Margarethe und der Mönch - Michael Stolleis - E-Book

Margarethe und der Mönch E-Book

Michael Stolleis

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Beschreibung

Der renommierte Rechtshistoriker Michael Stolleis versammelt in diesem Buch kuriose Geschichten aus Recht und Literatur vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart. Menschen geraten aneinander, geben ihrer Streitlust nach, prozessieren jahrelang – Stoff für amüsante oder melancholische Betrachtungen aus rechtsgeschichtlicher Perspektive. Das Spektrum reicht von einer Prozessgeschichte aus dem alten Reval des 15.Jahrhunderts, in der ein Prophet auftritt, für den sich Luther interessierte, über einen Kleinkrieg in Sachsen-Meiningen, der eine Hofdame ins Gefängnis bringt und einen Toten fordert, bis hin zu einem bühnenreifen Frankfurter Prozess zwischen Dr. Johann Wolfgang Textor und seinen Gläubigern, unter ihnen Schneidermeister Goethe. Der Kampf ums Erbe des Armenadvokaten Firmian Stanislaus Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel spielt eine Rolle, ebenso wie der Mordprozess Heinze und die Bekämpfung von Unsittlichkeit in Berlin um 1880. Der Stoff dieser Geschichten stammt aus Archiven und Akten sowie aus der wissenschaftlichen Literatur, aber auch von Autoren, die sich die Freiheit nehmen, Juristen nicht allzu ernst zu nehmen.

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Michael Stolleis

Margaretheund der Mönch

Rechtsgeschichte in Geschichten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

C.H.Beck

Zum Buch

Der renommierte Rechtshistoriker Michael Stolleis versammelt in diesem Buch kuriose Geschichten aus Recht und Literatur vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart. Menschen geraten aneinander, geben ihrer Streitlust nach, prozessieren jahrelang – Stoff für amüsante oder melancholische Betrachtungen aus rechtsgeschichtlicher Perspektive.

Das Spektrum reicht von einer Prozessgeschichte aus dem alten Reval des 15. Jahrhunderts, in der ein Prophet auftritt, für den sich Luther interessierte, über einen Kleinkrieg in Sachsen-Meiningen, der eine Hofdame ins Gefängnis bringt und einen Toten fordert, bis hin zu einem bühnenreifen Frankfurter Prozess zwischen Dr. Johann Wolfgang Textor und seinen Gläubigern, unter ihnen Schneidermeister Goethe. Der Kampf ums Erbe des Armenadvokaten Firmian Stanislaus Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel spielt eine Rolle, ebenso wie der Mordprozess Heinze und die Bekämpfung von Unsittlichkeit in Berlin um 1880.

Der Stoff dieser Geschichten stammt aus Archiven und Akten sowie aus der wissenschaftlichen Literatur, aber auch von Autoren, die sich die Freiheit nehmen, Juristen nicht allzu ernst zu nehmen.

Über den Autor

Michael Stolleis war 1975 – 2006 Professor für Öffentliches Recht und Neuere Rechtsgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und 1992 – 2009 Direktor am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte. Er wurde ausgezeichnet 1992 mit dem «Leibniz-Preis», 2000 mit dem «Balzan-Preis», ist Träger der Ehrendoktorate von Lund, Padua, Toulouse und Helsinki sowie des Ordens Pour le mérite (2014). Bei C.H.Beck sind von ihm lieferbar: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland (4 Bde.) und Öffentliches Recht in Deutschland. Eine Einführung in seine Geschichte (2014).

Inhalt

  1. Margarethe und der Mönch

  2. Löwe und Fuchs

  3. Blaise Pascal – Gedanken zur Ungewissheit des Rechts

  4. Die Prinzessin als Braut

  5. Der Streit um den Vorrang, oder: Der Wasunger Krieg

  6. Fünf Frauen am Hofe

  7. Die Wunderinsel Barataria

  8. Corpus Iuris Civilis par cœur

  9. Schneidermeister Goethe u.a. gegen Syndicus Dr. Textor

10. Die Verfassung des Reichsmarktfleckens Kuhschnappel

11. Advocatus pauperum

12. Das Advokaten-Testament von Colmar

13. Brotlose Kunst

14. Der fromme Rat

15. Des Kaisers neue Kleider

16. Helden und Heldengesänge – Nationalepen und Verfassungen im 19. Jahrhundert

17. Der Mordfall Heinze und die Lex Heinze

18. Reine Rechtslehre in Erlangen

19. Über Reinheit

20. Vom Verschwinden verbrauchten Rechts

Anmerkungen

Nachwort

Textnachweise

Abbildungsnachweise

Namenregister

1. Margarethe und der Mönch

I.

Wer in der Mitte des 15. Jahrhunderts über die Ostsee am Finnischen Meerbusen kam, vielleicht auf einer Kogge aus Bergen, Lübeck, Hamburg, Gotland oder Brügge, sah die Stadt Reval, das heutige Tallinn, vor sich.[1] Im Dunst zeichnete sich zunächst nur der Domberg mit dem Turm der Domkirche ab, daneben die wuchtigen Mauern und der Turm des Ordensschlosses, dann die in der Unterstadt gelegenen Türme der Olaikirche und der Nikolaikirche. Wenn das Schiff näher kam, wurde die Strandpforte sichtbar, daneben die gerade erbaute St. Gertrudenkapelle für Schiffer und Reisende, alles umschlossen vom Mauerring mit seinen vierzig Türmen und sechs Toren. Vor den Mauern sah man die ärmeren Vorstädte mit den kleinen Häusern der Fischer, Taglöhner und kleineren Handwerker wie Wachszieher, Korbmacher oder Segelmacher, aber auch die langen Bahnen der Seiler und Drahtzieher. Dazwischen standen die Vorratsscheunen der Bauern, etwas entfernter das Haus des Abdeckers und Henkers am Schindanger. Schließlich in der Hafengegend nahe der Strandpforte einige dunkle Gassen mit Gärten und Stallungen, Kaschemmen, Matrosenheimen und Bordellen.

Das Schiff verlangsamte seine Fahrt, die Segel wurden gerefft, und es glitt in das Gewimmel von Masten, Tauen, rundlichen Koggen, leichteren Küstenfahrern, Fischkuttern und flachen Schuten hinein.[2] Nachdem es am Kai festgemacht war, legte man Laufplanken. Ein hölzerner Kran bewegte sich knarrend, seine Seilrolle senkte sich mit dem Haken für die Ballen oder mit einer beidseitig greifenden Klammer für die Fässer. Matrosen öffneten die Luken. Ausgeladen wurden flandrische, englische und holländische Tuche aus Wolle und Leinen, aber auch – über Brügge oder Frankfurt gekommen – Seidenbrokate aus Italien. Andere Schiffe brachten Fässer mit dem lebensnotwendigen groben und bitteren Pökelsalz aus der Biskaya oder von der westlichen Atlantikküste (Baiensalz), weiter solche mit feinem Tafelsalz aus Lüneburg, die über Lübeck oder Hamburg verschifft wurden.[3] In Kisten kam barrenweise Silber vom Rammelsberg im Harz, aber auch geschmiedet zu Bechern und Tellern oder Schmuck; denn Silber fehlte im Baltikum und in Nordrussland.

Neben Salz war der Hering als Fastenspeise das eigentliche Massengut. Von Juli bis Oktober wurde der Fisch vor Schonen gefangen, meist von dänischen Fischern. Das Zentrum des Heringsmarkts befand sich auf der kleinen Halbinsel Skanör-Falsterbo. Noch heute stehen dort die Heringe im Stadtwappen. Kaufleute aus allen Anliegerstaaten kamen dorthin, handelten mit Fisch und Salz, und ließen die Ware in Tonnen schlagen. Die wohlhabenden Schonenfahrer, zusammengeschlossen in Gilden, übernahmen den Transport.[4] Daneben kamen der getrocknete oder gesalzene Kabeljau (Stockfisch, Klippfisch, Bacalhau) oder Fässer mit Tran von der norwegischen Hansestadt Bergen, die lange ein Monopol hierfür hatte, über Lübeck nach Reval. Später verlor Bergen Marktanteile an die Islandfahrer und an englische Händler.[5]

Die in Reval entladenen Schiffe nahmen Rückfracht aus dem Ostseeraum mit. Das war häufig das für die Niederlande, Norwegen oder Island bestimmte Getreide. In andere Schiffe wurden die Waren Russlands, Polens und Livlands eingeladen, etwa Ballen von rotem Juchtenleder, von Kerzenwachs, Harz und Pech für den Schiffsbau, Pelze aller Art, die über die Hansestadt Nowgorod kamen, Fässer voll Talg, Honig und süßem Nektar, genannt Seim.[6] Die breiten Koggen transportierten die von Nowgorod über Land nach Reval gebrachten Pelze von Biber, Luchs, Kaninchen, Eichhörnchen, Marder, Zobel und Hermelin, angeblich bis zu 200.000 pro Schiff. Daneben wurden rohe Tierhäute geladen, Hanf für die Seile, Flachs für das Leinen, Leinsaat zur Gewinnung des Leinöls, Bernstein für die «Paternostermaker». Diese Güter liefen von Nowgorod über den Landweg nach Riga und dann mit dem Schiff oder auf dem Landweg um den Peipussee direkt nach Reval und von dort nach Lübeck, wo sie wiederum in verschiedene Richtungen verteilt wurden.[7]

Gezahlt wurde entweder im Tauschgeschäft, geringe Beträge in frühen Zeiten mit einem Stück oder Bündel Eichhörnchenfell (bela, russisch belka, finnisch orava), aber seit 1265 hatten Riga und Reval Münzrecht. Die Mark Rigisch wurde allgemeines Zahlungsmittel. In kleiner Münze oder Naturalientausch wurden wohl auch die Marktgeschäfte für den Tagesbedarf an Weiß-, Rot- oder Grünkohl, Zwiebeln, Rüben, Erbsen, Hirse und Dinkel, Gerste und Roggen, vielerlei Kräutern, Wurzeln, Gemüse, Beeren oder Baumfrüchten aus Revals Umgebung bezahlt, soweit man sie nicht aus den hauseigenen Gärten gewinnen konnte.

Die Lieferanten für die Stadt waren die auf dem Land lebenden Bauern, die so genannten Undeutschen.[8] Sie sprachen ihr dem Finnischen nahe verwandtes Estnisch, lebten nach ländlichem Gewohnheitsrecht und verfügten über eine mündliche, durchweg von Frauen gepflegte Tradition von Balladen, Legenden und Liedern zu allen Lebensphasen.[9] Die soziale Grenze zu der von Dänen, Schweden, Deutschen und Russen gebildeten Kaufmannsschicht in der Unterstadt, und erst recht zum Adel in der Oberstadt war deutlich und kaum überwindbar. Gleichwohl lebte man zusammen und verständigte sich. Unter den deutschen und niederländischen Kaufleuten dominierte das spätmittelalterliche Niederdeutsch,[10] das im ganzen Nord- und Ostseeraum verstanden wurde, zumal im internen Verkehr der Hansestädte, daneben wurde dänisch, schwedisch und russisch gesprochen. Die Wechsel der Sprachebenen folgten den Trennlinien der ständischen Gesellschaft,[11] die genau zwischen Adel, Bürgern und Bauern unterschied und innerhalb des Bürgertums zwischen den im Rat sitzenden Familien, der politischen Oberschicht, und den übrigen Stadtbürgern. Es war eine Gesellschaft mit Bauern, Bürgern, Adel und Geistlichkeit, wie sie in Europa zwischen dem 13. und 18. Jahrhundert sich ausbildete, aber auch eine speziell ausgeformte Stadtgesellschaft mit eigener Binnengliederung nach der Zugehörigkeit zu den etwa 20 ratsfähigen Familien oder zur Handwerkerschaft, zu Kirchengemeinden in der Ober- und Unterstadt, zu Gilden und Zünften,[12] nicht zuletzt auch mit klarer Unterscheidung der Geschlechter, von Verheirateten und Unverheirateten, ehrlichen und unehrlichen Berufen, Selbständigen und unselbständigen Dienstboten, Knechten und Mägden, Soldaten und fahrendem Volk. Auch beim Bettelvolk, für das ein Bettelvogt eingesetzt war, unterschied man eigene und fremde Bettler, unschuldig oder schuldig in Not Geratene. Die einen wurden unterstützt, die anderen bestraft oder vertrieben.

II.

Das 1219 von den Dänen gegründete und befestigte Reval ging von 1227 bis 1238 an den Schwertbrüderorden, der 1237 mit dem Deutschen Orden vereinigt wurde, kam aber 1238 wieder unter dänische Herrschaft. Um 1230 siedelten sich deutsche Kaufleute aus Gotland an. Am 15. Mai 1248 verlieh der dänische König Erik Plovpenning den Bürgern «alle Rechte, die die Bürger von Lübeck haben».[13] Das wurde 1255 noch einmal bestätigt und zwei Jahre später durch Übergabe des lübischen Stadtrechts bekräftigt.[14] Reval lebte also nach lübischem Recht, das sich seit dem 13. Jahrhundert im Ostseeraum ausgebreitet hatte. Mit dem Jahr 1248 gehörte es zur «lübischen Rechtsfamilie»;[15] in Reval/Tallinn galt dieses Recht in einzigartiger Kontinuität bis 1865, formal sogar bis 1945. 1282 wurde der maßgebliche Kodex des lübischen Rechts verfasst.[16] Seit dem 14. Jahrhundert war Reval zudem Hansestadt, und zwar im gotländisch-livländischen Drittel,[17] lebte also auch nach «hansischem Recht».[18] Schließlich galt in der Zeit, die hier im Mittelpunkt steht, das Recht des Deutschen Ordens, in dem der Schwertbrüderorden aufgegangen war, und zwar ab 1346, also seit dem Kauf Estlands vom dänischen König. In der Oberstadt bestimmte der Hauskomtur des Ordens als Landesherr, in der Unterstadt der Stadtkomtur, aber mit tendenziell schwindender Kompetenz. So behielt etwa der Ordensmeister das Münzrecht, aber die Geldprägung nahm die Stadt vor. Erst 1878 wurde die bis dahin formell noch bestehende rechtliche Trennung zwischen Oberstadt und Unterstadt aufgehoben.

Wie in Lübeck war der Rat das entscheidende Gremium der Stadt.[19] Alle Verwaltung und alle wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen liefen bei ihm zusammen, vor allem auch solche der Außenpolitik. Die Gerichtsbarkeit, anfangs in Händen eines dänischen Stadtvogts, der für die dänische Krone die Zivil- und Strafgerichtsbarkeit ausübte, wurde schrittweise in die Gerichtsbarkeit des Rats integriert.[20] In zweifelhaften Rechtsfällen wandte man sich an Lübeck und holte sich Rechtsweisung oder man appellierte direkt nach Lübeck. Auch in Fällen, in denen man eine auswärtige schiedsrichterliche Instanz suchte, begab man sich von Reval dorthin.

Der Rat in Reval kooptierte seine Mitglieder in geheimer Wahl aus den «ratsfähigen» dominierenden Familien, wurde also nicht aus der gesamten Bürgerschaft gewählt. Krämer und Handwerker waren ratsunfähig.[21] Diese Familien verstanden sich zwar als «dudesche», aber dies sollte nicht «nationalistisch» missverstanden werden; denn was sie einte, war das Netzwerk der Verwandtschafts- und Handelsbeziehungen, das den gesamten Nord- und Ostseeraum umfasste. Um Ratsherr zu werden musste man freien Standes sein, von niemandem abhängig, in rechtmäßiger Ehe von freien Eltern geboren, einen unbescholtenen Ruf genießen, innerhalb der Stadtmauer eine Liegenschaft zu vollem freiem Eigentum besitzen und sein Gut nicht durch ein offenes Handwerk erworben haben. Brüder oder Vater und Sohn sollten möglichst nicht gleichzeitig Ratsherren sein.[22] Die Ratswahl, jährlich Anfang Oktober am zweiten Sonntag nach St. Michaelis, bedeutete also die Ergänzung eines Gremiums von Ratsherren durch Jüngere. Gewählt war man auf Lebenszeit. Während der Zugehörigkeit zum Rat rückte man nach Lebens- und Dienstalter langsam nach oben. Am Ende bekleidete der dazu fähige Ratsherr, getragen vom Vertrauen seiner Kollegen, eines der Bürgermeisterämter, von denen es in wechselnden Zeiten zwischen zwei und fünf gab.[23] Um das Amt als Ratsherr mit den Beanspruchungen durch die Handelsgeschäfte kompatibel zu machen, dauerte das aktive Amt im Rat zwei Jahre. Im folgenden Jahr war man als Ratsherr frei, um dann wieder in die Ratsgeschäfte einzurücken. Für Vertretungen der Stadt nach außen, etwa bei Hansatagen oder Friedensverhandlungen, galt diese Regel allerdings nicht. Oft blieben auch die älteren und erfahreneren Mitglieder des Rats auf Dauer aktiv.[24]

Im Jahr 1457 gab es in Reval vier Bürgermeister (Consules), nämlich Cost van Borstel, Albert Rumor, Marquart Bretholt und Gert Schale. An Ratsherren (Senatores) werden genannt Gottschalk Stoltevoet, Johann Duseborch, Jacob van der Molen, Thomas van Hattorpe, Cort Gripenberg, Evert Pepersack, Johann Summermann, Hinrich Colner, Johann Oldendorp, Johann van Richen, Hinrich Schelwent, Reynolt van Werne, Hinrich Hünninghusen und Hermann Wernung.[25] Im Jahr 1458 wurde erstmals Hermann Greve hinzugewählt. Dieser wird in der folgenden Geschichte eine der wichtigsten Rollen spielen.[26] Die Familienverhältnisse um ihn und seine Stieftochter Margarethe Büddinck waren folgende:

Margarethes Vater Johann Büddinck, Revaler Kaufmann und Ratsherr, war seit 1445 mit Wendele Nöteken (Nötken) verheiratet. Deren Vater Michel Nöteken hatte Gertrudt Saffenberch aus Wisby geheiratet. Als Gertrudt gestorben war, heiratete Michel Nöteken 1441 in zweiter Ehe eine Wendelken van Telchten, deren Vater ebenfalls Revaler Ratsherr war. Aus dieser Ehe stammte Jasper Nöteken, Revaler Bürger und Kaufmann (1441 bis 1504).[27] Er erhielt nach dem Tod seines Vaters 1200 Mark Rigisch, silbernes Tafelgeschirr und einen Harnisch.

Wendele Nöteken war, als sie 1445 Johann Büddinck heiratete, eine wohlhabende Braut. Sie brachte zwei nebeneinander stehende Häuser in der Breitstraße (Süsterstrate) in die Ehe ein, ohne dass sie als Frau darüber frei disponieren konnte. Diese Häuser waren von ihrem Vater Michel Nöteken 1413 und 1423 gekauft und 1433, nach dem großen Brand, wohl ganz neu erbaut worden.[28] Die Häuser gerieten später in den Besitz der bedeutenden Familie Hueck und werden Hueck-Haus genannt. In der heutigen Lai-Straße tragen sie die alte Hausnummer 29, werden genutzt und gepflegt. Trotz innerer Umgestaltung im Barock vermitteln sie immer noch einen Eindruck, wie große Revaler Familien lebten. Man betritt eine breite Diele mit einer nach oben führenden Treppe, steigt in die Wohnräume auf, dann hinauf in die Schlafräume, über denen die Speicher liegen, die von außen mit Hilfe eines Krans am Giebel beladen wurden.[29] Der Stadtarchivar Paul Johansen beschrieb sie 1939 als «zwei mächtige Häuser aus Kalkstein, mit gotischem Spitzgiebel und gewaltigen Kornböden, die noch heute in Revals Breitstraße (Nr. 29) gelassen auf die eilende Menschheit herabblicken. Der Wunsch nach ihrem Besitz war die Triebfeder zu einer langen Reihe von Prozessen, die, beginnend mit dem Jahre 1471 und abschließend erst 1499, die Bürgerschaft und den Rat der Stadt Reval in steter Spannung halten sollte.»[30]

1456 starb Johann Büddinck. Er hinterließ fünf Töchter und drei Söhne, darunter als älteste Tochter Margarethe, die damals etwa zehnjährig war. Jedem seiner Kinder vermachte er 1000 Mark Rigisch. Seine Witwe Wendele heiratete 1457 den bereits erwähnten Hermann Greve, Revaler Bürger seit 27. Mai 1457 und Ratsherr seit 1458. Mit ihm hatte Wendele noch weitere fünf Kinder. Greve erwarb die bewussten Häuser am 29. Juli 1457 von den Vormündern der Kinder von Michel Nötekens,[31] wurde also Eigentümer der Immobilien seiner Frau.

Alle diese Menschen, Hermann Greve und seine Frau Wendele (geb. Nöteken, verw. Büddinck), die Kinder Büddinck und die Kinder Greve, lebten in diesem Haus, dazu das übliche Hausgesinde. Dort hatte Hermann Greve sein Kontor, in dem die Kaufmannsgeschäfte zusammenliefen.[32] Er trieb Handel mit Russland, sprach selbst Russisch, hatte enge Beziehungen zur Stadt Narva und zum Landmeister des Deutschen Ordens in Livland, Johann Wolthus von Herse – der aber 1471 gestürzt werden sollte. Die Familie Greve ging zum Gottesdienst in die nur wenige Schritte entfernte Olaikirche. Vom Kirchplatz aus gelangte man auf die Langstraße, die direkt zur Strandpforte und zum Hafen führte. Die Familie war wohlhabend. Greve war Ratsherr, Mitglied in der Großen Gilde und in der Tafelgilde[33] sowie als Aldermann Vorsitzender des Hanse-Kontors. Alles in seinem Hause schien bestens geordnet.

III.

Aber das war trügerisch. Zunächst starb 1463, vermutlich bei der Geburt ihres dreizehnten Kindes, seine Frau Wendele. Hermann Greve stand nun mit acht Stiefkindern und fünf eigenen Kindern allein, hatte sein Handelsgeschäft zu leiten und Ehrenämter wahrzunehmen. Er erwog eine zweite Heirat, was den praktischen Bedürfnissen entsprach und geradezu selbstverständlich erschien.

Ältestes Mädchen im Haus war 1464 Margarethe Büddinck. Mit ihren achtzehn Jahren fungierte sie nun als Hausfrau. Die Familie beriet Heiratspläne, gewiss nicht erst jetzt, unter Beiziehung der Vormünder und des erwähnten Onkels Jasper Nöteken. Letzterer kannte einen passenden Kaufmann in der Hansestadt Brügge, Albrecht Brecht, und war auch bereit, dorthin zu fahren und den Vorschlag zu unterbreiten.[34] Die Vormünder stimmten zu. Jasper Nöteken fuhr also noch 1464, traf sich in Brügge mit dem ihm bekannten und sogar entfernt verwandten Kaufmann Arnd Saffenberch aus Wisby, sodann mit dem potentiellen Ehemann von Margrethe, Albrecht Brecht. Onkel Jasper hinterlegte bei Saffenberch eine Summe 200 Pfund Grote,[35] um den Heiratskontrakt zu sichern. Nöteken, Saffenberch und Brecht, so darf man sich das vorstellen, unterzeichneten diesen Kontrakt unter Hinzuziehung weiterer Zeugen aus Brügge, vereinbarten eine Anzahlung auf die Mitgift von Margarethe und besiegelten das Ganze mit Handschlag, mit gemeinsamem Essen und Umtrunk.

Während sich Onkel Jasper in Brügge aufhielt, schien in Reval alles unverändert. Nur in den Gottesdiensten trat in diesem Jahr 1464 ein Franziskanermönch auf, genannt Johann von Hilten (1425–1500). Er hieß ursprünglich Johannes Herwich und stammte aus Hilten bei Osnabrück, heute zur Stadt Neuenhaus gehörend. Groß von Wuchs und mit schönem Haar, wie ein Zeuge berichtet,[36] war er eine charismatische Erscheinung. Er hatte seit 1445 in Erfurt studiert, 1447 den Grad eines Baccalaureus artium erworben und war dann in den Franziskanerorden eingetreten. 1463 ging er im Auftrag des Ordens nach Riga in Livland, um ein Kloster zu gründen, entwickelte sich aber zum Volksprediger und hatte «seit 1464 viele Anhänger der Oberschicht».[37] Zu diesen Anhängern zählten Bürgermeister, Ratsherren und Bürger, aber es waren «heimliche Schüler», etwa der Kirchenvorsteher bei St. Nikolai Evert Smit, der als klug und vernünftig eingeschätzte Hermann Werminck,[38] weiter Otte Mestorp, Johann van Berchem, Johan van Richen als Bürgermeister und Kirchenvorsteher bei St. Olai,[39] Hermann tor Oesten, Herman Smedinck, ein Freund Greves, und eben Herman Greve selbst.

Der Kreis vergrößerte sich rasch, so dass im Rat der Stadt von den achtzehn Mitgliedern acht Anhänger Hiltens waren, darunter zwei Bürgermeister. Somit, schließt Paul Johansen, «war die wirtschaftliche Leitung beider Stadtkirchen in Händen der Anhänger Hiltens».[40] Durch Hiltens Predigten, die auf strengere Sittlichkeit, Einhaltung der Almosenpflichten und Fastengebote zielten, entstanden Streitigkeiten, die auf eine Spaltung der Stadt hinausliefen. Hermann Greve war in vorderster Reihe dabei, nahm den Prediger sogar in sein Haus auf und ließ ihm noch im Jahr 1464 rechts vom Treppenaufgang eine eigene Hauskapelle bauen. Er verfiel dem Prediger schrittweise und verlor die Lust an der Kaufmannschaft sowie an der Arbeit im Rat. Seine Gedanken kreisten wohl schon vor der kommenden Katastrophe darum, Mönch zu werden. Möglicherweise spielte auch der Gedanke eine Rolle, dass «seine» beiden Häuser in der Breit-Straße, in denen er wohnte, aus dem Erbteil seiner Stieftochter Margarethe stammten und dass ihm mit Margarethes Verheiratung eines Tages die Lebensgrundlage in Reval entzogen werden könnte.

Noch war das Jahr 1464 nicht beendet. Mitte August kam die Pest. Man kannte diese immer wieder auftretende «Pestilenz», die, wie es hieß, gerade Lübeck erfasst hatte und von da gemeiniglich nach Reval zu kommen pflegte («de pestilencie, de do alrede tho Lübeck was betenget vnde van dar jegen Reuel ghemenichliken plecht tho kamen»). Vom Hafenviertel aus breiteten sich die Anzeichen aus. Die Pest ergriff die Stadt, Bußpredigten wurden gehalten, vor allem von Johann von Hilten, der die Seuche als Geißelung Gottes für die Sünden der Menschen bezeichnete. Etwa zwei Drittel der Stadtbevölkerung fielen der Pest zum Opfer.[41]

Im Hause von Hermann Greve herrschte Johann von Hilten. Er ließ Hermann Greve einen Eid schwören, dass dieser sich ihm in allen Dingen unterwerfen wolle. Während andere Bürger mit Familien und Gesinde aufs Land flohen, blieben Greve und seine Hausbewohner, obwohl sie gewarnt wurden, in der Stadt. Als Margarethe von der Pest befallen wurde, setzte Johann von Hilten auf rückhaltloses Gottvertrauen und ließ zu oder ordnete gar an, dass Margrethes zwölf Geschwister mit ihr Kontakt hatten. Auch er selbst blieb in der Stadt, gegen alle Einwände immunisiert durch seinen Glauben und wohl auch in der Überzeugung, er sei als Priester Gottes unverletzliches Werkzeug. Gleichzeitig wusste er, wie alle Zeitgenossen, die Pest werde durch Körperkontakt übertragen, sei also «kontagiös».[42] Deshalb war die Zusammenführung der Geschwister mit Margarethe gewissermaßen eine Entscheidung, die Gott herausfordern sollte, sowohl Hiltens prophetische Berufung zu bestätigen als auch ein Urteil über Leben und Tod der Hausgemeinschaft zu sprechen. Alle zwölf Geschwister starben innerhalb weniger Tage, Margrethe gesundete. Sie war nunmehr neben ihrem Stiefvater, der seine Familie verloren hatte, die einzige Überlebende. Aber auch Hilten lebte weiter im Hause.

Margarethe lernte in dem Zirkel um den Prediger einen jungen Mann aus Bremen kennen, Diderick Czirenberg (Czyrenberch, Zirenberg), der in einem befreundeten Handelshaus arbeitete. Sie verliebten sich, aber die Schwierigkeiten waren absehbar; denn Margarethe wusste, dass Onkel Jasper in Brügge einen Heiratskontrakt vorbereitete. Gleichwohl versprachen sich Margarethe und Diderick die Ehe. Als der Onkel wieder in Reval eintraf, weigerte er sich, einer Ehe Margarethes mit Diederick zuzustimmen, zumindest deshalb, weil die Kautionssumme von 200 Pfund Grote in Brügge verfallen wäre. Aber Hermann Greve, gelenkt von Hilten, befürwortete die Ehe. Das junge Paar, der Mönch und Greve beschlossen nun, gegen den Willen der Vormünder Fakten zu schaffen: Während die Familie am Sonntagvormittag in der Olaikirche im Gottesdienst saß, traute der Mönch die jungen Leute auf der Straße vor dem Haus und ließ sie die Worte sprechen: «Ick (Diderick Czirenberg), nehme dy.» «Ick (Margarethe Büddinck) nehme dy wedder.» Als Zeugen wirkten der dem Priester zu Gehorsam verpflichtete Hermann Greve und der Priester selbst mit. Die Quelle betonte, die Eheschließung unter Anwesenden durch wechselseitige Erklärungen nenne man lateinisch sponsalia per verba de presenti. Die Ehe war gültig geschlossen, auch wenn man vielleicht bemängeln mochte, dass der das Paar einsegnende Priester zugleich Zeuge war.[43]

Der Konflikt mit den Vormündern, vor allem mit Jasper Nöteken, war damit unausweichlich. Beide Seiten wandten sich an den Rat um Vermittlung. Johansen berichtet über das Ergebnis: «In der Großen Gildstube, in Gegenwart des Rats und der Gemeinde, wird das Verlöbnis durch die Vormünder feierlich vollzogen. Hermann Greve verspricht, das junge Paar bei sich zu beherbergen, sie wie seine eigenen Kinder zu halten und ihnen die beiden Häuser mit der Zeit ganz zu überlassen. Das Hochzeitsfest findet schon am 25. Januar 1465 statt»,[44] wobei der Priester die Oblate in drei Teile brach und je einen Teil Hermann Greve, dem Bräutigam und der Braut gab, um alle in den Eid einzubinden.

Johann von Hilten aber, Franziskaner strenger Observanz, verliebte sich in Margarethe und schrieb ihr «wunderlike» Briefe mit eigenem Blut. Das blieb nicht verborgen, die Eheleute entfremdeten sich, vor allem aber wurde Onkel Jasper Nöteken wieder aktiv und brachte die Sache vor den Bürgermeister. Dort gab es erregte Debatten. So beleidigte Martin Kruse 1469 Greve im Rat und wurde bestraft, weil er «teghen her Herman Greuen vntuchtige worde hadde gefort ym rechten».

Die Eheleute fanden aber wieder zusammen und stellten sich jetzt, unterstützt von Jasper Nötgen, gegen den im Haus lebenden Mönch und gegen Hermann Greve. Letzterer reagierte 1467, indem er den im September 1465 mit Diderick Czirenberg geschlossenen Kaufvertrag kündigte, weil die versprochenen 3000 Mark Rigisch in Jahresfrist von Diderick Czirenberg nicht bezahlt worden waren. Auch nach einer Verlängerung der Zahlungsfrist um ein weiteres Jahr konnte Czirenberg nicht zahlen. Nun versuchte Greve, das junge Paar dadurch aus dem Haus zu drängen, dass er es, ohne Margarethe und ihren Mann zu informieren, dem Ratsherrn Johann van Berchem, «gleichfalls einem Schüler des Mönchs», zum Kauf anbot. Der lehnte zunächst ab, aber Johann von Hilten erreichte es dann doch, dass drei Bürger, alle drei Anhänger des Mönchs, am 22. Dezember 1470 einen heimlichen Kaufvertrag über die Häuser, einschließlich Holzraum und Kellern, Garten und drei Stallungen vor der Großen Strandpforte, abschlossen. Käufer sollte Johann van Berchem sein, während die beiden anderen als Kreditgeber oder als Bürgen fungierten. Der Preis von 3200 Mark Rigisch, verteilt auf die Käufer zahlbar bis 1474, wurde auf eventür vereinbart, also auf Risiko.

IV.

Von nun an nahmen die Dinge eine gefährliche, nämlich juristische Wendung. Als der Kaufvertrag bekannt wurde und Margarethe, deren Mann abwesend war, aus dem Haus gedrängt werden sollte, kam es zu einem dramatischen Auftritt. Von Onkel Jasper Nöteken herausgefordert, räumte Greve zwar auf Anraten des Mönchs den Kaufvertrag vor Zeugen ein, versprach aber dennoch, sein Gelöbnis zu halten und das Haus Margarethe und ihrem Mann zuzuwenden. Danach schwenkte er wieder um, musste aber vor dem Rat bekennen, «dat he deme obseruanten hebbe horsam gedan vnde geloued».[45] Daraufhin entschied der Oberhof zu Lübeck, das vertrage sich nicht mit dem Sitz im Rat («so enbehoret sick nicht dat de den ratstol wurder besitten moghe»). Da Hermann Greve mit dem Observanten durch das Land gezogen sei (um zu predigen), müsse er auch, wie in anderen Fällen, in denen etwa Frauen von Ratsherren in einen geistlichen Orden eintreten wollten, seine «liggende gründe vorkopen vnde de renthe dar van to zinen daghen tobrukende»; denn dem Rat könne er nicht mehr angehören. Am 25. Mai 1471 verlor dann Hermann Greve seine Stellung als Ratsherr. Offenbar war bis dahin sowohl dem Revaler als auch dem Lübecker Rat der heimliche Verkauf der Häuser von 1470 noch unbekannt geblieben.

Weil Greve nun weiter versuchte, Margarethe aus dem Haus zu setzen, klagten ihr Onkel Jasper Nöteken und der wieder in Reval anwesende Ehemann Diderick Czirenberg vor dem Revaler Rat gegen den Ratsherrn Hermann Werminck (gest. 1474), einen der Käufer des Hauses und Bevollmächtigten von Greve. Czirenberg berichtete an den Rat, er und seine Ehefrau Margarethe, Greves Stieftochter, seien von Greve «mid armen vnd mid kusse» als seine Kinder empfangen worden und Greve habe ihnen versichert, sie sollten an seinen zeitlichen Gütern teilhaben und keinen Schaden leiden, solange sie leben. Greve habe Margarethe auch in seiner (Czirenbergs) Abwesenheit gelobt, sie mit seinen Gütern wohl zu versorgen, solange er lebe und nach seinem Tode. Und damit dies so geschehe, hätten sie alle zusammen das heilige Sakrament empfangen. Von Greve verlange er auch das Patengeld für alle Kinder, das dieser noch bei sich habe und das er als Ehemann von Margarethe nach dem Testament des seligen Büddinck, das ihm die Vormünder vorlesen ließen, zu beanspruchen habe. Wegen all diesem, sagte er, «klage ich mit Eides Hand»[46].

Und er fuhr – nach einem Absatz – fort: Was er zu Herrn Hermann (Greve) wegen Bruder Johannes zu sagen habe, was durch dessen «Handschriften» erwiesen sei und was der Mönch selbst bekannt habe, das liege bei den Ordensoberen von Dorpat und sei eine Sache, die «in deme geistliken rechte liggen. Dat geistlike sake sin dar sick das warlike (weltliche) recht nicht mede bekummert». Deshalb wolle er es mit ihm nach geistlichem Recht austragen. Mit anderen Worten: Diderick wollte eine zivilrechtliche (weltliche) Klage vor dem Rat von Reval erheben, aber davon getrennt eine andere nach Kirchenrecht vor dem Ordenskapitel der Franziskaner in Dorpat. In der Tat reagierte daraufhin die Stadt Reval, in deren Rat jetzt die Gegner Hiltens eine Mehrheit hatten, und wies 1471 den Mönch als Ruhestörer aus. Er ging nach Dorpat und wurde dort, obwohl kirchenrechtlich angeklagt, zum Lektor gewählt, aber 1477 im Kloster in Dorpat gefangen gesetzt. Hierzu später.

In dem Prozess nach weltlichem Recht vor dem Rat[47] verlor Hermann Greve zunächst, wenn man dem Bericht von Paul Johansen von 1938 folgt, und Lübeck bestätigte dies am 30. Mai 1472. Der Prozess ging aber weiter. Am 5. Januar 1473 schrieb Hermann Greve an den Rat, er warte nun mehr als Jahr und Tag auf eine Entscheidung wegen der Klage von Diderick Czirenberg (Syrenberch) und Jasper Nöteken sein (Greves) Haus betreffend. Czirenberg klage mit Eid, Nöteken mit Zeugen, das sei ungebührlich und gegen Recht, zweierlei Klage gegen einen Einzelnen und wegen einer Sache zu erheben. Die Klage von Nöteken, den die Sache eigentlich nichts angehe und der kein Wortführer der Sache sei, sei von den Lübeckern zurückgewiesen worden. Czirenberg sei zwar wegen seiner Ehefrau berechtigt zu klagen («en recht hovetman is van syner husfrouwen wegen»), aber niemand solle sein (Greves) Haus gegen seinen Willen und gegen Recht besitzen. Der ehrsame Rat habe ihm geboten, die Czirenbergs nicht aus dem Haus zu drängen, es sei denn «myt rechte» und «in rechtes dwange». Deshalb solle Czirenberg, der während seiner Abwesenheit die Sache seinen Bevollmächtigten übertragen habe, selbst antworten. Er (Greve) hoffe zu Gott, die Sache, die so lange anhängig gewesen sei, werde nach lübischem Recht entschieden.

Aber Jasper Nöteken ließ sich als Vertreter Czirenbergs nicht aus dem Prozess drängen. Er verlangte, Werminck solle in der Sache aussagen, und der Lübecker Rat gab ihm 1473 Recht.[48] Bis dahin sollte es bei dem Lübecker Urteil von 1472 bleiben. In der Folge stritt man sich 1474 darum, ob Zeugen oder Eidesleistung als Beleg für Aussagen von Hermann Greve aufgeboten werden sollten oder ob es genüge, Diderick Czirenbergs Handschrift und Siegel vorzuweisen.

Nun obsiegte aber in der nächsten Runde der Käufer Johann von Berchem. Er kam mit allen seinen Freunden und Anhang und forderte, der Rat sollte ihm die Häuser überschreiben («vor den radt myt allen synen vrunde myt groter partige vnde wolde de radt solde eme de huse toschriuuen»), aber der Rat lehnte dies zunächst ab. Darauf bot Berchem Bürgen an, und da die Freunde von Berchem Druck ausübten, gab der Rat am Ende nach und ließ Berchem die Bürgen benennen.[49] Die umstrittenen Häuser wurden Berchem sodann im Stadtbuch überschrieben, und er zögerte nicht, Margarethe aus dem Haus zu werfen, während deren Mann abwesend war. Hermann Greve hatte sich das Wohnrecht in einer Kammer ausbedungen.

1476 starb aber Berchem, die Partei Czirenberg klagte erneut, obsiegte und nun wurde 1476 die Witwe Berchem «mit den Kindern aus dem Hause gejagt, Hausrat und Brennholz auf die Straße geworfen, so dass vieles gestohlen wurde»[50]. Unter diesen Kindern befanden sich ein Sohn Johan (Hans) und eine Tochter Catharina.

Hiergegen wandte sich die Witwe Berchem, vertreten durch Iwan Borger, an den Kaiser in Wien. Sie erwirkte am 12. Mai 1478 ein Mandat zu ihren Gunsten.[51] Darin wurde dem Rat von Reval befohlen, ihre von Hermann Greve erworbenen und bezahlten sowie im Stadtbuch eingetragenen Häuser, die ihr der Rat von Reval widerrechtlich genommen habe, zurückzugeben.[52] Da der Rat nicht reagierte, trug Iwan Borger erneut beim Kaiser vor, die Stadt Reval habe Frau Berchem rechtswidrig das Haus und die Bürgerschaft entzogen. Daraufhin bevollmächtigte der Kaiser am 1. April 1479 Bischof Albert (II.) von Lübeck sowie die Dechanten und das Kapitel des Domstifts, die Parteien zu laden, anzuhören und rechtlich zu entscheiden.[53] Nachdem Hermann Greve 1480 die Angabe bestätigt hatte, er habe die Häuser an Johann Berchem verkauft und die Kaufsumme erhalten,[54] verurteilte Bischof Albert am 30. April 1481 die Stadt Reval und Diderick Czirenberg jun. zur Rückgabe der Häuser an die Witwe Berchem, zur Zahlung von Entschädigung und zur Übernahme der Prozesskosten.[55]

Der Rat von Reval erkannte dies jedoch nicht an; denn nicht das eigentlich zuständige Lübeck hatte entschieden, sondern ein vom Kaiser eingesetztes geistliches Schiedsgericht. Das wurde vom Rat von Reval als Eingriff in seine Kompetenzen und in den geordneten Rechtsgang zum Oberhof nach Lübeck verstanden. Deshalb schleppten sich die Prozesse zwischen der Partei Berchem gegen die Vormünder von Margarethe Czirenberg und ihren Sohn Diderick jun. ein volles Jahrzehnt weiter. Immer noch blieb unklar, wem die umstrittenen Häuser gehörten. Deshalb lehnte der Rat von Reval auch eine Beleihung der streitigen Häuser ab, bevor der Streit über das Eigentum beendet sei. Lübeck bestätigte dies 1491 und unterstrich, der Streit solle nach lübischem, nicht nach kaiserlichem oder geistlichem Recht entschieden werden.[56] Das war eine klare Zurückweisung der Einmischung des Kaisers und des Ordens.

Im folgenden Jahr 1492 trat auf der Seite der Witwe Berchem der Ratsherr Johan Gellinckhusen, ihr Schwiegersohn, in den Prozess ein. Er hatte die erwähnte Catharina van Berchem in zweiter Ehe geheiratet. Nun standen sich der Sohn Hans van Berchem jr., vertreten durch seinen Stiefvater Gellinckhusen auf der einen Seite, die Partei Czirenberg, jetzt vertreten durch die drei Herren Diederick Naschart, Marten Bokelman und Hans Gruter, gegenüber. Letztere sollten zur Sache aussagen, auch wenn die Gegenpartei für ihre Behauptungen weder Zeugen noch Eidesleistung angeboten hatte.[57] Weiter stritt man sich in einer Art von prozessualem Fingerhakeln über die Einsichtnahme von Urkunden, die im Stadtbuch einzusehen waren, zunächst in Reval, dann wieder in Lübeck. Die Lübecker antworteten, die Revaler mögen das so halten wie es bei ihnen immer gehalten werde («alse myt juw wontlik is»).[58]

Mit dem Tod von Margarethe Czirenberg im Jahr 1495 – sie starb mit 49 Jahren – veränderte sich die Prozesslage erneut. Jasper Nöteken erstellte ihr Nachlassinventar, wobei er von seinem Schwager, dem Erzbischof Michael von Riga unterstützt wurde. Auf der Seite der Familie Berchem agierte nun der Sohn Hans, vertreten durch den Ratsherrn Gellinckhusen. Auf der Seite der Czirenbergs war Diderick jun. in Bremen für mündig erklärt worden. Er trat mit seinem Onkel Nöteken sowie mit seinem bremischen Verwandten Hinrik Czirenberg auf. Im Hintergrund wirkte Erzbischof Michael, etwa indem er den Rat von Reval am 7. Juni 1496 aufforderte, Jasper Nöteken in die umstrittenen Häuser einzuweisen. Aber das tat der Rat von Reval nicht. Immerhin erkannte 1497 der Rat von Lübeck Diderick jun. als Kläger an und sagte ihm, er solle nun die Sache «zum ganzen Ende austragen»,[59] wohl von Bremen aus. Letzteres war wohl auch der Grund, warum die Prozessführung stockte; denn Gellinckhusen trug vor, die Gegner hätten sich lange Zeit um die streitbefangene Sache nicht gekümmert, hätten nicht geantwortet oder antworten wollen, obwohl vielmals aufgefordert. So mag auch die Lübecker Entscheidung besagen, Diderick Czirenberg jun. solle sich um Beendigung des überlangen Prozesses bemühen. Der Revaler Rat stimmte der Prozessführung durch den nun mündigen Diderick zu, wollte aber Jasper Nöteken nicht aus dem Prozess entlassen.

So traf man sich erneut am 11. September 1499 in Lübeck, Gellinckhusen auf der einen Seite, die Herren Johan Gruter und Merten Boclem als «vormundere der Czirenbergeschen in god vorstoruen … vann wegen der twistigen sake etliker husere … in der Susterstraten» auf der anderen Seite, um eine gütliche Einigung zu erreichen. Aber diese Einigung gelang zunächst nicht. Auch der wiederum von der Czirenberg-Partei 1499 angerufene Rat von Lübeck (man wolle die Schriftstücke aus dem Revaler Bestand vorgelegt haben) weigerte sich zu entscheiden und vermerkte, dass es in dieser Sache viel «Rechtsgang», Irrungen und Kosten gegeben habe.[60]

Aber es war inzwischen klar, dass der Verkauf der Häuser von Greve an Berchem rechtsgültig war. Das Eigentum war übergegangen und Berchem hatte bezahlt. Drei Monate später, am 20. Dezember 1499, gelang es Gellinckhusen in Reval, die Häuser und alle nachgelassenen Güter in Besitz zu nehmen. Damit war er zwar noch nicht Eigentümer geworden, aber er hatte die wichtigste strategische Position gewonnen.

Nun wandte sich Diderick Czirenberg jun. wieder an den Rat in Bremen, wo er inzwischen wohnte, und bat um Hilfe. Im Jahr 1500 erklärte der Erzbischof von Bremen, er vertrete die Rechte von Diderick Czirenberg jun., während der Erzbischof von Riga für die Rechte Jasper Nötekens, seines Schwagers, auftrat.[61] Aber dies hatte keine prozessuale Bedeutung mehr, sondern war die Erklärung, wer in den abschließenden Verhandlungen zu sprechen berechtigt war. So kam es schließlich und endlich zu einem Ende der Prozesse. Johan Gellinckhusen wurde Eigentümer der umstrittenen Häuser und Güter in der Süsterstrade (Lai 29) und er bekundete am 31. Oktober 1501, er habe sich mit Jasper Nöteken geeinigt und man habe es beschworen, bei Ehre und Treue, dass dieser bekommen solle «tho midtsomer anderhalffhundert mark unnd daenn alle jar int jar die einhundert unnd int jar ver einhundert und int jar vifffe (!) einhundert unnd int jar sesse einhundert, is sesthalleffhundert mark».[62] Damit schien die Sache endlich ausgestanden. Gellinckhusen wurde 1502 noch Bürgermeister von Reval, verstarb aber 1504. Aber noch eine Generation später scheint es Misstrauen gegeben zu haben, ob alles mit rechten Dingen zugegangen sei; denn 1532 verlangte jener Ratsherr Hinrik, «de Czyrenberge van Bremen», wie man 1499 in Lübeck geschrieben hatte, das soeben zitierte Abschlussdokument zu sehen, das Gellinckhusen und Jasper Nöteken im Namen von Diderick Czirenberg d. J. geschlossen hatten.

V.

Das Ende der Hauptfiguren dieser Geschichte war höchst unterschiedlich.

Der ehemalige Ratsherr Hermann Greve, dessen Unglück 1463 mit dem Tod seiner Frau und 1464 mit dem Tod seiner Kinder durch die Pest begonnen hatte, war, geistlich beherrscht durch Johann von Hilten, eine Person ohne Amt und Einfluss geworden. Er wohnte, wie Johansen annimmt, ab 1471 weiter in der Kammer in seinem Haus, zusammen mit der Witwe Berchem und deren Kindern. Als aber diese Familie aus dem Haus verdrängt wurde, konnte er dort nicht länger bleiben. Ob er im Land herumwanderte und als Laie predigte, wofür es Hinweise gibt, dabei aber weiter in Reval wohnte, ist unsicher. Johansen nimmt an, er habe unter geistlicher Bevormundung gestanden und sei vielleicht sogar in Haft gewesen. Jedenfalls starb er 1490 in Reval, während seine mit ihm verfeindete Stieftochter Margarethe ihn um neun Jahre überlebte.

Margarethe selbst, die im gesamten Prozessverlauf nicht selbst als Handelnde auftreten konnte, bleibt als Person kaum erkennbar. Sie war als Stieftochter bei Hermann Greve aufgewachsen. Da sämtliche Geschwister starben, musste sie früh Verantwortung übernehmen. Über ihre Eheschließung entschieden nach damaligen Gepflogenheiten die Männer der Familie, in ihrem Fall die Vormünder. Sie akzeptierte das zwar, versuchte aber, unterstützt von dem das Haus verwirrenden Priester, mit der Beziehung zu Diderick einen eigenen Weg zu gehen. Dass sie dabei zugunsten des Priesters vielleicht zeitweise schwankend wurde, scheint die Quelle anzudeuten, die berichtet, nun – nach der Affäre mit den Liebesbriefen – sei das Ehepaar wieder «freundlich» miteinander umgegangen. Die Verstimmung mag auch am Misstrauen ihres Mannes gelegen haben, der den Priester plötzlich als Störer seiner Ehe wahrnahm. Jedenfalls war ihr Verhältnis zum Stiefvater Greve unheilbar zerrüttet, als dieser versuchte, das Ehepaar aus dem Haus zu drängen, indem er sein vor dem Rat gegebenes Versprechen brach und das Haus heimlich verkaufte. Schließlich kämpfte das Ehepaar mit Erbitterung und mit großem Geldverlust um die beiden Häuser, sicher nicht nur aus Egoismus, sondern auch, um es dem Sohn Diderick jun. zu hinterlassen. Folgt man den knappen Informationen und dem Prozessverlauf, dann kann man sich doch eine früh selbständig gewordene, energische und auf ihre Rechte pochende Frau vorstellen. Vielleicht war sie aber auch durch die Auseinandersetzungen, die ihr Leben seit dem 18. Lebensjahr begleiteten, erschöpft und resigniert. Wir wissen es nicht. Nur dass der charismatische Mönch sich zu Margarethe hingezogen fühlte, ist sicher. Er ging als Geistlicher mit seinen Liebesbriefen ein hohes Risiko ein. Von seiner Seite war es wohl wirkliche Leidenschaft, nicht nur taktisches Kalkül um die Macht im Hause und in der Stadt.

Johann von Hilten war, wie gesagt, 1471 aus Reval ausgewiesen und vor dem geistlichen Gericht in Dorpat angeklagt worden. Johansen vermutet, dass dieser Klage die mit Blut geschriebenen Briefe an Margarethe als Beweisstücke beigelegt wurden. Auch seine aufrührerischen Reden, die Kritik am Mönchswesen und die in Reval erzeugte Unruhe waren Anklagepunkte.[63] Dennoch ist Hilten 1472 in Dorpat zum Lektor des Klosters gewählt worden, für einen Angeklagten ein auffälliger Vertrauensbeweis.[64] Aber nachdem seine Anhänger in Reval nach und nach verstarben und sein Einfluss auch im Rahmen der Streitigkeiten zwischen den Deutschordensmeistern Johann Wolthusen von Herse, der 1472 ermordet wurde, und seinem Nachfolger Bernd von der Borch einerseits, den Bischöfen von Reval, Dorpat und Riga andererseits nachließ, setzte man Hilten 1477 im Gefängnis fest und sorgte für seinen Rücktransport nach Weimar.[65] Im dortigen Franziskanerkloster blieb er in Haft. 1499 wurde er in das Franziskanerkloster Eisenach verlegt, wo er mehreren Berichten zufolge 1500 starb, während Zedler als Vermutung mitteilt, er solle dort 1502 verhungert sein.[66]

VI.

Die 1517 in Gang gesetzte und von da an bis zum Wormser Reichstag von 1521 rasch um sich greifende «Reformation» Luthers erreichte ohne Zeitverzug auch Livland. Schon 1523 wurden erste Predigten der neuen Richtung in der Olaikirche gehalten, 1525 wurde die erste Kirchenordnung erlassen, der Deutsche Orden säkularisiert und als neuer Landesherr von der Stadt anerkannt. So geschah es in zahllosen Gemeinden Nord- und Mitteleuropas. 1529 erschienen Luthers Großer und Kleiner Katechismus, es fand das Religionsgespräch in Marburg statt, das dann Lutheraner und Zwinglianer trennte, aber Luther, der thüringische Reformator Friedrich Myconius (1490–1546), ein ehemaliger Franziskanermönch,[67]und Melanchthon, trafen sich in diesem Jahr auch in Eisenach.

Bei diesem Treffen erzählte Friedrich Myconius (1490–1546), ein ehemaliger Franziskanermönch aus dem Kloster Annaberg im Erzgebirge, etwas über das Leben, Wirken und den Tod seines Ordensbruders Johann von Hilten. Luther und Melanchthon waren höchst interessiert. Sie schrieben beide am 17. Oktober 1529 in getrennten Briefen an Myconius,[68] wobei Luther besonders dringend um genaue Nachrichten über Hilten bat, und zwar mit allen Einzelheiten und so bald wie möglich.[69] Myconius antwortete Luther am 31. Oktober 1529, worauf ihm Luther am 7. November 1529 von Wittenberg aus dankte. Myconius legte dann in einem langen Brief vom 2. Dezember 1529 nieder, was er über Hilten in Erfahrung gebracht hatte,[70] nämlich Hilten (Iltenius) habe den Livländern derartig gepredigt, dass sie meinten, «einen Engel zu hören, was alle bestätigten, die ihn sahen oder hörten» (Fuit Iltenius ille tantus olim apud Livonios, quibus praedicavit, ut angelum se audisse putarent, quotquot concessum fuit, illum videre et audire). Ein Franziskaner H. S. aus Langensalza, dessen Bericht Myconius beilegte, habe auch berichtet, Hilten sei in milder Haft im Kloster in Weimar gehalten worden, krank geworden und einen Monat vor seinem Tod (um 1500) in die Krankenstube des Eisenacher Klosters überführt worden. Dort habe er die Sakramente empfangen, Guardian Dr. Heinrich Küne sei dabei gewesen. Hilten habe die Brüder um Verzeihung für seine Widersetzlichkeit gebeten, aber sich geweigert, seine Prophezeiungen zu widerrufen.[71] In der Beilage jenes H. S. hieß es noch, er habe Hilten sterben sehen, und er sei ein «vir … grandevus etate, procerus statura, camiciei venerabilis, litterarum avidus» gewesen, hochbetagt also, von hoher Statur, ehrwürdig in seinem Ordensgewand und an Wissenschaften interessiert. Am 2. Dezember konnte Myconius aus Gotha auch jenes «Buch», einen Kommentar zur Prophetie Daniels, an Luther senden, das er von einem Mönch bekommen habe. Dieser wolle es aber zurückhaben. Myconius legte diesem Brief auch einen Brief von Pastor J. Bartolus an Pastor J. Cornerius bei, in dem Aussagen von Arnstädter Mönchen zu Hilten enthalten waren.[72]

Luthers Interesse an Johann von Hilten war verständlich. Es ging um die Prophezeiungen Hiltens, die dieser um 1485 in Klosterhaft niedergeschrieben oder diktiert hatte: denn Hilten hatte jenem Kommentar zur Prophetie Daniels die Vorhersage angefügt, die Türken würden um 1600 Italien und Deutschland beherrschen, 1606 werde die Herrschaft von Gog und Magog anbrechen und das Ende der Welt werde im Jahr 1651 eintreten.[73] Insbesondere aber sagte er, im Jahr 1516 werde ein anderer (alius quidam) erscheinen, der unwiderstehlich sei und dem Mönchstum ein Ende bereiten werde.[74] Letzteres war für Luther, der noch zu Lebzeiten Hiltens in Eisenach zur Schule gegangen war, interessant genug, zumal er sich vorstellen konnte, selbst als jener «quidam» gemeint zu sein. In seinen Tischreden machte er den Zusammenhang deutlich: «Aber nun mus Joan Huss gerochen werden secundum prophetiam Ioannis Hilten in Eisennach, qui etiam nostro tempore occisus est; qui in morte dixisse fertur: Alius venit, et videbitis eum. Illa prophetia facta est me adolescente.»[75] Luther verschärfte also den Bericht, indem er behauptete, Hilten sei – wie Johann Huss – umgebracht worden und diese Prophezeiung sei in seiner Jugend geschehen.

Auch Melanchthon las den Bericht des Myconius und das von diesem übersandte Manuskript. Da er zwischen 1526 und 1529 selbst an einem Kommentar zum Buch Daniel schrieb,[76] berichtete er am 18. Mai 1552 in einem Brief an seinen in Joachimsthal lehrenden Schüler Johannes Mathesius (1504–1565), er habe das Manuskript Hiltens gesehen, und er fügte hinzu, nachdem er die Prophezeiungen Hiltens referiert hatte, es gebe eine eigenhändige Handschrift Hiltens: Exstat cheirographon huius viri.[77] Dieses Manuskript gelangte dann aus dem Besitz des Arnstädter Klosters über die Bibliothek des Heidelberger Hofpredigers Abraham Scultetus (1566–1624)[78] in die Bibliothek des Vatikans, wo es sich heute noch befindet.[79]

Melanchthon nutzte den Einblick in das Manuskript Hiltens sowie die positiven Auskünfte über dessen Frömmigkeit in seiner 1531 erstmals erschienenen Verteidigung der Confessio Augustana. Dort schrieb er, den Mitteilungen des Myconius folgend, in Art. XXVII (Von den Klostergelübden), es habe vor etwa 30 Jahren einen Barfüßermönch mit Namen Johannes Hilten in Eisenach gegeben. Er sei von den Mitbrüdern eingekerkert worden, weil er gegen Missbräuche des Klosterlebens gefochten habe. Er sei aber ein christlich und schriftgemäß lebender Mann gewesen und habe auch so gepredigt. Er sei fromm, alt und still, redlichen ehrbaren Wesens und Wandels gewesen, in seiner Krankheit habe er den Guardian gerufen, der habe ihn aber grob und abweisend behandelt. Daraufhin habe Johannes Hilten ernst gesagt: «Es wird ein anderer Mann kommen, wenn man schreibt 1516, der euch Mönche tilgen wird, und der wird euch wohl bleiben, dem werdet ihr nicht widerstehen können». Die Zahl 1516 habe man dann auch in seinen anderen Schriften, vor allem im Daniel-Kommentar gefunden.[80]

Die nun folgende Berichterstattung in den Schriften des Luthertums schwankt. Einmal wird behauptet, Luther sei in seinen frühen Eisenacher Jahren noch Schüler von Hilten gewesen,[81] ja Luther habe dies selbst berichtet. Andere sagen, das könne doch nicht stimmen; denn Hilten sei erst 1499, kurz vor seinem Tod, von Weimar nach Eisenach gebracht worden und in Haft geblieben. Schon deshalb habe er keinen Unterricht geben können. Die Zahl 1516 könne so erklärt werden, dass sie den traditionell angenommenen 1516 Jahren zwischen dem Auszug der Kinder Israel aus Ägypten und Christi Geburt spiegelbildlich entspreche, also auf Hiltens Glauben an die Symmetrie der Heilsgeschichte beruhe. Ein verlässlicher Prophet sei übrigens Hilten nicht gewesen; auch andere seiner Prophetien seien falsch.[82]

Aber das bedeutete nun für die Reformationsgeschichte nichts mehr Entscheidendes. Durch die Erwähnung in Melanchthons Apologie des Augsburger Bekenntnisses war Johann von Hilten zu einem gottesfürchtigen prophetischen Vorläufer des Luthertums geworden, ein Zeuge der Wahrheit (testis veritatis), wie sich später der orthodoxe Lutheraner Nicolaus Rebhan (1571–1626) ausdrückte.[83] Alle anderen Details seines problematischen Lebens, insbesondere die Vorgänge in Reval, schienen nun vergessen. Seine Rolle als verliebter Priester bei der Heirat von Margarethe Büddinck, seine Herausforderung Gottes beim Tod der Kinder und Stiefkinder von Hermann Greve, sein offenbar schwer zu zügelnder politischer Ehrgeiz, die von ihm verursachte Unruhe und Zwietracht in Reval und Dorpat sowie die Verurteilung durch den Orden waren vergessen oder verschwiegen, wurden aber wohl auch als Beleg dafür genommen, dass Fromme viel leiden müssen. Seine Klosterhaft diente gewissermaßen als eine Art Märtyrerkrone. Bei der Interpretation der Nachrichten über sein Leben, als deren Kernpunkt für die Protestanten das autoritative Wort Melanchthons stand, teilten sich die Meinungen. Die einen glaubten weiterhin daran, es sei Gott jederzeit möglich, seine Absichten durch besonders begnadete Propheten verkünden zu lassen. Die anderen betrachteten das Auftreten neuzeitlicher Propheten eher kritisch-rationalistisch, gaben auch die Zahlenmystik auf und gewannen in der Theologie der Aufklärung letztlich die Oberhand.

2. Löwe und Fuchs

Eine politische Maxime im Frühabsolutismus

I.

Von dem spartanischen Feldherrn Lysander († 395 v. Chr.) berichtet Plutarch, er habe sein politisches Handeln mit der Maxime gerechtfertigt: «Wo das Löwenfell nicht zureicht, muß man den Fuchspelz anziehen.»[1] Lysander steht bei Plutarch neben dem römischen Diktator Sulla, und beide werden vorgestellt als löwenähnliche politische Kraftnaturen, die aber durchaus in der Lage gewesen seien, auch eine gewisse «füchsische» Verschlagenheit zur Erreichung ihrer Ziele einzusetzen. Beide handeln nach dem Grundsatz, dass dem Starken die List und dem Listigen die Stärke jeweils nach Bedarf zu Hilfe kommen müsse.

Die zugrunde liegende ethisch-politische Problematik, ob die Politik den Geboten der Gerechtigkeit und der Religion unterworfen sei, ob sich das «Gerechte» als das dem Starken Zuträgliche definieren lasse,[2] ob und inwieweit Täuschung und Betrug in der Politik um eines gerechten Zieles willen erlaubt seien, gewann mit dem Zerfall der mittelalterlichen Glaubens- und Ordnungseinheit neue Virulenz. Die beiden großen Epochen des europäischen «Individualismus», Antike und Renaissance, traten nicht nur ästhetisch, sondern auch in Fragen der politischen Ethik in neue und vertiefte Beziehungen. Die Herausbildung unabhängiger «Staaten» aus der Einheit der «Respublica christiana»,[3] die zur Souveränität führenden und aus älteren kanonistischen Vorlagen entwickelten Formeln vom «Rex, qui superiorem non recognoscit in terris»[4] kündeten sowohl die Personifizierung des Staates als eines eigenständigen handlungsfähigen «Individuums» als auch den Aufstieg des einzelnen «Politikers» als geschichtsmächtige Figur an. Mit der Entwicklung des neuzeitlichen europäischen Staatensystems ging daher auch ein zunehmender politischer Subjektivismus und Voluntarismus einher. Indem die politische Aktion das normative Gefüge der abendländischen Ordnung sprengte, gewannen auch der heroische Einzelne und seine Willensentschlüsse an Gewicht. Seine persönlichen Eigenschaften (Kraft, Mut, Friedensliebe, Rücksichtslosigkeit, Verschlagenheit usw.) konnten Krieg oder Frieden bedeuten und rückten deshalb ins Zentrum der politischen Ethik. Je weniger dem überlieferten christlichen Normkodex Entscheidungsregeln des politischen Handelns zu entnehmen waren, desto wichtiger wurde offenbar die Steuerung des einzelnen «Souveräns» durch die Fürstenspiegel[5] und neue übergreifende Ordnungssysteme. Wichtigstes neues System ist das Völkerrecht,[6] das bezeichnenderweise dort konzipiert wurde, wo eine junge Republik mit überseeischen «internationalen» Interessen die Bindung an das alte Reich abgeschüttelt hatte (1581).

Die wissenschaftliche Lehre von der Politik und das moderne Völkerrecht haben so nicht ohne Grund deutliche Zäsuren ihrer Entwicklungsgeschichte dort, wo – in dramatischer Verkürzung – die für die Neuzeit entscheidend gewordenen Ereignisse sich häuften.[7] Die Entdeckung der Neuen Welt (1492), der Beginn der Kämpfe um Italien (1494), die Reformation (1517), der Wandel der Heeres- und Belagerungstechnik, der Aufstieg der neuen Handelshäuser in der Politik[8] und der Beginn des Frühabsolutismus drängen sich auf wenige Jahre zusammen. Auch räumlich ist der Schauplatz eng. Vor allem in Italien entwickelten sich früher als anderswo Elemente einer Staatstheorie auf empirischer Basis, setzte sich ein von der aristotelischen Politik und der Scholastik abgelöster Politikbegriff und eine am schöpferischen Individuum orientierte Entwicklungsidee der Geschichte durch. Dabei leistete die verwandelnde Aneignung der antiken Quellen unschätzbare Hilfe.

II.

Im politischen Denken dieser Zeit nimmt seit jeher unbestritten Niccolò Machiavelli (1469–1527) eine Schlüsselstellung ein. Er ist der «Wegebahner des modernen kontinentalen Machtstaates» (G. Ritter). Er gilt als der eigentliche Begründer der Lehre von den Staatsinteressen, d.h. der Autonomie politischer Entscheidungen gegenüber den Geboten der Moral, der Religion und des Rechts. «Das grundsätzliche Neue in Machiavellis politischer Theorie bestand darin», so fasst Wolfgang Preiser im Wörterbuch des Völkerrechts zusammen, «dass er lehrte, im Falle einer anders nicht zu lösenden Kollision zwischen den Geboten der Moral oder des Rechts auf der einen Seite, elementaren Interessen der Machtbewahrung im Innern oder der Erhaltung des Staates gegenüber äußeren Gegnern andererseits dürfe, ja müsse der leitende Staatsmann Moral und Recht hinter der – bald danach von seinem Landsmann Francesco Guicciardini erstmals so genannten – «Staatsräson» zurücktreten lassen; keine moralische oder vertragliche Bindung dürfe eine Rolle spielen, wenn die politische Notwendigkeit verlange, dass man sich von jenen Bindungen freimache. Erst auf dieser Grundlage konnte sich der Staat der Neuzeit zu jenem «selbstzweckhaften» extrem souveränen Gebilde entwickeln, dessen internationale Bindungen entweder überhaupt nicht als rechtliche aufgefaßt wurden oder doch nach den Grundsätzen der Clausula rebus sic stantibus im konkreten Fall leicht abzustreifen waren.»[9]

Es ist deshalb nicht überraschend, dass die eingangs genannte Maxime des Lysander bei Machiavelli wieder auftaucht und von ihm zu einer besonders knappen und plastischen Metapher des «modernen Fürsten» verdichtet wird. In dem für die Nachwelt so anstößigen Kapitel 18 des Principe (1513)[10] sagt er zur Frage der Bindung des Fürsten an das gegebene Wort, ein Fürst müsse «verstehen gleicherweise die Rolle des Tieres und des Menschen durchzuführen. Diese Lehre haben die Schriftsteller des Altertums den Fürsten verhüllt gegeben, wenn sie berichten, daß Achilles und viele andere Fürsten der Vorzeit dem Zentaur Chiron zur Erziehung anvertraut wurden. Daß ein Fürst einen Lehrmeister bekommt, der halb Mensch halb Tier ist, soll nichts anderes heißen, als daß er verstehen muß, die Natur beider zu vereinigen, und das eine allein keinen Bestand hat. Da also ein Fürst imstande sein muß, die Natur eines Tieres anzunehmen, so muß er sich den Fuchs und den Löwen aussuchen; denn der Löwe ist wehrlos gegen Schlingen, der Fuchs gegen Wölfe. Man muß also Fuchs sein, um die Schlingen zu kennen und Löwe, um die Wölfe zu schrecken. Diejenigen, die sich einfach nach dem Löwen richten, verstehen ihre Sache schlecht.»[11] Wer immer sein Wort halten wollte, käme angesichts der Schlechtigkeit der Menschen zu Schaden; deshalb: «wer am besten verstanden hat den Fuchs zu spielen (usare la golpe) ist am besten weggekommen. Man muß nur verstehen, der Fuchsnatur ein gutes Aussehen zu geben (bene colorire) und ein Meister sein in Heuchelei und Verstellung.»[12] Kurz darauf bezieht sich Machiavelli bei Bemerkungen zu Kaiser Septimius Severus (146–211 n. Chr.) nochmals hierauf: «Da er als neu zur Herrschaft gelangter Fürst Großes verrichtete, will ich kurz darlegen, wie ausgezeichnet er es verstand, den Fuchs und den Löwen zu spielen, die der Fürst, wie oben gesagt, beide zum Vorbild nehmen muß.»[13]

Die in die Metapher von Löwe und Fuchs gekleidete Maxime, der politisch Handelnde müsse Kraft und Intelligenz, Stärke und List, Mut und Kalkül verbinden, ist nicht nur von der unübersehbaren Machiavelli-Literatur der Neuzeit,[14] sondern auch von den Zeitgenossen als besonders aufschlussreich bzw. decouvrierend für Machiavellis Denken empfunden worden. Indem man seine Lehre in gröbster Vereinfachung auf diese Sätze konzentrierte, war es einfach, ihn zum zweckorientierten amoralischen Pragmatiker der Macht zu stempeln. Die lange Kette der Machiavelli-Deutungen in politischer Absicht nimmt hier ihren Anfang.

Vor der Frage nach Reaktionen auf jene Maxime wäre zu klären, aus welcher Quelle sie Machiavelli geschöpft hat. Sowohl die Verwendung einer sprichwörtlichen Redensart[15] als auch die direkte Übernahme aus Plutarch sind möglich. Sichere Aussagen sind hierbei schwer zu gewinnen, doch gibt es Anhaltspunkte: Während seiner zweiten diplomatischen Mission zu Cesare Borgia nach Imola, die sich von Oktober 1502 bis Januar 1503 hinzog, beschaffte sich Machiavelli die griechisch-römischen Biographien Plutarchs in einer lateinischen Übersetzung aus Venedig.[16] Cesare Borgia, das Urbild des zugleich mutigen und verschlagenen Herrschers («ich wüßte für einen neuen Fürsten keine besseren Lehren als das Beispiel seiner Taten»[17]), beeindruckte Machiavelli tief und zwar gerade durch die Skrupellosigkeit seines Wechsels zwischen Stärke und List.[18] Die heimtückische Ermordung seiner Gegner im Winter 1502/03 – hierüber hat Machiavelli im so genannten Valentino berichtet[19] – zeigten, wozu dieser Mann auf dem Gipfel seiner Macht fähig war. Machiavelli kommentierte die Ereignisse mit dem Hinweis, Cesare Borgia habe angesichts des damaligen Kräfteverhältnisses, um weiter voranzukommen, zur «List» gegriffen, und er betonte abschließend: «Wenn ich alle Taten des Herzogs zusammenfasse, so wüßte ich nichts an ihm auszusetzen, vielmehr kann man ihn füglich, wie ich auch getan habe, für alle als Vorbild hinstellen, die durch Glück und fremde Waffen zur Herrschaft gelangt sind. Wer also lernen will, in seinem neu begründeten Fürstentum mit seinen Feinden fertig zu werden, sich Freunde zu verschaffen, durch Gewalt oder List den Sieg zu erringen … der kann keine näherliegenden Beispiele finden als die Taten Cesare Borgias.»[20] Auf diesem Hintergrund muss die Lektüre von Plutarch im Winter 1502/03 und die dort überlieferte Maxime Lysanders von erregender Aktualität gewesen sein. Da Machiavelli die antiken Autoren nicht als gelehrter Philologe studierte, sondern sie produktiv in politische Theorie umzusetzen versuchte,[21] konnten Lysander und Sulla unschwer mit Cesare Borgia in eine Linie gebracht werden. Die Annahme ist naheliegend, dass sich bei Machiavelli das Bild von «Löwe und Fuchs» aus Plutarch mit den Zügen Cesare Borgias verbunden hat. Die Sentenz Lysanders im 18. Kapitel des Principe, so lässt sich wohl mit ziemlicher Sicherheit sagen, stammt aus der Plutarch-Lektüre jenes Winters 1502/03.

III.

Nun zu den Reaktionen der Zeitgenossen auf «Löwe und Fuchs». Bereits der erste prominente Kritiker Machiavellis, der englische Kardinal Reginald Pole, bezog sich sieben Jahre nach Erscheinen des Principe im Druck (1532) auf die hier ins Auge gefaßte Passage.[22] In seiner 1539 verfassten Apologia ad Carolum Quintum Caesarem[23] warnte er die Fürsten und Nationen Europas vor dem von der Hand des Satans geschriebenen Buch, weil sein Autor empfohlen habe, Religion und Tugenden nur zu heucheln um des politischen Effekts willen, sie «sozusagen als Mausefalle zum Fangen der Hausmäuse» zu gebrauchen.[24] Dann fasste er Machiavellis Lehre zusammen: «Der Fürst solle zunächst die Rolle des Löwen, dann die des Fuchses spielen. Diese beiden Tiere nennt er nämlich und formt seinen Fürsten nach ihrem Bild; denn er zieht die auf Furcht gegründete Herrschaft der auf der Zuneigung (des Volkes) gegründeten als nützlicher, sicherer und leichter vor. Der Rolle des Löwen weist er den ersten Rang zu, sie bildet gleichsam die Grundlage, während er nach Bedarf dem Fuchs den Rest überläßt, so daß sie sich abwechseln; wo der dem Fuchs eigentümliche Betrug nichts vermag, öffnet die Gewalt des Löwen einen Ausweg; wo offene Gewalt weniger zu vermögen scheint, wird der Fuchs wie durch unterirdische Gänge eingeführt.»[25] Wer wie Machiavelli, so schloss Pole in beschwörendem Ton, dem Betrug das Wort rede, liefere die Menschheit der Herrschaft von Fürsten aus, die wilden Tieren glichen: «Tut der dies etwa nicht, der die Regierungsgewalt der Wildheit des Löwen und der List des Fuchses ausliefert?»[26]