Magie und Wissenschaft - Raimund Hörburger - E-Book

Magie und Wissenschaft E-Book

Raimund Hörburger

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Beschreibung

Mit Magie und Hexenwesen in Europa und Afrika hat sich Raimund Hörburger über viele Jahre beschäftigt. Um dem Unverständnis europäischen Denkens über Schadenzauber und sonstiger Hexerei als traditionellem, magischem Wissen in Afrika zu begegnen, zieht der Autor zunächst Vergleiche mit der europäisch-christlichen Geschichte heran. In ganz Europa wütete die Inquisition. Ihre Häscher folterten und ermordeten vermeintlich Schuldige für Ernteschäden, Epidemien oder sonstige Unbilden. In dieser Abhandlung ermittelt Hörburger Belege für ähnliche, in ihrer Praxis völlig unterschiedliche Entwicklungen in Afrika, die sich bis in die Gegenwart gehalten haben. Dahinter stehen ebenfalls religiöse Überzeugungen, aber ach gesellschaftliche und kulturelle Gründe, die unter anderem mit einer rigorosen Kultur der Güterteilung zu tun haben. Wer mehr hat wie andere, muss teilen. Wer sich diesem Prinzip nicht fügt, wird mit der Macht der Magie konfrontiert und bestraft. Ein in sich funktionierendes Gesellschaftssystem vermag damit Formen des Überlebens auf annähernd stabilem Niveau zu entwickeln. Europäische Einflussnahmen auf wirtschaftlicher und kultureller Eben stören dieses System. Hörburger spart denn auch nicht mit Kritik einer Entwicklungspolitik gegenüber Afrika, die ohne Rücksicht auf kulturelle Eigenheiten ihre Interessen aufzwingt und daher zum Scheitern verurteilt ist. Die Auswahl der verwendeten Literaturbelege und die persönlich gemachten Erfahrungen zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung des Autors mit der Materie. Über viele Jahre durchgeführte Studien in und über Afrika haben die Nähe des Autors und seine Verbundenheit zur afrikanischen Bevölkerung verstärkt. Hörburgers Intention liegt deswegen vornehmlich darin, der Magie und dem Hexenzauber in Afrika jenes Verständnis entgegen zu bringen, das die kulturellen Eigenheiten in einem anderen und radikaleren Licht zu erklären versucht. Magie und Hexenzauber werden als eine Konsequenz struktureller Gewalt interpretiert, hervorgerufen durch eine einseitig praktizierte Entwicklungspolitik. Die afrikanische Gesellschaft wird durch die europäischen Konzerne derart unter Druck gesetzt, dass die ureigensten Mechanismen, wie Magie, Schadenzauber und Hexerei als eine logische Antwort auf die aufgedrängten Prozesse erneut an Bedeutung gewinnen.

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Dr. Raimund Hörburger (1930 – 2013) studierte Theologie (in Innsbruck und Löwen/Belgien) und Sozialwissenschaften (in Paris). Er war für Projekte in Afrika (Kongo, Kamerun) tätig, bevor er 1976 an der JKU Linz am Aufbau und der Betreuung der Entwicklungsforschung maßgeblich beteiligt war. Schwerpunkt seines Engagements lag in Westafrika, vornehmlich in Burkina Faso, wo er sich bis zuletzt für Projekte engagierte.

Neben anderen Auszeichnungen (Solidaritätspreis der Linzer Kirchenzeitung, Ehrennadel der Stadtgemeinde Gallneukirchen), erhielt er für sein Wirken 2012 den Fritz-Freyschlag-Preis für Solidarität & Förderung sozialer Partnerschaft.

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Kapitel: Zur Geschichte des Hexenwesens

Antike Weltbilder

Aus den antiken Dämonen werden Teufelsbesessene und Teufelsanbeter

Der Dämonenpakt bei Augustinus und bei den Theologen des Mittelalters bis herauf zum 17. Jahrhundert

Vom Schadenzauber zum Hexenglauben

Frauen sind Werkzeuge des Teufels

Die Frauen im „Malleus maleficarum“ (Hexenhammer, veröffentlicht 1486)

Hexerei in Afrika

Mehrdeutigkeit von Hexenbezeichnungen im afrikanischen Kontext

Afrikanische Hexereibegriffe in der anthropologischen Forschung

Theorien in der Vergangenheit und in der Gegenwart

Hexereivorstellungen bei den Maka im Osten Kameruns

Soziologien und Kosmologien

Kapitel: Von der Weltseele zur Welt ohne Seele

Die Weltseele bei den christlichen Theologen

Bewegung der Laien gegen die Vorherrschaft der Kirche

Ankündigung des cartesianischen Weltbildes

Hexenverfolgungen am Rande der Aufklärung

Dämonen am Wendepunkt vom 16. zum 17. Jahrhundert

Die Rosenkreuzer

Johannes Kepler – Mathematik dient zur Erfassung des Kosmos

Auflösung eines magischen Weltbildes

Kapitel: Theorien und Hexereien in Afrika

Die Vergangenheit in der Gegenwart oder die Weltseele in Afrika im Auflösungsprozess

Patriarchalische Strukturen

Die Persönlichkeit in der afrikanischen Kultur

Die Einheit der materiellen und geistigen Welt

Kannibalismus

Das Hexenwesen in Afrika als Pandemie

Kapitel: Der Teufel ist überall am Werk

Einfluss der christlichen Religion auf die afrikanische Glaubenstradition

Die Missionierung mit Hilfe des Teufels

Der Prozess der Bekehrung

Die Begriffe Abosam und Mawu

Kapitel: Die Pfingstbewegungen in Afrika

Die Vertreibung des Teufels und der Hexen durch den Hl. Geist

Berufung und Praxis der Pfingstheiler

Soziale, ökonomische und politische Wechselbeziehungen

Der Hexer in uns

Kapitel: Analyse und Beschreibung von Fällen in den Projekten unseres Vereins, der seit etwa 25 Jahren in Burkina Faso tätig ist

Der Fall I.L. im Kontext rücksichtsloser Kolonialisierung

Der Fall J. G. aus dem Dorf F

.

Der Fall I. L. – im Netz verwandtschaftlicher Bindungen

Kontraproduktive Entwicklungsmodelle

Der Fall L. T

.

Literaturverzeichnis

Vorwort

Mit dem Hexenwesen in Europa und Afrika hat sich Raimund Hörburger über viele Jahre beschäftigt. Denn wer so viele Entwicklungsinitiativen wie Raimund Hörburger für Afrika, speziell für Burkina Faso bewerkstelligt hat, wird ständig mit der Frage nach der Herkunft und dem Einfluss des Hexenwesens als traditionellem, magischem Wissen vor Ort konfrontiert, welches das Denken der lokalen Akteure prägt.

Um dem Unverständnis europäischen Denkens gegenüber Schadenzauber und Hexerei zu begegnen, zieht Hörburger Vergleiche mit der europäischen Geschichte heran. In ganz Europa wütete die Inquisition. Ihre Häscher folterten und ermordeten vermeintlich Schuldige für Ernteschäden, Epidemien oder sonstige Unbilden. In der hier vorliegenden Abhandlung ermittelt Hörburger Belege für ähnliche, in ihrer Praxis völlig unterschiedliche Entwicklungen in Afrika, die sich bis in die Gegenwart gehalten haben. Dahinter stehen ebenfalls religiöse Überzeugungen, aber auch gesellschaftliche und kulturelle Gründe, die unter anderem mit einer rigorosen Kultur der Güterteilung zu tun haben. Wer mehr hat, wie andere, muss teilen. Wer sich diesem Prinzip nicht fügt, wird mit der Macht der Magie konfrontiert und bestraft. Soweit so schlecht. Ein nach außen sich abkapselndes Gesellschaftssystem vermag damit Formen des Überlebens auf annähernd stabilem Niveau zu entwickeln, mit allen Verfeinerungen und Verästelungen, die ein solches System im Gleichgewicht zu halten vermag. Das Problem beginnt ab dem Moment, ab dem europäische Einflussnahmen auf wirtschaftlicher Ebene, auf der Ebene der Bildung und auf der Ebene der Politik Afrikas das System stören. Hörburger spart denn auch nicht mit Kritik einer europäischen Entwicklungspolitik gegenüber Afrika, die ohne Rücksicht auf kulturelle Eigenheiten ihre Interessen aufzwingt und daher zum Scheitern verurteilt ist.

Die Anzahl und Auswahl der verwendeten Literaturbelege und die persönlich gemachten Erfahrungen zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung des Autors mit der Materie. Wann immer ein Gespräch mit Hörburger über diese Arbeit stattgefunden hat, ließ er durchblicken, dass es sich bei dem bisher Niedergeschriebenen um eine Arbeit in statu nascendi handle. Das Manuscript sei im Fertigwerden begriffen und beabsichtige, das in Europa vielfach vorhandene Unverständnis gegenüber den afrikanischen Kulturen aufzudecken, zumindest zu entschärfen.

Mein Angebot, das Manuskript durchzulesen und dazu Stellung zu nehmen, hat Raimund Hörburger sehr zögerlich angenommen. Vorhanden waren unterschiedlich stark gebündelte, handgeschriebene und bereits getippte Manuskriptseiten, die ich zu lesen begann und mit Randbemerkungen versehen habe. Am Beginn des Jahres 2013 trafen wir uns zu einer Besprechung des Gelesenen.

Anschließende, längere Spitalaufenthalte Raimund Hörburgers, haben eine umfassende schriftliche Überarbeitung des Manuskriptes vereitelt. Aber nicht die ständige Reflexion über das Geschriebene. Deutlich war sein unbändiger Wille zu spüren, alle anstehenden Überlegungen zu ordnen und mit gebotener Klarheit zu Papier zu bringen. Das wollte er. Unbedingt! Doch kaum war er im Mai 2013 aus dem Spital entlassen, verließen ihn die Kräfte. Er starb, ohne sein Lebenswerk in seinem Sinne nochmals überarbeiten zu können. Daher konnten die im Text erkennnbaren Unregelmäßigkeiten bei den Literaturhinweisen dort nicht mehr durchgehend behoben werden, wo die Suche nach der verwendeten Literatur vergeblich verlief. Dasselbe gilt für die Lücken in der Auflistung des Literaturverzeichnisses.

Jedoch, wie könnte sein Andenken besser gewahrt werden, so denken seine Angehörigen und wir, seine Freunde, wenn nicht durch die schriftliche Offenlegung seines Anliegens, den afrikanischen Kontinent in seiner Komplexität besser zu verstehen?

Die vorliegende Niederschrift von Hörburger ist ein beredtes Zeugnis dafür, wie viel Engagement, aber auch wie viel Wut und Enttäuschung er durch die Beschäftigung mit dem Hexenwesen zum Ausdruck gebracht hat.

Die VI Hauptkapitel wurden von Hörburger festgelegt. Zur Auflockerung des Textes habe ich einige Untertitel eingefügt. Am Textinhalt wurden keine gravierenden Änderungen vorgenommen.

Kapitel I bis V sind nach demselben Schema strukturiert. Die einzelnen Kapitel beginnen mit einem geistesgeschichtlichen Querschnitt über die enge Verbindung von Religion und Magie in Europa. Darauf aufbauend leitet Hörburger über zu den magischen Praktiken in Afrika, mit aller gebotenen Zurückhaltung. Um keine voreiligen Übertragungen von Europa auf Afrika vorzunehmen. Die Textierung erfolgt ganz aus der Perspektive eines kritischen Beobachters. Über viele Jahre durchgeführte Studien in und über Afrika haben die Nähe des Autors und seine Verbundenheit zur afrikanischen Bevölkerung verstärkt. Hörburgers Intention liegt deswegen vornehmlich darin, der Magie und dem Hexenzauber in Afrika jenes Verständnis entgegen zu bringen, das die kulturellen Eigenheiten in einem anderen und radikaleren Licht zu erklären versucht. Unter Berufung auf afrikanische Autoren werden Magie und Hexenzauber, ihr latentes Bestehen und ständiges Wiederauftauchen, als eine Konsequenz struktureller Gewalt interpretiert, hervorgerufen durch eine einseitig praktizierte Entwicklungspolitik. Kritische Intellektuelle Afrikas sehen die Ursache von Rückständigkeit und Aberglauben in Afrika in einer verfehlten Entwicklungspolitik, verstärkt durch jene in Europa dominierende, mitunter selbstherrliche Forschung, die in überheblicher Manier die kulturellen Nuancen afrikanischer Eigenheiten nicht wahrzunehmen gewillt sei.

Einer solchen Begründung folgend erhebt sich logischer Weise auch die Frage, inwieweit Hörburgers gewählte Strategie zielführend sei, aus der Perspektive der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte Parallelen in der afrikanischen Kulturgeschichte ausfindig zu machen. Bei der Wahl dieses Weges war Hörburger meines Erachtens entsprechend zurückhaltend. Allzu leicht wäre er damit in folgende Falle geraten, die lautet: Afrika ist rückständig. Hat noch nicht unser, der Aufklärung verpflichtetes Niveau erreicht. Um dieser Falle zu entgehen, beruft sich Hörburger auf die bereits erwähnten Autoren Afrikas. Sie geißeln das Diktat der Kolonisatoren und der Konzerne, die Afrika einen Kapitalismus reinsten Wassers übergestülpt haben. Dadurch wurde die afrikanische Gesellschaft derart unter Druck gesetzt, dass die ureigensten Mechanismen, wie Magie, Schadenzauber und Hexerei als eine logische Antwort auf die aufgedrängten Prozesse erneut an Bedeutung gewinnen. Was in Europa die Inquisition anzurichten vermochte, verursachte in Afrika die Kolonialisierung in Gestalt fortschreitender Modernisierung entsprechend negative Konsequenzen. Die Inquisition folterte und tötete die Menschen, um die vermeintlichen Umtriebe der vom Teufel Besessenen zu bannen. Erst das Aufkommen einer von Vernunft dominierten Geisteshaltung vermochte der Hexenverfolgung und der Magie Einhalt zu gebieten. Das Jahrhunderte anhaltende Joch der Conquistatoren und Ausbeuter Afrikas verstärkte die Beharrungstendenzen herkömmlicher Rituale mit allen positiven, aber auch negativen Konsequenzen. Das Aufeinanderprallen der afrikanischen und der europäischen Kultur verursachte Sprünge und Risse. Sie aufzudecken und zu erlären war ein zentrales Anliegen Hörburgers, dieses Buch zu schreiben. Die im VI. Kapitel beschriebenen Projekte weisen sehr deutlich auf die Schwierigkeiten hin, wie zäh die Widerstände und die kulturellen Differenzen sind und welcher Bereitschaft und Toleranz es bedarf, diese Differenzen zu akzeptieren, geschweige denn, sie zu überwinden.

Bei der ersten Rohfassung des Manuscripts haben Karin Gunz und Otto Nigsch textstörende Elemente, Tipp- und Flüchtigkeitsfehler aufgedeckt und verbessert. Walter Birklbauer hat das Layout des Manuskripts übernommen und weitere Korrekturen durchgeführt.

Dafür sei allen herzlich gedankt. Mein besonderer Dank gilt selbstverständlich den Förderungseinrichtungen, die für die Veröffentlichung erforderlichen Arbeiten und für die Druckkosten finanzielle Unterstützung geleistet haben:

Institut für Projektbezogene Studiengänge – Linz

Amt der Vorarlberger Landesregierung – Bregenz

JKU – Johannes Kepler Universität – Linz

Magistrat der Landeshauptstadt – Linz

VEZ Vereinigung für Entwicklungszusammenarbeit – Linz

Linz, im November 2015 Josef Gunz

Einleitung

Hinter dieser langjährigen Arbeit steckt ein persönliches Interesse. Seit Anfang der 70er Jahre beschäftige ich mich in Theorie und Praxis mit entwicklungspolitischen Fragen in Zentral- und Westafrika. Die soziologischen Theorien wie auch die Praxis laufen alle darauf hinaus, die afrikanischen Gesellschaften zu modernisieren, d.h. die sozialen Veränderungen im Hinblick auf die Erreichung unseres westlichen, technischen und wirtschaftlichen Fortschrittes zu untersuchen und in der Praxis sie dahin zu führen. Wenn man dabei auf gesellschaftliche Widerstände stößt, sehen wir diese in den afrikanischen Kulturen verankert, die wir daher als rückständig betrachten im Vergleich zu uns. Unter diesem Blickwinkel entsteht häufig eine Haltung der Besserwisserei und karitativer oder gar verächtlicher Herablassung.

Wenn wir dann noch feststellen, dass in Afrika überall von Hexerei gesprochen wird, was ja tatsächlich der Fall ist, dann stehen wir kopfschüttelnd vor diesem Phänomen und beurteilen dieses als Aberglaube. Es gibt zwar viele wissenschaftliche Untersuchungen darüber, aber der Praktiker beschäftigt sich nicht mit diesen. Er argumentiert meistens, dass es diese Phänomene früher bei uns auch gegeben habe, die aber dank unserer Bildung und unseres technischen Fortschritts verschwunden seien. Diese Phänomene seien demnach nicht mehr ernst zu nehmen. Man könne sie in der Praxis übergehen. Sie hätten höchstens noch Kuriositätenwert. Ja sie würden vielfach von den Afrikanern selbst als fortschrittshemmend verstanden.

Wenn ich aber andere Gesellschaften und Kulturen verstehen will, so muss ich zuerst meine eigenen verstehen. Dieses Verstehen kann zu großer Bescheidenheit führen und mir den Überlegenheitsdünkel nehmen. In welchem Zwiespalt afrikanische Techniker und Ärzte leben, zeige ich an zwei selbsterfahrenen Beispielen.

Vor einigen Jahren habe ich an einer Schule Soziologie unterrichtet. Afrikanische Techniker, die bereits in Afrika eine technische Ausbildung hinter sich hatten, sollten in Pädagogik weiter gebildet werden, damit sie nach ihrer Rückkehr als Lehrer ihr Wissen weitergeben. Man kann am Erfolg einer solchen europäisch konzipierten Pädagogik berechtigte Zweifel anmelden. Diese Studenten lebten unter sich in einem Heim mit wenig Kontakten zu unserer Bevölkerung. Unter ihnen gab es einen, der besonders strebsam war, gute Noten bekam und auch gute Beziehungen zum österreichischen Direktor hatte. Er genoss eine gewisse Vorzugsstellung. Bei seinen Kameraden galt er als Hexer, der möglicherweise an den Misserfolgen der anderen schuld war. Er war eine Art Schadenzauberer1. Dieser Konflikt dürfte den österreichischen Lehrern völlig entgangen sein. Er stand daher nie zur Debatte. Wie sollten unsere Lehrer einen solchen Konflikt auch ernst nehmen? Die Studenten äußerten sich uns gegenüber nicht, weil sie sich der Lächerlichkeit preisgegeben hätten und als abergläubisch apostrophiert worden wären.

Diese Techniker mussten in österreichischen Betrieben Praktika leisten. Ich unternahm mit ihnen eine Exkursion zu den Vorarlberger Illwerken. Dort wurde ihnen erklärt, wie aus dem hinteren Montafon in Stollen das in einem See gestaute Wasser unter den Bergen zu einem Wasserkraftwerk in der Nähe von Schruns heraus geleitet wird. Abends saß ich dann mit ihnen zusammen. Es erhob sich die Frage, wie ein solches Kavernensystem wohl funktionieren kann, da die Berge doch lebten. An einem anderen Abend zeigte ein Fotograf seine wunderschönen Bilder über die winterliche Bergwelt.

In der Diskussion fragten sie ihn, ob er denn nicht Angst habe, so allein auf den Bergen Fotos zu machen. Denn dort gebe es doch Geister. Da sie merkten, dass ich ihre Äußerungen ernst nahm, luden sie mich ein, in ihrer Schule darüber zu debattieren. Ich weiß heute nicht mehr, was ich ihnen geantwortet habe. Die Diskussion dauerte einen ganzen Tag. Vermutlich auch deshalb, weil sie spürten, dass ich sie ernst nahm. Wenn wir aber ihre Auffassungen ernst nähmen, dann dürfte man Berge und Landschaften, die Natur also nicht wie tote Dinge behandeln und ausbeuten, denn sie alle sind lebendige Wesen, die in ihrer Eigenart respektiert werden müssen. Die Grundlage für eine Grüne Politik.

In den 80 er Jahren unterrichtete ich an der Universität in Linz an der „Abteilung für Politische Soziologie und Entwicklungsforschung“ Kolonialgeschichte und Entwicklungstheorien. Das Interesse der Studenten hielt sich sehr in Grenzen. Wozu sollten diese Fächer für einen Studenten der Betriebswirtschaft oder der Soziologie für spätere Tätigkeiten in der Industrie oder Verwaltung bei uns auch nützlich sein? Erst als ich mit ihnen Exkursionen nach Afrika unternahm, um so genannte Entwicklungsprojekte an Ort und Stelle kennen zu lernen, mit der Möglichkeit, auf Grund eigener Forschungen Diplomarbeiten zu verfassen, wuchs das Interesse und die Teilnehmerzahl. Während einer solchen Reise besuchten wir auch einen Arzt aus Kamerun, der in Frankreich sein medizinisches Studium abgeschlossen hatte und im Zentralkrankenhaus in Yaoundé, der Hauptstadt des Landes, als Arzt tätig war. Der europäisch ausgebildete Arzt hat sich für die Gesundheit des Körpers seiner Patienten einzusetzen, sich deren Seelen anzunehmen, ist nicht seine Aufgabe. Besitzen sie denn eine? Dieser Arzt hatte bei einem seiner Verwandten die afrikanische Heilkunst kennen gelernt und auch dessen Kraft geerbt. Diese Heilkunst praktizierte er in der Nacht im gleichen Krankenhaus. Es ging ihm wesentlich darum, den geschwächten und kranken Patienten die Seelen zurück zu holen, deren sich ein reicher Plantagenbesitzer bemächtigt hatte, die für ihn arbeiten mussten und mit denen er seinen Reichtum vergrößerte. Welcher aufgeklärte Europäer soll dies verstehen?

Ich erwähne diese Beispiele, um auf die unterschiedlichen Welten aufmerksam zu machen, in denen afrikanische Techniker und Ärzte leben. Einerseits die europäische, in der für Technik und Medizin keine unsichtbare Welt existiert und mechanische Erklärungen gelten, andererseits die afrikanische, wo die unsichtbare Welt von der sichtbaren nicht zu trennen ist und jene diese ständig beeinflusst und umgekehrt. Man könnte es noch krasser formulieren. Für uns ist die Natur tot und das erlaubt uns, sie auszubeuten. Es gibt keine überweltlichen Einflüsse. Für jene ist die Natur lebendig und von überweltlichen Einflüssen durchdrungen. Das hindert die radikale Ausbeutung.

Meine Arbeit über das Hexenwesen in Afrika zielt darauf ab, das Verständnis für uns fremde Kulturen zu wecken, die gesellschaftlichen Zusammenhänge aufzuzeigen, die ohne den Einfluss der Überwelt nicht begreiflich sind. Mit dem Etikett „Aberglaube“ zeigen wir unsere süffisante Einstellung, die uns hindert, das für uns momentan Fremde kennen lernen zu wollen. Gleichzeitig enthebt uns diese Haltung unserer vergangenen und gegenwärtigen Verantwortung dafür, dass wir aufgrund des westlichen Wirtschaftseinflusses und unseres Bildungssystems sowie unserer Technik den Hexenglauben in Afrika noch verstärken, zumal die christlichen Kirchen, vorab die modernen Pfingstbewegungen, aus dem Repertoire der europäischen Hexenlehren schöpfen und indirekt die Hexenverfolgungen zu einer gegenwärtigen Pandemie machen. Diese These klingt natürlich sehr anklagend, soll aber verhindern, dass die Hexerei nur als Relikt einer rückständigen Kultur betrachtet wird. Die gegenwärtigen Verfolgungswellen sind ohne den Einfluss der westlichen Zivilisation mit ihrem Primat des individuellen Besitzes, des Geldes und einer individualistischen Bildung nicht erklärbar. Im Zuge der von außen aufgezwungenen Privatisierungen entzieht sich der Staat der gesellschaftlichen Verantwortungen und gewährt dem einzelnen keinen Schutz, den er bisher und heute noch auf den biologisch begründeten Solidaritätsverpflichtungen in den Großfamilien und Clangesellschaften hat(te).

Ich möchte in einem Anhang zu meiner Arbeit analysieren, wie ich selbst als Initiator einiger Projekte indirekt bewirkte, dass unsere afrikanischen verantwortlichen Mitarbeiter als Schadenzauberer verfolgt wurden und noch werden.

Ich will in einem ersten Abschnitt nicht die Geschichte der Hexenverfolgungen in Europa beschreiben. Darüber gibt es eine fast unübersehbare Literatur von Einzelforschungen, aber auch gute allgemeine Übersichten. Eine gute Einführung findet der interessierte Leser in: Wolfgang Behringer, Hexen, 4. Auflage 2005, C.H. Beckverlag, München. Ich werde immer wieder auf diesen Autor zurückkommen und auf dessen einschlägige Forschungen. Wenn ich an meinen Geschichtsunterricht denke, der allerdings schon viele Jahre zurückliegt, so kann ich mich nicht erinnern, dass die Hexenverfolgungen in Europa als Thema behandelt worden sind. Wenn man diese Verfolgungen liest, nicht nur als rein historisch Interessierter, sondern als Europäer, der sich mit europäischen Kulturen und Religionen beschäftigt, dann sind die Hexenverfolgungen zu Beginn der Neuzeit eine einzige Kulturschande und im Vergleich zu anderen Kulturen und Religionen in ihrer Grausamkeit einmalig.

Damit auch verbunden sind die Fragen nach den Kosmogonien, den Weltentstehungslehren und die Frage nach der Entstehung des Bösen.

Seit mehr als zehn Jahren beschäftige ich mich mit der Frage, warum und wie gerade Wissenschaft in den westlichen, d.h. in europäischen Gesellschaften entstanden ist. Wissenschaft, verstanden als eine Denkweise, die völlig absieht von metaphysischen Vorstellungen. Sie beschäftigt sich ausschließlich damit, wie die Vorgänge in der Natur und in der Gesellschaft vor sich gehen. Sie analysiert die Gesellschaft, um Gesetze und Regelmäßigkeiten zu entdecken, die es erlauben, in diese Vorgänge einzugreifen und sie zu beherrschen, um sie für den Menschen nutzbar zu machen. Eine Geschichte der Wissenschaft also, die so umfangreich und so komplex ist, dass ich mich beschränken muss auf die Frage, wie und warum im westlichen Denken die menschliche Vernunft von der Natur abgekoppelt wurde und ihr wie eine eigenständige und unabhängige Kraft entgegengesetzt wurde. Antworten auf diese Frage werden im zweiten Kapitel dieser Arbeit gesucht.

Anfang der 50er Jahre habe ich zwei Jahre in Belgien Theologie studiert und wohnte in einem Studentenheim für Ausländer, hauptsächlich aus Asien und Afrika. In vielen Diskussionen wurde mir bewusst, wie schwierig es für sie war, den Lehrstoff zu bewältigen. Sie lernten ihn mehr oder weniger auswendig, ohne sich wissenschaftlichen oder gar erkenntnistheoretischen Fragen zu stellen. Erst viel später habe ich verstanden, warum es in ihren Gesellschaften verpönt ist, Fragen an Ältere und Lehrer zu stellen. Gleichzeitig öffnete sich mein geistiger Horizont für andere Kulturen und Lebenswelten, die seit der Kolonialzeit in einem gewaltigen sozialen Umbruch standen. Die Studenten erlebten die westliche Zivilisation daheim und in Europa wie eine globale Vergewaltigung und Ausbeutung, so dass sie ein ständiges Minderwertigkeitsgefühl uns Europäern gegenüber hatten. Sie erlebten an der Universität und in der Stadt offene oder verdeckte Ablehnung und entwickelten daher ihrerseits eine solche uns gegenüber.

Um diesen rassistischen Aversionen entgegenzuwirken, begann ich, eine Schar von mir bekannten Studenten in den Weihnachtsferien zu österreichischen Gastfamilien zu bringen. Hier erlebten sie freudige Aufnahme aus welchen Motiven auch immer. Diese Aktion dauerte viele Jahre hindurch, so dass Freundschaften entstanden und ein reger Briefwechsel nach ihrer Rückkehr in die Heimat.

Seit diesen ersten Begegnungen beschäftige ich mich theoretisch und praktisch mit den wirtschaftspolitischen, aber auch sozialphilosophischen Problemen zwischen Nord und Süd, besonders Afrika und hier begrenzt auf Westafrika.

Nach einem mehrjährigen Studium in Paris, das unter anderem diesen Fragen gewidmet war, betrieb ich mit einer Kollegin ein Forschungsprojekt unter entwicklungspolitischer Perspektive im Kongo, bevor ich an einem Institut in Douala (Kamerun) Soziologie unterrichtete.

An der Universität Linz, an der eine neue Abteilung in Soziologie für Entwicklungsfragen errichtet worden war, begann ich 1976 Kolonialgeschichte und wirtschaftspolitische Theorien der Entwicklung zu unterrichten, die damals gängigen Dependenz- und Modernisierungstheorien. Mein Schwerpunkt war das frankophone Westafrika, bedingt durch meine Studien an der Ecole Pratique des Hautes Etudes, wo auch Praktiker der Entwicklungssoziologie unterrichteten. Entwicklung von unten, developer sans abimer, war die Richtung in Theorie und Praxis. Konkret ging es um die Frage, ob soziale Selbsthilfegruppen wie die Tontines zu Sparkassen und Produktionsgenossenschaften weiter entwickelt werden können. Dahinter verbarg sich die bekannte evolutionistische Theorie. Britische und französische sozialanthropologische Forschungen wurden nur insofern berücksichtigt, als sie Einsichten vermittelten in die Gesellschaftsstrukturen, die eigentlich als rückständig betrachtet wurden. ‚Outdated histories’ , wie es ein afrikanischer Student einmal ausdrückte.

Diese Auffassung herrscht nach wie vor an der Universität, wie auch in Organisationen, die so genannte Entwicklungshelfer und Fachkräfte ausbilden. Heute, noch mehr als früher, geht es um die Effizienz der Projekte, so dass in der Ausbildung hauptsächlich Evaluierungsmethoden vermittelt werden. Es wird auf unterschiedliches kulturelles Verhalten hingewiesen, aber nur, um bessere Geschäfte einzufädeln und möglichst konfliktfrei mit dem Partner zu arbeiten. So kommt es, dass der Mitarbeiter, der einer anderen Kultur angehört, nur als Mittel zum Zweck gesehen wird. Dessen Sozialisation, dessen Eingebundensein in eine Großfamilie mit den vielfältigen Verpflichtungen, dessen soziales Umfeld, dessen religiöse Auffassungen, die sozialpolitischen Konflikte seines Landes aufgrund der Abhängigkeit vom Ausland, die Auswirkungen eines globalen Kapitalismus, wie der Run auf die Rohstoffe, all das ist nicht interessant. Es geht um Geschäfte und um Projekte, um sich selbst bei Gebern und Firmen rechtfertigen zu können.

Es geht nicht darum, soziale Phänomene verstehen zu wollen, die einerseits eine interne Logik haben, andererseits durch die technische und wirtschaftliche Vorherrschafft der Industrieländer ständig einem explosiven Veränderungsprozess unterworfen sind. Im besten Fall vergleicht man mit der europäischen Sozialgeschichte, in dem man sagt: Früher war es bei uns auch so. Daher sind die Lösungen, die wir erfunden haben, eins zu eins übertragbar auch auf diese Gesellschaften. Darin gründet vielfach die arrogante Besserwisserei vieler Experten und Entwicklungshelfer.

Ein in ganz Afrika heute weit verbreitetes soziales Phänomen ist die Hexerei. Wenn man in Europa davon spricht, bekommt man zu hören, dass diese bei uns einer Geschichtsepoche angehört, die wir überwunden haben. Ähnlich wird auch die Entwicklung in Afrika verlaufen. Daher hat sie höchstens einen Kuriositätscharakter, wird aber als solche nicht ernst genommen. Auch Europäer, die in Afrika arbeiten, teilen vielfach diese Meinung, außer sie werden an ihrem Arbeitsplatz oder in den Projekten damit konfrontiert. Sie reagieren dann erschrocken und vielfach hilflos, bedauern herablassend ihre Mitarbeiter, ohne sich einmischen zu wollen. Aber das Phänomen als solches ist nicht wert, genau verfolgt und untersucht zu werden, obwohl es umfangreiche und profunde ethnologische Forschungen in der Vergangenheit und in der Gegenwart dazu gibt. Auffallend ist aber auch, dass afrikanische Mitarbeiter, die meistens der Mittelschicht angehören, sich eher ungern dazu äußern, weil sie nicht als rückständig betrachtet werden wollen. Wenn es gelingt, ein gewisses Vertrauensverhältnis zu schaffen, wenn der Gesprächspartner ernst genommen wird, wenn er als Informant den Eindruck bekommt und die Gewissheit, dass seine Aussagen nicht gegen ihn verwendet werden, wenn es zu einem Dialog kommt, der ihm hilft, zu den Ereignissen, in die er verwickelt ist, einen gewissen Abstand zu gewinnen, dann führt er uns in seine Welt ein, die geprägt ist von vielfachen horizontalen und vertikalen Einflüssen.

In allen unseren Projekten hat sich im Laufe der Zeit ergeben, dass unsere verantwortlichen Mitarbeiter in Phänomene der Hexerei verwickelt waren und sind. Denn zu Beginn schien es, dass die Projekte wirklich kollektiven dringenden Bedürfnissen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse entsprechen. Aus der Sicht der europäischen Partner ging es um Finanzierung und um eine effiziente technische Umsetzung: das Projekt soll funktionieren. Der afrikanische Partner hat diese Politik einfach ordnungsgemäß durchzusetzen. Projektinterne soziale Beziehungen und Konflikte wurden zwar beobachtet und festgestellt, aber nur sehr oberflächlich und nicht kritisch mit uns in Beziehung gebracht. Nun stellt sich heraus, dass die Hexerei direkt mit unseren Interventionen zu tun hat und dass sich für unsere Partner lebensbedrohende Situationen ergeben. Aber selbst da noch nehmen wir diese Situationen nicht ernst genug, weil die Meinung vertreten wird, dass dies ihre eigenen Angelegenheiten seien, in die wir uns nicht einzumischen haben. Die Partner werden mehr oder weniger sich selbst überlassen.

Ich werde in einem eigenen Abschnitt diese Situationen beschreiben und entsprechend meiner bisherigen Kenntnisse analysieren, in der Hoffnung, dass ich noch umfangreichere Informationen einholen kann.

Im folgenden Kapitel möchte ich zunächst einige Begriffe erörtern, wie sie in der europäischen Hexenforschung verwendet werden, die auch die anthropologischen Forschungen in Afrika geprägt haben. Danach will ich einen Überblick geben zu der Frage, wie in Europa in den Hexenverfolgungen ein holistisches Weltbild durch ein dualistisches zerstört worden ist, ein Prozess, der sich seit der Kolonisierung auch in Afrika abspielt.

Jeder, der sich mit den Hexenverfolgungen in Europa beschäftigt, ob wissenschaftlich oder nur als interessierter Leser, muss zutiefst bestürzt sein, wie Tausende von Menschen, besonders Frauen, Jahrhunderte hindurch bestialisch gefoltert und auf Scheiterhaufen verbrannt worden sind. Man muss sich konkret vorstellen, wie Menschen, die meistens zu gesellschaftlichen Randgruppen gehörten, in einem kollektiven Wahn von kirchlichen und staatlichen Obrigkeiten aufgespürt, unter dem Beifall einer johlenden Masse in ein dunkles Verlies gesteckt und dann verhört wurden unter Androhung der Folter und, so sie nicht gestanden haben, einer „peinlichen Befragung“ unterzogen wurden, bis das inkriminierte Verbrechen feststand, nach Denunziationen vom Richter dem Opfer unterstellt. Auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte von einer gaffenden Menge verspottet, wurde die Hexe schließlich den Flammen preisgegeben. Die Verursacherin des Bösen war vernichtet. In der Stadt oder im Dorf konnte sich gesellschaftliche Harmonie wieder einstellen im Bewusstsein, dass der Sündenbock vertrieben worden war.

Obwohl es sehr dokumentierte Forschungen zur Geschichte der Hexenverfolgungen gibt, scheinen diese ein gelber Fleck im Geschichtsunterricht an unseren Schulen und Erwachsenenbildungsinstitutionen zu sein. Warum soll man sich damit beschäftigen, da wir doch diese Epochen des Aberglaubens hinter uns haben, in denen Kirche und Staat gemeinsam dieses Übel mit Gewalt bekämpft haben und die Aufklärung uns endgültig vom Glauben an Hexen befreit hat.

Indem man diese Kulturschande verdrängt, wie heute den Holocaust, turnt man sich über gesellschaftliche Ausgrenzungs- und Vernichtungsprozesse hinweg, die heute genau so wirksam sind wie damals, getrieben vom Wahn, eine konfliktfreie Gesellschaft schaffen zu wollen, in der der andere, verstanden als Verursacher des Bösen, endgültig eliminiert werden soll. Und wenn dies auch nicht möglich ist, muss man in Staat und Kirche wenigstens klare Verhältnisse schaffen, damit jeder sich orientieren kann und weiß, wo der Feind steckt. Daher Kampf jeder Form von Relativismus. Man kann dies auch anders ausdrücken: Identitätsfindung durch Ab- und Ausgrenzung.

1 Einen schädigenden Einfluss auf andere auszuüben mit Hilfe nicht sichtbarer, böser Kräfte, die an sich keine persönlichen sind, nennt man Schadenzauber

I. Kapitel: Zur Geschichte des Hexenwesens

1. Antike Weltbilder

Grundsätzlich kann man sagen, dass die Antike, Griechen und Römer, vorderasiatische Völker, China und Indien ebenso Ägypten, aber auch die germanischen und amerikanischen Völker keine Trennung kannten zwischen Diesseits und Jenseits, wie die jüdisch-christliche Religion es lehrt. Damit war auch die Frage nach der Existenz des Bösen als außerirdische persönliche Macht, wie Teufel oder Satan, obsolet. Physik und Metaphysik, Religion und Politik waren eine Einheit. Man spekulierte von dieser Welt aus auf eine unsichtbare, die nicht wesentlich von der sichtbaren verschieden war. Die Vorstellung eines persönlichen Schöpfergottes, der aus dem Nichts die Welt gemacht haben soll und daher mit dieser Welt nicht identifizierbar ist, war diesen Völkern völlig fremd. Die Welt als solche ist ungeschaffen, bildet eine Einheit und besteht ewig. In ihr herrscht der ewige Kreislauf des Werdens und Vergehens, von dem der Mensch nicht ausgenommen ist. Daher die Vorstellungen der Seelenwanderung, die in den östlichen Religionen ein Reinigungsprozess ist, bis man in das Nirwana eingeht und von den Leiden des Diesseits endgültig befreit sein wird.

Sehr oberflächlich beschrieben gibt es in der altiranischen Religion zwei von einander unabhängige ewige Geister, einen guten und einen bösen, die mit einander im Kampf liegen. Der böse Geist hat alle bösen Wesen geschaffen, so dass es eine böse und ein gute Welt gibt. Der Kampf zwischen diesen beiden endet mit dem Sieg des guten Geistes und der Vernichtung des bösen. Die Menschen wie die Götter können zwischen diesen beiden wählen. Den Guten widerfährt Seligkeit, den Bösen Strafe.

In der hervorragenden Arbeit des Ägyptologen, Jan Assmann, mit dem Titel „Herrschaft und Heil“ (Hanser Verlag München 2000), hebt der Autor hervor, dass im Alten Ägypten wie in der ganzen Antike, die politische Sphäre nicht getrennt war von der religiösen. Die „Ordnung als solche“ war heilig. Pharao verkörpert die Gerechtigkeit. Daher „lassen sich Herrschaft und Heil nicht auseinander halten.“ Die Herrschaft, die vom König ausgeht, ist legitim, „illegitim ist die Gewalt des Stärkeren“, die in Habgier besteht, „im Streben nach individueller Bereicherung auf Kosten anderer“. Das ist der Inbegriff der Bösartigkeit (a.a.O. 70).

Für „den Ägypter gibt es nichts außerhalb der Welt“. Die Welt ist nicht böse wie später bei den Gnostikern, sondern ambivalent, weil „sich das Gute und Gerechte nicht mehr von selbst durchsetzen können“. Daher ist der Staat notwenig, an dessen Spitze der Pharao steht, der mit seinen Untergeordneten die Gerechtigkeit im Staat durchsetzen muss. In den Schulderlässen soll auf Eigentum verzichtet, Unterdrückung verhindert und das Leben ermöglicht werden. Diese Idee der Gerechtigkeit verbindet den Schöpfergott mit dem König, so dass der Wille des Königs identisch ist „mit dem Gottes“, der die Schöpfung fortsetzt und dadurch die Welt in Gang hält (a.a.O. 38 f). Die Aufgabe des Staats und des Königs besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Güter gerecht verteilt und die Schwachen vor der Bosheit, der Hab- und Raffgier der Starken beschützt werden, die die Knappheit der Güter verursachen. Darin liegt die eigentliche Bosheit. Wie ist das Böse in die Welt gekommen? Ursprünglich lebten Götter und Menschen „in einer gemeinsamen Welt“ zusammen. Dann empörten sich die Menschen gegen den Schöpfer- und Sonnengot. Zur Strafe wölbte er den Himmel über und unter der Erde und zog sich mit den Göttern in den Himmel zurück. Daher leben die Menschen fern vom Schöpfergott und den Göttern. Diese sind nicht mehr in der Natur gegenwärtig und darin den Menschen nahe. Die Verbindung mit der Götterwelt stellt der Staat her, der somit deren Repräsentant ist, wie später im Christentum die Kirche Repräsentant Christi ist. Ihr Geheimnis besteht darin, der „Leib Christi“ zu sein, also dessen Nähe zu den Menschen gewährleistet und soziale Gerechtigkeit analog zum ägyptischen Staat verwirklichen soll (a.a.O. 43 f). Allerdings sind in Ägypten Kult und Gerechtigkeit „getrennte Sphären“ wie „allgemein im Alten Orient“. Die Nähe zu den Göttern vollzieht sich im Kult nicht in der Rechtsprechung durch den König (a.a.O. 66). Ist die Kirche nicht auch eher eine „Kultgemeinschaft“, als ein wirksamer Anwalt für die Schwachen und Ausgebeuteten? So erscheinen die Großkirchen zumindest in Afrika, aber auch die evangelikalen Kirchen.

Assman stellt in seiner Forschung den spezifischen Unterschied zur Religion Israels klar heraus, worauf ich weiter unten zurückkommen will, wenn ich das jüdischchristliche Weltbild behandle.

Ich möchte vorher kurz das Weltbild der alten Griechen skizzieren. Auch hier kann ich auf eine hervorragende Arbeit zurückgreifen. H. Schlette analysiert in seinem Buch „Weltseele“ die Geschichte und die Auslegung dieser Idee von den Griechen bis herauf in die moderne Philosophie. Es geht ihm dabei um die Frage, ob heute etwa diese Idee wieder eine umfassende Grundlage werden könnte für eine die Natur respektierende Umweltpolitik.

Wie oben bereits erwähnt, gibt es bei den Griechen auch keine klare Trennung zwischen Diesseits und Jenseits, sowohl bei den Philosophen wie in der Volksreligion. Ob sichtbar oder unsichtbar, die Welt ist eine Einheit.

Platon spricht im „Timaios“ von der Weltseele, die den ganzen Weltkörper durchdringt und auch von außen ihn umgibt. Analog zur Seele des Menschen bestimmt sie über den mit ihr vereinigten Weltkörper, den sie bewegt. Sie ist aber auch mit den immer währenden Ideen verbunden, also mit dem Göttlichen. Schon vor Platon unterscheiden die Philosophen nicht scharf zwischen Geistigem und Materiellem. Auch für Aristoteles gibt es die Seele des Alls. Aber im Unterschied zu Platons Vorstellung ist sie nicht selbstbewegend, sondern wird von außen bewegt, vom unbewegten Beweger, der nicht als persönlicher Gott verstanden werden darf, sondern das Denken des Denkens ist (Er denkt sich selbst souverän).

Auch für die Stoa, die immerhin sechshundert Jahre die bestimmende Philosophie in der Antike war, ist die Welt ein belebtes Wesen. Die Seele des Kosmos wird für Gott gehalten und ist der Logos. Für Seneca (1 – 65) ist die Natur Gott und Leben spendenden Kraft. Auch für Marc Aurel (121 - 180) ist der Kosmos ein Lebewesen. Gott und Natur werden nicht unterschieden.

Die klassische griechische Philosophie kennt das Böse als Mangel am Sein (Aristoteles) oder als Materie, die sich vom Geist nicht völlig gestalten lässt, also dem Geist Widerstand leistet, aber nicht als unabhängiges böses Prinzip wie die iranische Religion oder wie der Manichäismus zur Zeit des Augustinus. Das Böse ist auch Mangel an Einsicht, d.h. an Bildung oder, wie bei Plotin das unterste Prinzip in einer dauernden Emanation des Seins vom Geistigen zum Materiellen.

In der Volksreligion gab es eine Vielzahl von Göttern und Dämonen, die auch Schaden stiften konnten. Auf die antiken Dämonenauffassungen komme ich weiter unten zurück.

Für die Kirchenväter der ersten dreihundert Jahre galt die Weltseele als bedrohlich und war zu meiden. „Gott ist in der Welt gegenwärtig auf Grund seines machtvollen Wirkens, aber nicht auf Grund seines Wesens“ (Schlette H. a.a.O. 41 – 122). Augustinus (354 - 430) sieht in der Idee der Weltseele keinen Irrtum, wenn die Weltseele als Geschöpf verstanden wird und nicht als Gott verehrt wird. Die Auffassung von der Weltseele war natürlich pantheistisch. Haben die Stoiker nicht Gott und die Natur gleichgesetzt?

Wenn die Welt als lebendige Einheit verstanden wird, in der Sichtbares und Unsichtbares nicht getrennt sind, dann ist grundsätzlich eine gegenseitige Beeinflussung möglich. Wenn in den zwischenmenschlichen Beziehungen die staatliche Gewalt durch das Gesetz nicht für Gerechtigkeit sorgen kann, und das kann der Staat nie vollständig, dann ist es möglich, dass der einzelne, der Unrecht erleidet, entweder selbst oder mit Hilfe anderer, die mehr geistiges Potential besitzen, oder unter Anrufung übersinnlicher Kräfte, das erlittene Unrecht rächen will und auch kann. Wir sprechen dann von Schadenzauber. Er ist die geistige Rache anstelle der physischen. Im Prinzip ist Schadenzauber die Waffe des sozial Schwachen gegen den sozial Starken, der Unrecht zufügt, weil er sich asozial verhält. Man kann also leicht verstehen, dass in der antiken Welt, und nur von der spreche ich momentan, es von Schadenzauberern wimmelt, weil weder der König noch der Richter ihrer eigentlichen Funktion entsprochen haben, nämlich sich für den Schwachen einzusetzen und gegenüber dem Starken zu schützen. Religiöser Kult, ausgeführt vom Priester und Gerechtigkeit, ausgeführt vom König und vom Richter, waren von einander getrennt, wie Assmann (a.a.O. 66) ausführlich darstellt.

In Israel „entsteht der radikal neue Gedanke, Gott selbst zum Gesetzgeber zu machen. Gott tritt in dieser Funktion an die Stelle der altorientalischen Könige. ... Der alles entscheidende Schritt Israels bestand darin, die Gerechtigkeit aus der sozialen und politischen in die theologische Sphäre zu transponieren und dem unmittelbaren Willen Gottes zu unterstellen“ (a.a.O. 68 f).

Der Gott Israels verwirft den Kult oder anders ausgedrückt: Gerechtigkeit ist der Kult, der ihm gefällt. Beim Propheten Jesaja lesen wir: „Was soll mir die Menge eurer Schlachtopfer? spricht der Herr. Satt habe ich die Brandopfer von Widdern und das Fett der Mastkälber und das Blut der Stiere und Lämmer und Böcke mag ich nicht. .... Tut hinweg eure bösen Taten, mir aus den Augen! Höret auf, Böses zu tun, lernet Gutes tun! Trachtet nach Recht, weiset in Schranken den Gewalttätigen; helfet der Weisheit zum Rechte, führet die Sache der Witwe!“ (Jesaja, 1, 11 ff). Nicht in der Verletzung der Kultregeln oder in der Missachtung des Kultes überhaupt besteht das Böse, sondern in der Unterdrückung und Missachtung der Schwachen. Geistige und physische Rache für das Unrecht übt Gott aus. Er „selbst will Richter sein“ (Psalm 50, 6). Dahinter steht das Weltbild eines allmächtigen Gottes, unter dessen Kontrolle die ganze Welt steht, weil er sie geschaffen hat. Ihm soll man Dank als Opfer darbringen und nicht Tiere. „Wer Dank opfert, der ehrt mich; und wer unsträflich wandelt, den lasse ich schauen mein Heil“ (Psalm 50,23). Er ist „der Gott der Götter“ (Psalm 50, 1).

Im Namen Gottes spricht nicht der König das Recht, sondern der Prophet Samuel. „Samuel nun war Richter über Israel sein Leben lang“ (1 Sam. 7,15). Aber das Volk wünscht einen König, „wie es bei allen Völkern Brauch ist „. Dadurch verwirft das Volk nicht nur Samuel, sondern Gott selbst. „ ...nicht dich, sondern mich haben sie verworfen, dass ich nicht König über sie sein soll“ (1 Sam. 8,7). Und Samuel zeichnet die Institution des Königtums in den düstersten Farben: „Eure besten Felder, Weinberge und Ölbäume wird er nehmen und seinen Dienern geben .... ihr selbst müsst seine Sklaven sein“ (1 Sam. 8, 14 u. 17). Nicht der Starke, wie in Ägypten, verkörpert das Böse, sondern das Königtum als solches. Es ist ein ausbeuterisches System. In Richter 9, 8 - 15 lehnen alle Bäume ab, einen König über sich zu haben. Nur der Dornbusch lässt sich salben und verlangt, dass sie sich in seinem Schatten bergen. „Wo nicht, so wird Feuer ausgehen vom Dornbusch und verzehren die Zedern des Libanon“.

„Zum ersten Mal...“, schreibt Assman, „fundieren die königskritischen Texte der Bibel einen Widerstand gegen das Königtum, der nicht nur einzelnen, vom Gesetz abweichenden Herrschern gilt, sondern der Institution überhaupt“ (a.a.O. 71).

Das bedeutet, dass die weltliche und die religiöse Sphäre im Wesentlichen getrennte Bereiche sind. Dies scheint eine der größten Revolutionen zu sein. Trotzdem ist die eindeutige Trennung in Europa erst das Ergebnis der Aufklärung und der Französischen Revolution von 1789. Bis dahin hat im 1. Jahrtausend der christlichen Zeitrechnung ab dem 5. Jahrhundert der Kaiser über die Kirche geherrscht, bis ab Beginn des 2. Jahrtausends der Papst über den Kaiser die Oberhoheit inne hatte und schließlich in den Religionskriegen und danach wieder die Herrscher die religiöse Zugehörigkeit bestimmten (cuis regio, eius religio). Aber immer ging es darum, die weltliche Macht vor den Karren der religiösen Macht zu spannen, die ja beide im jüdisch-christlichen Monotheismus verankert sind. Dabei musste die weltliche Macht ihren Arm leihen zur Bekämpfung der inneren, aber auch der äußeren Feinde, die zunächst die Andersgläubigen, dann die Irrgläubigen waren, die Häretiker, die die orthodoxen Lehren in Frage stellten und bekämpften, aber fast gleichzeitig auch die Verehrer und Anbeter der Naturkräfte, die „Hexen“, die in einem ganzheitlichen Weltbild lebten.

Wir müssen nochmals zurück in die Geschichte Israels. Das Volk Israel war ständig in Versuchung, vom Glauben an den einen Gott Jahwe, von dem es sich auserwählt wusste, abzufallen und den vielen Göttern der kulturell und militärisch überlegenen und es umgebenden Völker anzuhängen.

Zur Zeit des Königs Manasse (693 - 639) huldigte Juda den Göttern des assyrischen Großreiches (2 Könige 21, 1 - 7). Sein Nachfolger Josia (638 - 608) entfachte im Auftrag Jahwes einen gewaltigen Bildersturm, ließ die Götterbilder verbrennen und die Gräber schänden. Dies erinnert an die gegenwärtigen Kulturzerstörungen durch die radikalen Islamisten im afrikanischen Mali und vor elf Jahren in Afghanistan. Jeremias, 627 zum Propheten berufen, spottet über die Götterbilder, die aus Holz geschnitzt werden, die weder Unheil noch Gutes tun können (Jer. 10, 3 - 5). Die Götter sind daher Lug und Trug. Im Buch der Weisheit, zwischen 200 und 150 v. Christus von einem gesetzestreuen Juden in griechischer Sprache in Alexandrien verfasst, werden die Götter der Heiden nicht mehr verspottet, sondern es wird behauptet, dass die Verehrung der Götter zu den größten Unsittlichkeiten führt. Die Heiden, die die Götter anbeten, halten „weder Leben noch Ehe ...rein“, bei ihnen beherrschen alles „Tun ohne Unterschied Blutdurst und Mordlust, Diebstahl und Betrug, Verderbtheit, Untreue, Aufruhr und Meineid ..die Verehrung der namenlosen Götzen ist jeden Übels Anfang, Ursache und Ende“ (Weisheit 14, 24 - 27). Später bei Augustinus werden sie zu Teufel und Dämonen, also übersinnliche Schadenstifter der Gesellschaft, die mit den Menschen einen Pakt schließen. Nicht mehr Spott wird gepredigt wie bei Jeremias, sondern Hass schlägt den Heiden entgegen von diesem gesetzestreuen Juden in der Weltstadt Alexandrien im 2. Jahrhundert v. Ch. In den alttestamentlichen Texten wird der Monotheismus durch „Massaker durchgesetzt“ (siehe Exodus 32, 25 - 35; 1 Könige 18, 40; 2 Könige 23, 4 - 20). Aber im großen Umfang sind es die Christen und die Muslime, „die diese Gewalt in die Tat umgesetzt haben“, schreibt Assmann. Heutzutage sind es eindeutig die islamischen fundamentalistischen Bewegungen, die im Banne einer politischen Theologie der Gewalt stehen, wie sie in diesen biblischen Texten vorgezeichnet ist. Christentum und Islam haben die politische Gewalt zur Unterdrückung der Heiden ringsum auf ihre Fahnen geschrieben. Die Gewalt ihres Gottes gegen die anderen Götter gibt ihnen das Recht, Gewalt gegen Menschen zu üben, die in ihren Augen anderen Göttern anhängen. Dahinter steht die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge, die die monotheistische Religion, und nur sie, kennzeichnet. Gott ist die Wahrheit, die Götter der anderen sind Lüge. „Mit diesem neuen Religionstyp“, schreibt Assmann, „zieht die Unterscheidung von wahr und falsch in die Religionsgeschichte ein“. Die monotheistische Religion ist daher in ihrem Wesen intolerant. „Wenn man die monotheistische Idee retten will“, schreibt Assmann, „dann muss man sie ihrer inhärenten Gewalttätigkeit entkleiden“ (a.a.O. 262 ff).

Das antike Weltbild von der Beseelung der Natur, von wohlwollenden und übelwollenden Göttern, von der gegenseitigen Beeinflussung aller Lebewesen, also die Einheit der Welt durch eine Weltseele, wo Sinnliches und Übersinnliches, Politisches und Religiöses in einander übergehen, ist zerstört. Zwischen denen, die die Wahrheit besitzen, und jenen, die im Irrtum leben, sind klare Grenzen gesetzt. Man weiß, wo und wer die Feinde sind, nämlich die Ungläubigen in den Heidenländern. Wir sind so mitten in den gegenwärtigen fundamentalistischen, religiösen und fanatischen Bewegungen bei Muslimen und Christen.

Trotzdem darf man nicht vergessen, dass Israel für die Menschheit eine völlig neue Weltsicht gebracht hat, eine befreiende. Die im Altertum bestehende philosophische und religiöse Einheit der Welt, in der der einzelne Mensch wie in einem Gefängnis eingeschlossen ist, bricht auf. Nicht mehr der König ist die oberste weltliche und sakrale Macht, sondern Jahwe. Er ist der Allmächtige und nicht der König. Auch dieser muss Jahwe fürchten, dessen Gesetze auch für ihn gelten. Ihm liegen der Schutz und die Verteidigung der Schwachen und Unterdrückten am Herzen. Sie wenden sich nicht mehr in ihren Klagen an den König, der in der Praxis parteiisch und korrupt ist, sondern an den obersten Richter Jahwe, der im altorientalischen Sinn nicht zuerst verurteilt, sondern sich der Armen annimmt gegen die Reichen und schrecklich wütet gegen die Mächtigen („Gewalthaber stürzte er vom Thron und Niedrige erhöhte er. Hungrige erfüllte er mit Gütern und Reiche ließ er leer ausgehen“ Lukas 1, 52 ff.).

Ich möchte nun einen Schritt weiter gehen. Es geht immer noch um die Frage, wie in Europa aus den Schadenzauberern, die es in der Alten Welt auf Grund der Einheit der Welt und der Ununterschiedenheit zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt überall gegeben hat, wie also aus diesen Schadenzauberern vom Teufel besessene Schreckgestalten geworden sind und die furchtbaren Hexenverfolgungen ausgelöst haben, die im Vergleich zu anderen Kulturen in unserer Kultur einmalig waren.

2. Aus den antiken Dämonen werden Teufelsbesessene und Teufelsanbeter

Mit der Entstehung des Monotheismus im 14. Jahrhundert v. Ch. in Ägypten (Echnaton von Amarna) und mit der „prophetischen ´Jahwe - allein - Bewegung´ in Israel im 8. Jahrhundert“ entwickelt sich eine exklusive Gottesverehrung, die zwischen wahr und falsch unterscheidet. Der einzige Gott ist der wahre Gott, die vielen Götter sind „Lug und Trug“. Gegen sie wird aggressiv vorgegangen, die Heiligtümer werden zerstört und die Darstellung in Bildern wird verboten (Exodus 20, 4ff: „Du sollst dir kein Gottesbild machen, noch irgendein Abbild von dem, was droben im Himmel oder auf der Erde unten. Du sollst dich vor ihnen nicht niederwerfen und du sollst sie überhaupt nicht verehren, denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott...”). Noch bevor in Israel gegen die vielen heidnischen Götter vorgegangen wurde, gab es schon in Ägypten unter Echnaton einen radikalen Angriff auf die Vielgötterei (Assman, a.a.O. 31).

Die Dämonen in der Antike wurden keineswegs nur als böse Kräfte verstanden. Sie sind unnennbare Mächte, die Glück oder Unglück bringen können. Aber das Böse kommt nicht von den Göttern, sondern von den Dämonen. Sie helfen aber auch den Menschen, während die Götter sich nicht um den Menschen kümmern. Sie stellen die Verbindung zwischen den Göttern und den Menschen her, weil sie eine Art geistige Materie besitzen in einem luftartigen Leib, obwohl sie unsterblich sind wie die Götter. Als materieverbundene Wesen sind sie der Erde und den Menschen nahe und sind Affekten unterworfen. Daher sind sie unberechenbar und können dem Menschen schaden durch Naturkatastrophen und Krankheiten. Man muss sie daher durch Opfer günstig stimmen. Man darf sich die Dämonen nicht als personenhafte Wesen vorstellen, sie sind personifizierte Kräfte der Natur wie die Götter. Auch das höchste Wesen ist nicht in unserem Sinn ein persönlicher, unabhängiger und allmächtiger Gott. Sie sind also Mittelwesen zwischen einem höchsten Wesen, das in der Philosophie des 1. Jahrhunderts v. Ch. unsagbar anders ist, wenn auch zu diesem Kosmos gehörig. Im religiösen Bereich entwickelt sich das Bewusstsein, dass das Göttliche ganz fern ist und dass der Mensch den Mächten des Bösen ausgeliefert ist. Daher bildete sich die Vorstellung von Zwischenwesen heraus, eben Götter und Dämonen. Philosophisch gesprochen, ist das Göttliche durch diese Zwischenwesen unendlich gestuft, die wie aus einer höchsten Quelle herausfließen (emanieren), ohne dass sie von dieser Quelle getrennt sind. Das Böse hat daher keine Sonderexistenz, sondern ist nichts anderes als völliges Aufhören des Guten, das im höchsten Sein wie in einer Quelle konzentriert ist. Schließlich kann man dieses so entfernte Göttliche gar nicht mehr erkennen. Daher präsentieren sich Menschen, die in einer Art Berufung dieses Göttliche schauen und gegen alle Vernunft offenbaren, was sie geschaut haben. In ihren Ekstasen (Verzückungen) glauben die Menschen, dass sie von Dämonen besessen sind, also von guten oder bösen Kräften. Sie können heilen oder auch Schaden zufügen.

Auch in Israel wurde von den Propheten Jahwe von den Menschen so weit entrückt, dass Mittelwesen die Verbindung herstellen müssen. Dabei ging es ähnlich wie bei anderen Völkern um das Problem nach dem Ursprung des Bösen. Da Jahwe allein existiert und alles erschaffen hat, konnte ursprünglich das Böse auch nur von ihm kommen.

Schon bei Isaias (8. Jahrhundert v. Ch.) lesen wir: „Ich bin der Herr, und sonst gibt es niemand ; einen Gott außer mir gibt es nicht... Vom Sonnenaufgang und ihrem Untergang her sollte man es erkennen: Niemand ist da als ich, der Herr, und sonst niemand! Das Licht bilde ich und erschaffe die Finsternis, bewirke das Heil und schaffe das Unheil! Ich, der Herr, bin es, der all diese wirkt“ (Is. 45, 5 - 7). Isaias kämpft gegen den Glauben an die Götter der Hochkulturen, zu denen die Israeliten immer wieder abfielen.

Aber Gott kann auch einen bösen Geist schicken (Richter 9, 23; 1 Sam. 16,14). Später sind solche Mittelwesen die Weisheit, die Herrlichkeit, Engel; bei Philon im 1. Jahrhundert ist es der Logos, der dann auch im Prolog des Johannesevangeliums aufscheint als das Wort Gottes, identifiziert mit Jesus.

Nach der babylonischen Verbannung (586 - 536) kommt auch Satan als himmlisches Wesen ins Spiel. Er gehört zum himmlischen Hofstaat, wörtlich ist er der Ankläger vor Gericht, „der himmlische Staatsanwalt“, der die Erlaubnis bekommt, Hiob zu prüfen. In 1 Chronik 21, 1 kommt das Böse nicht mehr vom Zorn Jahwes, sondern von Satan, der Israel anklagt. Aber Satan ist im Alten Testament immer von Gott abhängig und überbrückt als Mittelwesen die Transzendenz Jahwes.

Im 2. Jahrhundert v. Ch. erlebten die Juden unter Antiochus IV. (175 - 164) eine furchtbare Verfolgung: die jüdische Eingottglaube sollte abgeschafft und durch griechische Götter ersetzt werden. In den Apokryphen (die „Verborgenen“), die in die hebräische Bibel nicht aufgenommen worden sind und um diese Zeit entstanden sind, geht es wieder um die brennende Frage nach dem Woher des Bösen. Jahwe als der gute Gott konnte nicht böse Geister und Dämonen erschaffen haben. Die guten, von Gott erschaffenen Geister mussten von sich aus böse und von Gott aus dem Himmel geworfen worden sein. Worin bestand die Sünde der Engel? Darüber gab es phantastische Spekulationen. Die im frühen Judentum angesehenste apokryphe Schrift, das Henochbuch, erwähnt im Anschluss an Gen. 6, 1 - 7, dass die Sünde der Engel auf sexuelle Beziehungen mit irdischen Frauen zurückzuführen ist (1 Hen. 15, 3-4). Geistige Wesen können mit Menschen geschlechtlich verkehren. Auch bei Paulus finden wir eine Anspielung. Der Engel wegen soll die Frau ihr Haupt bedecken als Zeichen der Herrschaft des Mannes über sie (1. Kor. 1, 10). Augustinus und Thomas v. Aquin werden die Lehre vom Dämonenvertrag ausarbeiten, wie wir weiter unten sehen werden. Diese Vorstellung vom Geschlechtsverkehr mit dem Teufel war die theoretische Voraussetzung für die schrecklichsten Hexenverfolgungen gegen Frauen. Sie betreiben Geschlechtsverkehr mit dem Teufel. Wenn sie es auch zuerst nicht zugegeben haben, wurden sie so lange gefoltert, bis sie ein Geständnis abgelegt hatten. Ähnliches geschieht heute in Afrika: in evangelikalen Kirchen werden von einem Geist besessene Menschen gefoltert, bis sie zugeben, vom Teufel besessen zu sein. Dann kann man sie durch Exorzismus davon befreien.

Ein zweites und drittes Motiv für den Ursprung des Bösen sind Neid und Ungehorsam. Nach Gen. 1, 26 - 27 ist der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen worden, „uns ähnlich“. Im 1. vorchristlichen Jahrhundert berichtet die apokryphe Schrift „Leben Adams und Evas“, dass Gott von den Engeln verlangt habe, sein Ebenbild, nämlich Adam zu verehren. Ein Teil der Engel unter Führung Michaels gehorchte, während ein anderer Teil unter Führung Satans den Gehorsam verweigerte. Diese Engel sind aus dem Himmel geworfen worden. Aus Neid will Satan auch Adam zum Ungehorsam verführen. Dies gelingt ihm über Eva, die er mit List umgarnt, nämlich mit Hilfe der Schlange. Im Buch der Weisheit aus der gleichen Zeit, das in die katholische Bibel aufgenommen ist, bringt der Neid des Teufels den Tod in die Welt (Weish. : 2, 24). Der Neid wird auch in Afrika als Ursache für den Schadenzauber angesehen, aber hat ursprünglich mit dem Teufel nichts zu tun, weil es keinen Gegenspieler Gottes gibt. Es gibt in einer beseelten Welt wie früher in der Antike keinen einzigen Gott, neben dem kein anderer existieren darf. Ein allgemein anthropologisches Phänomen, nämlich Neid, der in allen zwischenmenschlichen Beziehungen mitspielt und in allen Kulturen und der Hauptantrieb unseres Wirtschaftssystem ist, wurde also schon im Judentum in die theologische Sphäre rückgekoppelt, um das Böse in der Welt zu erklären.

Im apokryphen Henochbuch (1 Hen 68,9) wird nicht nur vom Verkehr der Engel mit den Menschen berichtet, sondern vom Aufruhr der Engel gegen Gott, weil sie wie Gott sein wollten. Luzifer, der Lichtträger, der schönste Engel, war ihr Anführer. Aber Michael, d.h. wer ist wie Gott, weigert sich, sich ihnen anzuschließen. Wieder ist es der Neid und der Ungehorsam gegen Gott, also Ursachen des Bösen in der Welt, die unter dem Einfluss Satans und der gefallenen Engel stehen.

Im Neuen Testament ist Satan oder der Teufel „der unversöhnliche Widersacher Gottes“, dem die Dämonen unterstellt sind. Die Dämonen werden nun personifiziert, sind also Subjekte mit Willen, obwohl sie ursprünglich als Kräfte der Natur bei den Griechen keinen persönlichen Charakter hatten. Sie verursachen Krankheiten und müssen daher von Jesus ausgetrieben werden. Die Macht Jesu besiegt also die Dämonen und heilt die Krankheiten. Dieser Vorstellung begegnen wir überall bei den evangelikalen Christen in Afrika, wobei die Heiler und Propheten im Auftrag Jesu eine zentrale Rolle spielen. Aber im Prinzip sind im Neuen Testament Teufel und Dämonen durch den Tod Jesu schon besiegt worden, weil die Herrschaft Gottes durch ihn angebrochen ist und sich in der Zeit immer mehr durchsetzen wird, trotz aller Rückschläge. Er ist das Fundament der christlichen Hoffnung (verkürzte Darstellung aus: Reiner Braun, „Teufelsglaube und Heilige Schrift“ in: Georg Schwaiger (Hrsg.), „Teufelsglaube und Hexenprozesse“ 4. Aufl., Hamburg 2007, 11 - 36).

Ich fasse zusammen: Bei den Propheten Israels war Yahwe der Schöpfer der sichtbaren und unsichtbaren Welt. Alle Geschöpfe sind ihm unterworfen. Er ist der absolute Herr über sie. Die Engel als geschaffene Wesen von einem persönlichen Gott sind also Subjekte mit Willen und Verstand, gehorchen aber Gott. Griechische Dämonen besaßen nicht diesen persönlichen Charakter, sie waren Wesen der Natur und wie diese für die Menschen einerseits schädlich aber auch gut. Die Dämonen waren also ambivalent, gut und böse. Ihnen musste geopfert werden, um ihren schädlichen Einfluss abzuwehren und sie versöhnlich zu stimmen. Da aber Jahwe der einzige Gott ist, duldet er keine anderen Götter neben sich und erklärt sie als nicht existent, sie sind „Nichtse“. Damit natürlich auch die Dämonen. Diesen strengen Glauben an Jahwe, der verlangt, dass man absolut auf ihn vertraut, konnten weder die Juden noch die Christen durchhalten. In Not und Gefahr wandten sie sich immer an die Kräfte der Natur, an die Dämonen.

Die Erfahrung des Bösen in der Welt wurde von den Juden theologisiert. Es handelt sich um Neid und Ungehorsam in der Engelwelt gegen Jahwe, der sie aus dem Himmel stößt. Jetzt treiben sie auf der Erde ihr Unwesen als Subjekte mit Wille und Verstand, bleiben aber als Geschöpfe zuinnerst von Jahwe abhängig, so dass sie nur Böses zufügen können mit Zulassung Gottes.

3. Der Dämonenpakt bei Augustinus und bei den Theologen des Mittelalters bis herauf zum 17. Jahrhundert

Sowohl in der spätgriechischen Philosophie wie im Volksglauben wimmelt es von Dämonen als Mittelwesen zwischen den unsagbaren höchsten Wesen, den Göttern und den Menschen. Dies entspricht völlig der Sicht von der Welt, die als belebte Einheit und Ganzheit verstanden wurde. Im 3. Jahrhundert sind die bösen Dämonen bei Porphyrius (234 - 302 n. Chr.) in Erdnähe und verursachen „Missernten, Krankheiten und Unwetter“ und werden „von bösen Menschen angezogen“ (Jamblichos ca. 280 - 337 n. Chr.) Es geht immer um das gleiche Problem: das höchste geistige Wesen ist nicht verantwortlich für das Böse in der Welt, welche als Einheit des Unsichtbaren mit dem Sichtbaren verstanden wird. Daher gab es auch in der Volksreligion ein Unzahl von Schutz- und Schadengeister. Das Verhältnis zwischen den Menschen und Dämonen, sowie Göttern bestand in Leistung und Gegenleistung (do ut des: ich gebe, damit du mir gibst), wie ein Vertrag zwischen Herrscher und seinen Untergebenen, den Vasallen. Auch der Bundesschluss Jahwes mit Israel ist ein solcher Vertrag (Exodus 19 ff.).

Augustinus wie die Christen der damaligen Zeit teilen diese Weltsicht von Göttern und Dämonen, obwohl sie wie die großen Propheten Israels eigentlich Dämonen und Götter im Vertrauen auf Jahwe als nicht existent, als Nichtigkeiten hätten annehmen müssen. Zwei Weltsichten prallen aufeinander: der Glaube an Götter und Dämonen und der absolute Eingottglaube, eigentlich die religiöse Geschichte Israels, hier bei den Christen der ersten Jahrhunderte.

Statt die heidnische Welt rundweg abzulehnen, sieht Augustinus in der Beziehung zwischen dieser so genanten heidnischen Welt und der an sie glaubenden Menschen mit den dazu gehörenden Praktiken von Opfern und Wahrsagerei, Abmachungen mit den Dämonen. Weil es sich um einen Pakt handelt, sind es Subjekte mit Wille und Verstand, die einen solchen abschließen. Damit bekommen die Dämonen der Heiden einen subjektiven Charakter, werden also zu Teufeln, d. h. zu abgefallenen Engeln, die den Menschen nur Böses zufügen wollen und auf der Welt Böses anstellen (Krankheiten und Naturkatastrophen). Nach Augustinus teilt sich die Welt in zwei unsichtbare Staaten, den Gottesstaat und den Teufelsstaat (civitas Dei und civitas terrena oder civitas diaboli). Zwischen diesen gibt es keine klaren Grenzen. Die Grenzen sind ethischer Natur: wer den christlichen Gott anbetet und dessen Gebote befolgt, lebt im Gottesstaat, wer heidnische Götter und Dämonen anbetet, Wahrsagerei und Zauberei betreibt, lebt im Teufelsstaat. Die Teufel beneiden die Menschen um ihre Freiheit, wollen sie verführen zu Missgunst und Neid und dadurch ihre Herren werden. Diejenigen, die Götzenbilder und Dämonen verehren, schaffen sich solche Herren (Enarrationes in Psalmos XCVI, 11; zit. nach Götz, 185; in: PL 36 - 37; CC 38 - 40; alle weiteren Ausführungen zum Dämonenpakt bei R. Götz, in: G. Schwaiger (Hrsg.), „Teufelsglaube und Hexenprozesse“ 4.Aufl. Hamburg 2007 u. München 1987, 57 - 84). In der Schrift „De divinatione daemonum“ besitzen die Dämonen einen luftigen Körper, können sich sehr schnell bewegen, besitzen schärfere Sinne als die Menschen und können daher Ereignisse in der Zukunft früher wahrnehmen und den Menschen ankündigen. Schon der neuplatonische Philosoph Porphyrius (234 - 302 n. Ch.), der hundert Jahre vor Augustinus gelebt hat (354 - 430), vertrat eine ähnliche Ansicht. Die Dämonen sind mit der Materie verbunden, wohnen in Erdnähe und daher auch den Menschen räumlich näher. Als Luftgeister und durch einen Dämonenpakt mit dem Teufel verbunden, können die Hexen, hauptsächlich Frauen, durch die Lüfte fliegen. Der Dämonenpakt, der besonders in „Doctrina christiana“ von 396/97 beschrieben wird, fällt in eine politische und religiöse Umbruchszeit. Augustinus, geboren 354 n. Ch. hatte eine christliche Mutter, Monika. Deren Mann war Heide, d.h. Anhänger des griechisch-römischen Götterglaubens. Die Mutter hat Augustinus zwar christlich erzogen, aber nicht taufen lassen. Die Kindertaufe war damals noch nicht üblich. Augustinus war Professor für Rhetorik in seiner Geburtsstadt Thagaste, heute Souk-Ahras in Algerien. Danach in Karthago (Algerien), Rom und Mailand. Unter dem Einfluss des Bischofs Ambrosius in Mailand ließ er sich 387 taufen. 391 wurde er Priester und 396 Bischof von Hippo (heute Anaba in Algerien). Im Jahre 380, Augustinus war noch „Heide“, hat Kaiser Theodosius die katholische Religion zur Staatsreligion erklärt. Im Jahre 390 „verbot Theodosius jeden heidnischen Kult. Dieses Verbot wurde streng durchgeführt: das prunkvolle Heiligtum des Serapis in Alexandria wurde 391 n. Ch. zerstört bzw. in eine christliche Kirche umgewandelt“. Im Jahre 398 n. Ch. wurde per Gesetz die Zerstörung heidnischer Kulte angeordnet. Ein paar Jahre vorher arbeitete Augustinus an der „doctrina christiana“. Man kann vielleicht sagen, dass dieses theologische „Futer“ die Berechtigung gab für die Zerstörung der heidnischen Tempel und Kultstätten, sichtbare Werke des Teufelspaktes. Jedenfalls ist die Bekehrung der Heiden bis heute zuerst damit beschäftigt, alle Kultstätten und Fetische zu zerstören. Im Frühmittelalter mit Hilfe des Staates. Man denke nur an die Sachsenmission unter Karl dem Grossen. An der Wurzel aller Heidenmissionen bis heute verbirgt sich als treibendes Motiv, die Heiden vom Einfluss des Teufels zu befreien.

Der Staat wird zur Zeit des Augustinus nicht nur zum Vollstrecker der Zerstörung heidnischer Kultstätten, sondern Augustinus befürwortet auch, dass der Staat mit Gewalt gegen die christlichen Häretiker vorgeht. Die afrikanische Kirche war seit Beginn des 4. Jahrhunderts gespalten. Das Problem: sind die Sakramente gültig, die während der Verfolgungszeit von Priestern gespendet wurden, welche ihren Glauben äußerlich durch die Übergabe der heiligen Bücher und Geräte verraten haben? Ab 380 gab es die Reichskirche unter der Herrschaft des christlichen Kaisers Theodosius. In Nordafrika entstand damals eine Protestbewegung, getragen von „der einheimischen Berberbevölkerung und den Nicht-Grundbesitzern“. An der Spitze dieser Bewegung stand Bischof Donatus. Er leugnete die Gültigkeit der Sakramente, gespendet unter der Verfolgungszeit von „abgefallenen“ Priestern und lehnte mit seinen Anhängern die Reichskirche ab. „Was hat der Kaiser mit der Kirche zu tun?“ Quid est imperatori cum ecclesia? Wo ist die wahre Kirche zu finden? „Die wahre Kirche ist die, die Verfolgung leidet, nicht die, die verfolgt“. Dagegen antwortet Augustinus, dass der „wahre Glaube ... nur dort gelebt“ werde, „wo die katholische Disziplin, disciplina catholica“, herrsche.

In diesen scharfen theologischen Auseinandersetzungen vertrat Augustinus die Auffassung, dass auch die Sakramente, die von abgefallenen Priestern gespendet worden sind, gültig sind. Also unabhängig von der moralischen Haltung des Spenders. Ähnlich wie der Kaiser seinen Sklaven ein Zeichen eingebrannt hat als Besitztitel, werden durch die Sakramente der Taufe und Priesterweihe ein unauslöschliches Kennzeichen, ein „character indelibilis“, das Brandmal des Herrn, dem Empfänger eingedrückt. Die Kirche hat also ein Recht auf die Getauften, sei es, dass sie sich nicht mehr zum orthodoxen Glauben bekennen, also Häretiker sind, sei es , dass sie sich als Schismatiker von der Kirche abgespaltet haben. Da der Staat, weil Staatskirche, die Oberaufsicht über die Kirche innehatte, und da die Häretiker aufgrund des „unauslöschlichen Sigels“ in ihrer Seele durch die Taufe zur Kirche gehörten und zu Christus, befürwortete Augustinus die Gewalt des Staates gegen die Häretiker. Sie sollten unter Zwang zur Kirche zurückgeführt werden, weil die Kirche ja ein Recht auf sie hat.