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Was ist nach dem großen Kampf auf dem Arlington Memorial Cemetary mit Matthew Drax geschehen?
Auch nach einer Woche ist er nicht wieder aufgetaucht; man hat aber -glücklicherweise - auch nicht seinen Leichnam gefunden. Aruula will sich nicht damit abfinden, dass ihr Gefährte verschollen bleibt. Sie setzt ihre Suche in Waashton fort - in einer Stadt, deren Verhältnisse nach dem Zusammenbruch längst noch nicht wieder geordnet sind.
Sie geht jedem Hinweis nach. Und gerät selbst in Lebensgefahr!
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Seitenzahl: 148
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Was bisher geschah
Matthew Drax – vermisst
Leserseite
Cartoon
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Lektorat: Michael Schönenbröcher
Titelbild: Néstor Taylor/Bassols
Autor: Ansgar Back
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-8387-5822-0
www.bastei-entertainment.de
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Am 8. Februar 2012 trifft der Komet „Christopher-Floyd“ die Erde – in Wahrheit eine Arche Außerirdischer, der Daa’muren. Die Erdachse verschiebt sich und ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die Menschheit ist – bis auf die Bunkerbewohner – degeneriert. In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, dessen Staffel beim Einschlag durch ein Zeitphänomen ins Jahr 2516 gerät. Nach dem Absturz wird er von Barbaren gerettet, die ihn „Maddrax“ nennen. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula erkundet er diese für ihn so fremde Erde.
In einem „zeitlosen Raum“, der Schnittstelle vieler Paralleluniversen, kollabiert ein Tor und schleudert etliche gefährliche Artefakte in unsere Welt. Mit einem Scanner spürt Matt die ersten davon auf und macht sie unschädlich. Doch dann werden er und Aruula wider Willen zum Mars befördert, wo sie in einen Bürgerkrieg geraten und genötigt werden, durch den Zeitstrahl zur Erde zurückzukehren. Doch die Anlage ist defekt: Sie überspringen ganze 16 Jahre!
Zunehmend treffen sie auf Robot-Nachbildungen historischer Führer, die eine Gruppe, die sich „Schwarze Philosophen“ (SP) nennt, als Statthalter einsetzt. In Glasgow rettet eine junge Frau Matts Leben: Xaana, seine Tochter aus der Zukunft. Doch er weiß nicht, dass seine Ex-Freundin Xij, die im zeitlosen Raum verschollen ist, von ihm schwanger war.
In Schottland wartet ein Schock auf Matt und Aruula: Die Burg ihres Freundes Rulfan ist zerstört! Die SP haben die Herrschaft übernommen und wollen die Artefakte im Hort des Wissens rauben. Rulfan zerstört sie alle und sein Sohn Juefaan schießt sich Matt und Aruula an. Er besitzt einen Symbionten, der sich von Blut ernährt und sich in jede Kleidung umformen kann.
In der Schweiz werden sie und Xaana Zeuge einer Katastrophe, die vom CERN-Forschungszentrum ausgeht: Dort öffnet sich eine Art Wurmloch, nur stecknadelgroß, doch von verheerender Kraft. Während Xaana zum neuen Hort des Wissens reist, treffen sie in Marseille erstmals auf die SP und können einen der mönchsähnlichen Männer als Geisel nehmen. In seinen Gedanken liest Aruula von einem weiteren Statthalter, der Ende Mai Washington übernehmen soll: die Robot-Version von Professor Dr. Smythe, Matts verstorbenem Erzfeind! Matt und Aruula brechen nach Meeraka auf, während Juefaan die Basis des Feindes in Nepal aufspüren will.
In New Orleans versucht das Paar den Transkommunikator an sich zu bringen, ein Artefakt, das den Kontakt zu Toten herstellen kann. Dabei entdecken sie, wie die SP ihre Roboter programmieren – nämlich mit den Seelen, die sie sich mit dem Transkommunikator holen! Matts tote Tochter Ann hilft ihnen, das Gerät unbrauchbar zu machen. In Waashton plant Smythe bereits die Übernahme und hat sich mit den unterirdisch lebenden Guulen verbündet. Matt und Aruula stoßen zu den Rebellen, um einerseits Smythes Plan zu vereiteln, aber auch General Crow und den Androiden Miki Takeo zu stürzen. Es kommt zur Entscheidungsschlacht auf dem Arlington Friedhof, wo auch Jacob Smythe, der mit seinem Hass auf Matt die Programmierung der SP überwunden hat, mit seiner Guul-Armee mitmischt. Am Ende ist Crow tot, die Guule sind besiegt, und von Smythe und Matt fehlt jede Spur …
Matthew Drax – vermisst
von Ansgar Back
Nooman starrte aus dem Fenster und dachte über sein nächstes Opfer nach. Es regnete. Das Wasser gurgelte durch den Rinnstein. Eigentlich eine willkommene Abwechslung, nachdem in den letzten Tagen die Hitze in Waashton Einzug gehalten hatte. Doch nicht für Nooman. Regen mochte er nicht, der machte ihn melancholisch.
Er zog die Vorhänge zu und widmete sich seinem Wohnzimmer. Alles war tadellos. Auch die Leichen, die er um den großen Holztisch drapiert hatte. Sieben tote Menschen. Und bald würden zwei weitere hinzukommen.
Nooman lächelte. Er näherte sich dem Tisch und strich einer der Leichen die grauen Haare aus der Knochenstirn.
Da begann das Beben!
Aruula war der Verzweiflung nahe. Seit sechs Tagen war Maddrax nun schon spurlos verschwunden!
Sie saß auf einem klapprigen Holzstuhl und knetete ihre Hände. Die Kriegerin befand sich in einem provisorisch errichteten Camp der neuen Sicherheitstruppe. Kareen „Honeybutt“ Hardy war bei ihr. Sigur Boschs Gefährtin sah so besorgt aus, wie Aruula sich fühlte. Sie stand an einer Truhe, die als Ablage für Geschirr und Papierkram diente. Wachen huschten umher, irgendwo quäkte ein Funkgerät. „Die Pause tut uns gut“, sagte Honeybutt.
Aruula nickte, obwohl ihr nicht nach Pausieren war. Fast eine Woche lang hatten sie alles nach Maddrax abgesucht, doch er blieb wie vom Erdboden verschluckt! In den letzten Tagen hatte ihnen auch Miki Takeo bei der Suche geholfen, trotz der Feindschaft, die ihm noch immer von Seiten der Bevölkerung entgegen schlug. Sechzehn Jahre, in denen der Android dank eines eingepflanzten Chips als General Crows Wachhund aufgetreten war, ließen sich nicht von heute auf morgen aus den Köpfen verbannen.
Im Rund des Amphitheaters hatte man Crows künstlichen Körper gefunden. Eine Säule hatte seinen Oberkörper zerschmettert; der Tyrann war endgültig tot. Unter ihm lag einer der Vircator aus Puerto Rico; Aruula war sicher, dass es jener war, den Maddrax bei sich gehabt hatte. Doch von ihm selbst weit und breit keine Spur. Nur Fußabdrücke, die sich vom Kampfort entfernten – und einen abgestürzten Gleiter in der Nähe des Theaters.
Der Artefaktscanner war Aruula geblieben. Maddrax hatte ihn vor dem Kampf auf dem Friedhof im Lager der WCA-Freedom zurückgelassen und Mr. Black hatte ihn in Verwahrung genommen.
Mr. Black. Er kümmerte sich inzwischen als Bürgermeister um die Leitung der Stadt und versuchte das Chaos, das mit dem Machtvakuum in Waashton ausgebrochen war, einzudämmen. Was ihm allmählich sogar gelang.
Suchtrupps waren losgeschickt, Informanten befragt worden, sogar Plakate mit dem Konterfei von Maddrax hatte man gedruckt und aufhängen lassen, doch bislang hatte sich keine Spur ergeben. Inzwischen rechneten die meisten damit, dass der Mann aus der Vergangenheit tot und seine Leiche unauffindbar war.
Allein bei dem Gedanken daran krampfte sich Aruulas Magen zusammen.
Das darf nicht sein!
Immer wieder musste sie an die Weissagung der Augure denken. „Er auf der Seite der Menschen und die Kriegerin auf der Seite der Götter bekämpfen den Feind gemeinsam. Nur in Harmonie kann es gelingen.“ Die Worte hallten durch ihren Kopf wie ein stetig wiederkehrendes Mantra. Wo lag der Sinn, wenn ihr Maddrax jetzt genommen wurde? Jetzt, nachdem sie ihre Liebe zueinander endlich wiedergefunden und bereit gewesen waren, einen neuen Anfang zu wagen?
Ich werde die Hoffnung nicht aufgeben! Niemals!
Ruckartig stand sie auf.
„Was hast du vor?“, fragte Kareen Hardy.
„Ich muss hier raus. Das Warten macht mich verrückt!“
„Und wo willst du hin?“
„Wie wär’s mit der Kanalisation?“ Aruula rückte ihre Rückenkralle zurecht. „Soweit ich weiß, hat man dort noch nicht gesucht.“
„Nach Auskunft der Guule –“
„Du vertraust diesem Gezücht?“, unterbrach Aruula sie. „Mal ehrlich – auch wenn die Leichenfresser jetzt stillhalten und sich offen für ein friedliches Miteinander geben: Wir wissen doch beide, was sie kurz nach den Kämpfen mit den Toten getan haben. Denkst du, sie würden es zugeben, wenn sie auch Maddrax …“
Sie sprach nicht weiter, denn das Bild, das in ihrem Kopf entstand, war zu widerwärtig. Trotzdem war es eine Möglichkeit, die sie einbeziehen musste.
„Du glaubst, er könnte -“
„Nein!“ Energisch schüttelte Aruula den Kopf. „Ich weigere mich, das zu glauben. Aber wenn wir nicht dort unten nachschauen, werden wir es nie wissen.“
Honeybutt straffte ihre Gestalt. „Gut“, sagte sie. „Ich komme mit.“
„Wolltest du nicht deinen Mann unterstützen?“, fragte Aruula. Sigur Bosh war aus dem geheimen Versteck der Rebellen nach Waashton gekommen und half im Pentagon aus. Hier konnte er sich am besten einbringen, nachdem er bei früheren Kämpfen beide Beine verloren hatte, und war gleichzeitig in der Nähe von Honeybutt und ihrem gemeinsamen Sohn. „Und auch Samuel Aiko braucht dich jetzt“, fuhr Aruula fort. „Er wird bald mit Neuigkeiten aus der Besprechung mit Mr. Black, Takeo und seinem Vater zurückkommen, dann solltest du hier sein.“
Honeybutt rang sichtlich mit sich. Sie brannte darauf, Aruula zu helfen, hatte sich andererseits aber bereit erklärt, während der Sitzung die Stellung im Camp zu halten.
„Du kannst ja später zu mir stoßen, falls es sich einrichten lässt“, fuhr Aruula fort. Sie erklärte der Freundin, wo genau sie in die Kanalisation einsteigen wollte. Dann verließ sie das Camp.
Es hatte geregnet und eine Brise aus Osten hatte Abkühlung gebracht. Doch schon als das Camp außer Sichtweite war, kam die Sonne wieder heraus. Ihre wärmenden Strahlen legten sich über die Stadt, erhellten die Straßen und schufen Schattengebilde in den Nischen.
Aruula begab sich zu der Stelle, wo der Gleiter abgestürzt war und wo es eine letzte Spur von Maddrax gab. Unterwegs begegneten ihr Patrouillen und Waashtoner Bürger, die ihrem Tagwerk nachgingen. Unweit der Unfallstelle stieg die Kriegerin durch einen Gullydeckel in die Kanalisation hinab.
Hier unten wurde das Licht von der Dunkelheit regelrecht verschluckt. Der Gestank, der in der Luft hing, raubte jedem Wesen außer Ungeziefer, Ratzen und Guulen den Atem. Kondenswasser hatte sich an der Decke angesammelt, vereinzelt fielen Tropfen geräuschvoll zu Boden.
Vor Aruula breitete sich ein Labyrinth aus Abwasser-Kanälen aus. Die Kriegerin wartete einen Moment, bis ihre Augen sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, dann ging sie los.
Der Gestank wurde stärker, je weiter sie vordrang. Auf beiden Seiten des Tunnels befanden sich Laufwege voller Unrat, in der Mitte stand knöchelhoch die Brühe. Aruula sah den schlanken felligen Rücken einer Ratze auftauchen und wieder verschwinden.
Dann hörte sie das Grollen.
Sie blieb stehen, lauschte.
Da war es wieder, einem weit entfernten Donnern gleich! Wie die rumorenden Eingeweide eines schlafenden Riesen, dachte Aruula verwundert und spannte unwillkürlich jeden Muskel an. Was, bei Wudan, war das?
Eine Sekunde später bekam sie die Antwort. Das Grollen schwoll an, wurde ohrenbetäubend laut und der Boden begann so sehr zu zittern, dass er vor ihren Augen verschwamm.
Ein Beben! Nichts wie raus hier!
Aruula rannte zurück zum Einstieg, kam ins Taumeln. Rechts von ihr bildeten sich unter lautem Knacken Risse in der Kanalwand. Das Dreckwasser sah aus, als begänne es zu kochen.
Sie hatte es fast geschafft, da glitt sie aus und knallte mit der Stirn gegen die Wand. Die Kriegerin stöhnte auf, fühlte Blut über ihre Stirn laufen. Sie unterdrückte ein aufkommendes Schwindelgefühl und klammerte sich an die Metallsprossen.
Zug für Zug kämpfte sich Aruula nach oben, bis sie endlich den Kopf aus dem Gully streckte und die Straße wackeln sah. Das Donnern des Bebens vermischte sich mit menschlichen Schreien. Behände kroch Aruula aus dem Schacht.
Sie hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten, wankte in Richtung Camp. Die Gebäude um sie herum wurden durchgeschüttelt, Scheiben zerbarsten klirrend, Mauern brachen auf und Dächer fielen krachend in sich zusammen.
Aruula eilte weiter. Sie hielt Abstand zu den Häusern. Doch auch auf den Straßen bildeten sich Risse, brachen teilweise auf. Sie sprang über eine dieser Spalten, schaffte es gerade noch zu einer Grünfläche, als über ihr hängende Leitungen knisterten und Funken versprühten.
Nur weg!
Sie rannte Haken schlagend weiter. Dann, kurz bevor sie das Camp erreichte, war es vorbei. Hilferufe waren zu hören, Staub wallte über die Straßen.
Schwer atmend ging die Kriegerin in die Hocke und betrachtete das Chaos um sich herum. Zum Glück war das Camp größtenteils heil geblieben, aber andernorts quoll Rauch aus den Trümmern, Menschen schrien. Irgendwo weinte ein Kind, und schräg gegenüber humpelte ein Mann aus dem Haus und versorgte sein blutendes Bein.
Aruula griff sich an die Stirn. Ihre Platzwunde war zum Glück nicht tief. Andere brauchten schnellere Hilfe als sie. Sie erhob sich und suchte mit Blicken nach Honeybutt Hardy. Jetzt hatte die neue Sicherheitstruppe eine Menge zu tun. Die Sorge um Maddrax musste dahinter zurückstehen …
Nooman ging spazieren. Die frische Luft und die Sonne taten ihm gut, und er genoss die Zeit nach dem Erdbeben, in der sich einem die tollsten Möglichkeiten eröffneten. Da konnte man nach Herzenslust und ungestört plündern, schänden und morden; die Leute hatten ja genug mit sich selbst zu tun.
Nooman schmunzelte. An der Ecke zum ehemaligen Whitehurst Freeway begegnete er einigen Plünderern. Nooman beachtete sie nicht, und sie ließen ihn ebenfalls in Ruhe. Es war wie eine unausgesprochene Abmachung: Jeder ließ den anderen seine Arbeit tun und kam ihm nicht ins Gehege.
Noomans Arbeit aber bestand nicht aus Plündern. Für ihn war Jagdsaison.
Während er an dampfenden Ruinen vorbeiging, suchten seine Blicke die Gegend ab. Er sah erschöpfte Bürger, die ihren Nachbarn beim Beseitigen der Trümmer halfen. Blasse Gesichter, darin farblose, trotzig verzogene Lippen. Er sah Kinder mit Hunger in den Augen, manchmal auch mit Verzweiflung, aber es berührte ihn nicht. Heute war Nooman auf eine ganz bestimmte Beute fixiert.
Seine Hand umschloss das Messer in seiner Jackentasche, als er einen kleinen Tunnel gewahrte, der unter einer Brücke durchführte. Der Rahmen bestand aus Quarzgestein, das in der Sonne glitzerte.
Ein lautes Schaben erklang, sofort blieb er stehen. An der Einmündung zum Tunnel tauchte ein langgezogener Schatten auf. Schritte folgten.
Nooman hatte das Messer halb aus der Tasche, als der Schatten sich verkürzte und ein Mann auftauchte. Der Bursche war groß, blond und ging unsicheren Schrittes. Um seinen Körper trug er nichts als ein schmutziges Leintuch. Offenbar war er betrunken.
Oder jemand hat ihn überfallen und ihm die Kleider geklaut …
Nooman sah, dass der Mann aus einer Kopfwunde blutete. Wahrscheinlich eine Folge des Bebens, vielleicht war ihm etwas auf die Rübe gefallen. Aber wie er aussah! Groß, blond, breitschultrig!
Genau wie Cousin Noodles! Einfach perfekt!
„Hallo, Freund!“, rief er dem Mann zu und hob die Hand.
Der Blonde blieb stehen und glotzte ihn an. Er machte den Eindruck, als habe durch den Schlag auf den Schädel sein Gedächtnis gelitten.
„Ganz schön was abgekriegt, wie?“, fragte Nooman. Der Mann griff sich an die Kopfwunde und zuckte zusammen. „Böse Verletzung, die Sie da haben.“
„Verletzung?“
„Vom Erdbeben. Da ist Ihnen bestimmt ein Stück Mauer auf den Kopf gefallen, hm?“
Wieder langte der Blonde nach der Wunde. Mahnend hob Nooman den Finger. „Ah-ah-ah! Das würd ich lassen, gibt sonst ’ne Infektion.“
„Was?“
Nooman lächelte gütig. „Am besten, du kommst mit mir. Dann werden wir dich schön verarzten.“ Er hakte den Arm bei dem Verwirrten ein und zog ihn gemächlich mit sich. „Wirst sehen, wenn wir bei mir zu Hause sind, fühlst du dich gleich besser. Da ist es schön warm und gemütlich.“
Im selben Moment wurde ihm bewusst, welchen Stuss er da redete. Hier draußen herrschten fast dreißig Grad! „Du weißt schon, was ich meine“, fügte er eilig an. „Wir versorgen deine Wunde und machen dir was Feines zu essen. Und nach einer Mütze voll Schlaf sieht die Welt gleich ganz anders aus.“
Bei den Göttern, dachte er. Dieser Idiot ist ein Geschenk des Himmels!
Nooman gelang es, den Fremden durch die Straßen zu lotsen. Seine Umwelt sah ihn als helfenden Menschen. Wie der Blonde ihn sah, war schwer auszumachen. Der Bursche war kaum Herr seiner Sinne. Einmal schien es, als erinnere er sich daran, wer er sei und woher er kam. Er blieb stehen, gestikulierte mit den Händen und brabbelte vor sich hin. Nooman lächelte einem vorübergehenden Passanten zu und schob den Blonden weiter.
Sie erreichten die Perkins Road, die Straße, in der Nooman wohnte. Es handelte sich dabei um eine der zahlreichen Seitenstraßen, in der alle Häuser gleich aussahen: rote Klinkerbauten mit kleinen Treppen vor den Eingängen. Der alte O’Rourke hatte Nooman erzählt, im fernen Britana gäbe es ganze Orte, in denen die Häuser und Straßen gleich aussähen.
O’Rourke war ein Weltenbummler und Abenteurer gewesen, der von Britana nach Waashton gereist war. Und er hatte Opa Jessup enorm ähnlich gesehen. Das war der Grund dafür, dass O’Rourke jetzt ebenfalls an Noomans Tafel saß.
Nooman sah sich um. Er hatte bei dem Beben Glück gehabt, einige seiner Nachbarn dagegen weniger. Sie waren mit Aufräumarbeiten beschäftigt, beachteten ihn kaum.
Er dirigierte den Blonden die Stufen zum Eingang seines Hauses hoch. Das Messer drückte ihm dabei unangenehm gegen die Leiste.
Damit ist es gleich vorbei.
„Moooment.“ Er hielt den schwankenden Fremden an der Schulter fest und öffnete die Tür. Im Halbdunkel des Flurs empfing ihn der vertraute modrige Geruch.
„Wo bin ich?“, fragte der Blonde und sah sich erstaunt um.
„In Sicherheit“, beruhigte ihn Nooman und schloss die Tür. Er nahm den Mann bei der Hand und führte ihn durch die Diele. Sie gelangten zu einer kleinen Nische am Flurende. Dort setzte er den Blonden auf den Rand einer Blechwanne. Noomans Herz klopfte vor Aufregung; er wischte sich die schweißnassen Hände an der Hose ab.
„Das … ist nicht mein Zuhause“, krächzte der Blonde. „Mein … meine Stirn. Sie hämmert.“ Er schloss die Augen, rieb sich die Schläfe. Seine andere Hand tastete Halt suchend nach den Wandfliesen.
Nooman sah ihn aus schmalen Augen an. Er zog seine Jacke aus, hängte sie über den Haken an der Wand und fischte das Schlachtermesser aus der Tasche. „Entspann dich, Noodles“, sagte er.
„Ich heiße nicht Noodles, ich …“ Der Blonde verstummte. Er war völlig erschöpft, konnte die Augen kaum noch offen halten.
Breitbeinig stellte sich Nooman vor den Mann hin. „Mein Freund“, flüsterte er, „von nun an bin ich derjenige, der dir sagt, wie du heißt.“
Als er das Messer hob, machte sich unbändige Erregung in ihm breit …
Tags darauf
Zum Glück war das Beben nur von kurzer Dauer gewesen. Dennoch hatten sie den ganzen gestrigen Tag mit Aufräumarbeiten und der Versorgung von Verwundeten zu tun gehabt. Danach hatte Aruula eine unruhige Nacht verbracht und war schon früh wieder auf den Beinen gewesen.