Leeres Nest, volle Panik - Michael Frey Dodillet - E-Book

Leeres Nest, volle Panik E-Book

Michael Frey Dodillet

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Beschreibung

Eltern allein zu Haus

Was ist passiert? Das Badezimmer wieder begehbar, die Klamottenberge verschwunden, kein nerviges Gezanke mehr. Wow! Die Kinder sind aus dem Haus! Eigentlich sollten die Korken knallen. Doch statt auf den Tischen zu tanzen, singen viele Paare erst einmal den Elternblues.

Diese Phase im Leben einer Familie ist nicht ganz ungefährlich und kann empfindliche Nebenwirkungen haben. Es sitzt niemand mehr am Tisch, den man mit strengen Blicken maßregeln kann, und plötzlich kommen die seltsamsten Marotten des Partners aufs Tablett: Hat er wirklich immer schon so laut geatmet? Gab es da nicht mal Leidenschaft? – Herzlich willkommen im leeren Nest!

Einfühlsam, selbstironisch und mit viel Humor erzählt Michael Frey Dodillet, wie sich Eltern als Liebespaar wiederfinden, wenn sie das Mammut-Projekt Kindererziehung erfolgreich abgeschlossen haben. Ein unterhaltsames Mutmachbuch für alle, die sich in fast vergessener Zweisamkeit gegenübersitzen, aber eines ganz klar sagen können: Ein frischgebackenes Paar sind wir zwar nicht mehr, aber altbacken noch lange nicht!

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Seitenzahl: 189

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Was ist passiert? Das Badezimmer wieder begehbar, die Klamottenberge verschwunden, kein nerviges Gezanke mehr. Wow! Die Kinder sind aus dem Haus! Eigentlich sollten die Korken knallen. Doch statt auf den Tischen zu tanzen, singen viele Paare erst einmal den Elternblues.

Diese Phase im Leben einer Familie ist nicht ganz ungefährlich und kann empfindliche Nebenwirkungen haben. Es sitzt niemand mehr am Tisch, den man mit strengen Blicken maßregeln kann, und plötzlich kommen die seltsamsten Marotten des Partners aufs Tablett: Hat er wirklich immer schon so laut geatmet? Gab es da nicht mal Leidenschaft? – Herzlich willkommen im leeren Nest!

Einfühlsam, selbstironisch und mit viel Humor erzählt Michael Frey Dodillet, wie sich Eltern als Liebespaar wiederfinden, wenn sie das Mammut-Projekt Kindererziehung erfolgreich abgeschlossen haben. Ein unterhaltsames Mutmachbuch für alle, die sich in fast vergessener Zweisamkeit gegenübersitzen, aber eines ganz klar sagen können: Ein frischgebackenes Paar sind wir zwar nicht mehr, aber altbacken noch lange nicht!

Michael Frey Dodillet

Leeres

Nest,

volle

Panik

Wie wir als Eltern den Auszug

unserer Kinder überlebten

Mit Illustrationen von Nathalie Brink

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright © 2020 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Judith Schwaab

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung einer Illustration von Nathalie Brink

Innenillustrationen: Nathalie Brink

Herstellung: Helga Schörnig

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-22634-3V001

www.heyne.de

Für Max, Lotta und Marie.

Die Besten. Aus Gründen.

Kaum sind sie da, schon sind sie weg

Sommer 1999

Oberhalb von Grasse schnurrt ein dunkelgrüner, feriengepäcküberladener Renault Espace durch die Serpentinen der Provence. Vor lauter Begeisterung, wieder einmal in heimatlichen Gefilden zu sein, genehmigt sich der Sechszylinder fünfzehn Liter. Die Abendsonne wirft ein warmes Licht auf die beiden Dachkoffer und die karg bewachsenen Hügel der auslaufenden Alpes Maritimes. Ein tiefviolettes Lavendelfeld der Gattung Lavandula angustifolia gibt alles, um die Bewunderung der fünf Fahrgäste auf sich zu ziehen. Es gelingt ihm nicht. Stella hat den Kopf in den Tiefen einer Strandtasche vergraben und wühlt nach einem Waschlappen für Max’ eisverschmierte Pfoten. Max ist fünf Jahre alt und braucht im Sommer unendlich viel Zeit, um schnell schmelzende Erfrischungen zu verzehren, weil ihn beim Essen grundsätzlich alles interessiert, nur nicht das Essen.

»Gott, mir wird schlecht, wenn ich die Straße nicht sehe«, klingt es dumpf aus dem Reiseutensil.

»Die Polster sind abwaschbar, Schatz«, sage ich. »Außerdem sind da hinten alle klebrig. Da wird ein Lappen nicht reichen.«

»Irgendwo muss man anfangen.«

Mütter denken pragmatisch.

Lotta späht hinten aus dem Fenster und verdreht den Kopf mit der Ungeduld, die allen Dreijährigen innewohnt, nach links, rechts, oben und unten. Sie will noch einmal das Meer sehen, an dem wir den Tag verbracht haben. Das liegt fünfzig Kilometer hinter uns im Dunst. Fünfzig Zentimeter hinter mir sitzt Marie und hat eine rote Birne. Wenn Anderthalbjährige aus heiterem Himmel farbig anlaufen, kann man sich mental schon mal auf einen Windelwechsel vorbereiten.

Der Einzige, der nicht rotiert, klebt oder drückt, ist der Hund. Der liegt im Mittelgang und macht Wuup-Wuhuup.

»Das heißt Wuup-Wuhuup«, übersetzt Max. Er spricht fließend Hund. »Gleich sagt er Wooaarrgghh!«

Wie auf Bestellung reihert der Hund einen Liter schaumiges Meerwasser mit undefinierbaren Stückchen ins Auto.

»Kinder, das kommt davon, wenn man beim Schwimmen den Mund nicht zumacht«, versucht Stella pädagogisches Kapital aus der verfahrenen Situation zu schlagen. Leider hört die Zielgruppe nicht zu. Max ist aus Solidarität mit dem Hund jetzt ebenfalls schlecht. Marie quengelt nach Körperpflege. Lotta will ein belegtes Brot. Ohne Tomate!

Ich fahre rechts ran.

Wir reißen die Türen auf und lassen Luft ins Fahrzeug. Der Hund prescht hinaus, jagt ein Eichhörnchen auf den Baum und verschwindet auf den Spuren der Kaninchenkötel im kniehohen Bewuchs des Maquis. Das ist nicht schön. Er wird vielleicht eine Hausziege bedrohen und erlegen. Max fällt der Saftbecher in den Dreck. Lotta kaut selig. Der frisch gewickelte Kackfisch möchte auch ein Brot, aber keine Katulle. Katulle heißt Klappstulle, und Klappstullen schmecken nicht, weil sie zu viel Brot und zu wenig Draufzeugs enthalten. Irgendwer kriegt einen mittelschweren Schreikrampf. Es ist nicht meine Frau. Die Sonne, obschon tief stehend, brennt mit knapp dreiunddreißig Grad in das Idyll. Es riecht nach Abendstuhl, Leberwurst und Sonnenmilch. Ein Kind – ich habe vergessen welches, auf jeden Fall eines, das halbwegs artikuliert sprechen kann – möchte ins Retorang. Matt winke ich ab.

An dieser Stelle einen ganz herzlichen Gruß an den Erfinder der Einmalwindel.

»Mit diesem Trio infernal gehe ich nirgendwo auswärts essen«, ächze ich.

»Ich auch nicht«, sagt Stella. »Ich habe heute nicht mehr die Nerven, um die Igitts von der Pizza zu kratzen.«

Als der Hund nach einer Dreiviertelstunde zurückkehrt, offensichtlich ohne nennenswerten Schaden angerichtet zu haben, fahren wir zurück auf den Campingplatz. Dort servieren wir ungesunde Schokokekse, bringen drei glückliche Kinder ins Luftmatratzenbett und freuen uns auf einen Restabend voller Zweisamkeit.

Ungefähr drei Minuten nach dem Korkenziehen schlafen wir ein.

Sommer 2019

Oberhalb von Grasse dieselt ein weißer, entspannt halb voll gepackter Bulli durch die Serpentinen der Provence. Die Abendsonne wirft ein warmes Licht auf zwei Fahrräder am Heck und die karg bewachsenen Hügel der auslaufenden Alpes Maritimes. Ein tiefviolettes Lavendelfeld gibt alles, um …

»Jetzt schau dir bloß diesen prachtvollen Lavendel an!«, schwärmt Stella und nimmt die Sonnenbrille ab.

»War der schon immer da?«, frage ich. »Das Feld habe ich noch nie gesehen.«

»Keine Ahnung, ich auch nicht. »Sie fischt eine Papiertüte vom Grasser Wochenmarkt aus der Provianttasche. »Öbsterchen?«

Ich greife nach dem Apfelschnitz und blicke aus schierer Gewohnheit in den Rückspiegel, um vertraute Gesichter ausfindig zu machen, die gleich »Ich auch! Ich auch!« rufen werden. Keines da. Nur Hund zwei rekelt sich auf der Rückbank. Der passionierte Fleischfresser hebt bei »Öbsterchen« noch nicht mal die Augenbraue.

Ich fahre rechts ran.

Wir parken unter schattigen Bäumen und holen die Liegestühle heraus. Hund zwei wechselt von der Rückbank unter einen Baum, ohne den Schlafmodus zu verlassen. Hausziegenumbringen gehört nicht zu seinen Kernkompetenzen. Im Gegensatz zum Vorgänger kann man sich mit ihm gesellschaftlich überall blicken lassen.

»Wo wollen wir heute Abend essen gehen?«, murmele ich, bevor ich einnicke.

»La Bastide in Moustier«, höre ich meine Frau aus weiter Ferne schwärmen. »Da will ich schon seit zwanzig Jahren hin. Keine Pizza. Keine Nudeln. Keine Pommes. Stattdessen ein Saint-Pierre mit Birne und Meerrettich und von Aperitif bis Digestif geschlagene vier Stunden Zeit zum Essen.«

»Klingt verlockend.«

»Und kein Hund, der den Tisch über die Terrasse zerrt, weil plötzlich eine Katze über den Kies rennt.«

Zwei Smartphones brummen gleichzeitig. In der WhatsApp-Gruppe »Eltern im Traumurlaub« ist eine Nachricht eingegangen. Vermutlich möchte einer von drei Schätzen wissen, wo wir gerade sind. Wir können nicht antworten, weil wir beide selig dösen. Nachdem wir eine Zwischenmahlzeit einnehmen konnten, ohne hinterher das ganze Auto aussaugen zu müssen! Nachdem wir den wunderbaren Ausblick genossen haben, ohne dass jemand »Boah ey, endlich weiter, Mann« wollte! Und bevor wir ein exquisites Retorang aufsuchen und ein Fischgericht mit unaussprechlichem Namen bestellen werden, ohne dass einer volle Pulle Baaaahhhh durch den Saal krähen wird!

Gassi auf Provenzalisch. Es reicht völlig, dass im Traum die Eichhörnchen rennen.

Neun Dingsbumse und eine Preisfrage

So viel zum Reisen im Familienverband. Jetzt kommt die Preisfrage: Für welche Lebenssituation, glaubt ihr, braucht es alle Kraft, Kreativität und Energie, die euch zur Verfügung stehen? Welche Szene geht euch, wenn ihr länger darüber nachdenkt, wirklich an die Nieren?

Einen herzlichen Glückwunsch an alle, die gerade »Die zweite natürlich!« geseufzt haben. Ihr liegt goldrichtig. Das Chaos der ersten Szene kriegt ihr immer in den Griff. Eltern sind Improvisationskünstler. Die zweite ist das wirkliche Problem. Die Kinder sind nämlich nicht mehr da. Alle Schlecker- und Kleckermäuler, alle Boah-Ey-Weiter-Woller und Baaaahhhh-Kräher sind weg. Erwachsen und weg. Max kocht in einem Sternerestaurant in Stuttgart, Lotta studiert in Sydney und will anschließend nach Weißgottwohin, Marie lässt sich in München zur Marketingkauffrau ausbilden.

Zurück bleibt das Pärchen von damals, das gemeinsam drei Kinder großgezogen und sich jahrelang nicht mehr um sich selbst gekümmert hat. Zurückgeworfen auf eine Zweisamkeit, die es gar nicht mehr gewohnt ist. Irgendwas war doch immer, oder? Spontan organisierte Candlelight-Romantik scheiterte an klingelnden Telefonen mit erbosten Lehrern am anderen Ende der Leitung. Längst fällige Gespräche bei einem Kaffee im Garten wurden von Sommerknien unterbrochen, die dringend verarztet werden mussten. Türen flogen in den ungünstigsten Momenten auf.

Jetzt sitzen sich die beiden auf einmal gegenüber und reiben sich verwundert die Augen. So, so, sagen sie, in dich habe ich mich also verliebt vor fünfundzwanzig Jahren. Sie sehen ziemlich mitgenommen aus, leicht ergraut und etwas krähenfüßig und bei Weitem nicht mehr so knackig wie früher. Keiner von ihnen weiß genau, wie die nun kommende Phase ihres Lebens aussehen wird. Aber ihnen ist klar, dass alles entscheidend davon abhängen wird, wie viel von jenem glücklichen Liebespärchen aus den Neunzigern noch übrig geblieben ist. Womöglich haben sie sich selbst zu sehr vergessen und nur noch aufs Elternsein reduziert. Oder sie haben sich – was für ein Albtraum! – zwanzig Jahre lang nicht beim Namen genannt, sondern nur noch mit Mami und Papi angeredet.

Was die beiden jetzt brauchen, um ihr neues, kinderloses Leben auf die Reihe zu kriegen, ohne völlig bekloppt zu werden, sind zwei Handvoll Eigenschaften. Oder besser Errungenschaften? Dinge? Dingsbumse? Mir fällt das passende Wort nicht ein. Die Engländer würden Skills sagen. Qualifikation oder Kompetenz trifft es aber auch nicht hundertprozentig, und ich bin gerade zu faul, um den Duden durchzustöbern, bis es klick macht.

Die gute Nachricht ist jedenfalls: Alle neun Dingsbumse sind schon da. Die Kinder haben sie uns gelehrt. In den letzten zwanzig Jahren sind sie in uns gereift und gewachsen. Wenn wir imstande sind, sie auf die eigene Partnerschaft anzuwenden, überstehen wir die restliche Zeit unseres Lebens nicht mit Ach und Krach, sondern können sicher sein, dass sie richtig gut werden wird.

Humor zum Beispiel ist so eine wichtige Eigenschaft. Humor hilft immer. Am besten einer der verwegenen Sorte:

»Sag mal Klettergerüst.«

»Klettergerüst.«

»Du hast ’ne nackte Frau geküsst!«

Zu Kindergartenzeiten war das auch nach der hundertzwölften Wiederholung noch der absolute Brüller.

Oder Vertrauen. Das ist etwas ganz Wunderbares! Vor allem, wenn es unerschütterlich ist. Ihr erinnert euch nicht, wer euch das vorgelebt hat? Überlegt mal scharf! Könnte es damals gewesen sein, als ihr euch beim Kaninchenstallbauen den Daumen blau gehauen habt und eure Kinder euch strahlend angesehen und verkündet haben: »Du kannst das. Du bist ein Papa.«

Mut gehört ebenfalls dazu. Ihr müsst euch auf das Unbekannte einlassen können. Wenn ihr verzagt, denkt einfach an das »Höher! Höher!«-Jauchzen eurer Kinder auf der Spielplatzschaukel. Nicht zu vergessen Neugier (»Regenwurm schmeckt nicht.«), Aufrichtigkeit (»Die Marie war’s nicht. Ich war’s.«), Toleranz, Gelassenheit und Liebe.

Waren das neun? Nein, eins fehlt noch. Der Eigennutz. Der ist wirklich wichtig. Dieser gesunde Egoismus, der euch noch aus den Sandkastenzeiten eurer Kinder in Erinnerung geblieben ist: »Das ist meiiiiiiin Bagger!« Viele Erwachsene haben vor lauter Vorbildsein und Familienorganisieren sich selbst vergessen und sollten dringend wieder lernen, ein bisschen mit dem Fuß aufzustampfen.

Diese neun Eigenschaften braucht ihr. Und darum wird es in diesem Buch gehen. Es ist ein Buch über ehemalige Liebespaare, die Eltern wurden, gemeinsam die Kinder gestemmt haben und sich, nachdem der letzte Vogel das Nest verlassen hat, verdattert fragen, wo um Himmels willen die Verliebten von damals geblieben sind.

Kein Ratgeber, sondern ein Mutmachbuch.

Für alle, die es bis hierher geschafft haben.

Also ihr und wir!

Wenn ich »ihr« sage, meine ich euch, die ihr das Buch gerade lest. Wenn ich »wir« sage, meine ich die Dodillets, von denen das Buch handelt. Und wenn ich »du« sage, meine ich meine Frau Stella.

Inhaltsverzeichnis oder: Was ihr braucht, um nicht völlig bekloppt zu werden, wenn eure Kinder ausziehen

1  Vertrauen

oder: Es tut immer noch so gut, deine Hand zu spüren

2  Toleranz

oder: Deine Macken sind auch nicht mehr das, was sie mal waren

3  Mut

oder: Einfach mal wieder ein bisschen höher schaukeln

4  Humor

oder: Kommt eine schwangere Frau in die Bäckerei

5  Liebe

oder: Erotische Vergnügung mit drei Buchstaben

6  Neugier

oder: Tantra-Yoga im Leberwurstanzug ist auch ein schönes Hobby

7  Eigennutz

oder: Moment mal, das ist mein Bagger

8  Aufrichtigkeit

oder: Nicht alle Schwindler haben kurze Beine

9  Gelassenheit

oder: Ruhig mal fünfundfünfzig gerade sein lassen

1

Vertrauen oder: Es tut immer noch so gut, deine Hand zu spüren

Eine wundervolle Idee

»Ich schreibe ein Buch über den Auszug unserer Kinder«, verkünde ich voller Tatendrang, als ich aus München zurückkehre. Dort habe ich einen kompletten VW-Bus voller Habseligkeiten meiner Jüngsten sowie die Jüngste höchstselbst in eine Wohnanlage mit vierhundertzwanzig Studentenapartments geschaufelt. Damit ist auch das letzte unserer drei Kinder aus dem Haus. »Weißt du, so eine abgeklärte, humorvolle Rückschau, wie man als Eltern das Leben bewältigt, wenn die Kinder endlich ausgezogen sind und man wieder alle Freiheiten der Welt hat.«

»Das ist eine wundervolle Idee«, sagt meine Frau. »Wie kriegst du das mit der Rückschau und dem ›abgeklärt‹ hin?«

»Lass mich mal machen«, strunze ich und greife beherzt zum Telefon.

»Das ist eine wundervolle Idee«, sagt der Verlag. »Wann können wir damit rechnen?«

»Geben Sie mir ein halbes Jahr«, hänge ich mich aus dem Fenster. »Dann steht das.«

Ein Jahr später. Der Verlag ruft an.

»Wie sieht’s aus?«

»Ich, äh … weiß gerade nicht, wie ich das mit der Rückschau machen soll.«

»Woran liegt’s?«

»Ich kann überhaupt nicht zurückschauen«, sage ich und sehe aus dem Augenwinkel, wie meine Frau mir die Zunge herausstreckt. »Ich stecke noch mittendrin.«

»Ich spüre, dass das Buch noch reifen muss«, spricht die weise Lektorin.

»Sie spüren richtig.«

»Wir verschieben es auf nächstes Frühjahr.«

Ein halbes Jahr später.

»Und?«, fragt meine Frau.

»Nichts«, stöhne ich. »Keine einzige Zeile. Die fehlen mir so. Ich kann nicht zurückschauen, schon gar nicht humorvoll. Ich finde das überhaupt nicht witzig. Ich habe keine Ahnung, wie ich anfangen soll.«

»Dann schreib doch einfach, wie doof es ist, wenn die Kinder ausziehen.«

»Meinst du?«

»Ja.«

Na gut, beginnen wir mit dem Blues

Was ist eigentlich passiert? Wo ist denn diese verdammte Zeit geblieben? Wir waren doch gerade eben noch auf dieser Skihüttenfete, auf der wir uns kennengelernt haben. Gerade eben wog ich noch zwanzig Kilo weniger. Gerade eben noch starrten wir auf einen Schwangerschaftstest, dessen positive Anzeige uns komplett aus den Schuhen haute.

Das Teuflische an Buchverträgen ist ja, dass man sie erfüllen muss.

Wir haben sie doch eben noch gewickelt. Rote Bete püriert, das Rädchen mit dem strampelnden Panz am Gepäckträger festgehalten, den Tobsuchtsanfall beim Mensch ärgere Dich nicht weggetröstet. Eben haben wir noch den Dreisatz geübt, lamentierende Lehrkörper am Telefon beruhigt und über Einser in Bio und Dreier in Mathe gejubelt. Beide sind übrigens gleich viel wert, weil Mathe ein Arschloch ist und Bio nicht. Eben noch auf dem Verkehrsübungsplatz Blut und Wasser geschwitzt, über Abschlussprüfungen geflucht und Endlosdiskussionen auf Elternabenden ertragen, ob Martinimarktkuchen zwingend aus Biodinkel gebacken werden und der Möhrchendip laktosefrei sein muss. Als ob es gestern gewesen wäre. War doch auch gestern, oder? Warum sind denn alle drei von einer Sekunde auf die andere weg? Man hat es ja kaum kommen sehen.

Als ob! Natürlich sehen wir es kommen. Schon bei der Geburt wissen wir, dass die Brut zwanzig Jahre später das Nest verlassen wird. Aber Weihnachten kommt ja auch immer ganz plötzlich. Das ganze Jahr ist euch klar, dass am vierundzwanzigsten Dezember Heiligabend ist. Trotzdem steht ihr am Dreiundzwanzigsten völlig überrumpelt da, und der Legokasten ist noch nicht gekauft.

Unseren Kindern kann ich deswegen wirklich keinen Vorwurf machen. Alle drei haben uns sanft auf ihren Abgang vorbereitet. Damit wir ganz geschmeidig ein Gespür dafür entwickeln können, wie es sich anfühlt, wenn sie endgültig weg sind. Max verschwand schon mit vierzehn Jahren für ein ganzes Jahr in einem Zirkusprojekt bei Hamburg. Dies war dem Umstand geschuldet, dass Dreisatz und Pythagoras damals nicht so sein Ding waren. Wie überhaupt alles, was – bis auf Papas leckere Schulbrote – im weitesten Sinne mit Schulbankdrücken zusammenhing, also Geometrie, Algebra, Physik, Bio, Deutsch, Englisch, Kunst, Religion, Hausaufgaben, Lehrerinnen, Lehrer, öffentlicher Personennahverkehr, Klassenarbeiten, Elternabende und Zeugnisse. Mit dem Vorschlaghammer Zeltpfosten in die Erde zu zimmern und rund um die Uhr den – in diesem Falle hochwillkommenen – Clown zu geben traf seine verborgenen Talente schon eher. Ich konnte daher zwölf Monate lang üben, wie sich ein Leben ohne Filius gestaltet. Mit siebzehn ist Max dann endgültig ausgezogen, um bei Berens am Kai im Düsseldorfer Hafen Koch zu lernen.

Lotta blieb uns zwar die ganze Schulzeit über erhalten, verschwand aber direkt nach der Abschlussfeier für ein Jahr nach Australien, um uns probeweise zu entwöhnen. Sie kam dann noch einmal für ein halbes Jahr zurück, im Wesentlichen aber nur, um uns mitzuteilen, dass sie gerne noch vier weitere Jahre in Sydney bliebe, um dort zu studieren. Schon stand der Papa wieder am Flughafen und winkte seufzend einer chinesischen Maschine hinterher. Die flog damals am preiswertesten nach Down Under.

Marie wiederum hat nach ihrem Schulabbruch ein Jahr in Kneipen und Restaurants gejobbt, war also täglich ab sechzehn Uhr im Elternhaus nicht mehr präsent. Anderntags musste sie nach ihren Spätdiensten bis dreizehn Uhr schlafen. Leibhaftig konnte sie sich also nur noch drei Stunden pro Tag um die Alten kümmern, alles andere lief per WhatsApp. WhatsApp fühlt sich so ein bisschen an wie das Methadonprogramm des Kinderentzugs. Ein Jahr später zog es das Nesthäkchen nach München, wo es sich seither in Marketing ausbilden lässt.

Kurz: Wir hätten es wissen und uns vorbereiten können. Haben wir aber nicht. Vor allem mich trifft es wie ein Hammerschlag. Natürlich nicht sofort. Erst mal kommt mir die typisch väterliche Veranlagung zugute, dramatische Veränderungen im Familienleben immer etwas später zu bemerken als der Rest der Welt.

»O Schatz, du warst ja beim Friseur.«

»Ja, vor drei Tagen.«

Haben Väter den ernsten Sachverhalt endlich erkannt, möchten sie ihn umgehend mental verarbeiten. Zu diesem Zweck lassen sie den Robusten, Unerschütterlichen raushängen. Endlich haben wir das ganze Haus wieder für uns, sagen sie. Endlich braucht keiner mehr Service rund um die Uhr, freuen sie sich. Endlich kann ich wieder nackig durch den Garten rennen, schwärmen sie.

»Nie wieder klaut einer mein Shampoo«, sage ich. »Nie wieder rasiert mein Rasierer etwas anderes als mich und mein Kinn!«

»Pass auf«, sagt Stella. »Dich erwischt das heulende Elend auch noch.«

Und als es mich dann erwischte, sagte sie etwas sehr Schönes: »Schau, wir haben zusammen diese drei großartigen Kinder auf die Welt und auf den Weg gebracht. Da schaffen wir den Rest auch noch.«

Das war, als wir gemeinsam am Küchentisch saßen und zum ersten Mal realisierten, dass wir wieder zu zweit sind; dass unser Lebensinhalt in die weite Welt hinausgezogen ist; dass wir uns jetzt ganz behutsam umsehen und wieder das Liebespaar mit den vielen Flausen im Kopf suchen müssen, das wir einmal waren. In diesem Moment wurde uns beiden mulmig. Aber dann dachten wir: Diese drei liebenswerten, frechen, energischen, manchmal vergnügt unsortierten Geschöpfe stehen da draußen auf eigenen Füßen und leben ihr Leben. Bei allem Zweifel an der eigenen elterlichen Performance, die nun wirklich nicht immer Champions-League-Niveau erreicht hat, sieht es so aus, als hätten wir in den vergangenen zwanzig Jahren ganz viel richtig gemacht.

Also Zeit, eine Pulle zu öffnen.

Und zwar eine richtig gute.

Ich bin keine alleinerziehende Brigitte-Redakteurin

Ich habe gerade die ersten Seiten noch einmal gelesen und spontan gedacht: Darf der das? Dürfen Väter überhaupt Familienbücher schreiben? Die sind doch nie da.

Normalerweise wird der Familienbuchjob von alleinerziehenden Redakteurinnen auflagenstarker Frauenzeitschriften erledigt. Doch, doch, ich habe das recherchiert. In diesem speziellen Fall von Autorinnen, deren Einzelkinder ausgerechnet in der Menopause flügge werden. Meist tragen diese Werke in Anlehnung an einen amerikanischen Blockbuster Titel wie »Irgendwas allein irgendwo«. Das Lamento zwischen den Buchdeckeln ist dementsprechend umfassend und reicht von cellulitischen Oberschenkeln über wechseljährige Hitzewallungen und fünfzigste Geburtstagsdramen bis hin zur dringend gebotenen Kalorienvermeidung durch die orale Einnahme veganer Aufläufe. Um Kinder geht’s kaum. Um Partner nur am Rande.

Gelegentlich findet man auch noch den ein oder anderen therapeutischen Ratgeber, den ausgeflogene Kinder ihren Müttern in die Hand drücken sollen und der dankenswerterweise das Omawerden gleich mit abdeckt.

Väterprosa gibt in dieser Beziehung auch nicht viel her. In der meiner Altersgruppe zur Verfügung stehenden, von Männern verfassten Ratgeber- und Unterhaltungsliteratur geht es in der Regel um schrumpfende Haarpracht, wachsende Wampen, widerspenstige Prostatas, Viagra, Fußball und Grillen, gelegentlich unterbrochen von hold verklärten Reminiszenzen an den ersten Sportwagen und ans Vatersein. Drastische Schilderungen von Windelinhalten, die nach Angaben der Verfasser unter die Biowaffenkonvention der Vereinten Nationen fallen sollen, suggerieren humorig, man sei als Vater von Anfang an dabei gewesen. War man aber nicht. Statt um sieben Feierabend zu machen, schaukelte sich Papi im Büro nämlich lieber noch eine Stunde die Eier, damit er zu Hause nicht in den Zubettgehstress geriet. Außerdem gab’s ab halb neun immer eine Riesenrunde Mitleid für den schwer schuftenden, Überstunden absolvierenden Partner. Und einen strammen Max. Mit zwei Spiegeleiern.

Sieht ganz so aus, als stünde meine »wunderbare Idee« ziemlich alleine auf weiter Flur. Es gibt tatsächlich nichts, wo ich mal nachschauen könnte, wie man so ein Thema am besten aufsetzt oder wo ich ein bisschen was abkupfern könnte. Das machen wir Werbetexter ja gern. Lieber gut gekupfert als schlecht versilbert, sagte schon mein erster Kreativchef vor dreißig Jahren. Kein Wunder also, dass ich keine Ahnung habe, wo der Hase lang laufen soll.

Das Einzige, was sicher ist: Es soll kein Ratgeber werden. Ratgeber für den Lebensabschnitt ohne Kinder gibt es wirklich genug: Diätratgeber, Hobbyratgeber, Marathonrennratgeber, Depressionsratgeber, Midlifecrisisratgeber, Autoreparaturratgeber, Gartenbauratgeber, Cholesterinsenkungsratgeber, Ratgeberhandhabungsratgeber, Achtsamkeitsratgeber. Du lieber Himmel! Achtsamkeitsratgeber!

Es folgt eine Achtsamkeitsübung zum Vertrauensaufbau:

Schließen Sie die Augen und lassen Sie sich

rücklings in die Arme Ihrer Partnerin fallen …

… die jetzt idealerweise nicht panisch wegrennt,

um den Herd abzuschalten, der Ihren Speck

(»Heute mach ich mal das Frühstück, Schatz!«)

gerade in qualmende Kohlenklumpen verwandelt

Nein, ich will kein Ratgeber sein. Ich will nur ein Vater sein, der von sich erzählt, von seinem Leben, wie es ihm ohne Kinder geht und was ihm wichtig ist.

Wie es war, ich zu sein.

Wie es war, Vater zu werden.

Wie es ist, Vater zu sein.

Wie es ist, wieder ich zu werden.