Märchen von Musik und Tanz -  - E-Book

Märchen von Musik und Tanz E-Book

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Beschreibung

Zum Tanz auf dem Ball bittet der Königssohn das Aschenbrödel. Aber was ist ein Tanz ohne Musik? Beides ist allgegenwärtig im Leben und so auch im Märchen: der berauschende Tanz der Feen, der schauerliche Teufelstanz oder der Totentanz im bleichem Licht des Mondes. Zauberinstrumente zwingen zum Tanzen, bringen die Wahrheit ans Licht oder lassen putzige Ferkelchen einen Reigen schreiten, um die Angebetete zu gewinnen. Auch wenn so manches Märchen Musik und Tanz verteufelt, am Ende ist ein Leben mit Musik und Tanz so viel bunter und beglückender – wie der Hochzeitstanz vom Aschenbrödel.

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Über dieses Buch

Diese sehr abwechslungsreiche Sammlung beginnt mit Märchen, die erzählen, wie Musik und Tanz ursprünglich zu den Menschen kamen. Die göttliche Gabe brachte bei Festen Freude und Erholung vom Alltag und der harten Arbeit. Und natürlich kann man mit Musik und Tanz den Liebsten oder die Liebste gewinnen. Dass aber mitunter Missbrauch sowohl von Teufeln oder Wesen aus der Anderswelt als auch von Prinzessinnen getrieben wurde, erzählen uns wieder andere Geschichten. Wunderbares und Gruseliges, Romantisches und Lustiges – von allem ist etwas dabei in diesen Märchen aus den verschiedensten Kulturen.

Über die Autorin

Veronika Uhlich ist Diplom-Geographin, Medienwirtschaftlerin und seit über 10 Jahren Erzählerin. Seit 1998 ist sie in der Erwachsenenbildung tätig, viele Jahre in der Wirtschaft, später im Bereich Märchenerzählen, Märchenkunde und Vorlesen für Menschen mit Demenz. Sie ist Autorin diverser Artikel und zusammen mit zwei anderen Autorinnen veröffentlichte sie 2016 das Buch »Märchen für Menschen mit Demenz«.

Märchen von Musik und Tanz

Zum Erzählen und Vorlesen

Herausgegebenvon Veronika Uhlich

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

E-Book-Ausgabe

Krummwisch bei Kiel 2018

© 2018 by Königsfurt-Urania Verlag GmbH

D-24796 Krummwisch

www.koenigsfurt-urania.com     www.maerchen-schaetze.de

Umschlaggestaltung: Jessica Quistorff, Rendsburgunter Verwendung folgender Motive von Fotolia:Ethereal woman dancing in dreamy forest © captblack76und Violin on music sheets © peshkova

Lektorat: Claudia Lazar, Kiel

Satz und Layout: Stefan Hose, Götheby-Holm

Druck und Bindung: Finidr s.r.o

Printed in EU

eISBN 978-3-86826-424-1

Inhalt

Vorwort

Vom Rhythmus der Welt

Wie die heilige Gabe des Festes zu den Menschen kam

Die Erschaffung der Geige

Maen du yr Arddu, der schwarze Stein von Arddu

Warum die Trommel zu den Menschen kam

Feentanz und Jenseitsklang

Die Nachtschwärmerin

Die Waldfrau

Das Federkleid

Der nächtliche Tanz

Die wunderbare Melodie

Die Warze und die Kobolde

Der Vampir

Das Gespenstermahl

Die Flöte im See − Fukifue numa

Wunderton und Zaubertanz

Drei rote Ferkelchen

Die Zwerchpfeife

Vom singenden, tanzenden und musizierenden Blatte

Die Schildkröte und der Mensch

Kaiser Trojan hat Ziegenohren

Vom singenden Dudelsack

Die zwölf Brocken

Des Königs Hasen

Das Glöckchen

Spielmann und des Meisters Tanz

Das Märchen von Sadko

Das Eselein

Der Teufel im Fasshahnen

Ein teuflischer Tanzmeister

Die Kinder von Hameln

Der Zigeuner, der Wolf, der Fuchs und der Esel in der Wolfsgrube

Der Knabe und die Riesen

Liebestanz und Herzensklang

Abendrot

Der lustige Ferdinand oder der Goldhirsch

Die Liebesgeschichte des Kolibri

Belohnte Kindesliebe

Rosmarinsträuchlein

Nakakuni

Der König und der Gärtner

Von der Zarin, die Gusli spielte

Aschenbrödel − La zendrarola

Quellenangaben

Vorwort

Denkt man an Tanz und Musik im Märchen, fällt den meisten Menschen sofort der Hochzeitstanz am Ende vieler Märchen ein – der Tanz, der vor dem Satz »… und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende« kommt.

Doch ist dies der alleinige Tanz im Märchen? Spielt die Musik nur auf zum Hochzeitstanz? Wie im Leben spiegeln die Märchen die unterschiedlichsten Begebenheiten, in welchen Musik und Tanz eine wichtige Bedeutung haben: das Fest der Freude, die Musik der Liebe, der Tanz der Toten, die Feiern im Jenseits oder verführerische Liebesklänge. So wird in Märchen niemals nur zur Unterhaltung der Klang eines Instrumentes erschallen, ein Lied gesungen oder ein Tanz begonnen werden. Tanz und Musik, dazu gehört auch die Stimme, tragen zur magischen Wirkung eines Motivs bei.

Musik und Tanz gehören zu den ältesten Kulturerrungenschaften des Menschen. Schon früh begannen die Menschen, Musik und Tanz den Göttern zuzuordnen. Zur Musik gehörte zuerst die menschliche Stimme, die dann durch Instrumente ersetzt wurde. Diese ersten Klangwerkzeuge imitierten die Stimme, die Naturgeräusche, den Rhythmus der Welt. Sie sollten die Geister anlocken oder abschrecken. Viele Schamanen nutzten und nutzen den Tanz und die Musik, um in die Geisterwelt einzutreten, die Grenze zwischen Diesseits und der Anderswelt zu überschreiten. In Trance gefallen sieht die Welt anders aus, Geister können besänftigt oder auch verjagt werden, das Wetter beruhigt, die Krankheit verscheucht und die Fruchtbarkeit gerufen werden. Häufig wurden diese Tänze zu rasanten Rhythmen vorgeführt, mit Masken, die das menschliche Antlitz verbargen und die Gemeinschaft mitführten in den wilden Reigen.

Später wurden Musik und Tanz – besonders in der christlichen Welt – verteufelt. Viele Märchen und Sagen erzählen von Teufelstänzen, von der Verführung durch Musik, den Reigen der Toten, von Lasterhaftigkeit und nicht erlaubten sexuellen Anspielungen bei den Bewegungen der Tänzer.

Früher wie auch heute sind Musik und Tanz aus der sinnlichen Liebe nicht wegzudenken. Liebende haben ihre besonderen Lieder, die Ehe wird durch den Hochzeitstanz verdeutlicht, die Sehnsucht nach dem anderen findet seinen Klang in traurigen Weisen und die Erfüllung in wohligen Liedern. So wie Aschenbrödel – sie neckte im Tanz den Prinzen und gewann so sein Herz.

Vom Rhythmus der Welt – die Entstehung von Musik und Tanz

In vielen Kulturen gibt es Mythen, die über die Entstehung der Musik und der Instrumente, auch über die Entstehung von Tanz und Tanzfesten berichten. Ob es nun bei den Inuit die Trommel, bei dem rumänischen fahrenden Volk die Geige oder andere Instrumente sind oder die Stimme eines Barden, immer kommen die Klänge aus dem Jenseits, werden von Numinosen an die Menschen überreicht. Der Empfänger ist meist ein besonderer Mensch, ein Einzelgänger, ein Kulturheros, der in der Lage ist, die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits zu überschreiten, der die Zeichen richtig deuten kann und den Mut hat zu agieren, so wie Teriaq in dem Märchen »Wie die heilige Gabe des Festes zu den Menschen kam«. Diese ätiologischen Märchen beschreiben Vorstellungen, die die Menschen sich machen, wenn etwas unerklärlich ist und weit vor ihrer Zeit lag. Sie erzählen von der Entstehung der Dinge, hier der Musik und des Tanzes.

Feentanz und Jenseitsklang – die wundersame Seite der Anderswelt

Feenmusik, die Verführung der Wasserwesen durch Gesänge, der Klang des Teufelstanzes oder auch die schwebend-wiegenden, aber bedrückenden Tänze der Toten – sie alle werden mit dem Jenseits in Verbindung gebracht. Viele Märchen erzählen von der zeitvergessenden Wirkung der Feentänze und von ihren guten gabenschenkenden Seiten, wie in »Die Waldfrau«. Aber auch andere Jenseitswesen lieben Musik und Tanz, wie die japanischen Kobolde.

Später wurden diese Tänze und Musik der Jenseitswesen als schlecht, als böse betrachtet. Dies geschah besonders während der Christianisierung. Der alte Glaube sollte mit Hilfe von Geschichten als schlecht und heidnisch dargestellt werden. Musik und Tanz zeugten nicht mehr von Freude, sondern waren unkeusch, ungehörig und nur »sündige« Menschen ließen sich davon nicht abhalten. So verführen die Vilen, feenähnliche Gestalten aus dem südslawischen Raum, die »Nachtschwärmerin«. Der Teufel, ein »Vampir« sucht seine Opfer beim Tanz und kann nur mit Hilfe eines gottesfürchtigen Mädchens mit Unterstützung von Weihwasser in die Schranken gewiesen werden. Die Toten in »Das Gespenstermahl« lassen nicht ab von dem Schabernack treibenden Jüngling, zwingen ihn zu Tanz und Speise, so dass er nie wieder seine Späße mit den Gebeinen von Toten treibt.

Wunderton und Zaubertanz – die magischen Instrumente

Geige, Flöte, Dudelsack und Zither, auch die Glocke gehört dazu. Sie können magische Kräfte besitzen, Wundertöne erzeugen, die Menschen oder Tiere zu Handlungen bringen, die sie sonst nie tun würden. Manchmal zwingen sie zum Tanz und − wie zum Trotz gegen die Geschichten mit Teufelstanz − wird hier der Teufel selbst mit Hilfe einer zum Tanz zwingenden Zwerchpfeife überlistet. Oder sie erzählen die Wahrheit: So die Märchen vom Typ von AaTh 780 (Der singende Knochen), in denen durch Zufall aus einem Ermordeten ein Instrument geschaffen wird, ein Pars pro Toto, ein Teil vom Ganzen. Und dieses Instrument verkündet, was die Menschen sich nicht trauen, klar und deutlich die Wahrheit.

Aber auch die lustigen Varianten zeugen von der Kraft der Töne, ob nun tanzende Ferkelchen die Liebste entzücken oder Hasen bei dem Klang der Flöte tun, was gewollt ist, die Magie, die diese Instrumente erzeugen, ist eine besondere. Ihre Töne können das Unmögliche möglich machen, den Zauber erzeugen, der zum Schluss das gute Ende bewirkt. Und sogar manches Leben retten.

Spielmann und des Meisters Tanz – wer sind diese Wesen?

Aber wer erzeugt die Musik, wer führt den Reigen an? Musiker und Tänzer sind in Märchen Menschen, die sich zwischen den Welten bewegen können, die sowohl im Diesseits als auch im Jenseits zuhause sind. Sie können Hilfe von dort erlangen, aber auch durch die Unterstützung in ihren Künsten dem Hochmut verfallen. Die Byline, das Heldenlied, erzählt von Sadko dem Guslispieler und seinem Werdegang, von der Hilfe aus der Anderswelt, seinem Ruhm, dem Fall und seiner Wiederkehr als »der Guslispieler«. Ein seltsamer Spielmann rächt sich grausam für die Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren ist. Ein Tanzmeister mit teuflischen Zügen quält tanzende Enten. Oder wir hören von einer Königstochter mit regelrechter »Tanzwut«, die so anmaßend ist, dass sie viele Königssöhne in den Tod tanzt, bis der Teufel sie lehrt, dass er der grausamere Tanzmeister ist.

Andere Spielmänner hingegen führen durch ihre Musik und ihren Gesang die Menschen zurück zu ihren Herzen, zu dem, was ihnen wirklich wichtig ist, zu dem Menschen, den sie lieben.

Liebestanz und Herzensklang – die Melodie der Liebe

Musik ist der Klang der Liebe und der Sehnsucht. Die entführte Geliebte wird durch ihre Musik wiedergefunden, der Zar durch seine Gusli spielende Zarin aus den Fängen eines fremden Königs befreit oder die Geliebte, wie in »Rosmarinsträuchlein«, aus der Pflanze herausgelockt. Im Tanz der Herzen finden der Held und Abendrot zusammen. Aber nicht jedes Liebesspiel überzeugt, so muss der Kolibri weiter seine Liebesweisen spielen. Aschenbrödel, die den Ausgewählten im Tanz immer wieder vor weitere Aufgaben stellt, findet schließlich ihr Glück, und so kann es enden mit »… und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende«.

Literatur

Schneider, Ingo: »Tanz«. In: Enzyklopädie des Märchens, Bd. 13, Berlin/New York 2010, Sp. 189-196.

Suppan, Wolfgang: »Musik, Musikinstrumente«. In: Enzyklopädie des Märchens, Bd. 9, Berlin/New York 1999, Sp. 1033-1038.

Tüpker, Rosemarie: Musik im Märchen. Wiesbaden 2011.

Vom Rhythmus der Welt

Wie die heilige Gabe des Festes zu den Menschen kam

Es war einmal eine Zeit, da die Menschen keine Freude kannten. Ihr ganzes Leben bestand aus Arbeit, Essen, Verdauung und Schlaf. Ein Tag verging ihnen wie der andere. Sie schliefen nach ihren Mühen ein, nur um zu neuer Anstrengung zu erwachen. Und ihr Sinn verzehrte sich in Einförmigkeit.

In diesen Zeiten lebte ein Mann mit seiner Frau einsam in einem Dorf, nicht weit vom Meere entfernt. Sie hatten drei Söhne, tüchtige Knaben, die gerade ebenso große Jäger werden wollten wie ihr Vater. Sie trieben allerlei Leibesübungen, die sie stark und ausdauernd machten, noch ehe sie erwachsen waren. Und Vater und Mutter waren stolz auf sie; denn sie sollten ihre Stütze im Alter werden und ihnen Nahrung verschaffen, wenn sie selbst es nicht mehr vermochten.

Aber da geschah es, dass zuerst der älteste Sohn auf der Jagd verschwand und dann der zweitälteste. Sie kamen nicht zurück und hinterließen keine Spur. Niemand konnte nach ihnen suchen. Der Vater und die Mutter trauerten tief über ihren Verlust und achteten nun ängstlich auf den jüngsten Knaben, der schon so groß war, dass er mit seinem Vater auf die Jagd gehen konnte. Der Sohn, er hieß Teriaq, Hermelin, jagte am liebsten das wilde Rentier; der Vater ging am liebsten auf Seetierfang. Da Jäger nicht ihr ganzes Leben in Angst verbringen können, durfte der Knabe gehen, wohin er Lust hatte, tief ins Land hinein, während der Vater in seinem Kajak auf das Meer hinaus ruderte.

Eines Tages war Teriaq wie gewöhnlich auf Rentierjagd. Da erblickte er einen gewaltigen Adler, einen großen jungen Adler, der über ihm kreiste. Teriaq nahm hurtig seine Pfeile hervor. Da senkte sich der Adler herab und setzte sich ein wenig von ihm entfernt auf die Erde. Er streifte seine Kapuze vom Kopf und wurde zum Menschen. Und er sprach zum Rentierjäger und sagte: »Ich bin es, der deine beiden Brüder getötet hat. Ich werde auch dich töten, wenn du mir nicht versprichst, Gesangsfeste zu feiern, sobald du nach Hause kommst. Willst du oder willst du nicht?«

»Ich will es gerne, aber ich begreife nicht, was du sagst. Was ist Gesang? Was ist ein Fest?«

»Willst du oder willst du nicht?«

»Ich will gern, aber ich weiß nicht, was es ist.«

»Wenn du mir folgst, wird meine Mutter dich lehren, was du nicht verstehst. Deine beiden Brüder verschmähten die Gabe des Gesangs und des Festes; sie wollten nicht lernen; darum tötete ich sie. Nun kannst du mir folgen, und sobald du gelernt hast, Worte zu einem Gesang zusammenzusetzen und diesen zu singen, und sobald du gelernt hast, vor Freude zu tanzen, wird es dir frei gestattet sein, in dein Dorf heimzukehren.«

»Ich komme mit«, antwortete Teriaq. Dann brachen sie auf. Der Adler war kein Vogel mehr, sondern ein großer und kräftiger Mann, im schimmernden Gewand aus Adlerfedern. Sie gingen und gingen weit, weit über das Land hin, durch Schluchten und Täler, bis zu einem hohen Berge, den sie zu besteigen begannen.

»Hoch oben auf dem Gipfel dieses Berges liegt unser Haus«, sagte der junge Adler.

Und sie stiegen den Berg hinan, kamen höher und höher hinauf und hatten eine weite Aussicht über die Ebenen, wo die Menschen Rentiere zu jagen pflegen. Aber als sie sich dem Berggipfel näherten, hörten sie plötzlich einen pochenden Laut, der stärker und immer stärker wurde, je näher sie dem Gipfel kamen. Er hörte sich an wie der Schlag von gewaltigen Hämmern, und so stark war das Dröhnen, dass Teriaq die Ohren sausten.

»Kannst du etwas hören?«, fragte der Adler.

»Ja, einen seltsamen, ohrenbetäubenden Laut, den ich niemals je zuvor gehört habe!«

»Es ist meiner Mutter Herz, das klopft«, antwortete der Adler. Dann kamen sie zum Hause des Adlers, das ganz oben auf dem höchsten Gipfel erbaut war.

»Warte hier, bis ich zurückkomme, ich muss meine Mutter vorbereiten«, sagte der Adler und ging hinein.

Nach einem Augenblick kehrte er zurück und holte Teriaq. Sie gingen in einen großen Raum, der in gleicher Weise gebaut war wie die Häuser der Menschen; drinnen auf der Schlafbank saß ganz allein die Mutter des Adlers, alt, hinfällig und betrübt. Nun ergriff der Sohn das Wort und sagte:

»Hier ist der Mann, der versprochen hat, ein Gesangsfest zu halten, wenn er nach Hause kommt. Aber er sagt, dass die Menschen nicht verstehen, Worte zu einem Gesang zusammenzusetzen, und sie verstehen auch nicht, die Trommel zu schlagen und vor Freude zu tanzen. Mutter, die Menschen verstehen nicht, ein Fest zu feiern, und nun ist dieser junge Mann gekommen, um es zu lernen!«

Diese Worte brachten großes Leben in die alte, hinfällige Adlermutter, und ihr müden Augen leuchteten plötzlich auf, während sie sagte:

»Zuerst müsst ihr ein Festhaus bauen, in dem sich viele Menschen versammeln können.«

Nun bauten die beiden jungen Männer das Festhaus, das »Qagsse« genannt wird und das größer und schöner ist als gewöhnliche Häuser. Und als es fertig war, lehrte sie die Adlermutter, Worte zu einem Gesang zusammenzusetzen und die Töne zusammenzufügen, so dass sie zu Melodien wurden. Sie fertigte eine Trommel an und lehrte sie, die Trommel im Takt zu Liedern zu schlagen, und sie zeigte ihnen, wie man zu den Gesängen tanzen muss. Als Teriaq all das gelernt hatte, sagte sie: »Vor jedem Fest sollt ihr viel Fleisch sammeln und dann viele Menschen einladen. Dies sollt ihr tun, wenn ihr euch ein Festhaus gebaut und eure Lieder gedichtet habt; denn der Menschen Beisammensein in der Freude erfordert große Festgelage!«

»Aber wir wissen von keinen anderen Menschen als von uns selbst«, antwortete Teriaq.

»Die Menschen sind einsam, weil sie noch nicht die Gabe des Festes erhalten haben«, sagte die Adlermutter. »Trefft nun eure Vorbereitungen, so wie ich euch gesagt habe. Wenn alles bereit ist, sollst du hinausgehen, um nach Menschen zu suchen. Du wirst sie zu zweien treffen. Du sollst sie versammeln, bis es ihrer viele sind, und sie einladen. Und dann sollt ihr ein Gesangsfest feiern.«

So sprach die alte Adlermutter; und als sie Teriaq genau eingeprägt hatte, was er tun solle, sagte sie schließlich:

»Wohl bin ich ein Adler, aber doch auch eine alte Frau, welche die gleichen Freuden hat wie andere Frauen. Ein Geschenk verlangt ein Gegengeschenk, und es wäre angebracht, wenn du mir zum Abschied ein wenig Sehnenschnur geben wolltest. Unbedeutend bleibt zwar deine Wiedervergeltung, aber sie würde mich doch erfreuen.«

Teriaq war zuerst unglücklich; denn woher sollte er sich hier, so weit von seinem Dorf, Sehnenschnur verschaffen. Aber dann dachte er an die Sorrunge, die Sehnenschnur für seine Pfeilspitzen, und er wickelte sie ab und gab sie dem Adler. So unbedeutend war sein Gegengeschenk für alles, was er bekommen hatte.

Darauf zog der junge Adler wieder sein schimmerndes Gewand an und bat seinen Gast, sich auf seinen Rücken zu legen und die Arme um seinen Hals zu schlingen. Dann flog er hastig den Berg hinunter. Ein starkes Sausen entstand ringsum, und Teriaq glaubte, es wäre vorbei mit ihm. Doch das Ganze dauerte nur einen Augenblick, dann hielt der Adler an und bat ihn, die Augen zu öffnen. Da waren sie schon an jener Stelle, wo sie sich getroffen hatten. Sie verabschiedeten sich herzlich voneinander; sie waren Freunde geworden und trennten sich nun. Teriaq aber eilte nach Hause zu seinen Eltern, und erzählte ihnen alles, was er erlebt hatte. Und mit diesen Worten schloss er seinen Bericht:

»Die Menschen sind einsam und leben ohne Freude, weil sie kein Fest zu feiern verstehen. Nun haben mir die Adler das heilige Geschenk des Festes gegeben, und ich habe gelobt, alle Menschen an der Gabe teilnehmen zu lassen.«

Vater und Mutter lauschten verwundert den Worten des Sohns und schüttelten ungläubig das Haupt; denn wer niemals sein Blut heiß werden und nie sein Herz in Erregung schlagen fühlte, kann des Adlers Geschenk mit seinen Gedanken nicht erfassen. Aber die Alten durften nicht widersprechen; denn schon zwei ihrer Söhne hatten die Adler genommen, und sie verstanden, dass das Gebot befolgt werden musste, wenn sie den letzten Sohn behalten wollten. Darum taten sie alles, was die Adler verlangt hatten. Ein Festhaus gleich dem des Adlers wurde gebaut, und Fleischständer wurden mit Fleisch der See- und Rentiere gefüllt.

Vater und Sohn setzten fröhliche Wörter zusammen, schilderten liebe und ernste Erinnerungen im Gesang, den sie zu Melodien stimmten. Sie machten sich Trommeln, lärmende Holztrommeln aus runden Holzrahmen mit ausgespannten Rentierfellen, und im Takt mit den Schlägen der Trommeln bewegten sie Arme und Beine zu den Liedern in ausgelassenen Sprüngen, in mutwilligen Krümmungen des Körpers. Und sowohl der Körper als auch die Gedanken wurden heiß; sie begannen alles ringsum in vollkommen neuer Weise zu fühlen und zu sehen. Es konnte vorkommen, dass sie manch einen Abend spaßten und lachten, schwatzhaft und übermütig, zu einer Zeit, wo sie sonst aus Langeweile über einen endlosen Abend geschnarcht hätten.

Sobald alle Vorbereitungen getroffen waren, ging Teriaq hinaus, um die Leute zum Fest einzuladen, das sie feiern sollten. Zu seinem großen Erstaunen entdeckte er nun, dass er und seine Eltern nicht mehr einsam waren, wie sie es stets zuvor gewesen. Frohe Menschen erhalten Gesellschaft. Er traf plötzlich überall Menschen, aber nur zu zweit, seltsame Menschen, einige in Wolfspelze gekleidet, andere in Felle von Vielfraß, Luchs, Rotfuchs, Silberfuchs, Kreuzfuchs, ja, in Pelzen von allen Tierarten. Teriaq lud sie zum Gastmahl in ihrem neuen Festhaus ein, und sie folgten ihm alle mit Freuden.

Dann hielten sie das Gesangsfest ab – ein jeder brachte seine eigenen Lieder vor. Man lachte, erzählte und lärmte, und die Menschen waren sorgenfrei und froh, wie sie nie zuvor gewesen waren. Gastmähler wurden abgehalten, Fleischgaben ausgetauscht, Freundschaften geschlossen, und es gab auch einige, die sich Geschenke von kostbarem Pelzwerk machten. Die Nacht verging, und erst als das Morgenlicht ins Festhaus schien, nahmen die Gäste Abschied. Aber während sie im wildem Getümmel aus dem Hausgang stürzten, fielen sie alle vornüber auf ihre Hände und sprangen fort auf allen vieren. Jetzt waren sie keine Menschen mehr, sondern verwandelten sich in Wölfe, Vielfraße, Luchse, Rotfüchse, Silberfüchse, Kreuzfüchse, ja, in alle Tiere des Waldes. Das waren Gäste, die der alte Adler geschickt hatte, damit Vater und Sohn nicht vergebens bitten sollten. So gewaltig war die Macht des Festes, dass selbst Tiere zu Menschen wurden. Und die Tiere, die immer einen leichteren Sinn hatten als die Menschen, wurden der Menschen erste Gäste in einem Festhaus.

Kurz darauf geschah es, dass Teriaq wieder draußen war, um zu jagen, und wieder traf er den Adler. Dieser schlug sofort seine Kapuze zurück und wurde zum Menschen, und sie gingen zusammen zur Adlerwohnung hinauf; denn die alte Adlermutter wollte noch einmal den Mann sehen, der das erste Fest der Menschen gefeiert hatte.

Aber schon ehe sie sich dem Gipfel genähert hatten, kam ihnen die Adlermutter entgegen, um zu danken, und siehe: Die alte, hinfällige Adlerin war wieder jung geworden.

Denn wenn die Menschen Feste feiern, werden alle alten Adler jung.

Dieses erzählen alte Leute oben aus Kangianeq, dem Lande, das dort liegt, wo die Wälder beginnen, rings um die Quelle des Colville-Flusses.

So, sagen sie, kam die Gabe des Festes auf merkwürdige und unerklärliche Weise zu den Menschen. Und der Adler blieb seitdem der heilige Vogel des Gesanges, des Tanzes und aller Feste.

Märchen der Inuit aus Alaska

Die Erschaffung der Geige

Es war einmal ein armer Mann und eine arme Frau, die hatten lange Zeit keine Kinder. Da geschah es einmal, dass die Frau in den Wald ging und einem alten Weibe begegnete, das also zu ihr sprach: »Gehe nach Hause und zerschlage einen Kürbis, gieße Milch in denselben und dann trinke sie. Du wirst dann einen Sohn gebären, der glücklich und reich werden wird!« Hierauf verschwand das alte Weib, die Frau aber ging nach Hause und tat, wie ihr geheißen war. Nach neun Monaten gebar sie einen schönen Knaben. Doch nicht lange Zeit hindurch sollte die Frau glücklich bleiben, denn sie wurde bald krank und starb. Ihr Mann starb auch, als der Knabe zwanzig Jahre alt wurde. Da dachte sich der Jüngling: Was soll ich hier machen? Ich gehe in die Welt und suche mein Glück!

Der Jüngling ging also von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, fand aber nirgends sein Glück. Da kam er einmal in eine große Stadt, wo ein reicher König wohnte, der eine wunderschöne Tochter besaß. Ihr Vater wollte sie nur dem Manne zur Frau geben, der so etwas machen könne, was noch niemand auf der Welt gesehen habe. Viele Männer hatten schon ihr Glück versucht, aber sie wurden alle vom König aufgehängt, denn sie konnten nichts machen, was man nicht schon vordem gesehen hatte.

Als der Jüngling dies hörte, ging er zum König und sprach: »Ich will deine Tochter zur Frau haben; sag’, was soll ich denn machen?« Der König erzürnte und sprach: »Du fragst, was du machen sollst? Du weißt ja, dass nur der meine Tochter zur Frau erhält, der so etwas machen kann, was noch niemand auf der Welt gesehen hat! Weil du so dumm gefragt hast, sollst du im Kerker sterben!« Hierauf sperrten die Diener des Königs den Jüngling in einen dunklen Kerker. Kaum dass sie die Türe zusperrten, da wurde es hell und die Matuya, die Feenkönigin, die den Armen und Verlassenen hilfreich beisteht, erschien. Sie sprach zum Jüngling: »Sei nicht traurig! Du sollst noch die Königstochter heiraten! Hier hast du eine kleine Kiste und ein Stäbchen! Reiß’ mir Haare von meinem Kopf und spanne sie über die Kiste und das Stäbchen!« Der Jüngling tat also, wie ihm die Matuya gesagt hatte. Als er fertig war, sprach sie: »Streich’ mit dem Stäbchen über die Haare der Kiste!« Der Jüngling tat es. Hierauf sprach die Matuya: »Diese Kiste soll eine Geige werden und die Menschen froh oder traurig machen, je nachdem du es willst.« Hierauf nahm sie die Kiste und lachte hinein, dann begann sie zu weinen und ließ ihre Tränen in die Kiste fallen. Sie sprach nun zum Jüngling: »Streich’ nun über die Haare der Kiste!« Der Jüngling tat es und da strömten aus der Kiste Lieder, die das Herz bald traurig, bald fröhlich stimmten.

Als die Matuya verschwand, rief der Jüngling den Knechten zu und ließ sich zum König führen. Er sprach zu ihm: »Nun also höre und sieh, was ich gemacht habe!« Hierauf begann er zu spielen und der König war außer sich vor Freude. Er gab dem Jüngling seine schöne Tochter zur Frau und nun lebten sie alle in Glück und Freude. So kam die Geige auf die Welt.

Märchen aus Südungarn

Maen du yr Arddu, der schwarze Stein von Arddu

In Betta Garmon, am nordwestlichen Abhange des Snowdon, wohnte ein wohlhabender Farmer, der eine einzige Tochter namens Meredith hatte. Das Mädchen war sehr schön, aber dabei recht eigensinnig. Ein böses Herz hatte sie wohl nicht, aber sie war verzogen und voller Launen. Da sie, wie gesagt, reich, schön und jung war, so konnte es ihr an Freiersleuten nicht fehlen; aber sie schlug jeden aus. An jedem hatte sie etwas auszusetzen; der eine war ihr zu groß, der andere zu klein, – sie wies alle mit Spott zurück, sie wollte etwas Besonderes haben. Da war nun im Dorfe auch ein Farmerssohn mit Namen Huwcyn Sion. Der war nicht reich, aber der Rechtschaffenste und der Angesehenste im ganzen Kirchspiel. Dabei hatte er ein männlich Wesen und ein paar Augen im Kopf, die schon manches Mädchen toll gemacht hatten. Was konnte Huwcyn dazu? Er liebte, seit er denken konnte, nur eine: Und das war Meredith, die schöne, reiche Farmerstochter. Es sollte nun so kommen, dass auch Meredith ihn lieben musste, und so tief und warm solch’ ein schönes Mädchen nur lieben kann. Sonst hätte Huwcyn gar nicht daran zu denken gewagt, um sie zu freien. Allein Merediths Vater, der sein einzig Kind glücklich sehen wollte und auf keinen mehr hielt als auf Huwcyn, weil er so brav und rechtschaffen fleißig war, der ermutigte ihn, seinen Antrag nur zu machen. Da zog sich Huwcyn aufs Beste an und machte sich auf den Weg. Meredith konnte den ganzen Tag tun, was sie wollte; sie jagte die Fohlen auf dem Anger vor der Farm. Als sie Huwcyn so stattlich gekleidet sah, rief sie aus: »Sag mir doch, Huwcyn, ist es heut Sonntag?« »Wenn du willst, so ist es heut Sonntag für mich«, erwiderte Huwcyn und sagte ihr dann, warum er gekommen sei. Da aber lachte Meredith aus Leibeskräften, ja sie lachte so laut, dass die Fohlen über den Anger setzten; dann sagte sie: »Seht doch! Ei seht doch! Meinst du denn, ich wäre für einen Farmer nicht zu gut? Einen Barden will ich haben, sag’ ich dir, einen Barden! Und eh’ du nicht ein rechter Barde geworden bist, eher kann ich dich auch nicht gebrauchen!« Damit lief sie wieder die Wiese hinauf zu den Fohlen. Huwcyn ging in tiefster Betrübnis von dannen. Hätte er sich nur einmal umgesehen! Denn kaum war er fort, so kam auch Meredith wieder herunter, setzte sich auf die Gattertür und sah ihm nach, so lange sie konnte. Er aber war sehr betrübt und sah nicht rechts noch links.

An einem steinigen Platze, yr Arddu, der schwarze Weiler genannt, an dem man vorüberkommt, wenn man den Snowdon besteigt, liegt ein großer Stein, welcher Maen du yr Arddu heißt.

Nun geht die Sage, dass, wenn zwei Personen eine Nacht auf diesem Steine schlafen, der eine am andren Morgen, wenn die Sonne aufgeht, mit der Gabe des Bardentums beschenkt wird, der andre aber wahnsinnig geworden sein würde. »Ich gehe hinauf«, sagte Huwcyn, »gleich! Denn wenn ich die Gabe des Sängers erhalte, so würde ich glücklich werden; und werde ich wahnsinnig, so fühle ich ja nichts von meinem Unglück! – Aber es müssen zwei sein, die da hinauf gehen – und wen darf ich bitten, auf solchem Gang mich zu begleiten?«

Indem begegnete ihm Huw Belissa. Er konnte ihm seinen Kummer nicht verbergen, denn Belissa war von Jugend auf sein liebster und bester Freund gewesen. Belissa war unter allen jungen Burschen als der größte Waghals berühmt; und kaum hatte er die Geschichte seines Freundes vernommen, als er schon fröhlich entschlossen ausrief: »Huwcyn, ich begleite dich!« Je mehr Huwcyn abredete, umso fester ward Belissas Vorsatz, und so traten sie denn nun gemeinschaftlich ihren Weg an. Als sie bei Merediths Farm vorüberkamen, da stand das Mädchen vor der Tür.

»Wohin des Weges?«, fragte sie.

»Dahinauf!«, sagte Belissa, und zeigte zum Gipfel des Snowdon empor, der im Abendrot strahlte, »zum schwarzen Weiler!«

Bei diesem Worte fiel es dem Mädchen schwer aufs Herz. Allein sie fasste sich bald wieder und wünschte den Männern eine glückliche Reise. Auch glaubte sie, die beiden hätten nur spaßen wollen. Über eine Weile jedoch, da sie wieder hinaussah, bemerkte sie die beiden schon ganz weit in der Abenddämmerung hoch über den Tiefen. Da ward ihr Angst und sie musste den ganzen Abend an den schwarzen Weiler denken. Als sie sich zu Bett gelegt hatte, kam es ihr wieder im Traume vor – es war ihr, als sei Huwcyn wahnsinnig geworden – ihretwegen … sie kämpfte, sie flehte, sie litt … da erwachte sie, schweißgebadet, und vom Kirchturm schlug es eben Mitternacht. Da konnte sie es auf dem Bett nicht mehr aushalten; sie sprang auf, zog sich eilig an und lief hinaus. Von Liebe und Gewissensangst gejagt, klomm sie den Snowdon hinan. Es war eine finstere Nacht, nur einzelne Sterne funkelten aus dem Gewölk, und der Sturm, der am Snowdon nimmer rastet, jagte schauerlich durch die Höhlen und Löcher. Das arme Mädchen verirrte sich bei der Dunkelheit und schon fing der Morgen zu grauen an, als sie noch immer in der unwegsamen Felswildnis kletterte. Endlich findet sie den Weg, endlich darf sie hoffen, noch frühe genug zu kommen, um die Schlummernden zu wecken und zu retten. Da, als sie mit dem letzten Aufwand ihrer Kraft den Gipfel erreicht, und den Namen des Geliebten ruft, – da, mit dem Klange zugleich trifft der erste Strahl der aufgehenden Sonne das Antlitz der Schläfer … sie erwachen – und das Verhängnis ist erfüllt. Auf dem nebelumwallten Felsen, als wie auf einer Wolke schwebend, steht Huwcyn, vom Morgenrot das edle Haupt verklärt, und mit dem Lachen des Wahnwitzes weckt Belissa das Echo der Klüfte des Gebirges. Meredith, von Liebe und Schmerz hingerissen, sank vor Huwcyn nieder, und umfasste weinend seine Knie.

Dieser aber sagte: »Ich habe nur noch eine irdische Sorge, und das ist Huw Belissa – weiter habe ich nichts mehr auf Erden!«

Huwcyns Harfe ward das Entzücken seines Volkes; nur für Meredith war jeder ihrer Klänge wie ein Schwertstich. Sie, die Rose von Betta Garmon, welkte vor der Zeit, und starb als Mädchen; aber in Schloss und Hütte berühmt wurde Huwcyn Sion, mit dem Beinamen y Canu, der Sänger. Denn nicht vor, nicht nach ihm war ein besserer Sänger in Cambrien.

Märchen aus Wales

Warum die Trommel zu den Menschen kam

Die Bachstelze erfand die Trommel und trommelte nach Herzenslust. Das hörte ein Mann und wollte die Trommel haben. Er wettete mit der Bachstelze, dass er besser zu trommeln verstände als sie. Als die Sache zum Austrag kam, wurde zugunsten des Mannes entschieden, denn der hatte zehn Finger, die Bachstelze nur ihren Schwanz. Der Gewinner nahm die Trommel und ging zu den Menschen. Aber die Bachstelze kann das Trommeln nicht lassen, immer wippt sie mit dem Schwänzchen.