Maike, Martha und die Männer - Birgit Schlieper - E-Book
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Maike, Martha und die Männer E-Book

Birgit Schlieper

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Beschreibung

Maike freut sich auf den Urlaub mit ihrem neuen Freund Arne. Statt in die Sonne, soll es jedoch plötzlich in den Schwarzwald gehen, um dort auf Arnes Oma aufzupassen. Doch damit nicht genug: Schnell erfährt Maike, dass Arne sich jedes Jahr eine neue Freundin sucht, um diese als „Oma-Sitterin“ bei der alten Dame zurück zu lassen! Aber da hat er sich in Maike getäuscht, denn Rache ist süß und auch Oma Martha ist rüstiger als gedacht... Der Auftakt eines aberwitzigen Roadtrips quer über Frankreichs Autobahnen, in dem Verfolgungsjagden und emotionale Berg- und Talfahrten weder eine Frage des Alters noch des Geschlechts sind.

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Zum Buch:

Mai­ke freut sich auf den Ur­laub mit ihrem neu­en Freund Ar­ne. Statt in die Son­ne, soll es je­doch plötz­lich in den Schwarz­wald ge­hen, um dort auf Ar­nes Oma auf­zu­pas­sen. Doch da­mit nicht ge­nug: Schnell er­fährt Mai­ke, dass Ar­ne sich je­des Jahr ei­ne neue Freun­din sucht, um die­se als »Oma-Sit­te­rin« bei der al­ten Da­me zu­rück­zu­las­sen!

 

Aber da hat er sich in Mai­ke ge­täuscht, denn Ra­che ist süß und auch Oma Mar­tha ist rüs­ti­ger als ge­dacht...

 

Zur Au­to­rin:

Birgit Schlieper

 

 

 

Maike, Martha und die Männer

 

Ver­öf­fent­licht im Kirsch­buch Ver­lag,ein Im­print der Qua­li­Fic­ti­on GmbHHam­burg, März 2020Co­py­right © 2020by Qua­li­Fic­ti­on GmbH, Ham­burgUm­schlag­ge­stal­tung: Qua­li­Fic­ti­on GmbHSatz: Qua­li­Fic­ti­on GmbHISBN 9783948736019

 

»Schwarz­wald?«

Ich wie­der­ho­le das Wort ganz vor­sich­tig. Of­fen­bar ha­be ich mich ver­hört. Wahr­schein­lich hat Ar­ne »Schwarz­meer« ge­sagt. Wo war das gleich? Süd­lich auf je­den Fall. Ist das Schwar­ze Meer das mit dem ho­hen Salz­ge­halt, auf dem man stun­den­lang her­um­düm­peln kann? Oder ist das das Ro­te Meer? Oder doch das To­te Meer?

»Ge­nau. Schwarz­wald. Es wird herr­lich.«

Er lehnt sich zu­rück, streckt sich und ent­blößt ober­halb des Jeans­bunds ei­nen brau­nen Strei­fen Haut mit klei­nen blon­den Haa­ren.

Ich leh­ne mich nach vor­ne und rüh­re in mei­nem Chai Lat­te. Vor mei­nem geis­ti­gen Au­ge lö­sen sich die Bil­der von Strand und Son­nen­un­ter­gän­gen lang­sam auf. Plötz­lich ste­hen da kau­en­de Kü­he auf sat­tem Grün. Ich hat­te mir im In­ter­net schon so sü­ße Biki­nis an­ge­se­hen und San­da­len mit bun­ten Stei­nen. Muss ich mir jetzt ei­ne Tracht oder so et­was zu­le­gen?

»Sü­ße, ich weiß, dass das to­tal lang­wei­lig und spie­ßig klingt. Aber lass dich über­ra­schen. Es ist ein­fach wun­der­schön da. Die Ber­ge, die Se­en, die Luft. Du wirst es lie­ben.«

Ich gu­cke ihn an und ver­su­che ihm zu glau­ben.

Ich lie­be das Meer und Näch­te, die nicht käl­ter als 15 Grad wer­den. Ich lie­be tro­cke­ne Luft, die im­mer ein biss­chen nach Son­nen­creme riecht. Ich mag es, wenn ich weit gu­cken kann und sich kein Berg in den Weg stellt. Ich mag es, über war­men Sand zu lau­fen. Lei­der muss ich ge­ste­hen: Ich flie­ge ger­ne. Trin­ke so­gar den halb­tro­cke­nen Sekt im Flug­zeug.

Viel­leicht lie­be ich den Schwarz­wald auch. Aber mir wür­de es rei­chen, wenn ich die­se Lie­be erst in 40 oder 50 Jah­ren ent­de­cke. Schwarz­wald klingt für mich nicht nach Ur­laub, son­dern nach Kur.

»In den Sü­den kön­nen wir auch noch über Weih­nach­ten flie­gen, wenn es hier so rich­tig grau und trüb ist. Dann aalen wir uns ir­gend­wo am Strand und fei­ern ins neue Jahr. Wenn Du willst, kön­nen wir auch so rich­tig hübsch knal­len«, hö­re ich Ar­ne sa­gen. Sei­ne Au­gen grin­sen mich da­bei an.

Das klingt doch schon viel bes­ser. Ich neh­me ei­nen Schluck von mei­nem schwin­de­lig ge­rühr­ten Chai Lat­te. Und plötz­lich wird es mir klar: Er will mich sei­nen El­tern vor­stel­len. Des­we­gen soll ich auf die Alm. Mei­ne Fü­ße wer­den kalt, mein Herz ganz warm. Ist das nicht ein biss­chen früh? Ge­nau ge­nom­men hat ja mein Stu­den­ten­le­ben noch gar nicht be­gon­nen. Das ers­te Se­mes­ter fängt im Herbst an, ich ab­sol­vie­re ge­ra­de Vor­be­rei­tungs­kur­se. Wie lan­ge sind wir zu­sam­men? Ar­ne war das neu­lich von ei­nem Freund ge­fragt wor­den und hat­te mit »Weiß nicht ge­nau. Ich glau­be, sie hat­te schon drei Mal ih­re Ta­ge« ge­ant­wor­tet. Das fand ich ir­gend­wie nicht so nett. Aber ich möch­te jetzt auch noch nicht die Po­si­ti­on ‹Schwie­ger­toch­ter in spe› ein­neh­men.

»Ha­ben dei­ne El­tern mich ein­ge­la­den?«, fra­ge ich vor­sich­tig und so ne­ben­bei wie mög­lich.

»Ge­nau. Dich und mich. Wir ha­ben das gan­ze gro­ße Haus qua­si für uns al­lei­ne.«

»Sie sind al­so gar nicht da«, stel­le ich fest.

»Nee. Die flie­gen im Som­mer im­mer nach Ma­dei­ra.«

So viel zum The­ma, der Schwarz­wald ist im Som­mer ein­fach herr­lich. Wie­so flie­gen die nicht im Win­ter gen Sü­den?

»Vom Schwarz­wald ist es doch nach Frank­reich nicht weit, oder?«

Ich hof­fe, mit mei­ner Ein­schät­zung nicht völ­lig da­ne­ben zu lie­gen. Of­fen­bar ha­be ich Geo­gra­phie doch zu früh ab­ge­wählt.

»Nicht all­zu weit. War­um?«

»Dann kön­nen wir doch auch mal für ein paar Ta­ge nach Frank­reich. Wo­zu hat­te ich sei­nerzeit auf der Schu­le Leis­tungs­kurs Fran­zö­sisch? Dann kannst du in den Ge­nuss mei­ner enor­men For­mu­lie­rungs­kunst kom­men«, grin­se ich.

Ich den­ke an klei­ne Ca­fés, an klei­ne Bou­tiquen, fran­zö­si­sches Flair in der Luft, an l’amour.

»Klingt ver­lo­ckend. Al­ler­dings wird dar­aus nichts. Ich ha­be mei­nen El­tern ver­spro­chen, dass wir uns auch ein biss­chen um Oma Mar­tha küm­mern.«

»Wie bit­te?«

Ich fan­ge wie­der an, in mei­nem Glas zu rüh­ren. Die­ses Mal mit der lin­ken Hand. Ich ha­be mal ge­le­sen, dass man da­mit die eher un­ter­drück­te Ge­hirn­hälf­te ak­ti­vie­ren kann. Das gilt na­tür­lich nur für Rechts­hän­der. Ich muss jetzt ganz drin­gend mei­ne an­de­re Ge­hirn­hälf­te in Schwung brin­gen und zwar die, die für die Ra­tio ver­ant­wort­lich ist. Manch­mal es­se ich des­we­gen auch mit der lin­ken Hand Sup­pe oder put­ze mir mit links die Zäh­ne. Ganz in­ter­es­san­te Er­fah­run­gen kann man da­mit auch auf der Toi­let­te ma­chen.

Ar­ne tut so, als hät­te er mich nicht ge­hört und gibt der Kell­ne­rin ein Zei­chen. Ich muss wohl ein biss­chen lau­ter wer­den.

»Wie bit­te? Was soll das hei­ßen, dass wir uns ein biss­chen um Oma Mar­tha küm­mern? Müs­sen wir sie im Roll­stuhl rum­schie­ben oder reicht es, wenn wir mal auf ei­nen Plausch in ihr über­hitz­tes Wohn­zim­mer kom­men?«

Du fährst mit Ar­ne in ein ver­schla­fe­nes Kuh­dorf, um dich da um sei­ne se­ni­le Groß­mut­ter zu küm­mern?«

Li­sa sitzt im Schnei­der­sitz auf mei­nem So­fa und starrt mich mit of­fe­nem Mund an.

»Du tust so, als woll­te ich mit ihm in die Uk­rai­ne, um da Kriegs­grä­ber zu pfle­gen.«

»So ganz groß ist der Un­ter­schied ja nicht, oder?«

»Im­mer­hin lebt Ar­nes Oma noch.«

»Nach­dem du zwei Wo­chen für sie ge­kocht hast, wahr­schein­lich nicht mehr. So wirst du dich in der Fa­mi­lie nicht sehr be­liebt ma­chen«, lacht sie.

»Ich muss für die Frau nicht ko­chen«, be­haup­te ich und bin mir gar nicht so si­cher. Sie wird wohl kaum 23 Stun­den dö­send im Halb­schlaf ver­brin­gen und dann plötz­lich auf­ste­hen, sich ein fri­sches Ge­mü­se­süpp­chen zu­sam­men­schnip­peln, um sich dann an den Ess­tisch zu set­zen, oder? Ich muss un­be­dingt Ar­ne da­nach fra­gen. Na­tür­lich wür­de ich ihm am liebs­ten so­fort ei­ne Whats­app schrei­ben, aber das bringt nichts. Ar­ne ist ein Whats­app-Au­tist. Meist ant­wor­tet er Stun­den spä­ter und nur mit kryp­ti­schen Ab­kür­zun­gen. Li­sa hat sich in­zwi­schen aufs Bett ge­legt und ki­chert. »Ich stel­le mir ge­ra­de vor, wie ihr drei da abends im Wohn­zim­mer sitzt und euch ei­nen Ro­sa­mun­de-Pil­cher-Film rein­zieht. Oder gab es nicht mal ei­ne Serie über ei­ne Schwarz­wald­kli­nik? Die hat Oma be­stimmt auf VHS.«

Ich wer­fe ein Kis­sen nach Li­sa.

Doch sie hört nicht auf. »Viel­leicht könnt ihr ja spä­ter al­lei­ne noch ein paar Dok­tor­spie­le ma­chen. Aber im­mer schön lei­se sein«, prus­tet sie. »Zu­min­dest so lan­ge, bis Oma das Hör­ge­rät ab­ge­stellt hat«.

Li­sa darf das. Sie ist mei­ne bes­te Freun­din – seit der ach­ten Klas­se schon. Da­mals hat­ten wir zu­sam­men ei­nen ab­so­lu­ten Lach­flash be­kom­men und zwar bei dem Satz »Je vais cher­cher la sou­pe«. Das soll­te hei­ßen »Ich ge­he die Sup­pe ho­len«. Aber ge­nau ge­nom­men heißt es »Ich ge­he die Sup­pe su­chen«. Ich hat­te mir vor­ge­stellt, wie ich mit­tags nach Hau­se kom­me und mei­ne Mut­ter vom Tisch auf­steht und sagt: »Na, dann ge­he ich jetzt mal die Sup­pe su­chen. Wo ha­be ich sie nur heu­te wie­der ver­steckt?« Mit Li­sa ver­bin­den mich ein­fach so vie­le ers­te Ma­le. Auf ei­ner Par­ty bei ihr ha­be ich den ers­ten Zun­gen­kuss be­kom­men. Sie hat mir die Haa­re aus dem Ge­sicht ge­hal­ten, als ich (auf der­sel­ben Par­ty) spä­ter ei­nen län­ge­ren Be­such auf dem WC ein­le­gen muss­te. Sie hat zehn Mi­nu­ten nach­dem ES pas­siert war, er­fah­ren, dass ich kei­ne Jung­frau mehr bin. Sie hat mich nach der ers­ten er­folg­lo­sen Füh­rer­schein­prü­fung ge­trös­tet. Li­sa hat bei der Be­er­di­gung mei­nes Opas mei­ne Hand ge­hal­ten. Es war die ers­te Be­er­di­gung über­haupt für mich. Li­sa und ich ha­ben uns mit 17 Jah­ren die Haa­re blau­schwarz ge­färbt und sa­hen ein­deu­tig dro­gen­krank aus. Da­mals fan­den wir, dass wir ge­heim­nis­voll und tief­grün­dig wirk­ten. Und Li­sa weiß als ein­zi­ger Mensch auf der gan­zen Welt, dass ich mal für Mats Hum­mels ge­schwärmt ha­be.

Ich den­ke sehn­süch­tig an den letz­ten Som­mer­ur­laub zu­rück. Li­sa und ich hat­ten ein klei­nes Haus­boot in Ams­ter­dam ge­mie­tet. Der gan­ze Ur­laub war ein ein­zi­ges Schau­keln. So schön.

 

Geo­mor­pho­lo­gisch wird vor al­lem zwi­schen der Ost­ab­da­chung mit wei­ten Hoch­p­la­teaus und dem in­ten­siv zer­tal­ten Ab­bruch zum Ober­rhein­gra­ben hin un­ter­schie­den. Die Tä­ler sind meist eng, oft schlucht­ar­tig, sel­te­ner be­cken­för­mig.«

Mei­ne Mut­ter kommt aus dem La­chen nicht mehr raus. Ich muss das Te­le­fon ein paar Zen­time­ter von mei­nem Ohr weg­hal­ten, um mein Trom­mel­fell zu scho­nen. Ich zäh­le bis 67, dann end­lich macht mei­ne Mut­ter ei­ne klei­ne Pau­se. Ich ver­su­che ein­fach mal ein an­de­res The­ma an­zu­schnei­den und fra­ge freund­lich, wie es Pa­pa denn geht. Sie igno­riert es.

»Kannst du dich noch an Ös­ter­reich er­in­nern?«, japst sie.

»Du hast erst beim Kin­der­sor­gen­te­le­fon an­ge­ru­fen und dich über die­se ewi­gen Wan­de­run­gen be­schwert. Dann hast du dich mit ei­nem ro­ten Ed­ding an­ge­malt und be­haup­tet, du hät­test ei­ne an­ste­cken­de Krank­heit. Du hast das Fie­ber­ther­mo­me­ter in fast ko­chen­des Was­ser ge­hal­ten.«

»Ma­ma, da­mals war ich zehn oder so.«

»Du woll­test so­gar in den Hun­ger­streik tre­ten und hast, glau­be ich, so­gar wirk­lich ei­ne gan­ze Mahl­zeit aus­ge­las­sen«, ki­chert sie wei­ter.

»Ist bei euch auch das Wet­ter so schlecht?«, ver­su­che ich noch­mals matt das The­ma zu wech­seln.

»Die­ser Ar­ne muss ja wirk­lich ein Wahn­sinns-Typ sein, dass er dich in die deut­sche Berg­welt be­kommt. Ich bin schon to­tal ge­spannt, ihn ken­nen­zu­ler­nen.«

»Klar, den nächs­ten Ur­laub ma­chen wir dann bei euch. Stellt doch schon mal ei­ne Lie­ge in mei­nem al­ten Zim­mer auf«, gif­te ich erst zu­rück und fan­ge mich dann wie­der: »Ich fin­de es gar nicht so ver­kehrt, das ei­ge­ne Brut­to­in­lands­pro­dukt zu stär­ken. Ur­laub im ei­ge­nen Land ist to­tal in – al­lein schon we­gen des Kli­ma­wan­dels. Kann ja sein, dass dich das nicht mehr in­ter­es­siert, aber ich sor­ge mich um das Kli­ma und den Er­halt der Na­tur.«

»Schön, dass du so­gar in den Fe­ri­en pa­tri­o­tisch und öko­no­misch denkst. Darfst du denn mit in Ar­nes Kin­der­zim­mer schla­fen oder musst du ins Gäs­te­zim­mer? Ich könn­te mir vor­stel­len, dass die lie­be Omi erz­ka­tho­lisch ist und es nicht dul­den kann, wenn un­ter ihrem Dach vor­ehe­li­cher Ge­schlechts­ver­kehr voll­zo­gen wird.«

Mir bleibt kurz der Atem weg, ich wer­de aber von mei­ner Mut­ter ab­ge­lenkt, die mir wei­ter­hin mit­teilt, dass nächs­te Wo­che bei Tchi­bo Wan­dern die The­men­welt sei und mich fragt, ob sie mir ei­ne Kom­plett-Aus­stat­tung kau­fen sol­le. Ich leh­ne dan­kend ab und no­tie­re die Fra­ge »Wo schla­fe ich? Hast du al­te Pos­ter von zweit­klas­si­gen Fuß­ball­clubs oder Bra­vo-Star­schnit­te in dei­nem Zim­mer hän­gen?« auf mei­ner Lis­te.

Ex­akt ei­ne Stun­de nach dem Te­le­fonat mit mei­ner Mut­ter mel­det sich Mer­le.

»Ich ha­be ge­hört, dass du ver­reist. Kann ich in der Zeit in dei­ne Stu­den­ten­bu­de kom­men? Hier ist die Si­tu­a­ti­on ge­ra­de et­was an­ge­spannt. Ich muss mich mal ir­gend­wie aus der Schuss­li­nie brin­gen. Ein biss­chen räum­li­che Di­stanz zwi­schen Ma­ma, Pa­pa und mir wä­re da be­stimmt sehr hilf­reich.«

»Die Si­tu­a­ti­on zwi­schen Ma­ma, Pa­pa und dir ist seit Jah­ren an­ge­spannt. Da hel­fen dir zwei Wo­chen Köln nicht wei­ter«, er­klä­re ich mei­ner gro­ßen Schwes­ter.

»Im­mer­hin bist du nicht ganz un­schul­dig an der Stim­mung. Seit­dem du weg bist, stür­zen die sich mit ihren gan­zen ver­spä­te­ten Er­zie­hungs­ver­su­chen auf mich. Das ist nicht aus­zu­hal­ten.«

»Du tust so, als hät­te ich dich mit ei­nem Ru­del hung­ri­ger Wöl­fe in Si­bi­ri­en zu­rück­ge­las­sen. Klei­ner Tipp: Du kannst auch aus­zie­hen. Du über­legst dir ein­fach end­lich, was du wirk­lich stu­die­ren willst, mie­test dir auch ein hüb­sches klei­nes Stu­den­ten­zim­mer und schon ha­ben sich 80 Pro­zent dei­ner Pro­ble­me er­le­digt.«

»Fängst du jetzt auch an? Ich will nicht stu­die­ren. Das ha­be ich ver­sucht. Das ist nichts für mich. Im Herbst ma­chen wir ei­ne klei­ne Tour. Und wenn wir erst­mal die ers­te CD auf dem Markt ha­ben, wer­den Ma­ma und Pa­pa sich auch ent­span­nen. Bis da­hin muss ich durch­hal­ten.«

Aus dem Hin­ter­grund hö­re ich mei­ne Mut­ter mit ei­nem wü­ten­den »Mer­le, warst du das?«.

»Was hast du ge­macht?«, fra­ge ich neu­gie­rig.

»Ich ha­be un­se­re Müll­ton­nen an­ge­malt. Die­ses Grau hat mich ganz me­lan­cho­lisch ge­macht. Ich hat­te nur noch ganz düs­te­re Ge­dan­ken, wenn ich die ge­se­hen ha­be. Of­fen­bar ge­fällt es Ma­ma nicht«, stöhnt sie.

»Dann noch ei­nen schö­nen Abend«, wün­sche ich ihr.

Lisa kommt mit ei­nem di­cken Grin­sen und ei­nem Rei­se­ka­ta­log ins Ca­fé. »Sei­te 17«, sagt sie nur. Ich schla­ge die Sei­te auf und le­se, wie ent­span­nend Ur­laub auf Kor­fu sein kann. Se­he Strand, Pool, glü­ck­li­che und braun­ge­brann­te Men­schen mit bun­ten Drinks in der Hand. Ich le­se, dass man bei un­ter­ge­hen­der Son­ne Ae­ro­bic am Strand ma­chen kann oder mit den Moun­tain­bi­kes die Ge­gend er­kun­den. Ich le­se von Märk­ten, klei­nen Or­ten, hei­mi­schen De­li­ka­tes­sen. Das woll­te ich.

»Klar, ge­gen den Schwarz­wald kann Kor­fu na­tür­lich nicht an­stin­ken. Aber ir­gend­wo muss ich mich ja auch er­ho­len. Hat ja nicht je­der das Glück, ei­nen Lover mit An­we­sen im sieb­ten Him­mel zu ha­ben«, er­klärt sie mir la­chend.

»Hast du jetzt echt ge­bucht?«, stau­ne ich.

»Soll ich im ver­wais­ten Köln blei­ben? Ha­be echt ein Schnäpp­chen ge­fun­den. Klei­nes Ho­tel in Strand­nä­he mit Pi­la­tes und Zum­ba im Sand.«

»Kön­nen wir bit­te das The­ma wech­seln«, stöh­ne ich nur und schlie­ße ihren Ka­ta­log.

Und an­de­re The­men ha­ben Li­sa und ich ei­gent­lich stän­dig.

 

> War­um gibt es plötz­lich fast nur noch Lang­arms­hirts mit Drei­vier­tel-Arm?

> War­um trägt man öf­fent­lich Leg­gings?

> Steht die Grö­ße ei­nes Tat­toos im um­ge­kehr­ten Ver­hält­nis zur In­tel­li­genz ei­nes Man­nes?

> Wie wird man wohl In­flu­encer?

> Wür­den Kat­zen Men­schen­vi­de­os gu­cken?

 

Auf dem Weg in mein Wohn­heim fra­ge ich mich, ob es wohl ir­gend­ei­ne Mög­lich­keit gibt, die grü­nen Berg­wie­sen Süd­deutsch­lands ge­gen Kor­fus lan­ge Sand­strän­de ein­zu­tau­schen. Wenn ich Ar­ne jetzt ab­sa­ge, sieht das doch to­tal ober­fläch­lich aus. Als woll­te ich nur schnel­len Spaß und wür­de so­fort knei­fen, wenn ich mal ei­nen Hauch an Ver­ant­wor­tung über­neh­men soll. Ganz hin­ten links in mei­nem Kopf weiß ich, dass das auch stimmt. Nicht das mit dem schnel­len Spaß, aber das mit der Ver­ant­wor­tung. Ich füh­le mich oft ge­nug schon mit der Ver­ant­wor­tung für mein ei­ge­nes Le­ben über­for­dert. Aber im­mer­hin be­mü­he ich mich, dass das nie­mand merkt. An­stren­gend ge­nug. Ich fand es gar nicht so schlecht in der Schu­le. Da hat­te ich ei­nen fes­ten Stun­den­plan und be­kam mit­tags ei­ne war­me Mahl­zeit. Jetzt muss ich mir mei­nen Stun­den­plan sel­ber zu­sam­men­puz­zeln und ent­schei­den, ob ich noch Fleisch es­se. Ob ich mein Ge­mü­se in Plas­tik ab­wie­ge. Ob ich noch Kla­mot­ten tra­ge, die in Bang­la­desch ge­fer­tigt wur­den. Wie oft ich bei ei­ner Vor­le­sung, die mon­tags um 8 Uhr be­ginnt, wohl feh­len darf. Ob ich zum Lach-Yo­ga ge­he oder zur Acht­sam­keits-Me­di­ta­ti­on oder doch ins Fit­ness-Stu­dio. Ich hät­te echt ger­ne ei­ne Be­die­nungs­an­lei­tung für mein Le­ben. Mein Va­ter hat ein Dis­play in sei­nem Au­to, da er­scheint manch­mal die Auf­for­de­rung ‹Pau­se ein­le­gen›. So et­was in der Art.

Ich bin am Abend schon fast ein­ge­schla­fen, als mir noch ei­ne ganz drin­gen­de Fra­ge für mei­ne Lis­te ein­fällt: Auch wenn Oma ih­re Ta­ge nur sit­zend oder lie­gend in ei­ner Art Wach­ko­ma ver­bringt, kann sie doch wohl noch al­lei­ne auf Toi­let­te ge­hen, oder?

Oder?

 

Ar­ne lacht laut auf, als ich ihn am Mor­gen um sechs Uhr an­ru­fe. Er ver­si­chert mir, dass Oma Mar­tha ei­gen­stän­dig aufs WC ge­he und sich auch an­sons­ten re­gel­mä­ßig um ih­re Kör­per­hy­gi­e­ne küm­me­re. Ich sa­ge nicht, dass ein­mal mo­nat­lich feucht un­term Arm her­wi­schen auch ei­ne ge­wis­se Re­gel­mä­ßig­keit ha­be. Auch auf die Fra­ge nach mei­ner Schlaf­stät­te be­kom­me ich ei­ne be­ru­hi­gen­de Ant­wort. Er ha­be schon mit 16 ein XXL-Bett be­kom­men, über dem kei­ne Star­schnit­te von ir­gend­wel­chen Fuß­bal­lern hin­gen. Ich fra­ge nicht, war­um er kurz nach der Pu­ber­tät schon ei­ne Spiel­wie­se ge­braucht ha­be. Es ist ein­fach nie gut, wenn man zu viel weiß. Bei der nächs­ten Fra­ge mei­ner Lis­te kommt Ar­ne ins Sto­cken. Da­bei ha­be ich nur ge­fragt, wie der Ort denn ge­nau hei­ße, in dem ich mei­nen Som­mer­ur­laub ver­brin­ge. Er hus­tet et­was, das nach ‹Sexau› klingt.

»Wie hieß der Ort? Ich ha­be ori­gi­nal Sexau ver­stan­den«, la­che ich laut.

»So heißt der Ort auch«, sagt er ganz ru­hig.

Ich ni­cke nur und fra­ge mich, wie lan­ge ich die­se In­for­ma­ti­on wohl vor Li­sa ge­heim hal­ten kann.

 

Ich ha­be im­mer noch ihren un­gläu­bi­gen Ge­sichts­aus­druck vor Au­gen, als ich ihr sei­nerzeit mit­ge­teilt ha­be, dass ich mit Ar­ne zu­sam­men sei. Sie hat mich an­ge­se­hen, als hät­te ich ge­stan­den, kurz vor ei­ner Ge­schlechts­um­wand­lung zu ste­hen. Ich hat­te ver­sucht, es bei­läu­fig ein­flie­ßen zu las­sen. Blö­der­wei­se mit­ten in ei­ner Bi­blio­theks-Füh­rung. Sie hat­te mich ge­fragt, ob ich abends mit ins Ki­no kom­me. Ich hat­te ge­flüs­tert: »Kann lei­der nicht. Bin mit Ar­ne ver­ab­re­det. Wir sind üb­ri­gens zu­sam­men.«

Sie hat­te »MIT AR­NE?« in ei­ner Laut­stär­ke ge­brüllt, die ich nur von Punk-Kon­zer­ten ken­ne. Es war der Hor­ror. Ich mag es schon nicht, wenn mir beim Ge­schen­ke­auspa­cken Men­schen zu­gu­cken. Das ist mir zu viel Mit­tel­punkt. Den zwei­ten Teil der Füh­rung ha­be ich aus­ge­las­sen.

Da­bei konn­te ich Li­sa ver­ste­hen. Ei­gent­lich bin ich sel­ber im­mer noch ein biss­chen un­gläu­big. Ich ver­ste­he nicht wirk­lich, was Ar­ne an mir fin­det. Ich will ihn auch nicht fra­gen. Hin­ter­her fällt ihm auf, dass er das auch nicht weiß. Ir­gend­wann wird er von al­lei­ne her­aus­fin­den, dass ich für ihn zu durch­schnitt­lich bin. Bis da­hin war­te ich ein­fach und ma­che mir ei­ne gu­te Zeit. Ir­gend­wo ha­be ich mal ge­le­sen, dass Men­schen sich im­mer ei­nen Part­ner mit glei­chem At­trak­ti­vi­täts­le­vel aus­su­chen. Ar­ne hat das wohl nicht ge­le­sen. Ich bin jetzt nicht häss­lich wie die Nacht. Aber Ar­ne sieht schon ein biss­chen zu gut für mich aus. Er stu­diert nicht nur Sport. Er ist der Sport­ler schlecht­hin, spielt Bas­ket­ball, liebt Ki­te-Sur­fen, Ski fah­ren und Squash. Und so sieht er auch aus. Ich be­we­ge mich auch ganz ger­ne. Aber nicht so schnell. Ich bin wohl eher der Typ ‹au­to­ge­nes Trai­ning›. Und Denk­sport fin­de ich gut. Und Tan­zen. Da kann es nicht schnell und wild ge­nug sein. Wenn Li­sa und ich in die Dis­co oder in den Club ge­hen, stür­men wir so­fort die Tanz­flä­che und sind nach zehn Mi­nu­ten völ­lig ver­schwitzt. Ich ver­ste­he nicht, wie man in ei­ne Dis­co ge­hen und den gan­zen Abend auf ei­nem Ho­cker kle­ben kann. Wie lang­wei­lig. Li­sa ist da­bei ab­so­lut im Vor­teil. Sie kann mit ihren lan­gen blon­den Haa­ren her­um­wir­beln. Ja, ich ha­be da­für Lo­cken. Aber kei­ne, die fluf­fig fal­len. Eher so Lo­cken, die in die Hö­he wach­sen. Wenn ich nicht recht­zei­tig zum Fri­seur ge­he, se­he ich aus wie Struw­wel­pe­tra. Da­für kann ich die ganz gut mit Tü­chern bän­di­gen. Ich fin­de, das hat ein biss­chen was wil­des und un­ge­zähm­tes. Das ge­fällt mir.

Ar­ne und ich ha­ben uns auf ei­ner Par­ty ken­nen ge­lernt. Ich lie­be Par­tys. Ich bin im­mer die, die nachts um drei in der Kü­che steht und ein­fach nicht nach Hau­se will. Ich lie­be auch Nu­del­sa­lat mit Ma­yon­nai­se und tan­ze so­gar zu 80er Jah­re Deutsch­rock. Und ich lie­be den Mor­gen da­nach. Ich ha­be mit Li­sa beim Früh­stück manch­mal schon län­ger über die Par­ty ge­quatscht, als die im Ori­gi­nal ge­dau­ert hat. Der Mor­gen nach der Ar­ne-Ken­nen­lern-Par­ty war et­was an­ders. Ge­gen halb drei in der Nacht stell­te sich ge­nau in der Par­ty­kü­che her­aus, dass er of­fen­bar kei­ne Schlamm­bow­le ver­trägt. Kurz: Er war stern­ha­gel­voll. Weil die Par­ty bei mir um die Ecke war und al­le Schlaf­plät­ze in der WG schon ver­ge­ben wa­ren, ha­be ich ihn da­mals un­ter­ge­hakt und zu mir nach Hau­se di­ri­giert. Das mag auf den ers­ten Blick nach Ab­schlep­pen aus­ge­se­hen ha­ben, war aber wirk­lich nur ein Akt der Nächs­ten­lie­be. Im Ernst: Ar­ne war ein­fach ei­ne Num­mer zu groß für mich. Im wahrs­ten Sin­ne. Ich war nass ge­schwitzt, als ich ihn end­lich in mei­nem klei­nen Ap­par­te­ment hat­te. Vor der Couch muss­te ich ihm nur ei­nen kur­z­en Stup­ser ver­set­zen und schon lag er schnar­chend danie­der. Was Ar­ne bis heu­te nicht weiß: Ich ha­be in der Nacht Fo­tos von ihm ge­macht. Ha­be so­gar vor­her sei­nen of­fe­nen Mund ge­schlos­sen und den Sab­ber ab­ge­wischt. Ich dach­te, wenn man schon mal so ein Pracht­ex­em­plar an Land und aufs So­fa ge­zo­gen hat, kann man das auch für die Nach­welt fest­hal­ten.

Am nächs­ten Mor­gen, ei­gent­lich ge­gen Mit­tag, ist Ar­ne auf­ge­stan­den und ein­fach ge­blie­ben. Ich ha­be Kaf­fee ge­kocht, dann Früh­stück ge­macht. Ir­gend­wann spä­ter auch Mit­tag­es­sen (Spa­ghet­ti mit Thun­fischsau­ce). Am Abend ha­ben wir ne­ben­ein­an­der auf dem So­fa ge­ses­sen und uns quer durch al­le Sen­der ge­zappt. Ich ha­be mich die gan­ze Zeit ge­fragt, wann er wohl end­lich wie­der in sein ei­ge­nes Le­ben ge­hen wol­le. Woll­te er aber nicht. Am nächs­ten Tag hat er mich zum Ei­ses­sen ein­ge­la­den, und ich ha­be mich wie 14 ge­fühlt. Der ers­te Kuss schmeck­te nach Strac­cia­tel­la. Ich ha­be mitt­ler­wei­le ei­ne The­se, war­um Ar­ne mit mir zu­sam­men ist:

 

> Ich ha­be ihn ge­mocht, als er völ­lig zer­knautscht und mit Mund­ge­ruch an mei­nem Kü­chen­tisch saß. Er hat­te den Ab­druck ei­nes be­stick­ten Kis­sens auf der Wan­ge, ei­ne Fri­sur, die aus­sah, als hät­ten Vö­gel dar­in ge­brü­tet, und ro­te Au­gen. Ich fand ihn trotz­dem süß.

> Ich klam­me­re nicht. Ich brau­che viel Frei­heit und das ge­fällt ihm. Er hat­te un­zäh­li­ge Freun­din­nen, die plötz­lich auch ei­nen Se­gel- und/oder Surf­schein ge­macht ha­ben. Die bei Bas­ket­ball­spie­len brül­lend am Spiel­feld­rand ge­ses­sen ha­ben. Freun­din­nen, die ihn über­wach­ten und ver­folg­ten wie ei­nen Se­xu­al­tä­ter auf Frei­gang.

Ich star­re auf mei­ne neu­en Schu­he. Be­son­ders zu dem Homer-Simp­son-Schlaf­an­zug se­hen die brau­nen Mons­ter al­bern aus. Die Ver­käu­fe­rin hat­te ge­sagt, ich müs­se sie auf je­den Fall ein­lau­fen, ehe ich da­mit auf den Berg gin­ge. Ich sit­ze sie jetzt erst­mal ein. Viel­leicht hilft das ja auch schon. Dass die­se Schu­he ei­nen schlan­ken Fuß ma­chen, kann man auf je­den Fall nicht be­haup­ten.