Luxusweibchen - Pitigrilli - E-Book

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Pitigrilli

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Beschreibung

«Alle Frauen sind wertlos, außer unserer Mutter und der Frau, die wir im Augenblick lieben.» Scharfzüngig und ironisch skizziert der Autor die Heldinnen seines Buches, «die, wenn sie allein sind, lieber kilometerlange Wege zu Fuß zurücklegen, um die zwanzig Centesimi für die Trambahn zu sparen, und die – sobald sie mit einem Mann zusammen sind – ein Auto verlangen, um über den Damm zu kommen». 

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Pitigrilli

Luxusweibchen

Ihr Verlagsname

Bearbeitete Ausgabe der Übersetzung aus dem Italienischen von Maria Gagliardi

Über dieses Buch

«Alle Frauen sind wertlos, außer unserer Mutter und der Frau, die wir im Augenblick lieben.» Unverwechselbar scharfzüngig und ironisch skizziert der Autor die Heldinnen seines Buches, «die, wenn sie allein sind, lieber kilometerlange Wege zu Fuß zurücklegen, um die zwanzig Centesimi für die Trambahn zu sparen, und die – sobald sie mit einem Mann zusammen sind – ein Auto verlangen, um über den Damm zu kommen». Verblüffend, wie Pitigrillis böse Humoresken, in den zwanziger Jahren entstanden, treffsicher auch heutige Edelgeschöpfe porträtieren.

Über Pitigrilli

PITIGRILLI, eigentlich Dino Segre, wurde 1893 in Turin geboren, wo er auch 1975 starb. Der promovierte Rechtswissenschaftler arbeitete als Redakteur für verschiedene Zeitungen. Bevor er 1940 Lina Furlan heiratete, Italiens erste Rechtsanwältin an einem Schwurgericht, galt Pitigrilli als Salonlöwe. Die zwanziger Jahre verbrachte er als Zeitungskorrespondent in Paris, wo auch seine ersten, heftig diskutierten Bücher entstanden. Als 1939 auch in Italien die Rassengesetze in Kraft traten, musste er auswandern, zunächst in die Schweiz, dann nach Argentinien.

Inhaltsübersicht

VorredeEin FreundschaftsdienstDas MutteraugeRumänenzauberDas StotternDer Hut auf dem BettDie homöopathische KurWhisky und SodaDie SelbstmordtascheLäuterungJunge MädchenDas Bettlaken

Vorrede

Eines Abends saß in einer Stadt am Meer Pitigrilli am Roulettetisch und verlor. Beim Kommen und Gehen des Spielerpublikums, das bald aufstand, bald Platz nahm, Banknoten und Spielmarken wechseln ließ, sah er die Gattin eines Karikaturisten sich dem Ausgang zuwenden.

Pitigrilli machte eine brutale Bemerkung, mit der er auf synthetischem Wege die ganze Funktion der Gattin zum Ausdruck brachte.

Ein Feind der Literatur, der Rhetorik, der traditionellen Verlogenheit, führte er alle Dinge auf ihre Wesenheit zurück. Von sich selbst sprechend, führte er das religiöse Problem auf die einfachsten Elemente zurück, indem er auf einer halben Seite die Argumentationen überzeugend zusammenfaßte, die, erweitert, in die Länge gezerrt und wortreicher gestaltet, keineswegs überzeugender hätten wirken können:

«Ich habe keinen Glauben», sagte er, «und fühle, älter werdend, das unabweisbare Bedürfnis zu glauben. Aber es ist ein unfruchtbarer Wunsch.

Einmal sagte mir ein Ordensbruder mit großem Bart und langen Haaren, indem er mit seinen Ärmeln in einer weit ausholenden hierarchischen Geste einige Kubikmeter Luft in Bewegung setzte, mit gewichtiger Stimme: ‹Ich weiß, daß es einen Gott gibt. Ich sage Ihnen, Gott existiert.›

Ich war erschüttert. In seiner ehrwürdigen Erscheinung lag eine überzeugende Sicherheit. Lange Zeit blieb ich unter dem Eindruck dieser magnetisierenden Worte.

Aber eines Tages stellte ich mir denselben Mönch vor, gekleidet in einen Herbstüberzieher, sorgfältig frisiert, sauber rasiert mit Schnurrbart nach amerikanischer Art.

Und seine Worte beeinflußten mich nicht mehr.

Was mir Eindruck gemacht hatte, war der Bart.

Und auf diese Weise habe ich mir den Zauber der alten Kirchen erklärt, der im Altsein besteht, in den wurmstichigen und muffig riechenden Lesepulten und Altären und in den Gräbern mit unentzifferbaren Grabschriften. Die neuen Kirchen, die frisch erbauten, besitzen keine Anziehungskraft, und sie müssen lange warten, bevor sie sich eine solide und anhängliche Kundschaft zulegen können.

Dann habe ich den Glauben in den biologischen und naturgeschichtlichen Wissenschaften gesucht. Aber die Wissenschaft hat die Macht, den Glauben zu stärken in dem, der empfänglich dafür ist, und ihn zu töten in dem, der für den Atheismus empfänglich ist. Ist man prädisponiert, an Gott zu glauben, so findet man in jeder Sache die Zeichen seines hohen Geistes. Ein mystizierender Wursthändler würde sagen: ‹Wie groß ist der liebe Gott gewesen! Indem er die Schweine erschaffen für die Füllung der Würste, hat er auch daran gedacht, sie mit Därmen zu versehen für die Wursthüllen.›

Vielleicht wird es mir in der rein ästhetischen, abgetönten, äußeren Betrachtung der Natur gelingen, an etwas weniger Brutales (aber sicher weniger Schönes) als die Materie zu glauben. Meine Bescheidenheit gestattet mir, drei jugendliche Verse hierherzusetzen, die mir gefallen und in denen ich meinen Gedanken gut zum Ausdruck gebracht habe:

O blauer Himmel, o Meer von Heliotrop,

in euch finde ich vielleicht jenen Gott,

den ich eines Tages verlor unter dem Mikroskop!»

***

In einer scherzhaften Autobiographie, zu der Pitigrilli von einer Zeitschrift aufgefordert worden war, faßte er seine Persönlichkeit und sein Leben folgendermaßen zusammen:

«Eine Autobiographie schreiben heißt soviel wie dem Publikum unsere intimsten Wäschestücke zeigen. Ich werde es tun, obwohl ich der Meinung bin, daß dies niemals eine aufrichtige Tat ist, weil man für diese Gelegenheit saubere Wäsche anlegt.

Ich kann nur das erste Kapitel schreiben, da ich das zweite erst erleben muß.

Alter: 26 Jahre

Statur: 1,75 m

Gesichtsfarbe: rosig

Gestalt: schlank

Zähne: gesund

Nase: regelmäßig

Kinn: desgleichen

Mund: desgleichen

Besondere Kennzeichen: habe keine

Mein Strafregister: unbestraft

Vollendete Studien: Universität, wo ich auch in irgendeinem Fach promoviert haben muß

Bei Kriegsbeginn wurde ich geimpft.

Kragenweite: Nr. 37

Ich bin noch nicht syphilitisch.

Schädelbildung: Längendurchmesser 31 cm, Breitendurchmesser 31 cm. Ich bin also ein Quadratschädel. Ein blonder Quadratschädel.

Soweit die Anthropologie.

Bis 2 Jahre uninteressant

Mit 4 Jahren: Typhus

Mit 12 Jahren: mannbar

Mit 13: erste Zigarette; Erbrechen; letzte Zigarette

Mit 19: perverse Liebe zu einer Frau mit Brille. Es gibt nichts Groteskeres, als eine nackte Frau mit Brille. Dieser schaudererregende Anblick hatte großen Einfluß auf mein Leben, wie gewisse als Knabe empfundene Schrecknisse.

Mit 20: Liebe zu einer Frau, die mich nicht liebte.

Mit 21: Die Frau liebte mich noch immer nicht.

Mit 22: noch immer nicht, aber gegen Ende des Jahres entschloß sie sich.

Mit 23, 24, 25, 26: stürmische Liebe für dieselbe Frau. Ich bin ein Musterbeispiel der Beständigkeit und Treue, würde verewigt werden, wenigstens in einem Operettentext oder in einem parfümierten Taschenkalender.

Ich bin rachsüchtig wie die Rothäute, ich habe das rachgierige Gedächtnis der Elefanten.

Ich habe lange in Turin gelebt, der Stadt der Türme und der Dummköpfe.

Ich habe einige unwerte, unmoralische kleine Machwerke veröffentlicht, die viel Beifall bei den Angekränkelten fanden.

Ich habe eine Charakteristik einer Dichterin geschrieben, um zu beweisen, daß das, was man über unsere Beziehungen flüsterte, falsch ist. Es kann mir aber nicht gelungen sein, denn was man erst flüsterte, schreit man jetzt über die Dächer.

Auf meinem Passivum stehen einige Verse. Verse sind eine Sache, die niemand liest, die aber alle schreiben.

In allen hervorragenden italienischen Zeitschriften habe ich Artikel publiziert. Einige sind nicht abscheulich.

Häufig war ich im Begriff, Bücher von 400 Seiten herauszugeben. Aber ich besitze die Gabe jenes wohltätigen geistigen Abzugsgrabens, den man Selbstkritik nennt.

Meine Verse erscheinen in der Zeitschrift Die Frau, ein intellektuelles Blatt. Aber das hat nichts zu sagen! Ich habe auch für Die Nummer, eine humoristische Turiner Halbmonatsschrift, geschrieben. Und was das Schlimmste ist, ich habe die Gewissenlosigkeit gehabt, zu unterzeichnen. Eine üble Angewohnheit noch aus der Knabenzeit.

In Turin habe ich immer allen gesagt, was ich dachte, und mir damit ein Wanzennest von Feinden geschaffen, das mir die Pforten des Turiner Journalismus verschloß. Ein Nicht-Turiner Direktor – Itala Minunni – war es, der sie mir öffnete.

Eine Mailänder Zeitung nahm gastlich eine größere Anzahl meiner Schmähungen gegen die Mitbürger auf, die mir eine neue Schar von Feinden einbrachten, sie rächten sich damit, daß sie versuchten, mir einen Ruf als Päderast, als Zuhälter und als Liebhaber meiner Schwester zu machen …

In Rom lernte ich einen vulkanischen, erfolgreichen, dynamischen Journalisten kennen, der mich zu sich in die Redaktion des Epoca nahm und mich dadurch in einem Jahr die Karriere des Journalismus durchlaufen ließ, die man in Turin nicht in dreißig Jahren kennenlernt.

Ich kann nicht italienisch schreiben, denn wir Norditaliener müssen das lernen, wie man eine fremde Sprache lernt.

In Paris spreche ich französisch. Ich muß einen ausgezeichneten Akzent haben, denn niemand merkt, daß ich Italiener bin. Ich glaube, man hält mich für einen Moldau-Slowaken.

Ich verstehe nichts von Politik. Zuweilen lese ich den Leitartikel meiner Zeitung, um zu wissen, wie mein Direktor darüber denkt und welches dementsprechend meine aufrichtige und spontane politische Überzeugung sein muß.

Meine Unempfindlichkeit für die äußere und die innere Politik ist die beste Garantie für ein ungetrübtes Urteil. Als Sonderkorrespondent zur Wahlberichterstattung nach Neapel geschickt, habe ich fünfundzwanzig Artikel geschrieben, ohne etwas davon zu verstehen. Eben damals begann ich an ein Unterbewußtsein zu glauben. Aber mit Sport mußte ich mich beschäftigen, obschon ich das Pferd nicht vom Jockey, den Radler nicht vom Fahrrad unterscheiden kann. Und ich rühme mich dessen.

Beinahe hätte ich eine Wochenschrift zugrunde gerichtet durch einen Artikel gegen den Egoismus der Alten. Die alten Leute erfreuten sich in unserer Heimat einer guten Presse. Und mein Artikel wirkte so alarmierend, daß viele das Abonnement aufgaben, und andere begnügten sich mit schriftlichen Injurien, für den Direktor und mich gemeinsam bestimmt.

Mir gefallen die keck hingeworfenen Skizzen. Ich verabscheue die Literatur, wo die Leute in Hemdsärmeln den Gemüsegarten begießen, Karten spielen, sich die Nase mit den Fingern schneuzen, wo die Frauen ‹Mütterchen Rosa› heißen und die Männer ‹Gevatter Tonio›. Ich lese nur Romane und Novellen, in denen die Männer seidene Hemden tragen und die Frauen jeden Morgen ein Bad nehmen.

Ich bin Vegetarier, aber wenn ich Gäste habe, esse ich Fleisch, um nicht wie ein Poseur zu wirken. Und da ich nicht daran gewöhnt bin, so esse ich auch welches, wenn ich allein bin, um mich zu gewöhnen.

Ich trinke keinen Alkohol. Ich glaube, daß nur wenige Alkohol trinken. Weißwein und Liköre, ja.

Ich liebe die Hunde, und in jeder Novelle lasse ich einen auftreten, wie Veronese auf seinen Bildern. (Auch in meinen Vergleichen bin ich bescheiden.)

Ich halte die Feder zwischen dem Zeigefinger und Mittelfinger wie alle intellektuellen Friseure, aber ich habe mich noch nicht vor meinem Schreibtisch fotografieren lassen, mit dem Bücherschrank im Hintergrund und vor meinen inspirierten Augen eine welkende Rose.

Ich habe kein Motto, das ich auf mein Briefpapier drucken lassen könnte, aber wenn ich eines wählen müßte, so würde ich mir Yang-biüs zu eigen machen: ‹Wenn du mit einem deiner Haare das Weltall retten könntest, gib es nicht her!›

Keine Frau hat sich je meinetwegen die Pulsadern durchgeschnitten. Ich habe kein phantastisches Glück bei den Frauen, da ich niemals weiß, was ich zur Richtschnur zu nehmen habe. Begehrst du sie, so sagen sie, du seiest vulgär wie all die anderen Männer, begehrst du sie nicht, so sagen sie, du bist impotent.

Ich beneide niemanden. Das einzige, was ich beneidenswert finde, ist physische Kraft.

Geld verdient man, oder man stiehlt es.

Berühmtheit erlangt man durch Bluff.

Aber die Kraft muß man als eine Gabe der Natur empfangen, wie den Buckel oder den Kretinismus. Ich möchte stark sein, um fünfundsiebzig von hundert meiner Nächsten eins in die Fresse zu geben.

Ich habe viele Jungfrauen in meiner Gewalt gehabt, aber ich habe allen ohne Blutvergießen freien Abzug gewährt.

Ich suche keine Gattin.

Kinder habe ich nicht. Und ich leide darunter. Ich möchte, daß eine Frau mir ein Kind schenkte und dann fortginge, um, wenn sie will, für andere welche in die Welt zu setzen, aber mich sofort von ihrer Gegenwart befreite. Einen Sohn, der zehn Jahre alt wäre, während ich noch jung genug bin, um ihm eine vorurteilsfreie, nicht durch meine unvermeidliche Dekadenz verdorbene Erziehung geben zu können.

Wenn irgendein dummes oder sonstiges junges Mädchen mich fragte, ob es wahr sei, daß ich mir das Haar mit Sauerstoff bleichte, antwortete ich, nein.

Und alle wären überzeugt, daß ich es mir bleichte.

Jetzt sage ich, daß ich es bleiche.

Und keiner glaubt es mir.

Ich habe keine Achtung, weder vor Männern noch vor Frauen.

Alle Frauen sind wertlos, außer unserer Mutter und der Frau, die wir im Augenblick lieben.

Frauen, die, wenn sie allein sind, lieber kilometerlange Wege zu Fuß zurücklegen, um die zwanzig Centesimi für die Trambahn zu sparen, verlangen – sobald sie mit einem Mann sind – ein Auto, um über den Damm zu gelangen. Viele Frauen verkaufen sich, die eine für einen Kaffee, eine andere für ein Abendessen, eine dritte für eine Eintrittskarte ins Kino; diese gibt sich hin, um für ihren Gatten eine Beförderung zu erlangen, jene andere, um ihrem Sohn Essen zu verschaffen, wieder eine andere aus edler Rache und eine dritte, um die Ehre der Familie zu retten.

Die Männer sind alle Diebe, ausgenommen unser Vater und der Mann, mit dem wir gerade reden. Die Ehrlichkeit der Männer ist nach einem Tarif geregelt. Jedes Gewissen hat einen Tarif. Es gibt Leute, die Gemeinheiten für acht Soldi begehen, und solche, die sich nicht entschließen würden, es für eine Million zu tun.

Aber wenn ihr ihnen zwei bietet, werden sie sie begehen. Geben sie bei zwei Millionen nach, versucht es und bietet ihnen drei.

Der Bestechlichkeitsgrad der verschiedenen Gewissen ist wie der Schmelzpunkt der verschiedenen Metalle. Jedes Gewissen hat seinen Schmelzpunkt.»

***

Ein entsetzlich bitterer Skeptizismus, der aus diesem Humoristen einen tragischen Humoristen macht!

«Ich nehme den Spiritismus sehr ernst», schreibt er, «weil ich sagen kann, daß ich mit eigenen Augen die Tischchen sich bewegen sah. Keiner der Anwesenden war verdächtig. Keiner hob sie auf. Der sie aufhob, war ich selbst.

Ich besuche häufig die Friedhöfe, um mich an die Umgebung zu gewöhnen. Ich wünschte, daß alle, die an die Unsterblichkeit der Seele geglaubt haben, für fünf Minuten aus dem ewigen Schlaf erwachten, um zu begreifen, wie man sie gefoppt hat.

Ich bin ungesellig. Das größte Ärgernis, das man mir antun kann, ist, mich jemandem vorzustellen.

Aber ich leide unter meiner Einsamkeit.

Ich fühle mich in einer großen Großstadt wohl oder in einem ganz kleinen Ort. Ich träume von einem kleinen Nest an einem Golf, der meinen Geist läutere, von einem Montecatini für die Krankheiten der Seele.

In den Straßen von Paris komme ich mir vor wie ein Überlebter. Ich bedaure alle diese Leute, die ein Ziel haben, eine Richtung. Ich habe kein Ziel. Ich kann in einen Autobus steigen, ohne mich zu fragen, wohin er mich bringen wird. Setzt er mich in einer Außenzone ab, so ist es ganz dasselbe, denn für mich existiert das Zentrum nicht. Ich blicke immer über die Ebene der Gesichter und sehe imposante Häuser; und blicke ich nach unten, sehe ich flinke weibliche Waden, die fabelhaften Früchten oder umgestülpten Champagnerflaschen gleichen.

Ich habe eine große Achtung vor den Personen, die ich nicht kenne, und daher versuche ich niemanden kennenzulernen. Ich fühle mich unbehaglich mit Leuten, die ich erst seit kurzem kenne und mit denen sich noch nicht jener Untergrund erörterter Dinge, vergriffener Gedanken, überwundener Fragen gebildet hat, der die Basis der Vertrautheit ist. Es macht mir Spaß, mit einem erfahrenen Gegner zu spielen, aber nicht mit einem, dem ich erst die Spielregeln beibringen muß.

Ich glaube nicht an die Freundschaft. Ich zweifelte keinen Augenblick, daß ein gewisser Freund, wenn er in meine Zeitung eintreten würde, schmutzig an mir handeln würde. Aber ich habe mich dafür verwendet, daß er eintrat. Die Schmutzerei hat er begangen, aber sie war in meiner Bilanz der Freundschaft in Anschlag gebracht. Vorbereitetsein ist alles.

Ich verfolge mit großer Aufmerksamkeit die humoristische Literatur und Kunst, denn diese Formen der Kunst und der Literatur sind die am tiefsten gehenden.

Ich-Romane und Autobiographien kann ich nicht verdauen, und ich begreife nicht, wie jemand seine innersten Sorgen und seine gastrischen Störungen erzählen kann – wie ich es in diesem Augenblick tue –, ohne sich wenigstens einmal zu fragen: Was kümmert es den Leser, ob ich getauft bin oder beschnitten, Diabetiker oder nierenleidend, Junggeselle oder Hahnrei?

Ich schreibe gern ironisch über die Liebe. Und dennoch kann ich nicht begreifen, warum man über die Liebe, die eine so einfache, epidermische und ernste Drüsenangelegenheit ist, andauernd Obszönitäten und Witze schreibt.

Es ist wahr, man schreibt auch in spaßhafter Weise über den Tod. Aber der Tod ist weniger tragisch als die Liebe.

Ich glaube, dies genügt. Ich füge hinzu, daß ich mir drei Dinge wünsche, die ich niemals erhalten konnte:

Einen Globus.

Einen Affen.

Einen Regenmantel.

Wenn ich in einem englischen Regenmantel, einen Affen aus Gibraltar im Arm, lange Stunden damit zubringen könnte, einen Globus zu drehen und im Traum über erdichtete Meere und durch phantastische Länder zu reisen, dann würde ich glauben, das höchste Glück erreicht zu haben.»

***

Irgendwelche Menschen, kurzsichtige oder an doppelter Star-Blindheit Leidende, haben in dem aufrührerischen Werk Pitigrillis Unmoralität sehen wollen.

Wenn man unter Unmoralität behagliche Beschreibung von Körperteilen versteht, die man auf der Straße zu bedecken pflegt, wenn man unter Unmoralität die Schilderung von krampfhafter Begierde, venerischem Orgasmus, die in alle Einzelheiten ausgeführte, ausgemalte Beschreibung sexueller Vorgänge versteht; wenn man dies unter Unmoralität versteht, so kann eine solche Beschuldigung unseren Autor nicht im geringsten berühren; er verabscheut solche Erfolgsmittel als allzu billig, als allzu gängig für jeden, der, wenn er die Feder zu führen weiß, einen angefaulten Leser durch die Ausstellung von Verzückungen, die alle sich gegen geringes Entgelt verschaffen können, zu äffischer Geilheit anzustacheln wünscht.

Wenn zwei Personen in seinen Novellen zu Bett gehen, so sagt er einfach: «Sie gehen zu Bett» und spricht nicht weiter davon, bis um zu sagen, daß sie wieder aufgestanden sind.

Wenn man hingegen unter Unmoralität die Verspottung der Eifersucht versteht, der Blindheit der Allsehenden, die Verspottung des Vorurteils, der Heuchelei und der Lüge, mit der Liebeshandlungen, die Akte der Lust und der Begierde beschmutzt sind, wenn man dies unter Unmoralität versteht, dann ist Pitigrilli zweifellos ein unmoralischer Schriftsteller, denn seine ganze ironische, spöttische, skeptische Kunst ist ein unablässiges Verspritzen von parfümiertem Vitriol auf Vorurteile und Lügen.

Seine ironischen Ansichten über das Leben, die Frucht einer erstaunlichen Erfahrung und vor allem einer glänzenden Intuition, kommen in einer humoristischen Form zum Ausdruck, die nichts zu tun hat mit dem «gesunden Humor» jenem abscheulichen «gesunden Humor», von dem man spricht, wenn ein Buch so humoristisch ist wie ein Fahrplan der Eisenbahn. Sondern ein bösartiger Humor, erschrecklich intensiv; seine Novellen wollen mit Humor gesättigt sein.

«Pitigrilli werfe ich nur vor, daß er zu geistreich ist», schrieb Luigi Antonelli.

«Pitigrillis gewandte und lebendige Schreibweise», sagt Mario Puccini, «gibt mit großer Feinheit die modernsten Seelenzustände wieder. Seine Novellen atmen etwas Pariserisches. Wie dem auch sei, hinter einer Weltkenntnis ersten Ranges steckt ein rassiger Erzähler. Er weiß zu erzählen wie wenige heute. Und er weiß zu unterhalten.»

«Er ist ein echter Humorist, einer der wenigen Humoristen, die es in Italien gibt», schreibt Enrico Serretta.

«Wenn alle italienischen Humoristen die Kraft der Ironie und Komik Pitigrillis besitzen, so weiß ich nicht, wer es noch wagen wird, vom Pariser Geist als von einer uns eigenen Spezialität zu sprechen», sagte der französische Romancier Pierre Mac Orlan.

Paul Reboux, der Fürst der französischen Erzähler, erklärt, Pitigrillis Erzählungen seien «eine Konzentrierung grausamer Philosophie, in lachender Form dargestellt».

«Pitigrillis ätzender Humor», sagt Allessandro Veraldo, «gehört zu den Dingen, die mein Leben erheitern. Ich lese seine Novellen mit lebhaftem Vergnügen, auch wenn ich zuweilen mit seinen Gedanken nicht übereinstimme; aber ich lese sie, weil Pitigrilli einer der wenigen Schriftsteller ist, die den armen, gutwilligen Leser nicht langweilen.»

Nach Salvator Gotta ist Pitigrilli «ein echter Humorist, unterhaltend und tiefgründig; er zeichnet sich durch ungewöhnliche Feinfühligkeit und eine ganz persönliche Technik aus».

Und wir sind in der Tat der Meinung, daß die Technik dieses Schriftstellers sein ganz persönlicher Besitz ist. Ein Feind von jedem Konventionalismus auf sittlichem wie literarischem Gebiet, meidet er sorgfältig die Gemeinplätze des Gedankens und der Form. Seine Satzbildung ist leicht synthetisch und knapp: er hält sich fern von Beschreibungen, an denen die Literatur so überreich ist; von den Schilderungen der glühenden Abendröte, der smaragdgrünen Felder, der sonnenglänzenden Mittagsstunden und des sternenflimmernden Nachthimmels; er haßt Gleichnisse, erlesene Phrasen, die von der Mehrzahl der Schriftsteller und dem Publikum kultivierten schmückenden Beiwörter: der Mund wie eine Wunde, spitz zulaufende Finger, die Glorie dieses Sonnenunterganges …

Seine Beschreibungen sind auf seinem eigenen Boden gewachsen:

«Eine Frau, biegsam wie ein Spazierstöckchen. Ihr Körper löste sich aus dem Hemd, weiß und nackt, wie eine Banane aus ihrer Schale …

Der Richter ist breit, klein, rund wie eine chinesische Vase, gelb wie ein Telegramm und häßlich wie die Tugend.

Das junge Mädchen aus der Provinz: unbekömmlich wie kalter Salm; von jener im Eiskeller konservierten Jungfräulichkeit, die sich stets freundwillig dazu hergibt, die Kindchen zum Pipimachen zu begleiten, die für Gedichte und für das Grammophon schwärmt und im Haus gestrickte Strümpfe trägt und Schuhe, die wie Geigenkästen aussehen. Sie hatte neunmal ‹Onkel Toms Hütte› gelesen und war beim neuntenmal genauso in Tränen ausgebrochen wie beim erstenmal. Hochgewachsen, lang, mager wie eine Virginia-Zigarre; verwachsen, blond, von einem so blonden Blond, daß einen die Lust ankam, ein volles Tintenfaß über sie zu ergießen.»

Die Kritiker werden über Pitigrillis Werk viel ätzende Tinte vergießen, denn man muß zugeben, daß dieser negierende Humorist einigen Schaden bei seinem Publikum anrichten kann, indem er ihm die blinde Illusion von der Ehrlichkeit der Männer und der Keuschheit der Frauen raubt; aber die Kritiker können nicht eine überraschende Originalität des Gedankens und der Form bestreiten; und sie können ihn nicht der Pornographie beschuldigen.

«Ich schrecke nicht vor dem Wort ‹Koitus› zurück», schreibt Pitrigilli, «einfach weil ich der physiologischen Funktion, die dieses Wort bezeichnet, keine größere Bedeutung beimesse als etwa der Blutzirkulation, der Absonderung der Bauchspeicheldrüse, dem Essen, dem Verdauen, dem Schlafen.

Auf dem Koitus hat man eine ganze Moral, eine Religion, eine Literatur aufgebaut. Nun leugne ich, daß dieser Akt so viel Ehre verdient. Auf Grund dieses meines Prinzips kann man mich nicht der Pornographie zeihen, denn ich gefalle mir nie in der gesuchten, minutiösen, ausmalenden Beschreibung dieser belanglosen Funktion oder der Teile, die sie vollziehen.

Sie mit dem Luxus von Einzelheiten auszustatten hieße, ihr irgendwelche Wichtigkeit beizumessen. Jene Wichtigkeit», schließt Pitigrilli, «die alle anderen ihr beimessen und die sie für mich nicht hat.»

Ein Freundschaftsdienst

Seine schöne Geliebte, die er angebetet hatte, war gestorben. Um ihn zu trösten, suchten ihm seine Eltern eine Frau. Gerade als ob man einem, dem das eine Bein amputiert worden ist, nun auch das andere amputieren wollte, um seinen Geist aufzufrischen. Aber um seinen alten Eltern den Lebensrest nicht zu verbittern, widersetzte er sich ihren Plänen nicht, sondern beschränkte sich darauf, die verschiedenen Partien von Mal zu Mal auszuschlagen.

Sein Vater, ein Mann von altmodischen Grundsätzen, erklärte ihm, daß wahres Glück nur in der Ehe zu finden sei (der anderen – fügte er hinzu), und setzte ihm die Gründe auseinander, warum es seine heilige Pflicht wäre, eine Familie zu gründen und das Leben auf andere Wesen fortzupflanzen, da wir Glieder einer unendlichen Kette seien und nicht das Recht hätten, uns deren Weiterführung zu entziehen. Das Leben ist uns gegeben worden, damit wir es anderen geben.

Seine Mutter, eine einfachere Natur, gab demselben Gedanken in weniger gelehrter Form Ausdruck.

«Ich möchte ein Enkelchen haben, das dir gleicht und mich Großmutter nennt.»

Das junge Mädchen, das Amilcare Magnis Frau werden sollte, wurde unter den Töchtern des Landes gesucht, die es verstehen, aus den väterlichen Zigarrenstummeln ein wirksames Gift gegen Blattläuse und aus Stoffabfällen prächtige Teppiche für Rokokozimmer herzustellen; sie gehen nicht gern ins Theater, tragen niedrige Absätze wie die Mägde der Priester und putzen sich die Zähne mit Salbei.

Dieser Mädchentyp stirbt aus wie die amerikanischen Rothäute und die Pferdebahnen, aber in gewissen Provinzstädten wie Carmagnola, Vigevano, Ferracina findet man noch einige wenige versprengte Exemplare.

***

Das treffliche Fräulein Maddalena Pasquali konnte zwar kein Gift für jene Parasiten der Rosen herstellen, weil ihr Vater nicht rauchte; als Ersatz aber bereitete sie aus gestoßenem Glas und Schafskäse gewisse todbringende Pillen, die sie liebenswürdig Medizin für Mäuse nannte.

Während die Eltern des jungen Mannes mit den Eltern des Fräulein Maddalena Pasquali (Carmagnola, 19, Via della Pompa Municipale) in Verhandlung traten, suchte Amilcare, um sie wirksam zu unterstützen, sich in Turin eine Geliebte.

Eine Geliebte suchen ist ein viel beschwerlicheres Unternehmen als einen Beruf erlernen. Mit achtzehn Jahren ist es eine unterhaltende Übung, denn alle Kunstgriffe der Verführung besitzen den lockenden Reiz der Neuheit. Hat man die Dreißig überschritten, so leidet man darunter, daß man immer dieselben Lügen wiederholen muß, die man schon bei Dutzenden von Frauen aufgewärmt hat, daß man aus den verstaubten Fächern des Gedächtnisses die abgeschmackten Unwahrheiten hervorzerren, die fertig gedrechselten Phrasen, die vergilbte Literatur der verlogenen Versprechungen, das entwertete Papiergeld der Worte «immer – niemals – fürs ganze Leben – bis zum Tode und darüber hinaus» in Umlauf setzen, unhaltbare Ergriffenheit vorgeben, kurz: Komödie spielen muß, wie alle Frauen es verlangen. Aber unsere eigene Komödie spielen ist noch gar nichts! Viel schlimmer ist es, die Komödie anhören zu müssen, die die Frau uns vorspielt, bis wir einen Kuß erlangen, bevor wir unsere Hand in ihren Ärmel gleiten lassen!

So klagte Amilcare Magni bei sich selbst, während auf der Bühne die Tänzerin Perlowa, vom summenden Strahl der Scheinwerfer umkleidet, in einem Gewirr musikalischer Hieroglyphen ihre durchsichtig zarte Haut und die weiche Schmiegsamkeit eines aus leichtestem Schleierstoff und schwerem Chinchillabesatz komponierten Gewandes aufleuchten ließ. Zum Klang einer fast feierlichen Musik bewegte die Tänzerin sich rhythmisch auf einem großen, grünlichen Teppich, als folgte sie sehnsüchtigen Blickes mit verzweifelt vorgestreckten Armen dem Locken der Wasserrose in einem hypothetischen Teich.

Eine Frau wie diese, dachte Amilcare, würde eine vollkommene Geliebte abgeben. Sie muß sinnlich sein, nach den Bewegungen ihres geschmeidigen Körpers zu urteilen, als ob sie einer zugreifenden Hand entschlüpfte. Aber eine Frau wie diese wirkt nur so auf der Bühne, unter den elektrischen Scheinwerfern, während die Musik ihren Körper in Schwingungen versetzt, während der Puder, das aufgelegte Rot, die blau unterstrichenen Augen, die Perlenketten, die Seide der Trikots, die Brillanten ihre Anmut vervielfältigen, ihrem Leben Spannkraft geben, verborgene Energien wecken. Gelänge es mir aber, sie zu meiner Geliebten zu machen, so würde ich durch Puder und Schleier hindurch eine Frau finden wie alle die anderen; wenn ich sie in meine Arme schlösse, sie entkleidete, ihres Goldschmucks, ihrer Seide beraubte, die dazu dienen, die Begierde zu erregen, und nur Hindernisse sind, sie zu befriedigen, so würde ich nichts von alledem mehr finden, was mich jetzt reizt. Ich habe nie begriffen, warum gewisse Männer sich für eine Schauspielerin, eine Sängerin, eine Tänzerin ruinieren, die das Beste, was sie uns geben kann, uns für acht Lire, den Preis eines Parkettplatzes, verkauft …

Nach anhaltendem Beifallklatschen, verstärkt durch energisches Klopfen der Spazierstöcke auf den Fußboden, ließ die Tänzerin sich herab, einen englischen Tanz als Zugabe zu gewähren, der an die schaukelnde Bewegung gewisser afrikanischer Kannibalen gemahnte, wenn ein wohlgenährter Missionar zu ihnen kommt, um ihnen die Lehre Christi zu bringen.

Der Vorhang schloß sich, und das Orchester ging zu einem Schlußgalopp über, während fast alle Lichter erloschen, das Publikum an den Ausgängen sich drängte (welch wohltuende Frische!) und die Diener hier und dort die liegengebliebenen Zeitungen von den Sitzen sammelten.