Milly con Carne - Carola Käpernick - E-Book

Milly con Carne E-Book

Carola Käpernick

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Beschreibung

Unser Kennenlernen war ein Unfall. Ja, ihr habt richtig gelesen. Allerdings muss ich dazu sagen, ein glücklicher Unfall. Denn ich bin Maria, meinem neuen Frauchen, geradewegs vor ihre knallrote Vespa gerannt und hab sie direkt mit meiner Straße bekannt gemacht. Die Straße, auf der ich lebte, seit mein früheres Frauchen Silke auf unerklärliche Weise aus meinem Leben verschwunden war. Ich vermute ja, dass ihr Verschwinden was mit dem Schlägertypen zu tun hatte, bei dem wir gewohnt haben. Als er geschnallt hat, dass Silke nicht mehr zurückkommt, hat er mich kurzerhand vor die Tür gesetzt. "Hau ab, stinkende Töle!" So eine Frechheit hat er mir hinterhergeschrien. Als wenn er mir das hätte sagen müssen. Wenn ich in der Lage gewesen wäre, die Tür selbst zu öffnen, wäre ich schon viel früher abgehauen. Vielleicht hätte ich Silke dann noch angetroffen und wir hätten uns zusammen, noch ein schönes Leben machen können. Jedenfalls hab ich meine Blähungen aus der Hölle noch ein letztes Mal bemüht, bevor ich die Wohnung dieses Barbaren verlassen hab. Davon hatte er bestimmt noch eine ganze Woche was. Maria hatte gerade eine ähnliche Verabschiedung hinter sich, fand das aber nicht halb so schön wie Milly und hatte leider keine biologischen Waffen, die sie auf Abruf einsetzen konnte. Vermutlich stank ihr die Situation mit Lukas ohnehin mehr als ihm. Doch darüber konnte sie gar nicht mehr so viel nachdenken, denn sie musste sich um die verletzte Milly kümmern und brachte es nicht über sich, diese kleine süße Französische Bulldogge im Tierheim zu lassen. Also wurde sie Frauchen, lernte eine Menge über Hundefutter und dachte vor allem ziemlich oft an den Tierarzt Ben.

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Milly con Carne

Carola Käpernick

F

Impressum

Texte: Carola Käpernick

Umschlaggestaltung: Carola Käpernick

Korrektur: C. C. Brüchert

Bildquelle Pixabay Ilona Krijgsman (Hund), Almeida (Steak), Clker-Free-Vector-Images (Gras), SignsPub (Pusteblume)

Verlag: Selbstverlag über Epubli

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin wiedergegeben werden.

Sämtliche Orte, Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten oder Namensgleichheit mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

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Der größte Schauspieler der Welt ist mein Hund. Wenn er Hunger hat, tut er so, als ob er mich liebt.

Marlon Brando

Der Unfall

Unser Kennenlernen war ein Unfall. Ja, ihr habt richtig gelesen. Allerdings muss ich dazu sagen, ein glücklicher Unfall. Denn ich bin Maria, meinem neuen Frauchen, geradewegs vor ihre knallrote Vespa gerannt und hab sie direkt mit meiner Straße bekannt gemacht. Die Straße, auf der ich lebte, seit mein früheres Frauchen Silke auf unerklärliche Weise aus meinem Leben verschwunden war. Ich vermute ja, dass ihr Verschwinden was mit dem Schlägertypen zu tun hatte, bei dem wir gewohnt haben. Als er geschnallt hat, dass Silke nicht mehr zurückkommt, hat er mich kurzerhand vor die Tür gesetzt. „Hau ab, stinkende Töle!“ So eine Frechheit hat er mir hinterhergeschrien. Als wenn er mir das hätte sagen müssen. Wenn ich in der Lage gewesen wäre, die Tür selbst zu öffnen, wäre ich schon viel früher abgehauen. Vielleicht hätte ich Silke dann noch angetroffen und wir hätten uns zusammen, noch ein schönes Leben machen können. Jedenfalls hab ich meine Blähungen aus der Hölle noch ein letztes Mal bemüht, bevor ich die Wohnung dieses Barbaren verlassen hab. Davon hatte er bestimmt noch eine ganze Woche was.

Maria hatte wohl gerade ein ähnliches Erlebnis hinter sich. Doch sie war nicht ganz so froh wie ich darüber, dass sie ihren Typen losgeworden war. Mit total verheulten Augen fuhr sie eines Abends im April auf ihrer Vespa durch Emmenburgstedt und hatte gar keinen Blick für mich, armen, hungrigen und verstoßenen Hund. In meiner Not achtete ich nicht auf die Autos und Mopeds und dann war es passiert. Wir lagen beide unter ihrem Roller und wimmerten uns an. Ich war unerklärlicherweise sofort voller Sorge um Maria, irgendwie hatte ich es, im Gegensatz zu ihr wohl im Gefühl, dass das der Beginn einer gemeinsamen Zukunft sein sollte. Aber ich wusste auch, dass es mir selbst mehr Vorteile brachte, möglichst mitleiderregend zu wirken. Erfahrungswerte, die ich bei Silke gewonnen hatte. Also gab ich den sterbenden Bully und jaulte ganz herzzerreißend. Das riss Maria aus ihrer Schockstarre. Sie schob das Zweirad zur Seite, tupfte sich kurz das blutige Knie ab und begann, beruhigend auf mich einzureden.

„Oh wie leid mit das tut. Wer bist du denn? Wo kommst du her? Bist du schwer verletzt?“

Zumindest die letzte Frage beantwortete ich mit einem kläglichen Fiepen. Natürlich war ich schwer verletzt! Das sieht man doch. Bei uns französischen Bulldoggen beginnt eine schwere Verletzung bei einer eingerissenen Kralle. Und ich hatte gerade Kontakt mit einer rollenden roten Bestie, die die Luft schlimmer verpestete, als einer meiner gefürchteten Pansenrülpser. Maria hob mich von der Straße auf. „Blut ist keines zu sehen.“, murmelte sie vor sich hin. Na und? Hatte sie noch nie etwas von inneren Blutungen gehört? Sie war doch wohl nicht so herzlos, auf ihre Vespa zu steigen und davon zu fahren? Nein, das war sie zum Glück nicht. Ihr war nach einem Spaziergang. Das muss der Schock gewesen sein. Jedenfalls rannte sie mit mir auf ihrem zugegebener Weise sehr gemütlichen, warmen, weichen, sanften – oh ich komme ins Schwärmen, also auf ihrem Arm, durch die Gegend und fragte jeden, ob er oder sie mich kennen würde. Und dann kam Gregor, der Barbar vorbei. In seinem Rucksack klapperten Flaschen und er rauchte. Maria sprach auch ihn an und ich dachte schon, jetzt ist alles vorbei. Aber Gregor log, ohne rot zu werden und meinte: „Keine Ahnung, wo der Kläffer hingehört.“ Und ich dachte: ‚Gott sei Dank!‘ und schmiegte mich gleich noch etwas mehr in Marias Arm.

Vor lauter Gemütlichkeit wäre ich fast eingeschlafen, doch dann fiel mir zum Glück das Schauspiel wieder ein, in dem ich gerade mitspielte und ich wimmerte leise.

„Es bringt ja nichts, du kleiner Racker. Wir müssen wohl zum Tierarzt. Aber wie soll ich das machen? Ich bin mit dem Moped da und ob das überhaupt fahrbereit ist.“ Mir wurde Angst und Bange. Ich sollte auf einer Vespa mitfahren? Niemals. Eher sterbe ich. Auf der Stelle. Sofort. Jetzt. Ok, ok. Es ist nicht nötig, zum schlimmsten Mittel zu greifen. Maria schloss ihr Zweirad ab und trug mich sozusagen auf Händen zum Tierarzt.

Beim Tierarzt

Dr. vet. Benedikt Brkic steht auf dem Schild an der Tür. „Oh mein Gott, wie man das wohl ausspricht?“ Maria wirkt richtig verzweifelt. Ich kann mir gar nicht erklären, warum. Mit einem Mal scheint ihr eine Last von den Schultern zu fallen und sie sagt: „Ach was, ich sag einfach Herr Doktor.“

Zum Glück bleiben ihr die Anspracheprobleme erspart. An der Rezeption sitzt eine sehr nette Tierarzthelferin, auf deren Namensschild ein fettgedrucktes „Müller“ prangt. Es kann also doch noch alles gut werden.

„Guten Tag Frau Müller. Maria Tschida ist mein Name. Mir ist dieser kleine Hund vors Moped gelaufen und ich möchte gerne sichergehen, dass er unverletzt ist.“

Hab ich da richtig gehört? Unverletzt? Dem widerspreche ich direkt mit einem kläglichen Stöhnen. Davon ist sogar die Arzthelferin alarmiert und kommt hinter ihrem Tresen vor. Sie nimmt mich aus Marias Arm und trägt mich in ein Untersuchungszimmer. Ins Wartezimmer ruft sie schnell: „Sorry, es dauert ein Weilchen. Notfall nach Unfall!“. Und in Richtung „Heilige Hallen der Tierarztpraxis“ fordert sie den Tierarzt an. „Benedikt, kommt schnell! Französische Bulldogge nach Unfall.“ Maria steht kurz etwas hilflos an der Rezeption. Dann eilt sie der Frau Müller und mir hinterher.

Als Frau Müller mich auf die kalte Untersuchungsliege legt, geht ein Zittern durch meinen Körper. „Oh mein Gott, hat er Schmerzen?“ Maria hat Tränen in den Augen. Schräg von hinten eilt eine angenehm tiefe Stimme an mich heran, die sagt, dass sie zum Tierarzt gehöre. „Doktor Brrrkitsch, Benedikt reicht. Ob er Schmerzen hat, werden wir gleich feststellen.“ Mir persönlich wäre es ja lieber, wenn sie erst einmal feststellen könnten, dass ich ein Mädchen bin und mich genderkonform ansprächen. Nun ja, ich will nicht kleinlich sein.

Doktor Benedikt drückt an mir rum und ich fiepe mal ein wenig. Meine Tierarzterfahrung besagt nämlich: Je schlimmer die Untersuchung, desto bessere Entschädigungsleckerlis gibt es am Ende der Prozedur. Während die mir auf dem Bauch rumdrücken, jaule ich prophylaktisch auf. Maria hat ein total schlechtes Gewissen, das kann ich sehen. Gut so. Sie ist genau der Typ Mensch, der versucht ein Unrecht tausendmal wiedergutzumachen.

„Oh. Er ist ja eine Sie.“ Na endlich! Doktor Brrrkitsch hats bemerkt. „Wussten Sie das etwa gar nicht?“

„Nein. Der Hund gehört mir nicht. Er ist mir vors Moped gelaufen. Ich konnte keinen Besitzer ausfindig machen.“

„Ok. Nadja, also Frau Müller geht jetzt mal mit der Bullydame zum Röntgen, damit wir sicher sein können, dass keine Rippen oder andere Knochen gebrochen sind. Und ich schaue mir mal Ihre Verletzungen an, wenn ich darf.“ Er zeigte auf die zerrissene Hose und den recht großen Blutfleck, der sich bereits vom Knie bis zum Schienbein etwa, ausgebreitet hatte.

Maria stotterte vor Überraschung. „Hm. Ja. Oh.“

„Setzen Sie sich doch. Wie war noch Ihr Name?“

„Maria. Entschuldigung, ich hab mich gar nicht vorgestellt. Tschida, Maria Tschida.“

„Wie ist es denn zu dem Unfall gekommen?“

„Ich war in Gedanken und habe nicht aufgepasst. Als ich den Hund gesehen hab, war es zu spät. Ich hab noch versucht auszuweichen und bin gestürzt. Wir lagen dann beide unter meiner Vespa.“

„Na wenigstens war es nur eine Vespa und die Geschwindigkeit vermutlich auch nicht so hoch. Sonst hätte das vor allem für Sie wohl ganz anders ausgesehen. Die Abschürfungen an der Hand sind nicht weiter schlimm. Die desinfiziere ich etwas. Wenn Sie in Wasser tauchen müssen, beim Geschirr spülen oder Putzen, sollten Sie einen Gummihandschuh drüber ziehen. Zumindest in den ersten zwei bis drei Tagen. Ist Ihre Tetanusimpfung aktuell?“

„Das weiß ich jetzt gar nicht so genau. Aber ich denke schon. Mein Hausarzt achtet eigentlich penibel auf solche Dinge.“

„Das ist vorbildlich. Das Knie sieht ziemlich lädiert aus. Um das genauer anschauen zu können, müssten Sie die Hose herunter lassen.“

Maria wurde tatsächlich rot. Irgendwie war das jetzt total peinlich. Also sowohl das Hose runterlassen, wie auch das verweigern. Sie setzte sich umständlich auf einen Hocker und versuchte, das Hosenbein hochzuziehen. Doch das tat zu sehr weh, als dass sie es bis übers Knie geschafft hätte. Also stand sie auf und ließ mit hochrotem Kopf ihre Jeans herunter. Benedikt grinste, senkte aber den Kopf, damit Maria es nicht so sah. Er tupfte die Wunde sauber, desinfizierte ordentlich und meinte, dass es besser wäre, wenn das noch einmal ein Humanmediziner anschauen würde. Es klaffte ein ziemlicher Hautfetzen weg, den er richtig positionierte und den Riss mit dünnen Stripes überbrückte.

„Ich hab vor lauter Aufregung gar nicht gemerkt, dass es so schlimm ist.“ Maria sah dem Tierarzt in die Augen und fragte sich kurz, wie sie selbst wohl gerade aussah. Immerhin hatte sie seit dem Streit mit Lukas nur noch geheult. Vermutlich würde Benedikt denken, dass es wegen des Unfalls war. Zum Glück.

Ein Signal vom Monitor zerstörte den kurzen Moment des ‚In den Augen des Anderen Ertrinkens‘. Was ich ausgesprochen bedauerte. Vielleicht hätten ein paar Sekunden mehr, mir eine Menge Arbeit gespart und vor allem meine Nerven geschont.

„Oh, die Aufnahmen des anderen Unfallopfers sind da.“ Benedikte wandte sich ab und schaute auf die Röntgenbilder. Ha, die bewiesen, dass ich von innen genau so schön wie von außen bin.

„Brüche kann ich nicht erkennen. Auch der Bauch fühlte sich unauffällig an. Vermutlich ist die kleine Dame etwas theatralisch und möchte Mitleid haben und Leckerli.“

„Dann ist bei ihr also alles in Ordnung?“

„Ja. Der Schreck wird ihr in den Gliedern sitzen und die ein oder andere Blessur kann auch zwicken. Aber gemessen an dem Geschehenen, ist es wirklich glimpflich ausgegangen für sie und für Sie.“

„Gott sei Dank! Was passiert nun mit dem Hund?“ Frau Müller krault mich unterm Kinn und ich muss mich arg zusammenreißen, das Leiden nicht zu vergessen. Nicht, dass ich mich noch ganz dem Genuss hingebe. Mich beunruhigt, dass ich von Maria nicht sofort höre: „Was soll die Frage?“ Stattdessen sagt der Doktor vet. was von Tierheim. Hatte ich Sympathiepunkte vergeben? Die sammel ich gerade alle wieder ein.

„Tierheim? Ach die arme süße Maus. Aber eine andere Lösung fällt mir auch nicht ein.“ Na toll Maria. Da bin ich nun das Opfer deiner miserablen Fahrkünste und dann auch noch das, deiner Einfallslosigkeit. Beleidigt drehe ich ihr meinen Hintern zu und pupse leise, aber herausragend olfaktorisch. Maria wedelt auch direkt mit der Hand vor ihrer Nase rum und fühlt sich korrekterweise angesprochen. „Ich komm dich auch besuchen. Versprochen!“, flüstert sie asthmatisch. Das ist zwar nicht ganz das, was ich mir als Ziel gesetzt habe, aber besser als nichts.

„Sie haben Glück Maria, ich arbeite für das hiesige Tierheim und kläre das gleich mal ab, ob ein Platz für das kleine Pupswunder vorhanden ist. Vorher prüfe ich aber noch, ob sie gechipt ist. Vielleicht ist das Tierheim gar nicht nötig, wenn ein Halter den Hund bei Tasso oder so registriert hat.“ Ohne extra Anweisung reicht Nadja ihm das Chiplesegerät. Damit werde ich von oben bis unten gestreichelt. Ich komme mir vor wie ein räudiger Köter, dass sie mich nicht mal mehr mit der Hand anfassen mögen. Doch wohl nicht bloß wegen etwas entwichener Darmluft? Da wären die aber ganz schön überempfindlich.

„Ich finde keinen Chip. Das ist außergewöhnlich, immerhin handelt es sich hier um ein reinrassiges Tier, das außerdem aktuell auch durchaus im Trend liegt und entsprechend Wert hat.“

„Im Trend? Wert?“ Marias Begriffsstutzigkeit rührt mich regelrecht. Dafür sinkt Ben in meinem Ansehen, als er wieder den Mund aufmacht: „Ja. Modehunde halt. Nun ja, dann müssen wir sie tatsächlich erst einmal ins Tierheim bringen. Möchten Sie ihr nicht einen Namen geben?“ Einen Namen geben? Hallo, geht es noch? Ich habe einen Namen. Ich heiße nämlich Milly. Aber ok, das steht mir natürlich nicht auf meiner süßen Nase geschrieben. Hoffentlich nennt Maria mich jetzt nicht Berta oder so.

„Milly, wäre doch schön.“, sagt Maria da und ich bin außerordentlich glücklich, mich nicht noch einmal umgewöhnen zu müssen. Dazu müsst ihr wissen, ich dachte am Anfang nämlich, mein Name wäre Nein. Bis ich gerafft hab, dass das nicht der Fall war, dauerte das eine Weile.

„Milly passt doch ausgesprochen gut zu dieser kleinen Bullydame. Dann kümmere ich mich darum, dass sie ins Tierheim kommt.“

„Meinen Sie, ich kann Milly da besuchen gehen?“

„Aber natürlich. Ich vermute allerdings, dass sie schnell ein neues Zuhause finden wird. Wie gesagt, diese Hunde sind aktuell stark nachgefragt. Allerdings ist das Tierheim in Emmenburgstedt sehr genau, wenn es um die Halterüberprüfung geht und nicht jeder, der sie haben will, wird sie auch bekommen.“

„Das ist beruhigend zu wissen.“

Beim Abschied hat Maria Tränen in den Augen. Ich werte das als gutes Zeichen. Sie bezahlt die Tierarztrechnung und wird dann wohl zu dem roten Ungetüm zurücklaufen.

Maria

Maria ging schweren Herzens zurück zur Unfallstelle. Ich tat ihr leid. Ja, sollte sie sich ruhig ein richtig schlechtes Gewissen machen. Von Mitleid konnte ich mir auch nichts kaufen. Ins Tierheim hatte sie mich bringen lassen. Also wirklich. Und der Tierarzt, dieser Doktor Benedikt, der sprach ja über mich, als wenn ich eine Handtasche oder irgendein anderes hippes Accessoire wäre. Menschen halt. Es ist gar nicht zu glauben, dass der gleiche Weltenbauer diese Spezies erfunden hat, der uns Tiere in die Welt gesetzt hat. Nun ja, alles Philosophieren bringt ja nichts, wir müssen uns unserem Schicksal stellen. Und Marias Schicksal wartete unverändert abgestellt an der Unfallstelle. Ein paar Kratzer zierten den Lack. Maria sagte sich: „Nicht ärgern! Wir nennen es Kunst.“, setzte sich aufs Moped und wollte losfahren. Die Vespa war dagegen. Ob es am Sturz lag, war gar nicht wirklich auszumachen. Vielleicht wollte sie auch nur an diesem geschichtsträchtigen Ort verweilen, der das Leben von Maria und mir nachhaltig prägen sollte, auch wenn ihr das momentan noch nicht bewusst war.

„Wer sein Fahrzeug liebt, der schiebt.“ Das muss eine ziemlich weit verbreitete Volksweisheit in Emmenburgstedt sein, denn Maria bekam das alle zwei Minuten zu hören. Irgendwann klappte sie die Ohren zu und überdachte ihre Situation. Leider spielte ich vorerst nur eine sehr untergeordnete Rolle in ihren Gedanken. Noch war Lukas zu präsent, als dass ein nichtmal kniehohes Tier ihn verdrängen konnte. Doch als sie gerade wütend genug auf ihren „Nunaberwirklichrichtigen Ex“ war, gelangte sie geistig zum Unfall und ich hopste geradewegs in ihre Gedanken, um mich da einzunisten.

Die kurze Hoffnung, dass der Ex zum Exex werden könnte, zerschlug sich, als Maria die vier Nachrichten von ihrem Anrufbeantworter abhörte. Statt reumütigen Entschuldigungen von Lukas, fanden sich Nachrichten von ihrem Bruder Laurenz und ihren Freundinnen Bianca und Tamara darauf. Die vierte Nachricht war von Benedikt, der vermeldete, dass ich gut untergebracht war und es mir auch gesundheitlich gut ginge. Maria solle sich keine Sorgen machen. In meinem nächsten Leben werde ich Benedikts Zahnarzt und räche mich für diesen Anruf, das steht mal fest. Ich war gar nicht gut untergebracht. Lauter andere Hunde um mich herum und das Essen wurde mir auch zugeteilt. Ok, es war etwas wärmer wie auf der Straße und es gab sauberes Wasser, aber so schlimm ist das aus der Pfütze Saufen gar nicht.

Glücklicherweise glaubte Maria dem Tierarzt nicht. Oder wie sonst, soll ich es mir erklären, dass sie am nächsten Tag schon vormittags im Tierheim stand und darauf bestand, mich zu sehen und mir ein mitgebrachtes Putensteak geben zu dürfen? Das hat mich vielleicht Überwindung gekostet, das nicht gleich mit purer Begeisterung zu fressen. Sollte Maria ruhig denken, dass ich den Unfall noch nicht verkraftet hatte. Und tatsächlich dachte sie das dann ja auch und versprach, nachmittags noch einmal vorbei zu schauen und mir noch einmal etwas Leckeres mitzubringen.

So ging das mit uns dann drei Tage lang. Dann war Maria das hin und her fahren wohl zu blöd. Jedenfalls meinte sie am dritten Tag, wenn sich bis jetzt niemand gemeldet hat, der mich vermisst, dann wollte sie sich doch um mich kümmern und mich zu sich nach Hause mitnehmen. Benedikt untersuchte mich noch mal zum Abschluss und entließ mich, als völlig gesund. Er gratulierte Maria zu der Entscheidung. Eigentlich hätte er allerdings mir gratulieren müssen. Aber nee, stattdessen piekste der mich dermaßen fies, dass ich laut quietschte. „So und einen Chip hat sie nun auch. Hier sind die Daten, ich würde Milly bei Tasso anmelden, wenn sie mal verloren geht, kann dann schnell festgestellt werden, wo sie hingehört.“ Maria versprach, sich sofort darum zu kümmern. Die Vorstellung, dass ich verloren gehen könnte, fand sie doch zu schrecklich und sie empörte sich schrecklich über meine früheren Halter. Mir war es recht, auch wenn Silke mir leidtat. Ich bin mir sicher, sie hätte nicht gewollt, dass Gregor mich einfach aussetzt, aber Maria konnte das ja nicht wissen und so nutzte ich ihre emotionale Situation etwas für meine Altersvorsorge aus.

Einzug

Spontane Entscheidungen bedauert man meistens nachts. So auch Maria. Denn sie hatte für mich ja gar kein Hundebett, keine Näpfe und war eigentlich überhaupt nicht auf einen Mitbewohner eingestellt. Bis zum Schlafengehen, konnten wir uns mit Provisorien sehr gut behelfen. Mein Wasser und Futter bekam ich aus Dessertschalen, aus denen Maria sonst das Eis löffelte, dass sie sich bei Liebeskummerschnulzenfilmabenden reinschaufelte. Beim Futter improvisierte sie sogar ziemlich zu ihrem eigenen Nachteil. Sie hatte eine Hühnersuppe gekocht. Nun ja. Das Fleisch habe ich bekommen und sie trank die Brühe. Von mir aus darf das gerne eine Tradition werden.

Als Maria dann irgendwann schlafen gehen wollte, drapierte sie eine Decke auf dem Boden vor ihrem Bett. Hieß das etwa, ich sollte auf dem Boden schlafen? Das gewöhnen wir Maria gar nicht erst an. Ich miepte und quengelte also rum, bis sie mich zu sich ins Bett holte. Besser. Viel besser! Perfekt sogar, würde ich sagen.

Maria las noch und ich kuschelte mich in ihre Kniekehlen und schlief seit Langem mal wieder richtig gut. Die Sicherheit, die einem die Anwesenheit eines Menschen gibt, der dich zwar erst über den Haufen fährt, dich aber dann nicht einfach liegen lässt, die ist Gold wert. Und da ich kein Gold habe, wiege ich das in Liebe auf.

In den ersten Tagen musste ich Maria noch ziemlich viel beibringen. Sie hatte ja von nichts eine Ahnung, was Hunde anging. Was sie allerdings sehr genau wusste, das war der Fakt, dass Hundehaufen aufzusammeln waren. In Ermangelung von echten Hundekotbeuteln, nahm sie durchsichtige Frühstückstüten mit auf die ersten Gassirunden. Daraufhin bekam sie sehr seltsame Blicke von anderen Passanten zugeworfen. Ich gab mir große Mühe, meine Ausscheidungen in Konsistenz und Farbe, kreativ wirken zu lassen. Trotzdem, irgendwann fiel Maria auf, dass andere Hundehalter bunte und vor allem blickdichte Tütchen mit sich herumtrugen und so steuerten wir zusammen einen Zooladen an. Wer sich mit Hundehaltung nicht auskennt, aber Kinder hat, muss sich das in etwa so vorstellen, als wenn man als frischgebackenes Elternteil in einen Toys R‘us kommt. Die Augen laufen einem über und man will alles kaufen. Alles! Marias Hundemutterhormone diskutierten gar nicht erst lange mit ihrer Kreditkarte, sondern zwangen sie regelrecht dazu, mit ausgebreiteten Armen an den Regalen vorbeizulaufen und alles in den Einkaufswagen zu schaufeln. Bei Leckerli, Spielzeug und Futter, erfreute ich mich sehr an ihrer Kaufwut. Als wir dann in den Bereich Hundeshampoo, Zeckenmittel und Darmkur kamen, versuchte ich Marias Aufmerksamkeit umzulenken. Leider gelang es mir nicht und sie griff auch hier viel mehr ab, als wir brauchten, jedenfalls wenn sie nicht vorhatte, sich selbst auch zu behandeln. Zum Glück waren wir mit dem Auto da. Auf der Vespa hätten wir das ja gar nicht transportieren können. Mir war, als wenn ich aus den Augenwinkeln wahrgenommen habe, dass die nach uns den Laden geschlossen und den Mitarbeitern freigegeben haben, weil der Wochenumsatz von diesem einen Einkauf erreicht war.

Zu Hause hatte ich jetzt also mehrere Hundebetten. Eins auf dem Balkon, eins in der Küche und eins im Wohnzimmer. Ich verstehe zwar nicht, wieso in einem Zimmer, in dem sich auch Bett oder Sofa aufhalten, ein Hundebett liegen muss, aber Maria war ja angeblich der denkende Part von uns. Das im Wohnzimmer blieb jedenfalls ungenutzt, bis das auf dem Balkon irgendwann kaputt ging.

Einen Vorteil hatte Marias Unwissenheit in puncto Hunde allerdings. Sie hielt es für zwingend notwendig, mir Abwechslung beim Futter zukommen lassen zu müssen. Solche Leckerbissen hatte ich eine Ewigkeit nicht. Solche Blähungen allerdings auch nicht. Und eben diese waren der Grund, warum Silke, mein früheres Frauchen, mir nur noch bestimmte Sorten Fleisch gegeben hatte und dies sogar selbst zubereitete. Maria war noch nicht soweit und wenn es nach mir ginge, dürften ihr derartige Einsichten auch gerne erspart bleiben. Aber ich hatte die Rechnung ohne Benedikt gemacht.

Es war ja nicht so, dass ich permanent Durchfall hatte oder Maria in ihre hübsche Wohnung gekotzt hätte. Ich fraß das Futter auch mit Begeisterung und Genuss. Nur Maria hatte ein Problem damit, dass ich aus dem Hals roch, wie Möwenfraß und ihr meine Flatulenzen die Tränen in die Augen trieben. Also rief sie bei Benedikt an und fragte nach den Ursachen. Der stellte direkt die Ferndiagnose: „Das liegt am Futter.“ Und da frage ich mich doch, ist das überhaupt erlaubt, dass ein Tierarzt so eine telefonische Sprechstunde abhielt, zum Nachteil einer kleinen hungrigen französischen Bulldogge? Dass ich hier nicht die Tierärztekammer eingeschalten hab, liegt nur an der Empfehlung, dass Maria ausprobieren soll, was ich vertrage und was nicht. Dadurch änderte sich erst mal nicht viel. Ich fraß, was sie mir gab und sie notierte, wann meine verdauende Anwesenheit sie nicht ganz so stark olfaktorisch leiden ließ. Dann sortierte sie die Hundefutterdosen durch und wir nahmen gelegentlich welche mit, wenn wir spazieren gingen und gaben sie im Tierheim ab.

Dort trafen wir hin und wieder auch den Tierarzt, der sich sehr freute, dass ich es so gut getroffen hatte mit Maria. Wenn der wüsste… Maria hatte zwei Freundinnen, Bianca und Tamara. Und die drei zusammen waren ein echter Lottogewinn für mich.

Ein Job für Milly