Marisol und Nando - Carola Käpernick - E-Book

Marisol und Nando E-Book

Carola Käpernick

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Beschreibung

Die Assistenzärztin und der Projektleiter lernen sich kennen, als Nando Marisol aus dem Bächle fischt. Sie freunden sich an und wollen mehr. Doch es ist kompliziert. Eine Legende besagt, dass der, der in Freiburg unbeabsichtigt ins Bächle tritt oder fällt, einen Freiburger heiratet. Ob sie die Legende bestätigen? Marisol und Nando, eine Freiburger Bächleromanze die in der Gegenwart spielt. Der Auftakt zur Reihe Bächleromanzen. Freiburger Lieben in verschiedenen zeitlichen Epochen vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Die nächste Bächleromanze mit Minna und Theodor spielt zu Beginn des 19. Jahrhunderts (erscheint im Frühjahr 2021).

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Seitenzahl: 166

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Bächleromanze

Marisol & Nando

CarolaKäpernick

Impressum

Texte: Carola Käpernick

Umschlaggestaltung: Carola Käpernick

Korrektur: C. C. Brüchert

Bildquelle Pixabay

Verlag: Selbstverlag über Epubli

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin wiedergegeben werden.

Sämtliche Orte, Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten oder Namensgleichheit mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Über den Umgang mit EBooks

Mit dem Kauf wird ausschließlich das Leserecht des EBooks erworben. Eine Weitergabe der Datei ist illegal und mit dem Kopieren von Musik oder Filmen gleichzusetzen und kann unter dem Tatbestand des Diebstahls geistigen Eigentums zur Anzeige gebracht werden. Ich investiere viel Zeit und Herzblut in meine Texte und freue mich, wenn meine Leser dies wertschätzen und die EBooks nicht illegal weitergeben.

Glück ist Liebe, nichts anderes. Wer lieben kann, ist glücklich.

Hermann Hesse

Marisol

Marisol schlendert quer über den Platz am Bertoldsbrunnen. Die Innenstadt von Freiburg war voll wie immer und sie kommt nur langsam voran. Aber sie hat es auch gar nicht eilig. Schaut den Familien zu, wie sie versuchen, die Kinder davon zu überzeugen, dass sie zu Hause doch schon mindestens fünf Holzboote haben, die sie beim nächsten Mal auch alle mitbringen, um sie in die Bächle zu setzen. Die freundliche Verkäuferin am Stand des Reha-Vereins lacht und sagt zur Mutter: „Ach, eins geht noch. Habt ihr denn schon ein Rotes?“ Die Kinder rufen „Nein!“, während die Mutter nickt und sich ergibt. Sie bezahlt und bevor sie den Kindern das Freiburger Bächleboot gibt, besteht sie darauf, dass es keinen Streit um das Boot geben darf. Die Geschwister würden vermutlich alles versprechen und nicken lammfromm, reißen der Mutter dann enthusiastisch das Holzboot aus der Hand und stürmen in die Salzstraße hinein.

Die Assistenzärztin in der Facharztausbildung ist so vertieft in dieser Szene, dass sie nicht bemerkt, wie hinter ihr eine etwa Zehnjährige mit einem Labrador vorbei möchte und ihr dabei die Hundeleine in Höhe der Kniekehle die Beine wegzieht. Ein „Autsch“ und ein „Platsch“ und Marisol liegt in dem kleinen Wassergraben, der als Freiburger Wahrzeichen gilt. Ehe sie das Mädchen rufen kann, ist die mit ihrem Hund schon weiter und hat das vermutlich gar nicht bemerkt. Von hinten tritt ein junger Mann an Marisol heran und fragt, ob sie sich wehgetan hat. Dabei hat er den charmanten Freiburger Slang, in den sich Mari sofort verliebt hatte und der letztendlich auch ein Entscheidungskriterium war, hierher zu gehen. Sie lächelte den Mann an und versuchte aus dem Wassergraben aufzustehen. Er reichte ihr die Hand und zog sie hoch.

„Du weischt, dass du jetzt verwunsche bischt?“

„Verwunschen?“

„Ja. Es gibt eine Legende, die sagt, dass jeder, der ins Freiburger Bächle fällt, einen Freiburger heiratet. Einige meinen, in Freiburg heiraten, reicht auch aus.“ Nando hatte gemerkt, dass sein Gegenüber keinen Dialekt sprach und wechselte ins Hochdeutsche.

„Na dann kann ich mir ja noch überlegen, für welche Option ich mich entscheide.“

Marisol stand zwar wieder, von ihrem Sommerkleid tropfte aber das Wasser nur so herunter und sie versuchte, es notdürftig auszuwringen. Eigentlich fand sie es ganz erfrischend, in dem nassen Kleid, sie befürchtete nur, dass das Kleid jetzt von seiner Blickdichtigkeit eingebüßt hatte. Und sie wusste, dass sie Gefahr lief, eine Blasenentzündung zu bekommen, wenn sie sich die nassen Klamotten nicht bald ausziehen würde.

„Nando! Und wer bist du?“

„Marisol, aber alle nennen mich Mari.“

„Schöner Name!“

„Danke. Auch wenn’s blöd klingt, aber das dachte ich bei deinem Namen auch.“

„Wieso sollte das denn blöd klingen?“

„Ach ich weiß auch nicht.“ Mari sah an sich hinunter. Ihre Straßenbahn in Richtung Zähringen fuhr gerade an ihr vorbei. Es würde also noch eine Weile dauern, bis die nächste käme.

„Soll ich dir meine Telefonnummer geben, falls noch was ist? Ich mein, ich hab ja gesehen, dass dich der Hund quasi umrasiert hat.“

„Ja, das wäre nett. Aber eigentlich ist ja nichts passiert. Das bissel Wasser.“

„Zauberwasser immerhin! Willkommen als angehende Freiburgerin.“

„Na, da wäre ich mir nicht so sicher. Ich bin nur vorübergehend hier.“

„Ach? Das ist aber schade. Gefällt es dir nicht?“

„Doch. Tolle Stadt, aber ich muss noch eine Weile studieren, bis ich richtig fertig bin und wer weiß, wo es mich da noch hin verschlägt.“

„Hast du Lust, dass wir uns noch irgendwo hinsetzen und was trinken? Ich würde mich freuen.“

„Gute Idee. Aber ich sollte mir was Trockenes anzuziehen besorgen. Auch wenn es ziemlich heiß ist, nasse Klamotten mag ich nicht so lange anhaben. Ich husche mal schnell hier in den Laden. Magst du warten?“

„Klar!“

Mari lief schnell in die Sportabteilung und griff einen schwarzen Bikini. Dazu nahm sie ein leichtes Strandkleid mit Kapuze. In Windeseile ging sie in die Umkleide, behielt alles gleich an und bezahlte. Nando war überrascht, wie schnell sie zurück war. Sie gingen Richtung Martinstor. In der Gartenstraße gab es entlang der Straße kleine Tische mit Stühlen und beim Kaffeehaus auch Loungemöbel. Sie suchten sich einen Platz und bestellten jeder ein Wasser mit Zitrone und ganz viel Eis.

Im Gespräch bemerkten sie gar nicht, wie schnell die Zeit vergangen war. Nando wollte alles über Marisol wissen. Und er wirkte aufrichtig interessiert, nicht einfach nur neugierig.

Marisol war mit Ende des Wintersemesters letztes Jahr in die beschauliche Universitätsstadt gekommen. Im Medizinstudium war sie bereits so weit, dass sie ihr praktisches Jahr absolvieren konnte. In der Universitätsklinik arbeitete sie auf einer HNO Station. Das gefiel ihr sehr gut. Sie durfte, gemessen an anderen in ihrer Position, schon ganz schön viel eigenverantwortlich machen. Das war der Vorteil bei so großen Häusern. Es gab immer viel zu tun und wenn man sich erst einmal bewährt hatte, wurde das mit einem Vertrauensvorschuss belohnt. Sie schloss dann nach dem Staatsexamen gleich die Assistenzarztzeit mit Fachausbildung an. Hier stand sie nun ziemlich am Anfang.

Sie hatte lange überlegt, sich ein WG-Zimmer zu suchen. Aber die unregelmäßigen Arbeitszeiten verlangten nach einem gewissen Schlafluxus, den es in einer Wohngemeinschaft einfach nicht gab. Als es dunkel wurde, glimmten überall Solarleuchten und die Bedienungen zündeten Windlichter an. Es sah romantisch aus, wie die in Reih und Glied am Rand der Bächle standen. Nando und Mari hatten jedes Zeitgefühl verloren. Es war, als würden sie sich schon ewig kennen. Erschrocken blickten sie auf die Uhr, als Jemand an den Tisch trat und meinte: „Ihr müsst jetzt zahlen. Wir schließen. Wenn ihr wollt, könnt ihr noch hier sitzen, bis wir drinnen fertig sind. Aber wenn wir die Möbel anketten, müsst ihr gehen.“

Das taten sie auch. Als dann die Ketten klirrten und Schlösser knackten, standen sie auf. Sie schlenderten vor auf die Ka-Jo, damit Mari ihre Straßenbahn nehmen konnte und nicht umsteigen musste. Telefonnummern hatten sie bereits getauscht. „Soll ich dich heimbringen?“ Nando war ganz Gentleman.

„Nicht nötig, ich brauche an der Reutebachgasse nur über die Straße. Danke aber, für die Nachfrage.“

Als die Türen der Straßenbahn sich hinter Marisol schlossen, legte sie von innen die Hand an die Scheibe und Nando seine von außen drauf. Mari lächelte noch, als sie an der Reutebachgasse ausstieg.

Nando

Nando verharrte noch an der Haltestelle. So ein zauberhafter Abend. Marisol war eine umwerfende Frau. Er rechnete ihr hoch an, dass sie keinen Aufstand wegen dem Hund gemacht hatte und das Mädchen einfach ziehen ließ. Das hätte nicht jede Frau gemacht. Wie schön, dass er sie angesprochen hatte. Sie verstanden sich super und haben den ganzen Abend gelacht. Wenn Nando sagen sollte, worüber, so könnte er es vermutlich nicht. Aber es war schön. Sehr schön sogar.

Er wohnte in der Wiehre und lief das Stück. Die Abendluft war lau, einige Obdachlose saßen noch zusammen, an den üblichen Orten. Nando kannte die meisten. Er brachte ihnen morgens Kaffee mit und bekam von einer Privatbäckerei immer ein paar Butterbrezeln zugesteckt, seit die Chefin mal gesehen hat, was er mit den vielen „Coffee to go Bechern“ machte, die er über die Ka-Jo jonglierte.

Als alteingesessener Freiburger liebte er seine Wohngegend. Die Wiehre war sehr speziell und von Altbauten geprägt. Seine Großeltern hatten eine Eigentumswohnung im Dachgeschoss eines vierstöckigen Hauses. Ohne Lift, versteht sich. Dafür mit einem zauberhaften Balkon und einen unverbauten Blick auf den angrenzenden Lorettoberg.

Als Nando mit einem Glas Wein auf seinem idyllischen Balkon saß, schrieb er Marisol eine WhatsApp.

„Sitze auf meinem Balkon und denk an dich. Hoffe, Du bist gut nach Hause gekommen.“

„Ja, danke. Es war ein superschöner Abend. Danke auch dafür! Schlaf nachher gut!“

Er musste grinsen, als er daran dachte, wie sie mit ihrem tropfnassen Kleid aus dem Bächle stieg. Die besagte Legende traf auf seine Familie seit Generationen zu. Seine Urgroßmutter war Freiburgerin, der Urgroßvater ist aus Hamburg hier herunter gekommen. Als Seemann konnte er nach einem schweren Beinbruch nicht mehr unterwegs sein, da ist er auf dem Rhein gefahren und Breisach gefiel ihm. Als er die hübsche Freiburgerin auf einem Winzerfest kennenlernte, hat es wohl direkt gefunkt. Sie trafen sich in Freiburg. Der Urgroßvater verlor das Gleichgewicht und trat in der Gerberau in ein Bächle. Das nahmen sie als gutes Omen und sie wurden ein Paar. Sie heirateten bald und blieben in dieser schönen Stadt. Sein Opa Helmfried wurde in Freiburg geboren und heiratete die Oma, die nach dem Krieg aus Westpreußen hierher kam. Auch er sammelte sie aus einem Bächle am Augustinerplatz und sie heirateten. Aus der Ehe stammte seine Mutter Margarethe, die sich den Mainzer Germanistikprofessor am Martinstor aus dem Bächle angelte, mit dem sie inzwischen in Südafrika lebte. Der Vater unterrichtete für das Goetheinstitut Deutsch und Nandos Mutter arbeitete mit verschiedenen Organisationen zusammen, die Studentenaustausche organisierten. Und nun saß er heute Abend hier und dachte an Marisol, die ihm an der Ecke Kaiser-Joseph Straße, Salzstraße ins Netz gegangen war.

Was für ein schöner Name. Nando googelte, was er bedeutete und fand die Bedeutung so schön wie den Namen selbst. Maria, kleine Sonne oder Maria und Sohn/ Maria und Jesus. Nando war nicht sonderlich christlich, daher entschied er für sich, dass Marisol seine kleine Sonne wäre.

Klinikalltag

„Frau Doktor Eberle, können Sie bitte mal nach dem Patienten in Zimmer drei schauen?“

„Das kann ich gerne, aber ich bin keine Frau Doktor!“ Schwester Hildegard war die einzige Mitarbeiterin auf der HNO Station, die Marisol siezte. Mit allen anderen war sie per Du. Der Schwester, die kurz vor der Rente stand und nach ihren eigenen Angaben, einen Inventaraufkleber auf dem Po hatte, auch das Du anzubieten, traute sich Marisol nicht. Doch sie wollte nicht mit einem Titel angesprochen werden, den sie noch nicht hatte, obwohl das eigentlich gang und gäbe war. Hildegard hatte ihr zwar mal erklärt, dass sie fand, dass es die Patienten nur beunruhige, wenn sie von einem Assistenzarzt behandelt wurden und sie deshalb auch die AiPler früher schon mit Doktor angesprochen hatte. Doch für Marisol fühlte sich das wie Hochstapelei an.

In Zimmer drei stöhnte der junge Mann, dem heute die Mandeln entfernt worden waren, auf. Er hatte Schmerzen. Mari war immer wieder fasziniert, wie sehr Erwachsene unter diesem recht harmlosen Eingriff litten, während Kleinkinder ihn wegsteckten, als wäre es nichts. Sie beruhigte den Patienten, drehte den Schmerzperfusor auf und rief eine Pflegekraft dazu.

„Sie haben geklingelt?“ Eine Schülerin im Examensjahr steckte ihren Lockenkopf durch die Tür. Als sie Marisol sah, trat sie ein und stellte die Klingel ab. „Hast du geläutet?“

„Ja. Ich hab den Perfusor schneller eingestellt. Meinst du, ihr könntet Herrn Müller helfen, dass er sich frisch machen und umziehen kann? Dann fühlt er sich bestimmt gleich viel besser.“

„Ich ruf mir Annina dazu. Herr Müller, ist das in Ordnung für sie?“

Der junge Mann nickte. Seine Gesichtshaut rötete sich. Wahrscheinlich war es ihm ein wenig unangenehm, von so vielen jungen Frauen umsorgt zu werden. Mari bedankte sich und ging ins Arztzimmer. Dort dokumentierte sie die Medikation und den Grundpflegevorschlag, zur Unterstützung der Heilung durch positive Wirkung auf die Psyche.

Ein Blick auf die Zeitanzeige des Computers sagte ihr, dass sie nur noch eine halbe Stunde Dienst hatte. Ihr taten alle Knochen weh und sie hatte ein dickes Hämatom quer über den Steiß. Da war sie vermutlich auf die Steinkante geprallt, als der Hund sie am Vortag umgeworfen hatte. Komisch, dass sie das erst heute früh bemerkt hatte. Sie fühlte sich wie eine Zeitreisende. Als der Wecker geklingelt hatte, war sie schlagartig einige Jahrzehnte gealtert, so schwer kam sie aus dem Bett in das sie am Vorabend beschwingt von dem Treffen mit Nando hineingeschlüpft war.

Ein Oberarzt hatte bemerkt, dass sie den ganzen Tag in Schonhaltung herumlief und nachgefragt. Er hatte angeboten, mal abzutasten und mit einer Salbe einzureiben. Doch Marisol hatte dankend abgelehnt. Bei den Temperaturen schwitzte sie so schon genug, wenn sie sich jetzt noch mit Salbe zukleistern ließ, würde sie sich fühlen, als wenn sie Monate keine Dusche gesehen hatte. Und Abzutasten gab es nichts. Wäre dort etwas Gravierendes, hätte sie stärkere Beschwerden.

Nandos erster Urlaubstag

Nando wachte ebenfalls etwas zerknittert auf. Er konnte im Sommer nur schlecht schlafen: Seine Dachgeschosswohnung war einfach zu heiß. Doch mit dem ersten Gedanken an Marisol, die kleine Sonne, waren Müdigkeit und Zerknirschtheit wie weggefegt. „Urlaub!“, kam es ihm in den Sinn. Es war schon Juni und ihm standen noch fast drei Wochen Urlaub aus dem letzten Jahr zu. Sein Chef Henk hatte ihn quasi gezwungen, den endlich zu nehmen. Eigentlich war das ja sogar nett, weil er arbeitsrechtlich gar nicht dazu verpflichtet war, den noch zu gewähren oder gar auszuzahlen. Denn dass sich Nandos Urlaub sammelte, lag nicht an zu viel Arbeit oder Krankenstand. Was sollte er mit Urlaub anfangen? Er reiste nicht so gerne allein und wenn, dann, nach Südafrika zu seinen Eltern. Das reichte ihm einmal im Jahr. Nun war er also zwangsbeurlaubt und dachte an Marisol. Er wusste, dass sie Frühdienst hatte und vermutlich kaum auf ihr Handy schauen würde. Trotzdem schrieb er eine WhatsApp:

„Guten Morgen! Komm gut durch den Tag!“ Fast hätte er auch noch gefragt, ob sie sich sehen sollten. Aber er traute sich nicht. Es kam auch bis mittags keine Antwort. Wahrscheinlich schaute sie tatsächlich im Dienst nicht auf ihr Handy oder es war sogar von Klinikseite aus verboten.

Eine ausgiebige Dusche weckte ihn vollends und er schaltete seine Kaffeemaschine ein. Gut, dass er Mick von der Clique am Holzmarkt Bescheid gegeben hatte, dass er im Urlaub war. Nicht, dass die Jungs und Mädel dort umsonst auf ihren Kaffee warteten.

Für Marisol hieß es Feierabend. Sie dachte sich, dass sie sich am besten von innen kühlte und setzte sich in ein Eiscafé auf dem Rathausplatz. Sie liebte es, hier zu sitzen und die Leute zu beobachten. Mit den paar Semestern Psychologie, die sie studiert hatte, konnte sie der Haltung entnehmen, wie die Menschen sich fühlten, die an ihr vorbei kamen. Also nicht im Detail, aber in etwa. Und wenn Jemand eilig über den Platz hastete, fragte sie sich, warum er wohl zu spät dran sei oder wo er so dringend hinmüsse.

Der gestrige Abend war lang und sie war froh, dass sie gestern keinen Alkohol getrunken hatte. Dann wäre sie heute sicher noch schlechter aus dem Bett gekommen. Als ihr Eiscafé kam, bezahlte sie gleich. So gerne sie sonst hier saß, aber heute konnte sie nicht lange hierbleiben, das sagte ihr der schmerzende Rücken.

Gerade als sie sich zurücklehnte und kurz die Sonne genießen wollte, nahm sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Nando steuerte direkt auf ihren Tisch zu und fragte, ob er Platz nehmen dürfe. Mari war hin und her gerissen zwischen der Freude über das Wiedersehen und dem Wunsch, sich bäuchlings auf eine Wiese zu legen, um den Rücken zu entlasten.

„Wie geht es dir? Merkst du noch was von deinem Sturz?“ Nando klang ehrlich besorgt.

„Mehr als gestern, wenn ich ehrlich sein soll. Mir tut alles weh, als wenn ich in einem Zementmischer herumgewirbelt wurde.“

„Interessant, dass du weißt, wie sich das anfühlt.“

„Ja, mein Bruder hat das mal mit mir gemacht. Und wirklich, es fühlte sich hinterher so an, wie jetzt.“

„Du könntest versuchen, das Mädchen ausfindig zu machen.“

Mari winkte ab. „Ehrlich, ich kann doch einer Zehnjährigen nicht zur Last legen, dass ich nicht aufpasse.“

„Nun, ganz so war es ja nicht. Und die Frage ist ja auch die, ob ein Kind die Gefahr einschätzen kann, die von dem Hund ausgeht.“

„Der Hund war ungefährlich. Die Gefahr sind die Bächle. Erst blaue Flecken und dann vielleicht bald verheiratet.“ Mari lachte und Nando stimmte ein.

„Das ist vielleicht nicht von der Hand zu weisen. In der Familie Belz war es schon immer so, dass einer der Ehepartner aus Freiburg war und der oder die andere aus einem Bächle geangelt wurde.“

„Ok, und wer ist die Familie Belz?“

„Meine Familie, seit 3 Generationen können wir bestätigen, dass die Legende wahr ist. Und keine der Ehen wurde geschieden. Darauf sind meine Eltern besonders stolz. Die Ur- und -großeltern leben leider nicht mehr.“

Nando schlürfte den Rest seiner Eisschokolade geräuschvoll aus dem Glas. „Wollen wir an die Dreisam gehen? Dort können wir ein Stück laufen oder uns ins Gras legen.“

„Gute Idee!“ Marisol war dankbar für den Vorschlag, denn sie wribbelte schon eine Weile unruhig auf dem Stuhl herum.

Spaziergang

„Ich hab gestern so viel von mir erzählt. Was machst du so?“ Marisol war froh, dass sie sich heute wieder getroffen hatten. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie am gestrigen Abend so wenig Fragen an Nando gestellt und so viel von sich gesprochen hatte.

„Von Beruf bin ich Projektmanager in einer Softwarefirma hier in Freiburg. Ist ein tolles Team, gutes Klima. Sehr engagiert für soziale Projekte und sportlich aktiv. Wir laufen den Freiburg Marathon und andere Läufe in der Gegend mit. Dafür trainieren wir auch zusammen. Ansonsten bin ich einfach gern zu Hause. Koche, Lese und in dieser Jahreszeit verbringe ich die Abende total gern auf meinem Balkon.“

„Das klingt gut. Ich gehe nach der Arbeit meist kurz in die Stadt. Zu den jüngeren Pflegern hab ich einen ganz guten Draht, aber sonst kenne ich hier noch nicht viele Leute. Zum Glück hab ich eine eigene Wohnung gefunden. Ziemlich zentral in Zähringen. Wenn ich auf meinem Balkon sitze, zieht mir allerdings der Duft vom Dönerladen in die Nase und es ist ziemlich laut, bis die Restaurants schließen jedenfalls.“

„Meine Wohnung ist von meinen Eltern übernommen. Also die, in der ich auch aufgewachsen bin. Einzelkind!“

„Und deine Eltern? Sind die schon im Altenheim?“

„Nein. Im Gegenteil. Sie sind am anderen Ende der Welt. In Südafrika.“ Nando erzählte etwas von seiner Familie und wie es kam, dass er so jung eine riesige Wohnung in einer der bevorzugtesten Wohngegenden Freiburgs hatte. Mietfrei natürlich. Marisol konnte gönnen, sie war begeistert, was seine Eltern machten und gratulierte ihm zu seinem Wohnglück.

Sie waren inzwischen ziemlich weit gelaufen und es gab größere Abstände an den Ufern der Dreisam, die nicht von Sonnenanbetern belegt waren. Marisol spürte die Müdigkeit und hatte ziemlichen Durst. So ein Eiscafé ist halt nur im ersten Moment erfrischend. Später klebt und pappt er im Mund und verursacht mehr Durst als er gelöscht hatte. Nando schien es mit seiner Eisschokolade ähnlich zu gehen. Er bot an, dass Mari sich einen Platz suchte und ausruhte. An der nächsten Fahrradbrücke würde er hochlaufen und an dem Kiosk etwas zu trinken holen. Marisol war dankbar und streckte sich bäuchlings ins Gras. Ihre Tasche umschlang sie mit beiden Armen und bettete ihren Kopf darauf. Kurz drauf, war sie bereits weggedämmert.

Nando sah von weitem, dass Mari schlief und kam langsam näher. Er setzte sich leise ins Gras und ließ Blick und Gedanken schweifen. Es fühlte sich gut an, mit Mari hier zu sein. Bislang war Nando nicht der Aufreißertyp gewesen. Die Beziehungen, die er hatte, waren ziemlich anstrengend und nur von kurzer Dauer. Er war selbst überrascht, wie sehr er das Beisammensein mit Marisol genoss. Aber er wollte nicht euphorisch werden. Sie trafen sich schließlich erst zum zweiten Mal und das rein zufällig.