Maries Schicksal - Gabriele Droste - E-Book
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Maries Schicksal E-Book

Gabriele Droste

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Beschreibung

Eine dramatische Liebe im kriegszerrütteten Südfrankreich: Der berührende Roman »Maries Schicksal« von Gabriele Droste jetzt als eBook bei dotbooks. Eine außergewöhnliche Begegnung inmitten der Wirren des Zweiten Weltkriegs ... Als Marie in der französischen Résistance auf Jean Olivier trifft, ist es um sie geschehen. Trotz des tobenden Krieges und der ständig drohenden Gefahr, im Kampf um ihre Freiheit gefangen genommen oder verraten zu werden, knüpfen die beiden ein starkes Band der Liebe. Doch dann wird Jean Olivier von der Gestapo gefasst – und für Marie beginnt ein Albtraum aus Bangen und Hoffen, der Tag für Tag schlimmer wird. Sechzig Jahre später erinnert sie sich an jene Zeit zurück: An ihre Schatten, aber auch ihr Licht, und an die große Liebe, mit der sie auf immer verbunden sein wird ... Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der bewegende Familiengeheimnisroman »Maries Schicksal« von Gabriele Droste. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Eine außergewöhnliche Begegnung inmitten der Wirren des Zweiten Weltkriegs ... Als Marie in der französischen Résistance auf Jean Olivier trifft, ist es um sie geschehen. Trotz des tobenden Krieges und der ständig drohenden Gefahr, im Kampf um ihre Freiheit gefangen genommen oder verraten zu werden, knüpfen die beiden ein starkes Band der Liebe. Doch dann wird Jean Olivier von der Gestapo gefasst – und für Marie beginnt ein Albtraum aus Bangen und Hoffen, der Tag für Tag schlimmer wird. Sechzig Jahre später erinnert sie sich an jene Zeit zurück: An ihre Schatten, aber auch ihr Licht, und an die große Liebe, mit der sie auf immer verbunden sein wird ...

Über die Autorin:

Gabriele Droste, gebürtige Hamburgerin, studierte Kunst und Germanistik in München sowie französische Literaturgeschichte in Paris an der Sorbonne. Dort arbeitete sie anschließend in der

Kulturabteilung der Deutschen Botschaft und wurde dann Journalistin. Privat und beruflich führten – und führen – ihre Wege immer wieder nach Frankreich und Wien. Sie lebt mit ihrer Familie in München.

Gabriele Droste veröffentlichte bei dotbooks bereits »Sophies Geheimnis«, »Claras Erbe« und »Die Frauen von Wredenhagen«.

***

eBook-Neuausgabe März 2023

Dieses Buch erschien bereits 2006 unter dem Titel »Das Blau der Träume« beim Diana Verlag.

Copyright © der Originalausgabe 2006 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98690-588-0

***

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Gabriele Droste

Maries Schicksal

Roman

dotbooks.

Für meinen Vater

Kapitel 1

SAINT-TROPEZ | August 2005

Claire trat einen Schritt zurück und betrachtete das Bild auf ihrer Staffelei. Sie war noch nicht zufrieden. Sie hatte etliche Skizzen angefertigt, und im Augenblick erschienen sie ihr gelungener als das halbfertige Porträt in Öl. Das Licht, die Rosen im Hintergrund – all das entsprach der Atmosphäre in diesem Garten. Was störte sie an dem Frauenbildnis? Es war eindeutig Marie, die ihr von der Leinwand aus zulächelte. Da war die für sie typische, kerzengerade Haltung, die sie auf dem Stuhl eingenommen hatte. Mit der Allüre einer immer noch schönen Frau, die in wenigen Wochen ihren achtzigsten Geburtstag feiern würde. Das einst feuerrote Haar hatte seine Farbe noch nicht gänzlich verloren, und das Licht des späten Nachmittags verlieh ihm einen schimmernden Glanz. Die Fältchen, die ihr Gesicht wie ein feines Netzwerk durchzogen, hatten sich wundersamerweise an keiner Stelle tiefer eingegraben. Und Maries Lächeln, wenngleich gelegentlich spöttisch, war voller Warmherzigkeit.

Claire legte den Kopf schief. Das Lächeln war ihr gelungen. Dennoch fehlte etwas.

Claire kaute auf dem Pinselstiel herum. Natürlich, die Augen. Diese smaragdgrünen Augen! Wach, lebendig und verschmitzt. Manchmal unergründlich und auch voller Traurigkeit. Die Augen waren ihr noch nicht geglückt und sie würden der schwierigste Teil des Porträts sein.

Claire seufzte, legte den Pinsel aus der Hand und zündete sich eine Zigarette an. An Maries melancholischen Blick erinnerte sie sich noch aus ihrer frühen Jugend. Er hatte sie schon damals fasziniert. Vielleicht, weil sie die Menschen unbewusst seit jeher mit den Augen einer Malerin betrachtet hatte? Sie, Claire, war die engste Freundin von Maries Tochter Virginie gewesen, und diese hatte ihr erzählt, dass die erste große Liebe ihrer Mutter im Krieg umgekommen sei. Beide waren in der Résistance gewesen. Claire hatte das tragisch und zugleich unendlich romantisch gefunden. Und sie und Virginie hatten sich die »große Liebe«, die man im Leben sicher nie mehr vergessen konnte, ausgemalt. Und sich dann später in denselben Mann verliebt!

»Worüber denkst du nach, Claire?«

Marie hatte nach einer Stunde geduldigen Modellsitzens um eine Pause gebeten und stellte nun einen Weinkühler sowie zwei Gläser auf dem Tisch.

»Zeit für ein Glas Minuty. Zuvor würde ich, wenn du es erlaubst, gern einen Blick auf mein Konterfei werfen.«

Sie trat vor die Staffelei und betrachtete das Bild.

»Du schmeichelst mir, Claire. Machst mich um zehn Jahre jünger. Aber es wird gut. Sehr gut. Dennoch begreife ich nicht, warum der Bürgermeister ein Porträt von mir in Auftrag gegeben hat. Es ist mir unangenehm.«

»Ich verstehe ihn«, meinte Claire. »Man will die Gemäldeabteilung im Museum erweitern. Und du bist schließlich in Saint-Tropez eine bekannte Persönlichkeit. Eine seinerzeit sehr beliebte Ärztin und eines der wenigen noch lebenden Mitglieder der Résistance. Für mich ist es außerdem ein schöner Auftrag.«

»Deinetwegen habe ich mich ja überhaupt darauf eingelassen.« Marie seufzte. »Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn der Auftrag nur dem Garten gegolten hätte, vielmehr meinen Rosen. Du hast der Belle des Jardins und der Baronne de Rothschild mit nur wenigen Pinselstrichen Leben eingehaucht. Schade, dass Bilder nicht auch noch duften können. Der Duft ist das Gefühl der Blumen.«

Claire trat zu den Sträuchern. Sie musste Marie Recht geben. »Wirklich betörend. Und jede riecht anders. Man könnte ganz schwindlig davon werden. Der Duft ist das Gefühl – was für ein schöner Satz!«

»Stammt nicht von mir, sondern von Heinrich Heine«, sagte Marie. »Mein Freund Antoine hat den Dichter verehrt und zitierte ihn damals gelegentlich. Und in der Schule gab es eine Lehrerin, die ihn liebte und uns nahe brachte.«

Claire nickte. »So eine hatte ich auch. Leider habe ich fast alles vergessen.« Sie wandte sich wieder der Staffelei zu. »Es sind deine Augen, Marie, mit denen ich noch nicht zufrieden bin. Sie haben einen so vielschichtigen Ausdruck, dass er schwer einzufangen ist.«

Marie lächelte. »Dann wähle doch den, der dir am vertrautesten ist.«

»Jeder ist es. Ich kenne dich seit fünfunddreißig Jahren. Als ich zehn war, habe ich dich zum ersten Mal gesehen. Und was mich – auch heute wieder – immer aufs Neue fasziniert hat, ist die plötzliche Traurigkeit in deinem Blick.«

Marie schwieg und legte die Hand auf Claires Arm.

»Dann malst du mich eben so. Trauer gehört seit einundsechzig Jahren zu meinem Leben.«

Sie wandte sich ab und winkte der Malerin zu, ihr auf die Terrasse zu folgen. Nachdem sie zwei Gläser mit Roséwein gefüllt und ihn leicht geschwenkt hatte, stieß sie mit Claire an. »Auf das Gelingen deines Bildes. Ich stelle es mir sehr schwer vor, auf einem Stück Leinwand genau das einfangen, um die beabsichtigte Stimmung wiederzugeben. Das Licht – das Blau, das nur in Träumen vorkommt, wie die Schriftstellerin Colette sagte –, die Gerüche und dazu noch ein Mensch, dessen Seele der Maler ausdrücken möchte.«

»Auf diesem Bild stehst du im Vordergrund«, sagte Claire. »Wo du aber gerade vom Licht sprichst, Marie – die Spätnachmittagsstimmung ist wundervoll. Können wir noch etwas weitermachen?«

»Aber wirklich nur noch ein wenig.«

Marie nahm wieder auf ihrem Stuhl Platz und beobachtete Claire, die mit konzentrierter Miene arbeitete. Das lange, dunkle Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie trug, wie immer, wenn sie malte, eine weite, ausgefranste und mit Farbklecksen überzogene Latzhose. In ähnlicher Kleidung, nur ohne Ölfarbe, war sie schon als Kind herumgelaufen, weil sie, wie ihre Mutter gesagt hatte, sich ständig nur schmutzig machen würde. Virginie hatte alsbald ebenfalls auf solch einer Hose bestanden, und beider Freunde, Léon und Claude, schließlich auch. Ein unzertrennliches Quartett waren sie gewesen, zu dessen Lieblingsbeschäftigungen das Herumturnen auf den Fischerbooten im Hafen gehört hatte.

Boote – der Schmerz schoss wie ein Pfeil durch ihren Körper.

»Marie! Was ist los?« Claire legte den Pinsel beiseite. »So kann ich dich nicht malen.«

Marie erhob sich aus dem Stuhl. »Deine Latzhose. Sie hat mich plötzlich daran erinnert, wie ihr als Kinder alle darin herumgelaufen seid. Ihr habt so gern auf den schmutzigen Booten gespielt.«

»Léon und Claude waren die Polizisten und wir die Piraten«, sagte Claire leise und war sich sicher, dass Maries Gedanken nicht nur mit ihrer aller Kindheit verbunden waren. Sie wurde von der Erinnerung an Virginies Tod eingeholt. Zwanzig Jahre war es jetzt her, dass ihre Tochter an einer Blutvergiftung gestorben war. Die Folge einer Verletzung, die sie sich durch einen rostigen Nagel an einer Bootsplanke zugezogen hatte. Die kleine, kaum blutende Wunde hatten sie alle nicht ernst genommen. Mit Ausnahmen von Marie, der Ärztin, wenn sie da gewesen wäre. Aber zu dem Zeitpunkt hatten sie und ihr Mann Julien Freunde in Italien besucht.

»Die Erinnerung tut immer noch weh, nicht wahr?« Claire griff nach Maries Hand. »Wie auch mir – und vor allem Léon. Er hat Virginie so sehr geliebt.«

Marie nickte stumm. Dann straffte sie den Rücken und nahm ihre gerade Haltung wieder ein. Als zöge sie sich eine Korsettstange ins Kreuz, dachte Claire unwillkürlich.

»Es ist der verteufelte August«, sagte Marie. »Zwei der mir liebsten Menschen sind in den ersten zwei Wochen dieses Monats eines viel zu frühen Todes gestorben. Mit gerade einmal Mitte zwanzig. Es heißt, dass die Zeit alle Wunden heilt. Ich stimme dem im Prinzip zu. Aber dennoch ist man vor plötzlich aufkommendem Kummer einfach nicht gefeit.«

Marie erhob sich abrupt und ging zur Terrasse. Sie blickte in den Kühler, nahm die Flasche heraus und befühlte sie. »Die Eiswürfel sind sehr schnell geschmolzen, und der Wein ist warm geworden. Ich stelle ihn kalt und hole uns neuen.«

Sie möchte das Thema nicht vertiefen, dachte Claire. Schon früher hatte Marie Gespräche, die schmerzliche Ereignisse in der Vergangenheit berührten, unvermittelt beendet. Als würde sie einen Rollladen herunterziehen. Das passte zum Trauerschleier in ihren Augen. Und war sie selbst denn anders? Claire zog das Gummiband aus ihrem Zopf, beugte den Kopf vor, schüttelte die schulterlangen Haare und ließ sich dann auf der Terrasse nieder. Ihre Verluste waren mit denen Maries nicht zu vergleichen. Sie hatte einfach nicht den Mann heiraten können, von dem sie geträumt hatte. Léon. Lange bevor er und Virginie sich von einem auf den anderen Tag ineinander verliebt hatten, hatte sie für den Freund aus Kindertagen geschwärmt – und es sich nie anmerken lassen. Dabei war es bis heute geblieben. Sie war die gute Freundin, genoss sein Vertrauen – mehr nicht. Nach Virginies Tod war er ein paar Jahre lang nicht nach Saint-Tropez gekommen. Und als sie einander wiedergesehen hatten, war ihre Hoffnung, dass die Beziehung zwischen ihnen sich anders entwickeln könnte, vergebens gewesen. Mochte sie für andere Männer attraktiv sein – sein Typ war sie offensichtlich nicht. Ein Juliette-Gréco-Verschnitt sei sie, hatte Virginie behauptet, die das Aussehen von Menschen gern mit berühmten Schauspielern oder Sängern verglich. Léon war der zweite Alain Delon, und für Claude, den Armen, blieb nur die Assoziation zu Louis de Funès, berühmt geworden durch den Film Der Gendarm von Saint-Tropez. Claude war ziemlich beleidigt gewesen. Dabei hatte er vor zwanzig Jahren tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Schauspieler gehabt. Klein, dürr, zappelig und mit Leib und Seele Gendarm. Ein gewissenhafter Capitaine war er heute noch. Nur galt seine Leidenschaft inzwischen nicht mehr nur der Verbrecherjagd. Gutes Essen und das Boulespiel faszinierten ihn weit mehr. Rund und gemütlich war er geworden, und bald würde er einer seiner Boulekugeln gleichen. Unwillkürlich musste Claire lachen.

»Was amüsiert dich so?«, fragte Marie, stellte den mit frischem Eis gefüllten Kühler auf den Tisch und schenkte Wein ein.

»Ich ... ach, ich habe gerade an Virginies Vergleiche mit Schauspielern gedacht. Claude ein Louis de Funès – wunderbar!«

»Ich erinnere mich.« Marie schmunzelte. »So daneben lag sie mit ihren Vergleichen gar nicht. Als sie selbst sich dann aber unbedingt in Brigitte Bardot verwandeln wollte, habe ich nur noch lachen müssen. Für mich war sie eher Katherine Hepburn. Das passte auch besser zu den roten Haaren.«

»In ihren Augen warst du das. Und für dich war Léon nicht Delon, sondern ein in die Länge geschossener Humphrey Bogart ohne Hut.«

Nun musste Marie lachen. »Wegen seiner Art, sich zu kleiden.«

Claire nippte gedankenverloren an ihrem Wein. Vor zwei Jahren hatte sie Léon das letzte Mal gesehen, denn im vergangenen Sommer war sie mit ihrem Mann in den USA gewesen. Ihre letzte gemeinsame Reise. Bald darauf hatte Robert sie um die Scheidung gebeten, weil er sich in eine andere Frau verliebt hatte. Immerhin war er ihr Galerist geblieben und hatte ihr als Abschiedsgeschenk eine kleine Wohnung im Quartier Latin gekauft. Ein hübsches Pied à Terre in Paris, denn in Zukunft wollte sie ...

»Wie lange wirst du in Saint-Tropez bleiben?«, unterbrach Marie ihre Gedanken.

»Bis Oktober. Und ich überlege, ob ich nicht in Zukunft den größten Teil des Jahres hier statt in Paris verbringen sollte. Das Großstadtleben habe ich lange genug genossen. Außerdem fühlt sich meine Mutter seit Vaters Tod sehr einsam; das Haus ist ihr viel zu groß. Dabei ist es im Vergleich zu diesem hier ein Puppenhaus.«

»Aber in einer der zauberhaftesten Lagen.«

»O ja«! Claire lächelte versonnen. »Ich liebe den Blick auf den kleinen Strand und den alten Fischerhafen um die Ecke. Auf meinen ersten Bildern habe ich immer nur die dort liegenden Boote gemalt. Und wenn ich am Strand sitze und die Kinder beobachte, fühle ich mich häufig wie das kleine Mädchen von damals.«

Beide schwiegen eine Weile. Schließlich sagte Marie: »Ich freue mich sehr, wenn du in Zukunft länger als nur für ein paar Wochen hier sein wirst. Aber deine Freunde sind doch in Paris. Wirst du sie nicht vermissen?«

»Ich werde mit Sicherheit häufiger hin- und herpendeln. Meine neue Wohnung gebe ich sicher nicht auf.«

»Leidest du noch unter der Trennung von Robert?«, fragte Marie vorsichtig. »Du sprichst niemals darüber.«

Claire schüttelte den Kopf. »Leiden? Nein. Ich war gekränkt. Welche betrogene und verlassene Frau wäre das nicht. Aber eigentlich ist es meine Schuld. Ich habe ihn niemals wirklich geliebt. Es mir nur eingeredet. So wie zuvor bei Justin.« Claire lächelte gequält. »Eine wunderbare Bilanz, die ich mit fünfundvierzig Jahren ziehen muss: zwei gescheiterte Ehen und keine Kinder. Was angesichts der Scheidungen vielleicht besser war.«

Marie strich ihr sacht über die Hand. »Du hast im Grunde immer nur Léon geliebt, nicht wahr? Mir ist das seit vielen Jahren klar, und ich hatte immer gehofft, dass ihr einmal zueinander finden würdet. Aber nach Virginies Tod gab es in seinem Leben nur wechselnde Freundinnen. Er wollte sich nicht mehr binden – und du hast es zweimal überstürzt getan. Dazu fällt mir wieder etwas von Heine ein.«

»Meinst du etwa die Strophe mit dem Jüngling, der ein Mädchen liebt, das einen anderen erwählt. Dieser aber wiederum will dieses Mädchen gar nicht?«

Marie nickte. »Genau die. Sie ist aus dem Buch der Lieder.«

Claire überlegte. »Das Mädchen heiratet aus Ärger den erstbesten Mann – so war es, oder? Ich habe nur die letzten Zeilen im Kopf, weil ich so oft daran denken musste: ›Es ist eine alte Geschichte / doch bleibt sie immer neu / und wem sie just passieret / dem bricht das Herz entzwei.‹« Sie lehnte sich zurück. »Man könnte es auch so formulieren: Claire liebt Léon, der aber liebte Virginie und nach ihr keine andere mehr. Claire heiratet zweimal und kann Léon dennoch nicht aus ihrem Herzen verbannen. Es ist zwar nicht gebrochen, aber auch nicht offen für andere. So wie seines. Eigentlich sind wir beide ziemliche Neurotiker.«

Claire stieß ein kurzes, trockenes Lachen aus. »Ich bewundere dich, Marie. Du hast deine große Liebe verloren, aber nach Jahren Virginies Vater geheiratet. Und ich hatte immer den Eindruck, dass ihr eine glückliche Ehe geführt habt.«

»Ja, das stimmt. Und ich habe ihn geliebt. Nicht mit der Leidenschaft und bedingungslosen Hingabe, wie ich sie bei Jean Olivier empfunden habe. Ich war schließlich über dreißig und Julien fünfzehn Jahre älter, als wir geheiratet haben. Die Art Liebe, wie ich sie für Jean Olivier empfunden habe, erlebt man wahrscheinlich nur einmal im Leben.«

Marie sah auf die Uhr. »Ich muss langsam an die Vorbereitungen fürs Abendessen denken. Du bleibst doch, oder?«

Claire lehnte mit Bedauern ab. »Meine Mutter erwartet mich. Ich wäre sehr gern geblieben. Wo ist übrigens Olivia?«

»Sie hat an einem Ferienseminar teilgenommen und kommt heute Abend zurück. Ihretwegen stelle ich mich überhaupt an den Herd. Meine Enkelin hat mir das Prädikat ›beste Köchin der Welt‹ verliehen. Den Ruf muss ich mir erhalten. Sonst überflügelt mich noch Léon.«

»Er kreiert wirklich die tollsten Gerichte«, stimmte Claire zu. »Gegen dich und ihn hätte ich keine Chance. Wann kommt er überhaupt?«

»Am Wochenende. Ich freue mich schon sehr auf ihn.«

Ich auch, dachte Claire und erhob sich, um die Staffelei ins Haus zu tragen. Sie stellte sie neben dem Kamin im Wohnzimmer ab. Der Raum war ihr seit Jahren so vertraut, als wäre sie selbst hier aufgewachsen. Die Wände schmückten Bilder von ihr unbekannten Malern, die Ende des 19. Jahrhunderts nach Saint-Tropez gekommen waren. Einen Matisse habe sie leider nicht geerbt, hatte Marie einmal scherzhaft gesagt. Inzwischen hingen auch drei Werke von Claire unter ihnen: zwei Frauenbildnisse und der Hafen von Saint-Tropez.

Die mit provenzalischen Stoffen bezogenen Sofas nahmen die Farben der Rosen im Garten auf. Ein alter Bauernschrank, in dem sich die Musikanlage und der Fernseher befanden, stand an einer Wand, die gegenüberliegende wurde von einem Bücherregal eingenommen, und Maries Sekretär war so aufgestellt worden, dass sie durch die Terrassentür in ihren Garten blicken konnte. Wie so häufig betrachtete Claire auch dieses Mal die Fotos, die Marie in verschiedensten und mit Sorgfalt ausgewählten Rahmen auf ihm arrangiert hatte. In der Mitte befand sich ihr verblichenes Verlobungsbild aus dem Jahr 1944. Marie und Jean Olivier standen, umgeben von Freunden und Verwandten, vor den Rosensträuchern. Eine junge, strahlende Marie! Auf den anderen Aufnahmen waren alle Menschen zu sehen, die ihr etwas bedeuteten – oder bedeutet hatten.

Viele von ihnen waren tot. Wenn man Maries Alter erreicht hatte, war es nur natürlich, mit dieser Tatsache leben zu müssen. Schmerzlich blieb es dennoch. Besonders im Fall von Jean Olivier und Virginie.

»Ich halte oft Zwiesprache mit ihnen.«

Claire zuckte zusammen. Sie hatte Marie nicht kommen hören.

»Weißt du, woran ich gedacht habe, als ich nach Jean Oliviers Tod den Film Das Spiel ist aus im Kino sah?«

Claire runzelte die Stirn. »Erhalten in diesem nicht zwei verstorbene junge Menschen die Chance, ins Leben zurückzukehren, weil sie füreinander bestimmt waren, doch einander nie getroffen hatten?«

Marie nickte. »Genau. Ich wollte mir das Leben nehmen, um Jean Olivier im Hades begegnen zu können. Ich glaubte plötzlich an diese Möglichkeit. Dumm, nicht wahr? Ich hätte gar keinen Selbstmord verüben können. Ich erwartete schließlich sein Kind.«

Kapitel 2

MÜNCHEN | August 2005

Hauptkommissar Leonhard Zabel hatte seinen Schreibtisch aufgeräumt, sich von seinem Team verabschiedet und stieg in den Paternoster, angeblich der einzige, den es in München noch gab und den er nach wie vor dem Lift vorzog. Mit eiligen Schritten verließ er das Präsidium in der Ettstraße.

Auf dem Weg zur Straßenbahn pfiff ihm ein kalter Wind um die Ohren. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal einen so kühlen und verregneten Münchner Sommer erlebt hatte. Jetzt musste er sich beeilen, um das Auto rechtzeitig von der kleinen Tankstelle in der Georgenstraße abzuholen, die abends zeitig schloss. Er hatte sich den Luxus einer Innenreinigung gegönnt. Als Reiseauftakt gewissermaßen. Seit er geerbt hatte, konnte er sich solche Dinge leisten. Morgen früh würde er nach Saint-Tropez aufbrechen. Wie jedes Jahr freute er sich ungemein auf das Wiedersehen mit den ihm so nahen und, seit er denken konnte, vertrauten Menschen: Marie, der besten Freundin seiner Mutter, sowie Claire und Claude, den Freunden aus Kindertagen. Claude war Capitaine der Gendarmerie in Saint-Tropez geworden – so wie er selbst Hauptkommissar in München. Das hatten sie bereits als Zehnjährige beschlossen, und Claire war in diesem Alter schon davon überzeugt gewesen, dass sie Malerin werden wollte. Seltsam, dass sie alle bei ihren damals gefassten Entschlüssen geblieben waren. Nur Virginie hatte den ihren nicht verwirklichen können. Sie wollte Ärztin werden – wie ihre Mutter Marie.

Er schluckte kurz und verdrängte die Erinnerung. Morgen würde er auf französischem Boden sein. Nicht mehr Leonhard Zabel heißen wie für die deutschen Kollegen und Freunde, sondern Léon Zabelle.

Nachdem er seinen blitzsauberen BMW abgeholt und den Klagen des Tankstellenpächters über ständig steigende Benzinpreise nur hatte zustimmen können, fuhr er nach Hause und fand direkt vor der Tür einen Parkplatz. Ein Glücksfall, den er der Ferienzeit verdankte. So sehr Léon die Lage seiner Wohnung in der Adalbertstraße vis-a-vis des Alten Nordfriedhofs schätzte – eine Garage fehlte ihm.

Er eilte, zwei Stufen auf einmal nehmend, die geschwungene, frisch gewienerte Holztreppe hinauf. Als er sein Domizil betrat, dachte er wieder einmal an die Worte des Kollegen Karl, die er nach seinem Einzug vor einem Jahr geäußert hatte: Die Wohnung sei für einen Junggesellen viel zu groß. Damit hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen. Was wollte er allein mit vier großen Räumen?

Im Wohnzimmer, das mit den ererbten Antiquitäten, wuchtigen Sofas und Sesseln ein wenig düster wirkte, hielt er sich selten auf. Im Essbereich, den er hell und modern eingerichtet hatte, nur dann, wenn er Freunde bekochte. Am liebsten saß er in seiner Bibliothek. Entweder am Schreibtisch, mit Blick auf die Bäume des gegenüberliegenden Friedhofs, oder in seinem bequemen Ledersessel, umgeben von den bis an die Decke reichenden Regalen mit Büchern. Hier hörte er Musik, sah fern oder las. Seine zuvor schon umfangreiche Büchersammlung war durch die seiner Eltern noch angewachsen – die französischen Romane und die Kunstbände seiner Mutter füllten allein schon mehrere Regale. Dazu kamen die deutschen und russischen Klassiker, die Literatur des 20. Jahrhunderts – es würde noch Jahre dauern, bis er sämtliche Werke gelesen hatte.

Eigentlich benötige er nur diesen Raum, hatte Kollege Karl gesagt. Dazu das Schlafzimmer und als leidenschaftlicher Koch natürlich die perfekt eingerichtete Küche.

Léon gab dem »schwangeren Bischof« – so hatte seine Mutter die antike Holzskulptur eines Kirchenfürsten aufgrund des vorgewölbten Bauches respektlos getauft – einen freundschaftlichen Klaps auf die Mitra. »Wir beide, alter Freund, sind die einzigen Bewohner dieses großzügigen Etablissements, in dem eigentlich eine Familie wohnen müsste.«

Aber die hatte er nicht. Weil er seine große Jugendliebe Virginie nicht vergessen konnte? Oder weil er überhaupt unfähig war, eine dauerhafte Beziehung einzugehen? So hatte es jedenfalls die letzte seiner wechselnden Freundinnen auf den Punkt gebracht und damit vermutlich Recht gehabt. Claire hatte es einmal ähnlich formuliert.

Claire! Irgendwann war ihm bewusst geworden, dass sie ihm mehr als nur freundschaftliche Gefühle entgegenbrachte. Sie war attraktiv, intelligent und liebenswert. Er mochte sie von Herzen gern. Aber zu mehr hatte es nicht gereicht. Außerdem hatte Claire geheiratet. Zweimal. Und nun war sie, das hatte Marie am Telefon erzählt, wieder geschieden. Sie hatte offensichtlich, ebenso wie er, kein Glück mit Partnern. Und Claude? Der war seit zwanzig Jahren mit seiner Louise verheiratet und beklagte sich inzwischen nur noch über ihre ständige Nörgelei.

Léon beschloss, seine Reisetasche zu packen. Claude hatte erzählt, dass Weiß die angesagte Farbe dieses Sommers sei. Die Frauen trügen bodenlange Volantröcke im Retro-Look. Und die Männer liefen in nur bis zur Wade reichenden Hosen herum. Wie albern musste das aussehen. Léon schüttelte den Kopf und griff zu seinen weit geschnittenen, überlangen Leinenhosen. Volantröcke für Frauen – das klang allerdings hübsch. Sicher trug Olivia solche. Vielleicht auch Claire? Es würde an ihr sicherlich schick aussehen. Sein Blick fiel auf das Aquarell, das sie ihm vor Jahren geschenkt und das er im Schlafzimmer aufgehängt hatte: Fischerboote in Saint-Tropez. Sie war eine gute Malerin. Verstand es wunderbar, eine Stimmung einzufangen.

Bild! Das Wort schoss ihm durch den Kopf. Wo hatte er das Geschenk für Marie? Vermutlich in der Bibliothek.

Es lag tatsächlich auf seinem Schreibtisch. Léon hatte im Album seiner Mutter eine alte Fotografie gefunden, sie bearbeiten und vergrößern lassen. Aus dem unscharfen kleinen Schwarzweißfoto war ein impressionistisch anmutendes Kunstwerk in Sepia entstanden, für das er einen fein ziselierten Silberrahmen gefunden hatte.

Marie liebte ausgefallene Bilderrahmen. Das Foto würde gut zu ihrer Sammlung auf dem Sekretär passen, denn bislang hatte er dieses dort nicht entdeckt. Marie, eine lachende junge Frau mit dichten roten Locken, lehnte sich an ihren Geliebten Jean Olivier. Seine Eltern standen neben ihnen, blickten allerdings nicht in die Kamera, sondern sahen einander verliebt in die Augen. Um sie herum gruppierten sich ihre gemeinsamen Freunde. Alle miteinander Mitglieder der Résistance und sein Vater war der einzige Deutsche unter ihnen gewesen. Die jungen Leute strahlten, ähnlich wie auf der Aufnahme von Maries Verlobung, Zuversicht und Unbekümmertheit aus, des baldigen Sieges gewiss. Ihr musikalisches Fanal sei »Das Lied der Partisanen« gewesen, hatte sein Vater ihm erzählt. Und dass dieses von der Exilrussin Anna Marly komponierte Chanson, die Erkennungsmelodie der Mitglieder der Résistance, meist gepfiffen wurde.

Léon ließ das Foto sinken und nahm ein anderes in die Hand. Er hatte es vor wenigen Jahren von seinen Eltern aufgenommen. Vor dem Geburtshaus seiner Mutter in Ramatuelle, dem Sarazenendorf oberhalb von Saint-Tropez, in dem er so viele unbeschwerte Ferienwochen verbracht hatte. Wie die Aufnahmen sich doch glichen! Charlotte und Antoine schauten einander so verliebt an, als sei der Rest der Welt für sie nicht existent. Eine außergewöhnliche Liebe war es gewesen. Vor zwei Jahren hatte er beide Elternteile durch einen Autounfall verloren. Doch er tröstete sich stets damit, dass wohl weder sein Vater noch seine Mutter – hätte einer von ihnen überlebt – den Verlust des anderen je hätte verkraften können. So wie er selbst den von Virginie seit zwanzig Jahren nicht.

Léon stellte die Aufnahme zurück, wickelte Maries Geschenk ein und legte es zuoberst in seine Reisetasche. Jetzt konnte er sich einen Rotwein gönnen. Der sei, so hatte sein Vater gern gesagt, einer der besten Gaben für alte (aber auch junge!) Knaben, und er hatte seinen Sohn das Genießen edler Tropfen frühzeitig gelehrt. Dabei war er Advokat und seine Mutter die Tochter eines Winzers gewesen – die sich allerdings wenig aus Rotwein gemacht hatte.

Auf dem Weg zur Küche verhielt er einen Augenblick lang vor dem Spiegel in der Diele. Charlotte hatte ihn vor vielen Jahren im Pariser Auktionshaus Drouot ersteigert. Das blinde, leicht fleckige Glas verzerrte das Spiegelbild des Betrachters dergestalt, dass er erheblich schmaler wirkte, und das hatte seiner im Lauf der Jahre üppiger gewordenen Mutter gefallen. »Nichts ist doch schöner als eine kleine Illusion«, kommentierte sie gern ihr Ebenbild.

Léon lächelte. Der Spiegel warf ihm ein schiefes Grinsen im fast ausgemergelten Gesicht zurück. Was seiner Mutter entgegenkam, stand ihm persönlich nicht. Statt dem – so behauptete Claude gelegentlich neidvoll – strahlenden Charmebolzen, der nicht mit Pfunden zu kämpfen, kaum graue Haare und nur wenige Falten hatte, glich sein Abbild eher einem ausgehungerten Möchtegernliteraten. Zu seinen Träumen, den Kriminaldienst zu quittieren, nach Ramatuelle zu ziehen und sich seiner geheimen Neigung, der Schriftstellerei, zu widmen, passte es in jedem Fall.

Eine schöne Illusion! Seine Pension würde gleich null ausfallen, wenn er jetzt ginge. Und sein Erbe konnte ihm nur für kurze Zeit ein sorgenfreies Leben garantieren. Er hatte einige Kurzgeschichten geschrieben, in denen ein skurriler Detektiv à la Hercule Poirot die Hauptrolle spielte. Dem Kollegen Karl hatten sie ausnehmend gut gefallen. Aber das hieß nichts. Er war keine Agatha Christie. Eher ein leidlich guter Polizist, ein Gourmet und – so würden es wohl manche aufgrund seiner wechselnden Beziehungen nennen – ein homme à femmes oder einen Liebhaber der Frauen. Er sollte sich besser mit der Rolle eines Hobbyautors begnügen und sich erst nach seiner Pensionierung seiner Passion widmen. So mancher Schriftsteller hatte erst in späten Jahren ...

Léons Blick fiel auf den Bischof. Der schien ihn, jedenfalls aus dieser Perspektive, mit einem mitleidigen Lächeln zu bedenken.

»Ist schon in Ordnung, alter Junge. Ich bin urlaubsreif und mache mit sechsundvierzig Jahren vermutlich eine Midlife-Crisis durch.«

Ob es Frauen ähnlich erging? Vermutlich, auch sie wurden älter. Claire war nur ein Jahr jünger als er. Kannte sie ähnliche Verunsicherungen? Er würde sie fragen und ihr vielleicht von seinen Träumen erzählen. Sie war Künstlerin und würde ihn sicher verstehen.

Léon verspürte plötzlich ein heftiges Hungergefühl, aber sein Kühlschrank war leer. Er würde jetzt keinen Wein trinken, sondern zu seinem Freund Georgios ins Wotrys gehen. Von ihm hatte er sich ohnehin für die nächsten Wochen noch verabschieden wollen. Seit der liebenswerte Grieche einen französischen Koch engagiert hatte, ging er gern und häufiger dorthin, zumal sich das Lokal überdies nur wenige hundert Meter von seiner Wohnung entfernt befand. Eine Dorade, so überlegte er, während er durch den Nieselregen ging, wäre nicht schlecht.

Zwei Stunden später begab Léon sich auf den Heimweg. Georgios hatte ihm Loup de mer empfohlen. Dazu einen Ino Rosé. Léon hatte die Mahlzeit genossen, mit dem Wirt und seinem Koch geplaudert, der ihn um die bevorstehende Reise beneidete. Irgendwann würde er nach Frankreich zurückkehren und ein Lokal aufmachen, hatte er mit Nachdruck erklärt.

Wenn du schon nicht mehr Polizist sein willst, dachte Léon auf seinem Weg nach Hause, solltest du dich vielleicht auch eher der Kreation von Gerichten denn der von Geschichten widmen.

Es hatte aufgehört zu regnen. Léon nahm den Weg über den alten Friedhof, auf dessen begrenztem Gelände schon seit Jahrzehnten niemand mehr beerdigt wurde. Mit seinen verwitterten Grabsteinen und der besonders in der Dunkelheit verwunschen anmutenden Vegetation war er ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Nur Jogger und Obdachlose, die sich hier gern zum Schlafen niederlegten, störten den Frieden. Heute Abend waren allerdings weder die einen noch die anderen zu sehen. Kein Wunder, bei dem Wetter. Er schien ganz allein unterwegs zu sein. Nein – hinter dem Gebüsch, an dem er soeben vorbeikam, regte sich etwas. Er hielt inne und sah sich unvermittelt einer zutiefst erschrockenen Frau gegenüberstehen, die einen Spaten in ihren Händen hielt.

»Verraten Sie mich nicht! Bitte, Herr Kommissar.«

Woher wusste sie, wer er war?

»Was sollte ich denn verraten? Haben Sie hier Rauschgift vergraben oder wollten Sie gerade ein Mordopfer verschwinden lassen?«

Die Frau überhörte den ironischen Tonfall und brach in Tränen aus. »Was Sie nur denken! Es ist mein Molli, mein geliebter Kater. Achtzehn Jahre alt ist er geworden, dann wurde er plötzlich krank ...«

Léon hatte als Kind selbst eine Katze gehabt. Er erinnerte sich an seinen Kummer, als Sissi eines Tages einfach abgehauen war.

»Das ist doch, soweit ich weiß, ein sehr würdiges Alter für eine Hauskatze«, sagte er.

»Mir ist klar, dass es verboten ist, hier ein Tier zu beerdigen. Aber Molli einfach auf einem Müllhaufen landen zu lassen – nein. Den Gedanken hätte ich nicht ertragen. Und wen stört er denn hier?«

Ja, wen störte er? Niemanden. Dennoch war es verboten.

»Mein Problem ist die harte Erde«, fuhr die Frau fort. »Ich schaffe es einfach nicht, ein Loch zu graben.«

Léon betrachtete den Platz, den sie sich ausgesucht hatte, und inspizierte die Umgebung. »Hier drüben scheint der Boden etwas lockerer zu sein«, stellte er fest. »Versuchen wir es mal.«

Die Frau starrte ihn fassungslos an. »Ja ... also ...! Sie wollen mir etwa helfen?«

Léon wusste selbst nicht, was in ihn gefahren war. Er war im Begriff, einer Gesetzesbrecherin zur Seite zu stehen.

»Scheint so«, erwiderte er und griff nach dem Spaten. Es gelang ihm, eine ausreichend tiefe Grube auszuheben.

»Woher kennen Sie mich überhaupt?«, wollte er wissen.

»Vom Bäcker, dem Preininger«, sagte sie. »Und in der Zeitung habe ich Sie auch schon mal gesehen. Als Sie den dreisten Bankräuber geschnappt haben.«

»Hm. Wo ist jetzt Ihr Kater?«

Die Frau eilte zum Gebüsch zurück und kehrte mit einem großen Karton wieder.

»So groß kann Molli doch gar nicht gewesen sein, um einen solchen Riesensarg zu benötigen.« Léon schüttelte den Kopf. »Nein, Sie müssen den Kater da herausnehmen.

Die Frau seufzte tief und öffnete den Karton. Eingewickelt in einen Seidenschal, ruhte Molli inmitten von zerfransten Stoffmäusen, Bällen und Futter.

Léon unterdrückte ein Lachen. »Wir legen ihn nur in dem schönen Tuch in die Erde«, sagte er dann ernst.

Sie betteten den Kater gemeinsam in seine Grube. Während Léon sie hastig zuschaufelte, sprach die Frau ein Gebet.

Anschließend verließen sie gemeinsam den Friedhof durch das Seitentor. Auf der Straße bedankte sie sich überschwänglich bei ihm.

»Niemals hätte ich gedacht, dass es so nette Polizisten wie Sie gibt. Und dass die einem auch noch bei unerlaubten Sachen helfen.«

»Darüber reden Sie bitte mit niemandem!«, sagte Léon eindringlich. »Sonst bekommen wir beide nämlich mächtigen Ärger.«

Die Frau hob die Hand wie zum Schwur. »Kann ich nicht irgendetwas für Sie tun?«, fragte sie. »Zum Dank.«

»Das wäre Beamtenbestechung«, erwiderte er lächelnd. »Tun Sie sich selbst einen Gefallen und besorgen Sie sich bald einen Nachfolger für Molli.«

»Aber Herr Kommissar!« Sie klopfte heftig mit dem Spaten aufs Pflaster. »Man kann doch einen geliebten Toten nicht so einfach ersetzen!«

Warum sollte die Trauer um ein Tier geringer sein als die um einen Menschen?, dachte Léon, während er die Treppe zu seiner Wohnung hinaufstieg. Ich alter Narr habe mich seit zwanzig Jahren jedenfalls nicht anders verhalten als Mollis Frauchen.

Kaum hatte er die Tür aufgeschlossen, begann das Telefon zu läuten. Léon entledigte sich seines Mantels mit einem Ruck und warf ihn achtlos hinter sich. Wer rief ihn jetzt noch an?

Er nahm ab und vernahm Olivias Stimme. Was hatte Maries Enkelin auf dem Herzen?

»Oh, du bist ja noch zu Hause, Léon. Wann wirst du eintreffen? Es ist doch nichts dazwischengekommen?«

»Hallo, Olivia, natürlich nicht. Aber ich sagte zu Marie, dass ich erst morgen losfahre. Vielleicht übernachte ich unterwegs. Ich weiß es noch nicht.«

Olivia seufzte. »Ach, ich bringe im Augenblick wohl alles durcheinander. Die Vorbereitungen für Maries Fest, weißt du, da ist so viel zu planen. Und ich bin erst seit ein paar Tagen in Saint-Tropez, weil ich an einem Ferienseminar teilgenommen habe.«

»Worum ging’s denn?«

»Wie man Schriftsteller wird! Ich möchte unbedingt schreiben.«

Léon fiel keine Antwort ein. Olivia studierte Literatur in Aix-en-Provence. Es war ihm neu, dass sie ähnliche Neigungen hegte wie er selbst. Aber das war in ihrem Fall letztlich weniger abwegig als in seinem.

Sie würde ihrer Großmutter gern eine Kurzgeschichte zum Geburtstag schenken, fuhr Olivia fort. Wenn ihr denn etwas Passendes einfiele. Vielleicht eine Story, die während der Résistance spielte.

Ob Marie das gefallen würde?, dachte Léon, verkniff sich jedoch jeglichen Kommentar.

»Aber zunächst hat Maries Fest oberste Priorität.« Olivia geriet in Fahrt. »Es soll auf dem Dorfplatz von Ramatuelle stattfinden. Die Feuerwehr wird ein Ständchen bringen, der Bürgermeister eine Ansprache halten und ein Orchester Musette-Musik spielen. Das Büfett richtet Anne vom Café de l’Ormeau aus und ... du hilfst uns doch Léon?«

»Ja, natürlich, aber ...«

Er wandte ein, dass Marie sich nicht gern großartig feiern ließe, aber Léon kam kaum dazu, weitere Bedenken zu äußern. Olivia unterbrach ihn, begann damit, ihm das von ihr geplante einmalige Fest in leuchtenden Farben zu schildern. Sie wollte Einwände einfach nicht gelten lassen.

»Wir können darüber reden, wenn ich in Saint-Tropez bin.« Er stoppte schließlich ihren Redefluss. »Ich bin müde, Olivia, und will früh aufbrechen. Ich melde mich, wenn ich angekommen bin. Umarme Marie für mich.«

Léon legte auf und beschloss, sich noch einen Schlaftrunk zu gönnen. Als er in die Küche ging, fiel sein Blick auf den von seinem Regenmantel verhüllten Bischof.

»Pardon, Eminenz. Wie unachtsam von mir.« Er befreite die Skulptur von der unangemessenen Verkleidung. Dabei erinnerte er sich an ein Gespräch zwischen seiner Mutter und Marie. Charlotte hatte gesagt, dass sie den Würdenträger am liebsten in dem Augenblick verhüllt hätte, als Antoine ihn voller Stolz nach Hause gebracht habe. Und beide hatten sich angesichts der Tatsache, dass die vermeintliche Renaissanceskulptur sich als eine teuer bezahlte Kopie aus dem 19. Jahrhundert herausgestellt hatte, königlich amüsiert.

»Sag’s Antoine nie, lass ihm seine Freude an dem Fundstück«, meinte Marie damals.

Léon hängte den Regenmantel an die Garderobe. In den nächsten Wochen würde er ihn nicht brauchen. Er goss sich ein Glas Rotwein ein und setzte sich damit in die Bibliothek.

Marie! Mit einem gewissen Unbehagen überdachte er Olivias Festplanung. Er glaubte nicht, dass ihrer Großmutter der Rummel um ihre Person gefallen würde. Und er hatte auch nicht begriffen, warum das Ganze nicht in Saint-Tropez stattfinden konnte.

Die Feier müsse in Ramatuelle sein, hatte Olivia beharrt. Weil Marie dann nichts davon mitbekäme. Es solle schließlich eine Überraschung werden. Außerdem sei die Place de l’Ormeau in Ramatuelle wunderbar romantisch. Zudem sei es eine Jugenderinnerung. Marie wäre schließlich als junges Mädchen so gern zu den Dorffesten gegangen. Als das gefräßige Monster Krieg – sie hatte eine dramatische Pause eingelegt – Südfrankreich noch nicht zu verschlingen drohte.

Léon musste lachen. Ob die Formulierung etwa aus ihrem Schriftsteller-Ferienkurs stammte? Vielleicht war es in ihm thematisch um diese Zeit gegangen. Das würde ihre Idee, eine entsprechende Geschichte zu schreiben, erklären.

Was Claire denn von alledem hielte, hatte er noch gefragt und zur Antwort bekommen, dass sie sich bislang gar nicht mit ihr darüber unterhalten habe.

Léon war überzeugt, dass Claire dieselben Bedenken äußern würde wie er. Aber es war schwer, Olivia etwas auszureden, wenn sie sich in eine Idee verbissen hatte. Darin glich sie Virginie. Und überhaupt: Wer würde das eigentlich alles bezahlen?

Vermutlich hatte Olivia Geld erhalten. Mit dem Hinweis, dass ihre Großmutter eine Heldin in der Résistance gewesen sei. Mitglied der berühmten Brigade des Maures und Verlobte des tragisch umgekommenen und unvergessenen Jean Olivier La Fontaine.

Aber was hieß Heldin? Waren die Freunde von Marie nicht genauso tapfer gewesen? Alle hatten zur Brigade gehört und ihr Leben riskiert. Für ihn persönlich war Marie eher heroisch im Hinblick auf die Tatsache, wie sie ihr Leben gemeistert hatte. Wie sie den Verlust geliebter Menschen ertragen hatte, ohne daran zu zerbrechen oder zu verbittern. Er bewunderte sie dafür, ebenso für ihre Klugheit und Herzensbildung. Marie nur eine starke Frau zu nennen, würde nicht ausreichen. Nein, sie war einfach außergewöhnlich.

Kapitel 3

SAINT-TROPEZ | August 2005

Marie wunderte sich, dass die Terrassentür offen stand. War Olivia etwa schon aufgestanden? Es war gerade einmal neun Uhr. Sonst blieb ihre Enkelin im Bett, bis sie sie zum Frühstück weckte.

»Guten Morgen.« Olivia tauchte hinter den Rosensträuchern auf und hielt einen Strauß in der Hand.

»Für Léon. Ich dachte, ich stelle ihm die Blumen zum Empfang ins Haus. Er kommt heute Abend oder morgen, sollte er unterwegs übernachten.«

»Das wird er doch hoffentlich tun. Irgendwo im Burgund ein hübsches Hotel nehmen. Das taten Charlotte und Antoine immer, wenn sie anreisten.«

»Marie! Er fährt durch die Schweiz. Das ist der viel kürzere Weg. Seit langer Zeit gibt es doch die Autobahn zwischen Genf und Lyon.«

Marie lachte. »Das vergesse ich immer wieder. Ich werde, nein, ich bin eben einfach alt.«

Olivia umarmte ihre Großmutter stürmisch. »Nein, das bist du nicht. Zeig mir mal jemanden, der mit fast achtzig so fit ist wie du! Und derart verdammt gut aussieht. Ein paar kleine Falten, mehr nicht. Und weiße Haare musst du mit der Lupe suchen. Selbst deine Figur ist so, als würdest du noch heute ständig auf dem Fahrrad zwischen Saint-Tropez und Ramatuelle hin- und herradeln. Ich hoffe, dass du mir nicht nur deine roten Haare, sondern auch den Rest deiner Gene vererbt hast. Meine Mutter jedenfalls sieht im Vergleich zu dir regelrecht zerknittert aus. Und dabei ist sie gerade mal sechzig.«

»Olivia! Es ist nett, wenn du mir Komplimente machst. Aber doch nicht auf Kosten deiner Mutter. Außerdem ...«

Das Läuten des Telefons unterbrach sie. Marie wandte sich ab und eilte ins Haus.

Wenn ich aber Recht habe!, dachte Olivia und hatte gleichzeitig ein schlechtes Gewissen. Warum war sie ihrer Mutter gegenüber nur so kritisch? Und das betraf nicht nur ihr Äußeres. Weil sie, wenn sie ehrlich war, Jeanne niemals so geliebt hatte wie ihre Großmutter?

Sicher, das war ungerecht, aber nicht zu ändern. Olivia seufzte und ging in die Küche, um die Rosen in eine Vase zu stellen.

»Wenn man gerade vom Teufel spricht ...«

»Wer war es denn? Meine Mutter?«

Marie nickte und begann damit, Orangen auszupressen. »Jeanne wird morgen Abend auch zu unserem Empfangsessen für Léon da sein. Sie verbringt das Wochenende bei einer Freundin in Sainte-Maxime und hatte die spontane Idee, hier vorbeizuschauen.«

Olivia arrangierte die Rosen und schwieg.

»Mutter erscheint doch sonst nie spontan«, sagte sie schließlich gedehnt. »Das widerstrebt ihrem Hang zu exakter Planung.«

»Olivia!« Maries Stimme hatte einen warnenden Unterton. »Es wird ein schöner Abend werden«, sagte sie danach eher zu sich selbst denn zu ihrer Enkelin, wobei Olivia fand, dass es sich wie eine Beschwörung anhörte.

»Léon wird sich sicher freuen, Jeanne nach langer Zeit wiederzusehen«, fuhr Marie fort.

Warum sollte er? Es war Olivia neu, dass Léon sich jemals besonders für Jeanne interessiert hätte. Vermutlich kam sie überhaupt nur, um sich in die Planung für das Fest einzumischen. Sie war ja stets der Ansicht, dass keiner außer ihr richtig organisieren könne. In Gegenwart von Marie würde das Thema zum Glück nicht besprochen werden. Und wenn ihre Mutter nur einen Abend blieb, konnte sie nicht viel ausrichten. Es sei denn, sie würde sich für einen längeren Aufenthalt entscheiden. Nein, ausgeschlossen. Papa brauchte sie in der Apotheke.

Maries Gedanken glichen denen ihrer Enkelin. Spontaneität gehörte nicht zu den Eigenschaften ihrer Tochter. Hatte es nie getan. Und wenn Jeanne vorbeikam, dann nach wochenlanger Ankündigung und fast nur in Begleitung ihres Mannes. Als Olivia noch klein gewesen war, hatten Familienbesuche häufiger stattgefunden. Irgendwann aber hatte die Enkelin die Ferien dann allein bei ihr verbringen wollen, und Jeanne war eifersüchtig und beleidigt gewesen. Sie hatte ihr sogar bittere Vorwürfe gemacht.

»Du hast deine Bluse mit Orangensaft bespritzt.« Olivia platzte in ihre Gedanken hinein.

Marie sah an sich herunter. »Man sollte eben ohne Schürze nicht einmal ein Frühstück zubereiten. Ich ziehe mir schnell eine andere an. Machst du bitte inzwischen Kaffee?«

Sie ging in ihr Schlafzimmer und wählte eine lindgrüne Leinenbluse. Während sie sie zuknöpfte, schossen ihr Jean Oliviers Worte durch den Kopf: »Du solltest immer grün tragen, Marie. Das passt zu deinen Augen.« Und so hatte sie das einzige grüne Leinenkleid, das sie damals besessen hatte, ständig gewaschen, um ihm eine Freude zu machen. Sie betrachtete sich im Spiegel und fuhr sich durch ihr seit langem kurz geschnittenes, immer noch dichtes Haar. Es war tatsächlich nicht weiß geworden. Nur sehr viel heller. Wie Karotten mit Milch, dachte sie spöttisch. Und die Falten? Marie verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse. Liebe Olivia! Es sind nicht ein paar – es sind tausende von kleinen Fältchen!

Sie solle froh sein, so sagte ihre alte Freundin Lisette, die in Nizza lebte, dass sie keine Hängebacken und tiefe Furchen habe. Und dann pflegte Lisette über ihr eigenes Altfrauengesicht zu jammern. Und die geschwollenen Beine, das Asthma ... Das Alter an sich wäre ja noch in Ordnung, wenn es einem denn nicht so viel Scherereien bereiten würde, stöhnte sie stets.

Nun, dachte Marie, was die »Scherereien« betraf, ging es ihr persönlich jedenfalls gut. Sie konnte dankbar sein. Und das, obwohl sie eigentlich niemals Medikamente nahm. Eine Überzeugung, die sie mit einigen ihr bekannten Ärzten teilte. Als hätten sie alle gegen das Zeug, das sie ihren Patienten verschrieben, insgeheim eine Abneigung.

Als sie die Terrasse betrat, hatte Olivia es sich schon am Frühstückstisch bequem gemacht.

»Es ist so herrlich, hier zu sitzen, Marie. Deine Rosen werden von Jahr zu Jahr schöner. Ich habe überhaupt keine Lust, im Herbst wieder in mein Zimmer nach Aix zurückzukehren.«

»Irgendwann sind Ferien leider immer vorbei«, erwiderte Marie. »Aber ich vermute, dass du vielleicht auch ein wenig Angst vor dem letzten Semester hast. Und den Abschlussprüfungen im Frühjahr.«

Olivia rührte mit dem Löffel in ihrem Kaffee herum. »Nicht wirklich«, sagte sie. »Vielmehr davor, was ich danach eigentlich machen will. Ich hätte vielleicht doch bei der Medizin bleiben sollen.«

»Olivia, das Medizinstudium hat dir nicht gelegen. Und Pharmazie wäre es auch nicht gewesen. Schon deshalb, weil dein Vater es sich so dringend wünschte, dass du einmal seine Apotheke übernimmst. Die Literatur hingegen war schon immer deine Leidenschaft – es war richtig, dass du gewechselt hast. Du hast doch stets davon gesprochen, einmal an der Universität arbeiten zu wollen. Ist dieser Wunsch denn vorbei? Du bist jetzt dreiundzwanzig und kannst nicht noch einmal ein Studium anfangen.«

Marie bedachte ihre Enkelin mit einem eindringlichen Blick. Sie war so begeisterungsfähig, so überschwänglich – und voller Ziele. Nur änderten sich diese oftmals über Nacht. Olivia erinnerte sie häufig an Virginie. Nicht nur der äußeren Erscheinung wegen, die sie beiden vererbt hatte. Auch Virginie war sprunghaft gewesen. Hatte heute dies und morgen jenes gewollt. Und dennoch hatte sie ihr Medizinstudium beendet und ihre und Juliens Praxis übernehmen wollen. Léon hatte damals erklärt, dass er vom deutschen in den französischen Polizeidienst wechseln wolle. Irgendwie, hatte er behauptet, würde er das schon schaffen. Aber dann ...

»Marie, wenn ich das Examen habe, möchte ich nicht an der Uni bleiben. Eigentlich will ich ... Also das ist mein Traum ... Ich möchte Schriftstellerin werden. Romane schreiben. Deshalb habe ich das Ferienseminar belegt.«

Marie lächelte in der ihr eigenen, spöttischen Art.

»Nun, welch hochtrabende Pläne. Dir ist hoffentlich klar, dass der Weg zum Ruhm sehr steinig ist. Wenn er sich denn überhaupt je einstellt. Eine Anstellung an der Universität böte dir Sicherheit. Schreiben könntest du nebenher.«

»In den Semesterferien? Ach, da hat man doch gar keinen Nerv mehr. Außerdem will Papa seine Apotheke verkaufen. Schließlich ist er jetzt fünfundsechzig. Sicher bekommt er dafür sehr viel Geld – immerhin liegt sie in der besten Lage von Aix. Und irgendwann werde ich erben. Wie Léon. Der könnte seinen Polizeidienst doch inzwischen längst an den Nagel hängen und sich ein schönes Leben machen.«

Olivia sah ihre Großmutter herausfordernd an, aber deren Reaktion entsprach nicht ihrer Erwartung.

»Hör mal zu, mein Kind. Léon hat seine Eltern bei einem Autounfall verloren. Ich hoffe nicht, dass du nun auf ein baldiges Ableben deiner Eltern spekulierst, um ...«

Olivia schluckte. »So habe ich das nicht gemeint. Wirklich nicht. Es war sehr dumm, das zu sagen. Aber manchmal denke ich einfach daran, wie angenehm es wäre, einfach so viel Geld zu haben, um sich seine Träume zu erfüllen. Bücher schreiben, zum Beispiel, ohne sich Gedanken machen zu müssen, ob man davon leben kann.«

»Nun, du bist in Saint-Tropez. Es wimmelt hier von reichen Männern, und du bist ein außergewöhnlich hübsches Mädchen. Angle dir einen von ihnen.«

Die beißende Ironie in der Stimme ihrer Großmutter irritierte Olivia. Warum wollte Marie sie nicht verstehen? Sie kannte sie schließlich gut genug, um zu wissen, dass sie niemals ... Wie konnte ausgerechnet sie, ihre kluge, verständnisvolle Großmutter, auf derartige Gedanken verfallen? Es war einfach unfair. Marie wollte sie mit diesen Bemerkungen vermutlich nur dazu zwingen, weitere endlose Jahre an der Uni zu verbringen, um sich irgendwann – längst wäre sie schon versauert – eine Professur zu sichern!

»Du bist ungerecht«, sagte Olivia aufgebracht. »Und das weißt du. Ich habe mich noch nie mit den Typen abgegeben, die hierher reisen, um sich auf ihren Yachten beglotzen zu lassen oder den dummen Zicken am Niki-Beach Champagner auf den Leib zu spritzen. Niemals. Auch in die Nightclubs gehe ich höchst selten. Aber ich könnte ja deinem guten Rat folgen und morgen damit anfangen!«

Marie verkniff sich ein Lachen. »Ich habe dich provoziert, Olivia. Ich weiß sehr gut, wer du bist – und wer nicht. Aber dann rede bitte nicht so einen Unsinn daher. Und wenn du schon davon träumst, eine Schriftstellerin zu werden, dann fang doch einfach mit dem Schreiben an. Ich bin gespannt.«

Das darfst du!, dachte Olivia. Du wirst es bald sehen. »Werde ich machen«, sagte sie laut und begann, den Tisch abzuräumen.

Es schnitt Marie jedes Mal ins Herz, wenn sie gezwungen war, ihrer geliebten Enkelin den Kopf zurechtzusetzen. Nur, das wusste sie seit langem, sie war die Einzige, auf die Olivia hörte. Das Verhältnis zwischen Jeanne und ihr war ähnlich distanziert, wie es ihr eigenes zur älteren Tochter auch stets gewesen war. Wie oft schon hatte sie die Schuld daran bei sich selbst gesucht – und ihr Verhalten ändern wollen. Es war ihr niemals wirklich gelungen. Wenigstens verstanden Jeanne und ihr Mann Roger einander in jeder Hinsicht. Beide waren sich in ihrer von Konventionen und Moral geprägten Lebenseinstellung ähnlich und folglich verbunden. Es hatte – soweit Marie es beurteilen konnte – niemals ernsthafte Probleme in ihrer Ehe gegeben. Abgesehen von gelegentlichen Auseinandersetzungen Olivias wegen, weil ihr Vater seiner Tochter mit mehr Nachsicht begegnet war als Jeanne. Die hatte schon als Kind jedem erzählen wollen, wo es lang ging, und vermutlich deshalb niemals Freunde gehabt. Obwohl sie stets verlässlich gewesen war – eine notwendige Voraussetzung für Freundschaften. Aber Jeanne war auch ernsthaft, verschlossen und ohne ... ja, ohne Heiterkeit und besonderen Charme. Niemals hatte sie Flausen im Kopf gehabt, war eine disziplinierte Schülerin und Studentin gewesen, die den ersten Mann, mit dem sie ausging, geheiratet hatte. Dank Roger war sie ein bisschen weicher geworden. Wenn auch nicht äußerlich. Blond, groß und fast hager – so war sie geblieben. Doch das genau hatte dem etwas korpulenten Roger wohl gefallen. Er nannte sie stets »meine Wikingerin, meine tüchtige, energische Frau«.