Männer al dente - Michael Frey Dodillet - E-Book

Männer al dente E-Book

Michael Frey Dodillet

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Beschreibung

Das Leben ist manchmal ein Arsch

Die vier Freunde Alain, Rudi, Markus und Thomas sind sich einig: Wenn man die fünfzig überschritten hat, lässt man es ruhiger angehen. Leider haben sie die Rechnung ohne das Leben gemacht. Das kocht auch den härtesten Kerl weich! Seine halbwüchsigen Zwillinge treiben Alain zur Verzweiflung. Da kommt es wie gerufen, dass Freund Rudi in der Toskana eine alte Scheune renoviert. Ab ins »Bootcamp« mit den beiden, damit Rudi sie mal ordentlich erdet! Das geht so lange gut, bis Rudis Freundin Grazia aus heiterem Himmel zusammenklappt und er um das Leben seiner großen Liebe bangt. Klarer Fall, der Mann braucht Hilfe. Die Toskanamänner sind wieder unterwegs – und das Chaos reist mit.

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Seitenzahl: 561

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ZUM BUCH

Die vier Freunde Alain, Rudi, Markus und Thomas sind sich einig: Wenn man die fünfzig überschritten hat, lässt man es ruhiger angehen. Leider haben sie die Rechnung ohne das Leben gemacht. Das kocht auch den härtesten Kerl weich! Seine halbwüchsigen Zwillinge treiben Alain zur Verzweiflung. Da kommt es wie gerufen, dass Freund Rudi in der Toskana eine alte Scheune renoviert. Ab ins »Bootcamp« mit den beiden, damit Rudi sie mal ordentlich erdet! Das geht so lange gut, bis Rudis Freundin Grazia aus heiterem Himmel zusammenklappt und er um das Leben seiner großen Liebe bangt. Klarer Fall, der Mann braucht Hilfe. Die Toskanamänner sind wieder unterwegs – und das Chaos reist mit.

ZUM AUTOR

Michael Frey Dodillet, geboren 1961 in Singen am Hohentwiel, ist seit Abschluss seines Studiums der Betriebswirtschaftslehre für diverse Agenturen in Düsseldorf, Hamburg, München und in der Schweiz als Werbetexter tätig. Mit seiner Frau, drei Kindern, Schäferhundrottweilerin Luna und Terriermünstigemisch Wiki lebt er in Erkrath bei Düsseldorf. Zum Haushalt gehören noch zwei Schafe, Wühlmäuse in den Rabatten und ein nicht erwünschter Steinmarder unterm Dach. 2011 erschien sein Bestseller Herrchenjahre, 2012 Herrchen will nur spielen und danach der SPIEGEL-Bestseller Herrchenglück. Männer al dente ist sein zweiter Roman.

LIEFERBARE TITEL

Die Toskanamänner

MICHAEL FREY DODILLET

MÄNNER

AL DENTE

ROMAN

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Für den Abdruck von Passagen aus Edward Albee, »Wer hat Angst

vor Virginia Woolf?« Aus dem Englischen von Pinkas Braun,

Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2009,

S. 13 und 139 und aus Rainer Maria Rilke, »Der Panther«,

aus: Werke Band 1–2, Insel Verlag, Frankfurt a. M. 1984,

S. 261 danken Autor und Verlag den oben genannten Rechtegebern.

Originalausgabe 06/2015

Copyright © 2015 Michael Frey Dodillet

Copyright © 2015 dieser Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion: Judith Schwaab

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik Design, München,

unter Verwendung von bigstock und E+/GettyImages

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN 978-3-641-16153-8

www.heyne.de

»Wenn dir das Leben in die Fresse haut,

mach Blutwurst draus!«

RUDI

INGREDIENTI

106 996  Wörter

    8 253  Reisekilometer (Flieger, Bahn, Bulli)

      456  Quadratmeter Scheunenwand

      179  Flaschen Rosso (Ladeneröffnung eingerechnet)

32 Songs

9 Kapitel

8 Tortellinis

5 Portionen Lasagne al porno

4 Männer

3 blaue Daumen

INHALT

MOOOF IST KEINE FARBE

DIE MUTTER ALLER MÜTTER

LASAGNE AL PORNO

KARMA IS A BITCH

ROMYBOMY

OTTO VS. BENZ

BÄUME UMARMEN AUF DER SS42

PUTENTUNTENALARM

DIE STUNDE DES HEUWENDERS

MOMENT! WAS HEISST HIER ALTERSMILDE?

JAKOBS UND RUDIS MUSIC BATTLES

MOOOF IST KEINE FARBE

Eine satte Sommersonne lag über dem Chianti und tauchte die toskanischen Hügel in flimmernde Hitze. Eine Schmeißfliege brummte in Windschutzscheibenhöhe die holprige Landstraße entlang, die von Fioraie nach Castellina führte. Als die Fliege den würzigen Zypressenduft wahrnahm, bog sie zuversichtlich nach links ab.

Die Zypressenallee beschattete einen staubigen Feldweg, der nach wenigen hundert Metern auf dem Hof eines bescheidenen Landguts endete. Links das verwinkelte Haupthaus, rechts die große Scheune, geradeaus die alten umgebauten Stallungen, in denen es schwach nach dem Öl gepresster Oliven roch. Dahinter zogen sich Olivenbäume den Hügel hinunter bis zum Bauernhof des Nachbarn.

Die fette Fliege wich geschickt einem Sperling aus, der mit offenem Schnabel Löcher in die Luft hackte. Mit grenzdebilem Geflügel wie diesem wurde sie locker fertig. Immerhin hatte sie auf ihrem Flug bereits die Kühler dreier klappriger Lieferwagen überlebt, außerdem die Stoßstange eines schlingernden Fiat Cinquecento und zwei krakeelende Piaggio-Dreiräder. Ape hießen diese Dinger hier – Biene! Ausgerechnet. Dieser infernalische Krach hatte doch mit Summen nichts zu tun. Wenigstens hörte man sie schon von Weitem.

Der Duft des herben Zypressenharzes verband sich mit einem feuchten Olivenölgeruch. Klatschmohn und Kornblumen mischten sich ein, kräftiger, süßer Ginster, wilder Thymian und Rosmarin. Aber da war noch etwas anderes, Animalisches, außerordentlich Leckeres. Als ob altes Fleisch in der Sonne briete. Das war zu schön, um wahr zu sein.

Gierig schwirrte die Fliege zum Haupthaus hinüber. Das Aroma wurde immer intensiver. Etwas Blechernes blitzte in der Sonne. Tatsächlich, Fleischbrocken! Der schwere Hautgout traumhaft großer, verwesender Fleischbrocken. Sie wurde beinahe ohnmächtig vor Glück.

Das Letzte, was sie in ihrem Leben hörte, war das martialische Klacken von zweiundvierzig schneeweißen Zähnen. Dann wurde es schwarz.

Otto schluckte den knusprigen Minibissen hinunter und leckte sich genießerisch die Lefzen. Das fehlte noch, dass sich so eine blauschillernde, dicke Sau in seinen Futternapf setzte und ihm die Hühnerleber vor der Gärung wegfraß.

Mehr Bewegung war in der Hitze nicht möglich. Otto bettete seinen Quadratschädel wieder auf die Vorderpfoten und blinzelte unbeeindruckt zur Scheune hinüber, aus deren geöffnetem Tor laute Stimmen drangen.

»Wie jetzt – Mooof?«

»Ja, Mauve halt.«

»Mooof ist keine Farbe!«

»Doch, Rudi, Mauve ist ein angenehmes, malvenfarbenes Lila.«

»In der Provence vielleicht. Aber nicht hier. Ich verputze die Wand eines toskanischen Hofladens mitten im Chianti jedenfalls nicht lila.«

»Ich will ja auch keinen lila Putz von dir, sondern mauvefarbenen Tadelakt.«

»Claudia! Claudia, hör mir zu! Du bist die älteste Freundin meines Freundes Alain. Ich bin sehr froh, dass er letztes Jahr die Nerven verloren hat und zu dir geflüchtet ist. Denn auf der Suche nach ihm bin ich hier in dieser wunderbaren Gegend gelandet und Grazia begegnet. Ich bin verliebt wie noch nie in meinem Leben. Im zarten Alter von zweiundfünfzig Jahren! Ich danke also jeden Tag dem Schicksal auf Knien, dass es das Chianti und dich und deine Ölmühle gibt. Aber Mooof in der Toskana …? NIE … MALS!«

»Das ist mein Hofladen, Rudi!«

»Das mag ja sein, aber …«

»Mein Hof! Mein Mauve!«

»Mein Kalk! Meine Farbpigmente!«

»Ah, wie kann man nur so stur sein!«

Claudia stürmte in die heiße Mittagssonne hinaus. Sie blies sich ein paarmal vergeblich die Haare aus der verschwitzten Stirn. Als das nichts half, wischte sie die Strähne energisch beiseite. Diese Hitze war einfach nicht das ideale Wetter für eine Debatte. Schon gar nicht, wenn es um die Farben ihres neuen Hofladens ging. Claudia zupfte an ihrem Kleid, das mittlerweile an Bauch und Brüsten klebte wie eine zweite Haut.

»Ihr seid still!«, fauchte sie den verblüfften Otto an. Dabei hatte der keinen Mucks von sich gegeben. Der kleine Tortellini Acht, der neben Otto döste, zuckte erschrocken zusammen. »Und fresst verdammt noch mal endlich euer Zeugs auf. Es stinkt zum Himmel.«

In der Küche war es angenehm kühl. Claudia goss sich ein Glas eiskalten Wassers ein und hielt es an ihre Schläfe. So langsam wurde es besser. Sie musste lachen. Rudi und sie, ausgerechnet. Zwei Choleriker auf einer Baustelle. Seit Claudia im letzten Sommer beschlossen hatte, direkt neben ihrer kleinen Ölmühle wieder einen Hofladen zu betreiben und dafür die große Scheune umzubauen, hatte Rudi einen traumhaft guten Job gemacht. Unter seinen Zauberhänden waren terrakottarote, mittelmeerblaue und olivgrüne Wände aus schimmerndem Tadelakt entstanden, jenem marokkanischen Kalkputz, auf den Rudi sich spezialisiert hatte. Wenn er die frisch verputzten Mauern mit flüssiger Olivenölseife bestrich und behutsam mit dem Rauchquarz glatt polierte, konnte man zusehen, wie die Farben von Minute zu Minute leuchtender und die Oberflächen seidiger wurden. So merkwürdig es auch klang, aber es hatte etwas ungemein Beruhigendes, dem rastlosen Rudi beim Arbeiten zuzusehen. Ganz oft hatte sie einfach nur still danebengesessen, einen der kleinen Tortellinis auf dem Schoß gehalten und Rudi beobachtet. Oder sie hatten über Gott und die Welt gesprochen, über Himmel und Hölle gestritten oder über Claudias versalzene Antipasti vom Vorabend.

Im September würde sie ihren kleinen Laden eröffnen. Claudia freute sich unbändig darauf. Das Beste daran war: Rudi hielt tatsächlich den Termin ein! Pünktlichkeit war ein Phänomen, das sie von Handwerkern nicht kannte. Weder von italienischen Meistern, denen grundsätzlich etwas Dramatisches dazwischenkam, das mit großen Gefühlen oder dem drohenden Weltuntergang zu tun hatte, noch von deutschen, die ihre Disziplinlosigkeit erst gar nicht begründeten, weil Claudia eine Frau war und in ihren Augen Frauen vom Bauen sowieso nichts verstanden. Rudi hatte sich damals alles ganz genau angesehen und gesagt, nein, bis August könne er das nicht schaffen, aber bis Ende September sei es machbar. Wenn Rudi einem etwas in die Hand versprach, hielt er es auch. Dann konnte ihn nur noch das eigene Ableben daran hindern.

Claudia hob den Deckel des großen Topfes und schnupperte. In der aromatischen Brühe brodelten neben Zwiebeln, weißen Bohnen, Kohl und Kartoffeln alle Gemüsereste, die sie noch im Haus gehabt hatte. Ribollita hieß dieser toskanische Eintopf. Sie brockte das harte Weißbrot vom Vortag hinein, um die Suppe sämiger zu machen.

Vielleicht bin ich doch zu hart zu Rudi gewesen, dachte sie. Ich hätte ihn mit umgänglicheren Worten bestimmt ganz schnell von meinen eigenen Farbvorstellungen überzeugen können. Rudi wurde nur bockiger, je mehr man ihn anraunzte. Es störte ihn nicht im Geringsten, dass sie die Kundin war und er der Handwerker. König Kunde sei Blödsinn, hatte er dieses Frühjahr einmal erklärt, sie lebten schließlich nicht mehr in einer Monarchie. Hier auf dieser Baustelle treffe demzufolge nicht Königin auf Hofnarr, sondern Amateurin auf Profi. Damit sei ja wohl klar wie Kloßbrühe, wer das Sagen hatte. Daraufhin hatte Claudia ihm kurzerhand einen Scheck ausgestellt und ihn mitsamt seinen Pigmenten und dem zeternden Otto vom Hof geschmissen. Nur um drei Wochen später kleinlaut in Düsseldorf anzurufen und Rudi inständig zu bitten, an ihrer Scheune weiterzuarbeiten.

»Die Farben überlässt du mir?«, hatte er gefragt.

»Ja«, hatte sie gesagt. »Bis auf …«

»Alle Farben!«

»Ja … nein … also gut.«

»Ich bin der König?«

»Du bist ein Arsch.«

»Passt es ab übernächster Woche?«

»Danke dir.«

»Du weißt, dass es sehr schön werden wird.«

»Ich weiß es, Rudi.«

Ich bin einfach keine Gesellschaft mehr auf dem Hof gewöhnt, das ist das eigentliche Problem, dachte sie. Wer so allein lebte wie sie, störte zwar keinen mit seinen Spleens, aber es fehlte eben auch das direkte Gegenüber, das ein bisschen aufpasste, dass man die Erdung nicht verlor. Ein Mensch, der gelegentlich den Kopf schüttelte und den Zeigefinger in die Stirn bohrte. Enzo, ihr Mann, hatte diese Rolle vorbildlich gespielt.

»Höre mal, gehtese noch oder hacktese?«, hatte er sie immer in seinem lustigen Deutsch gefragt, wenn sie wieder einen ihrer egozentrischen Anfälle hatte und partout mit dem Kopf durch die Wand wollte. Aber Enzo war nicht da. Seit neun Jahren nicht mehr. Eben noch hatte er Claudias Hand auf sein Herz gelegt und geschworen, dass darin nichts, nichts, nichts sei außer ihr. Keine zwölf Stunden später hatte sich die Lenksäule seines Lieferwagens mitten hindurch gebohrt. Nur weil der Fahrer des dreißig Tonnen schweren Kieslasters auf die falsche Straßenseite geraten war. Nur weil der Fahrer die SMS seiner kleinen Tochter lesen musste. Nur weil das Mädchen wissen wollte, wann er nach Hause käme. Eine kurze Abfolge von Nurweils, an deren Ende Enzo tot war und Claudias Leben zerrissen.

»Mein Hof, mein Mauve«, murmelte Claudia und rührte vorsichtig die Ribollita um. »Das ist doch ein Knallerargument, Rudi! Da kann man doch nicht Nein sagen, wenn man noch einigermaßen klar bei Verstand ist.«

»Mein Hof, mein Mauve«, summte sie. »Mein Hof, mein Mauve.«

Sie drehte die Pfeffermühle im Takt ihrer Worte. Die gemahlenen Körner fielen in die blubbernde Suppe. Claudia drückte sie mit dem Kochlöffel energisch unter die Oberfläche.

Rudi macht mir im Leben kein Lila, dachte sie. Dieser alte Sturkopf!

Im Grunde ist jede Farbe toll, die unter seinen kundigen Händen entsteht.

Trotzdem!!

Claudia öffnete das Küchenfenster und schrie über den Hof: »MOOOOOOOOOF, DU DICKSCHÄDEL!Oder du kannst deine Ribollita heute Abend vergessen!«

»MOOOOOOOOOF, DU DICKSCHÄDEL!«

Rudi grinste. Mauve! Ausgerechnet die Wand hinter der Kasse! Die Wand, die Claudias Kundschaft als Allererstes sah, wenn sie den Laden betrat. Die Frau hatte vielleicht Nerven.

Er schnappte sich den Kanister mit der Olivenseife und verzog sich in den hinteren Teil des Ladens. Dort, wo später die Rotweine lagern sollten, schimmerte der Tadelakt in einem satten, tiefen Rot. Das war eine Farbe, die in die Toskana gehörte. Rudi bestrich einen Teil der Wand mit Seife und begann, den Putz mit einem Stein zu verdichten. Er atmete tief durch. Das war seine Welt. Dass er hier stand, mitten in der Toskana, und tun durfte, was er am liebsten tat und am besten konnte, kam ihm wie ein Geschenk vor. Daran hätte er im Traum nicht gedacht, als er letztes Jahr mit seinen Freunden zum ersten Mal in diese Gegend gekommen war.

Was für ein Durcheinander war das gewesen! In einem Anfall von Das kann doch nicht alles gewesen sein hatte Alain seine Familie und den mittwöchlichen Schnitzelstammtisch im Stich gelassen und war Hals über Kopf zu seiner alten Jugendliebe Claudia in die Toskana gefahren. Mit fünfzig hatte sich der Mann aufgeführt, als wäre er gerade fünfzehn geworden! Zu dritt waren sie hinterher gereist, um ihren verwirrten Freund rauszuhauen. Sie hatten nicht den Hauch einer Ahnung gehabt, wo genau er sich herumtrieb.

»Wir sind im typischen Midlife-Crisis-Alter«, hatte der unverheiratete Rudi damals zu seinen Freunden gesagt. »Da kann es durchaus vorkommen, dass wir neben Blondinen in Lamborghinis sitzen und alberne Mützen aufhaben. Aber doch nicht neben fünfzigjährigen Frauen im … im … was weiß denn ich …? Im Opel Astra!? Was soll denn das für eine Krise sein? Das ist doch ein Witz.«

Irgendwann nach drei Wochen hatten sie Alain endlich gefunden und ihre alte Klassenkameradin Claudia mit dazu. Da wurde ihnen allen schlagartig klar, warum es Alain so aus der Bahn geworfen hatte. Wegen so einer Frau ließ man junges Gemüse locker links liegen. Und Lamborghinis erst recht.

Irgendwann im Laufe dieses chaotischen Sommers hatte Claudia Rudi gebeten, die alte Scheune ihrer toskanischen Ölmühle in einen schmucken Hofladen zu verwandeln. Wie üblich konnte Rudi nicht Nein sagen. Genau genommen hätte Rudi schon gekonnt, aber sein Konto nicht. So pendelte er seit September in regelmäßigen Abständen zwischen Düsseldorf und Castellina hin und her, um in aller Seelenruhe eine italienische Bruchbude zu restaurieren. In seinem klapprigen Sprinter hatte er alles, was er zum Leben brauchte: Werkzeug, Material, Schlafsack, Musik – und Otto.

Otto war eine struppige Mischung aus mindestens drei Terriersorten, die Rudi vor ein paar Jahren an einer Autobahnraststätte in der Nähe von Karlsruhe zugelaufen war. Otto war dort an ein Picknicktischchen geknotet und seinem Schicksal überlassen worden. So gesehen war eigentlich Rudi Otto zugelaufen. Aufgrund seiner schweren Kindheit hatte Otto so viele Macken, dass zwei Hände nicht ausreichten, um sie alle aufzuzählen. Allerdings wusste er diese anfangs sehr geschickt zu verbergen. Zumindest so lange, bis er sich in Rudis Herz gemogelt und dort nach Terrierart festgebissen hatte. Als es Rudi schließlich dämmerte, was für ein Früchtchen er sich angelacht hatte, war es zu spät, um Otto wieder an den Picknicktisch zu binden.

In Castellina fühlten sich die beiden mehr und mehr zu Hause. Otto griff leidenschaftlich alle Männer und Frauen an, die schwarze Hosen trugen, Rudi versah Woche für Woche Wand für Wand mit marokkanischem Marmorputz, und jedes Mal, wenn Grazia den Hof von Claudias Ölmühle betrat und Rrrudi rief, schlug ihm das Herz bis zum Hals.

Er fand, es war die beste Zeit seines Lebens.

Rudi legte den Polierstein beiseite und trat in die heiße Julisonne hinaus. Im Schatten der alten Olivenbäume balgten sich Otto und Tortellini Acht um eine alte, ausgetrocknete Wurzel. Die scharfen Zähnchen raspelten an den entgegengesetzten Enden um die Wette, Holzspäne flogen nach allen Seiten. Beide Hunde knurrten und fauchten, als gälte es, das gesamte römische Reich von germanischen Invasoren zu befreien.

Terrier können einfach nicht leise spielen, dachte Rudi. Immer sofort auf hundertachtzig, immer die ganz große Fresse. Er mochte das. Als einigermaßen sozialisierter Mensch hatte man ja immer auf die Befindlichkeiten seiner Mitbürger Rücksicht zu nehmen. Diplomatisch musste man sein, möglichst höflich sollte man bleiben. Am schlimmsten war es, wenn man einem Arschloch gegenübersaß und verpflichtet war, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Otto hielt sich mit solchen Konventionen gar nicht erst auf. Wen er mochte, dem sprang er auf den Schoß. Alle anderen, egal ob Vierbeiner oder Zweibeiner, bekamen ungefragt eine aufs Maul. Das war nichts Persönliches. Otto schätzte klare Verhältnisse. Sollten diese nicht vorhanden sein, so schuf er sie. Aus nichtigstem Anlass ging Otto in die Luft wie ein zwanzigpfündiger Chinakracher. Danach wussten die anderen, woran sie waren, und Otto hatte für alle Zeiten seine Ruhe.

Rudi ging zum Brunnen und pumpte sich kaltes Wasser über den Kopf. Er füllte die Wassernäpfe der Hunde. Wenigstens hatten sie die Hühnerleber gefressen, die schon seit gestern Abend in der großen Blechschüssel gammelte, aus der die beiden einträchtig fraßen. Dem Gestank nach zu urteilen, hätte es nicht mehr lange gedauert, und die Innereien hätten sich von selbst in Bewegung gesetzt.

»Macht mal Platz, ihr Ottos!«

Rudi ließ sich bei den Hunden im Schatten nieder und lehnte seinen müden Rücken an den Olivenbaum. Tortellini Acht stupste schwanzwedelnd die feuchte Nase in Rudis Halsbeuge und kroch beinahe in ihn hinein. Rudi hievte den kleinen Hund auf den Schoß und kraulte ihn hinter den Ohren. Wenn Otto nicht gerade zubiss, war er Weltmeister im Einschleimen. Es sah ganz danach aus, als hätte er Tortellini Acht perfekt in dieser Disziplin unterwiesen.

Rrrudi.

Noch nie war sein Name so gegurrt worden. Er wusste noch genau, wann er es zum ersten Mal gehört hatte. Vor einem Jahr in der Birreria in dem kleinen Dorf unterhalb des Monte Amiata. Die drei Freunde waren gerade angekommen und wollten den ganz großen Schlachtplan schmieden, um Alain zu finden. Die Stühle standen direkt an der Dorfstraße. Die Sonne schien auf die Tische. Die Luft war warm, das Bier eiskalt. Die Bedienung hieß Grazia und servierte ihnen Runde um Runde. Jedes Mal war ein kleiner Gruß aus der Küche dabei. Grazias Papa stand in seiner Birreria hinter dem Herd und zauberte singend vor sich hin. Schwarze Oliven, scharfe Salami, klitzekleine Margheritas, knuspriges Rosmaringebäck, gesalzene Macademianüsse, mit Parmesan bestreute Blätterteigstangen.

Irgendwann wollte Grazia ihre Namen wissen.

»Rudi«, sagte Rudi.

»Rrrudi«, nickte Grazia.

Seine Freunde zogen die Augenbrauen hoch und begannen augenblicklich zu philosophieren, ob drei R’s ein Leben verändern konnten oder nicht. Als sie richtig in Fahrt waren, schlugen sie alle Warrrnungen in den Wind und nahmen sich vor, so lange eine Rrrunde nach der anderen zu bestellen, bis die Snacks, die Grazia mit den Getränken brachte, sich wiederholten.

Die wiederholten sich aber nicht!

Der Heimweg war als eines der denkwürdigsten Ereignisse des Jahrzehnts in die Annalen des Schnitzelstammtisches eingegangen. Mit letzter Kraft schleppte Rudi, der halbwegs nüchtern geblieben war, seine Freunde die steile Dorfstraße zu dem Turmhäuschen hinauf, das oberhalb des Dorfes am Berg lag und ihnen drei Wochen lang als Hauptquartier gedient hatte. Alle Straßenlaternen waren ausgefallen. Die Schlaglöcher lagen im Dunkeln und warteten tückisch auf Knöchel, die sie knicken, und Bänder, die sie anreißen konnten. Nachdem sie die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, ergab sich einer der torkelnden Herren der Schwerkraft, stolperte den Hügel wieder hinunter und musste von Rudi eingefangen werden. Derweil hatte der andere, den Rudi umsichtig an den Mater-Dolorosa-Schaukasten gelehnt hatte, plötzlich Marienerscheinungen und wollte unbedingt Unserer lieben Frau von den sieben Schmerrrzen ein Ständchen bringen. Es grenzte an ein Wunder, dass irgendwann alle gemeinsam beim Haus ankamen und unversehrt in die Betten fielen.

Einige Tage danach hatte Grazia ihnen geholfen, eine Werkstatt für Markus’ kaputten roten VW-Bulli zu organisieren. Bei dieser Gelegenheit hatte sie ein zweites Mal Rrrudi gesagt – und wenig später beim Salatschnippeln in der Turmhäuschenküche ein drittes Mal. Seither gehörte Rrrudi zu Rudis Leben wie Otto und der Marmorputz.

Rudi schubste Tortellini Acht von seinem Schoß und erhob sich. Mindestens fünfzig musste man also werden, um die Liebe seines Lebens zu treffen, dachte er. Unvorstellbar, dass es jemals eine Zeit ohne Grazia gegeben hatte. Ohne ihr Rrrudi. Ohne ihr helles Lachen und die kleine, geballte Faust, die ihn immer auf den Oberarm boxte. Ohne ihr glückliches Flüstern, wenn der Mond auf das Kissen schien, und ohne diese blitzenden Augen, wenn sie Rudi die Leviten las. Als Tochter eines italienischen Wirts und einer deutschen Mama war Grazia in der Lage, fulminante Wutausbrüche in ganz ausgezeichnetem Deutsch hinzulegen.

Grazia müsste jeden Moment mit den Zwillingen im Schlepptau auftauchen, dachte Rudi. Er ging in die Scheune zurück und arbeitete weiter an der roten Wand. Bis zum Abend würde er damit fertig werden. Dann wären alle Arbeiten bis auf den Eingangsbereich erledigt. Den hatte er sich für die gemeinsame Arbeit mit den Zwillingen aufgehoben. Jetzt, wo ihre Ankunft so kurz bevorstand, wurde es Rudi doch mulmig. Bootcamp bei Rudi in der Toskana! Welcher Teufel hatte ihn da bloß geritten? Vielleicht hätte er sich vor sechs Wochen im Fass doch nicht so weit aus dem Fenster lehnen sollen.

Er entdeckte einen kleinen Fleck im roten Tadelakt, der nicht in Ordnung war, und griff zu Olivenseife und Polierstein. Rudi vergaß die Zeit. Er tauchte erst wieder aus seiner Versenkung auf, als er Reifen im Kies knirschen hörte. Eine Autotür wurde ins Schloss geworfen. Schritte näherten sich der Scheune. Grazia bog um die Ecke. Sie strahlte ihn an.

»So, Rrrudi. Bin ich wieder da.«

»Alleine?« Rudi zog die Augenbrauen hoch.

»Aber nein. Wie kommst du darauf?«

»Dann hast du sie also gefunden?«

»Ja. An der Bushaltestelle in Castellina haben sie schon gewartet. Sie waren pünktlich, wie sie gesagt haben.«

»Pünktlich ist gut. Die Torfnasen sollten vorgestern schon da sein.«

»Torf …?«

»Armleuchter. Hirnis. Spinner. Verrückte. Torfnasen halt.«

»Sei nicht so streng, Rrrudi. Es ist den beiden halt etwas dazwischengekommen in Firenze.«

»Ja, das hatten sie geschrieben. Aber sauer bin ich trotzdem.«

»Ich weiß, du hast dir Sorgen gemacht. Aber jetzt sind sie da, und es ist erst einmal alles gut.«

Sie küsste Rudi und strich ihm die Haare aus der Stirn.

Rudi atmete tief durch.

»Und?«, fragte er.

»Was und?«

»Wie sind sie so?«

»Wie sollen sie sein? Es sind junge Leute.«

»Ja schon. Aber wie sehen sie aus?«

»Weiß nicht. Normal?«

»Piercing vielleicht? Lederklamotten. Doc Martens.«

»Geh gucken, Rrrudi. Sie stehen im Hof.«

Die Kneipentür des Fass stand weit offen. Lärm und Musik drangen nach draußen in die Stadthitze Düsseldorfs. Am Rauchertischchen lehnten drei Trinker, denen nicht nur die hohen Temperaturen zu schaffen machten. Vermutlich lag es an zahlreichen zum Alt gereichten Kurzen, dass sich zwei von ihnen an der Tischkante festhalten mussten, um nicht rückwärts in den Rinnstein zu kippen.

Alain kam wie üblich eine halbe Stunde zu spät. In dieser Stadt einen Parkplatz zu finden war ähnlich unmöglich wie einen Sechser im Lotto zu tippen. Vor allem abends um halb neun, wenn alle Anwohner zu Hause waren und jeden Winkel ihrer Straßen mit Autos und Motorrädern zugestellt hatten. Der Grund für seine Verspätung war dieses Mal allerdings nicht die Parkplatzsuche oder seine völlig beamtenuntypische, notorische Trödelei, sondern die Kinder. Mal wieder!

Die Zwillinge Jana und Jakob hatten heute in der Schule den Bogen mächtig überspannt und ihnen gleich drei Elterngespräche auf einmal eingebrockt. Der mit einem Meter neunundfünfzig nicht gerade sehr stattliche Musikpädagoge wünschte umgehend einen Austausch zum Thema: Darf Jakob Was willst du von mir, kleiner Mann zu seinem Lehrer sagen? Jana hatte ihrer erschütterten Handarbeitslehrerin die Wolle vor die Nase geknallt und hinzugefügt, sie wüsste von Schafen, die sie locker austricksen würden, sie habe schon Pullover mit einem höheren IQ gehabt. Hinterher hatte sie behauptet, sie hätte überhaupt nicht die Lehrerin gemeint, sondern mit ihrer Freundin über den Film Ein Fisch namens Wanda gesprochen und daraus einen ihrer Lieblingssätze zitiert, den mit den Schafen eben, den Jamie Lee Curtis Kevin Kline an den Kopf wirft.

Während Alain und Heike am frühen Abend zwischen Tür und Angel in ihren Kalendern geblättert hatten, um zwei Termine für die empörten Lehrkräfte zu finden, klingelte das Telefon, und Frau Stender, die Klassenbetreuerin der Zehnten, meldete dringenden Gesprächsbedarf an. Sechzehnjährige liefen ja öfter mal neben der Spur, schnatterte sie, aber bei Jana und Jakob sei es derzeit extrem. Ob denn zu Hause alles in Ordnung sei, sie würde derlei Verhalten eigentlich nur von frischgebackenen Scheidungskindern kennen? Jedenfalls müsse man noch in dieser Woche wirklich miteinander sprechen, es drohe eine Klassenkonferenz. Kurz bevor Heike der Frau durchs Telefon ins Gesicht sprang, hatte Alain ihr den Hörer aus der Hand genommen und Frau Stender mit aller Geschmeidigkeit, zu der er noch fähig war, auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet. Er hätte ihr alles versprochen, damit sie nur endlich die Klappe hielt und er seinen Schnitzelmittwoch im Fass nicht verpasste.

»Langsam kann ich nicht mehr«, sagte Heike, als Alain aufgelegt hatte.

»Es ist nicht schlimmer als sonst.«

»Doch, ist es.«

»Jakob konnte mit Musik noch nie etwas anfangen, und Jana ging die Strickliesel schon in der ersten Klasse auf den Zeiger.«

»Ja, aber mittlerweile sind sie beinahe sechzehn, und ich stelle fest, dass keiner meine Kinder mag. Das tut weh.«

Alain nahm Heike in den Arm und drückte sie lange. Wenn es ganz dick kam, so wie in diesen Tagen, hatte seine schöne, kleine, aufstampfende Löwenfrau Augenringe wie eine Eule. Was konnte sie für ihre Kinder kämpfen! So lange und so heftig, bis auch ihr allerletztes Quäntchen Energie verschwunden war und sie sich nach eigenem Bekunden fühlte wie ein nasser Lappen.

»Du lieber Himmel«, hatte Heike geseufzt, als sie Alain zum Auto begleitet hatte. »Seit die zwei letztes Jahr aus dem Landwirtschaftspraktikum geflogen sind, wachsen unsere Sorgen mit exponentieller Geschwindigkeit. Überall ecken Jana und Jakob an. Die sind doch in Ordnung, wie sie sind. Anstrengend schon, aber sie sollen so bleiben. Leider bin ich bloß die doofe Mutter, und offensichtlich teilt keiner außer dir meine Einschätzung. So ein blöder Arsch, dieser Musikheini!! Ich bin auch nicht wesentlich länger als der. Aber man hat doch irgendwann mal eine innere Größe und lässt diese dämlichen Kindersprüche abperlen. Mein Gott, Alain, mir hängt diese Schule kilometerweit zum Hals heraus! Grüß die Schnitzeljungs von mir. Vielleicht fällt denen ja was Schlaues ein. Markus hat vier Kinder, Thomas ist Kreativ-Irgendwas und Rudi selber ein Chaot. Da muss doch beim Biertrinken irgendeine gute Idee rumkommen.« Sie hatte ihm einen Kuss auf die Wange gedrückt und war wieder ins Haus gegangen.

Alain schaute mehrmals in alle Richtungen und sprintete über die viel befahrene Straße. Auf der anderen Seite blieb er stehen und tastete seine Hosentaschen ab, weil er das Gefühl hatte, er hätte den Autoschlüssel verloren.

»Kohle vergessn?«, lallte einer der betrunkenen Raucher besorgt. »Machnix. Schdammkundschfff kann anschreim lassn. Pri-prima Wirtin da-da drin!«

»Nein, alles in Ordnung, alles dabei«, lachte Alain und betrat das Fass.

Von wegen gute Idee, dachte er. Wo soll die herkommen? Die Freunde sahen sich doch kaum noch. Und wenn, hatte jeder genug mit sich selbst zu tun. Thomas durchlebte keine einfache Zeit. Seit er und Ulrike sich auf Probe getrennt hatten und er seinen Kreativdirektorenjob los war, war er gedanklich überall, nur nicht bei seinen Freunden. Rudi fuhr in regelmäßigen Abständen nach Italien. Wenn er mal im Lande war, stöhnte er über Claudias merkwürdigen Farbgeschmack in Scheunenangelegenheiten oder über die Schadenhöhe von Ottos allerneuesten Eskapaden. Markus war wie immer in den letzten zwanzig Jahren in die Aufzucht und Hege seiner vier Kinder eingebunden, von denen zwei noch bei ihnen zu Hause lebten. Seit seine Frau Sabine, die Seniorpartnerin in einer großen Unternehmensberatung war, sich ein zeitraubendes, internationales Projekt ans Bein gebunden hatte, hielt sie sich mehr in der New Yorker Zentrale auf als in ihrem alten Fachwerkhaus am Stadtrand von Erkrath. Seine Abende verbrachte Markus mit Kochen, Mathenachhilfe, Elternabenden oder Bewusstlosaufdemsofaliegen.

Alain konnte sich kaum noch an den letzten gemeinsamen Mittwoch erinnern, an dem sie alle vier im Fass gesessen hatten und sich von der Wirtin dicke Schnitzel servieren ließen. Ausgelassen wie in den guten Zeiten vor zwanzig Jahren, als sie mit dieser Tradition begonnen hatten.

Aber heute war es mal wieder so weit.

Heute würden sie vollständig sein.

Alle vier an einem Tisch!

Alain freute sich schon.

An der Theke im Fass war wie immer Hochbetrieb. Der kantige Bierzapfer, der bei allen nur SCHÄTZKENMACHMADREIPILS hieß, weil seine Chefin die Bestellungen immer quer durch den Saal johlte, war gerade in eine Auseinandersetzung mit einem Rudel krawattiger Herren in Businessanzügen verwickelt. Sie waren offenbar nicht damit einverstanden, dass sich auf der Außenseite ihrer Biergläser eingetrocknete Wassertropfen befanden. Da kamen sie an den Richtigen. SCHÄTZKENMACHMADREIPILS setzte sie sie darüber in Kenntnis, dass sie sich gefälligst in den überkandidelten Düsseldorfer Medienhafen verpissen sollten, wenn sie auf blitzende Gläser stünden. Angesichts der mächtigen Pranken des Zapfers, auf dessen Knöcheln die Worte HASS und FASS tätowiert waren, beschlossen sie, der Empfehlung zu folgen, und zogen ab. Das Bier gehe aber garantiert nicht aufs Haus, rief der Zapfer ihnen hinterher, er kriege noch achtundzwanzigsiebzig, und zwar dalli!

»Gut gemacht, mein Junge«, lobte die Wirtin, die mit vier dampfenden Schnitzeltellern aus der Küche kam. »Die kommen von auswärts und sowieso nur einmal. Also Einlauf!«

Sie rannte an Alain vorbei und rief über die Schulter: »Du bist wieder zu spät, Alain. Du bist immer zu spät. Thomas ist heute auch zu spät.« Und dann aus der Tiefe des Raumes: »Schätzken, machma’ drei Pils für Tisch elf!«

Alain entdeckte Markus und Rudi an einem der Tische am Fenster. Rudi fuchtelte mit seinem Zeigefinger vor Markus’ Nase herum. Offensichtlich prangerte er wieder eine Ungerechtigkeit an, die ihm zugestoßen war. Rudi konnte bei solchen Gelegenheiten fuchsteufelswild werden.

»Die Brille war ganz neu!«, hörte Alain Rudi sagen. »Es ist nicht zu fassen, was für einen Dreck mir der Optiker da angedreht hat. Ganz dünne Kunststoffgläser und ein superleichtes Titaniumgestell, hat er gesagt, das ergäbe einen hervorragenden Tragekomfort. Wahrscheinlich meinte er damit meinen Geldbeutel. Der war hinterher so leicht wie noch nie. Ich habe ihn kaum noch gespürt in der Hosentasche, so komfortabel war der. Die Brille hat dreimal so viel gekostet wie eine normale. Und weißt du was? Nach zwei Wochen war das Ding im Eimer. Die Beschichtung der Gläser blätterte an den Ecken ab. Als ich im Laden stand, um mit dem Chef persönlich unter vier Augen das Thema Gewährleistung zu besprechen, sagte er, meine aggressiven Augenbrauen seien schuld. Die würden am Glas scheuern. In Verbindung mit salzigen Schweißtropfen hielte das keine Beschichtung der Welt aus. Aggressiv? Ich?? Keine Sau ist hier aggressiv!!! Meine Augenbrauen schon mal gar nicht. Dem hätte ich beinahe den Laden zerlegt. Im letzten Moment kam … Otto? … Otto!! Lass den Scheiß!«

Otto schoss wie eine Rakete unter dem Tisch hervor und verbiss sich todesmutig in den Aufschlägen von Alains schwarzen Jeans. Aufgrund eines frühkindlichen Traumas, das sich Rudi und diversen Hundefachleuten bis heute nicht erschlossen hatte, fühlte sich Otto von dunklen Beinkleidern in seiner Existenz bedroht. Da in ihm die Gene von drei rabiaten Terriersorten schlummerten, von denen mindestens eine dafür bekannt war, in Kevlarweste auf Wildsauenjagd zu gehen, kam ein Rückzug für ihn nicht in Frage. Otto griff gnadenlos an und pflegte dabei keinen Unterschied zwischen Freund und Feind zu machen. Rudi hatte einmal gesagt, Otto sei in diesen Situationen einfach nicht mehr er selber.

Alain stellte das Atmen ein und verharrte regungslos wie ein Kriegerdenkmal, während Otto zu seinen Füßen an den Jeans herumzuckte. Ruhe war das einzige Mittel, das gegen Ottos Attacken half. Rudi pflückte Otto kommentarlos von Alains Hose, nahm ihn auf seinen Schoß und wetterte weiter.

»Optiker und Augenärzte, eine einzige Mafia. Die ziehen dich …«

»Rudi!«, mahnte Markus.

»Wenn ich es doch sage. Die ziehen dich über den Tisch, wo sie können. Du musst denen nur verraten, dass du eine Brillenzusatzversicherung hast, und schon treiben sie die Kosten auf die Spitze.«

»Rudi, es sind nicht alle so.«

»Aggressive Augenbrauen! Ja, geht’s denn noch!«

»Rudi, geh das nächste Mal zu meinem Optiker. Der gehört zu den Guten.«

»Mafia! Ich sag’s euch.«

»Warum regt er sich so auf«, fragte Alain, schüttelte sich die Hosenbeine aus und setzte sich zu seinen Freunden an den Tisch.

»Er hat seine Brille vergessen, konnte die Speisekarte nicht lesen und dann kam eins zum anderen«, erklärte Markus. »Du weißt ja, wie er ist.«

»Er kennt die Karte doch seit Jahren auswendig. Warum will er sie lesen?«

»Es gibt scheinbar etwas Neues«, sagte Rudi und schob Alain die Karte hin. »Da oben rechts beim Bild.« Er tippte mit dem Zeigefinger auf ein verschwommenes Schnitzelfoto. »Außerdem bin ich anwesend, Merkwürden. Sie können mich direkt ansprechen.«

»Schnitzel Alhambra«, las Alain mit zusammengekniffenen Augen. »Mit einer Kruste aus Knoblauch, Koriander, Kreuzkümmel und Cayennepfeffer. Aha! Scheint irgendwas Maurisches zu sein.«

»Das ideale Gericht für Rudi«, sagte Markus. »Rudi verputzt Mauern und …«

Weiter kam er nicht.

»Aua!«, röhrten Rudi und Alain gleichzeitig. »Fünf Euro ins Kalauerkässchen.«

»Ja, ist ja gut«, beschwichtigte Markus. »Wir waren neulich beim Indonesier. Da stand Bambi Goreng auf der Karte. Zwischen den Nudeln war aber weit und breit kein Rehlein zu sehen. Nur Huhn, Rind und Schwein.«

»Vielleicht ist Alhambra ja auch ein Druckfehler«, sagte Rudi.

»Ja, ja«, sagte Alain. »In Wirklichkeit heißt es Caramba und wird mit Motorradkettenöl flambiert.«

»Was wird mit Kettenöl flambiert?«, wollte die Wirtin wissen, die unbemerkt an ihren Tisch getreten war und schon eine ganze Weile zugehört hatte. »Unser Schnitzel Alhambra? Nein, das mariniert der Koch immer drei Tage in Brennspiritus, damit die Kakerlakenkruste besser hält. Wer möchte probieren?«

Sie zückte den Block und den Kugelschreiber.

»Ich«, sagte Rudi. »Das klingt wieder lecker.«

»Also einmal Alhambra statt Jäger und ansonsten wie immer. Wiener für Markus, Zigeuner für Alain und einmal Mailänder für Thomas, der nicht da ist. Ruft den doch mal an. Vielleicht ist ihm etwas passiert. Otto kalte Krakauer oder lieber warme Blutwurst?«

»Otto kalte Krakauer«, bestätigte Rudi.

Die Wirtin nickte zufrieden, klemmte sich den Bleistift hinter das Ohr und verschwand. Rudi schob Otto, der sich mittlerweile wieder beruhigt hatte, sanft von seinem Schoß unter den Tisch. Nach dem Zuschnappen waren dem Terrier die schwarzen Hosen von Alain ein bisschen vertrauter geworden. Otto spürte noch ein paar Fussel zwischen den Zähnen. Von diesen Jeans ging offensichtlich keine Gefahr aus. Sicherheitshalber behielt Otto sie misstrauisch im Blick. Man konnte nie wissen.

»Und? Gibt’s was Neues?«, fragte Alain.

»Ich habe mir überlegt, dass es vielleicht nicht schlecht wäre, wieder in den alten Beruf zurückzukehren«, sagte Markus. »Es gibt bei der Volkshochschule so eine Art Wiedereingliederungskurs für Leute, die schon länger nicht mehr am Wirtschaftsleben teilgenommen haben.«

»Ich dachte, du bist komplett mit Haus und Hof ausgelastet«, sagte Alain. »Wir sehen uns ja kaum noch.«

»Schon«, sagte Markus. »Aber ich spüre, wie so langsam wieder ein bisschen Luft und Energie für das andere wichtige Zeug im Leben übrig ist. Sabine schwenkt ihr schlaues Beraterköfferchen derzeit zwar mehr in Manhattan als in Erkrath, aber ein Ende ist absehbar. Unser Sohn wohnt seit drei Jahren schon in Düsseldorf. Die Älteste absolviert ein Auslandsjahr in Frankreich. Bleiben mir noch zwei Mädchen, die unentwegt bei Freundinnen übernachten, ihren Schulkrempel alleine auf die Reihe kriegen und sich peu à peu selbst in die Freiheit entlassen. Dabei boxt die Sechzehnjährige alles für ihre dreizehnjährige Schwester mit durch. Die zwei werden immer selbstständiger. Ich werde einen Teufel tun und ihnen alberne Grenzen ziehen. Wenn ich mir nicht bald anständige neue Aufgaben suche, fange ich noch an, Goldhamster zu züchten. Oder Rosen.«

»Unvorstellbar«, sagte Rudi.

»Du müsstest einen Strohhut tragen und würdest richtig scheiße aussehen«, sagte Alain.

»Eben«, nickte Markus und trank sein Bier aus. »Das geht gar nicht.«

»Aber du bist seit zwanzig Jahren raus aus dem Büro«, sagte Rudi. »Es hat sich viel verändert. Außerdem kann ich nicht glauben, dass die Volkshochschule extra Kurse für Väter wie dich eingerichtet hat. Das lohnt sich doch nicht. So einen wie dich gibt’s nicht zwei Mal in Düsseldorf.«

»Na ja, die Maßnahme war ursprünglich auch nicht für Väter gedacht«, gab Markus zu.

»Für wen denn?«, wollte Alain wissen.

»Genau genommen heißt der Kurs Mütter fit für den Beruf. Ich sitze da jeden Mittwoch mit lauter Frauen im Kurs und lerne die Basics des neuen Bürolebens.«

»Du hast einen Kurs gebucht, der Mütter fit für den Beruf heißt???« Rudi konnte es nicht fassen.

»Ich war jetzt ein Mal da«, sagte Markus. »Aber so richtig hilfreich war das irgendwie auch nicht. Ich muss mir immer auf die Knöchel beißen. Da sagen Frauen so Sachen wie …« Er wuchtete seine Stimme ins Falsett. »… Ja hallo, ich bin die Heidrun und wollte mal fragen, ob es denn auch noch Schreibmaschinen im Büro gibt oder ob man sich jetzt ganz auf diese neumodischen Compi-, Cumpo- …«

»Grundgütiger!«, stöhnte Alain.

»Das war nur Spaß«, lachte Markus. »Aber Heidrun heißt sie wirklich und die hellste Kerze auf der Torte ist sie auch nicht.«

»Was hast du früher noch mal gemacht?«, fragte Rudi, der sich an einen berufstätigen, kinderlosen Markus überhaupt nicht erinnern konnte.

»Personalwesen und Organisation. Markus ist ein ganz trockener BWL-Sack«, sagte Alain, der Markus noch aus einer Zeit kannte, wo sie gemeinsam im Sandkasten des Singener Elisabethenkindergartens gesessen und sich mit Schäufelchen beworfen hatten. Sie waren Freunde, seit sie vier Jahre alt waren.

»Das würde ich heute nicht mehr machen«, sagte Markus zu Alain. »Aber Projektmanagement wäre was. Organisieren kann ich immer noch wie eine Eins. Denk nur mal an unsere Tour letztes Jahr, als wir dich in Italien gesucht und schließlich bei Claudia gefunden haben. Das war doch wohl von Anfang bis Ende generalstabsmäßig durchgeplant, oder?« Markus kratzte sich am Kopf. »Detektiv käme womöglich auch in Frage«, überlegte er laut. »Ich sehe da Talente.«

»Und wovon träumst du nachts?«, grinste Rudi. »Detektiv? Wir sind drei Wochen wie die Blöden in der Toskana herumgeirrt und dann zufällig über Claudias Schwelle gestolpert. Wir waren ja noch nicht einmal in der Lage, uns mit Alain in Siena unter der richtigen Romulus-Säule zu treffen.«

»Aber nur, weil Thomas die falsche Säule im Auge hatte.«

»Ja, aber du hattest gar keine im Auge, Philip Marlowe.«

»Na gut, ich überleg’s mir noch mal.«

»Was hatte ich im Auge?«

Thomas war endlich da und setzte sich zu ihnen.

Er sah übernächtigt aus, fand Rudi. Das war kein Wunder. Thomas hatte es im vergangenen Jahr am meisten von allen gebeutelt. Seine Werbeagentur hatte ihn gefeuert, nachdem er mehreren lukrativen Kunden beschieden hatte, dass sie blöd wie Toastbrot seien. Das stimme zwar, bestätigte selbst sein Chef, sei aber nicht sonderlich diplomatisch formuliert gewesen. Die erbosten Kunden hatten Knall auf Fall gekündigt und ihren Etat ein paar Straßen weiter zur Konkurrenzagentur getragen. Folge: Thomas war hochkant geflogen. Seither plante er kreuz und quer in seinem neuen Leben herum, kam damit aber nicht richtig weiter. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er sich jetzt schon als freier Kreativer am Markt positionieren sollte oder erst in einem halben Jahr. Mit der dicken Abfindung im Rücken konnte er sich ein bisschen Relaxen in der Karibik sehr gut vorstellen oder – etwas weniger egoistisch gedacht – ein paar intensive Monate mit dem kleinen Paul, den seine Frau Ulrike für die Zeit ihrer Probetrennung zu sich genommen hatte. Nach zwanzig Jahren aufreibenden Agenturlebens, dem er Haare, Nerven und Familienleben geopfert hatte, in genau dieser Reihenfolge, würde ihm eine Pause bestimmt gut bekommen. Andererseits war Thomas schon immer ein Workaholic gewesen, der bereits am ersten e-Maillosen Urlaubstag nervös auf dem Liegestuhl hin und her rutschte und lamentierte, im Büro würde alles den Bach runter gehen, wenn er nicht fünfmal pro Tag bei den Entscheidungen ins Boot geholt wurde. Thomas hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was er tun sollte. Gerade eben, auf dem Weg ins Fass, hatte er sich noch gewundert, wie er eigentlich all die Jahre eine Kreativabteilung mit fünfundzwanzig Leuten erfolgreich hatte führen können, wo ihm doch in eigener Sache keine einzige vernünftige Entscheidung gelang.

Mit Thomas kamen die Schnitzel.

»Jetzt aber!«, sagte die Wirtin zufrieden und verteilte die vier Teller auf dem Tisch. »Wiener, Zigeuner, Mailänder, Alhambra. Ihr müsst pünktlicher sein, Kinder. So spätabends soll man nicht mehr schwer essen. Und eine ganz dicke Krakauer für den Otto, gell, Otto!«

Unter dem Tisch knurrte es wohlig.

Markus schielte auf Rudis Teller.

»Rudi hat schon wieder das größte Schnitzel«, maulte er.

»Das ist schon recht so«, sagte die Wirtin. »Der Rudi ist auch der Ärmste von euch. Den muss man päppeln.«

»Du päppelst ihn seit mindestens zehn Jahren«, sagte Thomas. »Er wird und wird nicht dicker.«

»Außerdem hat er jetzt einen guten Job in Italien, der Rudi«, sagte Rudi. »Wir kommen zurecht, Otto und ich.«

»Trotzdem«, sagte die Wirtin. »Im Vergleich zu dir sind die anderen drei reich, Rudi, und du lebst von der Hand in den Mund.«

»Er will es doch nicht anders«, sagte Alain.

»Außerdem lebt Rudi nicht von der Hand in den Mund«, sagte Markus, während er unter dem Salatblatt nach den Zitronenscheiben suchte. »Sondern von der Wand in den Mu…«

»Aua!«, grölten die anderen gleichzeitig. »Fünf Euro ins Kalauerkässchen!«

Rudi grinste. Sie waren in Hochform, dachte er. Als hätte es das letzte halbe Jahr nicht gegeben, wo sie sich kaum begegnet waren; wo jeder seiner eigenen Wege gegangen war, kaum Zeit für den anderen gehabt und Rudi insgeheim befürchtet hatte, dass sie sich fremd geworden waren. Doch weit gefehlt: Heute waren er und Markus gleichzeitig ins Fass gekommen, eine Weile später Alain und jetzt Thomas, und kaum war der letzte von ihnen eingetroffen, fühlte es sich an wie früher, als sie sich Mittwoch für Mittwoch hier getroffen hatten, dachte Rudi. Damals hatte jeder der Freunde noch gewusst, was den anderen gerade bewegte, wie gut es ihm ging oder wie schlecht, was ihm Freude bereitete und was Ärger.

Rudi beobachtete Markus, wie er mit ungebremster Begeisterung lange Streifen von seinem Schnitzel heruntersäbelte und in den Mund schob. Der alte Genießer! Wie oft schon hatte Markus zur Attacke auf seinen Hüftspeck geblasen und kläglich versagt? Rudi wusste es nicht mehr. Meist blieb es bei einem unbefriedigenden Salattag, der abends in einer kleinen Rotweinorgie endete, um den rasenden Hunger zu betäuben. Wenn er so weitermachte, bekäme er seinen Ehering nie wieder vom Finger, hatte Markus einmal angesichts einer extragroßen Schnitzelplatte gestöhnt. Daraufhin hatte die Wirtin ihm noch eine Schale mit Gemüse der Saison dazugestellt und trocken gemeint, das wolle er doch auch gar nicht, dafür liebe er seine Frau viel zu sehr. Gemüse der Saison war im Fass die hochoffizielle Bezeichnung für einen Berg Pommes Frites von den Ausmaßen des Matterhorns. Ächzend hatte sich Markus in sein elendes Schicksal gefügt und dabei so glücklich ausgesehen, dass seine Freunde insgeheim geschworen hatten, ihn notfalls mit Waffengewalt von irgendwelchen zukünftigen Diätvorhaben abzubringen. Für Askese war dieser Mann einfach nicht geschaffen.

»Vielleicht sollte ich das mit der Werbung auch ganz lassen«, sagte Thomas gerade, als Rudi aus seiner Versunkenheit auftauchte. »Ich kriege mittlerweile Pickel beim Fernsehen. In einem einzigen Werbeblock habe ich gestern Abend so viel unbeschreiblichen Schrott gesehen, dafür hättest du locker zehn Kreativdirektoren kündigen können. Eine Familie traf sich auf der Couch, um Toffifee zu essen. Alle rasteten vor Begeisterung völlig aus. Sogar ein Sechzehnjähriger war dabei. Das ist das wahre Leben, oder? Alain sitzt mit Heike und seinen chaotischen Zwillingen doch bestimmt jeden Abend auf dem Sofa und drückt klebrige Karamellhäufchen aus der Folie. Oder?«

ENDE DER LESEPROBE