Marked Men: In seiner Nähe - Jay Crownover - E-Book

Marked Men: In seiner Nähe E-Book

Jay Crownover

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Beschreibung

Nachdem Rowdy von der einzigen Frau, die er jemals wirklich geliebt hat, verlassen wurde, hat er sich fest vorgenommen, keine feste Bindung mehr einzugehen und nie wieder einer Frau zu vertrauen. Doch dann taucht ein Geist aus der Vergangenheit in seinem Leben auf: Salem, die Schwester seiner großen Liebe. Und Salem versucht alles, um Rowdy zu beweisen, dass er sich damals in die falsche Schwester verliebt hat. Ihr Plan geht auf - bis plötzlich die Person zurückkehrt, die sie beide verbindet, und droht, sie für immer auseinanderzubringen ...

Die perfekte Mischung aus Drama und prickelnder Erotik - Die New-York-Times-Bestseller-Reihe "Marked Men".

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.

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Seitenzahl: 535

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Einleitung

Prolog

Kapitel  1

Kapitel  2

Kapitel  3

Kapitel  4

Kapitel  5

Kapitel  6

Kapitel  7

Kapitel  8

Kapitel  9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Epilog

Rowdys und Salems Playlist

Danksagung

Weitere Titel der Autorin

Marked Men: In seinen Augen

Marked Men: In seiner Stimme

Marked Men: In seinem Herzen

Marked Men: In seinen Armen

Über dieses Buch

Nachdem Rowdy von der einzigen Frau, die er jemals wirklich geliebt hat, verlassen wurde, hat er sich fest vorgenommen, keine feste Bindung mehr einzugehen und nie wieder einer Frau zu vertrauen. Doch dann taucht ein Geist aus der Vergangenheit in seinem Leben auf: Salem, die Schwester seiner großen Liebe. Und Salem versucht alles, um Rowdy zu beweisen, dass er sich damals in die falsche Schwester verliebt hat. Ihr Plan geht auf – bis plötzlich die Person zurückkehrt, die sie beide verbindet, und droht, sie für immer auseinanderzubringen …

Über die Autorin

Jay Crownover lebt in Colorado, wo auch ihre Romane spielen. Sie liebt Tattoos und Körperschmuck, und so ist es kein Wunder, dass ihre Helden allesamt tätowierte und gepiercte Bad Boys sind. Ihre Leidenschaft galt schon immer dem Lesen und Schreiben, und mit dem Erfolg ihrer Serie Marked Men ist ein Traum für sie wahr geworden. Mehr Informationen unter: www.jaycrownover.com

JAY CROWNOVER

MarkedMen

IN SEINER NÄHE

Aus dem Amerikanischenvon Michaela Link

beHEARTBEAT

Deutsche Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2014 by Jennifer M. Voorhees

Titel der amerikanischen Originalausgabe: „Rowdy“

Originalverlag: William Morrow Paperbacks, an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.

Published by arrangement with William Morrow Paperbacks, an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: © Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven von © Gettyimages: FXQuadro | Deagreez

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-8218-1

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Gewidmet allen, die herauszufinden versuchen, wo sie hingehören. Keine Sorge, Freunde, das Universum hat einen Plan für euch; ihr müsst nur auf das hören, was es euch zu sagen versucht, dann werdet ihr irgendwann genau dort ankommen, wo ihr immer sein solltet.

Einleitung

Für alle, die meine Vorgeschichte nicht kennen, ist die Kurzfassung die, dass ich dachte, ich hätte mein Leben im Griff. Ich dachte, ich wäre auf dem Weg, auf dem ich sein sollte. Ich dachte, ich täte das, was ich tun sollte, und im Gegenzug könnte ich meinen Traum leben und ein typisches Happy End bekommen.

Aber dem war nicht wirklich so. Der Weg, auf dem ich mich tatsächlich befinden sollte, war völlig anders. Mein Leben beinhaltete weder Liebe noch Ehe, sondern eine neue Karriere und ein großes Abenteuer, von dem ich immer geträumt hatte, als ich viel jünger gewesen war. Das, was ich dachte, tun zu sollen, war tatsächlich nur der Alltagstrott gewesen, in den ich geraten war, weil ich es nicht besser wusste, und – offen gesagt –, weil ich Angst davor hatte, was außerhalb dessen lauerte, was ich seit Langem kannte.

Nun, zum Teufel damit. Was ich wirklich tun sollte, war so viel besser, so viel herausfordernder, so viel erhellender und erfüllender. Ich wache jeden Morgen voller Dankbarkeit auf, dass sich mein Leben so umfassend verändert hat. Sicher, die Veränderungen waren damals schwer gewesen. Es war ein Tiefpunkt in meinem Leben gewesen, dem eine der schreckenerregendsten Reisen gefolgt war, die ich je unternommen habe, aber da ich am Ende stärker, unabhängiger und kreativ absolut erfüllt daraus hervorging, kann ich dem Universum nur dafür danken.

Es ist in Ordnung, Angst zu haben. Ich denke wirklich, dass man daran erkennt, ob das, was man tut, auch wirklich wichtig ist. Aber es ist nicht in Ordnung, seine Bestimmung nicht zu finden, weil man Angst vor etwas Neuem hat – weil der weniger beschrittene Weg beängstigend und dunkel ist. Heißt die Veränderung willkommen, findet eure Leidenschaft, erkennt, was euch wahre Freude bereitet, und folgt dem Weg bis zum Ende aller Zeiten. Lebt das Leben, für das ihr immer bestimmt wart. Ganz ehrlich, nichts auf der Welt wird euch glücklicher oder dankbarer machen für jeden einzelnen Moment, den ihr habt.

Geht einfach hinaus in die Welt und macht euer Ding. Das Universum liebt so einen Scheiß! :-)

Prolog

Salem

Ich habe nicht viele gute Erinnerungen an meine Kindheit.

Es gab zu viele Regeln. Zu viele Vorschriften. Zu viele missbilligende Blicke meines Vaters und nicht genug Unterstützung von meiner Mutter.

Wir lebten in Loveless, einer winzigen Stadt in Texas mit einem schmerzlich treffenden Namen. Ich war die Tochter des Pfarrers, und wenn das nicht an sich schon genügend Erwartungen mit sich brachte, trug der Mann noch mehr davon an mich heran. Auf der Kanzel wurde er geliebt, bei uns zu Hause war er aber ein Tyrann. Von mir wurde erwartet, still, fügsam und normal zu sein. Das Problem dabei war: Das alles war ich nicht.

Als ich neun war, überredete ich meine Mom, mich bei einer exklusiven Tanzgruppe bewerben zu dürfen. Ich sehnte mich nach etwas Besonderem, nach etwas, das den Alltag weniger qualvoll machen würde. Ich war so stolz, so aufgeregt, als ich in die Gruppe aufgenommen wurde, nur um dann von meinem Vater gesagt zu bekommen, diese Art von Tanzen sei nicht gestattet, und seine Tochter werde sich so nicht zur Schau stellen. Er würde es nicht dulden. So lief alles in meinem Leben, und meine Mom war nie bereit, ihm die Stirn zu bieten, selbst wenn sie ihrer Tochter dadurch etwas hätte geben können, wonach die sich so verzweifelt sehnte. Alles, was gegen die Wünsche meines Vaters verstieß oder als unangemessen und schändlich galt, wurde verboten – und damit jedes Gefühl von Einzigartigkeit oder Freude. Meine Eltern wollten mich in eine zu kleine Schachtel zwängen, weiß bemalt und mit einer hübschen Schleife versehen. Ich selbst zu sein, war nie gut genug.

Die Situation wurde noch verschlimmert, weil meine jüngere Schwester der Liebling meiner Eltern war. Das perfekte Vorzeigekind. Auch ich liebte Poppy von ganzem Herzen. Sie war sanft und freundlich, aber auch gefügig und gehorsam, bereit zu springen, wann immer mein Vater einen Befehl blaffte.

Ich würde niemals so perfekt sein wie meine süße kleine Schwester. Ich hatte nicht vor, als Ehefrau und Mutter zu enden wie meine Mom. Und nie im Leben würde ich in die Schablone einer traditionellen mexikanischen Frau passen, wie mein Vater es sich so verzweifelt von mir wünschte. Also beschloss ich im Alter von neun Jahren, meinen eigenen Weg zu gehen. Ich sah ein Licht am Ende des Tunnels und musste nur Geduld haben.

Als es so weit war, befreite ich mich. Ich machte mich mit genau dem Typ Mann auf den Weg, den mein Vater hasste. Ich war gerade erst achtzehn, nicht wirklich erwachsen, aber ich musste weg. Ich musste fliehen. Ich sah keine andere Möglichkeit zu überleben. Ich floh aus Loveless, ließ es hinter mir und schaute nicht zurück.

Ich bereute später nur sehr wenige der Entscheidungen, die ich damals für mich getroffen hatte. Bis heute bin ich eine Frau, die zu ihren Entscheidungen steht – seien sie gut oder schlecht. Ich war unabhängig. Ich war willensstark. Ich hatte mir meinen eigenen Weg im Leben gebahnt und war extrem erfolgreich damit gewesen. Es hatte Zeiten gegeben, da war ich gestrauchelt. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte ich allein im Dunkeln gelegen und geweint. Es hatte Momente gegeben, in denen ich mich daran erinnert hatte, dass meine Eltern nicht die einzigen Menschen in dieser winzigen Stadt in Texas gewesen waren, vor denen ich davongelaufen war. Aber alles in allem versuchte ich, die volle Verantwortung für mein Glück und mein Wohlergehen zu übernehmen, und so gefiel es mir auch.

Ich hielt immer noch Kontakt zu meiner Schwester Poppy. Wir standen uns nah, obwohl sie vor einigen Jahren einen Mann geheiratet hatte, den ich nicht allzu sehr mochte. Sie lebte immer noch in Loveless. Mein Hass auf diesen Ort und die Erinnerungen, die ich mit ihm verband, war so tief, dass ich mich nicht einmal dazu überwinden konnte, bei der Hochzeit meiner Schwester dabei zu sein, die natürlich unter den wachsamen Augen meines Vaters in seiner Kirche stattfand. Ich zog gern von Ort zu Ort, also besuchte Poppy mich und bekam immer einen Eindruck der jeweiligen großen Stadt, die ich gerade mein Zuhause nannte. Ihre Besuche waren im Laufe der Jahre viel seltener geworden, und inzwischen bekam ich sie nur noch ab und zu für ein kurzes Gespräch am Telefon zu fassen.

Zuerst hatte mein Nomadendasein mich nach Phoenix und dann nach Reno geführt, bevor L.A. nach mir rief, dem dann schnell New York gefolgt war. Ich hatte der Größe halber New Orleans ausprobiert und vor einigen Jahren eine lustige Zeit in Austin gehabt. In jüngerer Vergangenheit war ich in Vegas gelandet. Etwas an den Lichtern, dem Lärm, dem steten Strom von Menschen und der Tatsache, dass es sich wirklich anfühlte wie eine Durchgangsstadt, hatte mich gefesselt. Ich war viel länger in diesem Neondschungel geblieben als an irgendeinem anderen Ort und hatte eine sehr einträgliche Karriere gestartet, die auf all den früheren Entscheidungen fußte, von denen meine Eltern so sicher gewesen waren, dass sie meine Zukunft ruinieren würden.

Ich hatte einen tollen Job, eine großartige Wohnung und war sogar mit einem Mann zusammen, mit dem es sich etwas ernster anfühlte, als mir das normalerweise lieb war, bis ich eines Tages aus heiterem Himmel einen Anruf von Phil Donovans Sohn bekam.

Phil Donovan war in meiner Welt eine Legende – geradezu ein Gott in der Tattoo-Branche. Er war der Tattoo-Typ, in dessen Haut andere Tattoo-Typen gern gesteckt hätten. Er war der Künstler, von dem man sagen wollte, er habe an einem gearbeitet. Er war wegweisend. Er war berühmt. Die Liste derer, die bei ihm in die Lehre gehen wollten, war ewig lang. Phil war ein extrem talentierter Mann, und seinem Sohn Nash zufolge war er krank, und seine Chancen durchzukommen, waren minimal bis nicht existent. Nash hatte Phils Laden im Herzen von Denver geerbt und war außerdem mit der Aufgabe betraut worden, ein neues Tattoo-Studio im trendigeren Lower Downtown – »LoDo« – aufzubauen. Phil hatte mich empfohlen und Nash gebeten, mich als Managerin des neuen Ladens in Erwägung zu ziehen.

Ich war dem älteren Mann nur ein einziges Mal begegnet. Das war bei einer Convention in Vegas gewesen, wo ich den berühmt-berüchtigten, gut aussehenden Künstler hatte kennenlernen wollen. Nun, Phil war tatsächlich ein schnuckliges Beispiel für einen Rock-and-Roller gewesen, der sich gut gehalten hatte, aber er war außerdem charmant und höflich gewesen, und etwas an seinem Benehmen hatte zu meiner eigenwilligen Seele gesprochen. Am Ende hatten wir uns stundenlang unterhalten. Er bot mir an, mich zu tätowieren, und das lehnte ich natürlich nicht ab. Den nächsten Tag verbrachte ich unter seiner Nadel, und dann sprudelte unter seinem wachsamen Blick aus veilchenblauen Augen meine ganze Lebensgeschichte hervor. Es hatte sich angefühlt, als hätte mir ein stark tätowierter und cooler Papst jede Sünde erlassen, die ich je begangen hatte.

Als er mich fragte, woher ich käme, und ich ihm antwortete: »von überallher«, hatte er nur gelacht. Als ich erwähnte, dass ich in einer sehr konservativen Kleinstadt in Texas namens Loveless aufgewachsen sei, hatte ich gespürt, dass sich etwas in seinem Benehmen veränderte. Er wurde aufmerksamer und stellte einen Haufen weiterer Fragen, und als das elegante, wunderschöne und sehr traditionelle Tattoo Unserer Lieben Frau von Guadalupe auf meiner Wade fertig gewesen war, hatte ich das Gefühl gehabt, dass Phil mich besser kannte, als ich selbst es tat. Wir sagten Lebewohl, und ich dachte nie mehr viel über diese Begegnung nach, abgesehen davon, dass ich ein Wahnsinnstattoo von Phil Donovan hatte, womit ich natürlich immer gern angab.

Nashs Anruf überrumpelte mich, deshalb war ich drauf und dran, ihn abzuwimmeln. Es tat mir leid, von Phils Krankheit zu hören, aber ich wollte Vegas eigentlich nicht verlassen. Colorado war kalt und hatte Berge. Ich hatte für keins von beidem viel übrig und wollte gerade auflegen, als Nash mich bat, mir den Laden im Internet, die Künstler und ihre Arbeit genauer anzusehen. Er sagte mir, Phil sei sich absolut sicher gewesen, dass ich, sobald ich das täte, an dem Job und dem Umzug interessiert sein würde. Ich tat es mit einem Achselzucken ab und legte auf, aber meine Neugier war dennoch geweckt, daher rief ich die Webseite des Ladens tatsächlich auf meinem Handy auf.

The Marked hatte einen herausragenden Ruf. Die Bewertungen waren herausragend, und die Portfolios der Arbeiten, die seine Künstler produzierten, waren atemberaubend. Aber erst als ich zu den Seiten der einzelnen Künstler weiterklickte, war ich überzeugt: Ich würde Vegas verlassen und nach Denver ziehen. Innerhalb eines Herzschlags war meine Welt auf den Kopf gestellt worden.

Dort auf dem winzigen Display meines Handys sah ich das Einzige vor mir, das mir als gute Erinnerung aus meiner Jugend geblieben war. Das Einzige, das ich an einem Ort in meinem Herzen aufbewahrte. Und das warme Gefühle auslöste, wenn ich daran dachte – wo immer ich gerade war und wie immer ich mich fühlte. Vom Bildschirm meines Handys aus blickte mich die erwachsene Version des Jungen mit den blauen Augen an, dem einzigen Menschen in meinem ganzen Leben, der mir je das Gefühl gegeben hatte, akzeptiert zu sein. Dem einzigen Menschen, der mir je das Gefühl gegeben hatte, es wäre in Ordnung, einfach ich zu sein, und dass es tatsächlich eine ziemlich tolle Sache war, ich zu sein.

Rowland St. James … Rowdy. Der Junge von nebenan, der so süß gewesen war, so große Augen und solche Angst davor gehabt hatte, in das staatliche Pflegekinderprogramm zurückgeschickt zu werden, solche Angst davor gehabt hatte, allein zu sein.

Ich erinnerte mich daran, dass er Mühe gehabt hatte, Spaß zu haben und sich zu entspannen, als Poppy ihn das erste Mal in unseren Garten gezerrt hatte, damit er mit uns spielte. Er war so klein gewesen, mit so großen, traurigen Augen, dass mein Herz sich zusammengezogen hatte. Jedes kleine Kind sollte wissen, wie man spielt, sollte sich im Dreck wälzen und Krach machen wollen, und es schien damals, als täte jedes andere kleine Kind das auch, nur Rowdy nicht.

Wahrscheinlich tat er mir so leid, weil ich genau gewusst hatte, wie er sich fühlte. Ich war kaum ein Teenager gewesen und hatte schon damals nicht daran denken wollen, wie es bei meinem Vater, dem Tyrannen, ankommen würde, wenn ich mit aufgeschürften Knien und zerrissenen Kleidern nach Hause kam. Ich wusste, ich würde angebrüllt werden, ich würde bestraft werden, würde all meine Privilegien – die wenigen, die ich hatte –, verlieren. Kein Spaß der Welt war diese Konsequenzen wert. Daher fand ich mich normalerweise damit ab, am Rande des Geschehens zu sitzen und nur zuzuschauen, wenn alle anderen Spaß hatten. Nur dass ich, sobald Rowdy auf der Bildfläche erschien, nicht länger allein dort zu sitzen brauchte.

So entdeckte ich auch seine große künstlerische Begabung. Normalerweise war Zeichnen langweilig gewesen, es war sauber und ordentlich, und wenn ich Galgenmännchen spielte, konnte ich mir keinen Ärger oder Stubenarrest einbrocken.

Ich hatte keine Ahnung gehabt, welch umwerfendes künstlerisches Potenzial es bei Rowdy freisetzen würde, wenn er ein paar Blätter Zeichenpapier und Buntstifte in die Hände bekäme. Schon mit zehn Jahren war er in der Lage, Bilder und Landschaften zu erschaffen, die so real aussahen, dass sie verdienten, gerahmt und irgendwo an die Wand gehängt zu werden. Der Junge war talentiert, und beim Zeichnen sah ich ihn das erste Mal wirklich lächeln. Er liebte es zu zeichnen, liebte es zu malen und mit Farbe herumzuklecksen, also war das etwas, das wir zusammen taten, wenn wir wieder einmal sonst nur zugeschaut hätten. Ich war grottenschlecht darin, aber ich freute mich, dass es ihn so glücklich machte.

Trotz unserer Unterschiede im Alter und auch in anderen Bereichen verstand Rowdy einfach, wie es war, mehr zu wollen als das, womit wir damals geschlagen waren. Er war eine verwandte Seele, und er munterte mich auf, obwohl mein Alltag trostlos und elend war.

Wir waren zwei Kinder, die versuchten, in Familien zurechtzukommen, die uns nicht wirklich wollten oder verstanden. Wir schauten als Außenseiter auf unsere Familien und unser Leben, aber wenigstens waren wir gemeinsam außen vor. Jedenfalls war er ganz einfach der beste Freund gewesen, den ich je gehabt hatte – war es noch immer.

Doch manchmal hatte ich mich gefragt, ob er damit zufrieden war, mit mir am Rand zu sitzen, ob es okay für ihn war, die Nase von außen an die Scheibe zu pressen, denn er war ein weiterer Mensch in meinem Leben, der von Poppys scheinbarer Perfektion geblendet wurde. Wir beobachteten alles um uns herum und fühlten uns nie mit einbezogen oder erwünscht, aber meine kleine Schwester ließ er nie aus den Augen.

Ich hatte immer gewusst, dass er Poppy mochte, aber irgendwie vergaß ich das in meinen letzten Momenten in Loveless. Als der Plymouth Belvedere aus der Einfahrt meiner Eltern fuhr, entdeckte ich im Rückspiegel seine strahlenden himmelblauen Augen. Ich sprang aus dem Wagen, und in dem Sekundenbruchteil verwandelte sich unsere freundschaftliche Nähe und unsere Verbundenheit als Außenseiter in etwas anderes.

Ich nahm ihn plötzlich als älter wahr, sah in ihm so viel mehr als nur den verwirrten Teenager. Er war erst fünfzehn, zu jung, um so viel Trauer und Verzweiflung in seinem Blick zu haben. Zu jung, um auf einmal so erwachsen und so anders auszusehen.

In diesem kurzen Moment verwandelte er sich für mich in etwas Begehrenswertes und Verbotenes. Mein Herz begann zu rasen. Keiner von uns war für den anderen bereit. Mit achtzehn hatte ich keinen Schimmer, wie lange die Erinnerung daran anhalten würde oder was es bewirken würde, aber ich musste ihn zum Abschied küssen, musste ihn wissen lassen, dass er mir auf so viele verschiedene Arten wichtig war, obwohl ich fortging und nie mehr zurückkommen würde.

Aber jetzt schaute mich Rowdy dank eines Glücksfalls und dank Phil Donovan von meinem Handydisplay an, ganz erwachsen und zum Anbeißen süß. Er war immer noch blond, lächelte immer noch auf eine Art, die mein Herz höherschlagen ließ, aber er war größer, tougher, und diese blauen Augen mussten nun gegen eine Fülle von Tinte antreten, die den Großteil seiner sichtbaren Haut bedeckte. Es war, als würde ich in eine Kristallkugel starren, in der ich alles sah, was ich plötzlich haben wollte, und die mir sagte, dass so meine Zukunft aussehen würde.

Ohne nachzudenken, rief ich Nash zurück und nahm den Job an. Er sagte irgendetwas über ein Vorstellungsgespräch, aber ich konnte ihn bei dem Rauschen des Blutes in meinen Ohren kaum hören. Natürlich würde ich weitere Details in Erfahrung bringen müssen, bevor ich meine Sachen packte und fortging, aber ich hatte einen neuen Bestimmungsort und ein klares Ziel vor Augen. Ich wollte herausfinden, ob wir immer noch so harmonierten wie damals, ob die unleugbare Verbindung und der Sog noch da waren. Damals, als wir zu jung und zu verloren gewesen waren, um zu wissen, was wir damit anfangen sollten.

Es dauerte etwas, von dem Laden wegzukommen, für den ich gegenwärtig arbeitete, vor allem, weil man dort gerade einen Vertrag für eine Tattoo-Reality-Show unterzeichnet hatte, und eins der schlagendsten Argumente wohl gewesen war, dass ich an der Rezeption saß. Ich musste außerdem mit Mister »Ich will mehr« Schluss machen und zu einem Fotoshooting nach New York fliegen, das ich für eine Tattoo-Zeitschrift gebucht hatte.

Mit jedem Tag wurde ich nervöser. Ich wollte nach Colorado, wollte einen Blick auf den erwachsenen Rowdy werfen. Ich brannte darauf zu sehen, was die Jahre mit ihm angestellt hatten, abgesehen davon, dass sie ihn unglaublich sexy gemacht hatten. Er hatte immer schon eine wunderbare Persönlichkeit gehabt. Liebenswürdig und locker, obwohl sein Leben alles andere als ein Zuckerschlecken gewesen war. Ich hatte ihn immer bewundert, hatte beneidet, dass er sich mit allem arrangierte. Ich war das genaue Gegenteil, denn ich machte alles zu einem Kampf, einem Kampf ums Überleben, und das war anstrengend.

Wenn man immerzu um alles kämpfte, ging der Kampf um Dinge, die wirklich zählten, im Chaos unter, und dadurch verringerte sich ihre Bedeutung.

Ich warf alles, was ich besaß, in mein Auto und machte mich einmal mehr auf den Weg. Es war das erste Mal, dass ich einen Ort verließ und ein klares Ziel vor Augen hatte. Aufregend war nicht nur die Aussicht auf eine Begegnung mit Rowdy – der einzigen glücklichen Erinnerung, die ich aus meinem früheren Leben hatte –, sondern auch die Vorstellung, ein Tattoo-Imperium mit aufzubauen und Phils Vermächtnis mit der nächsten Generation von Tattoo-Göttern in die Welt hinauszutragen. Und ich liebte eine ordentliche Herausforderung.

Als ich im Mai in Denver ankam, war ich verblüfft, wie schön die Stadt tatsächlich war. Sie war so sauber, und der Blick auf die Rocky Mountains, die in der Ferne aufragten, war atemberaubend. Die Stadt hatte eine Atmosphäre, die anders war als an jedem anderen Ort, an dem ich je gewesen war. Wenn ich einatmete, war mir, als würde die Bergluft etwas in meinem Inneren verändern. Oder vielleicht erstickte ich einfach wegen des Mangels an Sauerstoff. Denver lag immerhin eine Meile über dem Meeresspiegel, und in dieser Höhe zu atmen war ein wenig heikel.

Ich fand schnell eine kleine möblierte Wohnung, denn schließlich war ich eine Meisterin darin, mein Leben umzukrempeln und von einem Ort zum anderen zu ziehen. Ich machte mir selbst Mut und redete mir ein, dass es nicht verrückt von mir gewesen sei, aus einer Laune heraus und wegen des Fotos eines hübschen Jungen in einen ganz neuen Staat umzuziehen.

Ich machte mich schön, frisierte mir das Haar, legte blutroten Lippenstift auf und zog meine höchsten High Heels an, um meinen potenziellen neuen Arbeitgeber zu bezaubern. Dann machte ich mich auf den Weg.

Mein neuer Chef war ein Schatz. Genau wie sein Geschäftspartner. Außerdem gehörten sie in einen Fotokalender, der die heißen, tätowierten und gepiercten Männer von Denver zeigte.

Sie unterzogen auch mich einer genauen Musterung. Sie sahen sich meine Tätowierungen an, nicht auf lüsterne, eklige Art, sondern um festzustellen, ob ich den Unterschied zwischen schlechter und guter Arbeit kannte. Ich musste die Prüfung bestanden haben, denn die winzige Blondine mit dem Baby und dem sehr selbstbewussten Auftreten lächelte mich an und sagte ihnen, sie sollten mich einstellen, sonst gäbe es Ärger. Mister Sexy mit den Flammen-Tattoos am Kopf, Nash – als hätte ich ihn nicht schon an seinen Augen erkannt –, bot mir den Job an. Natürlich sagte ich zu.

Der Typ mit dem schwarzen Irokesenschnitt und der großspurigen Art machte einige ironische Bemerkungen und ließ ein Grinsen aufblitzen, das mein Blut zum Sieden gebracht hätte, wäre mir nicht der Ehering aufgefallen, den er am Finger trug. Diese beiden Männer waren Herzensbrecher. Allererster Güte. Ich sagte ihnen, dass wir mit Sicherheit eine gute Zeit zusammen haben würden und dass ich überglücklich sei, die Chance zu bekommen, gleich von Anfang an bei diesem neuen Laden dabei zu sein. Ich erklärte ihnen gerade noch, wie sehr ich mich freue, mit der Arbeit anzufangen, als ich seine Stimme hörte.

Sie war tiefer, aber in ihr lag noch der weiche texanische Akzent, den ich von damals in Erinnerung hatte. Als sein Kopf oben an der Treppe auftauchte, weiteten sich seine Augen in einem Ausdruck von Erkennen und nervöser Unruhe. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Obwohl er keineswegs begeistert zu sein schien, mich zu sehen, machte alles an seinem Anblick mich glücklich, und ich wusste einfach, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Als würde ich magnetisch angezogen, ging ich auf ihn zu und lauschte dem Klappern meiner Absätze auf den Holzdielen, das mit meinem Herzschlag synchron war.

Direkt vor ihm blieb ich stehen. Obwohl er eine Treppenstufe unter mir stand und ich hohe Absätze trug, überragte er mich. Er war breit gebaut und stark. Und er betrachtete mich, als wäre ich eine Art Erscheinung.

Das war ich auch. Ich war wirklich ein Geist aus seiner Vergangenheit, genau wie er es für mich war.

Ich strich ihm mit einem Finger über seine Nase und kämpfte gegen den Drang an, mich vorzubeugen und ihm meine Lippen auf den Mund zu pressen.

Ich sagte seinen Namen, seinen richtigen Namen, damit er wusste, dass ich es wirklich war – »Hallo, Rowland. Lange nicht gesehen« –, und er zuckte zur Antwort zusammen. »Du hast dich aber prächtig entwickelt.« Einen Moment lang schauten wir einander nur schweigend an, und er wurde ganz blass. Ich legte ihm eine Hand auf die Wange und gab ihm einen kleinen Klaps, und er flüsterte mit erstickter Stimme meinen Namen.

Seitlich an seinem Hals war ein gewaltiger Anker eintätowiert. Und da Rowlands Puls unter dem Tattoo heftig donnerte, sah der Anker aus, als wäre er lebendig.

Ich schaute mich kurz um und erklärte dem Rest unseres verwirrten Publikums: »Kleine Berichtigung: Es wird eine tolle Zeit werden. Wir sehen uns dann am Montag bei der Arbeit. Schickt mir eine E-Mail, falls ich noch irgendwelche Formulare ausfüllen soll.«

Ich strich bewusst mit einer Hand über Rowdys Brust, als ich an ihm vorbei die Treppe hinunterging. Sein Herz raste, und ich spürte sein Zittern. Sicherlich war das mehr auf den Schock zurückzuführen als auf eine Würdigung meiner weiblichen Reize, aber das kümmerte mich nicht.

Zum ersten Mal in meinem ganzen Leben wusste ich genau, wo ich hingehörte.

Kapitel 1

Rowdy

Die Billardkugeln klackten laut zusammen und rollten ziellos über den Tisch. Keine Einzige, weder volle noch halbe, fand ihren Weg in ein Loch. Ich stützte mich schwer auf das Queue und betrachtete mit finsterem Blick den Tisch.

»Mann, bist du aber neben der Spur.«

In mehr als nur einer Hinsicht. Ich schnaubte und schaute quer über den Billardtisch zu meinem besten Freund hinüber, Jet Keller. Er war nur noch selten in der Stadt. Meist war er unterwegs, um aufstrebende Bands in Stars zu verwandeln, oder er war damit beschäftigt, selbst den Rockstar zu spielen. Es war selten geworden, dass er abends tatsächlich zu Hause in Denver war und nicht an seiner sehr hübschen Frau klebte. Normalerweise hätte ich mich um ein wenig Bro-Zeit mit Jet gerissen, aber wie er schon bemerkt hatte: Ich war neben der Spur.

Mit einem Griff nach hinten schnappte ich mir die Flasche Bier, die ich auf dem Tisch hatte stehen lassen. Bier war normalerweise die Lösung für alle Probleme des Lebens, aber die Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, die Gedanken, die mich nachts wachhielten, konnten von allem Bier der Welt nicht zum Schweigen gebracht werden.

Ich trat von einem Fuß auf den anderen und schaute zu, wie Jet mit fast jedem seiner Stöße Kugeln versenkte. Ich hatte keine Ahnung, wie er es schaffte, sich dabei über den Tisch zu beugen, ohne dass ihm die Hose riss. Ich zog ihn immer wieder damit auf, dass er sich, wenn er jemals Kinder haben wollte, lieber normale Jeans kaufen solle. Mir taten seine Eier leid.

Ich kannte Jet schon seit Jahren und war an seinen Hardrock-Stil gewöhnt. Er passte zu seiner Persönlichkeit. Er passte zu dem Mann, der er war. Der Stil stand ihm auf der Bühne und im normalen Leben fantastisch, aber er passte nicht in die heruntergekommene Kellerkneipe abseits des Rummels, in die ich ihn geschleppt hatte. Die Bar, die dem Tattoo-Studio am nächsten war, mied ich, weil ich nicht die Absicht hatte, meiner neuen Kollegin über den Weg zu laufen.

Es war schwer genug, sie tagein, tagaus im Laden zu sehen. Und es war ein stündlicher Kampf, zu verhindern, dass ich mit den neun Millionen Fragen, die ich hatte, herausplatzte. Ich wollte alles wissen, wollte alle Antworten haben, aber mir war klar, dass sie, selbst wenn Salem sie gehabt hätte, nicht die Tatsache wettmachen würden, dass sie mich vor all den Jahren im Stich gelassen hatte.

Also schwieg ich einfach. Ich hielt die Klappe und riss mir ein Bein aus, um sie nicht anzusehen und nicht direkt mit ihr zu sprechen. Und ich sorgte dafür, nicht dort zu sein, wo ich sie nach der Arbeit vermutete. Das bedeutete, dass die Kneipe nah beim Laden gegenwärtig tabu war, genau wie die heruntergekommene Spelunke, die einem guten Freund von mir gehörte. Das waren die beiden einzigen Lokale, die ich mit meinen Freunden und dem Rest der Truppe aus dem Tattoo-Studio besuchte, daher lag es nah, dass auch Salem dort auftauchen würde.

Also hatte ich Jet in eine Kneipe geschleppt, die aussah, als wäre sie nicht mehr geputzt worden, seit Colorado den Goldrausch erlebt hatte, und in der jedes argwöhnische Augenpaar auf uns gerichtet war.

»Die letzten paar Wochen waren seltsam.«

Jet sah mich fragend an und bedeutete mir, die Kugeln neu aufzubauen.

»Hat das etwas mit dem Babe aus Vegas zu tun?«

Meine Schultern verkrampften sich unwillkürlich. »Vielleicht.«

Ich ließ mir Zeit dabei, die bunten Kugeln wieder in dem Dreieck anzuordnen, und als ich fertig war, richtete ich mich auf und stützte mich mit beiden Händen auf die Tischkante. Meine tätowierten Fingerknöchel wurden unter dem Druck fast weiß. Das war das Ding mit einer so eng verbundenen Gruppe von Freunden, die einem die Familie ersetzten. Nichts war tabu, und alle wollten die Finger in die Wunde legen – wenn auch nur, um zu helfen.

Ich betrachtete Jet mit leicht zusammengekniffenen Augen, als er uns bei der Kellnerin, die aussah, als würde sie diese Arbeit schon seit Ewigkeiten machen, eine weitere Runde Bier bestellte. »Ausgezehrt« beschrieb nicht einmal annähernd das verlebte Aussehen der Kellnerin, und es ärgerte mich irgendwie. Wenn ich nicht so ein Spinner gewesen wäre, hätten wir in unserer Bar sein können, wo Dixie kellnerte. Sie war eine ganz Süße. Eine unbeschwerte Rothaarige mit einem strahlenden Lächeln. Außerdem war sie immer dafür zu haben, sich nackt die Zeit mit mir zu vertreiben, ohne am nächsten Morgen irgendetwas zu erwarten, was die Tatsache, dass ich von Betty angeknurrt wurde, der Kellnerin des Teufels persönlich, noch ärgerlicher machte.

Also pflaumte ich Jet an: »Was hast du gehört?«

Er grinste mich auf eine Art an, die mich wissen ließ, dass er fand, dass ich ein Blödmann war.

Ich war nicht leicht zu provozieren. Normalerweise sah ich keinen Sinn darin. Die Dinge klärten sich meist von selbst, und erst wenn die Menschen besonders angestrengt darauf hinarbeiteten, den Ausgang der Dinge zu verändern, geriet alles aus den Fugen. Ich glaubte fest daran, dass, was immer geschehen sollte, geschehen würde, und dass es keine Möglichkeit gab, den Ausgang zu kontrollieren.

Jet gab der Kellnerin ein Trinkgeld, nahm die Bierflaschen entgegen und reichte mir eine.

»Nur dass sie besonders ist. Ich habe gehört, dass sie Cora die Stirn bieten kann, dass sie ein großartiges Händchen mit den Kunden hat, dass sie sich damit auskennt, ein Tattoo-Studio zu managen, dass sie nicht nur toll ist, sondern extrem toll, und dass du ihr aus dem Weg gehst, als käme sie aus einer Leprakolonie und nicht aus Sin City.«

Cora Lewis war die Managerin im The Marked, dem Tattoo-Studio, in dem ich arbeitete. Sie war winzig und hatte ein großes Mundwerk, und sie war unser eigentlicher Boss. Neben Jet war sie meine beste Freundin auf der Welt. Die Tatsache, dass sie Salem sofort ins Herz geschlossen hatte, dass sie sie mit offenen Armen willkommen geheißen hatte, ohne mich auch nur zu fragen, wie ich dazu stand, ärgerte mich und gab mir das Gefühl, außen vor zu sein. Alle schienen Salem zu lieben und hörten nicht auf, Loblieder auf sie zu singen und davon zu schwärmen, was für eine Retterin sie bei der Expansion mit dem Laden an der neuen Location gewesen sei. Wen von meinen Kollegen im The Marked man auch fragte, sie war die Rettung schlechthin.

Ich wollte, dass sie dorthin zurückging, wo sie hergekommen war, und alle Erinnerungen mitnahm, alle Gefühle, die ich mit ihr verband. Ich hatte lange und hart gearbeitet, um die meisten Dinge aus meinem Leben vor Colorado zu begraben, und ich brauchte keine tägliche Erinnerung daran, dass ich beide Cruz-Schwestern geliebt und verloren hatte.

»Sie ist wunderschön. Ist es immer gewesen.«

Salem Cruz hatte alles, was ein modernes Pin-up-Girl brauchte, um ein Publikumshit zu sein. Da waren die ansprechenden Kurven, die ewig langen, tollen, dunklen Haare mit der leuchtend roten Strähne im Pony. Sie hatte Augen von der Farbe von Obsidian, umrahmt von schwarzem Eyeliner, und Lippen, die zu einem perfekten blutroten Schmollmund geschminkt waren.

Sie sah aus wie aus einer Hot-Rod-Zeitschrift. Ihr Stil war frech und sexy, sodass man sie fast unmöglich ignorieren konnte. Jeden Tag zwinkerte mir der kleine Rubin ihres Monroe-Piercings zu, das sie über der Oberlippe trug, und jeden Tag versuchte ich, nicht zu bemerken, dass ihre tätowierten Arme mit meisterhaften Kunstwerken bedeckt waren, um die ich sie als Profi und als Künstler beneidete. Ich gab mir außerdem wirklich große Mühe, mich nicht daran zu erinnern, wie sie diese Arme um mich geschlungen hatte, als ich klein gewesen war und die ganze Zeit Angst gehabt hatte, und sie versucht hatte, mich zu trösten.

»Von wann früher kennst du sie denn?«

Jet hatte keine Ahnung, wie aufgeladen diese Frage war.

»Sie ist in Texas im Haus nebenan aufgewachsen. Als Kind habe ich viel Zeit bei ihrer Familie zu Hause verbracht.«

Sie hatte damals anders ausgesehen, viel konservativer und traditioneller. Ihr Haar war dunkler gewesen, aber ihre Augen waren immer noch nachtschwarz und geheimnisvoll wie damals. Ihr Lächeln war das gleiche wie früher, genau wie bei mir das Gefühl, dass mein Blut mir in den Adern stockte, wenn sie an mir vorbeiging oder mich versehentlich streifte. Damals hatte ich gedacht, das wäre falsch. Ich hatte gedacht, dass es beängstigend und gefährlich war, so auf ein Mädchen zu reagieren, das ich, wie ich wusste, nicht haben konnte. Aber jetzt wusste ich, dass Salem unwiderstehlich war, und dass es physisch unmöglich war, nicht auf sie zu reagieren.

»Was soll also die kalte Schulter?«

Normalerweise war ich charmant und umgänglich mit dem anderen Geschlecht. Ich hatte einfach eine gewisse Art, mit Frauen zu reden, sodass ich meinen Willen bekam und unterm Strich alle glücklich waren. Bei Salem konnte ich das nicht. Ihr gegenüber fand ich keine Worte, die nicht vorwurfsvoll waren, die keine Schuldzuweisung und nicht geradezu gehässig waren. Ich war wütend auf sie, weil sie fortgegangen war, und noch wütender, weil sie plötzlich wieder aufgetaucht war.

»Sie hat Loveless verlassen, als ich fünfzehn war. Sie hat eine Tasche gepackt und ist mitten in der Nacht zusammen mit dem größten Grasdealer der Stadt verschwunden. Ihre Eltern waren wichtige Leute in der Kirche, und ihre kleine Schwester hat sie angebetet, also war es hart für alle, als sie fortging.« Ich nahm einen tiefen Zug Bier und stieß einen Seufzer aus. »Für mich war es wirklich hart.«

Ich hatte Poppy, Salems Schwester, mit meiner ganzen jungen Seele geliebt. Sie war mein Ein und Alles gewesen, sie war der Mittelpunkt meiner ganzen Welt gewesen. Zumindest bis ich ihr aufs College gefolgt war und sie mir zu guter Letzt gesagt hatte, dass das mit uns niemals etwas werden würde. Salem dagegen war meine Vertraute gewesen, meine Beichtschwester und, was vielleicht das Wichtigste war, sie hatte einem einsamen und unerwünschten Jungen Freundschaft und Akzeptanz angeboten. Sie war meine allerbeste Freundin gewesen, und ohne sie war ich verloren gewesen. Als sie, ohne auch nur Lebewohl zu sagen, fortgegangen war, hatte ich mich zum zweiten Mal in meinem Leben im Stich gelassen gefühlt. Einmal mehr war ich von jemandem zurückgelassen worden, dem ich eigentlich dauerhaft etwas hätte bedeuten sollen. Salem ließ mich leer und verzweifelt zurück.

»Ihr habt euch also nahegestanden, und dann hat sie die Fliege gemacht, und jetzt hast du sie nach zehn Jahren zum ersten Mal wiedergesehen und bist deswegen total durch den Wind?«

Wenn es nur so einfach gewesen wäre. Die Cruz-Schwestern hatten mir mit ihrem Kommen und Gehen übel mitgespielt. Ich wäre vollkommen zufrieden gewesen, wenn ich keine von beiden jemals hätte wiedersehen oder über sie hätte nachdenken müssen.

Wenn ich mein Haar nicht hochgegelt hätte, hätte ich es mir frustriert mit beiden Händen gerauft. »Ich bin nicht total durch den Wind. Ich habe ihr nur einfach nichts zu sagen. Ein Jahrzehnt ist eine lange Zeit. Sie ist eine Fremde.« Und was immer ich zu ihr sagen wollte, würde ohnehin nicht richtig herauskommen, weil ich immer noch viel zu wütend war.

Jet warf mir einen skeptischen Blick zu und zeigte mit seiner offenen Bierflasche auf mich. »Klar. Sie ist eine Fremde. Eine superheiße Fremde, und statt mit ihr zu reden oder mit ihr zu flirten, wie du es normalerweise tun würdest, benimmst du dich wie ein Verrückter und bringst kein Wort heraus. Also nein, überhaupt nicht durch den Wind.«

Ich überlegte, ihm mit meinem Queue eins überzubraten, aber ich hatte eine Schwäche für seine Frau Ayden, und ich wollte nicht, dass sie mir böse war.

»Halt die Klappe. Du bist nicht mehr oft genug in der Nähe, um Bemerkungen über mein Benehmen machen zu können.«

Es war als Scherz gemeint, als Versuch, das Gesprächsthema zu wechseln, aber er zuckte zusammen, und seine Hände schlossen sich unwillkürlich fester um seine Bierflasche.

Jet arbeitete hart. Er tat alles dafür, dass Bands, an die er glaubte, sich einen Namen machen konnten. Er war großartig als Manager seines eigenen Plattenlabels, aber die Kehrseite der Medaille war, dass er dorthin gehen musste, wo die Musik war. Das bedeutete, dass er ständig unterwegs war, in L.A., Nashville, New York, Austin oder sogar in Europa. Es war hart für ihn, da er und Ayden erst seit zwei Jahren verheiratet waren, und sie waren verliebt – wirklich sehr verliebt. Es setzte ihnen beiden sichtlich zu, aber keiner von ihnen hatte irgendetwas darüber gesagt, und wie ich bereits festgestellt hatte, ließ sich das Schicksal nicht aufhalten, ganz gleich, was dieses abscheuliche Miststück für einen parat hielt.

»Ist bei dir zu Hause alles klar?« Ich wollte nicht neugierig sein, aber es war besser, als in meiner Vergangenheit herumzuwühlen.

»Mit Ayden und mir ist alles toll. Bloß alles andere ist ätzend.« Er schüttelte seinen Kopf mit dem dunklen Haar und sah mich mit gerunzelter Stirn an. »Sie will sich für das Graduiertenprogramm in Austin bewerben.«

Ich hielt eine Sekunde lang inne, damit ich nichts Dummes sagte. »Ihr wollt nach Austin ziehen?«

Er kippte den Rest seines Biers hinunter und legte den Queue quer über den Tisch.

»Wollen – nein, aber es ist das Vernünftigste. Sie kann an die UT Austin wechseln und das Studium beenden, und ich könnte meine Frau tatsächlich öfter als zwei- oder dreimal im Monat sehen. Aber es ist ätzend. Unsere Freunde sind hier. Ihr Bruder ist hier, und Cora hat gerade erst das Baby bekommen.« Wieder schüttelte er den Kopf, und seine Brust hob und senkte sich mit einem tiefen Seufzer. »Es war ihre Idee, aber ich fühle mich deswegen trotzdem beschissen. Ich habe das Studio renoviert und gedacht, das würde genügen, aber es reicht einfach nicht.«

Es war tatsächlich ätzend, aber verständlich.

»Wann wird sie erfahren, ob sie den Platz bekommt?«

»Das wird noch eine Weile dauern. Das Aufnahmeverfahren dauert, und selbst wenn man sie haben will, muss sie noch ein Vorstellungsgespräch überstehen und eine Million Hürden nehmen, bevor es offiziell ist. Versuche bitte, nichts zu Rule oder Nash zu sagen. Sie hat Shaw und Cora noch nichts davon erzählt, weil sie warten will, bis wir uns sicher sind, was wir tun werden.«

Rule und Nash führten das Tattoo-Studio, und Shaw war nicht nur Aydens beste Freundin, sondern auch Rules Ehefrau. Die drei Frauen in unserer kleinen Welt standen sich total nah, und wenn einer von uns Typen zu früh mit dieser bedeutenden Entwicklung herausplatzte, würde mit Sicherheit ein Drama folgen. Diese Frauen waren eine feste Einheit, und die Vorstellung, dass eine von ihnen fortging, würde zu ernsthaften emotionalen Turbulenzen führen.

»Das sind ziemlich große Neuigkeiten. Es ist vielleicht keine gute Idee, das zu verschweigen. Hat sie Asa schon erzählt, dass sie überlegt, von hier wegzugehen?«

Asa führte die Bar und war Aydens älterer Bruder. Er war etwas unberechenbar. Der einzige Grund, warum er sich in Denver niedergelassen hatte, war sein Wunsch gewesen, in der Nähe seiner Schwester zu sein. Die beiden hatten eine etwas angespannte Beziehung, weil Asa lange Zeit ein großes Arschloch und ein Kleinkrimineller gewesen war, aber sie waren gerade dabei, sich endlich zu versöhnen.

Jet nickte und setzte sich auf den Tisch. Ich erwartete wirklich bei jeder seiner Bewegungen, dass seine Jeans entzweiriss, und es machte immer Spaß, ihn damit aufzuziehen.

»Sie haben darüber geredet. Er hat ihr gesagt, sie solle tun, was immer sie glücklich mache. Ich denke, es hat sie gestört, dass er sie nicht gebeten hat zu bleiben.«

Mit einem Seufzen legte ich den Kopf ein wenig schief. Plötzlich fiel mir eine Gruppe von Männern auf, die einige Jahre älter waren als wir und uns provozierende Blicke aus der hinteren Ecke der Kneipe zuwarfen. Ich wusste ja, dass wir in das schäbige Ambiente nicht richtig hineinpassten, in die derbe Atmosphäre dieser Spelunke, aber wir kümmerten uns um unsere eigenen Angelegenheiten und respektierten immer das Territorium der Stammgäste.

Während ich die Gruppe im Auge behielt, bemerkte ich geistesabwesend zu Jet: »Er hat sie ihr Leben lang gebeten, irgendwelche Dinge für ihn zu tun. Nachdem er beinahe gestorben wäre, leuchtet es ein, dass Asa vielleicht einmal in seinem Leben will, dass sie etwas für sich selbst tut. Er weiß, dass du sie glücklich machst, und er wird versuchen, ihrem Glück nicht mehr im Weg zu stehen.«

Asa war mir ein Rätsel. Er war irgendwann aus heiterem Himmel aufgetaucht und hatte Ayden in eine Sache hineingezogen, die mit ihrer Vergangenheit und einer Bikergang zu tun gehabt hatte. Am Ende hatte Asa im Koma gelegen und Jet und Ayden hatten Eheringe getauscht. Wir alle hatten die blonde Frau aus dem Süden in unserer Mitte willkommen geheißen, aber ihn beobachteten alle mit Vorsicht. Er konnte sich glücklich schätzen, dass Rome, Rules Bruder, aus dem Krieg nach Hause gekommen war und die Bar gekauft hatte. Aus irgendeinem Grund hatte der ältere Archer-Bruder eine Schwäche für Asa entwickelt und ihm Arbeit gegeben. Wir anderen warteten einfach ab, wie sich das entwickelte.

Die Männer, die uns beobachteten, steckten die Köpfe zusammen, und der Typ, den ich für den Anführer hielt, fing meinen Blick auf und zeigte mir mit einem höhnischen Grinsen den Mittelfinger.

Ich stellte meine Bierflasche beiseite und schaute wieder zu Jet hinüber. »Die Eingeborenen werden unruhig. Wir sollten wahrscheinlich gehen.«

Ich hatte nichts gegen eine schöne, altmodische Kneipenschlägerei einzuwenden. Schließlich hatte ich Football gespielt, bis ich am Ende meines ersten Jahres vom College abgegangen war. Ich war immer noch gebaut wie ein Sportler, selbst wenn ich sonst eher so aussah wie James Dean. Ich war größer als die meisten der Typen hier und definitiv besser in Form, aber ich bildete mir gern ein, dass ich in den letzten paar Jahren erwachsener und reifer geworden war. Blutvergießen und gebrochene Knöchel zu vermeiden, mit denen ich dann nicht tätowieren konnte, war offensichtlich die bessere Option.

Jet schaute sich um und senkte zustimmend das Kinn, nur dass unsere Entscheidung, die Bar zu verlassen, einen Sekundenbruchteil zu spät kam. Als wir gerade zur Tür gingen, beschlossen die Männer, dass sie uns nicht einfach verschwinden lassen konnten. Ich blieb stehen, und Jet hielt neben mir inne, als wir plötzlich mit drei ziemlich betrunkenen Typen mittleren Alters konfrontiert waren, die aussahen, als würden sie stundenlang schwere körperliche Arbeit leisten. Der Typ, der mir den Mittelfinger gezeigt hatte, musterte mich demonstrativ vom Kopf bis zu den Spitzen meiner abgetragenen schwarzen Cowboystiefel. Er schnitt eine Grimasse und stieß einem seiner Kumpel so fest den Ellbogen in die Rippen, dass der andere Mann ächzte.

»Was meinst du, wer dieser Witzbold sein will? Elvis?« Sein Blick flackerte zu Jet hinüber. »Und wer willst du sein? Ozzy Osbourne? Marilyn Manson? Irgendjemand muss euch Jungs mal daran erinnern, dass Halloween im Oktober ist.«

Jet spannte an meiner Seite merklich die Muskeln an, aber keiner von uns rührte sich.

»Wie lange hast du gebraucht, um dir dein Haar so hübsch zu machen? Es wäre eine echte Schande, wenn jemand es dir durcheinanderbringen würde.«

Ich hatte tolles Haar, und es dauerte tatsächlich länger, als ich gern zugab, es in diesem Retro-Stil zu frisieren. Wenn dieser Typ glaubte, er käme mit den Händen auch nur in die Nähe meines Kopfes, dann war er auf dem Holzweg. Gerade wollte ich ihm sagen, dass wir keinen Ärger wollten, dass wir uns fröhlich auf den Weg machen würden, als sein Arm hochschoss. Ich wollte schon sein Handgelenk packen und ihm erklären, dass er sich verpissen solle, als der Mann, dem er den Ellbogen in die Rippen gerammt hatte, mir zuvorkam.

Er schlug die Hand seines großmäuligen Kumpels weg und zeigte auf mich. »Du kommst mir bekannt vor.«

Ich warf Jet einen Seitenblick zu, und er zuckte mit den Achseln. »Ich wüsste nicht, wie. Das ist unser erster – und letzter – Besuch hier.«

Der Mann musterte mich. Tatsächlich nahm er mich so lange unter die Lupe, bis es irgendwie unangenehm wurde. Der Typ mit der großen Klappe sah aus, als wäre er kurz davor, erneut das Wort zu ergreifen, als der andere plötzlich mit den Fingern schnippte und breit grinste. »Jetzt weiß ich’s! Du hast am College für Alabama Football gespielt.«

Ich blinzelte ihn an, und jetzt war es an mir, die Augen aufzureißen. Niemand erkannte mich normalerweise aus dieser Zeit meines Lebens. Wirklich niemand. Jene Tage waren lange her, und ich hatte nur eine einzige Saison lang auf dem Feld gestanden.

»Ähm …« Ich hörte Jet neben mir leise kichern, aber ich wollte diese Chance auf ein friedliches Entkommen nicht vermasseln. »Ich habe tatsächlich gespielt, aber vor sehr langer Zeit.«

»Ich habe meinen Abschluss an der University of Alabama gemacht, deshalb folge ich dem Crimson-Tide-Team mit geradezu religiösem Eifer. Du warst ein Runningback. Ich erinnere mich, dass alle gesagt haben, du hättest ein Riesenpotenzial. Ich erinnere mich auch, gedacht zu haben, dass die Trainer echt Eier in der Hose hatten, dich in die Startmannschaft zu lassen. Du warst schnell, schnell genug, um ihnen zu helfen, in dem Jahr das Sugar-Bowl-Spiel zu gewinnen. Rowland irgendwas … richtig?«

Ich rieb mir den Nacken. Der Rest der Typen war verstummt und sah mich jetzt auf vollkommen andere Art an. Es ging doch nichts über Football, um das wütende Arbeitertier zu besänftigen.

»Rowdy St. James.«

Er nickte. »Richtig. Rowdy, weil du wild und unberechenbar warst. Niemand konnte voraussehen, in welchen Mustern du laufen würdest. Aber irgendetwas ist damals passiert. Ich erinnere mich nicht, was, aber ich weiß noch, dass du im Bowl-Spiel der folgenden Saison nicht mehr dabei warst. Ich weiß noch, dass im ESPN-Sportsender über dich gesprochen wurde. Du bist einfach von der Bildfläche verschwunden, und alle haben sich gefragt, warum.«

Das war nichts, worüber ich sprechen wollte, erst recht nicht mit einer Gruppe von Männern, die noch vor wenigen Sekunden darauf gebrannt hatten, Streit anzufangen.

Ich zuckte mit den Achseln und zwang mich zu einem verlegenen Grinsen. »Tja, weißt du, der Druck hat mir zugesetzt. Ich war nicht bereit für die große Show. Es sollte einfach nicht sein.«

Eine Karriere als Profi-Footballer hatte für mich wirklich nicht in den Sternen gestanden, aber das hatte nichts mit dem Druck zu tun gehabt, nur damit, dass es mir nicht wichtig genug gewesen war. Aber das würde ich diesen Typen nicht auf die Nase binden.

»Du warst ein talentierter Junge. Es ist eine Schande, dass du es nicht durchgezogen hast.«

Ich knirschte mit den Backenzähnen und zuckte mit den Achseln. Es hatte nichts mit Durchziehen zu tun gehabt, sondern mit der Tatsache, dass ich einige Wochen vor dem Bowl-Spiel den designierten Quarterback beinahe mit bloßen Händen totgeprügelt hätte. Mann, wo kamen gerade die ganzen unschönen Erinnerungen her?

Es gab nur eine Möglichkeit, hier rauszukommen. Ich schlug dem Superfan auf die Schulter und brüllte, so laut ich konnte: »Roll Tide!«

Sofort folgte das Antwortgebrüll des Typen, der mich erkannt hatte, und das setzte natürlich eine endlose Debatte über College Football und die Big-Ten-Liga in Gang, was wiederum in einem Gespräch über die Broncos und ihre tragische Niederlage im Super Bowl mündete. Bevor die Typen es bemerkten, gelang es Jet und mir, zur Tür hinauszuschlüpfen und die lauten Männerstimmen und klirrenden Bierflaschen hinter uns zu lassen.

Auf dem Parkplatz krümmte Jet sich vor Lachen, und ich konnte es mir nicht verkneifen, ihm einen Klaps auf den Hinterkopf zu geben, als wir zu dem protzigen Dodge Challenger gingen, den er fuhr.

»Klappe.«

»Was zur Hölle soll ›Roll Tide‹ überhaupt bedeuten?«

Er ließ die Schlösser der Autotüren aufspringen, und wir stiegen ein.

»Wie wärs mit ›Danke, dass du uns davor bewahrt hast, uns den Weg dort hinaus erkämpfen zu müssen, Rowdy‹?«

Der Wagen sprang mit einem sexy Schnurren an, und ich zuckte zusammen, als donnernde Gitarren und schreiender Gesang meine Trommelfelle attackierten. Ich fand es prima, womit Jet sich seinen Lebensunterhalt verdiente, und er war zweifellos sehr talentiert, aber dieses Metal, das er so gern mochte, war nicht mein Ding. Ich streckte die Hand aus, um die Musik auszuschalten, ohne zu fragen, was ihn erneut zum Lachen brachte.

»Es ist ein Football-Ding. Etwas, das ihr Musiker nicht verstehen könnt.«

»Hey, ich schaue mir Football an.«

»Ich habe mir schon Spiele mit dir zusammen angesehen. Du verfolgst sie fünf Minuten lang, dann klinkst du dich aus und besäufst dich entweder bis zum Umfallen oder suchst dir etwas zu schreiben und verfasst bis zur Halbzeit zwanzig neue Songs. Das ist nicht Football schauen, mein Freund.«

Er bestritt es nicht. »Trotzdem, ich hatte keine Ahnung, dass du berühmt warst, weil du einen Ball herumgeworfen hast. Ich meine, ich wusste, dass du früher gespielt hast, aber nicht, dass du im ESPN warst und so.«

Ich stöhnte und lehnte mich auf dem Sitz zurück. »Ich habe keinen Ball herumgeworfen. Ich habe einen Ball gefangen und bin damit gelaufen, und der einzige Grund, warum sich irgendjemand überhaupt dafür interessiert hat, war der, dass ich dem allen den Rücken gekehrt habe, ohne irgendetwas zu erklären.«

Er sah mich aus dem Augenwinkel an, und ich schaute bewusst weg.

»Ich nehme nicht an, dass du es jetzt erklären willst?«

»Das nimmst du richtig an.«

»Ich dachte, meine Alte wäre die Meisterin im Hüten von Geheimnissen aus der Vergangenheit. Wie sich herausstellt, kann sie dir nicht das Wasser reichen.«

Zur Antwort stieß ich nur ein Seufzen aus.

In Wahrheit dachte ich einfach nie an meine Vergangenheit. Nachdem ich Poppy aufs College gefolgt war, hatte ich mein Herz riskiert, hatte zugesehen, wie es zerfetzt wurde, und an Ort und Stelle beschlossen, mich nie mehr auf diese Weise an irgendetwas oder irgendjemanden zu binden. Ich ging vom College ab – nicht dass ich nach dem Zwischenfall mit dem Quarterback wirklich eine Wahl gehabt hätte – und tat am Ende das Gleiche wie Salem, packte meine Tasche, machte mich auf den Weg und ließ alles hinter mir zurück.

Ich verließ Texas mit all den Erinnerungen, die es barg, ließ Football, College und Poppy Cruz hinter mir zurück, wo sie geblieben waren, bis Salem vor einigen Wochen in mein Leben spaziert war, als wäre sie nie fort gewesen.

Jet hatte recht. Ich war durch den Wind, weil Salem in Denver war. So sehr, dass ich mir nicht sicher war, wie ich überhaupt damit klarkommen sollte, dass sie in der Nähe war. Dieses Mädchen hatte mich schon einmal zutiefst verletzt, als ich jung gewesen war. Nie würde ich vergessen, wie ich mich gefühlt hatte, als sie fortgegangen war. Ich wollte Salem nicht in der Nähe haben. Mir war nicht zu trauen, dass ich nicht wieder anfing, sie zu mögen und ihr zu vertrauen und sie mich dann wieder in ihren Bann zog, nur um erneut weiterzuziehen und mich leer und allein zurückzulassen.

Kapitel 2

Salem

Ich betrachtete die auffallend hübsche Blondine, die mir gegenüber vor der Rezeption stand. Sie war offensichtlich nervös. Spürbar fühlte sie sich fehl am Platz … Der maßgeschneiderte Hosenanzug und die Gucci-Tasche an ihrem Arm waren todsichere Zeichen dafür, dass sie wahrscheinlich gerade zum ersten Mal in ihrem Leben einen Fuß in ein Tattoo-Studio gesetzt hatte. Ich schenkte ihr mein herzlichstes Lächeln und zog eine Braue hoch, als sie ihre manikürten Hände auf die Theke vor mir legte. Es war mein Job, mich um den Publikumsverkehr zu kümmern, dafür zu sorgen, dass die Kunden wussten, was sie bekamen, und dass sie bei dem richtigen Künstler landeten. Es war außerdem mein Job, dafür zu sorgen, dass niemand einen Fehler machte, der ihm für immer auf seiner Haut erhalten bleiben würde.

Die Frau war wahrscheinlich im gleichen Alter wie ich, etwa achtundzwanzig oder neunundzwanzig, aber sie hatte eine Ausstrahlung an sich, die klarmachte, dass sie nicht wirklich wusste, was sie im The Saints of Denver tat. Das war der neue Laden, den Nash nach dem Tod seines Dads eröffnet hatte. Er lag mitten im Herzen des trendigen, teureren Teils von LoDo und war viel moderner und schicker als der Laden in Capitol Hill, gleich bei der Colfax Avenue.

Die Künstler, die hier arbeiteten, waren von Rule und Nash handverlesen worden. Sie waren talentiert und auch sonst ziemlich großartig. Da dies ein brandneues Studio war und Nash dessen Ruf aufbauen und es gleichzeitig als Verkaufsfläche für Klamotten und andere Tattoo-Artikel nutzen wollte, verbrachte ich mehr Zeit hier als in dem Laden, in dem die Männer normalerweise arbeiteten. Sie wechselten sich tageweise ab, sodass immer einer von ihnen in dem neuen Laden war, um das Publikum anzulocken.

Heute war Rowdys Tag im Laden, und normalerweise hätte mich das begeistert – wenn er nicht fest entschlossen gewesen wäre, so zu tun, als würden wir einander nicht kennen und als würde ich nicht existieren. Das ging jetzt seit fast einem Monat so, und wann immer der Blick dieser himmelblauen Augen auf mir landete, schaute er eine Sekunde später weg, und sein Kiefer mahlte angespannt. Ich hatte mehr als einmal versucht, ihn in die Enge zu treiben, ihn allein zu erwischen, damit wir über alles sprechen konnten, aber er war gut darin, mir aus dem Weg zu gehen, und ich hatte noch nie einem Mann hinterherjagen müssen, daher war ich mir nicht wirklich sicher, wie ich das anfangen sollte, ohne verzweifelt zu wirken.

Die Blondine schluckte sichtlich und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Ich fragte sie: »Wie läuft’s bei Ihnen?«

Ihr Blick flog zu mir, und ihre Lippen öffneten sich leicht. Sie war wirklich umwerfend auf eine sehr kultivierte, elegante Art. Ihre Augen hatten die Farbe des Ozeans und sahen zu Tode erschrocken aus, als sie mich anblinzelte. »Ich …« Sie hielt inne, und ihr Blick schoss zu etwas über meinem Kopf.

Ich konnte buchstäblich spüren, dass Rowdy hinter mich getreten war. Ich hatte so ein feines Gespür für ihn, war mir des Raums, den er einnahm, so bewusst, seines Geruchs und seiner Wirkung auf seine Umgebung, dass ich mich nicht einmal umzuschauen brauchte, um zu wissen, dass er da war.

Die hübsche Kundin schluckte erneut und riss die Augen noch weiter auf. Rowdy war heiß, und wenn er lächelte, war es schwer, sich nicht in ihn zu verlieben, aber diese Frau sah aus, als wäre sie kurz davor, ohnmächtig zu werden oder sich zu übergeben.

»Kann ich irgendwelche Fragen für Sie beantworten, Liebes?«

Im Laufe der Wochen hatte ich schnell gelernt, dass Rowdy schrecklich gern flirtete. Er hatte immer ein Grinsen auf dem Gesicht, immer ein sanftes Wort und für hübsche Frauen einen besonderen Glanz in den Augen. Sein Charme war mühelos, genau wie der leichte Humor, den er einsetzte, damit seine Kunden und Freunde sich wohlfühlten. Wenn ich den kleinen Jungen nicht gekannt hätte, der er früher gewesen war, hätte ich ihm das abgekauft, aber ich wusste, dass hinter dieser Sorglosigkeit und entspannten Art mehr verborgen war, als er der Welt zeigte.

Alle Farbe wich aus dem Gesicht der Frau, als sie Rowdy hinter mir betrachtete.

Ich fragte sie: »Wollen Sie sich kurz setzen und sich die Portfolios anschauen? Ich kann Ihnen ein Glas Wasser holen, und dann können wir darüber sprechen, was Sie heute ins Saints of Denver geführt hat.« Wieder lächelte ich sie an und hoffte, dass es sie beruhigen würde und dass es sie vielleicht von dem ablenkte, was sie vor Entsetzen lähmte – was immer das war.

Langsam bewegte sich ihr perfekt frisierter Kopf zu einem Nein hin und her. Sie nahm die Hände von der Theke und ballte sie an den Seiten zu Fäusten. Einmal mehr blinzelte sie mich an, dann riss sie den Blick wieder zu Rowdy zurück, der hinter mir herumlungerte, und stolperte einen Schritt rückwärts. »Ich bin einfach noch nicht bereit für das hier.«

Das war eine ziemlich extreme Reaktion für jemanden, der sich hatte tätowieren lassen wollen und dann kniff, aber ich war nicht der Typ, der andere verurteilte. Mir war es lieber, wenn sie jetzt ging, statt die Zeit aller Beteiligten zu verschwenden und einen Tag vor dem Termin abzusagen oder auszuflippen, wenn sie auf dem Stuhl saß. Das war nie gut fürs Geschäft.

»Sie wissen, wo wir zu finden sind, falls Sie Ihre Meinung ändern.« Rowdys Stimme verströmte Trost und hatte etwas, das sie zu beruhigen schien.

Sie umklammerte ihre Handtasche, vollführte eine hektische Kehrtwende und floh zur Tür.

Es war seltsam, aber definitiv nicht das Merkwürdigste, das ich je in einem Tattoo-Studio gesehen hatte. Ich spürte, dass Rowdy sich hinter mir bewegte, wusste, dass er wieder weggehen würde, ohne etwas zu sagen, und ich hatte die Nase voll davon, mich von ihm ignorieren zu lassen.

Obwohl der Laden gerammelt voll war und die anderen Künstler alle an Kunden arbeiteten, sprang ich von meinem Stuhl auf und packte Rowdy vorn an seinem Hemd. Es war schwarz und hatte weiße Paspeln und glänzende Perlmutt-Druckknöpfe, und ich hatte schon den ganzen Tag bewundert, wie die aufgekrempelten Ärmel die bunten Kunstwerke zur Geltung brachten, die seine beiden Unterarme bedeckten. Einen guten Teil meines Tages verbrachte ich damit, ihn mir genau anzuschauen, und ich schämte mich nicht dafür.

Er zog seine mittelblonden Brauen herunter, als er mich ansah, und der Anker seitlich an seinem Hals zuckte, als er die Finger um mein Handgelenk schloss. »Lass los.«

Instinktiv zog ich ihn näher heran, sodass er gezwungen war, sich ein wenig vorzubeugen, und dann sah ich nur noch diese Augen vor mir, die so strahlten wie der Himmel im Sommer.

»Hör auf, mir aus dem Weg zu gehen.« Mein Ton war schroff, aber ich hatte es satt, Spielchen mit ihm zu spielen. Wir mussten zusammenarbeiten, und ich war nur seinetwegen hier. An irgendeinem Punkt würde er das begreifen und verstehen müssen, was das bedeutete.

»Ich gehe dir nicht aus dem Weg.« All die Herzlichkeit, die normalerweise in seinen Worten lag, fehlte, wenn er mit mir redete. Sein Auge zuckte, als ich ihn noch näher heranzog, bis wir beinahe dieselbe Luft atmeten.

»Doch, tust du, und ich bin es leid. Du willst nicht mit mir reden, willst dich nicht mit mir unterhalten, das ist in Ordnung, aber du fragst nicht einmal nach Pop…« Den Rest ihres Namens bekam ich nicht mehr heraus, weil er mir seine Hand über den Mund schlug und mich mit der Hand, die bereits um meinen Unterarm lag, nach vorn und an seine Brust riss. Er beugte den Kopf vor, sodass seine Lippen direkt neben meinem Ohr waren.

»Fang gar nicht erst an, mit mir darüber zu reden, Salem.«

Ich schauderte, aber nicht vor Angst. Endlich wurde ich ganz an ihn gedrückt, nur dass die Zeit und der Ort total falsch waren. Eine Tatsache, die von Coras scharfer Stimme bewiesen wurde, als sie Rowdys Namen blaffte und ihm befahl, mich loszulassen.

Sofort verschwanden seine Hände, genau wie der Druck seines festen Körpers an meinem. Seine Nasenflügel bebten, und seine leuchtenden Augen wurden dunkel. Er war sauer, richtig sauer, und endlich schimmerte etwas von dem Jungen durch, den ich in Erinnerung hatte.

»Irgendwann werden wir reden müssen.« Meine Stimme hielt ich ruhig und lächelte ihn sogar an. Ich hatte das Gefühl, dass jede Bewegung, die ich machte, ihn nur noch mehr verschrecken würde.