Man lernt nie aus, Frau Freitag! - Frau Freitag - E-Book

Man lernt nie aus, Frau Freitag! E-Book

Frau Freitag

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Beschreibung

Frau Freitag ist Lehrerin. Sie sagt normalerweise, wo's lang geht. Doch nun wird sie selbst zur Schülerin, denn Frau Freitag will endlich den Führerschein machen. Aber ständig bekommt sie zu hören, dass sie schon viel zu alt sei, um etwas Neues zu lernen - auch von ihrem Fahrschullehrer. Dabei hat sie doch Snowboardfahren gelernt und Lehrerinsein und Aquagymnastik. Und mit Frau Dienstag geht sie regelmäßig zum Pilates, ihren Körper kann sie noch tip-top verrenken. Aber Frau Freitag ist eine ungeduldige Schülerin, in ihrem Alter will sie sich eigentlich gar nichts mehr sagen lassen. In der Fahrschule lernt sie nicht nur Autofahren, sondern vor allem eine Menge über sich selbst... Eine rasante Fahrt durchs Leben voller Situationskomik und bizarrer Begegnungen - im beliebten Sound der Bestsellerautorin Frau Freitag.

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Das Buch

»An der Fahrschule in meiner Straße laufe ich nun schon seit zwanzig Jahren vorbei. Nie habe ich mir über Fahrschulen Gedanken gemacht. Genauso wie ich zu den Dealern am U-Bahnhof immer ›Nein, danke‹ sage. Fahrschulen und Drogenkauf kamen bisher in meinem Leben nicht vor. Das soll sich nun ändern.«

In ihrem Sabbatjahr hat sich Frau Freitag eine ganz besondere Herausforderung gesucht: den Führerschein. Doch wer es gewohnt ist, anderen die Richtung vorzugeben, dem fällt das bedingungslose Befolgen von Befehlen nicht leicht.

Die Autorin

Frau Freitag, geboren 1968, ist Lehrerin, Bloggerin und Bestseller-Autorin. Sie schrieb unter anderem Chill mal, Frau Freitag und den Lehrer-Ratgeber Für mich ist auch die 6. Stunde. Letztes Jahr wurde die Lehrerin selbst wieder zur Schülerin.

Von Frau Freitag sind bei Ullstein bereits erschienen:

Chill mal, Frau FreitagVoll streng, Frau FreitagEcht easy, Frau FreitagFür mich ist auch die 6. Stunde

Frau Freitag

MAN LERNT NIE AUS, FRAU FREITAG

Eine Lehrerin in der Fahrschule des Lebens

Ullstein

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ISBN 978-3-8437-1530-0

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017Umschlaggestaltung: semper smile, MünchenTitelabbildung: © Shutterstock

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

An der Fahrschule in meiner Straße laufe ich nun schon seit zwanzig Jahren vorbei. Nie habe ich mir über Fahrschulen Gedanken gemacht. Genauso wie ich zu den Dealern am U-Bahnhof immer »Nein, danke« sage. Fahrschulen und Drogenkauf kamen bisher in meinem Leben nicht vor. Das soll sich nun ändern. Heute betrete ich die Fahrschule Fahrenheit. Die ganze Fahrschule ist eigentlich nur ein Raum. An der Wand hängen ein Kalender von einem Reifenhersteller und eine Uhr. An einer Seite stehen zwölf unbequem aussehende schwarze Plastikstühle und an der anderen ein langer Schreibtisch, hinter dem ein junger Mann sitzt. Von der Decke hängt ein Beamer. Der Freund begleitet mich. Wir setzen uns auf die zwei Stühle vor dem Schreibtisch. Der junge Mann sitzt uns gegenüber. Er ist sehr dünn und sehr jung. Er sieht aus, als sei er erst vor ein paar Monaten volljährig geworden. Ich bekomme sofort mütterliche Gefühle.

»Ich will einen Führerschein machen.«

»Na, da sind Sie hier ja genau richtig«, sagt er, und ich nehme mir ein Zitronenbonbon aus dem Glas neben seinem Computer. Ich kann nicht anders. Ich muss alles nehmen, was umsonst ist. Er fragt mich, ob ich mich mit dem ganzen Prozedere schon auskenne. Ich sage: »Nö.« Ich hatte extra versucht, möglichst wenig über die ganzen Verordnungen und Anmeldevoraussetzungen zu lesen, denn ich hasse es, mich über Sachen zu informieren, die ich schon weiß. Nichts ist schlimmer, als wenn dir jemand etwas erklärt, das du schon gründlich im Internet recherchiert hast. Natürlich kannte ich doch schon ein paar Eckpunkte. Ich komme zum Beispiel um diesen Erste-Hilfe-Kurs nicht rum. Ich höre mir also an, was noch ansteht.

Er sagt was von »Dann holen Sie sich einen Termin beim Bürgeramt«. Ich denke: Oh, das wird schwierig, sind die nicht zurzeit total überlastet? Er erzählt vom Theorieunterricht und von den Fahrstunden.

»Wie? Sie meinen, ich werde Fahrstunden bekommen, ohne vorher irgendwelche Verkehrsregeln gelernt zu haben?«

»Ja.«

»Aber ich kann doch nicht, ohne was zu wissen, am Straßenverkehr teilnehmen.« Ich verstehe nicht mal die Vorfahrtsregeln. Ich kenne mich mit Ampeln aus, aber das ist es dann auch schon. Ich fahre ja nicht mal Fahrrad. Und dieses Rechts-vor-links … Ich weiß doch nie, wo rechts ist. Wenn ich mit jemandem im Auto sitze und den Weg angeben soll, dann muss ich immer in die Richtung zeigen, in die wir fahren müssen. Wie soll das denn dann auf der Straße werden? Na, die werden schon wissen, was sie machen.

»Und wie lange wird das Ganze ungefähr dauern?«, frage ich.

»Sie meinen, wie viel es kosten wird?«

»Nein, ich meine, wie lange es dauern wird.«

Der junge Mann beugt sich auf seinem Bürostuhl vor. Guckt den Freund an und grinst: »Auto fahren ist ja auch gar nicht so leicht.«

Der Freund nickt. Ich frage mich, woher er das wissen will. Mein Freund hat auch keinen Führerschein. Darum ist er ja mitgekommen. Die Idee war, dass wir uns beide anmelden und beide den Führerschein machen. Aber dann der Rückzieher: »Mach du das lieber alleine. Du bist doch jetzt im Sabbatjahr und brauchst eine Beschäftigung, wenn du nicht zur Schule gehst. Dann ist das DEIN Projekt. Ich fahre einfach immer mit dir.« Ich hatte gehofft, dass er sich das in der Fahrschule vielleicht noch mal überlegt. Hat er aber nicht, denn jetzt wäre der Moment zu sagen, dass er keinen Führerschein hat und auch einen machen möchte. Aber er lächelt nur. Mit meinem führerscheinlosen Freund kann sich der junge Fahrschulangestellte jedenfalls nicht verbünden. Ich warte immer noch darauf, dass er mir sagt, wie lange es dauert, so einen Führerschein zu machen.

Der junge Mann sieht wieder zu mir, lächelt und sagt: »Wir unterteilen die Fahrschüler in zwei Gruppen. Die unter 30 und die über 30.« Kurze Pause. Dann: »Sie sind doch über 30, oder?«

Ich freue mich über sein »oder«, denke dann aber sofort: Natürlich bin ich über 30, du kleiner Schleimer. Ich bin bald über 50, und das ist dann auch nicht mehr weit weg von über 60.

Okay, ich gehöre also zu der Gruppe über 30. Die mit dem festen Job, die mit der Rentenversicherung, die mit der großen Wohnung und der billigen Miete. Wir, die vernünftigen Überdreißigjährigen. Die alles schaffen und die Welt am Laufen halten. Wir machen doch den Führerschein mit links, auch wenn wir vielleicht nicht wissen, wo links ist. Aber bei diesen Jungspunden mit Anfang zwanzig, ach, was sag ich: diesen 17-Jährigen, die noch zur Schule gehen –, bei denen dauert das Ganze natürlich länger. Wir wissen doch, wie schwer sich junge Leute mit neuem Lernstoff tun. Wie oft versuche ich, meinen 17-Jährigen das Simple Past beizubringen, und sie raffen es einfach nicht.

Dann erzählt mir dieser Typ allerdings, dass es erwiesenermaßen sehr viel schwieriger sei, irgendwas zu lernen, wenn man über 30 ist. Ich denke: Häh? Spinnt der? Ich bin doch nicht blöder als so ein 17-Jähriger! Der kennt mich doch gar nicht. Ich habe Aquagymnastik gelernt und Snowboardfahren, Unterrichten, Lehrerinsein, mich in den Ferien zu erholen und was weiß ich noch. Ich werde doch wohl auch Autofahren lernen können, auch wenn ich in seinen Augen schon halbtot bin.

Ich habe mich noch gar nicht von dem Schock erholt, da beschreibt er schon das Fahrlehrer-Sortiment.

»… und dann haben wir noch einen älteren, der sehr geduldig, ruhig und einfühlsam ist.«

Ich denke: Pfff, mit dem Langweiler will ich aber nicht im Auto sitzen. Ich will einen jungen Typen.

»Genau. Also der ist wirklich sehr, sehr geduldig, und der wird sehr gerne von den älteren Fahrschülern genommen.«

Ich sage nichts mehr. Unterschreibe alles, was er mir über den Tisch schiebt. Na warte, dir werde ich es noch zeigen. Von wegen erwiesenermaßen. Du wirst schon sehen, wie schnell ich dieses Autofahren lernen werde. Aber ich werde auf keinen Fall sagen, dass ich Lehrerin bin. Eine Lehrerin über 30. Oh Gott. Ich kann mir schon vorstellen, was die dann denken. Nee, ich werde sagen, dass ich Rodeos reite und ein Hip-Hop-Label habe, bei dem ich selbst der große Star bin. Ach, ich werde gar nichts sagen. Ich gehe da einfach hin, lerne Auto fahren – fertig.

Meine Freundin Frau Dienstag ist eine begeisterte Autofahrerin. Sie hat ein eigenes Auto und fährt jeden Morgen damit zur Arbeit. Sie ist auch Lehrerin, und ihr Auto ist silbern. »Warum hast du eigentlich keinen Führerschein?«, fragt sie mich abends, nachdem ich ihr erzählt habe, dass ich mich bei der Fahrschule angemeldet habe. »Den brauchte man doch in Berlin nicht. Und in den Achtzigern war das auch gar nicht so angesagt, das Autofahren. Vielleicht erinnerst du dich daran.« Sie schüttelt den Kopf, als höre sie das zum ersten Mal. Sie kommt auch nicht aus Berlin. »Wegen der Umwelt und so. Und außerdem hatte ich immer einen Freund, der ein Auto oder ein Motorrad hatte.«

Sie grinst: »Ja, bis du den einzigen Mann ohne Führerschein kennengelernt hast.«

»Stimmt. Aber jetzt wird ja alles anders. Ich gehe am Sonntag zum Erste-Hilfe-Kurs und hab nächste Woche schon die erste Fahrstunde.«

»Du fährst, bevor du die Theorie hattest?«

»Ja.«

»Krass!«

Erste Hilfe (26,90 Euro)

»Wir können uns hier ja alle duzen, oder? Wir sind ja in der Freizeit hier.« Das Mädchen steht vor dem Whiteboard und strahlt uns an.

Freizeit. Nach Freizeit fühlt sich das ganz und gar nicht an. Wir sitzen in einem schlecht gelüfteten Raum im zweiten Stock eines Neubaus. Draußen regnet es. Der Stuhl ist unbequem, und ich trage ein Namensschild. Diese jungen Leute, die heute den Erste-Hilfe-Kurs mit uns machen sollen, lächeln alle und sprechen uns permanent mit unseren Vornamen an. Dafür die Namensschilder. Es ist Sonntagmorgen, und ich war die einzige Person auf der Straße. Die U-Bahn war auch leer. Wir sind ungefähr zwanzig Teilnehmer, und alle hängen müde auf ihren Stühlen. Die drei Kursleiter sind dagegen hellwach und aufgekratzt, als wäre das hier die geilste Party ihres Lebens.

»Wir machen erst mal zur Auflockerung ein Kennenlernspiel.« Eigentlich bin ich ein großer Freund von Kennenlernspielen. Aber nur, wenn ich sie durchführe und nicht mitmachen muss. Und was sage ich dann? Wie soll ich mich denn vorstellen? Ich sage auf keinen Fall Lehrerin, und auch mein Alter werde ich verschweigen. Ich sage, ich bin Fleischerin, Modedesignerin, Finanzbeamtin oder so was.

»Genau. Also sagt euren Namen und eure Hobbys, und dann stellt ihr euch gegenseitig vor. Verstanden?«

Puh, okay, ohne Beruf und Alter. Glück gehabt. Neben mir sitzt ein Junge mit Undercut. Er dreht sich schüchtern zu mir und sagt: »Dann machen wir also zusammen.« Ich grinse ihn an und nicke. »Und, Jonas, hast du schon eine Fahrstunde gehabt?«

»Nee, erst morgen.«

Die gutgelaunte Kursleiterin – sie sieht aus wie eine Achtklässlerin – stellt sich in die Mitte des Raumes: »Und? Fertig?«

»Ach so, was sind denn deine Hobbys, Jonas?«

»Fußball und Zeichnen. Und Ihre?«, fragt er. Und ›Ihre‹? Warum siezt der mich? Ich dachte, wir sind hier alle in der Freizeit und duzen uns so ganz locker. Egal. Wir sollen unsere Hobbys nennen. Oh Gott, Hobbys. The Walking Dead? Ist das ein Hobby? Rauchen? Soll ich jetzt mit dem Rodeo kommen? Was, wenn die dann nachfragen?

»Äh, Lesen und Verreisen.« Hab ich das wirklich gesagt? Lesen und Verreisen? Die lahmsten Hobbys, die man sich denken kann. Und sind wir doch mal ehrlich, eigentlich rauche ich doch viel mehr, als ich verreise, und ich gucke auf jeden Fall viel mehr Serien als in irgendwelche Bücher. Aber jetzt ist es zu spät. Da muss ich jetzt durch. Ich bin die mit den langweiligen Hobbys. Ich bin sicher, dass die drei Brüder hinter mir nicht ›Lesen‹ sagen. Vielleicht müssen wir das gar nicht laut sagen, denke ich noch, aber da zeigt das Kursleitungsmädchen schon auf die beiden jungen Frauen, die ganz links sitzen.

»Ja, also, das ist die Lena, sie ist 17 Jahre alt, und ihre Hobbys sind Hip-Hop-Tanzen und Mangas.«

Was soll das mit dem Alter? Das sollten wir doch gar nicht sagen.

»Und das ist die Sina-Marie, und sie ist auch 17, und ihre Hobbys sind Surfen und sich mit Freunden treffen.«

Mist, ich komme um das Alter nicht rum und beuge mich zu Jonas, um ihm noch schnell mein Alter mitzuteilen. »Ich bin übrigens Mitte vierzig.«

»Das hier ist Jonas. Er ist 17, und seine Hobbys sind Fußball und äh …« Mist, kann ich mir nicht mal zwei Sachen merken? War das jetzt auch Lesen? Oder Computerspiele? Jonas sieht aus wie Vincent aus meiner Klasse, und der spielt immer Computerspiele. Spielen die in dem Alter nicht alle immer nur Comp…

»Zeichnen«, flüstert Jonas.

»Ah ja, richtig. Seine Hobbys sind Fußball und Zeichnen.«

Als sich alle vorgestellt haben, ist klar, dass ich die Allerallerälteste im Raum bin. Selbst der Typ hinten rechts mit der Glatze ist noch wesentlich jünger als ich. Während ich noch im Kopf ausrechne, ob ich nun dreimal oder viermal älter bin als Lena und Sina-Marie, geht der Kurs auch schon los. Alles zum Helfen. Muss man helfen, wie hilft man, wer hilft, Strafgesetzbuch, Studien, brennendes Haus, Verkehrsunfall, und dann kommt irgendwann eine fünfminütige Pause und ich denke: Das überlebe ich nicht. Nicht sechs Stunden. Ich kann jetzt schon nicht mehr zuhören. Ich brauche mehr Action. Mit dem Gedanken gehe ich nach zwei Zigaretten – wenigstens kann ich schneller rauchen als diese Kinder hier – zurück in den Raum. Und weil ich mich so langweile, melde ich mich immer als Erste, wenn ein Freiwilliger gesucht wird. Ich ziehe Karten, ich springe auf und zeichne Punkte an das Whiteboard. Wenn Fragen gestellt werden, schreie ich die Antworten, ohne mich zu melden, sofort in den Raum. Ich bin das erste Opfer, an dem die stabile Seitenlage ausprobiert wird. Sobald die Matte ausgerollt ist und die Kursleiterin sagt: »Jetzt bräuchten wir einen Freiwilligen«, schmeiße ich mich schon nach dem »Jetzt« auf den Boden und rolle mich in eine möglichst authentische Verletztenposition. Als Verletzter liegt man ja nicht so ganz gerade und gemütlich wie im Bett, sondern mit ausgestreckten Armen und ein Bein eingeknickt über dem anderen oder ein Arm über dem Kopf und der andere angewinkelt über dem Bauch. Ich will hier nicht nur mitmachen – ich will auch alles besonders gut machen.

Ich presse der armen Little Anne mein ganzes Körpergewicht auf den Brustkorb, beatme sie mit solch einer Hingabe, dass ich selbst etwas überrascht bin, dass sie nicht aufsteht und sich bei mir bedankt. Ich bin voll dabei. Und jetzt mal ganz ehrlich – ich bin auch in allem voll gut. Mein Dreieckstuch ist definitiv besser als das von Hassan hinter mir. Drei Verletzte liegen auf dem Boden, und drei Ersthelfer knien neben ihnen.

»Okay, du findest einen Verletzten auf der Straße. Was machst du zuerst?«, fragt einer der Anleiter Eran, der neben mir hockt. »Äh, äh, also gucken, fragen …«

»Genau. Ansehen, ansprechen, anfassen … und dann?«

Eran überlegt. Oh Mann. Ansehen, ansprechen, anfassen, nach Hilfe rufen. Das ist doch nicht so schwer. Eran überlegt immer noch. Grinst. Ich flüstere: »112.« Dann sagt er erleichtert: »Ah ja. Angucken, reden, anfassen und Feuerwehr.« Hoffentlich wird Eran nie mein Ersthelfer.

Nach sechs Stunden bin ich nicht nur schlauer und total verschwitzt – Verkehrsopfer ohne Helm, Verunglückter mit Helm, Rettungsgriff an Hassan und Sina-Marie demonstriert … Nein, ich habe auch festgestellt, dass das überhaupt nicht stimmt, dass man mit über 30 so Schwierigkeiten hat, etwas zu lernen. Ich war definitiv besser als die 17-Jährigen.

1. Woche (222,80 Euro)

Heute habe ich meine allererste Fahrstunde. Ich bin aufgeregt und sehr gespannt auf den Fahrlehrer. Was soll ich denn anziehen? Der erste Eindruck ist doch wichtig. Na, mit Jeans, Kapuzenpulli und flachen Winterstiefeln kann man nichts falsch machen. Mit hochhackigen Schuhen soll man bestimmt nicht Auto fahren. Auf jeden Fall darf ich nicht so aussehen, als hätte ich mir zu viele Gedanken über mein Outfit gemacht. Ich lasse mal ein Hosenbein über dem einen Stiefel und zieh das andere runter. Das sieht dann sehr lässig und auf keinen Fall nach vielen Vorüberlegungen aus. Es ist wichtig, was der Fahrlehrer von mir hält. Schließlich sitze ich ja ab jetzt wochenlang mit dem im Auto.

Fünfzehn Jahre Lehrerin, und auf einmal bin ich Schülerin. »Wir nähern uns der Fahrertür immer von vorn. Warum? Damit wir den vorbeifahrenden Verkehr im Auge haben.«

Fahrlehrer Harald fragt gerne Sachen, die er sich dann selbst beantwortet. Bis wir im Auto sitzen, grinse und nicke ich eigentlich nur immer wieder und sage »Aha« und »Ach so«. Ich versuche, freundlich rüberzukommen und einen guten Eindruck zu machen. Harald ist wahrscheinlich so alt wie ich, sieht aber älter aus. Er trägt eine Antiklederjacke.

»Hast du schon mal darüber nachgedacht, den Führerschein nur für Automatik zu machen?«, fragt er.

»Nee, hab ich nicht und will ich auch nicht.«

»Na ja, schalten ist nicht zu unterschätzen«, sagt er, obwohl ich das Schalten gar nicht unterschätzt habe. Wie käme ich denn dazu? Aber ich will nicht nur Automatik. Haben Sie sich schon mal überlegt, nur den Hauptschulabschluss zu machen? Haben Sie sich mal überlegt, nur eine halbe Packung Zigaretten zu kaufen? Nee, ich will das ganz Normale. Ich will das, was alle haben. Ich will schalten. Aber bevor ich auch nur irgendetwas im Auto anfassen darf, wird mir jeder eingebaute Pups in dem Fahrzeug erklärt. Ich darf die Spiegel einstellen. »Du musst den Türgriff in der unteren rechten Ecke sehen können.« Ich drücke auf die Taste mit den Pfeilen. Der Spiegel dreht sich nach außen. Okay, rechts, das muss nahe am Auto sein. Alles andere macht keinen Sinn. Das sind jetzt Sachen, die ich nie mehr vergessen werde. »Du musst den Türgriff in der unteren rechten Ecke sehen können.« Von heute an werde ich alle Seitenspiegel in allen Autos, die ich noch fahren werde, so einstellen. Hoffentlich erzählt mir Harald keinen Scheiß. Er sagt auch, ich soll nicht auf den Rückspiegel fassen.

»Der Blinker.« Erklär, erklär, ich darf den Blinker anmachen. Links blinken, rechts blinken, links blinken, rechts blinken. Ich warte auf ein mich austricksendes links, links, aber das kommt nicht. »Das ist das Radio. So geht das aus und an, und die Sender …« Ich habe schon mal ein Radio gesehen. Sogar schon mal bedient. Sogar schon ein Autoradio bedient. Harald nimmt es mit der Einführung sehr genau. Wir sitzen eine Stunde nebeneinander, und er erklärt mir, wie Mercedes irgendwas gebaut hat, und im Gegensatz zu Opel sei es bei VW ja immer so oder so, und hier ist die Heizung, und da geht der Sitz nach vorne und nach hinten und nach unten und nach oben.

Harald muss das machen. Er muss mir alles erklären. Aber auch wenn ich keinen Führerschein habe – ein Auto habe ich schon mal gesehen. Auch schon in einem gesessen, und als er mir erklären will, wie ich mich anschnallen soll, da kann ich nicht anders und sage, dass ich mich schon mal angeschnallt habe, auch wenn der Stecker da auf der anderen Seite war. Anschnallen kann ich.

Und dann geht es los. Ich soll nur lenken. Wir gurken im Schritttempo durch die Gegend, und ich lenke. Enge Straße, Kopfsteinpflaster. Harald gibt Gas, und ich lenke. Geradeaus und nach links und nach rechts, und es geht eigentlich ganz gut. Ich streife kein parkendes Fahrzeug und fahre auch nicht in den Gegenverkehr. Verrückt, dass ich in einem richtigen Auto am Steuer sitze. Wenn mich jetzt Frau Dienstag sehen könnte. »Guck, guck, ich fahre!«

Nach zehn Minuten sind wir fertig. Harald parkt den Wagen. Wir steigen aus und rauchen. Ich finde, ich war okay für das erste Mal. Harald sagt erst mal nichts. Wir rauchen. Dann sagt er: »Na ja, war ja gar nicht so schlecht. Mal sehen, wie du dich beim Schalten anstellst. Auto fahren ist ja auch schwerer, als in einen Laden zu gehen und ein Buch zu kaufen.«

Ja, stimmt. Buch kaufen ist nicht so schwer. Er hat recht. Auto fahren ist bestimmt schwerer. Glaubt Harald, dass ich denke, ein Buch kaufen und Auto fahren sind gleich schwer? Denkt er, ich kaufe nur Bücher und mache sonst nichts? Er hat mich gar nicht gefragt, was ich mache, und wenn er gefragt hätte, dann hätte ich bestimmt nicht gesagt, dass ich den ganzen Tag Bücher kaufe.

Ich sage: »Stimmt. Auto fahren ist bestimmt schwerer.« Wir verabschieden uns, und ich gehe nach Hause. Es gibt viele Sachen, die schwerer sind als andere Sachen. Alleine um die Welt zu segeln ist zum Beispiel schwerer, als Wasser zu kochen, und ein Haus zu bauen ist schwerer, als einen Grießbrei zu machen. Aber was wollte er mir damit sagen? Dieser Harald ist irgendwie komisch.

Am Abend erzähle ich Frau Dienstag von Harald. Aber sie bedauert mich vor allem, weil ich zum Theorieunterricht muss. »Du Arme. Wie oft ist das denn?«

»Ich glaube, es sind insgesamt vierzehn Themen. Das geht immer drei Stunden.«

»Drei Stunden?! Auweia! Voll anstrengend. Das lange Sitzen, und dann ist es bestimmt total langweilig.« Sie ist sichtlich erschüttert. Das Mitleid tut gut. Zu dem ganzen Mitleid mischt sich allerdings auch ein bisschen Freude und Erleichterung darüber, dass sie nicht gezwungen wird, endlose Abende in diesem kargen Fahrschulraum zu verbringen. Diese Genugtuung will ich ihr aber nicht geben.

»Ach, mir macht das lange Sitzen gar nicht so viel aus. Und ich lerne da ja auch was. Wichtige Sachen, die ich zum Autofahren brauche.« Frau Dienstag macht eine wegwerfende Handbewegung. »Pfff, das ist alles richtig langweilig, und du vergisst das sowieso sofort wieder.«

»Meinst du?«

Sie nickt. Komisch, dass ich von einer Lehrerin bedauert werde, etwas lernen zu dürfen.

Am nächsten Abend ist es dann so weit. Ich denke: Ich sag nichts. Ich setze mich einfach nur hin und höre zu. Vielleicht schreibe ich ein bisschen mit, aber sagen werde ich nichts. Gar nichts. Es gibt immer Leute, die gar nichts sagen. Die kommen rein, setzen sich hin, sind dabei, und am Ende gehen sie wieder und haben gar nichts gesagt. Nicht ein Wort. Ich will auch so sein.

Mit dem festen Vorsatz, mich diesmal absolut zurückzuhalten, begebe ich mich in meine erste Theoriestunde. Ich nicke den Anwesenden zur Begrüßung zu. Ich werde nicht mal »Guten Abend« oder »Hallo« sagen. Von mir hören sie nichts! Ich werde eine von diesen stummen, undurchschaubaren Personen sein. Mit neutralem Gesichtsausdruck. Wo man nicht weiß – findet die das jetzt gut oder schlecht? Undurchschaubar, weil stumm und emotionslos. Emotionslos – ja!

Es fängt an. Wir sehen einen Film. Einen Film über Autos. Der Film ist länger als nötig. Der Fahrlehrer verschwindet im Hinterzimmer. Niemand sagt etwas. Ich beginne, mich zu langweilen. Ist kein Actionfilm, und lustig ist er auch nicht. Autofahrer werden interviewt, und jeder sagt, dass er ein guter Fahrer sei. Ich sehe mich um. Der Raum ist anregungsarm, ich gucke mir den Kalender an. Es ist so einer, bei dem man ein kleines Kästchen über die Zahlen schieben kann, um den Tag einzustellen. Das Datum stimmt nicht. Heute ist zwar Oktober, aber nicht der zweiundzwanzigste, sondern der vierundzwanzigste.

Dann kommt der Fahrlehrer wieder. Er sitzt vor uns und erzählt uns etwas über Alkohol, Drogen, Handys, Vollkasko, Teilkasko, Insassenversicherungen und Schutzbriefe, und dann fragt er, was man tut, wenn man zu müde wird beim Fahren.

Ich sag nichts! Ich werde nichts sagen. Er fragt noch mal. Niemand meldet sich. Ich werde mich weder melden noch was sagen. Und dann höre ich mich plötzlich sagen: »Na, auf keinen Fall Kaffee trinken!« Es ist einfach so aus mir herausgeplatzt. Ich wollte das gar nicht sagen. Ich wollte doch unauffällig meine Zeit absitzen.

Der Fahrlehrer grinst. Ich meine – Kaffee, ist doch klar. Jeder trinkt Kaffee, wenn er müde ist, aber hier wird Kaffee nicht akzeptiert. Und dann nickt der Fahrlehrer, und wir erhalten einen kurzen Vortrag darüber, dass Kaffee eben nicht wach macht. So ein Quatsch. Kaffee macht wach. Aber Kaffee ist böse. Tee auch und Energy-Drinks ebenfalls. Von Zigaretten wollen wir gar nicht erst anfangen.

Und ab da kann ich mich nicht mehr zurückhalten. Jeden Satz muss ich kommentieren. Überall meine schlechten Witze beisteuern. Wenn ich was höre, dann sucht mein Hirn einen passenden Witz zu dem Satz, und auch wenn ich das nicht will, sage ich den dann. Das ist wie kotzen. Man denkt noch: Nein, nein, und schon ist es passiert.

Die erste Theoriestunde, und Oma ist schon jetzt der Klassenclown. Na toll. Um meinen Witzemachdrang ein bisschen zu kontrollieren, habe ich angefangen mitzuschreiben. Das ging dann. Aber nur kurz. Die Pausen waren ganz schlimm. Ich werde mich nächstes Mal einfach nicht zu den anderen stellen.

Ich war total der Schüler. Mit all seinen negativen Eigenschaften. Unkonzentriert, habe ständig auf mein Handy geguckt, mich nicht gemeldet, wenn ich was sagen wollte, mit meinem Nachbarn geflüstert, und ich bin sicher, das nächste Mal komme ich bestimmt zu spät und bekritzele die Tische. Oh Gott.

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