Maintod - Anja Mäderer - E-Book

Maintod E-Book

Anja Mäderer

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Beschreibung

Ein leichthändig erzählter Kriminalroman mit sympathisch-eigenwilligen Figuren. Würzburg im Liebesrausch: Die neue Dating-App »Main-Schatz« sorgt mit ungewöhnlichen und echt fränkischen Unternehmungsideen für einen Boom an Flirts und Verabredungen. Doch dann sterben gleich zwei Romeos auf dem Weg zum Rendezvous. Treibt eine Schwarze Witwe ihr Unwesen? Hauptkommissarin Nadja Gontscharowa und ihr Kollege Peter Steiner müssen die Presse von einer Hexenjagd abhalten – und ganz nebenbei einen perfiden Attentäter finden, der die Liebessehnsucht seiner Opfer ausnutzt, um seine tödlichen Anschläge zu verüben.

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Seitenzahl: 470

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Anja Mäderer wurde 1991 in Gunzenhausen geboren. Sie studierte Germanistik und Geschichte in Würzburg und veröffentlichte dabei ihren ersten Krimi. Sie schmiedet neue Mordpläne, während sie mit ihrem kleinen Sohn auf dem Friedhof spielt. Als Anja Stapor schreibt sie auch Thriller.

www.anja-maederer.de

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2023 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: stock.adobe.com/rudi1976

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Dr. Marion Heister

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-98707-115-7

Franken Krimi

Originalausgabe

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Dieser Roman wurde vermittelt durch die Verlagsagentur Lianne Kolf, München.

Die Andern sind das weite Meer.

Du aber bist der Hafen.

So glaube mir: kannst ruhig schlafen,

Ich steure immer wieder her.

Denn all die Stürme, die mich trafen,

Sie ließen meine Segel leer.

Die Andern sind das bunte Meer,

Du aber bist der Hafen.

Du bist der Leuchtturm. Letztes Ziel.

Kannst, Liebster, ruhig schlafen.

Die Andern … das ist Wellen-Spiel,

Du aber bist der Hafen.

Mascha Kaléko

Prolog

Die Sonne schien so hell, dass Emilio guten Gewissens seine Sonnenbrille aufsetzen konnte, ohne dass es nach Posing ausgesehen hätte. Er stand auf den jahrhundertealten Pflastersteinen der Alten Mainbrücke und stützte die Beine von Anastasia, die voller Enthusiasmus den heiligen Kilian bestieg. Gerade umwickelte sie dessen steinernen Hals mit einer silbrigen Weihnachtsgirlande und summte etwas vor sich hin, das verdächtig nach »All I want for Christmas« klang. Wahrscheinlich war ihr die Julihitze zu Kopf gestiegen.

Emilio zwang sich zu einem Lächeln. Dass er bei diesem Date nichts zu sehen bekam als Anastasias Hosenboden und sich womöglich noch einen Wirbel ausrenkte, wenn er weiter so nach oben starrte, war so nicht geplant gewesen. Emilio warf einen verstohlenen Blick auf seinen Rucksack. Er würde sie sich noch etwas austoben lassen und dann vorschlagen, das Beweisfoto zu schießen und sich ins Gemütliche zurückzuziehen. Zu viele Menschen hier, da konnte er weder seine Zitate effektvoll anbringen noch den italienischen Songtext, den er sich mit Google Translate mühevoll zusammengebaut hatte. Romantik konnte er. Nur mit Namen, da hatte er es nicht so. Vorhin hatte er sie aus Versehen Annalena genannt, das durfte ihm nicht noch einmal passieren.

»Anastasia«, wisperte er, »Anastasia, Anastasia.«

»Gib mir doch mal den Schlapphut!«, kommandierte ebendiese. Sie stand auf dem Sockel und hielt sich am Schwert des Brückenheiligen fest. Ihr rotes Haar leuchtete mit dem Gold der Klinge um die Wette.

Emilio angelte mit einer Hand nach dem Hut, um ihre Beine nicht loslassen zu müssen, und reichte ihn ihr nach oben. Sie summte fröhlich vor sich hin, und Emilio nutzte den Moment, um das Gesicht in den Wind zu drehen und sich den Schweiß auf der Stirn etwas kühlen zu lassen. Eigentlich musste er der Dating-App dankbar sein, dass sie Anastasia und ihn in dieser Hitze nicht zu einer Wanderung geschickt hatte. Dagegen war es beinahe harmlos, die Statue des heiligen Kilian kreativ zu dekorieren, vor allem, wenn sein Date freiwillig die ganze Arbeit machte. Außerdem musste er schon mal nicht den Bauch einziehen, solange sie da oben war und ihn nicht sehen konnte. Zufrieden ließ Emilio den Blick schweifen. Er glaubte, das Aroma des Frankenweins in den unzähligen Gläsern der Touristen und Einheimischen, die plaudernd herumstanden oder Fotos schossen, riechen zu können. Vielleicht sollte er Anastasia nach bestandener Challenge noch auf einen Schoppen einladen.

Da bemerkte er etwas Seltsames. Eine wandelnde Weinflasche stand auf der anderen Seite der Mainbrücke, die grün verhüllten Arme lässig auf die Balustrade gestützt. Emilio hatte das Gefühl, dass sie zu ihm herübersah. Irritiert musterte er das ungewöhnliche Ganzkörperkostüm, das den Namen einer bekannten Würzburger Weinkelterei trug. Der aufgeblasene Flaschenrumpf war mit Luft gefüllt, ebenso wie der Flaschenhals, der steil nach oben ragte und mit einem Plastikkorken verschlossen war. Gesicht und Körper des Trägers waren komplett hinter der Verkleidung verborgen, der musste auch ordentlich schwitzen heute.

»Kili, jetzt bist du der attraktivste Kerl hier auf der Brücke!«, rief Anastasia plötzlich und klatschte in die Hände.

»Abgesehen von mir, meinst du wohl«, murmelte Emilio.

Mit großen Augen sah sie zu ihm herunter und brach dann in Lachen aus. »Du bist so witzig, Emilio!«

Na also, das lief doch. Zufrieden reichte Emilio ihr noch eine Aktentasche hinauf, die sie Kilian um den Arm wickeln konnte, und ein altes Hemd, das er sich als Schärpe vorstellte.

Jetzt trat eine Touristengruppe auf die wandelnde Flasche zu und forderte sie auf, ihr Selfie zu komplementieren. Die Flasche stellte sich in Position, legte die Ärmchen um zwei besonders hübsche Touristinnen und ließ sich von allen Seiten ablichten.

Emilio schüttelte grinsend den Kopf. Der Typ genoss seinen Job auch. Als hätte er Emilios Gedanken gelesen, ließ die Flasche die Touristen ziehen, watschelte zu Emilio herüber und knuffte ihn in die Seite.

»Cooles Kostüm«, sagte Emilio und kam sich sofort blöd vor.

Keine Antwort.

Er pikste mit dem Zeigefinger in die nachgiebige Plastikhülle.

Keine Reaktion.

Er glaubte, den Atem des Typs da drinnen hören zu können. Ein tiefes, bedrohliches Geräusch mitten im Lärm der Passanten um sie herum. Er beobachtete ihn, ganz sicher, doch Emilio fand nicht einmal einen noch so kleinen Sehschlitz, durch den er zurückstarren konnte. Er wollte von ihm abrücken, doch da rief Anastasia von oben: »Ich bin fast fertig! Oh, wen haben wir denn da?«

Die Flasche hob den Arm und winkte Anastasia zu, als sie ihm ein Luftküsschen zuwarf. Emilio blickte ebenfalls zu ihr hoch. Da spürte er plötzlich einen stechenden Schmerz am Bauch. Er schrie auf und sackte zusammen.

»Was ist los?« Anastasia klammerte sich am steinernen Gewand des heiligen Kilian fest und ließ sich vom Sockel heruntergleiten. Dann sprang sie auf Emilio zu. Dieser blickte auf Knien der wandelnden Flasche hinterher, die sich langsam und mit stolz erhobenem Korken zwischen den Menschen hindurchschob. Für einen Moment verdeckte der Flaschenhals eine der Brückenstatuen, sodass nur deren hochgerecktes Attribut sichtbar war und im Sonnenlicht aufblitzte. Ein Kreuz, ein schlichtes, unverkennbares, unheilverkündendes Kreuz.

Emilio spürte den Schweiß auf seiner Stirn perlen. Er rieb sich den Bauch. »Da muss mich was gestochen haben. Muss mindestens eine Hornisse gewesen sein, so wie das brennt.«

Anastasia lachte erleichtert auf. »Ach so. Dann ist es ja nicht so schlimm, oder?«

Emilio biss die Zähne zusammen. Feinfühlig wie ein Ackergaul, diese Frau. Das würde definitiv ihr letztes Date bleiben.

Teil I

1

Nadja / Samstag, 01.07., Hofgarten

»Was machen Sie da eigentlich die ganze Zeit?« Nadja warf einen schrägen Seitenblick auf Lars Nauke, der so sehr in sein Handy vertieft war, dass er nicht bemerkte, wie sein Heidelbeereis vor sich hin tropfte und hübsche bunte Flecken auf seinem hellgrauen Kurzarmhemd hinterließ.

»Was wohl? Er liest bestimmt Fachliteratur«, vermutete Peter, während er sein eigenes Vanilleeis genießerisch verzehrte. »›Schaum vor dem Mund – Tollwut oder doch wieder eine Wasserleiche? Hunderteins todsichere Wege, als Rechtsmediziner des Jahres ausgezeichnet zu werden‹ oder ›Warum verweste Schneewittchen eigentlich nicht in ihrem Glassarg?‹.«

Lars Nauke blickte verwirrt auf. »Verzeihung, Verehrteste … das ist absolut unhöflich Ihnen beiden gegenüber, ich weiß. Leider dringende Angelegenheit, es geht sozusagen um Leben und Tod, Moment noch.« Er verstummte wieder und tippte auf dem Handy weiter.

Nadja lehnte sich auf der Bank im Hofgarten der Würzburger Residenz zurück und schloss die Augen, um die Sonnenstrahlen aufzusaugen. Würzburg Anfang Juli war wie immer ein Traum an Sonne und Wärme. Die Weintrauben würden nur so platzen vor Fülle diesen Herbst. Sie sollte ihre Kollegen zu einer Weinwanderung überreden. Immerhin war die heutige spontane Zusammenkunft an einem Samstagnachmittag auch sehr nett. Nadja hatte Wettschulden eingelöst und sich, Peter und Lars Nauke in der Innenstadt je ein großes Eis mit extra Streuseln gekauft, das sie jetzt im Residenzgarten verzehrten. Wobei eigentlich nur Peter schlemmte. Nadja war längst fertig, und von Lars Nauke verrieten die eifrigen Tippgeräusche, dass er noch immer mit seinem Handy beschäftigt war. Das passte so gar nicht zu ihm, da er sonst immer auf gute Manieren Wert legte. Nadja öffnete die Augen und musterte ihn nachdenklich.

Peter beugte sich sogar neugierig hinüber und schirmte seine Augen gegen die Sonne ab. »Ha!«, rief er gleich darauf. »MainSchatz, das ist doch diese neue Dating-App! Von wegen Leben und Tod! Herz und Hoden wohl eher!«

Endlich blickte der Rechtsmediziner auf. Nadja hatte fast das Gefühl, dass er etwas errötete. Es war jedoch schwer zu sagen, da sein Kopf in der Sonne grundsätzlich immer rot anlief. »Ihre Wortwahl ist absolut skandalös! Das hier ist Verabreden mit Niveau, da findet man Gleichgesinnte, man unternimmt etwas zusammen, lernt die Heimat auf eine ganz neue Weise kennen …«

Nadja lachte. »Mit Heimat meinen Sie Würzburg? Nicht etwa Ihre sturmumtoste, schafsbesetzte nordische Hallig?«

Lars Nauke warf ihr einen bösen Blick zu. »Ich bin hier durchaus heimisch geworden über die Jahre. Assimilation nennt man das, Verehrteste!«

»Und trotzdem sind und bleiben Sie mein liebstes Nordlicht.« Nadja legte ihm versöhnlich eine Hand auf die Schulter.

Lars Nauke strahlte sie an und tätschelte ihre Hand. Dann wandte er sich Peter zu. »Sehen Sie das? Die Damen mögen mich einfach. Sie haben hier keine Chance mehr, mein Bester!«

Peter schnappte sich das Handy. »Dann muss ich mich wohl stattdessen mal auf Ihrer Seite tummeln. Zeigen Sie doch mal her. Friesenknabe, das sind wohl Sie?« Er begann, laut vorzulesen.

»›Suche Partnerin mit Herz und Hirn. Als Freund niveauvoller Vergnügungen bin ich gleichzeitig auch dem Abenteuer nicht abgeneigt. Obwohl mein Humor manchmal über Leichen geht, bin ich auch der Richtige für Abende bei sanfter Klaviermusik und einem guten Roastbeef. Stolz bin ich auf meine Fähigkeit zur stilvollen Konversation. Durch meine Profession, die Leidenschaft und Berufung gleichermaßen ist, kann ich in Ihr Innerstes sehen wie niemand sonst!‹«

Nadja unterdrückte ein Lachen.

Peter sah vom Handy auf. »Professor, ich bin enttäuscht. Von allen Wortspielen, die Ihnen zum Thema Rechtsmedizin und Liebe zur Verfügung standen, haben Sie das wichtigste vergessen.«

»So, welches denn?«

»Lernen Sie mich kennen, damit ich ein Auge auf Sie werfen kann. Oder eine Niere.«

»Stopp, Hilfe!« Nadja hielt sich die Ohren zu. »Jetzt habe ich auf ewig dieses furchtbare Bild im Kopf!«

»Sie nehmen die Sache nicht ernst genug.« Um einen Rest Würde bemüht, entwand Lars Nauke Peter das Handy. »Wissen Sie eigentlich, wie viel ich arbeite? Da bleibt wenig Zeit, sich in Discos herumzutreiben oder Konzerte zu besuchen, um jemanden kennenzulernen. Und im Institut laufe ich Frau Aphrodite auch nicht so einfach über den Weg. Studentinnen sind tabu. Was bleibt mir denn noch, als online mein Glück zu versuchen?«

Nadja tauschte einen Blick mit Peter. So offen hatte Lars Nauke noch nie über sein Privatleben gesprochen.

»Also ich finde das mutig«, sagte sie. »Wirklich. Und ich wünsche Ihnen alles Glück dieser Erde!«

»Ich auch«, stimmte Peter ein. »Und vor allem haben Sie meine Hochachtung, dass Sie diese neue App ausprobieren. Das ist doch gar nicht so ohne mit diesen Challenges, oder?«

»Challenges?« Irritiert blickte Nadja zwischen ihren Begleitern hin und her.

Lars Nauke seufzte. »Wenn man eine Weile hin- und hergeschrieben hat und sich treffen möchte, kann man sich auf normale Art in einem Café oder zu einem Spaziergang verabreden, man kann aber auch die App einen Ort wählen lassen, der mit einer Herausforderung verbunden ist. Dann bekommt man eine Aufgabe, die man gemeinsam erledigen muss, und zum Schluss kann man von der bestandenen Challenge ein Foto posten.«

Er entsperrte sein Handy wieder und hielt es vor Nadja, um ihr seine Fotogalerie zu zeigen. »Hier sehen Sie mich mit meiner siegreichen Badeente, nachdem ich mit einem Date ein Enten-Wettschwimmen auf dem Main veranstaltet habe. War gar nicht so einfach, sie wieder einzufangen. Also die Ente, nicht die Frau. Und hier bin ich, während ich versuche, dem Horn des Nachtwächters einen Ton zu entlocken, das war eine spannende nächtliche Führung, aber ich habe zwanzig Minuten auf den guten Mann einreden und ihm ein Scheinchen in die Hand drücken müssen, damit ich mal in sein Horn blasen durfte.«

»Das ist ja toll!« Peter klang sehnsüchtig. »Ich hab schon viel davon gehört und würde das liebend gerne ausprobieren, aber Rebekka wäre bestimmt nicht so angetan, wenn ich mir eine Dating-App installieren würde.«

»Nein, vermutlich wäre sie das nicht. Aber das Konzept klingt tatsächlich … interessant.« Nadja würde zwar niemals freiwillig ein Selfie von sich auf Social Media hochladen, aber die Verlockung des Abenteuers konnte sie nachvollziehen. Wahrscheinlich war es angenehm, beim ersten Date gleich eine gemeinsame Herausforderung und damit ein Gesprächsthema zu haben. So kam die Gefahr gar nicht auf, dass man sich über zwei Pastateller hinweg anschwieg oder gemeinsam einen Fragenkatalog durchackerte.

»Leicht ist es nicht.« Lars Nauke seufzte. »Einen Mediziner finden sie ja alle attraktiv, aber sobald ich meine richtige Profession erwähne, spüre ich Vorbehalte aufseiten der Damen.«

»Vielleicht sollten Sie nicht zu sehr ins Detail gehen«, schlug Nadja vor.

»Ich will mich aber auch nicht verstellen. Außerdem bringt mein Beruf so viel Poetisches mit sich. Dass das Herz mein Lieblingsorgan ist, zum Beispiel, und dass dieser sagenumwobene Muskel so eine unfassbare Schönheit birgt, wenn man ihn vor sich liegen sieht.«

»Das habe ich tatsächlich noch gar nicht so wahrgenommen«, entgegnete Nadja vorsichtig.

»Sehen Sie, und so geht es den meisten.« Kummervoll schleckte Lars Nauke Heidelbeersoße von seiner Waffel.

Peter stand auf und warf seine Serviette in den Mülleimer. »Gehen wir noch ein Stück? Und können Sie mir die bisherigen Date-Challenges aufschreiben, Professor? Ich könnte sie dann ja heimlich ausprobieren, auch ohne offizielle Aufgabenstellung.«

Zu dritt schlenderten sie über den riesigen Parkplatz vor der Residenz, der möglicherweise irgendwann einer Grünanlage weichen würde. Nadja ging in der Mitte und genoss die Sonne im Gesicht und das entspannte Geplauder ihrer Begleiter. Es war eine gute Idee gewesen, hierherzukommen. Als ihr ehemaliger Chef, Karlheinz Bär, sich aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand verabschiedet hatte, waren es Lars Nauke und Peter gewesen, die gewettet hatten, dass Nadja seine Nachfolge antreten würde. Nadja hatte eher damit gerechnet, dass die Polizeidirektorin Bully jemanden von außerhalb ins Team holen würde, doch das war zu ihrer Überraschung nicht geschehen. Nun war sie mit Ende dreißig eine der jüngsten Hauptkommissarinnen Bayerns.

Sie überquerten die Balthasar-Neumann-Promenade und die Theaterstraße. Dann kamen sie am Mainfranken Theater vorbei. Nadjas Blick wanderte über die moderne, frisch renovierte Fassade und die Plakate, die mit zukünftigen Veranstaltungen warben. Wieder einmal dachte sie mit Bedauern daran, wie wohl das alte Stadttheater vor dem Krieg ausgesehen hatte, bevor es in der Würzburger Bombennacht in Flammen aufging.

Ein ungewöhnliches Wort sprang Nadjas Unterbewusstsein an, und sie brauchte einen Moment, um zu dem Plakat zurückzufinden, das dort aushing. »Die Wunder des menschlichen Geistes, präsentiert durch eine international erfolgreiche Gedächtniskünstlerin«. Anscheinend sollte eine Live-Show unter Beteiligung des Publikums stattfinden. Dazu versprach das Plakat eine Sammlung von unterschiedlichsten literarischen Texten passend zum Thema des Abends, die von Schauspielern vorgetragen wurden. Unter der fett gedruckten Überschrift war das Bild eines blau erglühenden Gehirns abgedruckt, in dessen Windungen an unterschiedlichen Stellen Lichter glommen. Nadja ließ die Darstellung auf sich wirken.

Das menschliche Gehirn, ähnlich unerforscht wie die Geheimnisse der Tiefsee. Ein blinder Fleck auf der Karte der Wissenschaft oder zumindest ein Bereich, der noch echte Überraschungen bereithielt. Aus dem Meer tauchten bisweilen unentdeckte Kreaturen auf und aus den Untiefen des Gehirns Erinnerungen oder Fähigkeiten, die man nicht für möglich gehalten hätte. Es gab Berichte von Menschen, die über Nacht eine neue Sprache lernten, nach einem Unfall eine völlig neue Identität annahmen oder Träume von Ereignissen hatten, die dann tatsächlich eintraten. Ein Großonkel von Nadja hatte nach einer Kopfverletzung im Krieg über Monate hinweg im Schlaf Kirchenlieder und seitenweise Bibelzitate aufgesagt. Seine Fähigkeit sprach sich in der Gegend herum, und seine Familie wollte schon Geld verlangen von all den unangemeldeten Besuchern, die plötzlich neugierig vor der Tür standen. Sogar über eine Seligsprechung nach seinem Tod wurde gemunkelt. Doch dann stolperte Gregori eines Nachts betrunken gegen eine Kuh und war wieder der Alte – zum Bedauern seiner Frau und seiner Kinder.

Ob die Gedächtniskünstlerin wohl ähnliche Kunststücke beherrschte?

Nadja musste grinsen, als sie daran dachte, dass diese Veranstaltung eine spannende Date-Challenge ergeben könnte. Besucht den Auftritt einer Gedächtniskünstlerin im Mainfranken Theater und bringt sie dazu, euch gemeinsam mit auf die Bühne zu holen.

Das wäre doch auch etwas für Lars Nauke. Wenn die Gedächtniskünstlerin ihn bat, ihr möglichst viele Fachbegriffe aus seinem Berufsleben zu nennen, die sie dann memorieren konnte, und er würde mit Leichenflecken, lagebedingtem Ersticken und Adenosintriphosphat aufwarten. Das Publikum wäre begeistert!

»Warum grinsen Sie denn so, liebe Nadja?«

»Ach, nichts, gar nichts. Ich war nur so in Gedanken.« Sie riss den Blick von dem Plakat los und hakte sich bei Peter und Lars Nauke unter. »Habt ihr schon mal überlegt, was in eurem Gehirn so alles verborgen sein könnte?«

Lars Nauke zwinkerte ihr zu. »Wir könne gerne mal nachsehen, wenn Ihnen so viel daran liegt!«

Peter / Samstag, 01.07., Theaterstraße

Peter hatte noch immer den sahnigen Geschmack des Vanilleeises auf der Zunge. Er roch die Abgase eines vorbeiknatternden Rollers und den Anflug von Grillkohle von irgendeinem Balkon in der Nähe. Er spürte Nadjas Hand an seinem Arm. Sie gingen im Gleichschritt, stellte er fest, während Lars Nauke leise vor sich hin summte: »Put me up, put me down/Put my feet back on the ground/Put me up, take my heart and make me happy.«

Sommerabend in der Stadt.

Vielleicht konnte er Mariechen und Rebekka morgen ins Freibad entführen. Und zu einer Portion durchweichter Schwimmbadpommes mit Ketchup einladen. Er würde Mariechen mit der Sonnenmilch einen Smiley auf den Bauch malen, Rebekka ein Herzchen auf den Rücken und dabei insgeheim den Duft nach Creme und Chlor genießen. Die beiden würden im Wasser planschen, Peter ein Buch aus der Tasche ziehen und hinter den Seiten versteckt die Augen schließen. Dann wäre es ein wirklich perfekter Sonntag.

Der schrille Klang einer Sirene riss ihn aus seinen Träumen. Ein Streifenwagen brauste an ihnen vorbei und hielt etwa zweihundert Meter entfernt vor einer Pizzeria an. Unwillkürlich beschleunigte Peter seinen Schritt.

Nadja hielt ihn zurück. »Das geht uns nichts an.«

In diesem Moment begann ihr Handy zu klingeln. Stirnrunzelnd zog sie es aus dem Rucksack, war jedoch nicht schnell genug, als auch Peters Telefon zu dudeln begann: »Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wirklich schon so spät?«

»Mariechen hört das Lied so gerne«, sagte er entschuldigend und ging ran. »Ach … wirklich?« Er warf einen Blick auf den Straßennamen und die Hausnummer. »Wir beamen uns. Frau Gontscharowa brauchen Sie nicht mehr extra anzurufen.«

»Geht uns doch was an«, sagte er und schob das Handy zurück in die Hosentasche.

»Mich auch?« Lars Nauke stopfte den Rest seiner Waffel in den Mund und versuchte vergeblich, mit der winzigen Serviette die Flecken von seinem Hemd zu wischen.

»Ja. Wahrscheinlich schadet es nicht, wenn Sie mitkommen.« Peter sah den blinkenden Lichtern entgegen. Sommer in der Stadt.

Schweigend schloss Nadja zu ihm auf. Ihre Schritte waren aus dem Takt geraten. Als sie näher kamen, sahen sie, dass nicht nur ein Streifenwagen vor der Tür parkte, sondern schon Krankenwagen und Notarzt auf dem Bürgersteig standen. Die neu angekommenen Kollegen des Kriminaldauerdienstes versuchten offenbar, die Menschenmenge zu zerstreuen, die sich vor der Tür der Pizzeria drängte. Mehrere Fenster waren gekippt, und drinnen hörte man eine Frau schreien.

»Was ist denn mit ihm? Was hat er denn? Tun Sie doch was! Emiliooooo!«

Peter ging voran auf den Menschenauflauf zu, Nadja und Lars Nauke im Schlepptau. »Lassen Sie uns mal durch bitte?«

In der kleinen Pizzeria wehte noch der Duft nach frisch gebackenem Brot durch die Luft, ziellos und langsam verschwindend gegen den alarmierenden Geruch von ausgelöschten Kerzen und Menschen in Aufruhr. Die Hitze war hier noch deutlicher zu spüren als draußen. Ventilatoren kämpften gegen die Schwüle an, walzten sie um und trieben sie von einer Ecke des Raumes in die andere.

Peter spürte das Bedürfnis, noch einmal umzukehren, einen Schritt nach draußen zu machen und tief Luft zu holen. Aber da waren die Schreie nach einem Emilio. Eine junge Rothaarige mit eng anliegender Hose und einem glitzernden Top versuchte immer wieder, durch einen schmalen hölzernen Torbogen zu gelangen, der von zwei Polizisten versperrt wurde und wohl ins Hinterzimmer führte. Der Alptraum einer Spurenlage. Eigentlich sollte hier längst alles abgesperrt sein. Ganz automatisch wollte Peter die Kollegen unterstützen. Doch Lars Nauke war schneller. Er versuchte nicht, die Frau abzuwehren, sondern streckte ihr seine Hand entgegen.

»Guten Abend. Ich bin Professor Lars Nauke.«

Es dauerte sicher eine Minute, in der ihn ein wütendes, verschwitztes, in Auflösung begriffenes Gesicht anstarrte. Dann aber verstummte die Frau. Lars Nauke stand gutmütig abwartend da und zog die Hand nicht zurück, hielt diese lange Minute aus, bis die Frau sie doch noch ergriff.

»Anastasia Scheuerlein.« Ihre Stimme war noch immer zu laut, so als hätte sie Schwierigkeiten, nach dem Schreien eine angemessene Lautstärke zu wählen.

»Angenehm.« Lars Nauke nahm ihre Hände in seine. Peter bemerkte, dass er seine Daumen auf den Innenseiten ihrer Handgelenke ruhen ließ und sie unverwandt ansah.

»Niemand sagt mir, was mit Emilio passiert ist. Warum sagt denn keiner was?« Sie schluchzte auf.

»Es wird sich alles klären. Eins nach dem anderen.« Lars Nauke bugsierte sie sanft ein wenig zur Seite und gab Peter mit einer Kopfbewegung zu verstehen, die Chance zu ergreifen. Peter nickte ihm dankbar zu und schlängelte sich an Nadjas Seite zwischen den uniformierten Kollegen hindurch.

Auf den ersten Blick sah Peter, warum die junge Frau allen Grund hatte, so verzweifelt nach Emilio zu schreien.

Im Hinterzimmer lag ein Toter. Sein kurzärmeliges ultramarinfarbenes Hemd war etwas zu kurz und über den Bauch hochgerutscht, sodass es einen von Speckröllchen umgebenen Nabel mit einer blauen Baumwollfluse darin enthüllte. Obwohl der Mann frisch rasiert schien, konnte Peter bereits einen dunklen Schatten auf den Wangen erahnen. Anscheinend hatte der Tote einen starken Bartwuchs gehabt.

Peter dachte an die Legende, dass bei manchen Menschen die Nägel und Haare nach dem Tod weiterwachsen. Als Kind hatte ihn diese Vorstellung gleichermaßen fasziniert wie gegruselt. Wie oft war er über den Friedhof geschlichen und hatte sich all die Toten vorgestellt, die unter seinen Füßen ruhten und deren weiße Bärte, blonde Locken oder dunkle Strähnen nach Jahrzehnten den ganzen wurmstichigen Sarg ausfüllten. Mittlerweile hatte er gelernt, dass bei einer Leiche nach und nach die Gesichtshaut schrumpft, weshalb irgendwann Barthaare zum Vorschein kommen. Ebenso wachsen nicht die Nägel, sondern die Haut an den Fingern zieht sich zurück und fällt in sich zusammen, was die Täuschung hervorruft.

Er betrachtete diesen Emilio, von dem er noch nichts wusste, außer dass sein schönes blaues Hemd fusselte und er es offenbar im Todeskampf aufgerissen hatte, im Ringen nach Luft, die sein Körper nicht mehr aufnehmen konnte. Ein Knopf hing an einem einzelnen Faden und berührte beinahe den Boden.

Eine Gestalt im weißen Ganzkörperoverall kniete neben ihm und schoss fortwährend Fotos. Das weiße Plastik konnte die lange Schlaksigkeit von Widukind Bruggner, dem Chef der Spurensicherung, nicht verbergen. Er benötigte Anzüge in Sondermaßen, da bei nahezu zwei Metern Körpergröße sonst immer ein Stück Widukind uneingepackt blieb.

Nadja legte ihm für einen kurzen Moment die Hand auf die Schulter. Er lächelte zu ihr hoch.

»Ihr wart schnell.« Er reichte ihnen Füßlinge und Handschuhe.

Nadja und Peter streiften sie über.

»Der sechste Sinn, der uns aus dem Hofgarten hierhergeführt hat. Wir waren Eis essen, Peter, Professor Nauke und ich.« Nadja seufzte. »Was ist mit ihm passiert?«

»Zuerst sah es nach Herz-Kreislauf-Versagen aus. Der Tote heißt laut Ausweis Emilio Colombo. Die Besitzerin der Pizzeria hat den Notruf gewählt, weil er kollabiert ist. Aber dann hat seine Begleitung etwas Seltsames erzählt, von einem Anschlag auf ihn auf der Alten Mainbrücke heute Nachmittag, davon hat der Tote wohl in den letzten Minuten ständig geredet. Irgendjemand scheint ihm mit einem unbekannten Werkzeug ins Bauchfett gestochen zu haben, durch das Hemd durch. Danach hatte er Schmerzen an der Stelle, und nach einiger Zeit kamen unterschiedlichste Symptome dazu: Übelkeit, Muskelkrämpfe, Kopfschmerzen, Herzrasen. Das hat sich wohl alles sehr schnell gesteigert. Als sie hier ankamen, hat er anfangs nur nach einer Ibu gefragt, kurz darauf wollte er sichtlich angeschlagen auf die Toilette und ist zusammengebrochen.«

Peter starrte den Toten an. Anscheinend hatte dieser in seinen letzten Stunden einiges mitgemacht. Der Tathergang klang jetzt schon furchtbar verworren. Er tauschte einen besorgten Blick mit Nadja.

»Komische Geschichte«, sagte nun auch Widukind. »Auch von der Spurenlage her problematisch. Hier ist er ja nur gestorben. Wir müssen außerdem den Tatort absuchen, und das wird wirklich eine Herausforderung. Wisst ihr, wie viele Touristen täglich über diese Brücke laufen?«

»Ist das denn wirklich passiert? Also dieser Überfall auf der Mainbrücke? Ist das schon klar?«, fragte seine Kollegin. »Oder haben die beiden das vielleicht erfunden, weil sie in Wahrheit Drogen konsumiert haben?«

Widukind wiegte den Kopf hin und her. »Es ist tatsächlich eine minimale Einstichwunde am Bauch sichtbar, wie von einer handelsüblichen Spritze. Natürlich sagt das noch nichts darüber aus, ob er sich das vielleicht auch selbst zugefügt haben könnte. Oder seine Begleiterin. Also hat der Notarzt gleich noch die Polizei informiert, nachdem er den Tod festgestellt hat, der KDD kam angerauscht, und die haben mich gleich mitgebracht. Zum Glück, so konnte ich wenigstens die Spuren rund um den Herrn hier vor Verunreinigung schützen. Draußen ist ja das absolute Chaos. Und dann haben die Kollegen als Nächstes euch angerufen.«

Nadja beugte sich dichter an den Toten heran und schien die leicht bläulich verfärbte Stelle auf der käsigen Haut neben dem Flusen-Bauchnabel zu mustern. »Wir brauchen Lars Nauke.«

»Höre ich da meinen klangvollen Namen?« Lars Nauke wehte um die Ecke. »Ist meine Expertise gefragt?«

»Ja, wir benötigen einen Anhaltspunkt, womit wir es hier zu tun haben könnten. Eine Rauschgiftgeschichte? Ein Unfall? Mord?« Nadja sah nachdenklich auf den Toten hinab.

Lars Nauke stupste Widukind an. »Bist du fertig, darf ich ihn mal anschauen?«

Widukind Brugger nickte und stand auf, um dem Rechtsmediziner Platz zu machen. »Sagt mir Bescheid, wenn ich das ganze Team zur Mainbrücke abkommandieren soll.«

Sie beobachteten eine Weile still, wie Professor Nauke, der sich ebenfalls einen Anzug der Spurensicherung übergestreift hatte, den Toten nach und nach entkleidete, noch einmal die Lebenszeichen überprüfte und in Mund, Nase und Ohren spähte. Er murmelte verärgert vor sich hin, dass er seine Tasche nicht dabeihatte, und unterbrach die Untersuchung für einen Moment, um seine Kollegen anzurufen.

»Was ist ihm da gespritzt worden?«, fragte Nadja schließlich. »Haben Sie eine Idee?«

Lars Nauke schob seine Brille zurecht. »Da gibt es eine Fülle von Möglichkeiten. Offenbar war es etwas, das ein Herz-Kreislauf-Versagen ausgelöst hat. Vielleicht sind auch weitere Organe betroffen. Spekulieren will ich nicht, mehr erfahrt ihr bei der Obduktion. Wir brauchen definitiv ein ChemTox.«

Peter verkniff sich ein Seufzen. Bei der Obduktion entnahmen die Rechtsmediziner beispielsweise Proben von Gewebe, Blut und Mageninhalt, um sie ins Labor zu schicken, wenn der Verdacht auf Drogen oder Gifte nahelag. Doch leider dauerte die Auswertung dieser Proben meist mehrere Wochen.

Widukind streckte seine langen Glieder. »Ich werde zusätzlich den Hemdstoff in unser Labor schicken. Vielleicht haben wir ja Glück, und daran ist auch was von dem Zeug hängen geblieben. Immerhin hat der Täter oder die Täterin laut Aussage des Opfers da durchgestochen.«

Nadja nickte. »Gute Idee. Wenn das stimmt, spricht das auch gegen eine Selbstbeibringung. Jeder normale Mensch würde sein Oberteil doch hochziehen, wenn er sich Drogen spritzt.«

Lars Nauke sah sie nachdenklich an. »Tatsächlich sind Spritzen in den Bauch gar nicht so ungewöhnlich. Denken Sie nur an Diabetiker oder an Menschen, die sich nach einer OP spritzen müssen, damit sie keine Thrombose bekommen. Aber auch die ziehen ihre T-Shirts vorher aus. Vermutlich war es also wirklich eine Fremdbeibringung.«

»Vielleicht findet ihr hier einen Hinweis.« Widukind reichte Nadja einen Beutel. Peter sah, dass ein winziges Büchlein darin steckte. »Hier, das war in seiner Hosentasche. Ihr dürft es euch anschauen, aber vorsichtig, bitte.«

Das Buch war nicht einmal so groß wie ein Handy, der schwarze Kunstledereinband verschlissen. Ein Bleistiftstummel war mit einem Gummiband daran befestigt.

Während Lars Nauke sich wieder der Leiche zuwandte, nahm Nadja es vorsichtig aus der Tüte, las und blätterte weiter. Peter sah, wie sich ihr Gesichtsausdruck von Überraschung hin zu Ärger und dann zu Belustigung wandelte.

»Schaut euch das an!«

Nadja hielt ihm das Buch vor die Nase. Eine Seite in der Mitte war aufgeschlagen. Er sah eine fein säuberlich angelegte Tabelle mit mehreren Spalten. Die linke war am breitesten, dort stand: »Constanze, Heidi, Zainab, Ann-Cathrin, Praise«. Frauennamen. In der nächsten Spalte je ein Datum und eine Uhrzeit. Dann zwei weitere schmale Spalten. Peter entzifferte mit Mühe die Buchstabenkürzel darüber. »Attraktiv, interessant« und zuletzt »Ern. Treffen erwünscht«.

Ungläubig blickte er auf die Tabelle.

Nadja beugte sich zu ihm hinüber. »Heidi hat er letzte Woche getroffen. In puncto Attraktivität hat sie eine 7, dafür war das Gespräch mit ihr anscheinend nicht besonders interessant, denn da hat er ihr nur eine 5 gegeben. Trotzdem ist ein erneutes Treffen mit ihr erwünscht«, folgerte sie aus dem Haken in der letzten Spalte.

Peter blätterte vor und zurück. Namen über Namen. Der letzte Eintrag stammte von heute. »Anastasia, 01.07., Attraktivität 6.« Die zwei letzten Spalten waren noch nicht ausgefüllt. Anscheinend hatte Emilio Colombo irgendwann während des Dates schon mal seinen ersten Eindruck festgehalten. Zum Gesamtfazit war er dann nicht mehr gekommen.

»In diesem Büchlein sind zig Mordmotive enthalten«, flüsterte Peter ehrfurchtsvoll. »Das ist ein Profi. Professor, der hat Ihnen noch einiges voraus.«

Lars Nauke warf ihm einen bösen Blick zu und murmelte etwas.

Nadja barg das Gesicht in den behandschuhten Händen. »Ist euch klar, was für eine Überprüfungsarbeit da vor uns liegt?«

»Die Kollegen werden begeistert sein, wenn wir all die Damen im K1 aufmarschieren lassen.« Peter musste grinsen, als er an Kurt Heideckert und Steffen Neumann dachte.

»Wie willst du Heidi und Co denn ausfindig machen, wenn wir nur den Vornamen und eine vage Attraktivitätsangabe haben?« Verzweifelt blätterte Nadja in dem Buch.

»Warte mal!« Peter legte den Finger auf eine Seite, die nur vier Namen umfasste. »Hier hat er einen Nachnamen notiert.«

»›Ojuna Ganbat‹«, las Nadja vor. »Oh, und sie hat eine 10 in der Kategorie ›interessant‹ bekommen und immerhin auch eine 6 in ›Attraktivität‹.«

»Trotzdem will er sie nicht wiedersehen.« Peter beäugte das energisch gezogene X in der letzten Spalte.

»Klingt interessant, dann fangen wir morgen mit ihr an!« Nadja wandte sich ab und zog ihr Handy aus der Handtasche. Peter wusste, dass sie nun den Staatsanwalt, Victor de Mancini, anrief, um ihn zu informieren. Er versuchte, den Geschmack von Vanille und den Duft von Schwimmbadpommes und Sonnencreme wieder in seinen Kopf zu rufen, obwohl er wusste, dass er auf beides weder heute noch morgen eine Chance haben würde.

Nadja / Samstag, 01.07., Altstadt

Nadja spürte die aufgestaute Hitze wie einen widerlich warmen Waschlappen auf der Haut. Emilio Colombo war gerade erst verstorben, und doch hatte sie das Gefühl, dass von ihm bereits ein Geruch ausging, der nichts mit dem Schweiß zu tun hatte, den sein Körper im Todeskampf ausgeschüttet hatte. So roch kein Lebender, so roch die Endgültigkeit.

Sie hätte gerne ein Fenster geöffnet, doch dann bestand die Gefahr, dass von draußen jemand mithörte. Gleichzeitig schienen die Temperaturen eine nervöse Anspannung in ihr auszulösen. Ihre Gedanken rasten, stellten Hypothesen auf und verwarfen sie sogleich. Immer wieder kam sie an den Punkt, dass sie viel zu wenig Infos hatten. Sie fühlte den Drang, sich zu bewegen, ihren Körper zu spüren, bis zur Erschöpfung zu rennen und anschließend in einen kühlen See zu tauchen. Abrupt wandte sie sich Peter zu.

»Lass uns mit Emilios Begleitung sprechen.«

Er nickte nur. Nadja dachte daran, dass zu Hause sicherlich Rebekka und Mariechen auf ihn warteten, und nahm sich vor, ihn heimzuschicken, sobald es möglich war.

»Seid lieb zu Anastasia Scheuerlein, das ist eine Nette«, rief Lars Nauke ihnen noch zu.

Nadja dachte an das Glitzertop und seufzte. Sie fanden Anastasia Scheuerlein alleine im Gastraum an die Bar gelehnt, wo sie ein Glas und eine Flasche Mineralwasser vor sich hatte und Wasserringe auf der Holzplatte mit dem Zeigefinger nachmalte. So wie sie dastand, wurden Ansätze von Cellulite unterhalb der Jeansshorts an ihren Oberschenkeln sichtbar. Nadja registrierte es, und ihre Laune hob sich etwas. Cellulite war normal, das betraf viele weibliche Körper. Endlich traute sich mal jemand, das auch zu zeigen. Nun verzieh sie ihr das Glitzertop schon viel eher.

»Frau Scheuerlein, fühlen Sie sich in der Lage, uns einige Fragen zu beantworten?«, fragte sie leise.

Der Mascara der Zeugin war verlaufen, die Pupillen groß, doch der Ausdruck in ihren Augen wach. Sie hatte lange Haare, die ihr pausbäckiges Gesicht umrahmten. Das ungewöhnlich stark ausgeprägte Natur-Rot der glatten Strähnen schien zu leuchten. Sie nickte, räusperte sich dann und bejahte noch einmal, deutlich ruhiger als noch vor wenigen Minuten. Anscheinend hatte Lars Nauke so einige Tricks auf Lager.

Peter zog sich einen der Barhocker heran, und Nadja, die sich zu unruhig zum Sitzen fühlte, blieb einfach stehen.

»Wie geht es Ihnen? Sie wirkten vorhin sehr aufgewühlt.«

»Dieser Arzt hat mir inzwischen gesagt, dass Emilio tot ist«, brachte Anastasia Scheuerlein nach weiterem Räuspern heraus. »Das war es ja nur, was ich wissen wollte. Ich musste es wissen, verstehen Sie, damit ich sicher sein konnte, dass es nichts mehr für mich zu tun gibt. Solange ein Mensch lebt, kämpft man doch. Da hätte ich vielleicht für einen kompetenteren Arzt sorgen müssen oder irgendwelche Medikamente holen oder einen Rettungshubschrauber rufen …«

»Sie haben alles getan, was möglich war«, unterbrach Peter sie sanft. »Machen Sie sich keine Vorwürfe.«

»Ich hätte es früher merken sollen. Dann wäre vielleicht mehr Zeit gewesen. Die ganze Sache war so seltsam, mit den Schmerzen am Bauch und dann das Kopfweh und die Übelkeit. Ich dachte zuerst, dass er Migräne oder eine Bienenallergie haben könnte. Er hat so stark geschwitzt und kaum noch was gesagt. Aber ich habe nicht gefragt, ob alles in Ordnung ist. Vielleicht hätte ich gefragt, wenn er mir sympathischer gewesen wäre. Verstehen Sie?«

Nadja musterte die junge Frau. Nach dem, was sie in Emilio Colombos geheimem Büchlein gelesen hatte, konnte sie sich vorstellen, dass er nicht der angenehmste Zeitgenosse gewesen war. Aber sie hatte sich ja auch nicht mit ihm verabredet. »Warum waren Sie mit ihm hier, wenn Sie ihn nicht sympathisch fanden?«

»Es war ein Date. Wir haben uns zur Challenge auf der Alten Mainbrücke getroffen. Das hat mir Riesenspaß gemacht, obwohl Emilio sich offenbar meinen Namen nicht richtig merken konnte oder wollte. Er hat mich mehrfach falsch angesprochen, aber auch das fand ich eigentlich ganz witzig. Ich hab dann im Gegenzug angefangen, ihn Elmo zu nennen. Eigentlich war ich überrascht, als er vorschlug, noch hierherzukommen, obwohl er da schon ziemlich angeschlagen wirkte. Er meinte, dass ihn was gestochen hat und dass ihm der Bauch wehtut. Ich habe sogar gefragt, ob er sich nicht lieber daheim ausruhen sollte, aber das hat ihm gar nicht gepasst. Er ist stattdessen halb zusammengekrümmt neben mir hergehumpelt und hat weiter versucht, Scherze zu machen. Vielleicht wollte er nicht alleine sein. Er hat gesagt, dass er mich zum Essen einlädt. Und da dachte ich …« Sie verstummte. Eine leichte Röte zog sich über ihr Gesicht.

»Ja?«

»Dass man das ja zumindest noch mitnehmen kann, wenn man eingeladen wird, auch wenn man vielleicht nicht so ganz auf einer Wellenlänge ist. Ich bin Studentin und jobbe nebenbei, um mir den Lebensunterhalt zu finanzieren, ich gehe eigentlich nicht so oft ins Restaurant.« Sie sagte es mit einem Unterton, der deutlich machte, dass sie sich gegen eine Moralpredigt zur Wehr setzen würde.

Peter lachte die Aggression weg. »Absolut nachvollziehbar. Ich habe in meiner Studentenzeit auch vier Tage die Woche Nudeln gekocht, weil es kaum ein günstigeres Essen gibt. Da freut man sich über etwas Abwechslung.«

Dankbar sah sie ihn an. »Genau.«

Nadja klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch, bis Peter sie sacht anstupste. »War Ihr Date im Rahmen dieser neuen Dating-App, weil Sie gerade eine Challenge erwähnt haben?« In ihrem Kopf formte sich eine Idee.

»Ja, genau. Wir haben uns über MainSchatz verabredet. Cool, dass Sie die App kennen.« Anastasia Scheuerlein versuchte sich an einer Erklärung. »Ich mag diese Aufgaben. Es sind oft Sachen dabei, die kein Geld kosten, das finde ich auch toll.«

»Und was mussten Sie auf der Alten Mainbrücke erledigen?«, fragte Nadja neugierig. Vielleicht hatte Emilio Colombo alle seine Dates über MainSchatz verabredet. Dann konnten sie den Anbieter ansprechen und mit Unterstützung des Staatsanwalts eine Liste aller Kontakte bekommen.

»Wir haben den heiligen Kilian dekoriert. Besser gesagt: Ich habe das gemacht. Emilio war so semi-engagiert. Und als ich da oben stand, kam der Bocksbeutel. Und hat Emilio umgebracht.«

Die Tränen begannen wieder zu laufen.

Nadja und Peter wechselten einen irritierten Blick.

Anastasia Scheuerlein schien zu begreifen, dass sie mehr ins Detail gehen musste, und fasste das Geschehen zusammen. »Er ist zwischendurch mal aufs Klo gegangen, um zu schauen, was da so wehtut, und als er zurückkam, hat er nur noch von diesem Bocksbeutel gesprochen, dass der ihn verletzt habe.«

Wahrscheinlich hatte Emilio Colombo zu diesem Zeitpunkt den Einstichpunkt auf der Haut entdeckt und geahnt, dass sein Unwohlsein daher rührte. Aber da war es offenbar schon zu spät gewesen.

»Können Sie den Täter beschreiben? Seine Verkleidung? Wie groß war er wohl? Frau oder Mann?«, fragte Nadja.

Die Studentin gab sich Mühe, ihnen einen Eindruck von der seltsamen Figur zu vermitteln. Am Ende hatten sie eine Beschreibung des Kostüms, doch keinerlei Hinweis darauf, wer darin gesteckt haben könnte.

»Hatten Sie den Eindruck, dass Emilio wusste, wer sich im Inneren verbarg?«

»Absolut nicht. Es schien ganz zufällig zu sein, dass der Bocksbeutel zu uns herüberkam. Ich habe gar nicht mitbekommen, was passiert ist, weil ich immer noch dort oben stand. Emilio hat es anfangs wohl auch nicht umrissen. Er hat was von einem Insektenstich gesagt und erst später damit angefangen, dass die Weinflasche ihn attackiert hat.«

»Danke für Ihre Mithilfe! Wir werden uns dann zeitnah noch einmal bei Ihnen melden, vielleicht sogar heute Abend oder morgen früh. Möglicherweise müssen wir die Geschehnisse auf der Mainbrücke genauer nachvollziehen oder sogar mit Statisten nachstellen. Die Kollegen nehmen noch Ihre Personalien auf, dann dürfen Sie gehen und sich ausruhen.« Nadja nickte der Studentin zu.

Peter lächelte sie noch einmal an. »Passen Sie auf sich auf. Das war ein großer Schock heute.«

Anastasia Scheuerlein schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht, was mir zu schaffen macht. Wenn ich Emilio gemocht hätte, müsste ich wenigstens kein schlechtes Gewissen haben. Dann hätte ich ihn vielleicht überredet, vorsichtshalber zu einem Arzt zu gehen. Aber so werde ich immer das Gefühl haben, zu spät reagiert zu haben.« Sie klopfte auf den Tresen. »Tschüss, Elmo. Ruhe in Frieden, wenigstens das.«

Und mit einem letzten traurigen Blick auf das Nebenzimmer, in dem noch immer die Menschen herumwuselten, verließ sie das Restaurant.

2

Peter / Sonntag, 02.07., Kriminalpolizeiinspektion in der Zellerau

Peter saß entspannt vor seinem Kaffee und sah jedem seiner Kolleginnen und Kollegen, die nach und nach ins Besprechungszimmer eintrudelten, an, ob sie nachts gearbeitet hatten oder nicht. Lars Nauke wirkte derart aufgedreht, dass er einiges an Koffein intus haben musste. Er gestikulierte mit ausschweifenden Gesten und stieß dabei mehrfach beinahe den Teller mit Keksen um, den Gretchen so dicht wie möglich vor ihm abgestellt hatte. Die Sekretärin des K1, Gretchen Morungen, hatte eine Schwäche für Lars Naukes blumige Ausdrucksweise. Ihre Vorliebe für einen der Ermittler wechselte allerdings monatlich. Peter merkte immer dann, dass er der aktuelle Favorit war, wenn sie ungefragt in seinem Büro auftauchte, um ihm Essen oder Getränke zu kredenzen, und ihn in den Pausen vor den Frotzeleien der Kollegen verteidigte. Das war allerdings schon länger nicht mehr geschehen.

Sie hatte offenbar keine Nachtschicht hinter sich, denn sie sah ausgeruht aus und war besonders sorgfältig zurechtgemacht, trug sogar Rouge auf den Apfelbäckchen. Gerade war sie mit Kopfhörern über den eigentlich grau gelockten, neuerdings aber mit blonden Strähnchen aufgepeppten Haaren noch damit beschäftigt, etwas abzutippen, wahrscheinlich ein Verhörprotokoll. Peter bewunderte das pastellfarbene Twinset, das sie mit einer glitzernden Katzenbrosche trug. Wenn es eine Abstimmung gegeben hätte, wer optisch am allerwenigsten ins K1 passte, dann hätte Gretchen sicher haushoch gewonnen. Aber alle schätzten ihre Zuverlässigkeit und ihren unermüdlichen Arbeitseifer.

Neben ihr hatte Widukind Brugger seine Brille auf dem Tisch abgelegt und seinen Kopf auf die Arme gebettet, wie um noch ein paar Minuten Schlaf nachzuholen. Selbst sein Pferdeschwanz hing erschöpft über den Kragen des dunkelblauen T-Shirts hinunter. Peter schloss mit sich selbst eine Wette ab, dass Yoda vorne draufgedruckt war. Oder Gollum. Oder ein anderes Fabelwesen.

Elif Yilmaz zog sich den Stuhl neben Peter heran. Die stille Kommissarin mit der ausladenden Figur und der dunkelbraunen Haarmähne hatte letztes Jahr die interne Schützenmeisterschaft gewonnen. Sie war noch nicht lange im Team und ersetzte Maximilian Braun, der in das Kommissariat für Kinderpornografie abkommandiert worden war. Das K11 war neben dem Kommissariat für Cyberverbrechen das am schnellsten wachsende. Die Fälle und das zu sichtende Material hatten sich in den letzten Jahren vervielfacht. Etwas in Peter wurde immer sehr traurig, wenn er daran dachte. Seit Mariechen auf der Welt war, gab es Themen, die sich nur schwer aushalten ließen.

»Du warst gestern auch vor Ort, hab ich gehört.« Elif hatte Concealer unter ihren Augen aufgetragen, sah jedoch trotzdem alles andere als ausgeruht aus.

»Ja, aber nur kurz. Nadja hat mich heimgeschickt, nachdem wir uns ein erstes Bild verschafft hatten.«

Peter war erleichtert gewesen, der stickigen Pizzeria entkommen zu können. Zu Hause hatte er Mariechen und Rebekka ungewohnt fest umarmt und darauf bestanden, dass sie den unerwartet geschenkten Abend mit Bilderbüchern verbrachten.

Elif musterte ihn, und Peter war sich nicht sicher, was sie dachte. Sie hatte auch zwei Kinder daheim, hatte aber gestern offenbar noch lange gearbeitet. Doch sie sagte nichts dazu. »Als ich kam, war der Tote leider schon vom Bestatter abtransportiert. Professor Nauke wollte ihn unbedingt so schnell wie möglich im Institut haben.«

Lars Nauke, dem das Koffein offensichtlich das Gehör einer Fledermaus verlieh, wirbelte zu ihnen herum. »Man muss die Proben schnell entnehmen. Manche Gifte verflüchtigen sich, wenn man zu lange wartet!«

Elif starrte ihn an. »Dann haben Sie gestern tatsächlich noch die Obduktion durchgeführt?«

»Korrekt. Frau Gontscharowa und der verehrte Herr Staatsanwalt kamen gegen Mitternacht noch dazu. Da hatten wir eine nette kleine Runde.«

Peter zog nur die Augenbrauen hoch. »Gruselig.«

Er glaubte, eine kühle Präsenz hinter sich zu spüren, und drehte sich um. Der eben erwähnte Staatsanwalt Victor de Mancini hatte den Raum betreten. Wie immer war er penibel korrekt gekleidet. Er trug einen silbergrauen Sommeranzug, ein weißes Hemd und eine Krawatte, deren Knoten so fest gezogen war, dass er unangenehm gegen den Hals drücken musste. Mancini schien es nicht zu bemerken. Sein Blick überflog die Anwesenden, hier ein Nicken, dort ein Zusammenpressen der Lippen, das man für den Versuch eines Lächelns halten konnte. Erst als er bei Peter anlangte, hellten sich die aristokratischen Züge etwas auf.

Um Mancini gab es mehr Gerüchte als bekannte Tatsachen. Dass er der letzte Nachkomme einer italienischen Adelsfamilie war und nur zum Spaß arbeitete. Dass er nur ein einziges Mal geliebt hatte, die Frau ihn verlassen hatte und er sie Jahre später als Mordopfer wiedersah. Dass er nicht schlief, sondern in einem Sarg ruhte oder mit einem Stecker seine Batterien wieder auflud. Noch keiner im K1 hatte ihn jemals essen sehen. Weder bei Besprechungen noch in der Pause oder bei langen Einsätzen. Ihn um Mitternacht bei einer Obduktion zu treffen, schien absolut passend. Peter schnaubte ungehalten, da er sich nie an den Spekulationen über den Staatsanwalt beteiligte. Denn er mochte ihn und schätzte seinen trockenen Humor und seine Leidenschaft für mittelalterliche Geschichte, Literatur und Kunstschätze.

»Herr Steiner.« Mancini grüßte ihn als einzigen mit Namen und ließ sich auf Peters anderer Seite nieder.

Peter nahm einen flüchtigen Geruch nach Tabak und altem Papier wahr. Auch er hatte sicherlich eine kurze Nacht gehabt, doch Peter traute ihm ohne Weiteres zu, dass er einer der Menschen war, die nie mehr als fünf Stunden pro Nacht schliefen und trotzdem ganz normal funktionierten.

Nadja war währenddessen vorne bereits damit beschäftigt, die Technik aufzubauen und ihren Laptop mit dem großen Fernsehbildschirm zu verbinden. Sie trug einen dunkelblauen, ärmellosen Jumpsuit. In der Taille gebunden betonte er ihre athletische Figur. Wie immer hatte sie die Haare in einer komplizierten Flechtfrisur frisiert und hochgesteckt. Peter fragte sich nicht zum ersten Mal, ob das der einzige Hinweis darauf war, dass auch Nadja Gontscharowa eine Kindheit gehabt hatte. Ob ihr die Haare früher von den geschickten Händen einer russischen Großmutter geflochten worden waren und sie auf dem Schulhof Springseil gehüpft war, während die Zöpfe flogen. Das einzige Relikt aus der Kindheit, das sie über die Jahre beim Erwachsenwerden begleitet hatte. Und das sie noch immer nicht aufgab.

In diesem Moment blickte Nadja auf. Ihre Blicke kreuzten sich, und sie verzog die schmalen Lippen spöttisch, als sie Mancini neben Peter sitzen sah. Sie hatte sich schon oft über die Männerfreundschaft lustig gemacht.

Peter grinste zurück und wandte sich demonstrativ an Mancini. »Eine nächtliche Obduktion, da agiert Professor Nauke ja fast in der Nachfolge Frankensteins.«

»Bloß war der nicht in Würzburg, sondern in der alten Anatomie in Ingolstadt tätig.« Mancini verzog keine Miene.

»Wirklich?« Der Kollege Kurt Heideckert sah vor seinem Notizbuch auf. Er hatte die letzten Minuten gedankenversunken durch frühere Fälle geblättert, die er dort in seiner winzigen Schrift festgehalten hatte. Seine Wangen hingen etwas hinunter, und die Tränensäcke nahmen über die Jahre immer weiter an Umfang zu, was ihm ein stets trauriges Aussehen verlieh.

Peter konnte den Duft nach Kräutertee riechen, der seiner Tasse entstieg. Der dienstälteste Kommissar liebte es, sich vor der täglichen Besprechung in aller Ruhe einen Teeaufguss mit Kamille, Lindenblüten oder Himbeerblättern zuzubereiten. Meistens verwendete er dafür sogar selbst gesammelte Kräuter, die er von seinen Streifzügen im Gramschatzer Wald mit nach Hause brachte.

Mancini nickte. »Wirklich. Die Autorin, Mary Shelley, ließ ihren Victor Frankenstein zum Medizinstudium nach Ingolstadt reisen. Dort gab es schon im 18. Jahrhundert ein Experimentiergebäude für die Mediziner und Naturwissenschaftler. Das hat ihre Phantasie wohl beflügelt.«

Heideckert schwieg beeindruckt. Peter wusste, dass er gerne weiter nachgefragt hätte, sich Mancini gegenüber aber nicht recht traute. Wahrscheinlich würde er daheim weiter recherchieren. Das Arbeitsfeld der Rechtsmedizin interessierte ihn sehr.

Währenddessen blickte Nadja immer wieder auf die Uhr und tigerte vor dem Fernsehbildschirm hin und her. Peter wusste, auf wen sie wartete.

»Ich sag ihr Bescheid, dass wir so weit sind«, sagte sie schließlich und verließ unter den mitleidigen Blicken der Anwesenden den Raum.

Nadja / Sonntag, 02.07., Kriminalpolizeiinspektion in der Zellerau

Nadja ging in Richtung der Treppen. Sie hasste es, untätig herumzustehen, vor allem, wenn sie diejenige war, auf die alle Augen gerichtet waren. Da holte sie die Kriminaldirektorin lieber selbst ab, vielleicht hatte sie den Termin ja vergessen.

Als Nadja um die Flurecke bog, sah sie eine bekannte Gestalt mit geschmeidigen Schritten vor sich laufen. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, als sie auf Zehenspitzen hinter dem Mann herschlich. Sie hielt sich dicht an der Wand, weil es dort weniger hallte. Er schien nichts zu bemerken. Das weiße T-Shirt bildete einen leuchtenden Kontrast zu seiner dunklen Haut. Dazu trug er Jeans und weiche Bastschuhe. Nadja betrachtete beim Näherkommen die Struktur seiner wuscheligen schwarzen Haare. Sie wusste genau, wie sich die wilden Kräusel unter ihren Händen anfühlten. Den letzten Meter überwand sie mit einem Satz. Sie umschlang ihn von hinten mit den Händen und drückte einen Kuss auf seinen Nacken.

Mukki, der eigentlich Nepomuk hieß, zuckte zusammen und blieb dann wie erstarrt stehen. »Wer Sie auch sind, ich muss Sie warnen: Meine Freundin arbeitet hier, und sie hat eine Dienstwaffe im Spind!«

Nadja lachte. »Richtige Antwort.«

Sie warf verstohlene Blicke um sich, doch alle Türen waren geschlossen. Also drehte sie Mukkis Gesicht zu sich, um ihn noch einmal richtig zu küssen. Als sie ihn losließ, rieb er die Nase liebevoll an ihrer Wange.

»Ich sollte öfter hier im Präsidium vorbeischauen. Das lohnt sich ja richtig.«

»Hast du einen Termin oben?« Nadja hielt Mukkis Hände in ihren und drückte sie.

»Ja, das K11 will mich als Sachverständigen bei einer Verhandlung dazuholen. Das wäre mein erster Auftritt vor Gericht.« Dr. Nepomuk Kamil-Chechem arbeitete wie Lars Nauke als Rechtsmediziner. Nadja hatte ihn im Sektionssaal kennengelernt, umwirbelt von den Takten französischer Chansons. Danach hatte Lars Nauke ihn einmal nach Feierabend bei Nadja vorbeigeschickt, um Obduktionsergebnisse mit ihr zu besprechen – sie wusste bis heute nicht, mit welchen Hintergedanken. Mukki hatte Federweißen mitgebracht und sich sein Hemd mit der undichten Flasche durchnässt, sie hatten Pizza gegessen, und zum unpassendsten Zeitpunkt war Nadjas ehemaliger Chef aufgetaucht, mit dem sie weit mehr verbunden hatte als die dienstliche Zusammenarbeit. Das hatte die Stimmung derart wirkungsvoll versaut, dass Nadja danach eigentlich überhaupt keinen Mann mehr sehen wollte.

Erst nach Abschluss des Falls hatten sie sich zufällig in einem Restaurant wiedergetroffen, und an diesem Abend war dann alles sehr schnell gegangen. Nadja schmunzelte bei dem Gedanken.

Mukki war der freundlichste und gutmütigste Mensch, den Nadja kannte. Vielleicht auch der attraktivste. Verstohlen ließ sie einen Finger unter sein T-Shirt gleiten und strich über die Bauchdecke. Seine Figur machte seinem Spitznamen alle Ehre.

Mukki räusperte sich. »Magst du heute Abend vielleicht kommen – zu mir kommen, meine ich?«

»Beides.« Nadja grinste.

Er strich ihr über die Wange, und Nadja spürte der vertrauten Wärme seiner Finger nach, als er die Hand sinken ließ. »Gut, dann koche ich uns was. Vielleicht eine asiatische Bowl? Oder deinen Lieblingssalat mit Pinienkernen und getrockneten Tomaten?« Mukki aß vegetarisch. Seit Nadja mit ihm zusammen war, ernährte sie sich auch weitgehend fleischlos, was schon damit zusammenhing, dass Mukki wesentlich besser kochte als sie.

Da fiel Nadja ein, dass sie noch gar nicht wusste, was der Tag an Ermittlungsaufgaben bringen würde und wann sie überhaupt Schluss machen konnte. »Es reicht was ganz Einfaches, du musst nicht extra einkaufen.«

»Das mache ich gerne. Ich freu mich auf einen schönen Abend!«

»Na ja, wir haben doch einen neuen Fall und …« Sie verstummte.

»Ist es stressig? Dann bekommst du als Allererstes eine Massage.«

»Das klingt natürlich verlockend.«

Mukki sah sie so hoffnungsvoll an, dass Nadja nicht weitersprach. Sie hielt es für möglich, dass sie heute Abend lieber mit einer Tiefkühlpizza in Reichweite in Ermittlungsakten schmökern wollte, bis sie darüber einschlief, als an einem schön gedeckten Tisch zu sitzen und sich verwöhnen zu lassen. Würde er das verstehen? Sie streckte die Hand nach ihm aus.

Ein dumpfes Stampfen von der Treppe her ließ Nadja zurückzucken. Die Kriminaldirektorin kam auf sie zu und bedachte sie mit einem scharfen Blick.

»Frau Gontscharowa! Sollten Sie nicht langsam mit der Besprechung starten?«

»Ist alles vorbereitet, ich wollte nur noch kurz …«

»Gut, dann können wir ja zusammen gehen.«

»Natürlich. Auf Wiedersehen, Dr. Kamil-Chechem«, sagte Nadja.

Er sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, nickte dann aber. Nadja hatte es bisher vermieden, ihre Beziehung öffentlich zu machen. Sie hasste es, private Dinge mit der Arbeit zu vermischen. Peter wusste natürlich Bescheid, und auch Lars Nauke schien mehr oder weniger im Bilde zu sein. Aber allen anderen Kollegen hatte sie es verschwiegen, schon deshalb, weil alle ihn kannten und jeder schon mal mit ihm zusammengearbeitet hatte. Nadja wusste, dass Mukki über ihre Zurückhaltung nicht gerade glücklich war und am liebsten jedem von ihnen erzählt hätte. Aber das fühlte sich für Nadja nicht richtig an.

Mukki wandte sich ab und ging davon. Seine Schritte sahen weniger energiegeladen aus als noch vor wenigen Minuten. Nadja blickte ihm mit schlechtem Gewissen nach. Hoffentlich konnte sie heute Abend tatsächlich freimachen. Sonst wäre er sicher sehr enttäuscht.

Peter / Sonntag, 02.07., Kriminalpolizeiinspektion in der Zellerau

Der Geräuschpegel im Raum nahm immer weiter zu, bis die Tür endlich wieder aufging. Alle mit Ausnahme von Mancini schienen unwillkürlich die Köpfe einzuziehen, als stampfende Schritte an ihnen vorbeimarschierten. Peter sah, dass Heideckert sein Notizbuch schloss, dass Widukind den Kopf hob und sich verstohlen die Augen rieb, dass Elif ihren Rücken gegen die Stuhllehne presste. Nur eine Person schaffte es, in einem mit Teppichboden ausgelegten Raum derart zu stampfen. Und das, obwohl sie die Zierlichste unter den Anwesenden war.

»Guten Morgen!« Dr. Waltraud Bullmann konnte einen normalen Gruß klingen lassen wie eine Gewehrsalve. Die Kriminaldirektorin, hinter ihrem Rücken Bully genannt, ging gerne mit dem Kopf durch die Wand. Ihre Vorliebe für direkte Konfrontationen war legendär. Steffen Neumann hatte Peter einmal ein Video vorgespielt, auf dem ein Bullterrier mit einer giftigen Kobra kämpfte, um ein Baby zu beschützen. Seitdem sah er in Dr. Bullmanns lippenstiftgefärbten Mundwinkeln das Hochziehen von Lefzen und in ihren abrupten Bewegungen den Kampfeifer eines kraftvollen Tieres.

Nadja huschte hinter ihr herein.

»Bitte, Frau Gontscharowa, fangen Sie an.«

Nadja räusperte sich, begrüßte alle Anwesenden, verwies auf die gut gefüllten Tüten vom Bäcker, die sie mitgebracht hatte, und spielte ein Foto des toten Emilio Colombo ein. Sie berichtete, was am Vortag vorgefallen war, und legte die Situation so genau wie möglich dar. Dann bat sie Lars Nauke, die Ergebnisse der Obduktion zusammenzufassen.

Lars Nauke sprang auf, als habe er nur auf das Stichwort gewartet. »Frau Gontscharowa und Herr Mancini wissen ja aus erster Hand Bescheid. Ich habe unser Opfer gestern noch drangenommen, um die Proben entsprechend schnell ins Labor schicken zu können. Eine Injektion mit einer uns unbekannten Flüssigkeit ist kein guter Startpunkt für eine Ermittlung, finde ich, und nebenbei gesagt verflüchtigt sich das eine oder andere Gift relativ schnell. Jetzt dürfen Sie also alle Daumen drücken, dass das Labor uns priorisiert. Die normalen sechs bis acht Wochen wollen wir natürlich nicht warten.«

Peter warf einen Blick auf Bully, deren vorgeschobener Unterkiefer verriet, dass das Labor was zu hören bekommen würde, wenn die Ergebnisse in den nächsten Tagen nicht vorlagen.

Lars Nauke fuhr unbeirrt fort: »Was ich jetzt schon sagen kann: Emilio Colombo war kein Junkie. Weder weist sein Körper von außen besehen die typischen Anzeichen auf, noch ist mir bei der inneren Leichenschau etwas aufgefallen. Er hatte aber tatsächlich eine Herzvorerkrankung, hier hat sich Frau Scheuerleins Aussage also bestätigt. Vermutlich hat das den Tod beschleunigt. Ich konnte jedoch nachvollziehen, dass auch andere Organe bereits betroffen waren. Also was auch immer Herrn Colombo da verabreicht worden ist, es war ein Teufelszeug.«

Er blieb noch einen Moment stehen, doch als Nadja sich bei ihm bedankte, ließ er sich auf den Stuhl zurücksinken.

»Der Mörder hat also in einer albernen Verkleidung auf der Mainbrücke gewartet und dem Nächstbesten eine Giftspritze in den Bauch gerammt?«, fragte Neumann ungläubig.

»Oder eben nicht dem Nächstbesten. Wenn wir der bisher einzigen Zeugin Glauben schenken, hat der Bocksbeutel Herrn Colombo zielgerichtet angesteuert.« Peter musste daran denken, wie sie gestern an der Bar gesessen hatten. Der Geruch von erloschenen Kerzen hing im Raum, und Anastasia Scheuerleins vom Weinen verquollene Augen sahen ihn an. Wie es ihr heute wohl ging?

»Und trug der Bocksbeutel das Kostüm, damit Colombo ihn nicht erkannte und fliehen konnte?«, fragte Neumann weiter.

»Damit Colombo ihn nicht erkannte und auch niemand sonst«, stellte Widukind fest, der sich bisher überhaupt nicht zu Wort gemeldet hatte.

»So eine bizarre Verkleidung fällt auf. Da schauen die Leute doch genauer hin«, wandte Elif ein.

Peter räusperte sich. »Sicherlich, aber sie bemerken alle nur den Teil, den sie bemerken sollen. Die Flasche und den Aufdruck. Nicht, wie diese sich bewegt oder welche Schuhe derjenige trägt, der unter dem Kostüm steckt. Das ist eigentlich ziemlich clever.«

Lars Nauke blickte nachdenklich vor sich hin. »Niemand achtet auf Details, weil die Verkleidung so bizarr ist, dass der erste Eindruck alles andere übertüncht.«

Nadja wandte sich an Heideckert. »Kurt, kannst du rauskriegen, wo dieses Kostüm her ist? Ob es einem Winzer gestohlen wurde oder wo man so etwas kaufen kann? Wir brauchen eine genaue Beschreibung, wie das aussah.«

Als Heideckert nickte, fuhr Nadja fort: »Ich fände es wichtig, dass wir das Geschehen auf der Alten Mainbrücke mit Hilfe von Anastasia Scheuerlein nachstellen. Das Ganze wirkt in der Erzählung so absurd, dass wir alle die Situation einmal bildlich vor Augen haben sollten. Außerdem hoffe ich, dass Frau Scheuerlein sich dann vielleicht an mehr Details vom Angreifer erinnert. Allerdings müssten wir dafür die Mainbrücke für die Bevölkerung von beiden Seiten sperren, am besten mit Sichtschutzwänden. Vielleicht für eine Stunde?« Nadja sah fragend zu Mancini und Bully. Beide signalisierten ihre Zustimmung.

»Gut, kannst du dich darum kümmern, Elif?«

Die Kollegin nickte.

»Steffen, dich bräuchte ich als Verbindungsmann zu unserer Pressesprecherin. Wir sind auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen.«

»Okay. Sollen wir die Leute bitten, uns Fotos und Videos zu schicken, die sie zum fraglichen Zeitpunkt auf der Alten Mainbrücke gemacht haben?« Steffen Neumann zog sein Diensthandy aus der Tasche.