte und dabei beinahe über seine eigenen Füße stolperte. »Nach Cimala geht es in die andere Richtung!«

»Schau mich doch an«, erwiderte er und deutete auf seine verschwitzte und schmutzige Kleidung. »So, wie ich aussehe, kann ich den Ältesten nicht gegenübertreten.«

Kaum hatte Luves das Gebäude betreten, rannte er durch die Korridore zu den Quartieren, um in die Kammer, die er mit drei weiteren Schülern bewohnte, zu gelangen. Am Fußende seines schmalen Bettes stand eine abgenutzte Holztruhe. Eilig entnahm er ihr seine saubere Ersatzkleidung und zog sich um. Seine staubige Kleidung warf er achtlos auf sein Bett. Atemlos verließ er das Haus der Jägergilde, stürmte zwischen den Kämpfenden hindurch auf das Tor zu. Zu seiner Überraschung wartete Toge dort auf ihn und erklärte, dass er ihn auf einem Stück seines Weges begleiten würde.

»Du darfst dich nicht unerlaubt von diesem Gelände entfernen«, wies Luves ihn zurecht.

»Ich entferne mich nicht unerlaubt, sondern gehe in das Dorf der Kesselrührer, um mein Werkstück abzuholen. Meister Riudan hat es bewertet und entschieden, ob ich die Prüfung in der Herstellung von magischen Amuletten bestanden habe«, entgegnete Toge.

Mit einem überlegenen Grinsen sah Luves ihn an und er rollte mit den Augen.

»Ich weiß, du hast diese Prüfung schon vor Jahren abgelegt und du warst bereits ein Anwärter, als ich noch ein Schüler war. Nicht jeder erhält mit zehn Jahren das Siegel der Gilde, sondern erst mit zwölf oder dreizehn Jahren.«

Luves setzte zu einer Erwiderung an, um seinen Begleiter zurechtzuweisen, doch er schluckte sie herunter und schwieg.

Mit eiligen Schritten bewegte er sich entlang der scheinbar endlosen Karawane aus Menschen und Fuhrwerken über die staubige Landstraße. Die Bauern, Händler und Hausierer beachteten die jungen Männer nicht, die sich trotz der sommerlichen Hitze mit dunklen Wollumhängen verhüllten. Darunter waren sie ähnlich schlicht gekleidet wie die Menschen, die sie passierten. Sie trugen schmal geschnittene braune Hosen, lederne Stiefel und weiße Leinenhemden, so wie es alle Anwärter der Gilde der Jäger taten. Mit halbem Ohr lauschte Luves auf das Geschwätz der Leute, während er sich am Straßenrand an den Gespannen vorbeibewegte. Er bereute es, sich nicht alleine auf den Weg gemacht zu haben, doch er sah auch keine Möglichkeit, Toge loszuwerden.

»Ich glaube, ich weiß, warum die Veteres dich zu sich rufen«, sagte Toge plötzlich munter und riss ihn aus seinen Gedanken.

»Dann verrate mir, was der Grund sein könnte. Mir fällt nämlich keiner ein«, murmelte Luves.

»Du sollst bestimmt zu ihnen kommen, weil du ein Buch aus der Bibliothek gestohlen hast.«

»Ich habe es nicht gestohlen, sondern nur mitgenommen, weil die Studienzeit beendet war und ich das angefangene Kapitel beenden wollte.«

»Aber das ist trotzdem verboten. Erzähl mir die Geschichte, wie Meister Bukov dich dabei erwischt hat.«

»Jeder kennt sie«, entgegnete Luves barsch. »Ich habe sie dir bereits erzählt, als du wissen wolltest, warum ich als Strafarbeit alle Regale in der Bibliothek abstauben musste. Außerdem ziehen du und die anderen Schüler mich seit Wochen damit auf.«

»Aber es ist viel lustiger, wenn du sie erzählst.«

»Also schön …«, begann Luves seufzend, wohlwissend, dass sein Begleiter ihn mit dieser unleidigen Angelegenheit nicht in Frieden lassen würde. »Ich habe das Buch über Wüstenzauber unter meinem Umhang verborgen, um im Haus unserer Gilde meine Studien fortzusetzen. Kurz bevor ich den Ausgang erreichte, fing mich Meister Bukov ab, weil Sand aus dem Buch, unter meinem Umhang hindurch, unbemerkt zu Boden rieselte. Er ist der Spur gefolgt und hat mich ertappt.«

Toge brach in lautes Gelächter aus und konnte sich kaum halten.

»Das ist beinahe noch besser als damals, als du das Pergament mit den Feuerzaubern entrollt und dabei dein Hemd in Brand gesetzt hast.«

»Als ob dir noch nie ein Missgeschick unterlaufen wäre«, knurrte Luves.

»Natürlich ist es das, aber deine haben dich zu einer lebenden Legende gemacht.« Toge wischte sich die Lachtränen aus den Augen.

Aufmunternd wollte er Luves auf die Schulter klopfen, doch der schob seine Hand unwirsch beiseite und sah ihm zornig in die Augen.

»Es ist mir gleich, ob ihr euch über mich lustig macht und euch die Mäuler zerreißt. Meine Fähigkeiten in der Beherrschung der Elemente sind nicht die mächtigsten, aber ich habe nie aufgegeben und stets hart an mir gearbeitet. Was man von vielen anderen nicht behaupten kann!«

Energisch stieß Luves ihm den Zeigefinger vor die Brust. Er war es leid, das ständige Ziel des Spottes der anderen Anwärter und Schüler zu sein, die ihn für seine Wissbegierde und seinen Ehrgeiz verabscheuten. Sie ignorierten seine Erfolge und amüsierten sich über seine Fehlschläge. Toge war einer der wenigen Jungen, die sich überhaupt mit ihm abgaben. Trotzdem weigerte er sich, ihn als Freund zu bezeichnen. Zu tief hatte ihn all der Hohn über die Jahre getroffen. Er empfand nichts als Misstrauen, sobald jemand versuchte, sich ihm zu nähern. Zudem war er davon überzeugt, dass ein Magier aus der Gilde der Jäger nicht dazu bestimmt war, eine Freundesschar um sich zu sammeln. Bisher war er sehr gut alleine ohne die Unterstützung anderer zurechtgekommen, und so sollte es auch bleiben.

»Wolltest du nicht zum Dorf der Kesselrührer gehen?«, erinnerte er seinen Begleiter verstimmt an dessen Vorhaben, doch der verzog keine Miene.

»Ich gehe durch die Stadt.«

»Aber wenn du an der Stadtmauer außen entlanggehst, anstatt dich durch die Straßen zu drängen, bist du viel schneller dort.«

»Ich habe es nicht eilig. Viel lieber mache ich zuvor noch einen kleinen Abstecher und hole mir meine Belohnung ab.« Er zwinkerte Luves schelmisch zu.

»Was für eine Belohnung?«

»Das wirst du dir denken können, wenn wir dort sind.«

Rasch überholten sie die Wagenschlange und näherten sich den gewaltigen, grauen Mauern, die die Hauptstadt Cimala umschlossen. Auf den Zinnen thronten gleichmäßig verteilt riesige, von Wind und Wetter gezeichnete Statuen. Der bloße Anblick dieser befremdlich wirkenden Gestalten, mit ihren deformierten Körpern, die sowohl einem Menschen als auch einer Echse glichen, jagte Luves noch heute einen Schauer über den Rücken. Bedrohlich reckten sie den Ankömmlingen ihre Klauen entgegen und riesige Hauer ragten aus den weit aufgerissenen Mäulern. Der größte dieser stillen Wächter prangte über dem Haupttor. Mit weit ausgebreiteten Schwingen erhob er sich auf seinen Hinterläufen, den massigen Kopf zum Himmel gerichtet, das Maul wie zu einem stummen Schrei geöffnet. Diese Statuen hatte man derart detailliert gearbeitet, dass Luves glaubte, ihr kampflustiges Brüllen zu hören.

Die vor den Toren postierten Wachen kontrollierten jedes Gefährt und jeden Korb. Die mitgeführten Waren wurden von einem Zahlmeister aufgelistet, der die zu entrichtenden Steuern erhob, noch bevor die Händler in das Innere der Stadt eintreten durften. Ein Händler beschwerte sich lautstark, als die Wache, die wortlos durch das Tor trat, die jungen Männer vorbeiwinkte. Die meisten der Magier lebten nicht innerhalb der Stadtmauern, sondern außerhalb auf dem Gelände ihrer Gilden und sie waren den Soldaten vom Sehen her bekannt. Zudem konnten sie sich, wenn es erforderlich war, mittels des in die Haut eingebrannten Siegels ausweisen. Hinter der Mauer lag die Straße im Schatten und es kühlte merklich ab. Grobe Pflastersteine lösten die Landstraße aus festgefahrener Erde ab, verschmutzt vom Dung der Zugtiere und anderem Unrat. Dumpfer Gestank lag zwischen den Häusern, die sich dicht aneinanderdrängten.

Menschen und Karren schoben sich lärmend durch die enge Gasse in die Richtung des Marktplatzes. Toge riet Luves dazu, lieber einen Umweg zu nehmen, um an sein Ziel zu gelangen. Dafür mussten sie zwar einen längeren Fußweg in Kauf nehmen, aber so konnten sie das Gedränge umgehen. Sie scherten aus dem Pulk aus und wechselten in eine schmale Seitengasse. Dieses Viertel zählte zu den ärmsten und zwielichtigsten der Hauptstadt. Kein anständiger Bürger wagte sich in die Kneipen, die nicht mehr als billige, heruntergekommene Kaschemmen waren. Erst recht nicht in die Hurenhäuser, die von der Obrigkeit nur solange geduldet wurden, wie sie horrende Abgaben entrichteten. Vor einer Hauswand lag ein regloser Mann, den Luves erst für einen Haufen Lumpen hielt, so fest, wie er in seinen Mantel eingewickelt war. Erleichtert bemerkte er, dass die Gestalt sich leicht regte, als er sie passierte. Zwar hatten die Soldaten der Stadtwache ein Auge auf das Treiben in diesem Bezirk. Dennoch fand man immer wieder einen nächtlichen Zecher tot und ausgeraubt in einer Nische zwischen den Häusern. Der Mann gab ein paar unverständliche Laute von sich und versuchte unbeholfen, sich aufzusetzen. Über so viel Dummheit konnte Luves nur den Kopf schütteln. Immerhin war es kein Geheimnis, dass man diese Gegend besonders nach Einbruch der Dämmerung mied, wenn einem Leib und Leben lieb war.

Aus einem Hauseingang trat eine junge Frau, die schwungvoll einen Eimer voll schmutzigem Wasser auf der Straße ausleerte. Die jungen Magier konnten ihr gerade noch rechtzeitig ausweichen, bevor der Wasserschwall sie traf. Aus dem Haus hinter ihr schallte lautes Gelächter und Gesang heraus.

»So früh schon auf den Beinen?«, rief sie ihnen lächelnd zu. »Oder sucht ihr nur ein warmes Bett, um eure Nachtruhe fortzusetzen?«

»Da sage ich nicht nein«, entgegnete Toge heiter und klopfte Luves auf die Schulter. »Viel Glück bei den Veteres.«

Der packte ihn am Ärmel und versuchte ihn zurückzuhalten.

»Du weißt genau, dass es uns verboten ist, die Hurenhäuser aufzusuchen. Was ist, wenn man dich erwischt?«

»Wer soll mich denn dabei ertappen?«, lachte Toge. »Du hast doch selbst gesagt, den Magiern sei der Kontakt zu den Dirnen untersagt. Selbst wenn mich einer der Meister drinnen sehen sollte, schweigt er, damit er sich nicht selbst verrät.«

»Bleib hier!«

Doch der junge Mann machte sich von ihm frei und ging auf die Tür zu.

»Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss!«, rief er seinem Begleiter über die Schulter zu, dann war er im Inneren des Hauses verschwunden.

Die Dirne winkte Luves zu, es ihm gleichzutun, doch er schüttelte verlegen den Kopf.

»Für Anwärter der Gilde haben wir besonders weiche Lager. Wenn du etwas Hilfe für deine Studien benötigst, dann findest du hier geduldige Lehrerinnen, die dich gerne in ihren Künsten unterweisen, die nicht weniger zauberhaft sind als deine Fertigkeiten.«

Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu und zog ihre Bluse ein Stück herunter, so dass der Ansatz ihrer Brüste zu sehen war.

»Ein andermal vielleicht«, murmelte Luves und wich ihrem Blick aus.

Sie zog einen Schmollmund und wiegte aufreizend ihre Hüften. Der Kopf eines kleinen Mädchens lugte hinter ihren Röcken hervor und es musterte ihn neugierig. Die Kleine wischte sich mit dem Handrücken über ihre verschmierte Nase und schob ihr langes, strähniges Haar zurück.

»Schade. Dabei seid ihr alle solche hübsche Burschen und ich würde gerne eines deiner Kunststückchen sehen«, sagte die Frau. »Ihr Magier zeigt doch gerne, wie geschickt ihr mit den Fingern seid.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie sich von ihm ab und verschwand hinter Toge in dem Haus. Nur das kleine Mädchen in den zerlumpten Kleidern sah ihn erwartungsvoll an.

»Oh, bitte! Zeig mir ein kleines Kunststück«, bettelte sie.

In ihren Augen leuchtete es hoffnungsvoll und Luves schluckte schwer. Voller Unschuld sahen die Kinderaugen zu ihm auf und er brachte es nicht über sein Herz, die Kleine zu enttäuschen. Mit einem theatralischen Seufzen streckte er seine Rechte aus und ballte die Hand zur Faust.

»Mulego«, murmelte er und streckte seine Finger.

Auf seiner Handfläche tanzte eine kleine Flamme, die sich sanft windend in die Höhe schraubte, bevor sie erlosch. Entzückt schrie das Kind auf und klatschte ihm Beifall.

»Mylady, ich hoffe, Euch hat meine Vorführung zugesagt.« Luves verbeugte sich leicht vor ihr.

»Das war wundervoll! Du bist ein großer Magier.«

Kichernd deutete sie einen Knicks an.

Er ließ das Mädchen ohne ein weiteres Wort zurück. Seine Hand brannte, große Blasen bildeten sich auf der Haut. Luves zog sich die Kapuze seines Umhanges tiefer über das Gesicht, damit niemand sehen konnte, wie er vor Schmerzen die Miene verzog. Ein Ziehen und Kribbeln zog sich durch seinen ganzen Arm, als seine Kräfte die Brandwunde heilten. Die Blasen zerplatzten und die Haut schälte sich, um neue zu bilden. Als er das Ende der Gasse erreichte, bewegte er vorsichtig die Finger. Erleichtert atmete er auf, als er feststellte, dass der Schmerz verging und frische, weiche Haut seine Handfläche überzog.

Kapitel 2

Vor ihm erstreckte sich ein weitläufiger Platz und der Lärm des täglichen Marktbetriebes schlug ihm entgegen. Er schob sich zwischen den bunten Ständen durch die Menschenmenge, bis er eine freie Fläche in der Mitte des lautstarken Treibens erreichte. Mochte der Markt noch so überfüllt sein, keiner der Menschen betrat den kreisrunden Platz, der sich durch seinen Belag aus schwarzem Marmor abhob. Dies war allein den Magiern der drei Gilden vorbehalten. Luves überquerte die zehn Schritt breite Fläche und näherte sich einer quadratischen Säule, die sich haushoch aus der Mitte erhob. Er legte seine Hände auf den kalten Stein und lehnte sich mit der Stirn dagegen. Auf seiner Haut spürte er das Kribbeln und Brennen der magischen Energien der vier Elemente, die von der Säule gebündelt wurden. Angesichts der Erhabenheit der Urgewalten wurde ihm schmerzlich bewusst, wie klein und unbedeutend er war. All das Leben, das sich lärmend um ihn erhob, bewegte sich nur an der Oberfläche dieser Kräfte. Selbst ihm als Magier, würde es niemals gelingen, all diese Herrlichkeit in ihrer Gänze zu erfassen.

»Mein Dank an die Mächte, die mich erwählten, um an ihren Kräften teilzuhaben«, murmelte er eine kurze Gebetsformel. »Steht mir bei im Kampf gegen das Übel und vergebt mir meine Schwäche.«

Der Wunsch, hier zu verweilen und für seine Sünden Buße zu tun, war übermächtig. Er wollte seine Überheblichkeit gestehen, als er vor dem kleinen Mädchen seine Fähigkeiten präsentiert hatte, als ob er ein dahergelaufener Gaukler wäre. In solchen Momenten dachte er sich nichts dabei, war willkürlich und fahrlässig gewesen, doch dies war unschicklich für jemanden seines Standes. Schließlich war er kein gewöhnlicher Mensch oder wie eine der Wesenheiten, die das Land bevölkerten. Er stand als Magier über ihnen und trug eine Verantwortung, die etwas Höherem diente, nämlich dem Schutz von Aestra, der einzigen Heimat, die er kannte.

Widerwillig löste er sich von der Säule und blinzelte zum wolkenlosen Himmel hinauf. Seine Buße musste bis zum Abend warten, wenn er den Gebetsraum in der Anlage seiner Gilde aufsuchen konnte. Auf seinem Weg hatte er bereits zu viel Zeit vergeudet. Er verließ den Platz und schritt auf das der Säule gegenüberliegende Hauptquartier der Magiergilden zu. Es erhob sich über mehrere Etagen und von den oberen aus konnte man die gesamte Stadt bis über die Stadtmauern hinaus überblicken. Ein imposanter, schmuckloser Bau, der über die gesamte Hauptstadt zu wachen schien und dessen Bewohnern nichts entging, was sich in den Häusern und Gassen zutrug. Luves stieg die breite Treppe hinauf, über die er den Haupteingang erreichte. Zwei Soldaten hielten davor Wache und ließen ihn erst passieren, nachdem sie sich vergewissert hatten, dass er das Siegel der Magiergilde an sich trug. Diese Wachen waren weit weniger nachlässig als diejenigen, die am Stadttor postiert waren. Er trat durch die Türen aus massivem Holz und befand sich in einem düsteren Korridor, der von schmiedeeisernen Kerzenleuchtern erhellt wurde. Auf seinem Weg ging er an mehreren Türen und abzweigenden Gängen und Treppen vorbei, doch er wusste, wohin er sich zu wenden hatte.

Luves betrat die Halle der Versammlung. Seine Schritte hallten über den hellen, glänzenden Marmorboden und wurden von den Säulen, die den Saal zu beiden Seiten säumten, zurückgeworfen. Zwischen ihnen befanden sich große Feuerschalen, die Licht spendeten. Er hielt inne und sah sich suchend um. Offenbar war er alleine. Nur ein Windhauch wisperte durch die Öffnungen der Belüftungsschächte, die den fensterlosen Raum mit Luft versorgten. Er ging auf ein Pentagramm zu, das im hinteren Drittel mit schwarzem Stein in den Boden eingelassen war. Luves trat hindurch und spürte, wie die Luft um ihn wie in einem Wirbel in Bewegung geriet, als seine Kräfte die des Pentagramms berührten. Der magische Kreis, den das Symbol bildete, schloss sich um ihn, versiegelte seine Kräfte, so dass er sie nicht nach außen wirken konnte. Er kniete sich auf den Boden nieder und neigte den Kopf, bis seine Stirn den Stein berührte. Bewegungslos verharrte er in dieser Position und wartete ab. Seine eigenen Kräfte rebellierten gegen die Beschränkung. Übelkeit und ein Anflug von Panik stiegen in ihm auf. Die Magie schien aus seinem Körper zu fließen, um in dem Stein unter ihm zu versickern. Kalter Schweiß bildete sich in seinem Nacken und er schluckte schwer. Er konzentrierte sich auf den kühlen Marmor unter sich und ließ seine Atemzüge flacher werden. Bedächtig atmete er ein und aus, spürte die Dehnung seines Brustkorbes, die Kühle in seinem Nacken, als ein leichter Luftzug ihn streifte. Langsam beruhigte sich sein Magen. Er versuchte sich zu entspannen, soweit es in dieser Haltung überhaupt möglich war.

Um sich abzulenken, dachte er über eine Frage nach, die er bisher gemieden hatte: Warum hatte der Rat ihn hierher bestellt? Die Gründe dafür konnten vielfältig sein. Die neun Veteres bestellten immer wieder einzelne Anwärter zu sich, um sie für herausragende Leistungen zu belohnen oder sie für Verfehlungen zu bestrafen. Er selbst trieb sich nicht in den verrufenen Vierteln herum oder suchte Streit mit anderen Anwärtern. Auch seinen Ausbildern gegenüber verhielt er sich in angemessener Weise. Nie hatte er gegen sie aufbegehrt. Er war ein pflichtbewusster, fleißiger Schüler, stach jedoch nicht durch besonders ausgeprägte Fähigkeiten hervor. Seine Talente in der Beherrschung der Urgewalten blieben mittelmäßig, egal wie hart er an sich arbeitete. Er studierte die Zaubersprüche so eifrig wie kein anderer Anwärter seines Alters, doch die Kräfte, die er damit freisetzte, lernte er nur mühsam zu kontrollieren. Auch bei der Herstellung magischer Gegenstände erwies er sich als wenig geschickt. Seine Zauber pflegten sich zu verflüchtigen, noch bevor er sie an einen Gegenstand zu binden vermochte. Damit brachte er seine Ausbilder in diesen Bereichen der Magie beinahe zur Verzweiflung. Dies war schon bitter genug für ihn, vor allem, da sein Ehrgeiz seit seiner Kindheit ungebrochen war. Nur durch seine Beharrlichkeit war es ihm bisher gelungen, alle erforderlichen Prüfungen zu meistern. Wobei immer noch ein Quäntchen Glück dazugehört hatte. Luves wusste darum und dankte den Mächten bei jedem abendlichen Gebet dafür, dass sie ihm derart gnädig gestimmt waren. Eines Tages würde er einen passablen Jäger abgeben. Doch es würden sicherlich noch einige Jahre vergehen, bis man ihn in die Welt aussandte, um dort Aufträge zu erfüllen.

Das Geräusch leiser Schritte riss ihn aus seinen Gedanken. Er wollte automatisch den Kopf heben, unterließ es jedoch im letzten Moment. Er durfte sich erst aus seiner unbequemen Position erheben, wenn die Veteres ihn dazu aufforderten. Alles andere stellte eine Respektlosigkeit ihnen gegenüber dar und Luves wollte sie auf keinen Fall provozieren. Es handelte sich um mehrere Personen, zumindest glaubte er, dies anhand der unterschiedlichen Geräusche zu erahnen. Sie bewegten sich am Pentagramm vorbei und schienen sich vor ihm aufzustellen.

»Wir grüßen dich, Anwärter Luves«, hörte er einen der Ältesten sagen.

»Seid gegrüßt, ehrenwerte Veteres«, erwiderte er die Begrüßungsfloskel.

»Möge die Urgewalt der Elemente dir stets dienlich sein, Anwärter Luves.«

»Möge die Urgewalt stets an der Seite der ehrenwerten Veteres sein und unser Land beschützen.«

Die Tatsache, dass er die Stimmen der Ratsmitglieder hörte, aber nicht sah, um wen es sich dabei handelte, gab der Szenerie etwas Unwirkliches. Ihm war unwohl dabei, dass die Magier auf ihn herabblickten. Sie beobachteten jede seiner Regungen, während er nicht einmal die Säume ihrer Umhänge erkennen konnte.

»Dein Ausbilder, Meister Zudu, hat uns über deine Fortschritte informiert«, erklang eine zweite Stimme. »Du zeichnest dich durch Ehrgeiz, Folgsamkeit und Wissbegierde aus, obwohl der Umfang deiner Talente zu wünschen übrig lässt.«

»Ich bemühe mich nach Kräften …«, versuchte er sich zu verteidigen.

»Schweig!«, donnerte eine weitere Stimme über ihn hinweg und Luves zuckte erschrocken zusammen.

Hektisch schnappte er nach Luft und ein kalter Schauer rann über seinen Rücken. Die Energien innerhalb des Kreises luden sich auf, knisterten statisch. Er wagte es nicht, sich zu rühren, aus Furcht davor, von einer Entladung getroffen zu werden.

»Trotz deiner offensichtlichen Defizite ist der Rat der neun Veteres mit deiner Entwicklung zufrieden«, sprach der Magier, der zuerst gesprochen hatte.

Erleichtert atmete Luves auf und die Spannung in der Luft ließ merklich nach.

»Erhebe dich!«, wies ihn derjenige an, dessen Stimme ihn erschreckt hatte.

Umständlich richtete sich Luves auf, denn seine Glieder waren durch die unbequeme Haltung steif geworden. Vor ihm standen drei Mitglieder des Rates, somit ein Vertreter jeder einzelnen Gilde. Er vermied es, sie direkt anzusehen und heftete seinen Blick auf einen imaginären Punkt in der Luft knapp über ihren Köpfen.

»Sag uns, welche die oberste Aufgabe der Jäger ist.«

»Der Schutz von Aestra, seinen Bewohnern und der Magiergilden.«

»Welche ist deine Aufgabe als Anwärter?«

»Zu lernen und zu gehorchen.«

Die Veteres schwiegen und Luves befürchtete, die falsche Antwort gegeben zu haben, obwohl er diese Floskel bereits vor Jahren als Schüler gelernt hatte. Fieberhaft überlegte er, wie er die Situation noch retten konnte. Vor Aufregung zitterten ihm die Knie. Seine Kehle war wie ausgetrocknet. Gerade wollte er das Wort ergreifen, da kam ihm einer der Ältesten zuvor.

»Wir haben beschlossen, dir deinen ersten Auftrag zu erteilen. Erfülle ihn und du wirst als Jäger in die Gilde aufgenommen.«

Luves stockte der Atem und ein leichter Schwindel breitete sich in seinem Kopf aus. Er war erst achtzehn Jahre alt und sollte bereits die letzte Prüfung ablegen, die ihn davon trennte, ein vollwertiges Mitglied seiner Gilde zu werden. Normalerweise geschah dies nicht vor dem zwanzigsten Lebensjahr.

»Du wirst Meister Friebert begleiten, um ihm zu helfen, einen Faun aufzuspüren. Dieser hält sich nahe einem Dorf in der Ebene der Sommerfelder auf und geht dort seinen schändlichen Taten nach. Fangt diese Kreatur und bringt sie nach Cimala, damit ihr der Prozess gemacht werden kann. Seid ihr erfolgreich, hast du deine letzte Prüfung bestanden und die Bewohner dieses Landes vor einer großen Gefahr bewahrt«, fuhr der erste Sprecher fort. »Meister Friebert wird dir genaue Instruktionen erteilen.«

Mit einer Handbewegung deutete er auf einen weiteren Mann, der sich außerhalb von Luves' Sichtfeld befand, so dass er sich umwenden musste. Unter der dunklen Kapuze der großen Gestalt war lediglich die verbissene Miene und seine markante Hakennase zu erkennen. Mit unverhohlenem Missfallen sah der Magier ihn schweigend an und Luves nickte ihm zaghaft zu. Erneut zog sich sein Magen schmerzhaft zusammen und Unbehagen breitete sich in ihm aus.

Meister Friebert war ihm als ein langjähriges Mitglied seiner Gilde bekannt und man sagte ihm nach, ein unerbittlicher Jäger zu sein. Er war gewieft, überaus bewandert in der Anwendung von Zaubersprüchen und gefürchtet im Schwertkampf. Einen besseren Lehrer hätte Luves sich für seine erste Mission nicht wünschen können, wenn Friebert nicht ein mürrischer, wortkarger Einzelgänger gewesen wäre. Er begegnete den Schülern und Anwärtern der Gilde nur mit Abneigung und einem Spott, der ätzender Säure glich. Für seine Mission hätte Luves sich einen angenehmeren Begleiter gewünscht. Er schluckte schwer, bei der Aussicht mehrere Tage auf den Meister angewiesen zu sein.

»Beweg dich. Wir haben viel zu erledigen«, knurrte Friebert mürrisch.

Luves nickte zaghaft und wandte sich den Veteres zu. Mit einer Geste entließen sie ihn. Er verneigte sich respektvoll vor den Mitgliedern des Rates. Gerade wollte er sich umwenden, als ihn einer der drei ansprach.

»Ich weiß, dass du ein vielversprechender Jungmagier bist, Luves«, sagte der Älteste und lächelte ihm milde zu. »Enttäusche uns nicht.«

»Ich werde mich nach besten Kräften bemühen, der Gilde der Jäger gerecht zu werden und Meister Friebert zu unterstützen«, sagte er hastig, doch sein Herz machte einen Sprung vor Freude über das kleine Lob.

»Du wirst dich nicht bemühen, sondern siegreich sein«, korrigierte der Vetere ihn. »Folge schnell deinem Meister, ansonsten hängt er dich bereits ab, noch bevor eure Reise begonnen hat.«

Luves fuhr erschrocken herum. Meister Friebert entfernte sich bereits von ihm, hatte knapp die Hälfte der Halle durchschritten, ohne dass er auch nur einen Laut seiner Schritte gehört hatte. Erneut verbeugte er sich eilig vor den Veteres und eilte Friebert nach.

Unbeirrt schritt der voran, ohne Anstalten zu machen, auf seinen Schützling und zukünftigen Begleiter zu warten.

»Du gehst in die Bibliothek zu Meister Bukov«, sagte der Meister über seine Schulter hinweg. »Sieh dir die Landkarte von den Sommerfeldern genau an und überlege, welche Zaubersprüche du auffrischen solltest. Danach begibst du dich in die Siedlung der Kesselrührer. Meister Riudan wird dir einige Schutzamulette geben, die deinen dürren Arsch retten sollen, falls dir Gefahr droht. In der Zwischenzeit werde ich dir ein Pferd aus den Stallungen zuweisen lassen und dem Quartiermeister Bescheid darüber geben, welche Ausrüstung du benötigst. Wir brechen im Morgengrauen auf und wage es ja nicht, Zeit mit irgendwelchen Dummheiten zu vergeuden.«

»Welche Art von Zauber werde ich benötigen?«, fragte Luves kleinlaut.

Abrupt blieb Friebert stehen und drehte sich zu ihm um. Kaltherzig musterte er den jungen Magier, der beinahe ängstlich zu ihm aufsah.

»Wie war noch einmal dein Name?«

»Luves.«

»Hör gut zu, Luves, oder wie immer du auch heißen magst, denn ich werde es nur einmal sagen: Unsere Mission ist kein Spaziergang. Wir jagen eines der geächteten Wesen und führen es seinem gerechten Schicksal zu. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass mir deine Gesellschaft angenehm wäre. Einen Schüler am Hals zu haben, ist mir mehr als lästig, dessen solltest du dir stets bewusst sein. Wenn wir in Gefahr geraten, werde ich dir nicht helfen. Du musst zusehen, wie du alleine zurechtkommst. Wenn dir dein Leben lieb ist, bereite dich bestmöglich auf deine Aufgabe vor.«

»Ich bin ein Anwärter und kein Schüler«, wagte Luves tapfer einzuwenden und erhob beinahe trotzig den Kopf.

»Solange du nicht das Siegel eines Jägers trägst, bist du für mich nur ein rotznäsiger Schüler. Erweise dir selbst einen Gefallen und geh mir so wenig auf die Nerven wie nur irgend möglich. Jetzt tu endlich, was ich dir gesagt habe! Schwing deinen Hintern in die Bibliothek, bevor ich mich vergesse.«

Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, verließ Meister Friebert den Korridor und schritt durch das Portal. Die Wachen, die ihr Gespräch ungewollt mitgehört hatten, warfen dem jungen Magier verstohlene Blicke zu. Luves stand da wie erstarrt, gefangen in kaltem Unbehagen.

Unbewusst zog er seinen Umhang fester um sich zusammen. Er sollte von Freude und Aufregung über die Mission erfüllt sein, die man ihm aufgetragen hatte. Stattdessen fühlte er sich niedergeschlagen und kraftlos.

»Du hast gehört, was dein Meister gesagt hat«, blaffte ihn einer der Wachposten an und der andere grinste hämisch.

Erschrocken zuckte Luves zusammen und sah die Männer finster an.

»Kümmert euch lieber um eure eigenen Angelegenheiten!«, wies er sie streng zurecht. »Sonst melde ich euch bei eurem Vorgesetzten.«

Einfache Soldaten, wie sie es waren, hatten einem Magier respektvoll zu begegnen, selbst wenn er ein Anwärter war. Wenn nicht einmal diese Männer ihn achteten, wie sollte er dann gegen Meister Friebert bestehen können? Er konnte nur hoffen, dass sie ihren Auftrag rasch erfüllen würden und er so schnell wie nur irgend möglich nach Cimala zurückkehren konnte. Er atmete tief durch und straffte seinen Rücken. Mit stolz erhobenem Haupt schritt er an den Soldaten vorbei und wandte sich in die Richtung des Marktplatzes.

Kapitel 3

Luves zog die Kapuze seines Umhanges tief über das Gesicht, als er den Hauptsitz der Gilde verließ und sich zur Bibliothek aufmachte. Die Veteres setzten offenbar großes Vertrauen in ihn und seine Fähigkeiten, indem sie ihm die Möglichkeit boten, sich bereits in seinem jungem Alter zu bewähren. Trotzdem war die Jagd auf einen Faun nicht sein größter Traum. Diese Gattung stellte im Grunde rein körperlich keine nennenswerte Bedrohung dar und galt somit als recht harmloser Gegner. Er hätte sich eine schwierigere Aufgabe gewünscht, etwas, was eine Prüfung seiner physischen Kräfte und seiner magischen Fähigkeiten darstellte. Doch er musste sich wohl oder übel damit zufriedengeben. Die eigentliche Herausforderung war eher sein Begleiter, dessen Anweisungen er blind Folge leisten musste, und das bereitete ihm das wahre Grauen. Als Anwärter galt er für den erfahrenen Jäger nur als minderwertig. Er war ein lästiges Anhängsel und Meister Friebert würde ihn seinen Unmut darüber spüren lassen. Sicherlich würde der Magier keine Gelegenheit auslassen, um ihn zu schikanieren, vielleicht sogar zu demütigen.

Bis zu den Sommerfeldern würden sie zu Pferd etwa drei Tage brauchen und dann mussten sie dort nach dem Faun suchen. Selbst wenn der ungefähre Aufenthaltsort des Wesens bekannt war, hieß es nicht, dass sie ihn dort auch tatsächlich antreffen würden. Faune streiften durch die Lande, ohne einen festen Wohnort zu haben. Sie mussten sich beeilen, wenn sie die Kreatur rasch auftreiben wollten. Ein schneller Erfolg würde das Vertrauen der Veteres in ihn festigen und sie wohlwollend ihm gegenüber stimmen. Ihm war mulmig zumute bei dem Gedanken, dass der Erfolg seiner Mission davon abhing, ob er in der Vergangenheit alle erforderlichen Zaubersprüche gelernt hatte. Würde er sich außerhalb der Stadt behaupten können? Seit seinem fünften Lebensjahr hatte er Cimala nicht verlassen und davor war er als Sohn einer armen Bauernfamilie aufgewachsen. An den Namen seines Heimatdorfes konnte er sich nicht mehr erinnern. Der Weg in die Hauptstadt des Landes war die längste Reise gewesen, die er in seinem ganzen Leben unternommen hatte. Er hoffte darauf, dass er von den Meistern, die er vor seinem Aufbruch aufsuchen musste, zumindest Hinweise bekommen würde, was ihn erwartete. Es behagte ihm nicht, sich vielleicht wochenlang über die Landstraßen zu bewegen, ohne zu wissen, welche Gefahren dort auf ihn lauern mochten.

Tief in Gedanken versunken, überquerte er den Platz und näherte sich der Bibliothek, die nur den Magiern der Gilden zugänglich war. Das Gebäude aus grauem, vom Regen verwaschenem Stein war wesentlich kleiner als das Hauptquartier, doch es war groß genug, um die Schmalseite des Platzes einzunehmen. Über den davor aufgereihten Marktständen erhoben sich die schmalen, spitz zulaufenden Fenster in den Außenmauern. Luves schob sich zwischen den Menschen hindurch auf das Eingangstor zu, vor dem ebenfalls Wachen postiert waren. Als häufiger Besucher des Hauses war er ihnen bekannt und sie ließen ihn passieren, ohne nach seinem Anliegen zu fragen. Er trat durch das Portal und befand sich in einem Labyrinth aus Regalen. Dort lagerte das gesammelte Wissen der Magier, wurde seit Jahrtausenden an diesem Ort festgehalten und archiviert. Die Luft roch muffig und abgestanden, nach altem Leder, Staub und Tinte. Es herrschte eine dumpfe Stille, in der man nur leise ein Rascheln zwischen den Regalen hörte, wenn jemand eine Seite umblätterte. Meister Bukov und alle Magier, die in dieser Bibliothek tätig waren, achteten darauf, dass es ruhig blieb und die Schüler und Anwärter nicht lauthals schwatzten oder Unfug trieben. Im Gegensatz zu vielen seiner Mitschülern liebte Luves die strengen Regeln, die an diesem Ort herrschten. Die Studienzeit stellte für ihn die angenehmsten Stunden des Tages dar. Eingehüllt in die Stille konnte man den Geist ruhen und die Gedanken schweifen lassen und die Magie auf eine angenehme Weise erfahren und spüren. Einen Zauber auszuüben, stellte sicherlich eine großartige Erfahrung dar, in ihrer urtümlichen Kraft, mitunter sogar Gewalt. Doch hier glichen die Zauber eher einem sanften Fließen. Gefangen zwischen Buchseiten, mittels Schrift und Tinte auf Papier gebändigt, warteten sie darauf, von den jungen Magiern entdeckt zu werden. Im Vorbeigehen strich er über einige Buchrücken und spürte die Energie der darin enthaltenen Zaubersprüche, Flüche und Beschwörungen.

Neben ihm erklang aus einem der Regale das leise, kaum hörbare Summen der Flüche der Sirenen und lud ihn ein zu verweilen. Luves strich sachte und liebevoll über das meergrüne Leder des Buches und das Geräusch verstummte. So sehr er es auch bedauerte, aber jetzt fehlte ihm die Zeit, um ihnen zu lauschen und die magischen Formeln zu studieren. Er war auf der Suche nach Meister Bukov, der sich irgendwo zwischen den Regalen auf einem der drei Stockwerke aufhalten musste. Unter den Jungmagiern kursierte das scherzhafte Gerücht, dass die Bibliothek von Cimala seit der Erschaffung der Welt existierte und der Meister sich seitdem darin aufhielt. Luves beteiligte sich nicht an diesem Spott, denn er schätzte den alten Magier, mochte er den Jüngeren auch griesgrämig und streng gegenübertreten. Solange man sich an dessen Regeln hielt und die umfangreiche Sammlung an Büchern und Pergamenten mit Sorgfalt und Respekt behandelte, kam man gut mit ihm zurecht. Darum sorgte er auch dafür, dass Luves als Bestrafung in der Bibliothek arbeiten musste, anstatt über Wochen die Latrinen reinigen zu müssen.

Suchend blickte Luves in die vielzähligen, versteckten Winkel, wo sich Tische und Stühle befanden, damit die Magier dort ihren Studien nachgehen konnten. Doch soweit er feststellen konnte, war nur einer der Tische belegt. Ein Schüler brütete dort über einem der Bücher mit Zaubersprüchen. Links und rechts von ihm stapelten sich weitere Bände und Folianten. Luves erkannte ihn sogleich, denn er teilte sich mit ihm und zwei weiteren Schülern eine Kammer.

»Kilian«, sprach Luves ihn an, worauf der Vierzehnjährige erschrocken zusammenzuckte.

»Was machst du hier? Musst du nicht an den Übungen für den Schwertkampf teilnehmen?«

Verlegen blickte Kilian auf die aufgeschlagenen Seiten vor sich.

»Meister Zudu hat mich davon freigestellt«, sagte er leise. »Ich soll für die Prüfungen zum Anwärter lernen.«

Luves sah ihn erstaunt an. Er selbst hatte es in den dreizehn Jahren seiner eigenen Ausbildung nie erlebt, dass man Prüfungen angekündigt oder gezielt dafür gelernt hatte. Im Grunde mussten die Schüler und Anwärter an jedem Tag ihr Können beweisen und zeigen, dass sie den hohen Erwartungen gerecht wurden. Der Ehrgeiz und das Verlangen der Schüler sollte damit geweckt werden, die Mitstreiter zu übertrumpfen. Er selbst hatte diesen Ansporn nie gebraucht, da er sich hohe Ziele steckte und an jedem Tag hart daran arbeitete, um sie schnellstmöglich zu erreichen.

Er nahm eines der Bücher zur Hand und musterte den staubigen Einband aus grauem Leder. In silbernen Lettern hatte man auf dem Buchdeckel den Schriftzug »Schnee & Eis« eingeprägt. Wahllos schlug er eine Seite auf und eine kalte, weißliche Dampfwolke stieg von dem alten Pergament auf.

»Sollst du all das hier lernen?«, fragte er verwundert und deutete auf die restlichen Bücher.

Kilian nickte zaghaft. Eine verlegene Röte zog sich über seine Wangen. Luves legte das Buch zurück an seinen Platz. Es war allgemein bekannt, dass der Junge nicht zu den ehrgeizigsten Schülern seines Jahrgangs gehörte. Er war eher zaghaft und schüchtern im Umgang mit anderen, wählte seine Zauber allzu bedächtig aus und war zögerlich in ihrer Anwendung. Dabei verfügte er über ein Potential, um das ihn seine Mitschüler beneideten. Er verstand es nur nicht, es zu nutzen. Aber dass es derart schlimm um sein Können bestellt war, hatte Luves nicht geahnt. Kilian hatte bisher keine der Prüfungen bewältigt, um das Siegel zu erhalten und zu den Anwärtern aufzusteigen. Allmählich lachten selbst die weitaus jüngeren Schüler über ihn, weil er immer noch zu ihnen zählte. Nur wenigen schenkte Kilian sein Vertrauen und Luves war einer von ihnen.

Er lugte über die Schulter des Jungen auf das brüchige Pergament des Buches.

»Die Winterzauber gehören zu den einfachsten Elementarzaubern überhaupt. Schau her.« Luves wartete, bis Kilian sich zu ihm umgewandt hatte, dann legte er seine Hände so zusammen, dass sie einen Hohlraum bildeten.

»Alji Frialitas«, murmelte er und pustete kräftig in seine Hände.

Sein Atem wurde zu eisig kaltem Dampf, wie im tiefsten Winter. Winzige Schneeflocken stoben von seinen Handflächen auf und wirbelten glitzernd durch die Luft. Sie schmolzen in der Sommerhitze und fielen als Wassertropfen auf seine Finger.

»Ich werde niemals ein großer Magier werden, so wie du einer bist«, seufzte Kilian und ließ die Schultern hängen. »Bei dir sieht es so selbstverständlich aus, wenn du die Zauber anwendest. Es scheint dich gar keine Kraft zu kosten.«

»Da täuschst du dich.« Ermutigend klopfte Luves ihm mit seiner fast erfrorenen Hand auf die Schulter. »Es ist alles eine Frage der Übung. Nur mit Studien ist es nicht getan. Du musst die magischen Formeln auch ausführen, wenn du ein großer Magier sein möchtest. Wenn du nur wolltest, wärst du noch zu weitaus mehr fähig und das weißt du auch.«

Kilian schlug ein weiteres Buch auf und die Buchstaben erhoben sich in einem Wirbel von den Seiten. Vorsichtig drückte der Junge die Lettern zurück auf das Papier und der Wirbelsturm beruhigte sich, indem die Buchstaben sich wieder auf die Zeilen legten.

»Wer will ein großer Magier sein? Etwa Luves?«, ertönte eine spöttische Stimme hinter ihnen. »Kilian, lass dich nicht davon täuschen, dass er in erster Linie lediglich Glück hatte.«