Magdalena zwischen den Brüdern Holtkamp - Karin Bucha - E-Book

Magdalena zwischen den Brüdern Holtkamp E-Book

Karin Bucha

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Beschreibung

Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt. Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht. Über der Tür zum OP I brennt seit einer Stunde ein rotes Warnlämpchen. Jede der Schwestern, die daran vorüberhuschen, weiß, was das bedeutet. Im Marien-Hospital ist eine Operation im Gange, jede Störung ist unerwünscht. Im Operationsraum herrscht eine Atmosphäre angespannter Aufmerksamkeit. Sie überträgt sich auch für die assistierenden Ärzte und Schwestern. Knapp und präzise kommen die Befehle des Professors. »Skalpell! Tupfer! Naht!« Unaufhaltsam rückt der Zeiger der elektrischen Uhr weiter, von keinem der Anwesenden beachtet. Es gilt, ein Menschenleben zu retten, und jeder gibt sein Bestes. Bei der Patientin handelt es sich um die einzige Tochter von Direktor Annacker, einem Freund des Professors. Obgleich er schon einige Operationen hinter sich hat, ist ihm keine Spur von Erschöpfung anzumerken. Dabei ist Professor Hanssen nicht mehr der jüngste. Man munkelt bereits, daß er sich zurückzuziehen beabsichtigt und seinem Oberarzt, Dr. Stefan zur Mühlen, sein Lebenswerk übertragen will. Dr. Stefan zur Mühlen, ein hochgewachsener schlanker Mann, steht mit unbewegter Miene neben seinem Chef. Niemand weiß, wie ihm in diesen Minuten wirklich zumute ist. Unter den sterilen Tüchern sieht er sekundenlang den schmalen Körper der Patientin.

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Leseprobe: Sie waren der Tante lästig

»Mutti, hier ist eine Eisdiele.« Henrik wollte über die Straße stürmen, doch Denise von Schoeneckers Hand hielt ihn gerade noch rechtzeitig fest. »Moment, mein Sohn. Wir sind doch in die Stadt hereingefahren, um Einkäufe zu machen. Wir wollten vor allem Geschenke kaufen. Zwei unserer Kinder haben nächste Woche Geburtstag.« Henrik seufzte laut und deutlich. »Du hast recht«, gestand er dann. Kurz fixierte er seine Schuhspitzen, dann hob er wieder entschlossen den Kopf und fragte: »Ich war doch brav, nicht wahr? Kein Wort habe ich gesprochen, als du deinen Besuch gemacht hast.« Seine grauen Augen forschten erwartungsvoll im Gesicht der Mutter. Denise von Schoenecker, die Verwalterin des Kinderheims Sophienlust, strich ihrem Jüngsten über den widerspenstigen Haarschopf. Sie lächelte. »Ich kann nicht sagen, daß du kein Wort gesprochen hast, aber du hast ausnahmsweise einmal nicht zuviel gesprochen.« Zuerst sah es so aus, als wollte sich das Gesicht des Neunjährigen beleidigt verziehen, doch dann besann sich der Junge eines Besseren. Er frohlockte: »Also, gib schon zu, daß ich brav war.« Denise nickte. »Und weißt du, was du mir versprochen hast, wenn ich mich gesittet benehme?« trumpfte Henrik auf.

Karin Bucha Classic – 24 –

Magdalena zwischen den Brüdern Holtkamp

Karin Bucha

Über der Tür zum OP I brennt seit einer Stunde ein rotes Warnlämpchen.

Jede der Schwestern, die daran vorüberhuschen, weiß, was das bedeutet. Im Marien-Hospital ist eine Operation im Gange, jede Störung ist unerwünscht.

Im Operationsraum herrscht eine Atmosphäre angespannter Aufmerksamkeit. Sie überträgt sich auch für die assistierenden Ärzte und Schwestern. Knapp und präzise kommen die Befehle des Professors.

»Skalpell! Tupfer! Naht!«

Unaufhaltsam rückt der Zeiger der elektrischen Uhr weiter, von keinem der Anwesenden beachtet. Es gilt, ein Menschenleben zu retten, und jeder gibt sein Bestes.

Bei der Patientin handelt es sich um die einzige Tochter von Direktor Annacker, einem Freund des Professors. Obgleich er schon einige Operationen hinter sich hat, ist ihm keine Spur von Erschöpfung anzumerken. Dabei ist Professor Hanssen nicht mehr der jüngste. Man munkelt bereits, daß er sich zurückzuziehen beabsichtigt und seinem Oberarzt, Dr. Stefan zur Mühlen, sein Lebenswerk übertragen will.

Dr. Stefan zur Mühlen, ein hochgewachsener schlanker Mann, steht mit unbewegter Miene neben seinem Chef. Niemand weiß, wie ihm in diesen Minuten wirklich zumute ist. Unter den sterilen Tüchern sieht er sekundenlang den schmalen Körper der Patientin. Er kennt sie gut, die zauberhafte Nadine Annacker, und keiner ahnt, wie sehr sein Herz um sie bangt. Er liebt dieses elfenhafte Geschöpf. Nun liegt sie vor ihm, reglos, in tiefer Bewußtlosigkeit, ganz der Kunst der Ärzte ausgeliefert.

Sie muß gerettet werden! denkt er, sie darf nicht sterben! Sie ist so köstlich jung, so jung, daß er, der reife Mann, niemals die Hand nach ihr ausstrecken würde. Aber lieben darf er sie, ganz still in seinem Herzen, ohne jemals von dieser Liebe zu sprechen…

»Fertig!«

Sekundenlang steht der Professor noch neben dem Operationstisch. Nachdem er seinem Oberarzt einige Anweisungen gegeben hat, die eigentlich gar nicht nötig gewesen wären, denn zur Mühlen weiß genau, was er zu tun hat, verschwindet er im angrenzenden Waschraum.

Ein wenig benommen ist der Professor doch, als die Oberschwester ihm Maske, Gummi-schürze, Handschuhe und den Kittel abnimmt.

In einem der weißen Becken läßt er das heiße Wasser über die Hände laufen.

Dr. zur Mühlen gesellt sich wenig später zu ihm. Auch er läßt sich aus der Operationsbleidung helfen und säubert sich die Hände.

»In Ordnung?«

Stefan zur Mühlen begegnet im Spiegel dem schmalen Gesicht des Professors. Jetzt gewahrt er deutlich dessen Erschöpfung.

»Nadine Annacker liegt in Zimmer vier. Die Umbettung habe ich beaufsichtigt. Soweit alles normal.«

Hanssen nickt. »Gut, zur Mühlen. Wir müssen den Vater benachrichtigen. Wollen Sie das übernehmen, oder soll ich…«

Dr. zur Mühlen ist unschlüssig, und als wolle Hanssen ihm die Entscheidung abnehmen, sagte er kurz:

»Ich werde das übernehmen, Herr Kollege. Bis später. Wir sehen uns im Ärztezimmer. Der neue Assistenzarzt wird schon auf mich warten. Wie heißt er doch gleich?«

»Benrat, Herr Professor, Thomas Benrat.«

»Ach ja, stimmt! Was meinen Sie, werden wir das Mädchen durchbringen?«

Erstaunt über diese Frage, die er von dem Professor nicht erwartet hat, dreht Dr. zur Mühlen sich zur Seite.

»Selbstverständlich, Herr Professor«, kommt seine Antwort.

»Das glaube ich auch.« Der Professor legt das Tuch auf den chromblitzenden Halter und wendet sich zum Gehen. »Sie kümmern sich vorläufig um die Patientin.«

»Gewiß, Herr Professor.«

Während zur Mühlen Zimmer vier aufsucht, geht der Professor an das Telefon. Er hat keine leichte Aufgahe übernommen, als er sich bereit erklärte, seinen Freund von dem Unfall seines einzigen Kindes zu unterrichten.

*

»Herr Direktor Annacker, bitte ans Telefon!« Über Lautsprecher tönt der Ruf über die Werkshöfe der Annacker-Werke. Er wiederholt sich in den Fluren der einzelnen Abteilungen, den Werkshallen und den zahlreichen Laboratorien.

»Herr Direktor Annacker, bitte ans Telefon!«

Im Labor III hält Chefchemiker Dr. Peiner einen Vortrag über die Ergebnisse einer Versuchsserie.

Annacker, eine kraftvolle Erscheinung mit einer schon angegrauten Löwenmähne, hört interessiert zu.

»Herr Direktor Annacker, bitte ans Telefon!«

Dr. Peiner stockt in seiner Rede und sieht hinüber zu seinem Chef.

»Sie werden am Apparat verlangt, Herr Direktor«, sagt er, und nun wird Annacker aufmerksam.

Dr. Peiner hat bereits den Hörer abgenommen und reicht ihn dem Chef.

»Annacker!«

Auf einmal ist es lähmend still in dem Raum, in dem sich die engsten Mitarbeiter des Labors III versammelt haben. Alle sehen sie gespannt hinüber zu dem Mann, dessen imponierende Erscheinung allein schon Respekt einflößt.

»Ja? Nein! Wann ist es geschehen? Wo befindet sich Nadine? Gut, ich komme sofort. Sagen Sie meinem Chauffeur Bescheid.«

Sekunden vergehen, in denen sich Annacker besinnen muß. Nadine, seine Tochter Nadine, sein einziges Kind verunglückt!

Er sieht sich um, etwas abwesend, verwirrt, ein verlegen wirkendes Lächeln um den energischen Mund.

»Verzeihen Sie, meine Herren«, sagt er mit rauher Stimme. »Leider kann ich Ihre Berichte nicht zu Ende hören. Meine Tochter ist verunglückt – Sie verstehen.«

Er hastet aus dem Zimmer. Wenig später rast er mit seinem schweren Tourenwagen über die Landstraße dem Marien-Hospital zu, wo seine Nadine bei Professor Hanssen, dem Freund, eingeliefert wurde.

»Wo befindet sich meine Tochter?« wendet er sich an Oberschwester Magdalena.

»Wenn Sie mir bitte folgen wollen?«

Eine hohe weiße Tür öffnet sich vor ihm. Behutsam tritt er ein. Er sieht nur ein weißes Bett und darin ein blasses Antlitz, umrahmt von blonden Haarwellen, die sich wie flüssiges Silber über das Kissen ausbreiten. Dunkle Schatten liegen unter den Augen.

Ein schier unerträglicher Schmerz durchzuckt ihn. Ist er zu spät gekommen?

Von der Wand löst sich die schlanke Gestalt Professor Hanssens. Er drückt Annacker kurz die Hand.

Worte verlieren sie nicht. Es ist zwischen ihnen auch nicht nötig.

Annacker sieht, daß sein Kind in tiefer Bewußtlosigkeit liegt. Erklärungen wird der Freund ihm später geben.

Er stellt keine Frage, wie es zu dem Unfall gekommen ist. Er erkundigt sich auch nicht, wie es um seine Tochter bestellt ist. Er ist da. Er ist bei seinem Kind, und damit ist vorläufig alles getan.

Er nimmt auf einen Stuhl Platz und wartet, er wartet mit innerer Spannung auf den Moment, da sich die Lider heben, und er in die Augen seines Kindes sehen darf.

Aber Nadine liegt regungslos, fast könnte man meinen, alles Leben sei aus dem elfenhaft zarten Körper entflohen.

Annacker glaubt nicht daran. Seine Nadine muß leben! Dieses junge, hoffnungsvolle Leben darf nicht jäh vernichtet sein. Nadine ist noch so köstlich jung. Sie weiß ja noch nicht einmal, was leben heißt, bewußt leben.

In diesem Augenblick gelobt er sich, alles zu tun, was seine Tochter glücklich machen kann. Und sei es der unsinnigste, der törichste Wunsch, er wird ihn ihr erfüllen.

*

Professor Hanssen steht in seinem Zimmer Dr. Benrat gegen-über. Der junge Arzt ist ihm von einem bekannten Kollegen, Professor Weinreich, empfohlen worden. Er benötigt dringend einen Assistensarzt, da seine chirurgische Abteilung überlastet ist.

Aufmerksam studiert er sein Gegenüber. Hm! Der Mann sieht gut aus. Aber um den Mund und in den Augen liegt etwas, das dem Professor nicht besonders gefallen will. Nun, ein Vorurteil will er nicht haben. Der junge Arzt soll sich bewähren.

Der Professor greift zum Telefon, dabei erklärt er: »Ich übergebe Sie meinem Oberarzt, Dr. zur Mühlen. Er wird Sie einführen, und Sie werden unter ihm arbeiten. Ich hoffe, daß Sie sich gut einleben werden. Arbeit gibt es in Hülle und Fülle.«

Damit ist der junge Arzt entlassen. In dessen Zügen malt sich Enttäuschung. Er hat erwartet, der Chefarzt würde ihn persönlich einführen.

Wenig später begrüßt Stefan zur Mühlen den neuen Mitarbeiter. Ein kurzer prüfender Blick über die ganze elegante Erscheinung genügt ihm, diesen Dr. Benrat einzustufen.

Sehr jung, sehr selbstbewußt, viel zu elegant und, wie ihm scheint, etwas leichtsinnig, so lautet sein Urteil. Bisher hat er sich auf seinen ersten Eindruck noch immer verlassen können. Sein Instinkt warnt ihn. Aber unbestechlich in seinem Gerechtigkeitsgefühl, verwirft er jedes Vorurteil. Die Zukunft wird es lehren, was er wirklich von dem neuen Kollegen zu halten hat.

Seite an Seite gehen sie über die Flure. Dr. zur Mühlen gibt in knappen Sätzen die nötigen Erklärungen. Er stellt ihm die übrigen Ärzte vor, unter denen auch zwei Ärztinnen sind. Er macht ihn mit den Schwestern bekannt, die ihren Weg kreuzen, und Benrat lernt auch Oberschwester Magdalena kennen.

Zugegeben, Oberschwester Magdalena erscheint auf den ersten Blick etwas sauertöpfisch und wenig aufgeschlossen. Doch das scheint eben nur so. Sie ist

der gütigste, verständnisvollste Mensch, und sie wird geradezu abgöttisch geliebt.

Als Dr. Benrat sich vor ihr verneigt, steht ein spöttisches Lächeln um seinen Mund. Die Oberschwester bemerkt es, und sie sieht sofort errötend zu Boden.

Windhund! denkt sie und huscht davon. Der wird sich nicht lange halten…

Dr. zur Mühlen ist etwas unangenehm berührt, als Dr. Benrat die weiblichen Angestellten übertrieben freundlich begrüßt. Aber er äußert sich nicht.

Sie kehren in das Ärztezimmer zurück und treffen hier auf Dr. Mara Holbein, eine sehr bewährte Chirurgin, die allerseits nur Hochachtung genießt.

Dr. Benrat ist sekundenlang sprachlos, als er in die klaren, tiefblauen Augen der zierlichen Person blickt, die ihm ruhig lächelnd entgegensieht.

Das kann ganz interessant werden, geht es Benrat durch den Kopf, wenn man von soviel weiblicher Schönheit umgeben ist.

Dr. Holbein zieht ihre Hand sofort zurück, als sie der junge Arzt über Gebühr lange in der seinen behält. Sie wendet sich an den Oberarzt.

»Der Patientin auf Zimmer zwölf habe ich eine Injektion verabreichen müssen, Herr Oberarzt.«

»Es ist gut, Frau Dr. Holbein«, erwidert zur Mühlen ernst. »Übrigens wird ab sofort Dr. Benrat die Patientin auf Zimmer vier übernehmen. Der Professor wünscht es.«

Dr. Holbein neigt den Kopf mit dem flimmernden Blondhaar und geht aus dem Zimmer.

Dr. Benrats dunkle, aufleuchtende Augen folgen ihrer Gestalt. Er schmunzelt in sich hinein, und der Oberarzt, der es bemerkt, ist davon abermals unangenehm berührt.

»Kommen Sie mit!« fordert er den jungen Kollegen auf, und dieser stopft die Schachtel Zigaretten wieder in seine Tasche, aus der er sich eben bedienen wollte. Miß-mutig geht er hinter dem Oberarzt her.

Sonderbarer Heiliger! Arbeits-tier! urteilt er bei sich. Er macht aus seinem Ärger keinen Hehl.

Doch schlagartig verändert sich sein Gesichtsausdruck, als er in Zimmer vier neben dem Oberarzt steht und die schmale Gestalt in dem Bett gewahrt.

Donnerwetter, das ist aber eine Schönheit, durchfährt es ihn. Und da es sich anscheinend um eine Privatpatientin handelt, ist sein Interesse doppelt geweckt.

Direktor Annacker ist in seinem Sessel eingenickt. Er ruckt schreckhaft empor, als er Stimmengemurmel hört und die beiden Ärzte erkennt.

Dr. zur Mühlen ist ihm kein Unbekannter, er schätzt ihn sehr. Den anderen Arzt beachtet er kaum. Erst als der Oberarzt die Vorstellung übernimmt, nickt Annacker flüchtig.

Benrat, gewohnt, überall im Vordergrund zu stehen, ist über die kurze Abfertigung durch den Direktor beleidigt. Er reißt sich jedoch zusammen. Wer kennt nicht die Annacker-Werke und den ungeheuren Reichtum, der dahintersteckt? Und dieses engelhafte Geschöpf ist seine Tochter? Hm!

»Meine Tochter ist noch immer nicht aufgewacht, Doktor, steht es schlecht unn sie? Sagen Sie mir die Wahrheit!«

In Annackers Stimme schwingt Angst.

»Die Operation ist durchaus normal verlaufen, Herr Direktor«, gibt der Oberarzt ehrlich Auskunft. »Es ist noch verfrüht, sich positiv zu äußern. Immerhin, ein Schädelbasisbruch ist gefährlich…«

»Wer hat operiert?« wirft Annacker dazwischen.

»Professor Hanssen selbst.«

»Danke, ich werde mit dem Professor eingehend sprechen.«

Dr. zur Mühlen nickt zustimmend, und Annacker neigt ergeben den Kopf. Ihn hält die Sorge gepackt. Aber Nadine lebt, und wo Leben ist, da ist auch Hoffnung.

Keine Minute vergeht, da tritt Professor Hanssen lautlos ein. Er flüstert Annacker zu:

»Soeben ist ein Anruf aus den Werken gekommen, Alexander. Man verlangt dringend nach dir. Irgendeine wichtige Entscheidung ist zu treffen, wie Dr. Peiner erklärte.«

»Die sollen gefälligst warten!« stößt Annacker wütend hervor.

»Du mußt es wissen.« Ratlos zuckt der Professor mit den Schultern. »Im Augenblick kannst du Nadine jedoch wenig helfen, Alexander. Sie wird nicht so schnell aufwachen, wenn du indessen…«

Mit einer herrischen Bewegung wischt Annacker den Einwand beiseite. Er ist ehrlich erzürnt.

»Mein Gott, können die nicht einmal ohne mich auskommen? Ein Menschenleben bin ich

nur für die Werke dagewesen,

da werden wohl ein paar armselige Tage meiner Tochter gehören dürfen. Im Augenblick ist für mich nichts wichtiger als meine Nadine.«

»Aber ich sagte doch…«

Wieder die knappe Handbewegung Annackers, die den Professor verstummen läßt.

»Gib dir keine Mühe, mein Lieber. Ich bleibe! Hier bin ich nötiger. Wenn meine Tochter erwacht, soll sie ein vertrautes Gesicht um sich haben.«

Man läßt ihn gewähren. Der Professor tut noch ein übriges. Er läßt eine bequeme Liege in das Krankenzimmer schaffen.

Annacker setzt sich auf den äußersten Rand und ist ganz in den Anblick des stillen Gesichtes in den Kissen versunken. Dem jungen Arzt schenkt er auch jetzt keinen Blick.

Benrat lehnt sich an die Wand, dem Bett gegenüber, verschränkt die Arme vor der Brust und läßt keinen Blick von dem schönen, bleichen Frauenantlitz, das ihn auf erregende Weise anspricht.

*

Drei Tage und drei Nächte hat Alexander Annacker bei seiner Tochter ausgeharrt, als Nadine endlich aus ihrer Bewußtlosigkeit erwacht.

Man hat die Anwesenheit des eigenwilligen Industriekapitäns kaum gespürt, so unauffällig hat er sich in den Tagesablauf des Krankenhauses eingefügt. Außer, daß er den jungen Arzt Dr. Benrat einigemal aus dem Zimmer gejagt hat. Er kann dieses ewig lächelnde, überfreundliche Gesicht des Mannes einfach nicht ertragen. Als er den Professor allein erwischt, stellt er ihn zur Rede.

»Hast du da nicht einen Gigolo statt eines Arztes eingestellt?« fragt er ihn in seiner fast ein wenig groben Offenheit.

Hanssen wird sichtlich verlegen.

»Den hat mir Weinreich wärmstens ans Herz gelegt«, weicht er aus.

Annacker schüttelt den Kopf.

»Als ob du es nötig hättest, Protektionskinder aufzunehmen.«

»Er soll als Chirurg tüchtig sein«, wirft Hanssen ein.

»Na, vorläufig hat er nur hier an der Wand gelehnt«, brummt Annacker trocken. »Wenn du mich fragst, dem traue ich nicht viel zu.«

Hanssen findet nur das bestätigt, was er schon längst gemerkt hat. Dr. Benrat ist ein undurchsichtiger, schillernder Charakter. Es wird gut sein, ihn im Auge zu behalten.

Ähnlich spricht er sich auch Dr. zur Mühlen gegenüber aus, der sehr zurückhaltend in seinem Urteil ist, was den Professor veranlaßt zu bemerken:

»Verlieren Sie ja nicht aus lauter Menschenfreundlichkeit den klaren Blick, junger Freund! Mit mir können Sie deutsch sprechen – oder es auch sein lassen, wir verstehen uns auch so.«

Nein, Dr. zur Mühlen will nicht aussprechen, was er denkt. Man würde es als Eifersucht auslegen. Eifersucht, die ihn packt, weil er diesen jungen Arzt täglich bei Nadine weiß, die er liebt, einmalig und schmerzlich.

Diese Gespräche haben stattgefunden, bevor Nadine aus ihrer tiefen Bewußtlosigkeit zurück ins Leben findet.

Die schweren Lider mit den dichten dunklen Wimpern, die wie ein Strahlenkranz die grünen Augen umrahmen, heben sich langsam. Sie sieht direkt in das lächelnde Gesicht ihres Vaters, ein winziges Erkennen und die Spur eines Lächelns auf den blassen Lippen.

»Nadine, Liebes!«

»Papa!«

Dann schließen sich die Augen wieder.

Dr. Benrat kommt aus seiner Ecke hervor und faßt nach dem schmalen Handgelenk der Kranken.

»Wie fühlen Sie sich?« In seiner Stimme liegt Wärme.

Nadine lauscht dem Klang dieser Stimme nach, ehe sie abermals die Augen öffnet.

»Danke«, haucht sie, aber ihre Augen suchen ihren Vater.

»So«, sagt Annacker zu dem Arzt. »Nun lassen Sie mich mit meiner Tochter allein!«

»Aber der Herr Professor…«

»Weiß Bescheid«, fertigt Annacker ihn kurz ab.

Benrat knirscht heimlich mit den Zähnen. Er spürt, gegen diesen Mann kommt er nicht an. Er fügt sich, und Annacker atmet sichtlich auf.

Behutsam rückt er den Sessel nahe an das Bett und nimmt die schmale Hand zart in seine beiden Hände. Er bemerkt, wie Nadine sich bemüht, zu ihm zu sprechen. »Pst, Kleines, nicht reden!« sagt er mit einer Zärtlichkeit, die man ihm niemals zugetraut hätte. »Du kannst mir noch so viel erzählen, mein Kind. Du mußt nur sehr schnell gesund werden, das mußt du mir versprechen!«

Sie lächelt ihn an.

»Paps, lieber Paps.«

»Nun?« Er neigt sich noch tiefer zu ihr.

Kaum merklich nickt sie und haucht: »Ja, Paps?« Dann schließt sie abermals die Augen.

Als die Oberschwester ihr gütiges Gesicht zur Tür hereinsteckt, räumt er bereitwillig den Platz am Bett.

»Sie ist erwacht, wie mir der Arzt sagte«, raunt sie ihm zu. »Hat sie einen Wunsch geäußert?«

Annacker schüttelt den Kopf. »Mir scheint, sie hat den Schlaf, ich meine, den gesunden Schlaf jetzt am nötigsten.«

Der Meinung ist Oberschwester Magdalena auch. Sie richtet die Kissen etwas und zieht sich wieder zurück. Wenig später erstattet sie dem Oberarzt Bericht.

Sogleich macht der sich auf den Weg nach Zimmer vier.

*

Dr. Benrat lehnt im Zimmer der Oberschwester am Medikamentenschrank und raucht eine Zigarette. Er macht ein ziemlich unbeteiligtes Gesicht, als gehörte er nicht hierher, als wäre zu zufällig hereingeschneit.