Märchen aus einer grausamen Welt - Jesko Habert - E-Book

Märchen aus einer grausamen Welt E-Book

Jesko Habert

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Beschreibung

Es war einmal und ist noch immer ... Eine Welt, die grausam ist und schön zugleich, die Ungereimtheiten mitten unter uns. Sie liegen auf regennassem Asphalt und in verlassenen Buchhandlungen, hinter den gescheiterten Revolten hoffnungsloser Idealisten und zwischen abgerissenen Kalenderblättern. Dort sammelt der Bühnen-Poet Jesko Habert sie auf und verdichtet sie zu fein gereimten Zeitgeist-Chroniken, lässt zu Straßenmusik seine Gedanken schweifen, ruft auf zu mehr Menschlichkeit und ersinnt Hymnen an die Nachtfalter. Denn in jeder Finsternis lauert ein Märchen.

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Seitenzahl: 92

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periplaneta

JESKO HABERT: „Märchen aus einer grausamen Welt – Fein gereimte Ungereimtheiten“ 1. Auflage, September 2017, Periplaneta Berlin, Edition MundWerk

© 2017 Periplaneta - Verlag und Mediengruppe Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin www.periplaneta.com

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Die Handlung und alle handelnden Personen sind erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Ereignissen wäre rein zufällig.

Lektorat: Vanessa Franke, Marion A. Müller Cover: Jesko Habert; Satz & Layout: Thomas Manegold

print ISBN: 978-3-95996-083-0 epub ISBN: 978-3-95996-084-7

Jesko Habert

MÄrchen aus einer grausamen Welt

- Fein gereimte Ungereimtheiten -

periplaneta

Den Stadtvögeln und Fremdgängern, den Freunden von der Saale

Der Frankfurter Diaspora und Homies der Zentrale

Den Weddingern, den Kreuzbergern, Enkeln und den Ahnen

Den Lektoren und Mitgliedern von dem Verlag der Schaben

Den Erstlesern und Kritikgebern, Musen und Propheten

Den Slamily-Nachtfaltern und besonders Kiezpoeten

Der selbstgewählten Einsamkeit von schreibfreudigen Nächten

Der Gutmenschen-Familie aus Schwalbe und den Spechten:

Danke für die Märchen

JH

Lyrik der verpassten Revolution

Hier | Auf des Dichters lot-weißen Seiten | Zwischen rot-heißen Zeichen | Über tot-weiche Leichen | Jener schrotreichen Zeiten | Hier | In der Tatenlosig- | Meiner Ratlosigkeit | Aus dem Märchenfarbenkäfig einer Zartrosigkeit | Hier | Aus der Zeit unsrer Väter | Leid ohne Täter | Nur als Mitwisser geboren, doch bereite Verräter | Schwebt der Geist der Repression | Und verheißt die Rebellion | Spricht aus längst verpassten Chancen so, als reiche sie uns schon | Während draußen noch die Salven seiner Revolte erschallen | Schreib ich seinen Abgesang schon für den Fall, sollte er fallen | Gewehrläufe aus Tinte zeichnen nach, was schon gesehen | Ohne Sätze kein Geschehen | Und ich schätze das Vergehen | Ich bin nur ein Schläfer, und ich warte auf die Nacht | In welcher uns’re Welt in einer Feuersbrunst erwacht | Es ist die schönste aller Erden, die wir erben, wenn sie fällt | Schreiben Revolutionslyrik einer grauenhaften Welt

Die Chroniken von Lyrien

Von Daktylus bis Alexandriner hat man den Ort gekannt

Wenn ich durch’s Land zog, trug ich ein Wort-Gewand

Elfchen flogen um mich rum und riefen Kalauer und Zoten

In meinem Kopf entstanden Zeilen, an den Füßen trug ich Noten.

Und weil ich ohne sie nicht alles, was ich wollt

Auch wirklich horten kann, sorgte ich dafür, dass ich nun Satzkästen mein Eigen nenn

In die ich jeden frühen Morgen meine Zeichen setz

Da es am Anfang stand: Das Wort ist mein Gesetz

Darum les und leb ich täglich in der Heiligen

Schrift, da man dem Dichter halt Respekt zollt

Ich lebte Schritt für Schrift, bloß mitnichten in Rente

Arbeitete in dem Kunst-Stoff-Werk für Dichtelemente

Nicht alles schien perfekt, doch uns’rem Volk das Glück hold

Schweigen war Reden. Silben waren Gold

Der Welt der Künste bekannt

Hier leben Kyrien

Metaphernreich, dieses Land:

Es lebe Lyrien!

Alles fing an mit dreizehn Spreng-Sätzen der Anagramm-Legion

Anstatt lyrisches Subjekt nun Lyrik-Jet-Beschuss

Vom Schüttelreim geschüttelt war die ganze Nation

Viele Regionen mussten fliehen im Jambus

Kurz darauf hob sich das Metrik-Diktat an die Macht

Limericks slammten sich durch unsere Wälder

Lautgedichte lärmten linguistisch, Tag und auch Nacht

Episches Drama prägte Rap-Battlefelder

Immer wieder spielten die Liga-Sieger Lieder über ihre Krieger

Gibt statt Rechtsprechung eine willkürliche Punchline

Das Militär bekam die Rohstoffe für tausend Papierflieger

Unsereins höchstens Notizzettel zur Lunchtime

Man sah uns zu, die Welt der Künste weigerte sich, was zu tun

Leistete Meineid zu uns’rer Schein-Freiheit

Denn schließlich garantierte man nun geistiges Eigentum

Und Copyright-Fight light – für jede Reimeinheit

Der Welt der Künste bekannt

Hier lebten Kyrien

Metaphernreich war dies Land:

Es lebte Lyrien!

Die Welt der Künste hatte dazu nichts zu sagen, denn die Worte fehlten ihnen

Doch unser Wort gefiel wohl ihnen, also überfiel’n sie uns

Jetzt lief ein anderer Film hier in der Welt der Kunst

Und aus der göttlichen Komödie der Diplomatie

Wurde ein dantisches Inferno, so wie nie

Schauspieler an der Spitze schrieben Fremden-Elegien

Und sämtliche Medien tanzten nach ihrer Pfeife

Andre Saiten wurden aufgelegt, alles war aufgeregt

Denn plötzlich hingen Satzzeichen über der Stadt, als das Diktat mit dem Kreuzreim bestropht wurde

Doch die Sieges-Oden, die aus Krieges-Hymnen münden

Konnten nicht von Frieden künden

Denn ein Wort bildet mehr als tausende Sagen

Und ein Wort bildet mehr, als Tausende sagen:

„Souverän.“

Überragend wird euch das erschlagen

Hinter harter Schreibmaschinerie vollführen Haikus Harakiri

Durch automatisches Schreiben Seitenweise. Zeilenweit:

Vernichtete Kolumnen, die einst den Palast verziert’

Dicht an Dichter Autor-Bomben auf dem Markt platziert Anapest im Volk

Chaos

Kein Reimschema

Versteht ihr nicht?

Bloß weil jetzt alles Dada ist, woll’n wir nicht das Diktat zurück

Seht ihr nicht ein: Wir sehnen uns doch nur nach dem Umarmtsein

Aufs Neue. Von einem umarmenden Reim

Yolo

Deine Zahnbürste steht noch im Badezimmer

Der Kaffee ist noch warm, so wie immer

Doch die Tasche ist gepackt

Verlass die Stadt

Es ist kalt draußen, hol dir noch schnell den Fünf-Euro-achtzig-Synthetik-Pulli von KiK

Ich packe meinen Koffer, nehme mit: - Den Geruch von frischem Brot - Ein bisschen Nachdenklichkeit - Das Gefühl der Farbe Rot - Und die innere Schönheit

- Etwas Solidari-

- Viel Naivität

Und nichts von all den Sachen, die mir meist mein Vater rät

„Räum dein Zimmer auf, bevor du gehst“, hat meine Ma stets gesagt

„Falls du nicht wiederkehrst. Wie sieht das denn sonst aus? Irgendwann kommst du nach Haus und dann ist Chaos. Das will doch keiner!“

Deshalb räum ich den Mist weg, den ich hier gelassen hab

War nötig. Ist jetzt alles unter’m Bett

Falls wer wiederkommt

Ich werd’s nicht sein

Hab so viele Zahnbürsten in meinem Leben irgendwo vergessen

Zahnbürsten sind wie: der Glaube an die gute Welt

Verloren in Hotels und bei Affären, die du nicht mehr magst

Sagst: „Ist nicht so schlimm, wenn du den Neueinkauf vertagst. Ein paar Tage geht ja auch ohne.“

Und plötzlich brauchst du schon wieder eine Krone. Oder eine Drohne

(Also: Kronen im Fall von Zahnbürsten; Drohnen im Fall vom guten Glauben)

Rauben uns den Sinn, wenn wir uns Gründe zusammenklauben

Und uns einreden, dass wir schon wieder kommen

Irgendwann

Mit Zahnbürste und gutem Glauben. Doch:

Du gehst nur einmal fort

YOLO: You Only Leave Once

Vergesse dich, entfessel mich

Bin Djesko unchained

Doch das Geh’n ist stumm

Und eben drum

Lass ich’s leise hinter mir und kehr nie wieder zurück

Zehnmal am Tag gelogen

Neunmal, wenn jemand fragt, ob wir noch Kleingeld haben

Einmal, wenn man uns fragt, wie es uns geht

Suchen ein Leben lang nach jemandem, der uns wirklich versteht

Stell die Zahnbürste zurück, pack keinen Kompass ein

Statt dem Pass höchstens ein Bild mit deinem Konterfei

Sind ja ohnehin überall Kameras mit Gesichtserkennung und Profiling

Facebook real life

Und ja, es ist so wohlig warm und altbekannt

Doch hast dich bald verrannt und halt erkannt

Dass die Routine dich umbringt. Du zauderst

Ob dich dieser Schritt hinaus wirklich verzaubert

Doch hadre nicht. Warte nicht

Wo man dich nicht kennt, bist du frei

Nur wenn du dich auch ab und zu verbrennst, wirst du high

Lässt die Stadt zurück, die Liebe und die Bürste für die Zähne

Eine Träne in den Augen, ruf den Kellner, es ist Zahltag

„Tips appreciated“ – okay: Zückst den Stift,

Schreibst auf die Rückseite der Quittung diesen Ratschlag:

Du gehst nur einmal fort

YOLO: You Only Leave Once

Forgetting you, unsettling me

I’m Djesko unchained

But to leave is silent

So I’m being vibrant

Leave it quietly behind and I shall never come back

Dinge, die sich mitzunehmen lohnen

Von der Welt, in der wir wohnen:

- Vertrauen in Fremde

- Musikalische Klänge

- Guter Sex

- Schlechter Wein

- Ein paar freundschaftliche Hände

- Unser Recht zu demonstrier’n

- Die Kraft, die Welt hier zu ändern

(Bisher leider keinen von den staatlich-rechtlichen Sendern)

- Einen Basilikumtopf und

- Eine Tasche Gedichte

- Einen türkischen Park und

- Eine gute Geschichte

Flieg nach Palästina-Israel, versöhn die Religionen

Flieg nach Nordkolumbien, unterschreibe Petitionen

Gegen Paramilitärs, schiebe Paras, Militärs an jeder Straßenecke

Wacht auf, wenn ich mal die Straße wecke in chinesischen Provinzstädten

Frag die Wallstreet-Banken, ob sie nicht mal fairen Zins hätten

Für Studienkredite

Flieg direkt nach Berlin Mitte – ist es wirklich bei uns Sitte, dass wir Mauergedenkstücke für Luxusapartments abreißen?

Frag, wie die Verantwortlichen heißen, um dann öffentlich und wissentlich auf all die Penner zu scheißen

(Wenn ihr euch abputzt, benutzt bitte FSC-zertifiziertes Recycling-Klopapier)

Flieg nach Indonesien, verwandel die Palmölplantagen wieder in Regenwald

Schnell die Welt gerettet

Merk nur eben bald, dass ich im letzten Absatz mindestens sechs Fernflüge zurückgelegt habe

Würde meine Umweltbilanz ganz schön zerstören

Kauf ich eben wieder mehr Biomöhren, aber auf mich wollte ja keiner hören

Scheiß drauf. Ich bin ausgebrochen

Hab ein bisschen von der Welt gerochen

Wie sie röche, wenn sie nicht ständig röchelte wie ein Asthmatiker

Hab die Konvention der Alternativlosigkeit im „Ich allein kann ja nix tun“-Land zurückgelassen

Da, wo die Zahnbürste steht. Pragmatischer: ich ess jetzt einfach keine Schokolade mehr

Und plötzlich versteht man gar nicht mehr

Was man in dieser festgefahrenen Welt gefunden hat

Denn:

Du gehst nur einmal fort

YOLO: You Only Leave Once

Vergesse dich, entfessel mich

Bin Djesko unchained

Doch das Geh’n ist stumm

Und eben drum

Lass ich’s leise hinter mir und kehr nie wieder zurück

𝄆 Und doch 𝄇

Hast diesen Ort verlassen, wo dich jeder – wo du alles kennst

Und heimatlos irrst du durch die Welt

Das Fernweh: ist erloschen

Die Freiheit: abgedroschen

Und der Geruch von frischem Brot und das Gefühl der Farbe Rot

Sind langsam auch aus deinem Koffer verdunstet

(Und schließlich könntest du auch wieder eine Zahnbürste gebrauchen)

Und vielleicht willst du jetzt zurückkehr’n, doch du denkst an dieses Wort

„Verlasse je nur einmal jeden Ort“

Aber hey: Nur einmal gehn, heißt zweimal ankommen dürfen

Solang du danach bleibst

Und weil du weißt, dass du vorhast zu bleiben

Kommst du wieder

Wirst dich fortan nur noch fortschreiben

Hast im Kopf jetzt diese Tür, die du eintreten kannst

Und von da aus in die fernen Welten eintreten kannst

Auch in deiner Stadt für irgendetwas eintreten kannst

’68 ist in deinem Kopf, die Revolution

Erteil dir selbst die Absolution

Denn ob Occupy, Gezi oder Blutspenden

Übers Internet nach Syrien mehr Mut senden

Verhindern, dass die Polizisten unsre Wut pfänden

Oder für Freiheit sorgen von hunderten Bruthennen

Ist ja nicht so, als ob wir nichts tun könnten

Denn eines Tags bist du auf jedes höchste Haus der Stadt gestiegen

Hast festgestellt: es stimmt, du kannst die Langeweile-Welt besiegen

Hast jedes Anagramm von Mut gebildet: MTU, UMT und TUM

Doch irgendwann hast du sie gehabt, deine fünf Minuten Ruhm

Und wenn es wahr ist, dass du doch nur einmal lebst

Warst du wirklich auch lebendig, wenn du leider nichts bewegst?

Du nutzt die Zahnbürste, und das Basilikum steht auf der Fensterbank

Und es sieht aus, als wärst du sesshaft, aber du hast längst erkannt

Dass das Geh’n nur wirklich leise ist, wenn du bleibst

YOLO

Verändert diese Welt, dort wo ihr seid