Mach kehrt, Gerd! - Ester Ette - E-Book

Mach kehrt, Gerd! E-Book

Ester Ette

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Beschreibung

Kathrin Brinkhorst will kurz vor der Goldenen Hochzeit endlich das Steuer übernehmen. Während der Reise mit dem Wohnmobil von Brake bei Bielefeld in den europäischen Süden drängt sie ihren Ehemann zu Veränderungen. Doch Gerd, seines Zeichens ostwestfälischer Dickkopp, ist auf diesem Ohr taub. Quer durch Südeuropa enthüllen sich Kilometer um Kilometer Seitensprünge und Familiendramen. Skurrile Gestalten, die am Wegesrand auftauchen, befeuern den Schlagabtausch zwischen den Geschlechtern. Im Womo wackeln die Wände! Ist die verkorkste Familie noch zu retten? Eine humorvoll, lebendige Beziehungskiste voll derbem Witz, authentischer Charaktere, würziger Alltagskomik – und Reiselust. Die Boomer-Generation wie sie leibt und lebt.

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Seitenzahl: 392

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ester Ette

Mach kehrt, Gerd!

Eine Beziehungskiste auf Reisen … und der direkte Umweg zu sich selbst

Jaron Verlag

Alle Charaktere sind inspiriert vom wahren Leben und auf ihrem weiteren Lebensweg in die Phantasie gesprungen.

Ein Glossar ostwestfälischer Begrifflichkeiten befindet sich am Ende.

Text © Copyright by Ester Ette

www.ester-ette.de

1. Auflage 2025

© 2025 Jaron Verlag GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlags erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

www.jaron-verlag.de

Umschlaggestaltung: Theres Weishappel

Satz und Layout: Gerhart Schneider

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

ISBN 978-3-95552-083-0

Das Land selbst ist von schwerstem Temperament – tief, feucht und etwas mürrisch.

Rainer Maria Rilke, Ostwestfalen, 1917

*

Frauen von heute warten nicht auf das Wunderbare.

Sie inszenieren ihre Wunder selbst.

Katharine Hepburn, Schauspielerin

*

Eine Reise ist ein vortreffliches Heilmittel für verworrene Zustände.

Franz Grillparzer, Schriftsteller

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

DIE FAHRT (Teil 1)

Start: OSTWESTFALEN-LIPPE, Tag 1

DORTMUND WICKEDE: Tag 1 und 2

STUTTGART, Tag 3

Von STUTTGART nach WALDSHUT, Tag 4

Tour de SCHWEIZ, Tag 5

Auf dem Weg zum GENFER SEE, Tag 6

NYON, Tag 7

NYON, Tag 8

NYON, Tag 9

NYON, Abfahrt, Tag 10

UNTERWEGS, Tag 10

LYON, Tag 11

ARRONDISSEMENT LYON, L’Auberge du Pont de Collonges, Tag 12

Auf dem Weg in die Provinz GIRONA, Tag 13

ROSAS, Tag 14

FIGUERES, Tag 15

Im Dalí-Museum

SITGES / SARAGOSSA, Tag 15 und 16

VALENCIA, Tag 16/17

PUERTA DEL CIELO bei Granada/Andalusien, Tag 17/18

ANDALUSIEN, Tag 19/20/21

MARBELLA, Costa del Sol, Tag 22

MARBELLA, Tag 23

Auf dem Weg nach ALGECIRAS, Spanien, Tag 24

ALGECIRAS, Tag 25/26/27

OSTALGARVE, Portugal, Tag 28

ARROTEIA, Tag 29

DER WEG (Teil 2)

Brief an Zuhause

BRAKE bei Bielefeld, drei Monate später

2. Brief, abgestempelt in SANTIAGO DE COMPOSTELA, Galicien

NACHGANG

Anhang OWL-Glossar (OWL: Ostwestfalen-Lippe)

Danke. Danke. Danke.

DIE FAHRT (Teil 1)

Start: OSTWESTFALEN-LIPPE, Tag 1

„Ich würde auch mal gern fahren!“

Er zuckte zusammen. „Wie bitte!?“

Kathrin schielte über ihre Goldrand-Brille hinweg vorsichtig zum Fahrersitz. Da thronte ihr Göttergatte auf dem luftgepolsterten Pilotensessel. Und bis vor einer Sekunde war es ihm hoch oben auf dem Cockpit offensichtlich sehr gut gegangen. Er hatte leise „Du hast mich tausendmal belogen“ vor sich hin gepfiffen und kaum merklich mit dem Gesäß im Rhythmus gewippt. Bum bum bum!

Jetzt wechselte sein rechter Fuß reflexartig vom Gas- auf das Bremspedal. Abrupt brach er den Bremsvorgang wieder ab. Er schob den Schirm seines BOSS-Basecaps lässig in den Nacken. Das musste er beim Sohnemann Daniel und seinen Kumpels auf dem Platz beobachtet haben. Er erhöhte die Pfeif-Frequenz, als Andrea Berg nun über ihre Gefühle von Freiheit und Ungebundenheit sang.

„Du hast genau richtig verstanden: Ich möchte jetzt fahren!“ 49 Jahre war sie wie hypnotisiert auf der Beifahrerseite eingestiegen, jetzt blieb sie standhaft. Bei aller Liebe.

Gerd schaltete einen Gang herunter und sagte betont überrascht:

„Ach, das is getz ma ganz was Neues.“

Sie erwartete auf der ostwestfälischen und sehr langweiligen B 61 bei Gadderbaum so einen Satz wie „Kommt getz gar nicht in die Tüte!“ und machte sich bereit zu einer Gegenreaktion. Aber nichts dergleichen passierte. Vielleicht würde sich doch etwas ändern!

„So ist das. Wir haben beschlossen, noch ma von vorne anzufangen, alles anders zu machen. Beziehungsweise: Du wolltest alles anders machen! Besser! Also lass mich ran!“

Kathrin atmete tief durch. Ein ungewohntes Gefühl durchströmte sie von den Fußspitzen bis hoch in die ausrasierten Nackenhaare. Energisch schob sie ihre Brille wieder fest auf die Nase. Sie dachte an die Kinder, an Chrissi, an Nicole und Daniel. Sie dachte an das Debakel unter dem letzten Christbaum, den Eklat beim Griechen und das Theater mit Eva.

„Aber nicht so!“ Gerd rutschte nervös auf dem hämorrhoidenerprobten Sitz hin und her.

„Aber nicht getz beim Autofahren. Das wolltest du früher auch nicht.“

„Wollte schon, aber ich dachte immer, es wäre einfacher, wenn ich dich fahren lasse.“

Liz Taylor zwischen ihnen tat, als ob sie schlief. Den Trick ihrer pudelgedoodelten Mischlingsdame kannten sie schon. Wenn Stress drohte, ließ sich Lizzy demonstrativ in ihre Hundeträume fallen.

Aus den Lautsprechern erfuhren sie soeben, dass Andrea Berg es wieder tun würde, heute Nacht!

„Stell mal den Quatsch ab!“

Gerd schnappte hörbar nach Luft. „Was heißt denn hier: Dich fahren lassen – das hört sich an, als dürfte ich fahren, weil du es mir erlaubst. Ich glaub, mein Heinz pfeift.“

„Schwein!“

„Wie bitte?“

„Na, ist ja so. Ich habe eben früher nicht gesagt, dass ich auch mal fahren möchte.“

Kathrin positionierte ihre nackten Füße mit den knallrot lackierten Fußnägeln lässig auf dem weiß-ledernen Armaturenbrett. Für 60 plus plus sahen ihre Füße passabel aus – glatt und weich. Die von ihrer Fußpflegerin kürzlich als beginnenden Hallux valgus diagnostizierten Auswuchtungen am Ballen ignorierte sie. Gerd jedenfalls war immer ganz vernarrt in ihre Füße gewesen.

Wo die Liebe nun mal hinfällt!

„Ich dachte, du traust es dir nicht zu. Ich meine, so ein großes Campingmobil mit 190 PS, gute acht Meter lang und 3,30 hoch, so’n Fünftonner – Mann, der fährt sich nicht mal eben so. Das ist ja keine Nuckelpinne. Meine liebe Butterblume, das muss man lernen.“

„Eben, damit will ich jetzt anfangen, bevor es auf die Autobahn geht. Schließlich fahre ich seit 51 Jahren unfallfrei und bin ständig mit meinem Beetle unterwegs!“

„Mit dem Furzknoten?“ Gerd lachte schief. „Das ist ja auch ganz was anderes als mein Range Rover.“

„Ach nee. Nur wenn es mit deiner Motz-Kiste zu einer Feier geht, weil du mit dem Kleinen nicht vorfahren willst, dann heißt es gerne mal: ‚Wir teilen heute brüderlich. Ich fahre hin, du fährst zurück!‘, was so viel meint wie: ‚Du bleibst nüchtern, ich sauf mir die Hucke voll!‘“

Kathrin fuhr sich durch das modern geschnittene Silberhaar. Sie hatte diese Haare, die viele Frauen im Alter eintauschen würden gegen das weit verbreitete gelbliche Grau, das manchmal auch einen leichten Orangestich hatte oder lilafarben schimmerte.

„Also unseren Großen hier. Den bist du noch nie gefahren. Und jetzt … ich meine … in deinem Alter willst du damit anfangen?“

„Wieso in meinem Alter? Ich bin 68!“

„Bitte sehr! 68. Da fängt man nicht mehr mit dem Fahren von einem Wohnmobil an.“

„Mann vielleicht nicht, Frau schon!“

„Ach, getz hör aber mal mit der ständigen Meckerei über uns Männer auf! Hat deine werte Freundin Conny dich wieder aufgehetzt?“

„Das hat nichts mit Hass zu tun, sondern mit Vernunft. Du bist 71! Und den Großen haben wir ja erst zwei Jahre. Schon mal drüber nachgedacht, wann du deinen Führerschein abgeben willst?“

„Du hast se ja nicht mehr alle. Ich bin tippi toppi fit. Oder gibts was zu meckern?“

„Ich mecker nicht“, sagte Kathrin. „Ich beschreibe Fakten.

Deine ganzen Unfälle …“

„Unfälle? Ich fahre seit jeher fehlerfrei!“

„Deine Unfälle sind also keine Fehler?“

„So siehts aus!“

„Also, wenn ich da an den letzten Herbst in Sizilien denke, als du beinahe die alte Frau überfahren hättest.“

„… Die hamse uns damals direkt vor den Kühler geschmissen, die Mafia, um uns auf Schadensersatz zu verklagen.“

„Und dann in Brandenburg? Voll in der Pampa und plötzlich haben wir dieses Viech vorm Kühler.“

„Das war ein Keiler, die alte Sau rennt uns blind in die Karre. Hab ich nich inne Schuld.“

„Oder in Edinburgh, wo du unter der Brücke festgesessen hast.“

„Ja, wenn du das Schild mit der Höhenangabe in Inch falsch umrechnest. Ist das mein Problem?“

„Klar, immer sind es die anderen. Du machst alles richtig. Setz deine Brille auf! So wie in Marokko, weißt du noch? Als du in Aglou Plage bei der Abflussrinne an der Bordsteinkante krampfhaft hin und her rangiert bist – und plötzlich platzt der Reifen, ha ha, aufgeschlitzt! Mein Gott!“ Sie hielt sich den wippenden Bauch.

„Es reicht getz! … Olle Kamellen.“

Liz Taylor schnaubte und rollte sich unruhig auf die andere Seite. So war es immer, kaum schnurrte der Motor, entspannte sich die Hündin auf ihrem Ledersofa zwischen ihnen und schloss genüsslich die Augen. Kathrin kraulte sie hinter den strubbeligen Ohren.

„Egal, ich fahre jedenfalls seit fünfzig Jahren ohne auch nur einen Kratzer.“

„Kein Wunder. Du fährst so gut wie nie.“

Kathrin fühlte sich wie seekrank. „Wenn du meinst. Fahr jetzt bitte an die Tanke, aber reiß die Säule nicht um! Dann tauschen wir. Na los! Oder ich trampe zurück, und du kannst alleine nach Griechenland düsen.“

„Kommt nicht in die Tüte! Glaubst du, dich nimmt jemand mit? Ich halte jetzt nicht an. Der Tank ist voll und überhaupt, das hättest du dir mal vorher überlegen sollen. Hol uns lieber die Buletten von hinten. Ich krieg langsam Hunger. Und bring den Löwensempf mit.“

„Wir sind noch keine Stunde unterwegs!“ Es war wie früher, als die Kinder klein waren. Spätestens nach einer Stunde Fahrerei musste Daniel unbedingt Pippi, Nicole wurde übel und Christian konnte seine Blockflöte nicht finden, weil Gerd das Teil im untersten Koffer versteckt hatte.

„Ja und? Das Einpacken war anstrengend. Koffer rein, Reisetasche raus. Bis du so alles beisammen hast.“

„Meine Excel-Liste funktioniert einwandfrei. Sogar Liz Taylors Reiseapotheke, den EU-Hundeausweis, Impfdokumente, ihre Lieblingskaustangen, die Schwimmweste und Kotbeutelchen hab ich beisammen. Aber du musstest unbedingt deine Bierdosen bunkern und die Zigaretten verstecken. Dabei guckt in Europa heute kein Mensch mehr nach Schmuggelware. Hol dir die Buletten selber. Ich hab keinen Hunger.“

„Was soll das denn getz? Sei mal nich komisch. Wie soll ich die Buletten holen beim Fahren?!“

„Fahr jetzt rechts auf die Tanke! Dann kannste dir deine Buletten selber holen und mich füttern. Ich nehme die Prinzenrolle.“

„Himmel noch eins! Ich glaub, es geht los!“ Gerd heftete den Blick starr auf die Straße.

Kathrin ließ sich nicht beirren. „Wir, Gerd, wir wollten alles ändern, neu anfangen. Schon vergessen? Du hast es mir versprochen. Hoch und heilig! Erinnerst du dich? Ich wäre sonst gar nicht mitgefahren.“

Sie atmete weit in den Brustkorb, so wie sie es mit ihrem Atemtherapeuten geübt hatte.

In der Öffnung der Schulterpartie liegen Kraft und Würde!

„So war das aber nicht gemeint. Wenn ich an deinen Möchtegern-Liebhaber Mecki denke, kommt mir immer noch die Galle hoch. Aber ich halte die Klappe! Auch, wenn du mich die ganze Zeit dermaßen hintergangen hast. Es ging doch wohl in erster Linie um Eva. Dabei ist mit ihr definitiv nichts gelaufen, gar nichts!“

„Aha, das ist also dein großes Ehrenwort, das du mir und den Kindern gegeben hast? Nach all dem Stress? Glaubst du, ich gehe einfach so zur Tagesordnung über, nachdem unsere ganze Familie vor die Hunde geht? Sorry, Lizzi! Selbst die Kinder wollen uns wegen der ewigen Zankerei nicht mehr besuchen! Glaubst du, ich vergesse einfach, wie ich Eva und dich hinterm Bierwagen erwischt habe? Glaubst du das wirklich? Und das war ja nicht alles. Deswegen haben wir uns überhaupt zu diesem Trip nach Griechenland aufgemacht. So kurz vor der Goldenen Hochzeit soll es doch nicht zu Ende sein mit uns. Gerd, wir müssen das Ruder rumreißen! Gemeinsam!“

„Hör auf! Das mit Eva habt ihr mir nun schon zigmal aufs Bütterken geschmiert. Ich wollte ihr nur helfen, weil ihr schlecht war. Sie war vornübergebeugt und ich hab sie gehalten, als sie sich übergeben musste.“

„Du hast geschielt. Ich weiß, wie du guckst, wenn du scharf bist!“

„Hab ich nicht! Und noch eins: Glaubst du, ich vergesse die Geschichte, wie du und Mecki …“

„Mir reichts. Fahr jetzt an die nächste Seitenstraße und lass mich ans Steuer!“ Kathrin hatte bereits ihre Daunenweste ausgezogen und war startklar.

Lass Licht in dein Sonnengeflecht fließen!

„Flötkepiepen, ich mach mich ungern zum Ochsen!“

„Affen!“

„Wo?“

„Das hast du schon längst. Oder warum wollen deine Kinder und deine Enkelin nichts mehr mit dir zu tun haben? Das pfeifen die Spatzen von den Dächern: Der muss mit 71 noch an der Dorfschlampe rumfummeln. Und das bei der tollen, top erhaltenen Ehefrau. Wie die das nur aushält mit dem sexsüchtigen Alten.“

Lass es los und gib deinen Atem frei!

„Bisse von Sinnen? Du solltest froh sein über so eine Rakete im Bett neben dir, die es dir nach fünfzig Ehejahren noch immer zweimal die Woche besorgt. Wie es sich gehört! Soweit ich weiß, gefällt dir das ganz gut. Und die ganzen Meckerziegen sind nur neidisch, wenn sie neben ihrem vertrockneten Alten liegen, der keinen mehr hochkriegt. Dein ewiges Gezeter ist zum Kühemelken.“

„Mäuse!“

„Was hast du immer mit den Tieren?“

Sie musste unwillkürlich lachen. Gerd nutzte die Chance.

„Lömkers Paul erklärt seine Soffie für frigide, wenn er einen Steinhäger zu viel intus hat. Der dicke Schröder steigt seit Jahr und Tag von hinten zu Uschi ins Bürgerstübchen. Und die olle Nierhaus aus dem Gospelchor belämmert ihren Arzt damit, dass ihr Gustav seinen Zug nicht mehr in den Tunnel fährt.“

„Was fürn Tunnel?“

„Na ja, er hat Schwierigkeiten mit der Potenz!“

„Echt? Woher weißt du?“

„Ich geh mit unserem Doktor ab und an golfen. Der hat versehentlich geplaudert, so etwa beim sechsten Loch. Im Vergleich bin ich jedenfalls voll auf der Höhe.“

„Ja, das läuft ordentlich mit dir“, räumte Kathrin vorsichtig ein. „Aber das heißt ja nicht, dass du mit der Eva schmusen kannst, nur weil ich mal zwei Tage keine Lust habe.“

„Alle zwei, drei Tage, meine Butterblume, ist Pflicht in einer ordentlichen Ehe. Erst neulich hab ich das mit Herbert Schlotterbeck durchgekaut. Deine Busenfreundin Elke lebt nämlich seit geraumer Zeit enthaltsam. Herbert muss nun sein Eherecht gegen erhebliches Bargeld im Jölle-Puff einlösen.“

„Wie bitte?“

„Männer wie wir“, sagte Gerd im Brustton der Überzeugung, „brauchen das wie Essen und Trinken, das ist ein Naturbedürfnis. Da kann man mal fasten, Diät halten oder einen Porno gucken, aber nicht für lange. Der Körper holt sich, was er braucht. Isso! Da kann man nix machen. Ohne Quatsch. Das steht sogar im Gesetz. Ehepflichten. Und nun hol mir endlich mal die Buletten von hinten.“

„Ich denk ja nicht dran!“ Kathrin überschlug schnell im Kopf, wie oft Gerd und sie schon miteinander geschlafen hatten. Bei zweimal die Woche und 52 Wochen pro Jahr, und das insgesamt 49 Jahre abzüglich diverser sexfreier Phasen, müssten das ungefähr 5000 Mal gewesen sein. Konnte sie sich an jede Wiederholung genau erinnern? Immerhin – das Ergebnis waren drei Kinder und die ein oder andere vergnügliche Stunde.

Cést la vie!

Gerd hing hinter einem Opel Astra laut seinen Gedanken nach: „Astra – was bedeutet das überhaupt? Früher hießen die Opels General, Admiral oder Kapitän. Führungspersönlichkeiten. Das waren noch Zeiten – aber Astra?“

Beim ruckartigen Überholvorgang rutschte Liz Taylor nach vorn. Als Kathrin sie anschnallen wollte, blickte sie vorwurfsvoll hoch.

„Herrgott. Pass bloß auf! Wieso musst du mit diesem Riesen-Ding einen Pkw überholen?“

„Weil ichs kann. Da saß ne Frau am Steuer. Typisch. Hast du ihren erschrockenen Blick gesehen, als mein Oschi an ihr vorbeirauschte?“ Er lachte schrill und kratzte sich am Hals.

„Du hast ihr fast den Rückspiegel abgefahren! Das wäre dann der dritte! Sie hat einfach nur die Geschwindigkeitsbegrenzung eingehalten. Und überhaupt – was heißt hier dein Oschi! Das ist genauso gut meiner!“

Liz Taylor schnappte nach ihr. Kathrin hatte ihren Ärger an ihren Puschelohren ausgelassen.

„Hab dich mal nicht so. Schließlich hab ich ihn bezahlt! Hast du eigentlich das Polohemd vor der Fahrt anständig gewaschen? Das kratzt wie Hölle.“

„Das ist ja wohl das Letzte. Wir haben Gütergemeinschaft, falls dir das entgangen ist. Und wenn ich dich nicht gezwungen hätte, den Mercedes-Spider wieder zurückzugeben, gäbs überhaupt keinen Oschi!“

„Ich lass mich nicht zwingen, zu nix. Ich bin ein freier Mensch! Ich habe ausnahmsweise eingesehen, dass wir mit dem Oschi besser bedient sind als mit diesem sensationellen Zweisitzer. Obwohl ich mich von dem schnuckeligen Flitzer wirklich nur ungern getrennt habe.“

„300.000 Euro für einen Sportwagen, in den nicht mal ne Hutschachtel reinpasst. Und das alles hinter meinem Rücken! Als wenn der Porsche nicht reicht.“

„Du hast gar keine Hutschachtel!“ Er zerrte mit dem Zeigefinger am Halsausschnitt seines Hemdes herum. Sein Hals glich inzwischen dem eines Truthahns, rot und pickelig.

„Du kannst nicht einfach eine Viertelmillion hinter meinem Rücken für so einen Schwachsinn ausgeben, nur damit du in Gütersloh rumgurken und den dicken Willi markieren kannst.“

„Warum nicht? Wenn ichs mir leisten kann? Das war ein Fahrgefühl, sag ich dir, da geht dir einer flitzen!“

„Du musst ja ein Selbstwertgefühl haben – so klein mit Hut.“ Sie deutete mit Daumen und Zeigefinger etwa zwei Zentimeter an. Ihr Ehering blitzte triumphierend in der Sonne.

„Was hat das mit Selbstwert zu tun? Das hat was mit Kohle haben oder nicht haben zu tun. Und ich hab nun mal Kohle!“

„Wir!“

„Was – wir?“

„Wir haben Kohle. Es ist auch mein Geld, was du verbrätst und womit du deinen Fußballbruder Ullrich vom Autozentrum fütterst. Nur damit er dir einen Posten im Vorstand beim FC Brake zuschustert oder so was.“

„Habe ich nicht nötig. Präsident werde ich sowieso.“

Ganz so einfach war es natürlich nicht. Die Präsidentschaft im FC Brake würde ein kleines Vermögen kosten. Vermutlich würde er wieder versuchen, das irgendwie an ihr vorbei zu manövrieren.

„Geb ich dir nicht genug Haushaltsgeld? Kommst du nicht klar? Musst du auf irgendwas verzichten? Halte ich dich etwa zu kurz? Sag es!“

„Hörst du dir eigentlich selber zu? Kurzhalten, wie so’n Dackel …“ Liz Taylor stieß ein empörtes „Wau!“ hervor. „Du gibst unser Geld aus, ohne mich zu fragen. So ist es doch!“

„Du kaufst auch Sachen, ohne mich zu fragen. Dieses Polohemd zum Beispiel. Das bringt mich um.“

„Aber es passt zu deiner karierten Cargo-Hose und ich hab besonders auf Halsfreiheit geachtet.“

„Wenns am Hals kratzt, könnt ich schreien!“, fauchte er, wobei er sich dramatisch am Ausschnitt zerrte. „Ich krieg ne Krise, wenn ich keine Halsfreiheit hab.“

„Tut mir leid. War ja keine Absicht,“ Kathrin wackelte mit ihren frisch pedikürten Zehen auf dem Armaturenbrett und spitzte die Lippen.

„Lass mal deine zarten Mauken sehen.“ Er grinste frech. „Ganz schön krumm inzwischen.“ Er kitzelte sie unter dem linken Fuß. Sie quietschte.

„Pass auf, da vorne steht einer!“

„Bei mir steht auch gleich einer!“ Er kitzelte vergnüglich weiter.

„Huch, huch, huhh…“ Sie kicherte und gluckste.

Das war das Startzeichen, schon seit fünf Jahrzehnten. Er wanderte mit der Hand an ihrer Jeans hoch in ihren Schritt.

„Mensch Gerd!“, sagte sie, als ob sie sich wehren wollte.

„Weißt du was“, grunzte er und fing an zu schielen. „Wir halten schnell bei Netto und gucken mal, ob wir hinten einen scharfen Fleischklops und eine hübsche Prinzenrolle finden.“

„Am hellichten Tag?“, flötete sie mädchenhaft.

„Hast du etwa keinen Hunger?“

Liz Taylor schnaubte.

„So“, sagte sie mit Blick auf die ostwestfälische Landstraße. „Und jetzt fahre ich!“

Sie krabbelte flink aus dem Alkoven über dem Fahrerhaus heraus, etwas zerzaust und erhitzt. Die künstliche Hüfte hielt.

Sie hatten es nicht weiter als zu Netto in den Ausläufern des Teutoburger Waldes gebracht, kurz bevor es auf die eher öde Autobahn ging. Sie fuhr sich ordnend mit den Fingern durch die Haare. Liz Taylor lag schon parat.

„Mannomann, geht das jetzt schon wieder los?“ Er hatte wohl gehofft, sie würde ihr Anliegen im Liebesrausch vergessen. Zugegeben – er hatte sich wirklich größte Mühe mit ihr gegeben. Heute kam das Programm nicht bei ihr an.

„Ja, was dachtest du? Ich würde mich mit dem bisschen Rubbeln übertölpeln lassen?“ Atmen!

„Aber es war schön, oder nich?“ Gerd grinste von oben herab. „Ja und? Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Ab sofort fahre ich weiter!“

Ehe Gerd sich versah, saß sie bereits angezogen hinter dem Steuer des Oschis und ließ den Motor an.

„Komm endlich!“, rief sie forsch in den Rückraum. „Es geht weiter! Aber zieh dir 'ne Hose an!“

„Niemals!“, brüllte er in die Fahrerkabine, die etwas unterhalb des Wohnbereichs lag. „Ich setze mich abgeschnallt auf den Pott und mach alle Küchenschränke auf!“

Gerd quälte sich aus dem Alkoven. Hinter ihr klapperte es verdächtig.

„Sei nicht kindisch“, rief Kathrin.

„Ich bin doch nicht lebensmüde“, schallte es hysterisch aus der Luxus-Nasszelle.

„Komm endlich. Ich setz uns schon nicht vor den nächsten Baum.“ Ihr Blick schweifte über eine weite, grünlich schimmernde Ebene. „Hier blüht im August der Lavendel, soweit das Auge reicht. Ich hab mit Elke letztes Jahr einen Ausflug hierhin gemacht. Alles in der Farbe Lila. Und ein Duft, wunderbar! Wie in der Provence. Dabei sind wir erst in der Senne. Platt wie ne Flunder. Und bevor wir ins Bergische kommen, darfst du wieder ans Steuer. Versprochen.“

„Kommt nicht in die Tüte.“

„Mensch Gerd, stell dich nicht so an. Du hast nur Angst, dass du als Beifahrer die komplette Niete bist.“

„Blödsinn!“, grummelte er.

„Na, komm, dann beweis es. Vorschlag zur Güte: Ich fahre jetzt nur bis Dortmund, damit du nicht wieder einen Herzinfarkt kriegst, und du kommst vom Pott und schnallst dich anständig an. Dann legst du die Rocky Horror Picture Show oder Andrea Berg zum Mitsingen auf und lässt mich die achtzig Kilometer bis Dortmund fahren … Liebling!“ Ihre Stimme bebte vor Aufregung.

„Okay, aber nur bis Castrop-Rauxel. Dann ist Schluss mit lustig.“ Er quetschte sich zwischen den Sitzen nach vorne. Einigermaßen bei Figur war er und auch noch halbwegs beweglich.

„Alle Türen zu?“, fragte Kathrin.

„Leg du mal die Kassette ein. Atemnot in der Nacht!“

„So siehst du aus! Kassetten gibts nicht mehr. CDs sind eigentlich auch durch.“

„Weiß ich. Ich sags aber trotzdem!“

Kathrin bearbeitete die CD-Auswahl, da nur sie wusste, wie das Audio-System funktionierte. Ihr Job.

„Und getz lass ganz vorsichtig den Motor an, tritt mal nicht gleich aufs Gas, daneben die Bremse. Kommst du da überhaupt ran? Stell mal den Sitz weiter vor, ich hab längere Beine als du.“

„Hast du nicht!“

„Wohl! Jedenfalls musst du die Rückspiegel auf deine Größe einstellen, und der Blinker ist links oben und der Scheibenwischer ist, wenn du rechts den Mittelfinger –“

„Hör auf!“, rief sie ärgerlich. Die Straßen waren staubtrocken. „Sicher ist sicher. Ich würde mit dir das Rückwärtsfahren üben. Acht Meter plus Anbau sind kein Pappenstiel. Siehst du hier? Wir haben einen Video-Rückspiegel im Navi. Da siehst du, wie weit –“

„Ist mir klar, Gerd. Beruhige dich. Der Oschi ist nicht anders als mein Beetle.“

Plötzlich schreckte er hoch. „Sach ma, steht da vorne nicht Manni Pieper mit seinem LKW?“ Gerd blickte leicht panisch in die Weite. Ohne seine Brille sah er nicht hundertprozentig klar.

„Was fürn Manni?“ Sie war damit beschäftigt, alle Instrumente zu erfassen und die richtigen Schalter zu bedienen. So einfach war es nun auch wieder nicht.

„Manni aus Brake, der Fahrer bei Ullrich, der die Autos überführt.“

„Ich kenne keinen Manni aus Brake.“

„Ich aber. Verdammt, ist das peinlich. Lass mich sofort ans Steuer! Was soll der denken, wenn du unsern Oschi fährst, und ich sitze daneben und singe Andrea Berg. Der muss denken, ich hab nich alle Tassen im Regal.“

„Schrank!“

„Oder der denkt, ich bin senil. Alzheimer oder Parkinson oder beides. Was meinst du, wie schnell sich so was rumspricht? Ehe du dich versiehst, bisse wech vom Fenster, Tattergreis, ausgemustert, will keiner mehr was mit dir zu tun haben. Nix is mit Präsident. Wenn Manni mich so sieht, kann ich einpacken, ein für alle Mal.“

Sie hielt sich die Ohren zu und stabilisierte das Lenkrad kurzfristig mit den Knien. „Dann bück dich, und lass dich nicht blicken. Vielleicht achtet er auch gar nicht auf uns. Wieso auch.“

„Selbstverständlich achtet der auf uns. Der kennt den Oschi, der hat doch wochenlang bei Ullrich auf dem Hof gestanden, als wir den Fahrradhänger eingebaut haben und das ganze Zeugs. Manni hat sogar mal ne Runde mit ihm gedreht. Der war begeistert.“

„Guck an – so’n Manni lässt du mal eben fahren, aber mich nicht? Kopf runter!“ Sie drückte seinen Kopf mit den schütteren, graumelierten Haaren auf der durchschimmernden kreisrunden Platte nach unten. Das Haupthaar hatte sich weitestgehend von Gerds Kopf verabschiedet. Liz Taylor machte Wuff!.

„Ab gehter!“

Der Oschi machte einen unbedeutenden Satz und schnurrte los. Aus der Tiefe des Fußraumes hörte sie Gerds gedämpfte Stimme: „Den ersten Gang langsam kommen lassen und auf grader Strecke ordentlich Gas geben!“

„Klappe!“, blaffte sie nach unten. „Verhalt dich still, Manni guckt schon!“ Sie kicherte in sich hinein.

„Hat er dich gesehen? Hat er dich gegrüßt?“

„Keine Ahnung, ich bin ja noch nicht vorbei.“

„Pass auf, wenn du aus der Ausfahrt fährst, da ist so’n toter Winkel, wenn du –“

„Jetzt guckt dein Manni! Ich glaube, er grüßt, seine Hand ist oben. Ich fahre schön langsam und grüße freundlich zurück!“

„Untersteh dich! Guck nach vorne beim Fahren, Mensch! Bist du an ihm vorbei?“

Sie schwieg ausgedehnt und sang dann laut: „Science Fiction huhuhu…“ und was die Rocky Horror Picture Show sonst so hergab. Sie hatten auch Staying Alive von den Bee Gees im Repertoire und Dancing Queen von ABBA – beides empfohlene Rhythmen für eine mögliche Wiederbelebungsdruckmassage. 120 Mal in der Minute. Das sangen sie gelegentlich vorbeugend. Das Cockpit des Oschis als Raum des gemeinsamen Glücklichseins … Das war aber schon länger her. Hoffentlich bekam er da unten keinen Herzinfarkt. Let it be.

„Was ist? Kann ich wieder hochkommen? Ich krieg nen Krampf. Ich komm mir vor wie der Plumpsack.“

„Lieber nicht, Manni guckt so komisch. Huhuhu!“

Gerd quälte sich langsam hoch und bemerkte erstaunt: „Wir sind ja schon längst wieder auf der Straße.“

„Ach was. Ist alles prima gelaufen. Manni hat nicht schlecht geguckt. Wahrscheinlich hat er sich gefragt, warum du dich unterm Beifahrersitz versteckst. Für einen angehenden Präsidenten natürlich völlig unwürdig.“

„Hör bloß auf. Wenn das rauskommt, bin ich geliefert.“ Gerd zwängte sich wieder auf den Sitz und rieb sich die Knie.

„Ich schweige wie ein Grab. Ich fahre allerdings jetzt direkt nach Dortmund-Wickede.“

„Wickede? Ich glaub, mich tritt ein Schwein! Da wohnt doch Conny!“ Seine Stimme klang nahezu schrill.

„Pferd, Gerd!“

Liz Taylor hob neugierig ihren Wuschelkopf. Gerd hatte Schweißperlen auf seiner Geheimratsstirn. Er klagte über einen verspannten Nacken, sein rechter Fuß betätigte unablässig das imaginäre Bremspedal. Er rauchte eine nach der anderen. Im Fahrerhäuschen herrschte dichter Nebel.

„Ich verstehe. Das Beifahren stresst dich selbstverständlich nicht. Aber wenn du so weiter rauchst, fahre ich bestimmt irgendwann vor einen Pömpel. Ich seh nix mehr, und Luft krieg ich auch kaum. Denk mal an mein Asthma!“

„Lenk nicht ab! In Wickede wohnt deine Busenfreundin Conny, diese alte Schreckschraube, und du willst da hin, stimmts?“

„Und wenn es so wäre? Wir wollen eine Runde klönen. Spricht was dagegen?“

„Allerdings“, stieß er hervor. „Erstens ist das nicht abgesprochen und dann weißt du genau, die Frau nervt mich ohne Ende. Außerdem ist es ein Umweg.“

„Umweg von was?“

„Ein Umweg eben, verdammt noch mal, wenn ichs sage.“

„Wir sind spontan unterwegs, grob Richtung Griechenland. Wir lassen das alles auf uns zukommen … ganz entspannt. Mal sehen, wo es uns unterwegs hintreibt. Wir wollen mal so richtig loslassen. Deine Worte.“

Sie hatte schon geahnt, dass Gerd mit „loslassen“ vermutlich „vergessen“ meinte. Ihr Göttergatte hoffte angesichts blühender Landschaften wohl auf eine Art temporäre Amnesie bei ihr. Ratzefummel oder Tipp-Ex für Ereignisse, die es besser nicht gegeben hätte. Löschtaste und so tun, als wäre nichts gewesen. Eine Fähigkeit, die er recht gut beherrschte, wenn es um seine Beziehungsangelegenheiten ging.

„Mich treibt es zu Conny nach Wickede. Ich hab Redebedarf, muss mal mit einem normalen Menschen über den ganzen Mist reden, den du Zuhause angerichtet hast. Meinst du, an mir geht alles spurlos vorüber?“

„Diese Emanze hat dir noch nie weitergeholfen! Die mit ihrem ganzen Männerhass, die muss mal richtig durch –“

Kathrin pfiff laut. Liz Taylor sprang nervös hoch. Wenn sie eins draufhatte, dann pfeifen. Wie Ilse Werner oder Roger Whittaker.

„Bitte, Gerd. Sag es nicht! Das ist so abgelutscht, das ist so unter aller Kanone, ich kann es nicht mehr hören!“ Sie äffte seine Stammtischbrüder nach: „Guck mal die Claudia Roth, die müsste man mal so richtig … Die Andrea Nagel, die könnteste mir um den Bauch binden, hahaha. Das Anna-Lenchen mit ihren süßen Kleidchen, die würd ich auch nicht von der Bettkante stoßen. Die Schwarzer, die sollte mal an einen richtigen Mann geraten. Die von der Leyen würd ich nicht mal mit der Kneifzange anpacken. Ob Mutti wohl noch mit ihrem Professor Sauerteig …? – Das ist alles so was von abgeschmackt und primitiv!“

„Is aber so! Guck nach vorne!“ Trotz Rauch konnte sie sein breites Grinsen sehen.

„Aber dann Eva? Sie ist wirklich keine Schönheit, um nicht zu sagen, sie ist sogar ziemlich aufgedonnert. Und du konntest die Finger nicht von ihr lassen? Vielleicht hat Nicole ja recht – du vögelst alles, was nicht bei zehn auf den Bäumen ist … Ach, stimmt – auf die Bäume kommste ja nicht mehr.“ Sie stieß hämische Lachlaute hervor. Aber eigentlich war ihr übel.

„Bei drei!“

„Was – bei drei?“

„Bei drei auf den Bäumen!“

„Da bist du wohl stolz drauf.“

„Das sagt die Richtige. Mit dir und dieser Mecki-Chose fing doch alles an. Wenn ich mir vorstelle … du mit diesem Loser … Mannomann!“

„Ich fahr jetzt zu Conny. Schluss! Dieses ewige Streiten! Ich bin es leid. War das eigentlich immer so?“

Sie konnte sich gerade wirklich nicht erinnern.

Lizzy saß auf Gerds Schoß. Es kam Kathrin so vor, als würde sie ihr zuzwinkern.

*

Gerd starrte demonstrativ laut schweigend aus dem Beifahrerfenster auf vorbeiziehende Wiesen, Äcker und bewaldete Hügel. Ein untrügliches Zeichen für seine miese Stimmung.

„Is was?“, fragte Kathrin unschuldig. Das Kamener Kreuz nahte und erforderte ihre Aufmerksamkeit.

„Bin ich nicht mehr Herr im eigenen Haus? Macht hier eigentlich jeder, was er will? Als Beifahrer auf dem Weg zu Conny mit einer Ehefrau, die mal wieder auf ihrem Möchtegern-Emanzentrip ist. Muss ich mir diesen ganzen Tinnef in Dauerschleife anhören? Übrigens: Die Buletten haben irgendwie komisch geschmeckt! Ich musste mir dermaßen viel Löwensempf draufklatschen, damit es halbwegs schmeckte.“

„Sind ohne Fleisch, nur mit Zucchini, Karotten, Sonnenblumenkernen und Semmelbrösel. Lecker, nech?“

„Ich brösel dir gleich was! Gehört das auch zu deinem neuen Plan? Grünzeugs statt Fleisch? Da mach ich nicht mit. Das sach ich dir gleich. Hat Conny dir das eingeredet?“

Er schnallte sich ab und machte Anstalten aufzustehen.

„Fahr mal vorsichtig. Ich hol mir ein Bier, getz, wo ich nicht selber fahre, kann ich mir ja einen hinter die Binde kippen.“

„Isses schon wieder so weit? Muss der Alkoholpegel wieder gepflegt werden?“

„Du kannst mich mal.“ Er wackelte nach hinten und kramte zwei Dosen aus dem Schmuggelboden. „Auf einem Bein kann man nicht stehen. Und wenns mir passt, trinke ich auch drei. Damit du Bescheid weißt.“

„Jau, du kannst mit Liz Taylor im Mobil pennen, wenn ich Conny besuche. Mit Hunden und Typen mit Bierfahne, die alle naselang auf Klo müssen, hat sies nicht so.“ Lizzy schnaubte etwas beleidigt. „Und glaub bloß nicht, dass ich alle fünf Minuten auf einem stinkigen Parkplatz für deine Pinkelpausen anhalte.“

„Interessiert mich sowieso nich, euer Damenkränzchen. Da bin ich eh nur drittes Rad am Wagen.“

„Fünftes!“

„Wieso?“ Er richtete sich auf. „Conny, du und ich sind drei. Willste mir jetzt unterschieben, dass ich nicht bis drei zählen kann?“

„Ein Wagen hat vier Räder, und du wärst dann das überflüssige fünfte. So geht das Sprichwort. Ich dachte, mit Autos kennst du dich aus?“

„Elende Erbsenzählerei! Mir steht das Ganze getz schon Oberkante Unterlippe!“

*

DORTMUND WICKEDE: Tag 1 und 2

Gerd ging mit Kathrin zu Conny hoch – schmale quietschende Holzstufen, trockenes Gestrüpp auf halber Treppe –, um ihr schnell mal „Tach!“ zu sagen. In gewisser Weise munterte es ihn etwas auf, als er sah, in welcher Bruchbude sie jetzt hauste: Eineinhalb Zimmer mit Schrankbett, Ausziehsofa und Zweiquadratmeterbalkonien. Dann ließ er großzügig verlauten, warum er ausgesprochen gern im hochwertigen Luxusliner schlafen würde. Die Damen könnten dann einen Abend in dieser traurigen Behausung unter vier Augen verbringen, vor allem um über Männer herzuziehen.

Conny – hennarote Langhaarfusseln mit graumeliertem Haaransatz, ansonsten durchaus ansehnlich für ihr Alter – meinte, er solle sich mal nichts einbilden. Zwei Frauen könnten nicht nur über Männer, sondern auch zum Beispiel über Politik oder den Beruf reden.

„Was fürn Beruf? Du krepelst mit deinem Gekritzel am Existenzminimum rum, wenn ich mich hier so umgucke, und kriegst nicht mal eine Rente. Und Kathrin hat noch nie richtig gearbeitet.“

Die Damen sogen gleichzeitig tief Luft durch die Nasen. Conny merkte an, dass der Haushalt die Keimzelle der Gesellschaft sei, ein völlig unterbezahltes, kleines Unternehmen. Kathrin empörte sich: „Kinder, Haushalt, der Garten und die Buchführung bis hin zur Steuererklärung – das ist wohl auch keine Arbeit?“

„Arbeit, naja – Beruf jedenfalls nicht. Wer die Kohle nach Hause bringt, bestimmt, wo’s langgeht. Das ist Fakt!“

„Hau bloß ab!“

„Genau“, sagte Gerd, „mach ich auch. Ich wette, ihr redet doch den ganzen Abend über uns. Na egal, ich verpiesel mich mal. Bin fünf Straßen weiter auf dem Lidl-Parkplatz, falls was anliegt. Ich mach mir nen schönen Tatort-Abend und esse dann die restlichen Bröselklopse und den letzten Kanten trockenes Graubrot.“ Vermutlich würden Kathrin und Conny kein Mitleid mit ihm haben aufgrund der mageren Mahlzeit. Wenn er gewusst hätte, dass sie am ersten Abend ihrer großen Reise nach hundert Kilometern in Dortmund-Wickede bei Conny landen würden, dann wäre er in Brake geblieben und hätte Sportschau auf Großbild geguckt. Arminia Bielefeld hatte wieder verloren. Schalke wackelte wie gewohnt im Abstiegskampf herum, diesmal in der zweiten Liga und Dortmund kriegte einfach nicht die Kurve zur Meisterschaft, weil die cleveren Bayern am Ende wieder besser waren.

Er steckte sich eine Zigarette an und ging mit Liz Taylor in der trostlos grauen Arbeitersiedlung rund um den Lidl-Parkplatz Gassi. Als sie ihren Haufen kurz vor den Grünstreifen an den Rand der Brennnesseln und Löwenzähne legte, guckte er geflissentlich Richtung Sonnenuntergang. Kein Mensch in Sicht.

„Watt is dat denn!? Samma, gehts noch? Hat dein Köter da etwa hingekackt, und du krichst die Knie nich ma krumm?“ Gerd fuhr herum und starrte auf einen gewaltigen Brustkorb.

Der hatte seinen Kopf an einer Stelle, die er nicht einsehen konnte.

„Wieso?“, fragte er beiläufig, „was ist los?“, und lies seine Zigarette als Beweis seiner potenten Männlichkeit lässig im Mundwinkel hängen.

„Dat Geköddel da!“ Ein dicker Finger zeigte in die Richtung des Löwenzahns. „Hömma, dat hat deine Töle da grade an die Pusteblume abgelegt, woll! Aufheben, abern bisken dalli, Bruder!“

„Ach je, ähm, den hab ich gar nicht gesehen.“ Gerd bückte sich – eine demütigende Geste vor diesem Schrank auf zwei Beinen – und opferte sein Stofftaschentuch, eine Marotte, die er von seinem Vater übernommen hatte. Der war zeit seines Lebens mit gebügelten weißen Stofftaschentüchern mit Streifen-Rändern in der Hosentasche herumgelaufen. Von Mutter Brinkhorst handverlesen gebügelt. Das waren noch Zeiten!

Liz Taylor hüpfte nervös zwischen Gerd und dem Schrank hin und her.

Gerd schlürfte betont lässig qualmend an dem Doppelhaushälften-Cowboy vorbei. Die warme Matschepampe im Tuch lag weich und feucht in seiner Handinnenfläche. Als er außer Sichtweite war, klatschte er selbige mit einem vernehmlichen Knall auf eine weiße SUV-BMW-Haube. „So'ne Kacke!“

Im Oschi entledigte sich Gerd als erstes seines kratzenden Polohemdes. Es ging nichts über Halsfreiheit. Ein Grund, warum er das Leben eines freien Unternehmers mit freier Bekleidungswahl und ohne Schlipse angestrebt hatte und von jeher die Freien Demokraten wählte, auch wenn er Loser, die kaum die fünf Prozent erreichten, nicht leiden konnte.

In seinem heimatlichen Schrank hingen genau zwei Binder. Der Schwarze baumelte fertig gebunden an einem Halsgummi und war für Beerdigungen vorgesehen, die es in letzter Zeit immer häufiger gab. Der andere, silberblaue wurde ihm von Kathrin, die das Binden eines vollständigen Windsorknotens beherrschte, angelegt, wenn eine Hochzeit oder ähnliche Feierlichkeiten drohten. Gerd hasste Krawatten aus tiefstem Herzen, eigentlich wie kaum etwas anderes auf der Welt – außer vielleicht Mecki.

Nach dem Verzehr der letzten unechten Buletten richtete er sich sein Bett im hinteren Teil auf dem Schlafsofa ein. Von dort ließ er per Fernbedienung den Flachbildschirm aus dem Sideboard hochfahren. Da konnte er gleich liegen bleiben und musste nicht extra in den Alkoven klettern, was ihm zunehmend mehr Mühe bereitete. Natürlich würde er das Kathrin gegenüber niemals zugeben. Sie liebte ihre Kuschelecke unterm Dach, und er wollte sie diesbezüglich nicht enttäuschen.

Der Tatort langweilte ihn. Keine Äktschn. Es war ihm, als hätte er ihn schon mal gesehen. Stau auf einer Stuttgarter Straße, und der kleine Kommissar mit der langen Nase suchte einen Täter, der zuvor in einer Wohngegend ein Kind totgefahren und Fahrerflucht begangen hatte. In der vorletzten Szene war er sich hundertprozentig sicher, den Film schon mal gesehen zu haben. Wofür zahlte man eigentlich Fernsehgebühren, wenn immer alles wiederholt wurde!

Er erinnerte sich jetzt genau: Der verheiratete, junge Mann, der heimlich seine Geliebte besucht hatte, war der Täter! Gerd war überrascht, als es dann doch die junge hübsche Mutter mit der widerborstigen Tochter gewesen war. Ob er den Film vielleicht doch nicht gesehen hatte?

In der anschließenden Talkrunde kam ihm die Moderatorin seltsam fremd vor, und er überlegte, ob man bei beginnender Demenz auch Gesichter nicht mehr gut erkennen konnte, oder ob sie sich hatte liften und die Lippen aufspritzen lassen. Er war irritiert und konnte dem Thema nicht mehr folgen.

Liz Taylor rückte ihm mächtig auf die Pelle. Ihr etwas penetranter Mundgeruch erinnerte ihn an die frühen Fernsehrunden seiner Eltern, als die Nachbarn, allen voran Deterings Lotti, auf dem Sofa Platz nahmen, um Ohnsorg Theater mit Heidi Kabel zu gucken. Die dicke Lotti schnarchte nach zwanzig Minuten und verströmte strenge Gerüche aus dem Gedärm, nachdem sie den Käse-Igel und die Bowle mit Dosen-Mandarinen vernichtet hatte.

Die vollkommene Stille auf dem menschenleeren Parkplatz zerrte an seinen Nerven. Er zappte solange, bis ein paar fast nackte Superblondinen mit üppigen Brüsten mitsamt ihrer Telefonnummer dringend um einen Anruf baten, um ihm zu zeigen, was er so noch nie gesehen hatte. Logo! Sie würden das Versprechen niemals einlösen. Dennoch begann er zu schielen.

Dann nickte er nach einem orgastischen Selfie ein. Eine Blondine mit schwarzen Knopfaugen turnte durch seine Träume. Ihre weichen Locken streiften zärtlich sein Gesicht, und ihre raue Zunge leckte über seine Nase. Liz Taylor kläffte zweimal vernehmlich über ihm und brummte dann leise. Im Fahrerraum klirrte Glas.

Gerd lugte über seine Bettdecke. Eine Bewegung. Ein schneller, grauer Schatten. Gerd nahm durch die offene Lamellentür etwas auf dem Beifahrersitz wahr. Eine Hand vielleicht. Geflüster.

Er lag kerzengerade unter der Bettdecke, seine rechte Hand umklammerte noch seinen Johannes, als böte ihm dieser Sicherheit. Er schaute wie gebannt über den Rand seiner Decke auf die wandernden Schatten und war nicht in der Lage, sich zu bewegen, geschweige denn, einen Laut von sich zugeben. Tatort Campingmobil. Liz Taylor und er zitterten um die Wette.

Binnen Sekunden herrschte wieder Ruhe.

Er schälte sich lautlos aus seinem Bett. Liz Taylor blieb aufrecht sitzen und rührte sich nicht vom Fleck. Gerd betätigte reflexartig die Fernbedienung. Vier Takte WDR-Nachtmusik.

Er wagte sich zum Fahrerhaus vor, sah das aufgebrochene Seitenfenster. Smartphone und Geldbörse, die er auf dem Beifahrersitz hatte liegen lassen, waren verschwunden. Die digitale Herduhr flimmerte bei 4:58 Uhr. Er öffnete vorsichtig die Wohnwagentür. Geisterstunde auf dem Lidl-Parkplatz.

Keine Menschenseele. Nur Beton. Da näherte sich im fahlen Licht des Mondes von links ein übergroßer Schatten.

Der Reihenhausdoppelhäften-Cowboy bog um die Ecke, an der Leine ein sabbernder Dobermann, der lässig am hinteren Reifen seines Oschis das Bein hob.

„Irgendwo hörts dann auch auf!“, dachte Gerd, war aber gleichzeitig heilfroh über den unverhofften Besuch. „Entschuldigen Sie bitte, wir sind uns gestern Abend schon mal begegnet. Da hatten sie noch keinen Hund, aber meinen haben sie zur Schnecke gemacht. Erinnern Sie sich?“

„Klaro. Wat speckern Se denn um die Uhrzeit hier rum? Hund wieder kacken lassen, ohne Tüte, woll?“ Der Cowboy kam schnurstracks auf Gerd zu, sein Dobermann zerrte vorneweg an der Leine.

„Ihrer hat gerade an mein Auto gepieselt.“

„Hatter dat? Hamse dat in Dunkeln gesehen? Und wenn schon. Is dat vaboten?“

„Mannomann, das fehlt mir gerade, Sie, Sie …“

„Wat denn?!“ Der Ruhrpöttler blähte seinen Brustkorb auf. Gerd entschloss sich zum Rückzug.

„Jedenfalls bin ich gerade beklaut worden. Haben Sie was gesehen?“

„Nee, aber da sind Se ja onnich der Erste. Dat sind Profis, die klauen wie die Raben. Gerne auch aus so'ne Schickimicki-Womos.“

„Hätten Sie mich ja vielleicht auch mal warnen können, anstatt mich anzublaffen. Können Sie mir getz mal bitte helfen? Ich müsste die Polizei anrufen wegen der Versicherung. Hätten Sie mal ein Händi?“

„Um die Uhrzeit? Dat hat jetzt keinen Zweck. Kommt sowieso keiner. So wat erledigt man heutzutage online. Hamse denn keine Beifahrer? Oder ne Frau mit Händi? Mein Händi liegt auf Maloche. Vagessen!“

„Nee, bin kurzfristig solo. Meine Frau kommt später zum Frühstück. Und selbst?“

„Lucki-lucki machen!“ Hatte er ein Augenzwinkern beim Dicken gesehen? Was trieb den Typen zu nachtschlafender Zeit auf den Parkplatz?

„Wollen Sie ein Bier? Ich hab was in petto.“ Gerd zitterte etwas, wahrscheinlich vor Kälte. Er wollte jetzt nicht allein sein. „Warum nich.“

Gerd verschwand im Wagen und holte Bierdosen aus dem Unterboden. Liz Taylor lag noch immer auf dem Sofa-Bett und knirschte. „Sei still, Liz, du alte Furie. Draußen wartet ein Köter auf dich. Der atmet dich wech wie nix. Bleib ma schön drin!“

*

Hinter Lidl färbte sich der Himmel hellgrau, und die Sterne verblassten langsam. Erste Vögel meldeten sich. Die Geister zogen sich in ihre Höhlen zurück.

Gerd und der Doppelhaushälften-Cowboy saßen auf dem vollautomatisch ausfahrbaren Trittrost vom Oschi und starrten über ihre Bierdosen hinweg auf die güldenen ersten Sonnenstrahlen des Morgens.

„Gibts hier irgendwo Frühstück?“ Gerd verspürte ein leichtes Magengrummeln.

„Viel zu früh. Lidl macht erst um acht auf. Aber bei Hertha inne Würstchenbude gibts ab siebene frischen Kaffee. Den Schlenker gönn ich mir auch manchmal. Da haste dann auch wat zum Futtern wie bei Muttern. Ne schöne Fricko oder nen goldgelben Flattermann. Die Remouladensoße is Champions League. Hertha macht auch als Einzige weit und breit Maggi am Kartoffelsalat!“

„Maggi?“

„Jau. Maggi. Kennste nich Maggi, dat braune Zeuchs?“

„Klar. Nehm ich immer inne Suppe.“

„Siehste! Hertha tut dat am Kartoffelsalat. Schmeckt spitze. Is dat nich von den Doktor Oetker aus deine Gegend? Du kommst doch da wech? Seh ich an dein Nummernschild. Ich bin Dennis! Aprostata!“

Die Bierdosen schepperten aneinander. Man war nahtlos zum Du gewechselt.

Plötzlich stand Dennis auf und meinte, er würde jetzt „nonne Runde drehn.“ Der Dobermann riss sofort an der Leine.

Gerd konzentrierte sich. „Und wo finde ich Hertha?“ Die Aussicht auf eine richtige Bulette und Menschen mit Händis beflügelte ihn.

„Hertha steht auf der anderen Seite vom Lidl. Dauert aber noch anne zwei Stunden. Tschüssi! Frauchen wartet.“

Gerd holte sich eine weitere Dose Herfotter Pils und führte Liz Taylor auf den Grünstreifen, wo sie unbetütet einen dicken Haufen hinlegte. Im Morgenrot schimmerte der angetrocknete Hundekot vom Vorabend goldbraun auf der weißen SUV-Haube.

*

Es stank ihm gewaltig. Nun saß er in aller Herrgottsfrühe in dieser Betonwüste fest. Händi weg. Geldbörse weg. Scheibe kaputt. Falsche Buletten.

Er konnte den Oschi wegen des zerbrochenen Fensters nicht unbeaufsichtigt lassen. Wegfahren wollte er auch nicht, die Polizei musste den Überfall dokumentieren – für die Versicherung. Ein Foto konnte er ja auch nicht machen.

Es war noch vor sechs Uhr. Bald würden die ersten Arbeiter auftauchen. Dann könnte er einen von ihnen bitten, die Polizei anzurufen. Um nichts in der Welt würde er Kathrin um Hilfe bitten, nicht solange sie bei Conny war.

Ein Mist, das Ganze! So eine bekloppte Idee von Kathrin, bei ihrer Busenfreundin in Dortmund-Wickede zu übernachten. Die hielt ihn ja für komplett schwanzgesteuert, was natürlich Unsinn war, einem im Notfall aber als Entschuldigung für alles Mögliche diente.

Seine Butterblume – die würde immer zu ihm halten, egal, was passierte. Momentan war sie sauer. Das würde sich wieder legen. Alles eine Frage der Zeit. Auf seine Kathi war hundertprozentig Verlass. Die würde nie abhauen. Wohin denn auch? Zu ihrer Freundin nach Dortmund-Wickede? In eine miefige Eineinhalb-Zimmer-Wohnung? Und wenn er ihr den Geldhahn zudrehte und ihr Konto sperrte? Schließlich hatte er sich eine Vollmacht für ihr Konto einräumen lassen, für alle Fälle, wenn mal was passieren sollte. Das hatte er prima eingefädelt. Dann könnte sie nicht mal die Miete bezahlen, bei der Mini-Rente, die sie bekam. Nein, Kathrin liebte ihn, das war klar wie Kloßbrühe, und zu guter Letzt hatte sie ihre zahlreichen Drohungen noch nie wahr gemacht.

Dumm war sie nicht, seine Butterblume. Sie konnte kochen, wusste, welche Umschläge man bei Halsschmerzen machte oder welches Gemüse wann und wie gepflanzt werden musste. Und als Sekretärin war sie spitze gewesen. Und billig. Sie waren ein gutes Team.

Schlauer war er allemal, vor allem wenn es um Wirtschaft ging – also, nicht Kneipe, haha – nein, um Ökonomie und Logistik. Da hatte sie sich meist herausgehalten, hatte ihn vorgeschoben, ihn die Drecksarbeit machen lassen und gerne alles in Anspruch genommen, was sie sich leisten konnten. Eigentlich doch ganz schön clever, seine Kathrin.

„Na, alter Mann! Einsamer Wolf mit Womo? Wo ist Frauchen?“

Gerd, der wieder auf dem Fußtritt hockte, schreckte hoch und sah etwas Pinkes glitzern. Pink war für ihn keine Farbe, sondern das blanke Grauen. Er konnte sich kaum konzentrieren nach all den Bierchen und sah etwas verschwommen, entdeckte dann aber in dem ganzen Pink ein sehr junges, durchaus hübsches Gesicht.

„Und?“, erwiderte er forsch. „Wen haben wir denn da? Miss Piggy?“

„Josy, bitte sehr. Für dich, Miss Josy, alter Mann. Soll ich dir Licht in deine dunkle Hütte zaubern?“ Sie posierte aufreizend vor ihm, indem sie breitbeinig Stellung bezog. Sie stemmte eine Hand in die herausgestellte Hüfte, mit der anderen stützte sie ihr leicht erhobenes Kinn und machte einen pinken Schmollmund, so wie sich Klein Fritzchen die Babydoll-Anmache aus einem x-beliebigen Sex-Video vorstellte, zum Beispiel so eins wie von heute Nacht.

Gerd musste grinsen. „Also, Josy oder wie du heißt, was ist Sache? Was treibt dich zu diesem alten Mann, der auf jemanden wartet, der mit einem Händi vorbeikommt? Hast du vielleicht ein Händi, das du mir kurz leihen kannst?“

„Um wen anzurufen?“

„Die Polizei!“

Josy schreckte zurück. „Hab noch gar nichts gemacht!“

„Es geht auch nicht um dich. Ich habe andere Probleme“, er zeigte auf das Beifahrerfenster. „Bei mir wurde eingebrochen. Also, hast du?“

„Was kriege ich dafür?“

„Einen Zehner!“ Gerd witterte die Lösung seiner Angelegenheiten.

„Und wenn ich dir obendrein den Schwanz schön poliere, einen Hunni?“

„Wie bitte?“ Der Lacher blieb ihm im Halse stecken, und er spürte sofort, wie sich der Seinige, so konkret angesprochen, regte und leicht spannte. So eine direkte Wallung kannte er nur beim Babydoll-Pornos gucken. Ansonsten mussten schon andere Mittelchen her, damit seine Rakete abging.

„Na, du hast richtig gehört. Keine Angst, ich kenn mich aus und machs dir mit dem Mund. Und das alles, ehe Mutti anrollt.“ Sie kicherte. „Gehn wir rein in deine bescheidene Hütte. Du darfst mich auch anfassen, aber ich zieh mich nicht aus!“

„Was? Du lässt das ganze pinke Zeugs an?“, rutschte es ihm heraus. Irgendwas stimmte hier nicht Aber was?

„Jupp, aber ich hab kein Höschen an und auch keinen BH. Is mega geil, oder?“ Und dabei wackelte sie mit dem kleinen Hintern.

Es zuckte verdächtig in seiner Schlafanzughose. Um Gottes willen, er hatte noch immer seine Bollerbuxe an.

Josy starrte auf seinen Schritt. „Sieht schon ganz gut aus“, meinte sie fachkundig. „Da reicht die Hand. 150!“

Gerd sah etwas verschwommen und begann zu schielen. Er hasste es. Bei Erregung verdrehten sich seine Augen – wie bei Clarence, dem Löwen aus „Daktari“, weshalb Eva ihn immer „Clärchen“ genannt hatte. Ihm war das peinlich. Aber sie hatte das „süß“ gefunden. Sie himmelte ihn an, den starken mittelständischen Unternehmer aus Brake bei Bielefeld. Vor allem, wenn er ihr hübsche Geschenke mitbrachte.

Er war widerstandslos und atmete schwer. „Okay, okay, wir gehen rein.“

„Erst das Geld, dann gibts Schmackes, dat dich Hören und Sehen vergeht und dann telefonaniern. Okay?“