Märchen von den Hügeln & Die Zaubermenagerie - Miriam Margraf - E-Book

Märchen von den Hügeln & Die Zaubermenagerie E-Book

Miriam Margraf

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Beschreibung

In Buch I, den "Märchen von den Hügeln", erzählen sechs Fantasiegeschichten märchenhaft und doch auch wirklich von Elben und Halbelben, von den Unterirdischen im Berge, von Magiern und Menschen. Auf und unter den Hügeln über dem Strom, der die Stadt durchfließt, in den Wäldern und Behausungen folgen wir Leontine, dem Löwenmädchen und den anderen Gestalten, bis hin zum großen Fest und seinem Ruf: "Die Tromba erschallt, und wir werden verwandelt!" In Buch II, die "Zaubermenagerie", steigt eine junge, Erfolg gewohnte Frau in ihr repräsentatives Auto, um unaufschiebbare Termine und wichtige Konferenzen wahrzunehmen. Doch dann mündet die glatte Landstraße in eine Umleitungsstrecke, gibt es einen Zusammenstoß mit einem Zirkuswagen, taucht plötzlich ein verwunschener Turm auf, indem Schausteller inmitten geheimnisvoller Requisiten wohnen. Es bedarf bitterer Erkenntnisse, bis sie begreift, dass sie zu sich selbst unterwegs ist, dass die staubigen Manuskripte mit den alten Geschichten, die man ihr zuspielt, sie persönlich betreffen und dass ihr die verstörten Löwen und wilden Harpyien in den märchenhaften Wäldern ringsum gar nicht fremd sind ...

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Waldtraut Lewin/Miriam Margraf

 

Märchen von den Hügeln

Die Zaubermenagerie

 

 

 

 

 

 

Märchen von den Hügeln

 

 

Peter Schreier gewidmet

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ISBN 978-3-949629-17-4

Erstauflage 1985 im Kinderbuchverlag Berlin

© Bradamante Verlag, Berlin 2021

Umschlag: Carl Hoffmann

Waldtraut Lewin

Die Löwenjungfrau

Seine Exzellenz empfängt Besuch

An einem Septemberabend, so zwischen Sommer und Herbst, stand ein alter Mann in seinem Garten und verbrannte das erste welke Laub, denn der Sommer war sehr heiß gewesen, und die Blätter begannen früh zu fallen. Damit ihm das Feuer fein groß geraten sollte, schleifte er dürre Zweige vom Vorjahr herbei, die in einem Winkel lagen, raufte getrocknetes Gras aus und tat es dazu, und schließlich holte er noch einen Armvoll des aufgeschichteten Buchenholzes, das für den Kamin bereitlag. Dann griff er verstohlen in seine Hosentasche, und nachdem er sich umgesehen hatte, ob er auch unbeobachtet sei, sprengte er aus einem glitzernden Fläschchen ein paar Tropfen in die Flammen. Sofort loderte es hoch auf, ja, die Feuerzungen nahmen die schönsten Farben an und schimmerten abwechselnd grün, rosa und blau.

Der alte Mann stützte sich zufrieden auf den Rechen, mit dem er das Laub geharkt hatte, und betrachtete sein Werk. In der beginnenden Dämmerung leuchteten die Flammen und wetteiferten mit der Abendröte am Horizont.

»Ist es gestattet, näher zu kommen«, fragte eine weiche, wohltönende Stimme. »Wie ich sehe, sind Exzellenz ganz in Ihrem Element.«

Aus den tiefen Schatten der Rhododendren löste sich eine hohe Gestalt und trat lautlos an den Alten heran, der nicht einmal mit der Wimper gezuckt hatte.

»Ich dachte wahrhaftig, wenigstens auf meinem eigenen Grund und Boden wäre ich sicher«, erwiderte er, ohne den anderen anzusehen. Neben der klangvollen Sprache des Ankömmlings war die seine merkwürdig knarrend und quäkend.

Der andere lachte. »Ja, der Maßnahmen sind ja genügend! Die Warnschilder überall, diese geheimnisvollen Türen, die sich von selbst öffnen und schließen, diese argwöhnischen dürren Wächter mit den Hunden, die das Terrain umkreisen, die hohen Mauern, die abweisenden Zäune, gekrönt mit Zacken und Spitzen! Immerhin kenne ich denn doch noch andere Pfade als jene, die Sie mir versperrten.«

»Da Sie hier sind, scheinen meine Maßnahmen mangelhaft zu sein«, bemerkte der alte Mann und streifte den Besucher mit einem kurzen Blick, der unter den buschigen Brauen wie ein Blitz hervorschoss. Der Ankömmling war merkwürdig anzuschauen. Im Vergleich zu dem kleinen Alten wirkte er groß und hoheitsvoll. Von Kopf bis Fuß hüllte ihn ein dunkler Mantel ein, der wohl bewirkt hatte, dass er erst so spät sichtbar wurde zwischen den Rhododendronbüschen. Um seinen Kopf schlang sich eine Art Kranz aus Zweigen, der durch die strahlenförmig abstehenden Blätter fast wie eine Krone erschien.

Der Alte warf einen zweiten Blick.

»In voller Montur, Herr Klinger, wie ich sehe«, quäkte er. »Was verschafft mir also die Ehre Ihres Besuchs?«

Wie er sich da auf seinen Rechen lehnte und zu dem anderen aufschaute, klein, in seiner grauen Strickjacke, die sich knapp um den runden Bauch spannte, und mit rötlichem Schädel, der von einem Ring strubbligen weißen Haars umgeben war, sah er recht schäbig aus.

»Exzellenz Darenna, Herr Feuersalamander und Hoher Magier«, sagte Klinger feierlich und beugte das Knie, »ich bitte Sie um die Hand Ihrer Tochter Leontine.«

Um die beiden breitete sich das Dunkel der schnell anwachsenden Nacht aus. Nur der Horizont war noch immer rosenhell.

Magier und Elbenfürst

Zu den Zeiten, als die Erstgeborenen der Schöpfung, die Elben, noch freundlichen Umgang mit den Menschen pflegten und unter ihnen umhergingen, wählten sie sich als eine ihrer bevorzugten Wohnstätten die Hügel oberhalb des von ihnen geliebten Stroms, der ihren Namen führt. Die Menschenkinder nahmen sie freundlich auf, denn das Schöne Volk, wie die Elben auch genannt werden, liebte nicht nur den Wein und die Lieder, sondern verstand es auch, die Willigen zu lehren, wie man Reben anbaut und keltert, Instrumente fabriziert und sie kunstreich spielt. Zudem war, wo die Elben hausten, Licht und Heiterkeit, die Natur freundlich, Missernten, böser Wuchs, Seuchen und Krankheiten fern. Gemeinsam legten beide Völker Weinberge und Gärten an, bahnten liebliche Pfade zwischen den Hügeln, auf dass ein anmutiges Hin und Her zwischen den Wohnungen der Sterblichen und der Erstgeborenen herrsche, und sangen von früh bis spät.

Als sich aber die Menschen um des Besitzes willen zu entzweien begannen, als sie die Waffen gegeneinander erhoben, als der Strom schwarz wurde und die Luft unrein, zogen viele des Schönen Volkes, wie man weiß, fort in das Land hinterm Meer, wo sie alterslos und in ewigem Frieden leben können. Einige jedoch liebten den Strom und die Hügel über alles und blieben.

Jedoch gewisse Züge ihres Wesens, über die früher die Bewohner der Gegend lächelnd hinweggingen wie über die dummen Seiten, die nun einmal jeder Mitbürger hat, ließen nun die Menschen mit Misstrauen auf sie blicken. Sie waren so wenige und wurden deshalb besonders beachtet und beurteilt. Man nannte das Schöne Volk nun unberechenbar, leichtsinnig, wankelmütig und zu Schabernack und Spott geneigt. Wohl konnte es vorkommen, dass ein Elb einen Sterblichen besuchen wollte, und der schloss bei dessen Nahen die Tür. Mit der Zeit sah man sie wahrhaftig an wie seltsame Tiere, die längst ausgestorben sein sollten.

Viele gingen noch fort, die aber blieben, nahmen menschliche Gestalt an und unterschieden sich nun äußerlich nicht mehr von den Sterblichen, obwohl sie in Wahrheit unsterblich waren und mit anderen Mächten ausgestattet als die Menschen. Da Elben aber, wie uns Meister Tolkien lehrt, von Natur sehr vergesslich sind, so konnte es wohl geschehen, dass manche über einen ganzen mehr oder weniger sorglos verbrachten Zeitraum hinweg gar nicht mehr wussten, dass sie zum Schönen Volk gehörten, oder sie wussten es nur halb und wie in Träumen.

Als auf jener Seite der Hügel, die an den großen Wald angrenzt, gar keine Erstgeschaffenen mehr wohnten, kam ein Großmeister der Magie und Hoher Lehrer des Menschengeschlechts in jene Gegend, dessen Kunst noch von den Urquellen stammte und der sich ständig in ihr vervollkommnet hatte. Ihm gefiel das Land, wie es einst den Elben gefallen hatte, und er ließ sich ebenfalls über dem Strom nieder. Darenna oder Exzellenz Darenna, wie er sich gern von den Menschen nennen ließ, war ein vertrauter Geist des Feuers und deshalb Meister in allen Künsten des Feuers, wie schmieden, schmelzen, Ton brennen, destillieren und dergleichen mehr. Er lehrte die Menschen, auf die Stoffe einzuwirken, sie zu verwandeln, zu formen und sich dienstbar zu machen, und so verhalf er ihnen zu Reichtum, Macht und Ansehen, und sie ehrten ihn hoch.

Alsbald erklärte er das Hügelland bis zum Grund, der es teilte, zu seinem Eigen und verfuhr hier hinfort nach seinem Gefallen. Wo das erhabene Land plan war und nach dem Wald zuging, ließ er schöne Alleen ziehen, und die Menschen bauten sich prunkvolle Häuser, umgeben von gepflegten Gärten, ihre Wohlhabenheit sowohl zu genießen wie vorzuzeigen. Darenna selbst aber gehörte das prächtigste Haus in dem größten aller Gärten; am Rande des zum Strom abfallenden Hügels stand es und spiegelte sein grünfunkelndes Dach im Angesicht des Wassers. Er selbst aber schloss sich in seinen Laboratorien ein und ersann immer neue Dinge, die dem Geist der Sterblichen unerreichbar waren, und beschenkte sie von Zeit zu Zeit mit einem seiner hilfreichen Wunder. Indes man sich seines Angesichts kaum mehr erinnerte, wurde sein Name zur ehrfürchtigen Sage, bis sich diese Verehrung fast in Hass verwandelte wegen eines Dinges, von dem später zu reden sein wird und als dessen verbrecherischen Urheber ihn das Gerücht bezeichnete.

Es lebte aber auf der anderen Seite des Grundes zwischen den Bergtreppen und den weinumrankten Fachwerkhäuschen ein Elb, der hatte weder Herkunft noch Wissen vergessen, denn er war einer der Fürsten und Großen seines Volkes gewesen und hatte es auch unter den Menschen zu hohem Ruhm gebracht, die ihm, dem Sangeskundigen, den Namen Klinger gegeben hatten. Elben sind nicht ehrgeizig und trachten nicht nach Herrschaft, aber den Klinger verdross die Macht des Magiers, der ganz so tat, als habe er und nicht das Schöne Volk die Hügel bewohnbar gemacht, und so begann er, sich ihm entgegenzustellen - nicht, ihn zu bekriegen, das ist nicht Elbenart, aber doch, ihn zu necken, herauszufordern oder zu übertrumpfen, wann immer es ihm einfiel. Es konnte wohl geschehen, dass er, beschäftigt mit seinem menschlichen Leben, Dezennien lang den anderen vergaß (vergesslich war er wie alle seines Volkes), dann aber erwachte sein Stolz, und halb scherzhaft, halb hoheitsvoll störte er die Berechnungen Darennas.

Der Magier war dergleichen nicht gewohnt. Er schloss seine Kreise fester, argwöhnisch bedacht darauf, in diesem für menschliche Empfindung endlosen Kräftemessen nicht zu verlieren - was immer das auch sei.

Zweihundertfünfzig Jahre verliebt

Der alte Mann räusperte sich. Er stand da, auf seinen Rechen gestützt, und sah auf den Knienden herab.

»Mir sind dergleichen Posen verhasst«, sagte er mit seiner knarrenden Stimme, »stehen Sie auf, Herr Klinger. Die Hand - hm - so, meiner Tochter, hm - also meiner Tochter Leontine. Wer hätte das gedacht?« Er begann schwungvoll die Asche zusammenzuharken, dass die Funken nur so stoben.

Klinger sprang ärgerlich auf und klopfte sich den Ruß vom Knie. »Ist das eine Art, auf eine ernst gemeinte Frage zu antworten?«, rief er.

»Sie überraschen mich, bester Herr Klinger. Ich wusste nicht, dass es Ihnen Ernst ist. Wer bittet heutzutage noch um Hände? Man nimmt sie sich einfach. Indessen - ehüm - nun, das ist wohl keine Frage, die zwischen Tür und Angel zu besprechen wäre. Darf ich Sie ins Haus bitten?«

Der Elb zog ein Gesicht, er betrat nur ungern die Behausung Darennas. Alles darin war ihm fremd: die geometrische Anordnung der Möbel aus Glas und Stahl, der metallisch glänzende Fußboden, die nackten weißen Wände und vor allen Dingen die vielen verchromten Hebel und Knöpfe, mit deren Hilfe sich der Magier alle Bequemlichkeiten verschaffte, die er wünschte.

Auch jetzt drückte er wieder auf einen dieser Knöpfe, und ein silbriges Tischchen kam klirrend und scheppernd dahergefahren, beladen mit Gläsern, Flaschen und Karaffen.

»Zur Feier des Tages«, bemerkte Darenna händereibend, »der mir den Herrn von der anderen Seite des Grundes ins Haus bringt ... Ich habe eine erlesene Auswahl von gebrannten Wässerchen, feinste Geister der Kirsche oder Aprikose, Korn auch, Wodka oder Aquavit!« Er kicherte.

»Das bekommt mir nicht«, sagte Klinger unbehaglich und griff sich an den Hals, »ich habe übermorgen in Salzburg zu singen. Haben Sie keinen Wein?«

Die Exzellenz warf ihm unter den buschigen Brauen hervor einen scharfen Blick zu. »Bedaure, das ist nicht mein Ressort.«

»Ein Glas sauberes Wasser werden Sie doch haben?«

Darenna drückte einen anderen Knopf, und ein metallisch schimmernder Becher schob sich unter einen bläulichen Hahn, aus dem sich eine abgemessene Portion Wasser in das Gefäß ergoss. Klinger kostete misstrauisch, aber dann verklärte sich sein Gesicht. »Das ist Wasser aus der Waldquelle«, rief er, »klar und frisch und prickelnd!«

»Nun«, erklärte der andere unschuldsvoll, »Sie werden mich doch nicht für so boshaft halten, dass ich Ihnen das Wasser aus jenen Röhren vorsetze, das die Menschen trinken.«

»Sie benutzen dergleichen nicht!«

»Ich nicht, wie sollte ich.« Dabei goss er sich ein geschliffenes Kristallglas voll seines Lieblingsgetränks und kippte es auf einen Zug hinunter. »Ah«, sagte er befriedigt und rülpste, worauf er »Verzeihung« murmelte. Obgleich sich Klinger alle Mühe gab, nicht hinzusehen, war ihm doch nicht entgangen, dass aus Darennas Mund dabei kleine Flämmchen schlugen. Er lächelte verstohlen.

Die beiden hatten mit Eintritt in das Haus des alten Mannes ihr Äußeres verändert. Während Klinger jetzt in lässigem Seidenhemd und bequemen Flanellhosen menschlich-weltmännisch im Sessel lehnte, die Beine übereinandergeschlagen, hatte der Magier seine kleine Gestalt mit einem schillernden Talar umhüllt, auf dem Flammenzeichen unruhig ineinander spielten.

»Zur Sache also«, schnarrte Seine Exzellenz. »Ich weiß nicht, wie und wo Sie Leontine kennenlernten, noch warum Sie vermeinen, sie heiraten zu müssen. Dass Sie zu mir kommen, zeigt mir, dass Sie - ehüm - doch nicht ganz so töricht sind wie Ihr Volk im Allgemeinen. Sie wissen, dass mit meinem Zorn zu rechnen ist und dass man mich nicht reizen soll.«

»Exzellenz«, unterbrach ihn Klinger und nippte an seinem Becher, »ich beginne mich zu langweilen. Sie wissen, wir Elben sind ein vergessliches Volk. Wenn Sie nicht bald Farbe bekennen, habe ich den Grund, weshalb ich hierherkam, aus dem Gedächtnis verloren.«

»Farbe? Gefällt Ihnen meine Farbe nicht?«, krächzte der alte Mann und ließ die geheime Glut seines Talars aufleuchten. »Wenn ich recht berichtet bin, wollten Sie etwas von mir. Also fangen wir an: Woher kennen Sie Leontine?«

Dem Elben war das Verhör nicht recht, aber er hatte Humor genug, sich darein zu schicken, und begann also: »Ich lernte das reizende Mädchen vor zweihundertfünfzig Jahren kennen.«

Das trockene Kichern des alten Mannes unterbrach ihn. »Verzeihung, Herr Klinger. Ich weiß zwar, dass für Leute Ihres Schlages zweihundertfünfzig Jahre wie ein Tag und ein Tag wie zweihundertfünfzig Jahre sind, aber falls ich Ihnen rechnen helfen darf: Meine Tochter Leontine ist genau siebzehn Jahre alt.« Dabei reckte er stolz den faltigen Hals und sah aus wie ein Truthahn, der sein Revier verteidigt.

»Ich weiß«, sagte der andere mit einem Seufzer. »Ich weiß nur zu gut, dass sie siebzehn ist. Aber hören Sie mich an, Exzellenz, ich bitte Sie. Wie Sie wissen, habe ich mit Musik zu tun, und auf eine Weise, dass es mir bei den Sterblichen Ehre einbringt. Zu jener Zeit nun, von der ich rede, sang ich vor den Ohren eines Königs der Menschen Lieder und Arien des Meister Sagittarius in einem von Fackeln erleuchteten Hofe, und rundum standen die schönen neuen Bildwerke aus Stein. Nachdem ich meine Kunst beendet hatte und, mit viel Beifall und goldener Ehrenkette belohnt, noch umherging zwischen den Statuen, fesselte eine wundersame Figur aus Sandstein meinen Blick. Der Körper der Gestalt war der einer liegenden Löwin, aber anstelle des Katzenkopfes wuchs ein vollkommener Frauenoberleib hervor, geschmückt mit Perlenkränzen über den nackten Brüsten und Ketten an den vollen Armen, und über diesem Körper schwebte in zierlicher Schräghaltung das Haupt, dessen Gesicht mich gleichzeitig in Bestürzung und Wonne versetzte, sodass ich die feine Gesellschaft, in der ich lustwandelte, völlig vergaß und zum Verwundern des illustren Hofs wie ein Trunkener auf das steinerne Bild zustürzte, um es zu umarmen. Ach, welche Verzückung vermögen leicht schräg gestellte Augen und ein voller Mund mit nach oben gebogenen Winkeln hervorzubringen, wie hinreißend ist eine runde Stirn, von der energisch die wohlgeformte Nase fortstrebt! Bevor ich ins Schwärmen gerate - Exzellenz, die Sphinx war Ihre Tochter. Ich liebte sie sofort und vergaß sie auf der Stelle wieder, als ich eine andere Frau sah, und als ich die vergessen hatte, wieder die nächste und so fort. Aber zwischen all den Schönen liebte ich immer nur eine und sie immer erneut: Das war das Bildwerk im königlichen Garten, halb Weib, halb Löwin, und mit den Jahrhunderten wuchs meine Sehnsucht nach ihr. Nun endlich bin ich in Leontine dem Urbild jener Statue begegnet. Es ist ihr Gesicht, Zug um Zug. Und nun ist es so stark, dass ich fürchte, nicht mehr vergessen zu können, welches doch eine der großen Segnungen ist, über die mein Volk verfügt, und ich bin nicht geschaffen, Liebesschmerzen zu erleiden - auch habe ich in meinem Beruf, wie Sie wohl wissen, viel zu tun und kann mir dergleichen nicht leisten. So bitte ich Sie denn noch einmal in aller Form um die Hand Ihrer Tochter.«

Er leerte sein Wasserglas. Darenna hatte während der Erzählung vier oder fünf Kristallbecher der scharfen Flüssigkeit heruntergestürzt und glühte immer feuriger.

Der Magier knarrte und schnarrte wie ein Uhrwerk, das man aufzieht, räusperte sich mehrmals, ohne dass seine Stimme dadurch an Klarheit gewann, und krächzte schließlich: »Narrenpossen und nichts, woran ich mich halten könnte. Ich hätte es wissen sollen, dass nichts Besseres zu erwarten ist. Also gut, Sie haben sich Leontine in den Kopf gesetzt, aber das Mädchen hat den Ihrigen, und falls es Ihnen nicht gelingt, sie zu gewinnen, wüsste ich nicht, was ich dabei soll. Wie kommen Sie darauf, sich an mich zu wenden?«

»Leontine selbst nannte es als Bedingung«, erwiderte Klinger widerstrebend.

»Oho!«, rief Darenna, und seine Augen belebten sich. »Das ist freilich eine andere Sache! Sie selbst? Nun, dann wird sie sich ja wohl etwas dabei gedacht haben? Sollte Ihr daran gelegen sein, dass der Alte dem Wirbelwind und Luftikus von der anderen Seite des Grundes ein bisschen auf den Zahn fühlt? Schön, schön. - Sie unterwerfen sich jeder Prüfung?«

»Jeder. Wenn Leontine es will.«

»Sie will es, Verehrter, sonst hätte sie Sie niemals zu mir geschickt. Sie kennt mich und kennt Sie.«

»Still«, unterbrach ihn der andere. »Ist das nicht das feine Geklingel ihrer Fußspange mit dem Glöckchen daran, da auf dem Gang im Garten? So hören Sie doch!«

»Sie hören das Gras wachsen, das ist ja bekannt«, erwiderte Darenna giftig. »Nichts ist da, alles nur Fantasie und Schneegestöber. Statt die Ohren für Fußglöckchen zu schärfen, passen Sie lieber auf, was ich Ihnen zu sagen habe. Also nochmals: Sie unterwerfen sich meinen Weisungen, da Sie von Leontine dazu verpflichtet wurden?« Und, da Klinger nickte, mit einem Stecknadelblitzen seiner hellen Augen: »So erfahren Sie als erstes: Das Mädchen ist gar nicht meine Tochter!«

Klingers Haus

Den Elben hatte sein unfehlbares Ohr nicht getrogen. Es war in der Tat das Geklimper von Leontines Fußspange gewesen, was da zu hören war. Ahnungslos, wer dort drinnen über sie verhandelte, wollte sie bei beginnender Nacht auf die andere Seite des Grundes. Leichtfüßig lief sie bergab auf Wegen, die ihr auch im Dunkeln vertraut waren, überquerte den Grund und begann den Aufstieg zu Klingers verborgenem Haus.

Sie benutzte die alten schmalen Pfade, die noch von dem Schönen Volk selbst angelegt waren, Vertrauen von Haus zu Haus zu tragen: Stiegen und Treppen, Leitern und Gänge zwischen efeuüberwucherten Häusern und vergessenen Gärten. Jetzt verfielen diese Steige, Gras und Kraut überwucherten sie, die Stufen bröckelten, denn die Menschen gingen hier kaum noch. Sie hatten sich andere Straßen gebaut, die weder zu steil noch zu schmal waren, wenn sie mit ihren Autos kamen.

Von überallher vernahm sie ein feines Rieseln. Das waren die Quellen, die unterirdisch zu Tal flossen. Oben rauschten die Bäume, und von den Häusern der Menschen schimmerten hier und da Lichter durchs Geäst, klangen verwehte Stimmen.

Das Mädchen ging schnell und sicher. Sie kannte jeden lockeren Stein, jede Vertiefung im Boden, jede zerbrochene Stufe. Das Haus des Elben war auf allen Seiten von undurchdringlichen Hecken aus Dorngesträuch umgeben und verborgen hinter den hohen Bäumen eines Parks, der wie längst verlassen wirkte. Leontine fand den Durchschlupf, der nur ihr vertraut war, und eilte zu auf das wabenförmige, gleichsam wie aus der Erde erwachsene Gebilde inmitten von Lorbeer, Myrten und Oleander.

Um keine Bäume fällen zu müssen, hatte Klinger das Haus um sie herumbauen lassen. Zwei dicke Spitzeichen flankierten die Tür aus Bergkristall, und die Kronen der Linden, die aus dem Wohnzimmer wuchsen, überschatteten das Dach. Der Fußboden, wusste Leontine, bestand dort aus Rasen. Alles war dunkel, nur durch den Kristall der Tür schimmerte ein mattes Licht. Das Mädchen zögerte, dann drückte sie den Klingelknopf, ein heller Ton fuhr durch die Stille. Nichts regte sich.

Schon wollte sie sich zum Gehen wenden, als es im Innern des Hauses plötzlich zu läuten begann; ein zarter Glockenton wie von einer Spieluhr formte eine Melodie, ein Lied, das sie wohl kannte, dessen Worte waren: »Guten Abend, mein tausiger Schatz.« Leontine lächelte: »Schelm, willst du mich necken? Lässt du, wo du nicht daheim bist, irgendwelche Geisterchen musizieren? Und wohin bist du ausgeflogen?«

Antwortete von drinnen die nächste Musik: »Des Abends kann ich nicht schlafen gehn.«

»Ach«, sagte Leontine, »wer weiß, wen du besuchst. Ich kehre um. Hast du auch darauf eine Antwort?«

Gleich kam es: »Wo gehst du hin, du Stolze?«

»Ich glaube gar, das Haus selber redet mit mir in den Zungen der Lieder. Das ist ein artiges Vergnügen und, wenn du schon nicht da bist, ein besserer Zeitvertreib, als über den Büchern zu hocken, wie es mein Vater will. Was hast du noch zu sagen? Liebst du mich noch?«

Da klang das Geläute: »Du mein einzig Licht, die Lilj’ und Ros’ hat nicht, was an Farb’ und Schein dir möcht ähnlich sein.«

Sie hielten noch eine Weile scherzhafte Zwiesprache, das Haus und das Mädchen, dann warf sie eine Kusshand gegen die klingende Wabe und ging. Als sie sich aber jenseits der Hecke noch einmal umdrehte, war da plötzlich kein Fenster, das nicht erleuchtet war, die Terrassen und Altane flammten im Glanz der Lampen, und das Dach glänzte golden durch die großen Bäume einen Abschiedsgruß. Lachend wandte sie sich ab und beschloss, die wundersame Bahn zu nehmen, um in den Grund zu gelangen.

Mit dieser Bahn hatte es seine Bewandtnis. Vor einem Jahrhundert war Exzellenz Darenna auf den Gedanken verfallen, den Menschen auf seiner Seite der Hügel den beschwerlichen Weg vom Grund zum Wald zu erleichtern. Er ersann ein kunstreiches Fahrwerk: zwei von Maschinen und Seilen gezogene Wagen, die wie Käfer am Rand eines Kruges die Steigung und Neigung gemächlich überwanden, sodass sich niemand mehr mit Lasten abzuquälen oder seine Füße zu strapazieren hatte, wenn er nicht wollte. Das Wunderwerk war so zuverlässig ersonnen, dass es bis zum heutigen Tag den Weg auf und ab lief. Um seinen Gang eben zu gestalten, hatte der Magier an zwei Stellen den Berg durchbohren und zu einem beleuchteten Schacht ausbauen lassen, durch den die Bahn zu kriechen hatte. Diese beiden Löcher im Berg aber erregten den Zorn des Elben, dem es unleidlich war, wenn im Innern der Erde gewühlt und das Unterste zuoberst gekehrt wurde. Er entsann sich seiner Kräfte und beschwor sie, um in kürzester Zeit auf seiner Seite der Hügel eine zweite Bahn zu errichten, die den Erfindungen Darennas spottete: denn wie von Geisterhand gezogen, schwebten seine Wagen an einem Gerüst frei über dem Boden dahin, lautlos, sanft und hoheitsvoll wie große Vögel in langsamem Gleiten, und von der Höhe des Berges gewann man einen Blick, der die Brust frei machte von Sorgen und das Herz erfreute. Es war die letzte große Herausforderung Klingers an die Exzellenz gewesen, von diesem weder vergessen noch verziehen.

Zu dem Ausblick lief jetzt Leontine, um sich zum Grund hinabtragen zu lassen, aber sie hatte vergessen, dass die Bahn zu so später Stunde nicht mehr fuhr. Es fiel ihr erst ein, als sie die Station still und dunkel daliegen sah. Sie trat an die Brüstung und warf einen Blick auf die lichterfunkelnde Stadt, dann wandte sie sich neugierig den großen Fenstern zu, hinter denen sich das Laufwerk der Maschinen befinden musste. Aber so sehr sie auch die Nase an die Scheiben drückte, sie konnte nichts erkennen als große Baumkronen, die sich im Wind bewegten, und war nicht gewiss, ob es die Dinge darinnen waren, die sie sah, oder ob sich das Außen spiegelte.

Ich werde hinunterlaufen, dachte sie, und auf einem der Pfade, die ich noch nie beschritten habe, jene, die er mir nannte und die keines Menschen Fuß betrat, seit es diese Gefährte gibt. Während sie sich umwandte, regte sich etwas neben ihr, was sie bisher für einen Haufen Steine, mit einer Plane bedeckt, angesehen hatte. Das Wesen reckte und streckte sich im Sternenlicht, zeigte Tatzen, Schweif und Mähne und wurde zu einem schwarzen Löwen, der grollend die Lefzen hob.

»Fast hättest du mich erschreckt«, sagte Leontine vorwurfsvoll. »Hat dich jemand ausgeschickt, um etwas zu verhindern? Ich tue sowieso, was mir gefällt. Und nun geh beiseite, Onkelchen, und schlaf schön, es ist spät.« Mit diesen Worten griff sie in die Mähne des mächtigen Tiers und schob und zog es von ihrem Weg, als sei es ein Hündchen. Hinter ihr röhrte es in die Nacht.

Der Pfad, der sie abwärts führen sollte, war fast zugewachsen, sie fand zunächst nicht den Eingang im Fliedergebüsch, aber dann sah sie ein verwittertes Schild, es trug in blass leuchtenden Buchstaben die Aufschrift: Venusweg. Steil ging der schmale, gepflasterte Steig nach unten. Die Wasser rauschten lauter, und aus der Dunkelheit erhob sich ein kalter Windstoß, der die Wipfel der Bäume tief herabbog. Das Mädchen schauerte und sagte: »Vielleicht hatte Onkel Leo recht mit seiner Warnung?« Aber dann schritt sie vorwärts, obgleich ihr Fuß nicht wusste, was er ertastete, und alsbald wurde ihr das Vertrauen gelohnt; es wurde heller, der Wind ließ nach, sanfte Wärme und Geborgenheit umfingen sie, und ihr war, als raune die beschwörende Stimme, die sie so gut kannte, dicht neben ihren Ohren Liebeslieder.

Wie auf Flügeln lief Leontine abwärts, es trug sie, und so zwischen Verweilenwollen und Entfliehenmüssen war sie ganz selig und ganz wehmutsvoll.

Der Gang wollte kein Ende nehmen, und wer weiß, ob nicht ihr Wunsch diesen Weg ins Endlose gedehnt hätte, wäre nicht auf einmal ein anderer Klang zu ihr gedrungen. Tiefer unten spielte jemand Klavier. Es war jene Sonate, die sie von ihrer Mutter kannte. Blass lief sie dem Ausgang zu.

Von mancherlei Verwandlungen

»Was sagen Sie da?«, rief Klinger, sprang auf, beherrschte sich aber sofort wieder und nahm seinen Sessel ein.

»Wenn Sie das gewusst hätten«, mutmaßte Darenna boshaft, »hätten Sie wohl nicht so leichtsinnig mit dem Versprechen herumgeschmissen, meinen Anordnungen zu folgen, wie?« Der andere würdigte diesen Ausfall keiner Entgegnung und schloss scheinbar gelangweilt die Augen. »Nun denn«, sagte die Exzellenz mit einem Anflug ironischer Liebenswürdigkeit, »ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen, mein Teuerster, als Sie’s verdienen. Die reine Wahrheit ist jedenfalls, dass mir das Mädchen in der Nacht des großes Brandes, als Feuer vom Himmel auf die Stadt fiel, geschenkt wurde.«

»Erwarten Sie nicht, dass ich Ihnen Glauben schenke«, unterbrach Klinger ihn, »wenn Ihre Erfindungen so plump ausfallen. Möglich, dass ich nicht rechnen kann, aber wir hatten uns gerade darauf geeinigt, dass Leontine siebzehn Jahre ist. Sogar ich weiß, dass die Nacht des großen Brandes vier Jahrzehnte zurückliegt.«

»Mit dem Glauben können Sie es halten, wie Sie wollen«, schnarrte der Magier. »Ich erwarte nur, dass Sie mich anhören.- In der Nacht des großen Brandes, mit dem man mich, wie Sie sicher wissen, so oder so in Verbindung bringt ...«, er warf einen Stecknadelblick zu dem anderen, aber in dessen Zügen rührte sich nichts, »in jener Nacht also standen viele meiner Adepten am Ufer des Stromes, um jenen Hilfe zu leisten, die sich aus der Stadt vor der Vernichtung hatten über das Wasser retten können und nun halb erstarrt und ganz verzweifelt bei uns antrieben. Inmitten des entsetzlichen Treibguts gewahrten sie eine Eisscholle, auf der etwas Dunkles lag und wimmerte. Mit ihren langen Haken lenkten sie deshalb die Beute an Land, in der Meinung, es handle sich um ein Kind oder einen Verletzten. Wie groß war aber ihr Erstaunen, als sich das Dunkle als ein großes Nest aus Rauten und Lorbeerzweigen entpuppte, in dem auf ein paar zerknüllten Purpurschärpen ein maunzendes Löwenjunges hockte, mit vor Angst gesträubtem Fell und weit aufgerissenem Schnäuzchen.

Man brachte den merkwürdigen Fang zu mir. Ich verbrannte das dumme Nest samt den nutzlosen Lumpen und entschloss mich, das kleine Löwenweibchen aufzuziehen. Ich nannte es Leontine. Sie werden begreifen, verehrter Herr Klinger, dass einem Mann wie mir die Arbeit mit der toten Materie näherliegt als die mit dem lebenden Objekt. Aber trotzdem hatte ich es mir in den Kopf gesetzt, diesen seltsamen Fund eigenhändig zu versorgen. Irgendwie - ehüm - lag mir etwas daran. Ob es nun meine mangelnde Kenntnis auf diesem Sektor war oder andere Imponderabilien - kurzum, die kleine Löwin gedieh prächtig, entwickelte Neigung, Temperament, Leidenschaften und Intelligenz, war gelehrig und reizend. Aber sie wuchs nicht.

Das ging so Jahre um Jahre, und alles in meiner Umgebung hatte sich daran gewöhnt, dass das Löwenfräulein so handlich und niedlich bleiben würde. Da fanden wir zu unserer Trauer eines Morgens Leontine regungslos auf ihrem Lager. Es zeigte sich jedoch, dass sie nicht tot war, ihr Herz schlug langsam, aber gleichmäßig, ihre Glieder erstarrten nicht und wurden nicht völlig kalt. Sie schien in eine Art Winterschlaf verfallen zu sein, einen Zustand, der, wie sich herausstellte, der Verkapselung einer Raupe nahe kam.

Der Winter ging ins Land, der Sommer brachte Sonnengluten und dürre Felder, es war sehr heiß in jenem August vor siebzehn Jahren.«

Der Magier machte eine Pause, um seinem inneren Feuer mit einem Schluck gebrannten Wassers aufzuhelfen. Seine Augen glänzten, offenbar erinnerte er sich gern jenes glühenden Sommers.

Klinger zog ein nachdenkliches Gesicht. Mehr zu sich selbst murmelte er halblaut: »In jenem Winter sang ich das erste Mal auf der anderen Seite des atlantischen Wassers. Die große Stadt behinderte mich am Fliegen, die Wände des Hotelzimmers schienen auf mich einzudringen, ich war sehr traurig. Als der Sommer kam, war ich noch immer dort, und die geliebte Sphinx stand vor meinen Augen eindringlicher denn je. All meine Sehnsucht versammelte sich in ihr, ich liebte brennend, sie war die Stadt, der Strom, die Hügel, zu denen ich zurückkehre, seit mein Volk hier die erste Rebe pflanzte ...«

Darenna beachtete den Einwurf nicht. Er fuhr fort: »An einem dieser schönen heißen Augustmorgen rief uns ein dünnes Quäken zum Löwenlager. Von der Katze keine Spur. Stattdessen zappelte dort ein Säugling, nackt und bloß und auf ein Löwenfell gebettet. Es war ein hübsches und gesundes Mädchen - eben Leontine, die ich sofort an Kindes Statt annahm und die all jene Hoffnungen, die ich durch dreiundzwanzig Jahre in die kleine Löwin gesetzt hatte, auf die schönste Weise übertraf. Nun, Sie kennen das Mädchen ja. Ob Sie diese Geschichte glauben oder nicht, Herr Klinger, das bleibt Ihre Sache. Jedenfalls haben sich meine väterlichen Rechte durch den geänderten Sachverhalt nicht geschmälert.«

»Wahrhaftig nicht«, sagte Klinger leise. »Vieles an dieser seltsamen Geschichte berührt mich auf eine Weise, als müsse es wahr sein. Wie dem auch sei - Leontine hat Sie angenommen. Ich erwarte Ihre Weisungen.«

»Wohl, wohl«, krähte der Magier genüsslich, und einer seiner schnellen Blicke fuhr unter den buschigen Brauen hervor. »Springen wir denn mitten hinein ins Vergnügen.«

Eine kleine Abmachung

»Die Eigenschaft, die ich an einem künftigen - ehüm - Schwiegersohn (den ich mir ja nicht ausgesucht habe) völlig unleidlich finde, ist das, was Sie selbst so freundlich als Ihre Vergesslichkeit, kritischere Gemüter aber eher als Ihren Leichtsinn und Ihre Treulosigkeit bezeichnen. Bitte unterbrechen Sie mich nicht. Ich ahne, dass Leontine ähnlich empfindet, hätte sie Sie sonst wohl zu mir geschickt? Es gilt also zunächst, Sie für Ihren Dienst zu markieren, damit Sie nichts vergessen. Deshalb werde ich Sie brandmarken mit dem Flammenzeichen, in dem ich und Leontine sich vereinen. Seien Sie so gütig, Ihr Hemd aufzuknöpfen.«

Das erste Mal während dieses Gesprächs verlor der Elb seine Fassung. Er rang nach Atem. »Soll ich mich gleich einem Sklaven zeichnen lassen, ich, Tar-Ciryatan, ein Fürst und Großer unter den Erstgeborenen? Welch ein kleinlicher und niedriger Gedanke, Darenna, wahrhaft entsprechend Ihrer Gesinnung!«

Der andere zuckte die Achseln. »Ich sehe schon«, krächzte er, »dass es weit bequemer ist, zu behaupten, man trage Leontine im Herzen, als sie offenkundig über dem Herzen zu tragen. Welch ein Getue aus Eitelkeit! Habe ich Ihnen etwa zugemutet, ein Mal auf der Stirn spazieren zu führen oder Ihnen die Handgelenke im Kettenmuster zu tätowieren? Es geht um Ihr Herz, und wenn Sie fragen, ob es schmerzt: Ja, es schmerzt, mein empfindsamer Held aus einem Volk, das sich nicht zum Leid geschaffen glaubt, es schmerzt, wenn ich es anbringe, und es wird stets zu spüren sein, ein leichtes Brennen, als habe man Sie mit Nesseln gestreichelt, und nun mögen Sie empfangen oder mein Haus verlassen.«

Schweigend öffnete Klinger die Knöpfe seines Seidenhemds. »Ist es für immer?«, fragte er leise.

»Es vergeht, sobald die Prüfung bestanden oder sonst wie beendet wurde«, sagte Darenna sachlich. »Halten Sie still.« Er beugte sich vor und hauchte einmal kurz über die Haut des anderen. Klinger ächzte. Über seinem Herzen erschien ein glühendrotes Mal in Gestalt einer Flamme, tief eingegraben, dunkel umrandet. »Das Dunkle ist nur Ruß«, bemerkte der Magier gelassen, »Sie können es wegwaschen. Noch ein Glas Quellwasser gefällig?« Ohne eine Antwort abzuwarten, füllte er Klingers Becher erneut, und der trank in langen Zügen. Indessen fuhr der Magier ungerührt fort: »Zum zweiten habe ich vor, Ihnen für die Zeit Ihrer Prüfung einen Wächter beizugeben, der dafür sorgen wird, dass Ihre Vergesslichkeit Ihnen keinen Streich spielt. Trotz eines gelinden Brennens über dem Herzen kann man sehr wohl imstande sein, tief in ein Paar schöne Augen zu blicken, die nicht Leontine gehören, und falls man wirklich so weit kommt, das Mal zu präsentieren, findet sich wohl auch eine glaubhafte Erklärung. Zu Ihrem Besten will ich Sie behüten lassen. Sind Sie einverstanden?«

»Ja, wenn ich weiß, wer der Hüter sein wird«, erwiderte Klinger, der sich inzwischen erholt hatte.

»Kein Hüter«, gab die Exzellenz trocken zurück, »vielmehr eine Hüterin. Damen sind in der Hinsicht unbestechlich. Ich habe für Sie ein Drachenweibchen vorgesehen.«

Der andere vergaß, den Mund zuzumachen. »Ein Drachenweibchen?«, wiederholte er tieftraurig. »Und wenn ich nicht pariere, werde ich gefressen, ja?«

»Damit wäre niemandem gedient«, erwiderte Darenna pedantisch. »Ein kleiner Feuerstoß ist alles, was Sie zu erwarten hätten, ähnlich dem eben, nur ohne sichtbare Folgen für Sie oder die jeweilige Dame. Falls es so weit kommt. Drachen sind sehr wachsam und haben einen hohen Abschreckungswert.«

»Das will ich Ihnen glauben! Ein Drachenweibchen, wie grauslich! Außerdem, beim besten Willen, Exzellenz, es geht nicht. Man nimmt mir ja einiges an Launen ab, aber ich wage mir nicht vorzustellen, was für ein Tumult losgeht, wenn ich in Wien, in Milano, in London mit einem Drachen auftauche! Und wie bekomme ich das Monster ins Auto, ins Flugzeug, gar ins Hotelzimmer? Sie wollen mich ruinieren.« Er sah deprimiert vor sich hin. »Und die Ernährungsfrage? Was frisst so ein Ungeheuer? Jungfrauenfleisch, wenn ich mich recht erinnere.«

Der Magier schüttelte missbilligend den Kopf. »Dass Sie einen nie zu Ende anhören können, immer voreilig Schlussfolgerungen ziehen! Bin ich denn ein Narr oder ein Wahnsinniger, dass ich nicht weiß, was ich tue?« Er lächelte eitel. »Wenn ich vorhin sagte, meine Erfahrungen mit der Aufzucht lebender Objekte seien begrenzt, so trifft das nur auf konventionelle Tiere zu. Mit sogenannten Fabelwesen habe ich in der letzten Zeit sehr erfolgreich experimentiert und kann Ihnen so ein Modell zur Verfügung stellen, das sich durch ästhetische Formgebung, gute Manieren und handliche Gestalt auszeichnet. Was die Futterfrage angeht, so sind wir aus den barbarischen Zeiten, von denen Sie reden, natürlich hinaus. Meine Drachen fressen nur Gehacktes, stellen allerdings hohe Ansprüche an die Frische und Qualität ihrer Nahrung. Außerdem verfügen sie über die Fähigkeit des Gestaltwechsels (Modell Chamäleon) und können ihre Größe reduzieren, bis sie bequem in jede Kollegtasche passen.«

»Was Sie nicht sagen!«, rief der andere. »Wie groß wäre mein Modell denn im Normalzustand?«

»Armlang etwa«, entgegnete Darenna stolz.

»Und verkleinert?«

Der Magier, enthusiastisch beschwingt von der Darstellung seiner gelungenen Züchtung, krähte: »So klein!« Und plötzlich krabbelte statt seiner ein Feuersalamander über den Boden.

Klingers Augen glänzten. »Ach, das hübsche Tierchen, dergleichen sollte man festhalten!«, rief er und wollte schnell zupacken, um die Echse zu fangen, aber Darenna war schneller. Er stand schon wieder in seiner eigentlichen Gestalt da und schnarrte höhnisch: »Ei, Herr Elb, sieht so Ihr Versprechen aus, sich mir in allen Dingen zu unterwerfen? Ein feines Beispiel für Treue und Zuverlässigkeit wollten Sie eben liefern!«

»Sie haben recht«, entgegnete Klinger beschämt, »aber die Versuchung war allzu groß. Seien Sie gnädig, Exzellenz, verschweigen Sie meinen Fehltritt vor Leontine.«

»Das wäre ohnehin noch zu klären«, bemerkte der Magier kühl. »Eine Voraussetzung für diese ganze Sache ist, dass das Mädchen nichts von dem erfährt, was wir abgemacht haben, ja dass sie selbst im Ungewissen darüber bleibt, ob Sie mich jemals aufgesucht haben. Frauen sind mitleidige Wesen, so eine Prüfung wäre null und nichtig. Aber nach diesem Vorfall halte ich es doch für besser, wenn wir unsere Abmachung schriftlich fixieren. Auch müssten Sie für das kostbare Drachenweibchen einen Versorgungsvertrag unterzeichnen, damit ich sichergehe, dem Tier stößt bei Ihnen nichts zu.«

Er drückte einen der Knöpfe. Aus dem Boden kam lautlos eine zierliche Schreibmaschine, der Darenna die Vertragspunkte in die Tasten diktierte, während Klinger unruhig im Raum auf und ab ging.

»Noch etwas«, sagte der Magier nach der Unterzeichnung. »Es ist mir nicht gelungen, diesen Wesen ihre angeborene Neigung zu Geld und Gold ganz abzuzüchten. Wenn Sie Ihrem Tierchen also etwas Gutes tun wollen, verwöhnen Sie es in dieser Hinsicht. Es fällt Ihnen ja wohl nicht schwer; wie man hört, sind Sie mit Gütern dieser Art reichlich gesegnet.« Er kicherte: »Soweit die Vorbedingungen.«

»Vorbedingungen?«

»Nun ja, Teuerster. Das Ende Ihrer Prüfungszeit wird Ihnen dann Leontine selbst nennen und auch das, was sie von Ihnen verlangen wird. Das wird das Wichtigste sein. Ich kenne es selbst nicht.«

»Aber«, sagte der andere entsetzt, »so schwebe ich ja völlig im Ungewissen!«

»Im Allgemeinen ergeht es niemandem mit Ihnen besser«, krächzte Darenna schadenfroh und erhob sich, nun wieder als alter Mann in der Strickjacke. »Ich darf Sie zur Tür bringen, Verehrter. Ihre Hüterin wird Sie bereits zu Haus erwarten.«

Schweigend gingen die beiden durch den Garten. Als sie an der silbrigen Kugel des Observatoriums vorbeikamen, überfiel den Elben die Spottlust, und er sagte lachend: »Sehen Sie sich nur vor, Exzellenz, dass Sie nicht einmal eine alte Straßenlaterne als einen neuen Stern anvisieren! Was für Brillen und Rohre Euresgleichen benötigt! Ich schaue die Tänze der Planeten an mit diesen meinen Augen, und wahrlich, ich sehe mehr als Ihr.«

»Vielleicht kommen Sie eines Tages hierher zurück und reden anders«, quäkte Darenna.

Klinger trug jetzt wieder den dunklen Mantel und den Kranz. »Auf den Tag magst du warten, Feuersalamander«, sprach er hochmütig, »der Tar-Ciryatan wieder auf diesen Teil der Hügel und in deine Gewalt bringt. Allzu viel erdulde ich um Liebe. Lebe wohl.«

Er verschwand, wie er gekommen war, in den Rhododendren. Der alte Mann starrte ihm nach in die Finsternis. Über dem Tal erstrahlte in weißem Lichte Venus am Himmel.

Regenmacher

Seine Exzellenz kümmerte sich noch ein bisschen um die glosenden Reste des Feuers, lehnte den Rechen an die Mauer, knöpfte die Strickjacke fest über dem Bäuchlein zu und begab sich dann ins Innere der silbernen Kugel, um, wie jeden Abend, die Konstellation der Sterne zu beobachten. Lange stand er, das Auge gegen das Okular seines großen Fernrohrs gepresst, drehte an Schräubchen, bewegte Rädchen, versenkte sich in Rechenaufgaben, die er einer Maschine, nicht größer als ein Schmuckkästchen, zur Lösung anvertraute. Das Gerät mit den vielen Knöpfen gab ihm unverzüglich die Antworten, die er erwartete, und mit den wehenden Papierstreifen, auf denen die Berechnungen notiert waren, begab er sich erneut an sein Teleskop.

»Zeit, das Töchterchen heimzuholen«, murmelte er dann und trat zu einer Vorrichtung, die sich in der Glas- und Chromwelt seines Observatoriums recht bizarr ausnahm: Es waren ein paar schön geformte Gläser mit geschwungenem Rand, die im Kreis angeordnet standen um eine Vedute, einen Kupferstich, der die Stadt abgebildet zeigte von einem jener erhöhten Punkte aus, auf denen Darennas Haus stand. In das alte Bild der Stadt aber waren mit feinen weißen Linien all die Dinge eingeätzt, die sich seitdem verändert hatten, ja, kein Haus, das neu hinzugekommen war, fehlte, und die Lücken vom großen Brand waren mit Sorgfalt eingetragen. An verschiedenen Punkten steckten silberne Nadeln aufrecht im Papier, haarfein untereinander verbunden.

Der alte Mann löschte alle Lichter im Raum und hauchte über die gläsernen Kelche hin, da entbrannte in jedem von ihnen ein sanftes grünliches Feuer und rauschte und sang, und ein Flackern von Licht und Schatten sprang über die Vedute hin. Der Magier führte seinen Zeigefinger behutsam über das Bild, woraufhin einige der silbernen Nadeln zu vibrieren begannen. Nicht lange, und es flogen Funken hin und her von Nadelspitze zu Nadelspitze, und die sie verbindenden Fäden begannen zu glimmen und zu züngeln, als seien es Lunten.

In kompliziertem Zickzack, als folgten sie einem unsichtbaren Strickmuster, fuhren die Hände Darennas jetzt über das flackernde Gewirr.

Dann warf er einen Blick aus dem Fenster und lächelte befriedigt, als er ein wildes Wetterleuchten über der Stadt gewahrte. Mit gebietender Geste streckte er seine Hand nach den Gläsern aus. Da erlosch alles mit einem Schlage.

Die ersten Regentropfen fielen, als die Exzellenz noch einmal den Garten durchquerte. Er ging zu Bett. Da hörte er Leontines Fußkettchen auf dem Gang.

Gehacktes für Donna

Elben sind nun mal Elben.

Als Klinger sich seinem Haus näherte, mit nachtwachen Sinnen die Spuren Leontines wahrnahm, ihre Fußtritte im Gras, ein Fädchen ihres Haars im Gebüsch hängend, den Duft ihres Zeigefingers am Klingelknopf, vergaß er den angekündigten Tugendwächter und betrat sein Haus in einem Taumel seliger Ekstase, in der Hoffnung, das Mädchen habe ihm eine Botschaft hinterlassen. Beschwingt öffnete er die Zimmertür und sah zu seiner größten Verblüffung eine zweibeinige smaragdgrüne Echse von der Größe eines zehnjährigen Kindes mit elegant gekreuzten Beinen an den Flügel gelehnt, den schuppigen Schwanz, der von inkrustierten Brillanten glitzerte, wie eine Schleppe über dem Arm.

»Was zum Geier ist denn das?«, rief er, und da erst fiel ihm ein, dass Darenna ja erklärt hatte, die Hüterin würde ihn schon erwarten. Überwältigt ließ er sich auf den Klavierhocker sinken, während das Wesen einmal kurz die gespaltene Zunge hervorschießen ließ und dann zwar lispelnd, zischelnd und kreischend, aber recht verständlich sagte: »Guten Abend, Herr Klinger. Mit einer Empfehlung von Seiner Exzellenz, ich bin Iguanadonna Saurischia, zu Ihren Diensten.«

»Den Namen soll ich mir merken?«, murmelte der Sänger und hob unwillkürlich die Hände an die Ohren, denn er war höchst empfindlich gegen Gekreisch.

»Sie können ihn ja abkürzen«, schlug das Drachenweibchen vor.

Klinger hatte sich inzwischen so weit gefasst, dass er aufstand und das kleine Monster von Nahem betrachtete. Darenna hatte nicht gelogen, es war ein zierliches Ungeheuer. Sein brauner Bauch hob sich in hübschem Farbkontrast vom Grün des Panzerkleides ab, die Lefzen waren weich und rosig, die ausgesprochen schönen Augen dunkel umrandet wie die von Sophia Loren. Vom Kopf zum Nacken zog sich ein scharf gezackter Kamm, dessen Spitzen vergoldet waren. Die gepflegten Vorderpfoten sahen fast wie Menschenhände aus, und die Fingernägel waren sorgfältig rot lackiert, bis auf den Daumen; der war kein Daumen, sondern ein Stachel.

Während der Musterung schlug die kleine Drachenfrau kokett die Augen nieder. Klingers guter Humor siegte bei diesem Lidschlag über seine Verärgerung, und er begann zu lachen. »Du bist ja ein süßes Mädchen«, rief er, »darf ich dich auch mal anfassen?«

Die Drächin nickte schamhaft. Er fand ihre Außenseite rau, scharf und kalt, den weichen Bauch aber warm und glatt. Als er die Flanke berührte, kicherte sie, und er zog schnell die Hand zurück.

»Wie war doch dein Name«, fragte er, und sie wiederholte: »Iguanadonna Saurischia.«

»Ich werde dich Donna nennen«, entschied er, »aber um eins bitte ich dich: Sprich leise, leise! Deine Stimme ist wirklich abscheulich. Und in gutem Geruch stehst du auch nicht gerade, Pech und Schwefel ist nicht unbedingt mein Fall. Ich werde dir ein französisches Parfüm besorgen, mein Tierchen. Gut, du bist nun also da. Was soll als Nächstes passieren?«

Bemüht, ihre Stimme zum Flüstern zu dämpfen, lispelte die Drächin: »Abendessen.«

»Das ist recht und billig«, sagte der Sänger. »Gehacktes, wie?«

Donna nickte.

»Hoffentlich treibe ich das auf. Schließlich war ich nicht auf dich vorbereitet, meine Schöne.«

Im Kühlschrank war nichts dergleichen. Aber in der Tiefkühltruhe entdeckte er nach längerem Suchen ein Päckchen Schabefleisch. »Es wird wohl nichts werden mit deinem Abendessen, Kleine«, bemerkte er. »Das ist frühestens morgen aufgetaut.«

Donna schüttelte das schuppenbewehrte Haupt, legte das Paket auf die Herdplatte, hielt sich die Kralle vor das eine Nasenloch und schnob aus dem anderen kurz über das Fleisch hin. Die Folie schmolz wie im Ofen. Das Fleisch taute in fünf Sekunden völlig auf und ging an einer Seite bereits in den Zustand des Gebratenseins über.

»Prächtig«, sagte Klinger, dem ein bisschen beengt zumute war ob dieser Leistung. »Mit dir kann man den Herd einsparen.«

Unterdessen machte sich das Drachenweibchen in seiner Küche zu schaffen, als sei es da schon jahrelang heimisch, deckte den Tisch mit zwei Bestecken, aber nur einem Teller, tat auf diesen das Gehackte und sah seinen Herrn und Gefangenen erwartungsvoll an. Er begriff, bot Donna den Arm und führte sie zum Platz, rückte den Stuhl, setzte sich daneben. Sie begann manierlich mit Messer und Gabel zu essen, nicht ohne ihn wiederholt aufzufordern, sich an ihrem Mahl zu beteiligen, und er musste mehrfach erklären, dass er so spät nichts äße.

»Eigentlich ist es gegen den Kontrakt«, sagte die Drächin mit einem Anflug von Strenge, und da Klinger fragend die Augenbrauen hochzog: »Wissen Sie denn nicht, dass Sie die Variante Froschkönig unterschrieben haben - natürlich bis aufs An-die-Wand-Werfen?« Sie kicherte geziert.

Der Elb sah vor sich hin. »Eine verdammte Angewohnheit, Verträge zu unterzeichnen, ohne sie durchzulesen«, murmelte er. Und zu Donna: »Das Kleingedruckte, was?« Er lächelte grimmig, und sie schlug wieder die Augen nieder. Bei dem Gedanken daran, das süße Ungeheuerchen neben sich auf dem Kopfkissen zu haben, war ihm gar nicht wohl, denn abgesehen von anderen Unannehmlichkeiten - was, wenn die Drachendame im Traum ihre gute Erziehung vergaß und ihn einfach unfachiert, ohne Pfeffer und Salz verschluckte? Er sann auf Änderung.

Nach dem Essen plauderte er heiter und schmeichelnd mit dem artigen Monster, und eingedenk des Hinweises, dass Drachen Gold und Geld lieben, versprach er ihm, gleich beim nächsten Gastspiel in einer der reichen Hauptstädte der Welt einen schönen Schmuck zu kaufen, wie es ihn sich selbst aussuchen würde. Kurz und gut, noch keine Stunde später hatte er dem Geschöpfchen durch Freundlichkeit so weit den Kopf verdreht, dass es ein leichtes war, es zu überreden, statt im Bett im Vorzimmer zu schlafen, den Kopf auf der Brieftasche.

Kurz vor dem Zubettgehen eröffnete ihm das perfekte Tier noch, es könne auch Auto fahren und Klavier spielen und stünde seinem Gebieter mit allen Künsten zur Verfügung.

»Natürlich, Exzellenz denkt an alles«, bemerkte Klinger trocken und schloss mit einem Aufatmen die Tür seines Schlafzimmers, wo er, mit sich allein, die Lage überdenken konnte.

Auf seiner Brust brannte das Feuerzeichen in einem zugleich süßen und zehrenden Schmerz. So befand er sich nun also, Leontine im Herzen und einen Drachen im Haus! Ihm war klar, dass Donna ihm in Zukunft kaum einen Schritt allein zu tun erlauben würde. Selbst wenn sie bis über ihre beiden Echsenohren in ihn verliebt war - und es schien nicht allzu schwer zu sein, sie dahin zu bringen würde das ihre Wach-Instinkte eher noch schärfen und sie keineswegs nachsichtiger gegen ihn machen. Ja, es war sogar denkbar (hier fuhr er im Bett auf, und eine Falte des Unmuts zeigte sich zwischen seinen Brauen), dass die Drächin ihre eifersüchtige Wachsamkeit auch auf Leontine ausdehnen würde. Beunruhigt griff Klinger nach dem Mal auf seiner Haut. Es brannte stärker als zuvor.

Das war Darenna zuzutrauen! Warum sollte er die Hüterin darauf abgerichtet haben, eine Ausnahme gelten zu lassen? Sicherlich saß er jetzt drüben und lachte sich ins Fäustchen über den leichtgläubigen Elben, der ihm so töricht in die Falle getappt war! Zorn stieg in ihm auf. Aber hatte er sich nicht freiwillig dieser Prüfung unterworfen? Es galt zu dulden und standzuhalten, es galt zu beweisen, dass auch ein Elb fähig war, Treue zu bewahren.

Aufseufzend ließ er sich zurückfallen. Wir werden sehen! dachte er. Außerdem musste er sich eingestehen, dass er sich im Augenblick gar nicht unbedingt von der Drächin trennen wollte. Er fand sie aufregend und ungeheuer belustigend und war neugierig auf weitere Ereignisse.

Immerhin beschloss er, morgen nicht nur frisches Gehacktes zu besorgen, sondern Donna auch unauffällig auszuforschen, ob sie im Fall Leontine abweichende Instruktionen habe.

Den Namen des Löwenmädchens auf den Lippen, schlief er ein.

Eine Sonate von Muzio Clementi

Kaum hatte Leontine den Venusweg verlassen und war die letzten Stufen heruntergesprungen, als sich der Wind wieder erhob, nach der warmen Windstille dort drinnen heftig, jäh, bösartig. Die Baumzweige schlugen hinter ihr her, als seien sie Ruten in den Händen dunkler Geister, Staub wirbelte ihr in die Augen.

Nur wenige Schritte entfernt sah sie ein Fenster, hell erleuchtetes Viereck, und aus ihm klang nah und klar das Klavierstück, die Sonate von Muzio Clementi. Hinter der Gardine aus altmodischer Häkelspitze zeichnete sich der bewegte Schattenriss der spielenden Frau ab, ein zartes Profil, umflossen von kurzem glattem Haar. Leontine öffnete den Mund, um »Mutter« zu rufen, aber ein zweiter, noch wilderer Windstoß riss ihr das Wort von den Lippen und verklebte ihr Nase und Augen mit Sand.

Halb blind, stürzte sie vorwärts, als mit gellendem Hupen eine dunkle Masse um die Ecke kam und so dicht an ihr vorbeiraste, dass ihr Kleid gestreift wurde. Sie war, ohne es zu merken, auf die Fahrstraße geraten. Entgeistert starrte sie dem Bus nach, der seltsamerweise ohne Licht in die Nacht hineinsauste. Als sie ihre Augen wieder auf das wundersame Fenster heften wollte, war das Licht erloschen, die Musik verstummt, und in der immer dichter werdenden Finsternis schien es, als sei in der Wand da drüben überhaupt kein Fenster vorhanden.

Andere Autos, die Straße in Licht tauchend, jagten an Leontine vorbei, talwärts, als sei es notwendig, noch vor Beginn des Gewitters irgendwo anzukommen. Blitze zuckten über den Hügeln. Blind von Staub und aufsteigenden Tränen, durchquerte das Mädchen den Grund. Sie verschmähte die Bahn Darennas, die auch zu dieser Stunde noch käfergleich den Berg hinaufkroch, und eilte aufwärts auf einem jener alten Elbenpfade, die der Magier geglättet und verbreitert hatte und die nun rechts und links von schönen Landhäusern gesäumt wurden, ehemalige Weinberge zu rasenbedeckten Parkterrassen verwandelt.

Auf halber Höhe der Hügel begann endlich der Regen. Aber das Gewitter kam nicht näher, es stand über der Stadt. Leontine kehrte sich um und sah zurück. Große pfirsichfarbene Blitze zerteilten den Himmel. Die Windstöße jagten ihr das Regenwasser über Gesicht und Leib.

»Ach«, rief sie und stützte ihre Hände auf die Brüstung einer Mauer, »wie kann man nur so glücklich und unglücklich sein zur gleichen Zeit!« Und fühlte, wie unter ihren Händen der feuchte und noch tageswarme Sandstein zu leben begann, sich wölbte, struppig weich wurde, dann vernahm sie ein Knurren, und zu ihren Füßen dehnte sich erneut eine Löwengestalt. Lautlos glitt es links und rechts heran, schmiegten sich drei, vier große Raubkatzen zu ihren Füßen.

Leontine musste unter Tränen lachen. »Meine lieben Tiere«, flüsterte sie und kraulte die schwarzen und sandfarbenen Mähnen, »die ihr mich begleitet, seit ich denken kann, immer zur Stelle seid, als wolltet ihr mir etwas sagen, was ich doch nicht begreife, um meine Wege streicht, als wäret ihr Gesandte von irgendwoher - liebe Onkel und Tantchen, wisst ihr denn nicht, dass ich, selbst wenn ich eure Sprache und eure Warnungen verstehen würde, euch doch nicht folgte? Ich bin ein ungehorsames Löwenkind, den Menschen verbunden, willens, mit ihnen zu sein. Aber verlasst mich nicht, ich liebe euch.«

Vom Talgrund her waren Schritte zu hören. Ein einsamer Passant kam den Weg herauf, den Kragen hochgeschlagen. Gerade als er die Augen hob, erhellte ein Blitz die Gruppe: das Mädchen zwischen den steinernen Bildwerken eines Gartentors, die Hände an deren Mähnen gelegt.

»Donnerwetter«, sagte er, »jetzt habe ich aber einen Schreck gekriegt. Ich dachte schon, die Löwen wären echt. Sie werden sich erkälten, Fräuleinchen, so ohne Schirm und Mantel.« Leontine lächelte. »Wohl verliebt?«, mutmaßte der nächtliche Wanderer.

»Verliebt bis zum Sterben«, erwiderte sie.

Die Schritte entfernten sich, aber die Löwen blieben nun reglos. Von unten kamen wieder halb verwehte Klänge: Muzio Clementi.

Drachenkünste

Das Läuten des Telefons weckte Klinger. Schlaftrunken griff er neben sich und nahm den Hörer ans Ohr. Es war die Stimme Leontines, die ihm entgegentönte, und sogleich begann das Mal über seinem Herzen zu brennen, selige Wachheit durchdrang seine Glieder und verjagte die Müdigkeit.

»Wo bist du gewesen gestern in der Nacht?«, fragte das Mädchen.

»Wo ich war, das kann ich dir nicht sagen, meine Löwin«, erwiderte der Sänger zärtlich, »es soll dir genug sein, dass ich an dich gedacht habe. Du aber - warum konntest du nicht warten? Die Wiese trug noch deinen Tritt, mein Haus plauderte aus, wie ihr miteinander gescherzt hattet, und zitterte vom Echo deines Lachens, die Wände atmeten deinen Duft - komm zu mir!« Bei den letzten Worten warf er einen besorgten Blick zur Schlafzimmertür, war er sich doch nicht sicher, ob ein solcher Wunsch Iguanadonna nicht schon zum Kochen bringen würde und der kleine Feuerstoß in Vorbereitung war.

»Ich kann nicht«, tönte es am anderen Ende der Leitung (gleichzeitig zur Betrübnis und Erleichterung des Elben), »und ich konnte auch nicht warten. Ich ging den Venusweg hinunter ...«

»Den Venusweg?« rief Klinger. »Du mein süßestes Mädchen!« (Hier zitierte er eines der Musikwerke, mit denen er umging, dergleichen merkte er nicht mehr.) »Und ich war nicht bei dir!«

»Es geschahen seltsame Dinge«, erwiderte das Mädchen, »von denen ich dir irgendwann berichten muss, später. Aber als das Gewitter kam, lief ich nach Haus.«

»Was für ein Gewitter?«, fragte Klinger verblüfft.

»Es stand ein großes Gewitter über der Stadt.«

»Ich fühle jedes Gewitter. Die Nacht war klar und ruhig.«

Einen Augenblick herrschte Stille. Dann sagte Leontine: »Norman, was habe ich dir getan, dass du mich anlügst?«

»Warum sollte ich?«, rief der Sänger fassungslos.

»Das weiß ich nicht, aber du tust es. Dort, wo du warst, gab es kein Gewitter, das mag sein. Nur warst du dann nicht hier. Du musst es mir ja auch nicht sagen.«

In der Leitung war ein leises Knacken zu hören. Leontine hatte aufgelegt. Klinger wollte sofort zurückrufen, aber ein Blick auf die Uhr machte ihm klar, dass es zwecklos war, sie befand sich schon auf dem Weg in ihre Schule. Seufzend lehnte er sich zurück. Was für ein seltsames Missverständnis war das nur? Warum bestand sie darauf, es habe ein Gewitter gegeben? Er spürte Gewitter im weiten Umkreis bis in die Zehenspitzen. Wollte jemand sie verwirren, entzweien? Er legte die Finger auf die linke Brust. Das Mal war tief eingekerbt und brannte wie frisch geprägt, wenn man es berührte. Er biss die Zähne zusammen und lächelte.

Vor der Tür lag das Drachenweibchen noch in tiefem Schlummer, nun nicht mehr auf der Brieftasche, sondern daneben, den bräunlichen Bauch nach oben gekehrt, die Vorderpfoten an die Brust gezogen, den diamantenbesetzten Schweif ums rechte Hinterbein gekringelt. Aus seinen Nüstern gingen kleine Dampfwolken bei jedem Atemzug, und ein leichter Schwefelgeruch breitete sich aus. Offenbar war Donnas Gehör nicht sonderlich fein und ihr Schlaf rechtschaffen gesund. Höchst erfreuliche Entdeckungen. Klinger schmunzelte und ging an ihr vorbei ins Bad.

»Erwarten Sie Gäste, Herr Kammersänger?«, fragte die Verkäuferin im Eckladen neugierig, während sie mehrere Kilopakete mit Gehacktem zurechtmachte. Ich werde woanders einkaufen müssen, überlegte er, sonst gerate ich vollends in den Ruf, geheimen Lastern zu frönen. Zu Hause gab es eine Überraschung. Die kleine Drächin war inzwischen erwacht; als sie ihren Gefangenen nicht vorfand, geriet sie in helle Aufregung, sodass ihm ein ungnädiger Empfang zuteilward. Das erschreckte Monster fauchte und ließ Flammen züngeln, und Klinger musste es gut füttern, ehe sein Atem wieder die richtige Temperatur hatte. Obgleich die Drächin sozusagen nicht gezielt gewütet, sondern nur vor sich hin getobt hatte, war er doch beeindruckt von der Wucht ihres Unwillens.

»Nicht mal Brötchen holen kann ich, oder?«, fragte er vorwurfsvoll, als sie sich beruhigt hatte.

»Doch«, erwiderte sie und züngelte kurz, »aber ich muss es wissen.« Offenbar war ihr der Ausbruch ein bisschen peinlich.

»Und zu Leontine gehen?«, forschte er gleich weiter.

»Leontine?«, lispelte sie kreischend, »wer ist denn das?«

Klinger schlug verzagt die Augen nieder. Es war klar, sie wusste von nichts. Dieser abgefeimte Feuersalamander!

»Schrei nicht so!«, fuhr er sie an und presste die Hände an die Ohren. »Ich hab dir schon gestern gesagt, dass ich deine Stimme nicht ausstehen kann!«

Sie nickte erschrocken mit dem goldbekammten Kopf, und ihre schönen Augen füllten sich mit Tränen.

Schon tat sie dem gutherzigen Elben leid. »Hast du mir nicht deine Dienste angeboten?«, fragte er, um sie zu versöhnen. »Auto fahren, nicht wahr?«

Sie verbeugte sich. »Zu Ihrer Verfügung, Euer Wohlgeboren, Auto fahren!«, erwiderte sie beflissen.

»Aber - was werden die Leute sagen, wenn sie dich am Steuer meines stadtbekannten Wagens sehen?«

»Wir fahren so schnell, dass uns keiner erkennt«, versprach die Echse.

Klinger musste lachen. »Also los! Worauf warten wir?«, feuerte er sie an.

Der Wagen des Sängers hatte ein aufklappbares Verdeck, und in seiner übermütigen Laune schlug er es zurück, das Wetter war schließlich schön.

Die kleine Drächin überprüfte fachmännisch Bremsen, Reifen und Benzinstand, steckte den Schlüssel in die Zündung und startete fulminant. Klinger saß neben ihr, seitlich zurückgelehnt, und lachte Tränen. Der glatte Reptilienkopf mit der gespaltenen Zunge, die hin und wieder hervorkroch, die manikürten Hände mit dem Stacheldaumen am Lenkrad erschienen ihm unwiderstehlich komisch.

Das Drachenweibchen nahm die Kurven, als seien Steinchen im Weg, denen es auszuweichen galt, sauste die Hügel hinab und hinauf, als wäre es die Achterbahn, überquerte ein paar Hauptstraßen, ohne die Vorfahrt zu beachten, und rauschte das Tal zwischen Fluss und Hügeln entlang wie eine Kegelkugel auf gebahnter Fläche.

Klinger jauchzte vor Entzücken. Die Landschaft floss in bunten Farben an ihm vorbei, alle Düfte erwachten, der Wind griff ihm ins Haar, alles vermischte sich bunt und schimärisch. Er erhob sich und reckte sein Gesicht der brausenden Welt entgegen, sehr lebend, sehr liebend.

Als die Straße endete, feuerte er die Drächin an: »Weiter, Donna, lass nicht nach! Schneller, schneller!«

Der Zaun, gegen den sie prallten, war von elastischem Draht. Sie flogen beide in hohem Bogen ins Weideland, die Fahrerin links, er rechts. Zerschunden, leicht betäubt, mit zerrissener Kleidung und blutender Nase richtete er sich auf. Die Lachtränen waren noch nicht getrocknet in seinen Augenwinkeln. Donna saß da und schüttelte ihre Schuppen und Edelsteine, dass es klirrte, erhob sich, warf einen kurzen Blick auf das Autowrack und humpelte zu ihm.

»Haben wir noch ein zweites Auto?«, fragte sie sachlich.

»Im Augenblick nicht«, entgegnete Klinger, und neues Lachen gluckste in seiner Kehle. »Weder hier noch zu Haus. Das zweite ist für eine Woche in der Werkstatt.« Um seinen Mund zuckte es. »Und wie komme ich morgen nach Salzburg?«

»Wien«, verbesserte Donna. »Salzburg ist ein Irrtum. Morgen singen Sie in Wien.«

»Schön. Und wie komme ich nach Wien?«

 

Staubbedeckt, zerschrammt, das Seidenhemd zerrissen und fleckig, einen offenbar trotz seiner Kleinheit entsetzlich schweren Beutel bald in der Rechten, bald in der Linken, bald auf dem Rücken schleppend, so sahen die erstaunten Nachbarn der Hügel den großen Norman Klinger mühselig zu seinem Haus hinaufhinken.

Völlig erschöpft ließ der Sänger drinnen die brenzlig riechende Tasche aus der Hand fallen und warf sich gleich daneben auf den Rasen seines Wohnzimmers. »Um des Himmels willen«, ächzte er, »wer hätte das gedacht, dass so ein spannenlanges Ungeheuerchen so schwer ist! Mir tut alles weh! Und wundern soll es mich nicht, wenn ich zu dem einen Brandmal noch ein halbes Dutzend dazubekommen habe, so heiß war das!«

Aus dem Beutel kroch die auf Salamanderformat verkleinerte Drächin heraus, glitzernd, als sei sie dem Grünen Gewölbe entsprungen.

»Hat Ihnen Exzellenz das nicht gesagt?«, fragte sie verwundert. »Mit der Dichte nimmt natürlich auch die Temperatur zu.«

»Exzellenz hat mir, scheint’s, manches nicht gesagt«, murmelte Klinger grimmig und lag noch immer, Hände und Füße von sich gestreckt. »Wie zum Beispiel soll ich dich im Koffer transportieren, ohne angesengte Oberhemden zu bekommen?«

»Ein Stückchen Asbest wird sich doch noch auftreiben lassen?«, entgegnete Donna ungerührt. Sie war gerade dabei, sich zu ihrer natürlichen Größe zurückzumausern.

Klingers Einwände versiegten nicht. »Und mein Gepäck wird beim Fliegen Übergewicht haben mit dir, du Tierchen? Es ist durch und durch zum Verzweifeln.«

»Es tut mir leid, wenn ich Ihnen Ungelegenheiten mache«, lispelte Donna betrübt. »Ich muss Ihnen gestehen, dass mir Fliegen ausgesprochen schlecht bekommt. Ich speie manchmal hinterher stundenlang unkontrolliert Feuer.«

Klinger sah sie mit stiller Trauer an. Er wagte gar nicht erst zu fragen, ob sie unter solchen Umständen nicht lieber zu Haus bleiben wollte. Sie hätte nur strengen Blicks auf den Kontrakt verwiesen, dessen Bedingungen auf einigen Gebieten ja hinlänglich gelockert waren.

Nachdem sich die beiden von ihrem ersten gemeinsamen Abenteuer etwas erholt hatten, erbot sich das diensteifrige Drachenweibchen, seine Künste im Klavierspiel zu produzieren.

»Nur zu«, bemerkte der Sänger. »Ich bin um einen Begleiter oft recht verlegen; wenn man einen braucht, ist keiner zur Hand.«

Von Ehrgeiz gepackt, setzte sich die hübsche Echse an den Flügel, streifte die Ringe von den Fingern und begann gleich mit Rachmaninow. Abgesehen von dem Geklirr, das ihr Stacheldaumen auf den Tasten hervorrief, legte sie eine beträchtliche Virtuosität an den Tag.

Aber ach, mit Virtuosität war es bei den empfindlichen Sinnen des Elben nicht getan, und im Gegensatz zum Autofahren verstand er keinen Spaß, wenn es um Musik ging. So hielt er sich schon nach kurzer Zeit die Ohren zu, und ihm entfuhr der unwillige Ausruf: »Hör auf, Donna, um Gottes willen! Du isst Gehacktes, und du spielst Gehacktes!«