Märchen für mutige Mädchen - Anja Zimmer - E-Book

Märchen für mutige Mädchen E-Book

Anja Zimmer

4,9

Beschreibung

Diese Märchen sind anders. Denn sie erzählen von abenteuerlustigen Prinzessinnen, Mädchen, die in die Welt hinausziehen, um ihr Glück zu suchen. Sie sitzen nicht brav zu Hause am Spinnrad und warten auf den Helden, sondern ziehen selbst los, um Prinzen zu befreien und sich ihren Platz in der Welt zu erobern. Ein Märchenbuch, das Mädchen Mut machen will, neue Wege zu gehen.

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Seitenzahl: 99

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Anja Zimmer

Märchen für mutige Mädchen...

… und solche, die es werden wollen.© Anja Zimmer, Frauenzimmer Verlag, Laubach - Lauter, 2004

Alle Rechte vorbehalten.Nachdruck und Vervielfältigung jeder Art, Verwertung in anderenMedien und anderen Sprachen, elektronische Speicherung,Bearbeitung oder Aufbereitung - auch in Auszügen - nur mit schriftlicherGenehmigung der Autorin.

Cover: Foto: Frank Glabian, Bearbeitung und Gestaltung: Anja Zimmer

ISBN 978-3-937013-14-5

Für Franka und Kyra

Klappentext:

Diese Märchen sind anders. Denn sie erzählen von abenteuerlustigen Prinzessinnen, Mädchen, die in die Welt hinausziehen, um ihr Glück zu suchen. Sie sitzen nicht brav zu Hause am Spinnrad und warten auf den Helden, sondern ziehen selbst los, um Prinzen zu befreien und sich ihren Platz in der Welt zu erobern.

Ein Märchenbuch, das Mädchen und Frauen Mut machen will, neue Wege zu gehen.

Inhalt

Der Name der Fee

Die Tasse, der Teller und der Aktenschrank im Keller

Alisas langer Weg

Der Name der Fee

Es waren einmal ein König und eine Königin, die lebten in einem kristallenen Palast. Sie hatten große Gärten, in denen es nach Blüten duftete, Diener brachten auf ihren Befehl was immer sie verlangten, und doch waren die beiden sehr, sehr unglücklich. Denn sie waren und blieben nur zu zweit. Die gelehrtesten Männer und Frauen wurden befragt, doch niemand konnte ihnen sagen, warum ihre Ehe ohne Kindersegen blieb. Eines Tages erschien der Königin im Traum ihres Mittagsschlafes ein alter Mann mit einem langen weißen Bart, der ihr prophezeite, sie würde noch vor Ablauf des Jahres eine Tochter zur Welt bringen. Wie sich die Königin da freute, kann niemand sagen. Aber dann sagte der alte Mann der Königin, dass die Tochter, wenn sie heranwüchse, ihre Eltern verließe und auf immer verloren sei. Die Königin rang die Hände und fragte den alten Mann, wie sie denn diesen Fluch von ihrer Tochter abwenden könne, denn sie konnte sich gar nicht vorstellen, ihre Tochter einmal herzugeben. Der alte Mann lächelte und reichte der Königin eine Haarnadel, an deren Ende eine große, schimmernde Perle saß.

„Sobald ihr Haar lang genug ist, steckt es ihr fest auf und ziert es mit dieser Nadel. Dann wird sie Euren Garten niemals verlassen. Hütet Euch aber vor der schwarzen Fee, deren Namen kein rechtschaffener Mensch je ausspricht. Sie wird eines Tages Eure Tochter verderben, wenn Ihr nicht aufpasst. Also seht zu, dass sie niemals in die Nähe der Prinzessin kommt. Wenn die Prinzessin den Namen der Fee erfährt, wird sie sterben.“

Als die Königin erwachte, wunderte sie sich über den sonderbaren Traum. Er erschien ihr so lebendig, dass sie ganz sicher war, wirklich mit dem alten Mann gesprochen zu haben. Und als sie in ihrer Hand eine kunstvoll gefertigte Haarnadel fand, an deren Ende eine große Perle saß, da wusste sie, dass alles Wirklichkeit werden würde und rüstete ein Gemach, in dem ihre Prinzessin wohnen sollte.

Und als sich das Jahr seinem Ende zuneigte, gebar sie eine kleine Tochter. Der König und die Königin waren überglücklich. Die Prinzessin wuchs heran, lernte laufen, spielte im Palast und in den Gärten und war glücklich, obwohl die Königin ihr täglich das Haar streng aufsteckte und mit der Haarnadel zierte, die sie von dem alten Mann bekommen hatte.

Als die Prinzessin sieben Jahre alt war, entdeckte sie ein großes Tor in der Gartenmauer, durch dessen Spalten sie einen noch viel größeren und schöneren Garten sehen konnte. Sie versuchte, das Tor zu öffnen, doch da hörte sie plötzlich eine feine Stimme, die ihr zurief: „Das kannst du nicht! Das kannst du nicht!“

Da zeigte sich die Wirkung der Haarnadel, denn in der Perle saß ein kleiner Kobold, der immerzu seinen Namen rief. Und sein Name war: Das kannst du nicht.

Die Prinzessin zog sich erschrocken von dem Tor zurück und mied es fortan, denn sie wollte diese höhnische Stimme nicht mehr hören.

Ihre Eltern liebten sie sehr und hatten bemerkt, dass die Tochter an dem Tor gestanden und die Nadel sie zurückgehalten hatte. Sie hielten Feste ab für ihre Tochter, ließen Musiker und Gaukler kommen, um sie zu unterhalten und doch schien es ihnen, als fehle ihrem Kind etwas.

Es vergingen sieben Jahre, bis die Prinzessin wieder an dem Tor stand. Sie blickte durch die Spalten. Und der Garten, der sich nun vor ihr auftat, erschien ihr noch weitaus schöner als beim letzten Mal. Sehnsuchtsvoll legte sie ihre Hände an das kalte Holz, lehnte ihre Stirn an das Tor, um noch besser sehen zu können. Doch dann fasste sie entschlossen die Klinke an und rüttelte kräftig daran. Das machte einen großen Lärm und fast hätte sie die feine Stimme überhört, die ihr wieder zurief: „Das kannst du nicht! Das kannst du nicht!“

Sie probierte es noch einmal, aber als die Stimme immer lauter und höhnischer rief, stahl sich die Prinzessin traurig davon.

Der König hatte gesehen, dass seine Tochter wieder an dem Tor gestanden hatte. Er ließ Maurer kommen, die das Tor zumauerten. „Wenn die Prinzessin die Landschaft draußen nicht mehr sieht, wird sie vergessen, dass es sie gibt und sie wird für immer hier bleiben.“

Aber er hatte die mächtige Feindin des alten Mannes nicht bedacht. Die schwarze Fee wachte über die junge Prinzessin. Doch erst nach drei mal sieben Jahren würde sie in das Leben der Prinzessin treten können.

Der König und die Königin gaben große Feste und Maskenbälle für ihre Tochter, sie setzten ihr die erlesensten Früchte aus ihrem Garten vor, doch die Prinzessin war und blieb traurig. Immer öfter, wenn sie durch den Garten streifte, schlich sie an dem nun zugemauerten Tor vorbei, immer länger blieb sie dort, suchte einen Spalt in der Mauer, doch die Maurer hatten gut gearbeitet.

Es war der Vorabend ihres einundzwanzigsten Geburtstages. Die Nacht war mild und voller Düfte, die der Wind über die hohe Gartenmauer bis zu ihr trug. Aus dem Garten vor ihrem Fenster drang nur das Rauschen der Blätter zu ihr empor. Sie wollte eben ihr Haar lösen und kämmen. Schon hatte sie die Nadel mit der Perle aus ihrem Haar gezogen, da schaute sie in den Garten. Hatte sie dort nicht einen Schatten gesehen, wie von einem Kleid? Sie steckte die Haarnadel wieder auf, warf sich ihren Mantel über, schlüpfte in ihre Schuhe und schlich sich hinaus in den nächtlichen Garten. Wie schön es hier war, wenn nicht der Lärm der Gärtner die Luft erfüllte. Und da war es wieder, das Rascheln und Rauschen, das Schimmern, das sie eben von ihrem Fenster aus gesehen hatte. Und schon war es wieder verschwunden. War dort hinter dem Holunder nicht eine große, hoheitsvolle Gestalt verschwunden? Die Prinzessin ging ihr nach, doch hinter dem Holunderbusch war niemand. Sie blickte sich um und sah nun deutlich eine Frau auf der Gartenmauer. Sie war in ein langes schwarzes Gewand gehüllt, das über die Mauer herabfiel. Ihre Haut war so schwarz wie der Sommernachtshimmel über ihr und ihre Augen leuchteten heller als die Sterne. Ihre ganze Gestalt strahlte Liebe und Güte aus. Die Prinzessin streckte die Arme nach ihr aus, lief auf sie zu, war schon an der Mauer und fand sich wie durch Zauberei oben auf der Mauer wieder. Wie hoch sie war! Ihr schwindelte. Konnte sie es wirklich wagen? Da wisperte eine feine Stimme in ihrem Ohr „Das kannst du nicht!“ Traurig sah die Prinzessin zurück in den Garten. Nein, sie konnte wirklich nicht, und doch… Gerade als die Stimme weiterwisperte, rief plötzlich eine andere, viel schönere, mächtigere, kraftvollere Stimme: „Komm! Komm, Prinzessin!“

Da sprang die Prinzessin. Sie wusste nicht, ob sie den tiefen Sprung überleben würde, sie hatte die Augen geschlossen und wartete auf den Schmerz, wenn sie hart auf dem weit, weit unter ihr liegenden Boden auftreffen würde. Aber er blieb aus. Sie fühlte sich getragen wie von sanften aber starken Händen, die sie sicher auf der Erde absetzten. Da stand sie nun im hellen Mondschein unter dem Glanz der Sterne. Die schwarze Fee war verschwunden, doch lockte das rauschende Gewand der Fee die junge Prinzessin immer weiter fort von der Gartenmauer und fort vom Palast ihrer Eltern. Sie lief und lief die ganze Nacht. Immer wenn sie glaubte, die Fee eingeholt zu haben, sie hinter einem Felsen oder einem Strauch vermutete, war sie doch wieder allein in der Nacht, nur das ferne Rascheln des Feenkleides trieb sie weiter.

Schließlich sank die Prinzessin erschöpft unter einem Strauch nieder.

Was sollte sie tun, was sollte sie beginnen? Wovon sollte sie leben? Die feine Stimme meldete sich wieder, als die Prinzessin darüber nachdachte, wie sie sich ihren Unterhalt verdienen könnte. Sie hatte nichts weiter gelernt, als eine Prinzessin zu sein. Prinzessinnen wurden in der Welt nicht gebraucht. Aber die Fee? Wenn sie sie so weit gebracht hatte, dann würde sie schon für sie sorgen. Sie würde sie nicht verlassen. Als die Prinzessin eingeschlafen war, hielt die schwarze Fee inne, wandte sich der Prinzessin zu und ließ sich schließlich an ihrer Seite nieder. Sie schaute auf das schlafende Mädchen, schaute auf den weiten Weg, den sie in dieser Nacht schon gelaufen war und strich mit ihrer Hand, die so schwarz war wie der Sommernachtshimmel über die weiße Stirne. Sachte, ganz sachte hauchte sie das Mädchen an. Da zeigte sich ein Lächeln auf dem sonst so traurigen Gesicht der schönen Prinzessin.

„Erkenne meinen Namen!“ flüsterte sie ihr zu. „Erkenne meinen Namen! Meinen Namen!“

Dann erhob sie sich wieder und verschwand, denn schon zeigte sich ein silberner Streif am Horizont.

Als die Sonne hoch am Himmel stand, erwachte die Prinzessin. Ihre Glieder schmerzten, denn sie war es nicht gewohnt, ohne weiche Kissen und Decken zu schlafen. Doch sie streckte sich, gähnte, rieb sich den Schlaf aus den Augen und sah sich erstaunt um. Sie hatte also nicht nur geträumt. Sie war tatsächlich aus dem Palast und dem schönen Garten entkommen und war schon so weit gelaufen, dass sie den Palast gar nicht mehr sehen konnte. Und die Fee hatte ihr gesagt, sie solle ihren Namen erkennen. Ihren Namen erkennen. Was mochte sie damit wohl gemeint haben? Die Prinzessin erhob sich und ging einfach weiter in die Richtung, von der sie glaubte, dass sie sie weiter weg führte vom Palast. Der Gedanke an ihre Eltern schmerzte sie, aber sie wusste, dass sie diesen Weg nun gehen musste. Sie ging den ganzen Tag über. Die Sonne brannte auf sie hernieder. Die Landschaft, die von ihrem sicheren Garten aus so lieblich ausgesehen hatte, war in Wirklichkeit rau. Aber obwohl die Prinzessin Durst und Hunger hatte, hatte sie noch immer Augen für die raue Schönheit dieser Landschaft. Die Weite des Landes weitete ihr das Herz und ließ sie freier atmen. Und sie vertraute darauf, dass die schöne Fee sie sicher nicht verdursten lassen würde. So wanderte die Prinzessin den ganzen Tag, bis sie am Nachmittag an eine kleine Hütte kam. Ein Mädchen saß davor und pellte emsig Erbsen in eine Schale.

„Guten Tag, Mädchen!“ sagte die Prinzessin.

„Guten Tag!“ sagte das Mädchen

„Kannst du mir bitte etwas zu Trinken und zu Essen geben?“

„Sicher. Komm mit mir. Drinnen ist alles was du brauchst.“

Das Mädchen führte die Prinzessin in ihre Hütte, hieß sie an dem groben Holztisch Platz nehmen und setzte ihr einen Krug Wasser und Haferbrei vor.

„Es ist nicht viel, was ich dir anbieten kann, aber ich teile es gerne mit dir.“

„Ich danke dir. Ich habe den ganzen Tag nichts gegessen. Es schmeckt köstlich.“ Und als die Prinzessin den Haferbrei gegessen und das Wasser getrunken hatte, sagte sie: „Darf ich dir eine Frage stellen?“

„Sicher, nur zu.“

„Weißt du, wie die Fee heißt?“

„Welche Fee? Ich kenne keine.“

Da wurden die Augen der Prinzessin wieder traurig.

„Weißt du, ich muss unbedingt ihren Namen erfahren. Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll. In der letzten Nacht ging sie vor mir her, aber ich konnte sie nie erreichen. Ich würde so gerne mit ihr sprechen.“