Machtverhältnisse und Interaktionen im Museum - Nicole Burzan - E-Book

Machtverhältnisse und Interaktionen im Museum E-Book

Nicole Burzan

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Beschreibung

Alte Meister, Instant-Nudelsuppen, virtuelle Umgebungen, aber auch umstrittene Bronzen – Objekte und Inszenierungen in Museen sind vielgestaltig. Diese Pluralität wird in diesem Band aus soziologischer Perspektive betrachtet. Ziel ist, Licht auf das Zusammenspiel von Ausstellungskonzepten, Inszenierungen und Interaktionen im Museum zu werfen. Fragen nach Machtverhältnissen stellen den roten Faden dar: Wie hat der Trend zu Erlebnisorientierung die Teilhabe von Publika verändert? Welche Scharnierfunktion erfüllen die Aufsichten im Kontext von Inklusionszielen, irritierten Deutungshoheiten und Ökonomisierungsprozessen? Inwiefern reproduziert und verändert das Museum gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse? Empirische Einsichten und Felderfahrungen werden dafür in wissenschaftliche Diskurse und Museumsdebatten eingeordnet.

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Über das Buch

Alte Meister, Instant-Nudelsuppen, virtuelle Umgebungen, aber auch umstrittene Bronzen – Objekte und Inszenierungen in Museen sind vielgestaltig. Diese Pluralität wird in diesem Band aus soziologischer Perspektive betrachtet. Ziel ist, Licht auf das Zusammenspiel von Ausstellungskonzepten, Inszenierungen und Interaktionen im Museum zu werfen. Fragen nach Machtverhältnissen stellen den roten Faden dar: Wie hat der Trend zu Erlebnisorientierung die Teilhabe von Publika verändert? Welche Scharnierfunktion erfüllen die Aufsichten im Kontext von Inklusionszielen, irritierten Deutungshoheiten und Ökonomisierungsprozessen? Inwiefern reproduziert und verändert das Museum gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse? Empirische Einsichten und Felderfahrungen werden dafür in wissenschaftliche Diskurse und Museumsdebatten eingeordnet.

Vita

Nicole Burzan ist Professorin für Soziologie an der TU Dortmund, Jennifer Eickelmann ist ebendort Post-Doc.

Inhalt

1Einleitung

2Machtsensibler Prolog: Museen und ihr Wandel

2.1Der Ausgangspunkt: Was macht Museen aus?

2.2Museumswandel seit den 1970er Jahren

2.3Deutungshoheit im Museum und ihre Irritation

2.4Zwischen Verteidigung, Reflexion und Diskursen um Postfaktizität

Exkurs I: Kolonial geprägte Museen? Machtverhältnisse in Diskursen um Restitution und Repräsentation

3Zur Dramaturgie des ›erlebnisorientierten‹ Museums

3.1Ein Konzept von Erlebnisorientierung im Museum

3.2Erlebnisorientierung und der Wandel von Museen

3.3Perspektiven Museumsverantwortlicher auf die Publikumsorientierung

Publikumsorientierung als prominentes Ziel

Publikumsorientierung als abgeleitetes Ziel

Publikumsorientierung als nachrangiges Ziel

3.4Perspektiven des Publikums auf Erlebnisorientierung

Frage 1: Wer sind die Besucher*innen?

Frage 2: Mit welchen Motiven kommen die Besucher*innen ins Museum?

Frage 3: Haben die Besucher*innen erlebnisorientierte Haltungen?

3.5Ungleichheit I: Deutungshoheit bleibt – Souveränitätsrhetorik bei raum-zeitlicher Lenkung

3.6Ungleichheit II: Museumsbesuche als Zeichen des ›guten Geschmacks‹?

Unsere Forschungsfrage in Anlehnung an Bourdieus Distinktionskonzept

Begriffliche Klärungen: Distinktionen und Inszenierungen

Distinktionsgelegenheiten im erlebnisorientierten Museum

Zur empirischen Überprüfbarkeit von Distinktion im Museum

Ist der Museumsbesuch also (noch) ein Zeichen ›guten Geschmacks‹?

Exkurs II: Vom Digitalen im Museum zum Museum im Digitalen

4Zur Scharnierfunktion von Museumsaufsichten

4.1Der Wandel des Aufsichtspersonals vom ›Wärter‹ zum ›Besuchsservice‹

4.2Aufsichten im Organisationsgefüge

4.3Möglichkeitsräume für Vermittlungen durch Publikums- und Personalkonzepte

4.4Perspektiven auf die Scharnierfunktion I: Zum Verhältnis zwischen Museum und Aufsichten

Die Sicht akademischer Professionen

Ansichten von Aufsichten

4.5Perspektiven auf die Scharnierfunktion II: Zum Verhältnis zwischen Aufsichten und Publikum

Der Blick von Aufsichten auf das Publikum

Ansichten des Publikums zu Aufsichten

4.6Zwischen Sicherheit und Service, Nähe und Distanz: Praxis im musealen Alltag

Spannungsfeld 1: Sicherheit oder Service?

Spannungsfeld 2: Selbstbestimmter oder normierter Museumsbesuch?

Spannungsfeld 3: Unterstützung von Öffnung oder Distinktion?

5Methodische Erfahrungen und Aha-Effekte

5.1Multiperspektivischer Zugang: Ein Überblick

5.2Auswahl der Museen und Zugang zum Feld

Die Fallauswahl der Museen

Misstrauen und der Bürokratie begegnen

Zwischenfazit zum Feldzugang

5.3Nicht nur Museen sammeln: Forschungsdaten generieren und dokumentieren

Interviews/Befragungen

Herausforderungen bei den Leitfadeninterviews

Leitfadengestützte Publikumsbefragungen

Standardisierte Befragungen

Die Forschendenrolle bei Befragungen

Zwischenfazit zu Befragungen

Beobachtungen und informelle Gespräche

Ad 1 bis 3) Ethnographie und weitere Beobachtungen

Ad 4) Videographie

Ad 5) Standardisierte Beobachtungen und ihre Vorbereitung

Zwischenfazit zu Beobachtungen

Dokumentenanalysen

5.4Wie aus Material Information wird: Interpretationen und Methodenverknüpfungen

Zwischenfazit zur Datenauswertung und Methodenverknüpfung

5.5Kommunikation: Zuspitzung für verschiedene Formate und Adressat*innen

5.6Kleine Rückschau in Interviewform

6.Ausblick

Dank

Die Autorinnen

Abbildungen

Tabellen

Literatur

Film

Nicole Burzan, Jennifer Eickelmann

Machtverhältnisse und Interaktionen im Museum

Campus Verlag Frankfurt / New York

1Einleitung

Museen sind nicht einfach Häuser, in denen Kunst und Kultur ausgestellt wird. Museen sind soziale Räume. Für soziologische Fragestellungen handelt es sich nicht nur deswegen um ein aufschlussreiches Forschungsfeld, weil Objekte und Menschen sich dort begegnen und sie miteinander interagieren, sondern auch, weil diese Begegnungen – oder auch ihr Ausbleiben – gesamtgesellschaftlich von Relevanz sind. Dies zeigte sich nicht zuletzt in den Debatten um die coronabedingten Museumsschließungen, die die Museumslandschaft weltweit vor enorme Herausforderungen stellten. Hier war beispielsweise davon die Rede, dass Museen in schweren Zeiten Trost spenden und Kraft geben können und damit gesellschaftliche Funktionen erfüllen (Lorch 2021) – und zwar ungeachtet des Umstands, dass Museen eben nicht alle Bevölkerungsteile gleichermaßen erreichen. Des Weiteren wurde darüber diskutiert, ob es sich bei Museen um Freizeitstätten oder um Bildungseinrichtungen handelt. Das hatte Folgen für die Debatte zur Schließung von Kultureinrichtungen, die als Freizeiteinrichtungen kategorisiert und damit geschlossen wurden. Zusätzlich ist bei der Forderung, die Museen wieder zu öffnen, aber auch zu Tage getreten, dass Museen Ausdruck von Machtverhältnissen sind. So wurde wiederholt betont, dass Museen unter hygienischen Gesichtspunkten sicher seien, und zwar weil sie ihren Betrieb ohnehin zur Sicherung ihrer Objekte und so auch ihres Publikums »steuern« und überwachen (ebd.). Aber nicht nur in dieser Hinsicht sind Machtverhältnisse in Museen ein soziologisch instruktives Thema.

Wenn im Folgenden von Macht die Rede ist, dann meinen wir nicht, dass es sich um eine Eigenschaft einzelner Personen handelt, die Macht ›haben‹. Mit dem Begriff der Machtverhältnisse geht es uns vielmehr um die Vielfalt von Machtbeziehungen (vgl. Foucault 2005: 255). Diese können wiederum zur ungleichen Verteilung von Handlungsoptionen und auch Repräsentationen führen. Im Museumskontext stellen sich dazu etwa Fragen wie die, wer überhaupt entscheiden kann, was bewahrenswert bzw. wertvoll ist und dadurch Teil eines kollektiven Gedächtnisses wird. Sind es z.B. die ›alten Meister‹? Oder ist es auch das Toilettenpapier als Symbol von Bevorratungen in der Coronakrise im Frühjahr 2020? Welche und wessen Geschichten werden erzählt? Diese Fragen zielen nicht allein auf museumsinterne Diskussionen, sondern das Museum wird hier zum Ort, in den öffentliche Debatten eingelagert sind und der diese zugleich befördern oder umlenken kann. Man könnte hier beispielsweise an Fragen zum Klimawandel oder zur Aufarbeitung kolonialer Vergangenheiten denken. Und auch mit Blick auf die Digitalisierung experimentieren Museen und stoßen Debatten an. Schaut man weiterhin genauer auf das Museumspublikum, zeigen sich zusätzliche Aspekte, die im Zusammenhang mit Macht stehen: Wie exklusiv oder inklusiv ist das Publikum heutzutage? Wie stark wird das Publikum in Museen gelenkt, etwa im engeren Sinne räumlich und zeitlich oder im Hinblick auf ›richtiges‹ Verhalten – wird z.B. lautes Sprechen sanktioniert? Darf man Mitmachstationen in mehr als einer Weise nutzen? Und gibt es Lenkungen im weiteren Sinne im Hinblick auf die als angemessen geltenden Deutungen des Ausgestellten? Wie verändern digitale Formate Machtverhältnisse und Teilhabeoptionen? Schließlich finden wir im Museum wie auch in anderen Organisationen Hierarchien und Machtverhältnisse, die mit den Aufgaben, Zielen und Anforderungen eines Museums zusammenhängen.

Damit lassen sich idealtypisch drei Ebenen von Machtverhältnissen unterscheiden, die für unsere Perspektive relevant sind. Erstens die gesellschaftliche Ebene: Mit Blick auf die Geschichte des modernen Museums und die aktuellen Debatten um Restitution lassen sich hier u.a. globale Ungleichheitsverhältnisse thematisieren. Zweitens die institutionelle bzw. organisationale Ebene: Hier betrachten wir Museen als Scharniere, d.h. als vermittelnde Dritte, die Kultur bzw. Gesellschaft einerseits und das Publikum andererseits miteinander in Bezug setzen. Indem sie hier eine Vermittlungsfunktion erbringen, können sie sowohl zur Infragestellung als auch zur (Re-)Produktion sozialer Ungleichheiten und symbolischer Ordnungen beitragen. Drittens die Ebene der kleinen sozialen Einheiten: Museen regulieren die Art und Weise, wie Besucher*innen sich in Ausstellungen bewegen, wie sie mit Exponaten und/oder miteinander interagieren. Diese Regulierungen sind wiederum an konkrete Perspektiven von Menschen im Feld gebunden. Letztlich entstehen hier Möglichkeiten zur Partizipation, aber eben auch zu hierarchischen Abgrenzungen.

Interessant ist nun, dass solche Machtverhältnisse weder in allen Museen gleichförmig noch über die Zeit hinweg statisch sind. In Forschungsprojekten wie unseren, in denen wir zwar einige Jahre, aber nicht Jahrzehnte selbst empirisch in und zu Museen geforscht haben, äußert sich der Wandel etwa dadurch, dass wir gerade mit der Perspektive auf die soziale Praxis in Museen und auf konkrete Interaktionen in konkreten Situationen zeigen können, inwiefern sie zum einen Ausdruck bestehender Strukturen sind, diese zum anderen aber auch stabilisieren oder verändern. Mit dieser Perspektive untersuchen wir Ausstellungs- und Publikumskonzepte, Gestaltungen und Objekte sowie die Blickwinkel und Praxis von Ausstellungsmacher*innen, Aufsichten und Besucher*innen. Ergänzend beziehen wir öffentliche Diskurse zu Museen ein.

Unser multiperspektivischer Zugang ermöglicht es uns im Folgenden, verschiedenen Leitfragen mit Bezug zu Machtverhältnissen nachzugehen, die ihren gemeinsamen Nenner in der Frage haben, inwiefern Museen gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse reproduzieren, stabilisieren oder ggf. auch Impulse für deren Wandel geben.

Forschungsfragen

1.Das Museum als Vehikel von Deutungsmacht?

Sind Ausstellungen geprägt durch die Deutungsmacht von den in Museen verantwortlichen Professionen? Wird damit von einigen wenigen definiert, was relevant oder erinnerungswürdig ist, was als ›guter‹ Geschmack gilt und wie die Exponate mit welchen Vermittlungsstrategien und -zielen ausgestellt werden? Aber andererseits: Ist das angesichts der Fachkompetenz der Beteiligten nicht legitim? Oder orientieren sich große Ausstellungen, die ›Blockbuster‹, nicht vielmehr umgekehrt an einem möglichst breiten Publikumsgeschmack? Dieser Fragenkomplex betrifft somit ein hierarchisches Verhältnis zwischen verschiedenen Professionen (z.B. Historiker*innen, Pädagog*innen, Gestalter*innen) im Museum sowie zwischen Museumsverantwortlichen und dem Publikum bzw. Öffentlichkeiten. Sozialer Wandel lässt sich, so viel sei hier vorweggenommen, ganz deutlich beobachten: Diese Deutungsmacht wurde in den letzten Jahrzehnten aus verschiedenen Perspektiven und innerhalb unterschiedlicher Diskurse in Frage gestellt und hat Museumskonzepte verändert und ausdifferenziert. Ein Stichwort lautet hier, dass die Erlebnisorientierung von Ausstellungen zugenommen hat, womit veränderte Vorstellungen des Verhältnisses von Museen zu ihrem Publikum verbunden sind.

2.Museumsbesuche als Ausweis des ›guten‹ Geschmacks?

Kann man als Museumsbesucher*in seinen sozialen Status anzeigen – indem man überhaupt diesen (zumindest ehemals) Ort der Hochkultur betritt und indem man demonstriert, dass man sich fachlich und im Hinblick auf Gepflogenheiten im Museum auskennt? Gilt der Museumsbesuch also als Zeichen des ›guten‹ Geschmacks, auf den man distinktiv, aber natürlich zugleich beiläufig etwa beim Geschäftsessen verweisen kann? Lassen sich auch innerhalb des Museums die ›Kundigen‹ von den ›Unkundigen‹ unterscheiden? Wir blicken mit dieser Frage also auf soziale Ungleichheiten auf der Seite des Publikums (das nach wie vor im Vergleich zur Gesamtbevölkerung häufiger eine höhere Bildung aufweist) und berücksichtigen außerdem, welche Rahmenbedingungen die Museen bzw. die Ausstellungen liefern, um solche Distinktionen eher zu fördern oder eher zu hemmen. Angesichts tendenziell steigender Besuchszahlen – im Jahr 2019 gab es allein in Deutschland knapp 112 Millionen Museumsbesuche (Institut für Museumsforschung 2021: 12) – und der Ausdifferenzierung von Museumskonzepten ist davon auszugehen, dass sich der Distinktionseffekt von Museumsbesuchen gewandelt hat. Doch es spricht ebenso einiges dafür, dass er dennoch nicht einfach verschwunden ist.

3.Museumsaufsichten als Scharnier zwischen Kultur und Publikum?

Welche Rolle spielen Aufsichten als Mittler zwischen Kunst bzw. Kultur im Museum und ihrem Publikum, mit denen die Besucher*innen unweigerlich in Kontakt kommen? Fördern sie mit einem Schwerpunkt auf Sicherheitsaufgaben eher eine gewisse Distanzierung des Publikums zum Ausgestellten? Oder führt eine Betonung auch von Serviceaufgaben, z.B. durch Hinweise zu Mitmachstationen, vielmehr zu einer Förderung des Ziels, ein möglichst breites Publikum anzusprechen und zu ›inkludieren‹? Welche Rolle spielt es dabei, dass die Aufsichten selbst in einer formal niedrigqualifizierten Dienstleistungsposition sind und nur selten mit Wertschätzung für ihre Arbeit rechnen können? Welche Rolle spielt das Museum als Organisation und als Arbeitgeber hier? Mit den Aufsichten betrachten wir somit eine ganz spezifische Hierarchiestufe zwischen Museumsleitungen und Publikum, die sich mit den Museumskonzepten gewandelt hat und sich fraglos weiter wandeln wird.

Zur empirischen Grundlage

Empirisch beruht unsere Untersuchung auf zwei geförderten Forschungsprojekten. Zum einen ist dies das Projekt »Die Dramaturgie des ›erlebnisorientierten‹ Museums. Eine Mixed-Methods-Studie zum Wandel von Distinktionsformen im Wechselspiel von Kulturangebot und Kulturaneignung«. Es wurde 2014 bis 2017 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert (Projektnr. 248999274) und war ein Kooperationsprojekt gemeinsam mit der Soziologin Diana Lengersdorf (Universität Bielefeld). Zum anderen handelt es sich um das Projekt »Aufsichten – Vermittler – Animateure. Zur Rolle des Servicepersonals bei der kulturellen Bildung«, das von 2016 bis 2019 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in der Förderlinie »Kulturelle Bildung« (FKZ 01JK1603) gefördert wurde.

Wir haben verschiedene empirische Methoden genutzt. So haben wir beobachtet und Interviews geführt (überwiegend Leitfadeninterviews, aber auch standardisierte Befragungen), Aufsichten ethnographisch in ihrem Arbeitsalltag begleitet, in zwei Ausstellungen Videographien durchgeführt und Dokumente verschiedenster Art analysiert. Wir haben uns auf wenige Häuser konzentriert, in denen wir intensiv geforscht und ein breites Methodenrepertoire eingesetzt haben. In vielen weiteren Museen haben wir ergänzende Beobachtungen vorgenommen und teilweise Gespräche geführt, und zwar überwiegend, aber nicht allein im deutschsprachigen Raum. Unsere Methoden stellen wir detailliert am Schluss unseres Buches dar. Wir haben dort nicht allein unsere Fallauswahl, Erhebungs- und Auswertungsmethoden etc. beschrieben, sondern unsere Methoden auch im Lichte der inhaltlichen Befunde reflektiert. So können vor dem Hintergrund unserer inhaltlichen Argumente bislang wenig erörterte Fragen der empirischen Museumsforschung diskutiert werden.

Der Aufbau des Buches

Im zweiten Kapitel beschäftigen wir uns zunächst mit den Fragen, was Museen ausmacht und wie sie sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt haben. Dabei geht es uns insbesondere darum, inwiefern die angesprochenen Deutungshoheiten in gewisser Weise irritiert wurden und wie Museen damit umgehen.

Hieran schließt sich ein erster Exkurs an, der die aktuellen Debatten um Restitutionen von Raubkunst und die Rolle von Museen im Kontext von kolonialen Vergangenheiten und Rassismus aufgreift, in denen (globale) Machtaspekte eine herausgehobene Stellung einnehmen.

Das dritte Kapitel greift mit der Erlebnisorientierung eine zentrale Entwicklung des Wandels von Museen heraus. Nach einer Klärung dieses Konzepts und seiner Zusammenhänge mit dem Wandel von Museen generell untersuchen wir empirisch die Perspektiven von Ausstellungsverantwortlichen ebenso wie von Besucher*innen daraufhin, welche Rolle Erlebnisorientierung für sie spielt. Den roten Faden der Macht- und Ungleichheitsfragen fokussieren wir daraufhin zum einen durch die These, dass Erlebnisorientierung sowohl mit einer Rhetorik weitgehend souveräner Besucher*innen als auch zunehmenden raum-zeitlichen Lenkungen des Publikums einhergeht. Zum anderen widmen wir uns der Frage, inwieweit ein Museumsbesuch heutzutage als Distinktionsmittel dienen und so soziale Ungleichheiten stabilisieren kann. Hierbei spielen sowohl Ausstellungsgestaltungen als auch Besuchssituationen eine Rolle. Dabei diskutieren wir außerdem, ob und wie sich Distinktion in erlebnisorientierten Museen überhaupt empirisch erkennen lässt, sei es für Forscher*innen oder für die Mitbesucher*innen.

Der sich anschließende zweite Exkurs beleuchtet, inwiefern die bis dahin oftmals angesprochene Digitalisierung in und von Museen nicht allein für musealen Wandel von hoher Bedeutung, sondern auch Ausdruck spezifischer Machtkonstellationen ist. Dabei geht es auch darum, inwiefern Soziale Medien historische Konzepte des Kuratierens und z.B. auch davon, was überhaupt ein ›Museumsobjekt‹ ist, irritieren und damit nicht zuletzt Deutungsmacht verschieben (können).

Im vierten Kapitel sehen wir Museen als Institution und Organisation an. Die bislang wenig beachtete Rolle des Aufsichts- und Servicepersonals begreifen wir als gleichwohl wichtiges Scharnier zwischen ausgestellter Kultur im weitesten Sinne und dem Publikum. Wir werden sehen, dass es für eine näheschaffende Vermittlungsfunktion gegenüber einem möglichst breiten Publikum zahlreiche strukturelle Hürden gibt, die zugleich die Funktionsweise von Museen erhellen. Als besonders aufschlussreich erweist sich hier nicht zuletzt der Blick auf konkrete Interaktionen zwischen Aufsichten, Objekten und Besucher*innen.

Schließlich situieren wir im fünften Kapitel unser methodisches Vorgehen sowie die Herausforderungen, die uns während unserer Forschung begegnet sind. Darüber hinaus teilen wir einige Aha-Effekte, die auch über unsere konkrete Studie hinaus von Interesse sein dürften – in der Museumsforschung genauso wie etwa auch in der (ethnographisch orientierten) Organisationsforschung.

Ein Ausblick schließt das Buch ab.

2Machtsensibler Prolog: Museen und ihr Wandel

2.1Der Ausgangspunkt: Was macht Museen aus?

Wenn man klären möchte, was ein Museum überhaupt ist und welche Funktionen es hat, ist ein Blick in die Geschichte aufschlussreich. Man findet dort Vorformen heutiger Museen – etwa die fürstliche Wunderkammer – und verschiedene Bedeutungen des Begriffs. So wurde ›Museum‹ seit der Antike auch als Bezeichnung für einen Studienort bzw. eine Studierstube oder für ein Sammlungsverzeichnis verwendet (te Heesen 2012, Walz 2016a). Erst viel später allerdings, um 1900, verdichteten sich die Worterklärungen in Lexika hin zu öffentlich präsentierten Sammlungen. Zu diesem Zeitpunkt war ein spezifisches Museum, das als zentrales Symbol für die Entwicklung moderner Museen gilt, bereits seit über 100 Jahren eröffnet, und zwar der Louvre in Paris, der 1793 seine heutige Funktion erhielt (vgl. Fliedl 2016). Im Zuge der Aufklärung entstand ab dem Ende des 18. Jahrhunderts das Museum allmählich als fester Ort, an dem Gegenstände zum einen öffentlich ausgestellt wurden und auch in öffentlichem Besitz waren. Zum anderen waren solche Ausstellungen auf Dauer angelegt – im Gegensatz etwa zu den im 19. Jahrhundert aufkommenden Weltausstellungen. Der öffentliche Zugang bedeutete nicht, dass alle Bevölkerungsschichten nun gleichermaßen Museen besuchen konnten. Aber im Vergleich zum Zugang für kleine Eliten profizierte zumindest das Bürgertum von der Öffnung, und auch Gründungsinitiativen für neue Museen gingen vom Bürgertum aus. Es gibt eine weitere Einschränkung, den öffentlichen Zugang als Demokratisierung zu deuten: Tony Bennett (1995) etwa betont in Anlehnung an Michel Foucault, dass man Museen auch als Orte der Disziplinierung verstehen kann, an dem bürgerliche Normen eingeübt wurden, so dass auf diese Weise Herrschaft durch Kultur ausgeübt wurde. Machtverhältnisse sind also ein Thema, das mit Museen eng verbunden ist.

Bedenkt man, dass das lateinische Wort »exponieren« so viel heißt wie »darstellen, zur Schau stellen«, verwundert es also kaum, dass sich das Museum im 18. und 19. Jahrhundert als spezifische Schau-Anordnung etablierte (vgl. te Heesen 2012: 22; Leahy 2012: 45 ff.). Eine wichtige Funktion von Museen im 19. Jahrhundert bestand zudem darin, die ›eigene Kultur‹ zu repräsentieren (Beier-de Haan 2005; Baur 2010). Im Zeitalter der Nationalstaaten ging es um Identitätsstiftung und in diesem Zusammenhang auch um die Behauptung der Überlegenheit der eigenen Kultur. Solche nationalen Selbstvergewisserungen wurden erst viel später wieder grundsätzlich in Frage gestellt und sind noch immer relevant, unter anderem im Zuge postkolonialer Debatten.

Zurück zu den Merkmalen von Museen: Öffentlich ausgestellte Sammlungen sind ein Element, das immer wieder als Charakteristikum von Museen betont wird (Pomian 2013). Abgrenzungen sind aber auf den zweiten Blick nicht so einfach: Sammlungen gibt es nicht nur in Museen, sondern auch z.B. in Archiven oder an Universitäten. Öffentliche Ausstellungen ihrerseits sind nicht unbedingt mit einer dauerhaften eigenen Sammlung verbunden – z.B. in Kunsthallen oder im Science Center.

Eine trennscharfe Bestimmung, was Museen heutzutage ausmacht, gibt es nicht. Das liegt auch an ihrer starken Ausdifferenzierung. Eine grundlegende Aufteilung in Natur-, Kultur- und Kunstmuseen (Walz 2016b) lässt sich schnell erweitern. Gemessen am Thema und an den beteiligten Wissenschaften kann man z.B. an technische oder archäologische Museen denken. Aber auch in vielen anderen Hinsichten sind Museen heterogen. Nur einige Beispiele sind, ob das Museum eher lokal oder international ausgerichtet ist, ob es eine oder mehrere Ausstellungssparten abdeckt, wie der Ort ›Museum‹ beschaffen ist (z.B. als eigens geschaffenes Gebäude, Industriedenkmal, Schloss, Freilichtmuseum oder als virtueller ›Ort‹) und in welcher Trägerschaft es sich befindet (vgl. auch Baur 2010).

Eine bis heute gängige Beschreibung von Museen hat das International Council of Museums (ICOM) im Jahr 2007 vorgenommen. Es definiert Museen so:

»Ein Museum ist eine dauerhafte Einrichtung, die keinen Gewinn erzielen will, öffentlich zugänglich ist und im Dienst der Gesellschaft und deren Entwicklung steht. Sie erwirbt, bewahrt, beforscht, präsentiert und vermittelt das materielle und immaterielle Erbe der Menschheit und deren Umwelt zum Zweck von Studien, der Bildung und des Genusses.« (ICOM Deutschland 2020c)

Als die fünf Kernaufgaben von Museen gelten also: Erwerben (manchmal auch: Sammeln), Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln (Thiemeyer 2018: 7-16).

Diese Definition ist jedoch nicht feststehend, sondern sie wird fortwährend diskutiert und angepasst. So stand eine mögliche Neufassung auch 2019 bei der Generalversammlung des ICOM in Kyoto auf dem Programm. Man konnte sich jedoch nicht auf eine gemeinsame neue Definition einigen, so dass die Mitgliedsstaaten weiter darüber beraten. Hitzig diskutiert wird nicht zuletzt auch deswegen, weil die Definition unter anderem für die Vergabe von Fördermitteln zentral ist.

In der Debatte in Deutschland wurde dabei beispielsweise hinterfragt, ob Museen durch ihre Definition als Ort des »dialogischen, multidirektionalen Austauschs mit der Zivilgesellschaft« genügend sichtbar werden (ICOM Deutschland 2020a, 2020b; Thiemeyer 2019). Zur Vorbereitung der ICOM-Konferenz 2022 in Prag hat ICOM Deutschland im Weiteren 2021 zwanzig Schlüsselbegriffe an die internationale ICOM-Organisation geleitet. Neben der Betonung, dass ein Museum bewahrt, vermittelt und öffentlich ist, kommen hier auch Zielsetzungen mit Bezug auf die Umwelt oder Zukunft zum Tragen (ICOM Deutschland 2021). Das Beispiel zeigt, dass neben den Kernaufgaben weitere Definitionsbestandteile zur Diskussion stehen, etwa das recht vage Selbstverständnis, dass ein Museum »im Dienst der Gesellschaft« stehen solle.

Nicht nur der Wandel der Definition macht es schwierig, ein Museum klar zu identifizieren, hinzu kommen weitere Probleme. Drei seien hier genannt (Walz 2020): Erstens gibt es Übersetzungsunschärfen der international genutzten Definition. Der ›Genuss‹ als Zweck von Museumsbesuchen wird im Deutschen z.B. manchmal auch als ›Unterhaltung‹ bezeichnet, was nicht unbedingt identisch ist. Zweitens scheinen einige Kernaufgaben eher ein Ideal als eine Beschreibung zu sein. So gibt es etwa Museen, die keine neuen Objekte erwerben oder die kaum forschen, und ob ein Haus »im Dienst der Gesellschaft« steht, lässt sich wohl nur schwer konsensuell beurteilen. Drittens können die Kernaufgaben eine unterschiedliche Wertigkeit haben. Zwar kann man nur ausstellen, was man erworben bzw. ausgeliehen und bewahrt hat, aber dennoch gibt es z.B. Diskussionen darüber, ob sich der Erwerb von Objekten kurzzeitigen Publikumsvorlieben und damit dem Ausstellen unterordnen sollte oder gerade nicht. Trotz dieser Unschärfen und Unwägbarkeiten: Die fünf Aufgaben haben sich als Orientierung im Sinne eines zweckmäßigen Ausgangspunkts für weitere Diskussionen erwiesen.

Wir haben angesprochen, was ein Museum gemeinhin ausmacht und welche Kernaufgaben ihm zugeschrieben werden. Im letzten Punkt dieses Abschnitts ergänzen wir, wofür ein Museum symbolisch steht. Joachim Baur (2010) zeigt auf, dass mit Museen ein bemerkenswert weites Spektrum an Assoziationen verbunden werden kann: Dieses reicht von starker Vergangenheits- zu starker Zukunftsorientierung. So kann man das Museum erstens als Mausoleum ansehen – das Gesammelte ist verstaubt, nicht mehr lebendig im Sinne seines vorherigen Kontexts. Man kann es zweitens als Spiegel betrachten, z.B. als vermeintliches Abbild des Vergangenen oder der Nation bzw. Gesellschaft. Wir werden später sehen, dass gerade diese Lesart durchaus skeptisch beurteilt wird, wenn man Ausstellungen so versteht, dass sie stets in einem bestimmten Kontext Deutungen und Positionen transportieren. Drittens gibt es das Bild von Museen als Ort der (Re-)Produktion von Machtverhältnissen, als ›Tempel‹. Darauf kommen wir noch ausführlich zu sprechen. Und viertens schließlich kann das Museum auch als Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzungen oder sogar als Plattform für gesellschaftliche Veränderungen angesehen werden, wofür u.a. der Begriff des ›Forums‹ steht.

Die einleitende Betrachtung zeigt: Museen sind nicht nur aufgrund der in ihnen ausgestellten Dinge spannend. Sie eröffnen ein weites Feld, was dort stattfinden kann, wofür sie stehen und wie sie mit dem Wandel von Gesellschaften verbunden sind.

2.2Museumswandel seit den 1970er Jahren

Ist es bereits nicht einfach, als Momentaufnahme festzuhalten, was ein Museum ist und worin seine Funktionen bestehen, so ist auch der Wandel von Museen in den letzten Jahrzehnten ein vielgestaltiger Prozess, der sich nicht rein linear darstellen lässt. Wir skizzieren diesen Wandel daher anhand verschiedener Dimensionen und ihrer Kontexte (s. Abb. 2.1), die sich wechselseitig beeinflussen (vgl. zu einer chronologischen Abfolge z.B. Baur 2012) und die in sich verändernden Konstellationen nicht zuletzt zu einer deutlichen Pluralisierung von Museen geführt haben. Im Sinne des thematischen roten Fadens von Machtverhältnissen stellen wir außerdem die Frage, inwiefern sich im Zuge dieses Wandels Ansprüche auf kulturelle Deutungshoheiten ebenfalls verändert haben.

Abb. 2.1:Dimensionen und Kontexte des Wandels von Museen

Quelle: eigene Darstellung

Eine erste Dimension zur Charakterisierung von Museen stellen ihre Aufgaben und Ziele dar. Die oben genannten fünf Funktionen: Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln zum Zweck von Studien, Bildung und Genuss können dabei höchst unterschiedliche Gewichtungen annehmen. Weiterhin gibt es innerhalb dieser Phänomene Differenzierungen: In unserer Erforschung von Erlebnisorientierung haben Museumsleitende beispielweise zwar oft Genuss und Unterhaltung bejaht, aber eine damit offenbar häufig assoziierte ›Disneyfizierung‹ (Bryman 2004) als oberflächliche Unterhaltung nur für den Augenblick zurückgewiesen. Zudem gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, welche Themen als relevant gelten und was es zu vermitteln gilt, seien es Wissensbestände, eindrückliche Erlebnisse oder eine emanzipatorische Aufklärung anhand von hoch- oder populärkulturellen Objekten. In dieser Dimension lässt sich kaum ein einheitlicher Trend ausmachen. Die Debatte etwa um eine Objekt- oder Publikumsorientierung ist keinesfalls neu, und auch wenn heutzutage wohl kaum ein Museum ohne den Blick auf sein potenzielles Publikum auskommt, changieren die Ausprägungen der fokussierten Ziele doch deutlich zwischen Museen und im Zeitverlauf. Augenfällig ist allerdings, dass das Museum in den 1970er Jahren als wichtiger Ort außerschulischer Bildung an Bedeutung gewann.

Die Funktion der Vermittlung deutet auf eine zweite Dimension hin: Publikums- und damit auch Öffentlichkeitskonzepte. Ein bedeutsamer Aspekt des Wandels besteht darin, dass ein soziodemographisch und -ökonomisch möglichst breites Publikum angesprochen werden soll. Die Stichworte hierzu lauten ›Öffnung‹ und ›Inklusion‹ von Menschen z.B. aus sogenannten bildungsfernen Milieus, aller Altersgruppen und mit Beeinträchtigungen verschiedenster Art, an die sich ausdifferenzierte und teilweise ausdrücklich niedrigschwellige Vermittlungsprogramme richten (sollen). Die Programmatik ließ sich ab den 1970er Jahren als ›Kultur für alle‹ (z.B. Keuchel 2009) fassen. Heutzutage werden Museen zwar nicht mehr fast ausschließlich von Angehörigen gebildeter Klassen besucht, wie es Pierre Bourdieu und Alain Darbel Ende der 1960er Jahre für europäische Kunstmuseen beschrieben haben (2006: 33). Doch nach wie vor ist ein höher gebildetes Publikum überrepräsentiert, in Kunstmuseen stärker als in anderen Museumsgenres (für Deutschland z.B. Wegner 2016; Lindner 2016). Inklusion ist also in erster Linie ein politischer Anspruch (der auch etwas mit der Behauptung einer Dominanzkultur zu tun hat, vgl. Hübscher 2020: 23 f), weniger eine Beschreibung der Breite des Museumspublikums. Ein zweiter Aspekt von Publikumskonzepten richtet sich darauf, inwieweit das Publikum als rezeptiver Empfänger von Vermittlung oder als mitgestaltender Akteur aufgefasst wird (Gesser et al. 2012; Ackermann 2013; Piontek 2017).

Partizipation ist somit ein ebenfalls zunehmend geäußerter Anspruch, das Spektrum ihrer Umsetzung ist hingegen breit – es reicht von der Vorstellung, dass im Zuge des Museumsbesuchs verschiedene Deutungen oder Auswahloptionen angeboten werden, über den Aufruf, (Alltags-)Gegenstände als Ausstellungsstücke beizusteuern, bis hin zu Workshops, in denen eine künftige Ausstellung mitgestaltet wird. Im letzteren Fall wird das zu Vermittelnde sogar erst gemeinsam konstituiert. In einigen Fällen lässt sich jedoch allenfalls von einer Souveränitätsrhetorik sprechen. Die Aufforderung in einer Ausstellung etwa »Gestalten Sie Ihren Ausstellungskatalog individuell und selektiv« in Verbindung mit mehreren Zetteln zum Abreißen suggeriert Individualität und Gestaltungseinfluss dort, wo lediglich eine recht begrenzte Auswahl aus fest vorgegebenen Optionen getroffen werden kann.

Je nach Publikumskonzept – und hier zeigt sich eine Verbindung zu den Aufgaben und Zielen – erscheint das Museum dann als unterschiedlicher Ort, etwa als Musentempel (dies zumeist nur als Abgrenzungsfolie zu Museen ›früher‹), als Lern- und Aufklärungsort, Plattform oder post-repräsentatives Forum. Bezeichnend ist etwa, dass das aus verschiedenen Richtungen kritisierte Humboldt-Forum in Berlin (s. Exkurs I) das ›Museum‹ eben nicht mehr im Namen trägt, sondern als Ort von Aushandlungen, Experimenten und Laboratorien wahrgenommen werden will.

Zwischen den Museumsverantwortlichen, die Aufgaben und Ziele des Museums (mit) festlegen, und dem Publikum sind die Exponate, die Ausstellungsstücke angesiedelt – mit entsprechenden Gestaltungsprinzipien und Objektverständnissen sowie ihrer Präsentation. Auch hier ist ein Wandel erkennbar. So zeigt Mario Schulze (2017) in einer Studie anschaulich folgende idealtypische Abfolge auf: Das Objekt als authentisches Artefakt, als Meisterwerk oder Schatz in den 1950er und 1960er Jahren, das »schweigende Objekt«, das durch Texttafeln erst zum Sprechen gebracht werden muss, in den 1970er Jahren, das »zeichenhafte Objekt«, das durch seine Inszenierung eine spezifische Botschaft vermittelt, in den 1980er Jahren, wenig später fortgesetzt durch umfassend szenographisch präsentierte »polyphone Objekte« und schließlich eine neu entdeckte Objektzentrierung mit als handlungsmächtig verstandenen Dingen seit etwa der Jahrtausendwende (was im wissenschaftlichen Diskurs durch einen ›material turn‹ flankiert wird; vgl. auch Griesser et al. 2016). Interessanterweise korrespondiert die Wiederentdeckung der Materialität der Objekte mit deren digitaler Vervielfältigung (Schweibenz 2020: 15). Die Digitalisierung von Museumsobjekten, sei es via Google Arts & Culture1 oder auch für Social Media-Plattformen, ist also nicht gleichzusetzen mit einer Ent-Materialisierung des Museums, sondern es handelt sich vielmehr um eine Erweiterung bzw. eine Multiplizierung von Museumsobjekten. Die Objekte werden somit keineswegs obsolet und auch nicht einfach digital ›ersetzt‹, sondern das Verständnis von den Museumsobjekten selbst wandelt sich und dadurch auch ihre Inszenierungsprinzipien. So bietet die Aus- bzw. Darstellung von Objekten auf der Plattform Google Arts and Culture einen anderen Zugang (es gibt Informationen, aber es darf auch gepuzzelt werden, einige Museen stellen eigens für die Plattform Inhalte bereit) als zum Beispiel TikTok (wo es stärker um Kreativität und Untermalung mit Musik geht, wobei die Objekte stark transformiert werden2). Dadurch hat jedes Museumsobjekt mindestens eine doppelte Historizität: eine Geschichte vor seinem Eintritt und eine mächtige Geschichte auch seit dem Eintritt ins Museum, wo es dann in einen bestimmten Kontext eingeordnet wird (kritisch hierzu Hicks 2020: xiv). Mit der Digitalisierung schwindet ein Stück weit auch die Deutungsmacht von Kurator*innen und Ausstellungsgestalter*innen, denn die Besucher*innenschaft fertigt ja ebenfalls digitale Kopien an, lädt sie beispielsweise auf ihre Social Media-Profile oder inszeniert sie neu. Wenn man verschiedene Museen ›vor Ort‹ besucht, wird man feststellen, dass es sich allerdings auch hier nicht um eine strenge Abfolge sich ausschließender Prinzipien und Objektverständnisse handelt, sondern dass es eine Pluralität gibt mit unterschiedlicher Zentrierung und Präsentationsweise der Objekte in der Ausstellung. Zum Exponat selbst kommen dabei in unterschiedlicher Menge und Form weitere Medien hinzu: z.B. Texte, verschiedene Sinne ansprechende Inszenierungskontexte und Aktivitätsangebote – unter anderem durch Mitmachstationen oder immersive Formate. Darauf kommen wir im Zuge der Erlebnisorientierung in Museen zurück (Kap. 3). Festzuhalten bleibt als Wandlungsaspekt: Das Repertoire von Inszenierungsweisen von Ausstellungsobjekten ist vielfältig geworden, denn die Präsentationskonzepte deuten wiederum auf spezifische Ziele und Publikumskonzepte des Museums hin.

Die beschriebenen Veränderungen sind durch verschiedene Kontexte gerahmt. So wirkt sich ein genereller Prozess der Ökonomisierung auch auf Museen aus: Selbst jenseits höherer Gewinnerwartungen (in staatlich subventionierten Häusern) spielt es doch – zumindest als Zeichen des Erfolgs und der Legitimation – eine Rolle, wie viele Besuchende kommen (Eintritt zahlen, im Museumsshop und -café etwas kaufen), in welchem Umfang Sponsoren gewonnen werden können und wie man (etwa durch das Outsourcing von Dienstleistungen wie der Aufsicht, s. Kap. 4) möglichst kostengünstig wirtschaftet. Bildungskonzepte fördern das Museum als außerschulischen Lernort sowie das Ziel der Inklusion und beeinflussen die Möglichkeiten der Museen nicht zuletzt mittels damit zusammenhängender Förderinstrumente. Nicht zufällig gewann das Museum aus pädagogischer Sicht in Zeiten einer generellen Bildungsexpansion als Lernort an Bedeutung. Politische Akteur*innen stellen u.a. in massenmedialen Öffentlichkeiten immer wieder die Frage nach der Legitimität (und damit wiederum: Förderungswürdigkeit) von Museen, Themen etc. Ist etwa eine Ausstellung über Minderheiten relevanter als die Kulturgeschichte von Bier und Currywurst? Dürfen und sollen politische Akteur*innen in die Ausstellungsgestaltung eingreifen, etwa zum Zwecke einer (vermeintlichen) Antidiskriminierung? (s. kritisch dazu Beier-de Haan 2018) Museen können zudem mit gegensätzlichen Symboliken aufgeladen werden: als Ort der Förderung von Demokratisierung oder Diversität und breiter gesellschaftlicher Debatten, aber auch als Ort der Reproduktion sozialer Ungleichheiten, an dem ganz bestimmte Formen von Kultur legitimiert werden, als Feindbild populistischer Reden oder als Symbol »postfaktischer« Verhältnisse. Gerade im Kontext digitaler Öffentlichkeiten wird Empörung artikuliert, die auf Museumsverantwortliche Druck ausüben kann, etwa in Bezug auf die Auswahl der ausstellenden Künstler*innen. Rechtliche Fragen spielen unter anderem eine Rolle, wenn es um Eigentumsaspekte von Objekten geht, man denke nur an in kolonialen Kontexten oder im Nationalsozialismus geraubte Kunst. Zudem sind versicherungsrechtliche Aspekte relevant, wenn beispielsweise eine Versicherung den Schutz eines Exponats mithilfe einer Glasvitrine vorsieht. Die Verwendung medientechnologisch gestützter Inszenierungen ist nicht neu, doch haben die Anwendungsoptionen insbesondere im Zuge der Digitalisierung zugenommen. Man kann hier etwa an den Audioguide denken, der erst zum Multimediaguide wurde und in den letzten Jahren oft als variantenreiche App auf dem Besucher*innensmartphone eingesetzt wird. Virtuelle Realität in der Ausstellung und Kombinationen von physischen und digitalen Besuchen sind ein weiteres Beispiel. Und nicht erst seit den Schließungsphasen während der Pandemie gibt es Roboter als Ausstellungsführer. Der Einsatz digitaler Technologien ist dabei nicht gleichzusetzen mit einer erfolgreicheren Vermittlung und hat zudem ›Nebenwirkungen‹ – so verändert sich die Interaktionssituation während einer Führung, wenn jede*r Zuhörer*in die Stimme des Guides per Kopfhörer hört. Schließlich spielen natürlich die Bezugswissenschaften unter anderem für die Inhalte von Ausstellungen eine Rolle: Was ist ›wertvolle‹ Kunst, wie sind archäologische Artefakte historisch einzuordnen – und umgekehrt liefert die Forschung in Museen ihrerseits wissenschaftliche Impulse. Aber auch indirekter wirken sich wissenschaftliche Debatten aus, etwa im Sinne von Objektverständnissen (s.o.) oder in Form der ›New Museology‹ (Vergo 1989; McCall und Gray 2014), die seit etwa den 1980er Jahren das Bewusstsein für die soziale und politische Rolle von Museen beförderte.

Bemerkenswert ist, dass diese Kontexte teilweise in einem konflikthaften Verhältnis zueinander stehen. Beispielweise ist ein diversifiziertes Vermittlungsprogramm nach Kosten-Nutzen-Erwägungen nicht unbedingt wirtschaftlich. Zwar profitieren Museen sowohl aus Inklusions- als auch aus ökonomischer Perspektive von möglichst vielen Besucher*innen, doch entsprechende Aktivitäten erfordern Ressourcen, und mehr Besuchende bedeuten noch nicht, dass auch unterschiedliche Gruppen angesprochen wurden oder dass sie nach der ›Blockbuster‹-Ausstellung erneut ins Museum kommen. Solche Ausstellungen wiederum sind zwar potenziell massentauglich, orientieren sich allerdings nicht zwingend an den aktuellen wissenschaftlichen oder künstlerischen Debatten. Museumsleitungen finden sich entsprechend zunehmend in der Rolle als politisch sensibilisierte, verschiedene Anforderungen ausbalancierende Kulturmanager*innen wieder. Im Ergebnis entwickeln sich Museen durchaus auch zu »Gemischtwarenläden«, wie uns eine Museumsleiterin beschrieb.

Mit einer differenzierungstheoretischen Perspektive lassen sich solche Konfliktlagen weiter erhellen (vgl. auch Burzan 2017b). Dieser Ansatz (Luhmann 2005, Schimank 2007) geht davon aus, dass moderne Gesellschaften sich nicht durch verschiedene Teilbereiche arbeitsteilig zu einem Ganzen zusammensetzen und es auch nicht ein klares Zentrum (z.B. die Ökonomie als Hauptmotor der gesellschaftlichen Entwicklung) oder eine regulierende Spitze (z.B. die Politik) von Gesellschaften gibt. Stattdessen nimmt jedes funktional ausdifferenzierte Teilsystem – Ökonomie, Politik, Kunst, Medien, Wissenschaft, Bildung etc. – einen ganz eigenen Blick auf ›die Welt‹ ein. Unabhängig voneinander existieren diese allerdings nicht, sondern sie sind strukturell aneinander gekoppelt. Im Museumskontext schaut man mit der ökonomischen ›Brille‹ z.B., ob das Museum wirtschaftlich erfolgreich ist, aus einer pädagogischen Sichtweise geht es um Lerneffekte, wissenschaftlich um die Einordnung von Ausstellungen in z.B. (kunst-)historische Diskurse und politisch darum, ob eine Förderung den mutmaßlichen Wähler*inneninteressen entspricht. Ein wichtiger Punkt lautet hiernach nun, dass einer Ausbalancierung unterschiedlicher Interessen angesichts der jeweiligen Ganzheitlichkeit dieser Perspektiven markante Hürden entgegenstehen. In ihren Berufsrollen stehen Museumsverantwortliche dennoch unter Druck, Strategien für strukturelle Kopplungen zwischen diesen Bereichen zu finden. Eine Kuratorin eines Kunstmuseums machte etwa deutlich, dass für sie der künstlerische Wert von Ausstellungen und die Ästhetik der Gestaltung vor einer Publikumsorientierung rangieren. Beispielsweise findet sie Wandbeschriftungen hässlich und bevorzugt stattdessen unauffällige kleine Beschilderungen, selbst wenn Besucher*innen diese dann etwas schlechter lesen können. Aber auch sie kuratiert neben von ihr als ›anspruchsvoll‹ angesehenen Ausstellungen solche, die einem breiten Geschmack entgegenkommen – und in denen die Beschilderungen dann sogar etwas größer sind. Grenzziehungen und Kopplungen zwischen gesellschaftlichen Bereichen sind dabei nicht statisch, sondern immer wieder gibt es Aus- und auch Entdifferenzierungsprozesse. So haben sich einerseits an Ausstellungplanungen beteiligte Berufe ab den 1980er Jahren weiter ausdifferenziert, unter anderem mit der Aufgabe der Gestalterin. Andererseits gibt es Hinweise dafür, dass eine generell konstatierte Ökonomisierung von Lebensbereichen auch im Museum eine zunehmende Bedeutung erhält.

Es ist immer eine Vereinfachung, komplexe Prozesse auf einen Trend zuzuspitzen, doch mit diesem Warnhinweis auf Vereinfachung treffen wir die Aussage, dass in Museen heutzutage zum einen Entgrenzungstendenzen des Ausstellens festzustellen sind. Dies gilt etwa für die Vermischung von Genres (Baur 2012) oder bei partizipativen Konzepten für Verknüpfungen von Kuratieren und Vermitteln (Sternfeld 2017). Zum anderen sind die Anforderungen an Verantwortliche im Museum gewachsen, sich gegenüber Zumutungen aus verschiedenen Lebensbereichen (differenzierungstheoretisch: Teilsystemen) zu positionieren. Natürlich gilt dies nicht für jedes Museum gleichermaßen, dafür sind deren Konzepte und Bedingungen – welche Zuschüsse gibt es etwa durch den Staat oder Stiftungen, liegt das Museum an einem touristisch attraktiven Standort etc. – zu unterschiedlich. Doch sind in aller Regel neben der Qualität einer Ausstellung aus der Sicht der Forschung oder im Feld der Kunst auch z.B. ökonomische Faktoren, politische Legitimation und Effekte für verschiedene Publikumssegmente in verstärkter Weise zu berücksichtigen.

Was bedeutet der hier skizzierte Wandel nun für Kontinuitäten oder Veränderungen von Deutungshoheiten? Diese Frage behandelt der folgende Abschnitt.

2.3Deutungshoheit im Museum und ihre Irritation

Im Museumskontext bedeutet Deutungshoheit (Stoellger 2014) zunächst einmal, dass Verantwortliche in Leitungspositionen entscheiden, 1) was sie dem Publikum zeigen, also etwa welche Künstler*innen oder Themen oder aus wessen Perspektiven – und welche Objekte aus der eigenen Sammlung oder Leihgaben sie dafür verwenden, 2) welche (mehr oder auch weniger vorab eindeutig bestimmten) Botschaften oder Erkenntnisgewinne damit verbunden sein sollen und 3) und was aus ihrer Sicht geeignete Präsentationsformen und Vermittlungsweisen sind. Solche Entscheidungen sind stets auch kritisierbar: Warum wurde Künstler*in X und nicht Y ausgewählt? Gibt es systematisch unterrepräsentierte Gruppierungen, z.B. als Künstler*innen oder in dem Sinne, an wessen Kulturgeschichte erinnert wird? Was gilt als insbesondere erinnerungswürdig, was nicht? Das, was im Museum ausgestellt wird, erfährt bereits durch seine Musealisierung eine Art Sakralisierung bzw. Fetischisierung (Henning 2006: 7 ff.), ob es nun das Gemälde eines alten holländischen Meisters oder der kulturgeschichtlich gerahmte Toaster ist. ›Ist das Kunst oder kann das weg?‹ – eine Antwort geben Kurator*innen durch ihre Entscheidungen für Themen und Objekte.

Deutungshoheit kann dabei gegenüber verschiedenen Gruppierungen beansprucht werden. Erstens ist dies das Publikum sowie Öffentlichkeiten oder Interessengruppen. Etwas weiter gefasst geht es auch um öffentliche Meinungsbildung und die Prägung gesellschaftlicher Diskurse. Weiterhin sind dies (institutionalisierte) Externe, z.B. Förderer/Sponsoren/Beiräte, Akteur*innen im Feld der Museen und der Kunst etc. Schließlich gibt es auch eine Deutungshierarchie von (sich ausdifferenzierenden) Berufsgruppen innerhalb des Museums, z.B. zwischen Kurator*innen und Museumspädagog*innen.

Eine ›rein darstellende‹ oder ›objektive‹ Ausstellung gibt es nicht. So trifft man z.B. auch in naturkundlichen Sammlungen eine Auswahl und folgt einem Sortierungssystem. Man sieht dies dem kleinen Heimatmuseum vielleicht weniger an als einer Ausstellung zum Klimawandel, aber im Grunde gibt es keinen substanziellen Unterschied im Hinblick darauf, dass Darstellungen stets aus einer spezifischen Perspektive, mit spezifischen Rahmungen und Intentionen vorgenommen werden und damit notwendigerweise partial sind. Teilweise erfolgt dies recht offensiv, wenn etwa in einer Ausstellung über Mobilität das Auto als Fortbewegungsmittel nicht sonderlich gut wegkommt. Deutungshoheit ist also nicht gleichbedeutend mit unkritischen im Sinne von herrschaftsstabilisierenden Haltungen. Die Hoheit richtet sich demgegenüber darauf, dass die Ausstellungsmachenden die kritischen Botschaften oder erwünschten Lerneffekte vorab festlegen. Dennoch ist die kuratorische Leistung, die auf der Basis von fachlichen Qualifikationen (z.B. als Kunsthistorikerin) und Berufserfahrung Objekte in einen Ausstellungszusammenhang bringt, ein substanzieller Teil der beruflichen Aufgabe von Kurator*innen. Die Besucher*innen interessieren sich gerade für eine spezifische Inszenierung des ausgestellten Themas – ähnlich wie im Theater. Aber dadurch, dass es sich immer um eine grundsätzlich kontingente Positionierung handelt, wird die konkrete Positionierung auch angreifbar, insbesondere dann, wenn sie sich als (vermeintlich) neutral inszeniert. Dies war etwa der Fall, als die National Archives in Washington D.C. Elemente eines Fotos von Protestierenden auf dem ›Women’s March‹ 2017 ›retuschierten‹. Ein Trump-kritisches Plakat wurde mit der Begründung, man fokussiere sich auf eine unpolitische Archivfunktion, verändert: Aus »God Hates Trump« wurde »God Hates …«. Nach öffentlicher Kritik wurde diese Änderung rückgängig gemacht (Cramer 2020).

Diese Relativierung von Deutungshoheit ist im nächsten Schritt in einen Rahmen gesellschaftlichen Wandels einzuordnen, um zu verstehen, inwiefern Museen zumindest zum Teil heute eher als ›Aushandlungsarena‹ charakterisierbar sind und/oder sich so verstehen wollen. Einen ersten wichtigen Faktor stellt die zunehmende Publikumsorientierung dar: In der Konkurrenz um die Aufmerksamkeit des (zahlenden) Publikums, das zwischen vielfältigen Freizeitangeboten wählt, können antizipierte Erwartungen der Besucher*innen kaum außen vor gelassen werden. Dabei werden Wandlungsimpulse nicht allein von ›außen‹ an Museumsverantwortliche herangetragen, sondern sie entwickeln sich auch von ›innen‹, etwa durch die Diskussion inklusiver und partizipativer Konzepte. Zudem führt die Pluralität von Ausstellungskonzepten immer wieder vor Augen, dass jeweils auch andere Präsentationsweisen oder Publikumskonzepte möglich sind. Im Zuge dessen gilt heutzutage ein reflexiver und transparenter Umgang mit Deutungshoheiten zumindest als legitimatorische Basis. Ein zweiter relevanter Faktor besteht darin, dass auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen berufliches Expert*innenwissen nicht ohne Weiteres akzeptiert wird. Man denke etwa an Ärzt*innen, die mit Diagnosen und Therapien aus dem Internet konfrontiert werden, oder an die Skepsis, die wissenschaftlichen Resultaten per se zuweilen entgegengebracht wird. Die oben angesprochenen digitalen Kommunikationswege fördern die Artikulation einer Meinungsvielfalt, wenngleich nicht immer klar ist, wer sich beispielsweise in wessen Namen empört. Deutungshoheiten sind somit irritiert, doch lässt sich andererseits auch nicht von einer linearen Entwicklung schwindender Wissenshegemonien sprechen. Es gibt ein breites Spektrum, auf derartige Irritationen zu reagieren, von der defensiven Verteidigung über offensive Reflexionen bis hin zu Diskursen über das ›postfaktische‹ Museum.

2.4Zwischen Verteidigung, Reflexion und Diskursen um Postfaktizität

Aller auch in der Museumsforschung rezipierten Reflexion zum Trotz, es gibt sie, die implizite oder auch explizite Verteidigung von Deutungsmacht. So verteidigen Museumsverantwortliche den ›Besitz‹ ihrer Sammlung, was etwa im Falle von Raubkunst eine mehr als prekäre Note erhält. Prominent in der Restitutionsdebatte (s. Exkurs I) sind unter anderem die sogenannten Benin-Bronzen (Holfelder 2019). In der 3sat-Sendung »Museumscheck«3 sagt der Direktor des Weltmuseums Wien, Christian Schicklgruber, als er auf diese Objekte angesprochen wird: