Marked Men: In seiner Stimme - Jay Crownover - E-Book

Marked Men: In seiner Stimme E-Book

Jay Crownover

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Beschreibung

Als die 22-jährige Ayden den Sänger Jet kennenlernt, knistert es vom ersten Moment an zwischen ihnen. Doch Ayden wehrt sich erbittert gegen diese Anziehung. Jets Rock'n'Roll-Lifestyle erinnert sie zu sehr an ihre Vergangenheit, an fatale Entscheidungen, die fast ihr Leben ruiniert hätten. Aber je länger Ayden gegen ihre Gefühle kämpft, desto intensiver, desto unkontrollierbarer werden sie. Sie sind wie ein Feuer, das sie verzehrt. Und das nichts als die Asche ihrer zerstörten Träume zurücklässt ...

Die perfekte Mischung aus Drama und prickelnder Erotik - Die New-York-Times-Bestseller-Reihe "Marked Men".

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Personen

So fängt es an

  1. Kapitel

  2. Kapitel

  3. Kapitel

  4. Kapitel

  5. Kapitel

  6. Kapitel

  7. Kapitel

  8. Kapitel

  9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

Epilog

Jets Playlist

Über mich

Weitere Titel der Autorin

Marked Men: In seinen Augen

Marked Men: In seinem Herzen

Über dieses Buch

Als die 22-jährige Ayden den Sänger Jet kennenlernt, knistert es vom ersten Moment an zwischen ihnen. Doch Ayden wehrt sich erbittert gegen diese Anziehung. Jets Rock’n’Roll-Lifestyle erinnert sie zu sehr an ihre Vergangenheit, an fatale Entscheidungen, die fast ihr Leben ruiniert hätten. Aber je länger Ayden gegen ihre Gefühle kämpft, desto intensiver, desto unkontrollierbarer werden sie. Sie sind wie ein Feuer, das sie verzehrt. Und das nichts als die Asche ihrer zerstörten Träume zurücklässt …

Über die Autorin

Jay Crownover lebt in Colorado, wo auch ihre Romane spielen. Sie liebt Tattoos und Körperschmuck, und so ist es kein Wunder, dass ihre Helden zur Sorte tätowierte und gepiercte Bad Boys gehören. Ihre Leidenschaft galt schon immer dem Lesen und Schreiben, und mit dem Erfolg ihrer Serie MARKED MEN ist ein Traum für sie wahr geworden.

JAY CROWNOVER

MarkedMen

IN SEINER STIMME

Aus dem Amerikanischenvon Christiane Meyer

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« – Das E-Book-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:Copyright © 2013 by Jennifer M. VoorheesTitel der amerikanischen Originalausgabe: »Jet«Originalverlag: William Morrow PaperbacksPublished by arrangement with Avon,an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.

Für diese Ausgabe:Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Kerstin FuchsCovergestaltung: © Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © Volodymyr/Adobe Stock

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-8783-4

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Ich werde oft gefragt, wer mich inspiriert. Diese Frage möchte ich nun anstelle der üblichen Widmung beantworten.

Meine Mom. Ich liebe meine Mom! Sie ist genau so, wie eine Mutter sein sollte: Sie ist liebevoll, stark, freundlich, lustig und mein größter Fan. Wann immer ich es brauche, baut sie mich wieder auf und erinnert mich daran, dass ich großartig bin und Großartiges verdiene. Alles Gute, was ich in meinem Leben erreicht habe, habe ich nur erreicht, weil sie nie an mir gezweifelt hat. Selbst, wenn ihr nicht gefallen hat, welche Entscheidungen ich getroffen oder was ich mit meinen Haaren angestellt habe, hat sie mich nie im Stich gelassen.

Mein Dad. Mein Dad ist ein wahrer Held. Er würde für meine Mom alles tun, und er war immer und damit meine ich immer für mich da, wenn ich ihn gebraucht habe. Sei es, um meinen Wagen zu reparieren oder um sofort zu mir zu kommen, weil ich wegen irgendeiner Kleinigkeit die Nerven verloren habe. Nur er kann immer helfen. Er ist auf ganzer Linie mein Held, und ihr werdet nirgends einen Kerl finden, der cooler drauf ist als er.

Meine Gram. Meine Großmutter ist unglaublich. Sie ist das Oberhaupt einer Familie von starken, eigensinnigen Frauen. Dank ihr wissen wir, was wir wollen, und wir wissen die Bedeutung der Familie zu schätzen. Meine Gram hat mich nie zurückgewiesen, wenn ich um Hilfe gebeten habe, und trotz ihrer gesundheitlichen Probleme ist sie noch immer eine der frechsten und flottesten Ladys, die ich kenne.

Meine Tante Linda. Meine Tante ist der klügste Mensch, den ich je getroffen habe. Als ich ihr eine panische E-Mail schrieb, weil »In seinen Augen« anfing, sich zu verkaufen, und ich keine Ahnung hatte, was ich tun sollte, versprach sie mir, mich zu unterstützen und wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Ich bespreche jede geschäftliche Entscheidung mit ihr und schicke ihr, wenn ich mal wieder überfordert bin, weitschweifende E-Mails, auf die sie nur antwortet: »Mach dir keine Sorgen. Beruhige dich und genieß deinen Erfolg.« Als ich jünger war, wollte ich immer sein wie sie. Manchmal wünsche ich mir das auch heute noch.

Meine beste Freundin. Sie ist die Stimme der Vernunft in meinem Leben, und zwar hundertprozentig. Ich neige dazu, überzureagieren und die Nerven zu verlieren, und meine beste Freundin ist der einzige Mensch auf der Welt, der mich in solchen Fällen wieder runterholen kann. Sie ist die Beste! Es macht Spaß, mit ihr zusammen zu sein. Sie stammt aus Kentucky, besitzt also eine Südstaaten-Lässigkeit, die sich jeder nur wünschen kann. Sie ist eine wunderbare Mutter, sie ist sehr großzügig und hat es niemals satt, dass ich jeden Tag unzählige Fragen über alles und jeden stelle. Ich liebe sie über alles. Als es in meinem Leben drunter und drüber ging, war es bei ihr nicht anders, und keine von uns hätte diese Krise ohne die andere überstanden.

Und schließlich er, dessen Name nicht genannt werden darf. Wenn mein Leben nicht vollkommen durcheinandergeraten wäre, wäre ich niemals gezwungen gewesen, mir einen neuen Schlachtplan zu überlegen. Ich hätte mich niemals selbst dazu gezwungen, etwas nur für mich zu tun und mich selbst herauszufordern, zu beweisen, dass ich es kann. Ich habe gewonnen.

Ayden

Jet Keller. Mit seiner Vorliebe für zu enge Hosen und mit den unzähligen Dämonen, die in seinen dunklen Augen mit den außergewöhnlichen goldenen Ringen um die Iris lauerten, war er die fleischgewordene Versuchung. Er war der Rock-’n’-Roll-Traum jedes Mädchens, und er hatte etwas so verlockend Provokantes an sich, dass es fast unmöglich war, nicht von ihm provoziert zu werden. Und, Mannomann, ich wollte ihn auf jede nur erdenkliche Art … provozieren.

Das Problem war, dass ich mittlerweile eigentlich bessere Entscheidungen treffen, den richtigen Weg gehen und nicht davon abweichen wollte. Es sollte unterwegs keine Unterbrechungen für das lustvolle Ausleben der Gefühle geben, die Jet in mir erweckte, keine Umwege, um mit dem Feuer zu spielen, das in ihm brannte. Unglücklicherweise oder glücklicherweise je nachdem, wie man es betrachtete war es von vornherein ein unfairer Kampf, in dem mein Verstand sich wiederholt meinem Körper und meinem Herzen geschlagen geben musste.

Jet

Ayden Cross war ein Puzzle, für das es jedes Mal, wenn ich es gelöst zu haben glaubte, wieder ein paar neue Teile gab, die nicht ins Bild zu passen schienen. Eine ganze Weile lang dachte ich, sie wäre eine Südstaatenschönheit mit endlos langen Beinen in Cowboystiefeln. Doch dann drehte sie sich um und tat etwas, das mich vollkommen umwarf.

Ich hatte das Gefühl, die echte, die wahre Ayden gar nicht zu kennen. Ich hätte mir gern die Zeit genommen, um sie zu ergründen, ihr Rätsel zu lösen. Aber ich wusste aus eigener Erfahrung, was geschah, wenn zwei Menschen, die unterschiedliche Vorstellungen von einer Beziehung hatten, erzwingen wollten, dass sie funktionierte. Ich fühlte mich dem nicht gewachsen, auch wenn Ayden es wie keine Frau je zuvor schaffte, das Feuer, das in mir brannte, beherrschbar zu machen.

So fängt es an

Ayden

Einen süßen Typen, der in einer Band spielt, zu bitten, mich nach Hause zu bringen, war das genaue Gegenteil von dem, was ich in meinem neuen Leben eigentlich tun sollte. Es gab Regeln. Es gab Richtlinien. Es gab schlicht Dinge, die ich meiden musste, wenn ich nicht wieder so werden wollte, wie ich früher einmal gewesen war. Und zu bleiben und auf Jet Keller zu warten stand ganz oben auf der Liste der Dinge, die absolut tabu waren. Aber es hatte etwas, zuzusehen, wie er auf der Bühne stand und die Menge mitriss, und obwohl ich eigentlich sehr vernünftig war, konnte ich in diesem Moment keinen klaren Gedanken mehr fassen.

Ich hütete mich davor, meine beste Freundin Shaw zu fragen, was mit mir nicht stimmte. Schließlich stand sie auf einen Typen, der von Kopf bis Fuß tätowiert und an Stellen gepierct war, die der Herrgott nicht für so etwas vorgesehen hatte. Vermutlich hätte sie gesagt, es sei der Reiz des Andersartigen, des Fremden, wenn ich jemanden anziehend fände, der so überhaupt nicht mein Typ war. Doch ich wusste, dass das nicht stimmte.

Jet war umwerfend. Ausnahmslos niemand in dieser völlig überfüllten Bar konnte den Blick von ihm wenden. Er brachte sein Publikum dazu, zu spüren, zu fühlen, was auch immer er da kreischte, und das war unglaublich.

Ich hasste Heavy Metal. In meinen Ohren klang es so, als würde jemand vollkommen sinnentleertes Zeug gegen sehr, sehr laute Instrumente anbrüllen. Aber seine Show und die Intensität, die unbeschreibliche Kraft, die er allein mit seiner Stimme entfesselte, brachten mich dazu, Shaw mit vor die Bühne zu zerren. Auch ich konnte meinen Blick nicht von ihm wenden.

Ohne Frage war er ein gut aussehender Mann. Alle Typen, mit denen Shaws Freund rumhing, sahen gut aus. Ich war nicht immun gegen ein hübsches Gesicht und einen tollen Körper, was mich früher öfter in Schwierigkeiten gebracht hatte, als mir lieb gewesen war. Inzwischen tendierte ich zu Jungs, zu denen ich mich eher auf einer intellektuellen Ebene hingezogen fühlte.

Wie auch immer: Ein Tequila zu viel hatte gereicht, und die Pheromone, die dieser Mann verströmte, ließen mich meine neuen, verbesserten Maßstäbe, was Männer betraf, vollkommen vergessen.

Seine Haare wirkten, als hätte er das Mädchen, das sie so zerzaust hatte, gerade erst weggeschickt. Irgendwann während des Konzerts hatte er sein T-Shirt ausgezogen. Darunter war ein schlanker, durchtrainierter Oberkörper zum Vorschein gekommen, auf dem ein riesiges Tattoo in Grauschattierungen und in Schwarz prangte, das von Jets Hals bis irgendwo unter die Gürtellinie reichte. Es stellte einen Todesengel dar. Jet trug eine schwarze Jeans, die so eng war, wie ich sie noch bei keinem anderen Mann je gesehen hatte. Zwischen Gürtel und hinterer Hosentasche hingen einige Ketten. Die Hose überließ kaum etwas der Fantasie.

Das war wahrscheinlich der Grund, warum Shaw und ich bei Weitem nicht die einzigen weiblichen Fans vor der Bühne waren.

Jet kam regelmäßig ins The Goal Line, die Bar, in der ich arbeitete. Ich wusste, dass die Augen, die er geschlossen hatte, als er nun ins Mikrofon schrie (was bei meiner Nachbarin zur Linken einen spontanen Orgasmus auslöste), dunkelbraun waren. Diese Augen funkelten oft belustigt. Es bestand kein Zweifel daran, dass Jet überaus gern flirtete. Er war der Herzensbrecher der Band und hatte keinerlei Bedenken, seine Anziehungskraft und sein umwerfendes Lächeln auch einzusetzen, um zu bekommen, was er wollte.

Ich spürte eine warme Hand auf meiner Schulter und drehte mich um. Shaws Freund Rule stand neben uns. Er überragte den Rest des Publikums. Ich sah seiner Miene an, dass er gehen wollte. Shaw wartete nicht ab, bis er sie fragte, ehe sie sich mir zuwandte und mir einen unschuldigen Blick aus ihren grünen Augen zuwarf.

»Wir gehen jetzt. Kommst du mit?«

Shaw und ich hatten es uns eigentlich zur Regel gemacht, niemals ohne die andere nach Hause zu gehen. Doch ich hatte keine Lust, jetzt schon zu verschwinden. Ich beugte mich zu ihr, um ihr über die jaulenden Gitarren hinweg ins Ohr zu brüllen.

»Ich bleibe noch ein bisschen. Vielleicht kann Rules Freund mich ja nach Hause bringen.«

Ihr nachdenklicher Blick entging mir nicht. Aber Shaw hatte ihr eigenes Drama zu bewältigen, also würde sie nicht versuchen, mich zu irgendetwas anderem zu überreden. Sie hakte sich bei Rule unter und warf mir ein betrübtes Lächeln zu.

»Ruf mich an, wenn du mich brauchst.«

»Das mach ich. Das weißt du doch.«

Ich war nicht die Art von Frau, die jemanden an ihrer Seite brauchte. Ich kümmerte mich schon so lange ohne fremde Hilfe um mich selbst; ich war es gewohnt, allein zurechtzukommen. Shaw würde mich abholen, falls ich keine Mitfahrgelegenheit finden oder es zu lange dauern sollte, ein Taxi zu rufen. Und diese Gewissheit reichte mir.

Versunken und gefesselt sah ich mir den Rest des Auftritts an. Ich war mir ziemlich sicher, dass Jet mir zuzwinkerte, als er sein Mikrofon nach dem letzten Song auf den Boden warf und einen Whiskey hinunterstürzte. Und auch wenn ich es eigentlich besser wusste, besiegelte dieses Zwinkern mein Schicksal.

Schon viel zu lange hatte ich nichts Unüberlegtes mehr getan, und Jet war der perfekte Partner für einen kleinen Auffrischungskurs.

Er verschwand zusammen mit dem Rest der Band von der Bühne. Ich ging zurück zur Theke, wo alle gestanden hatten, bevor das Konzert angefangen hatte. Rules Mitbewohner Nash war offensichtlich von den Turteltäubchen nach Hause gebracht worden. Auf keinen Fall hätte er es in seinem betrunkenen Zustand aus eigener Kraft geschafft, die Bar zu verlassen. Rowdy, Jets bester Freund, war damit beschäftigt, mit irgendeinem Mädchen zu knutschen, das Shaw und mir den ganzen Abend über vernichtende Blicke zugeworfen hatte. Als Rowdy Luft holte, gab ich ihm mit einem vielsagenden Blick zu verstehen, dass er auch etwas Besseres hätte aufreißen können. Dann setzte ich mich auf einen freien Hocker am Tresen.

Das Problem an Heavy-Metal-Bars war, dass überall Heavy-Metal-Typen herumlungerten. Die nächste Stunde verbrachte ich damit, blöde Anmachen und Einladungen zu Getränken von Kerlen abzuschmettern, die aussahen, als hätten sie seit Jahren keine Dusche und keinen Rasierer mehr gesehen. Allmählich verschlechterte sich meine Laune, und ich reagierte immer öfter ungehalten, als ich plötzlich eine vertraute Hand mit unzähligen Silberringen an den Fingern auf meinem Knie spürte. Ich hob den Kopf und blickte in ein Paar lachende dunkelbraune Augen, als Jet einen weiteren Tequila für mich und ein Wasser für sich bestellte.

»Haben sie dich stehen lassen? So, wie die beiden sich angeschmachtet haben, ist es ein Wunder, dass sie überhaupt bis zur Hälfte des Gigs durchgehalten haben.«

Ich stieß mit ihm an und warf ihm ein Lächeln zu, das ich in der Vergangenheit oft eingesetzt hatte, um zu bekommen, was ich wollte. »Ich glaube, Nash hat in seinem persönlichen Tequila-Battle den Kürzeren gezogen.«

Er lachte und drehte sich dann um, um mit einigen Typen zu reden, die ihm zur Show gratulieren wollten. Als er sich mir wieder zuwandte, wirkte er ein bisschen verlegen.

»Das ist immer ein bisschen seltsam.«

Ich zog eine dunkle Augenbraue hoch und beugte mich näher zu ihm, als ich eine Rothaarige in hautengen Klamotten bemerkte, die Jet und mich umkreiste. »Warum? Ihr Jungs seid toll, und anscheinend gefällt den Leuten das.«

Er warf den Kopf in den Nacken und lachte laut. Zum ersten Mal fiel mir das Piercing in seiner Zunge auf.

»Den Leuten gefällt’s, aber dir nicht?«

Ich verzog das Gesicht und zuckte mit den Schultern. »Ich komme aus Kentucky.« Ich fand, das war Erklärung genug.

»Rule hat mir eine Nachricht geschickt, in der steht, dass du eine Mitfahrgelegenheit brauchst. Ich muss nur noch Rowdy von der Tussi loseisen und den Jungs dann beim Einladen der Instrumente in unseren Van helfen. Wenn du noch eine halbe Stunde warten kannst, bring ich dich gern nach Hause.«

Ich wollte nicht zu überschwänglich erscheinen. Ich wollte nicht, dass er bemerkte, wie sehr ich mir noch etwas anderes von ihm wünschte. Wieder zuckte ich die Achseln.

»Klar. Das wäre super.«

Er drückte mein Knie, und ich musste ein Schauern unterdrücken, das mich von Kopf bis Fuß überlief. Irgendwas war da zwischen uns, wenn schon eine kleine Berührung mich zum Beben brachte.

Ich wandte mich zum Tresen um, bestellte ein Glas Wasser und wollte meine Rechnung begleichen. Als der Barkeeper sagte, das sei schon erledigt, war ich überrascht und ein bisschen verärgert, weil ich nicht wusste, bei wem ich mich bedanken sollte. Ich drehte mich auf meinem Barhocker um und beobachtete, wie die Leute sich ihren Weg durch eine Bar voller sehr enthusiastischer Jungs und Mädchen mit überaus eindeutigen Absichten bahnten. Ich war beim besten Willen keine Heilige, doch ich hatte keinen Respekt vor Frauen, die bereit waren, sich zu erniedrigen und sich für eine einzige Nacht anzubieten, nur weil Jet in seiner engen Hose so heiß aussah.

Was gerade mit mir passierte, ging tiefer. Ich konnte es jedoch nicht greifen, nicht benennen, außerdem war ich ziemlich betrunken, und ich vermisste die alte Ayden. Also ignorierte ich das Gefühl für den Moment einfach.

Als Jet zurückkehrte, heuchelte ich gerade Interesse an einer Unterhaltung, zu der ein Kerl mich gedrängt hatte, der aussah, als hätte er sich aus Glenn Danzigs Kleiderschrank bedient. Er erklärte mir die unterschiedlichen Metal-Genres und setzte mir auseinander, warum die Leute, die dieses oder jenes Genre bevorzugten, entweder cool oder scheiße waren. Ich musste mich mühsam zusammenreißen, um ihm nicht ein Kaugummi in den Mund zu schieben, damit er endlich aufhörte, mir seinen schnapsgeschwängerten Atem ins Gesicht zu pusten.

Jet klatschte Faust an Faust mit dem Mann ab und wies mit dem Daumen über seine Schulter.

»Lass uns gehen, Legs.«

Angesichts des nicht sehr kreativen Spitznamens, der sich auf meine Beine bezog, verzog ich das Gesicht, denn mein ganzes Leben lang hatte ich Variationen davon zu hören bekommen. Ich war hochgewachsen. Zwar erreichte ich nicht seine eins achtundachtzig, aber ich überragte Shaw, die nur knapp über eins fünfzig maß, um fast einen Kopf, und hatte in der Tat sehr lange, sehr schöne Beine. Im Augenblick waren sie zwar ein bisschen zittrig, doch ich riss mich zusammen und folgte Jet hinaus zum Parkplatz.

Der Rest der Band und Rowdy hatten sich gerade in einen Van gequetscht und riefen uns aus den heruntergelassenen Fenstern interessante Dinge zu, während sie mit quietschenden Reifen vom Hof fuhren. Jet schüttelte nur den Kopf und öffnete mit einem Daumendruck auf seinen Autoschlüssel per Funk einen schwarzen Dodge Challenger, der gefährlich und unglaublich schnell aussah. Ich war erstaunt, als er mir die Beifahrertür aufhielt, und er musste grinsen. Ich ließ mich auf den Sitz gleiten und versuchte, mir eine Taktik für meinen Angriff zurechtzulegen. Schließlich war er ein Typ, der es gewohnt war, dass sich ihm beinahe täglich Groupies und sonstige Schlampen an den Hals warfen, und ich hatte nicht vor, die nächste namen- und gesichtslose Frau auf seiner Liste zu werden.

Er drehte die Musik leiser, die aus der offensichtlich sehr hochwertigen Anlage quoll, und lenkte den Wagen schweigend vom Parkplatz. Über dem Shirt, das er wieder angezogen hatte, trug er eine anscheinend heiß geliebte und oft getragene Lederjacke mit Nieten und dem Aufnäher einer Band, von der ich noch nie gehört hatte. Die Mischung aus süßem Rocker, zu viel Tequila und dem Geruch von Leder und Schweiß warf mich fast um, und mir wurde schwindelig. Ich ließ das Fenster ein Stück weit herunter und betrachtete die Lichter der Stadt, die vorbeizogen.

»Ist alles in Ordnung?«

Ich neigte den Kopf in seine Richtung und bemerkte echte Besorgnis in seinem dunklen Blick. Im schummrigen Licht der Armaturenbrettbeleuchtung umgab der golden schimmernde Ring seine braune Iris wie ein Heiligenschein.

»Ja, es geht mir gut. Ich hätte am Anfang nicht versuchen sollen, mit Nash mitzuhalten.«

»Ja, das ist keine gute Idee. Diese Jungs können einiges vertragen.«

Ich antwortete ihm nicht, denn eigentlich konnte ich mich durchaus behaupten, wenn es ums Schnapstrinken ging. Aber darüber redete ich nicht gern. Ich wechselte das Thema, indem ich mit den Fingerspitzen über das makellose Interieur des Wagens strich.

»Das ist ein toller Wagen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass es so lukrativ ist, in ein Mikrofon zu brüllen.«

Er lachte laut und warf mir einen Seitenblick zu. »Du musst mal über den Tellerrand hinausblicken, Ayden. Es gibt viele tolle Indie-Country-Bands und sogar ein paar unglaubliche Americana-Bands, die dir bestimmt gefallen würden.«

Ich zuckte nur mit den Schultern.

»Mir gefällt, was mir gefällt. Jetzt mal ernsthaft: Ist deine Band berühmt genug, dass du dir einen solchen Wagen leisten kannst? Dass ihr in der Stadt tatsächlich so angesagt seid, wie Rule behauptet hat, habe ich heute Abend ja selbst sehen können. Allerdings kann ich nicht glauben, dass du allein von der Musik leben kannst, auch wenn du ab und zu solche Auftritte hast.«

Ich war neugierig. Und mir war unvermittelt klar geworden, dass ich nichts über diesen Menschen wusste außer dass er mein Herz zum Rasen brachte. Darüber hinaus fielen mir unzählige interessante Szenarien ein, die uns beide und sehr viel weniger Kleidung beinhalteten.

Mit seinen schwarz lackierten Fingernägeln trommelte er im Takt aufs Lenkrad. Ich konnte den Blick nicht von ihm wenden.

»Ich habe ein Tonstudio in der Stadt. Ich bin lange genug in der Szene unterwegs und kenne einige Bands, außerdem schreibe ich Songs für andere Künstler. Enmity ist so bekannt, dass ich nicht fürchten muss, zu verhungern. Viele Menschen bestreiten ihren Lebensunterhalt mit Musik, Ayden. Das ist ganz schön hart, und man muss mit Leib und Seele dabei sein, aber ich tue lieber etwas, das ich liebe, und bin pleite, als einen Bürojob zu haben und reich zu sein.«

Das war etwas, das für mich keinen Sinn ergab.

Ich sehnte mich nach Sicherheit und einer risikolosen Zukunft. Ich wollte allein für mich sorgen können und mich nicht auf einen anderen Menschen verlassen müssen, um überleben zu können. Glück hatte nichts damit zu tun.

Ich wollte ihn noch viel mehr fragen, doch wir würden im nächsten Moment vor der Wohnung halten, die ich mir mit Shaw teilte, und bisher hatte ich noch nicht einmal eine Andeutung gemacht, dass ich an mehr als nur einer Mitfahrgelegenheit interessiert war.

Ich drehte mich auf dem Sitz so, dass ich ihm zugewandt war, und setzte mein schönstes »Schlaf mit mir«-Lächeln auf. Er sah mich an und zog eine Augenbraue hoch, sagte aber kein Wort. Auch nicht, als ich mich über die Mittelkonsole beugte und meine Hand auf seinen muskulösen Schenkel legte. Ich beobachtete, wie sein Pulsschlag an seinem Hals sichtbar wurde, und musste lächeln. Es war schon sehr lange her, dass ich mein Interesse an einem Mann so offen gezeigt hatte, und es war schön, zu sehen, dass ihn das nicht kaltließ.

»Möchtest du mit reinkommen und was trinken? Shaw bleibt bei Rule. Sie ist bestimmt ein paar Tage außer Gefecht gesetzt.«

Seine dunklen Augen wurden noch eine Spur dunkler. Ein Ausdruck stand in ihnen, den ich nicht deuten konnte; genau genommen kannten wir uns ja überhaupt nicht. Jet legte seine Hand auf meine und drückte sie.

Ich wollte ihn einatmen, wollte in ihn kriechen und nie wieder hervorkommen. Da war etwas, etwas Besonderes, das die alte Ayden berührte, die ich doch eigentlich hinter mir hatte lassen wollen.

»Das ist keine gute Idee, Ayden.« Er sprach leise und ruhig, und in seiner Stimme schwang ein Unterton mit, den ich nicht greifen konnte.

Ich setzte mich auf, legte eine Hand an seine Wange und drehte sein Gesicht zu mir, damit er mich ansehen musste. »Warum? Ich bin Single, du bist Single, und wir sind beide erwachsen. Ich finde, es ist eine tolle Idee.«

Er seufzte, nahm meine Hände und legte sie mir in den Schoß. Ich beobachtete ihn aufmerksam. Auch wenn sich mein Leben in den vergangenen Jahren dramatisch verändert hatte, war ich noch immer klug genug, um zu wissen, dass ich viel besser aussah als die Schlampen in der Bar, die den ganzen Abend um ihn herumscharwenzelt waren. Und außerdem lehnte kein Mann je hemmungslosen Sex ohne Verpflichtungen ab.

»Unsere Freunde sind ein Paar, du hast heute Abend eine halbe Flasche Tequila getrunken, und wenn wir mal ehrlich sind: Du bist keine Frau, die einen Kerl, den sie kaum kennt, direkt mit nach Hause nimmt. Du bist klug, ehrgeizig, und du hast keine Ahnung, was dein Südstaatenakzent mit mir macht oder wie schnell wir zusammen im Bett landen würden. Du bist einfach durch und durch ein braves Mädchen.« Er atmete tief durch. »Versteh mich nicht falsch: Du bist wunderschön, und morgen früh, wenn ich mich an diese Unterhaltung zurückerinnere, werde ich mir vor Wut vermutlich in den Hintern beißen, doch ich bin mir sicher, dass du das hier eigentlich nicht wirklich willst. Falls wir uns nie mehr über den Weg laufen würden und nie mehr Zeit miteinander verbringen müssten, dann würde ich mich möglicherweise mit reinem Gewissen darauf einlassen. Aber ich mag dich, Ayden, also möchte ich das nicht durch eine einzige gemeinsame Nacht zerstören.«

Er lag so verdammt falsch.

Ich wollte das hier. Ich wollte mit ihm schlafen. Doch dass er glaubte, zu wissen, was für eine Frau ich war, wirkte auf mich wie eine kalte Dusche. Ich zog den Kopf so abrupt zurück, dass ich mit dem Hinterkopf gegen die Scheibe des Beifahrerfensters knallte. Der Wagen fühlte sich mit einem Mal wie ein Sarg an. Mit fahrigen Händen packte ich den Griff, stieß die Tür auf und sprang aus dem Auto. Ich hörte, wie Jet meinen Namen rief, hörte, wie er fragte, ob alles in Ordnung sei, aber ich musste weg von ihm. Ich hämmerte den Sicherheitscode in die Tür und rannte ins Apartment.

Erst als ich die Wohnungstür hinter mir geschlossen hatte und unter der heißen Dusche stand, wurde mir klar, wie kurz ich davorgestanden hatte, all das, wofür ich so hart gekämpft hatte, aufs Spiel zu setzen. Was auch immer Jet in mir auslöste, es war zu gefährlich, um diese Gefühle auszuprobieren und auszuleben, wie ich es heute Abend getan hatte. Es hatte nicht nur mit einer Demütigung und in Panik geendet, sondern ich hatte auch all die Dinge riskiert, die mir inzwischen wichtig waren. Das konnte, das durfte ich nicht erlauben.

Jet Keller musste in dieselbe Box eingesperrt werden, in der ich auch die alte Ayden verwahrte, die Ayden, die ich gewesen war, bevor ich nach Colorado gekommen war. Doch jetzt würde ich noch besser darauf aufpassen, dass der Deckel dieser Box so fest verschlossen war, dass er nie wieder aufgehen würde. Das Risiko war es einfach nicht wert.

1. Kapitel

Ayden

Ein Jahr später

Mein Laptop surrte, ich arbeitete an einer Biochemie-Hausarbeit. Meine Mitbewohnerin Cora saß auf der Couch im Wohnzimmer und lackierte sich die Fingernägel in einem krassen Neongrün, ehe sie zur Arbeit aufbrechen musste. Plötzlich ging die Tür des hinteren Schlafzimmers auf. Ich schob meine Brille ein Stück die Nase hinauf und warf Cora einen vielsagenden Blick zu. Sie drehte sich auf dem Sofa um, sodass sie auf der Rückenlehne lag und ihre Arme baumeln lassen konnte.

Wir warteten, und wir guckten.

Seit Jet vor drei Monaten zu uns gezogen war, war das eine Art Ritual für uns geworden. Mindestens zwei- bis dreimal in der Woche musste das Mädchen, das am Abend zuvor mit ihm nach Hause gegangen war, sich dem Walk of Shame aussetzen demütigend für die jeweilige Frau, aber absolut unterhaltsam für uns.

Cora und ich verliehen ihnen Punkte. Wie viele die Frau bekam, hing davon ab, wie fertig sie am nächsten Morgen aussah. Bisher waren es bei den meisten solide sieben oder acht Punkte gewesen. Ein paar Mädchen waren wütend abgerauscht, weil Jet nicht an einem Wiedersehen interessiert war, weshalb wir nicht mehr als vier oder fünf Punkte vergaben. Und die Frau, die sich im Badezimmer eingeschlossen und geweigert hatte, zu gehen, bis Cora gedroht hatte, ihr eine Ladung Pfefferspray ins Gesicht zu sprühen, hatte nur einen einzigen Punkt bekommen.

Das Mädchen, das jetzt gerade aus Jets Schlafzimmer kam, war ziemlich gut.

Es hatte blonde Haare, große Brüste und lange Beine. Das verschmierte Make-up sah nicht mehr so toll aus, und das Kinn war von Jets Bartstoppeln ganz wund. Die Frau hatte denselben verträumten, verknallten Ausdruck auf dem Gesicht wie all die anderen, die dieses Zimmer verließen.

Da sie ihren BH nicht angezogen hatte, sondern ihn wie eine Rettungsleine in der Hand hielt, gab ich ihr automatisch einen Punkt mehr. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie auch ihr Seidenhemdchen verkehrt herum angezogen hatte. Ihr Blick huschte zwischen Cora und mir hin und her, und sie errötete verlegen.

Ich verstand nicht, warum Jet den Frauen nie sagte, dass er weibliche Mitbewohner hatte. Vielleicht lag es daran, dass er ein kranker Mistkerl war und den Spießrutenlauf genoss, den die Ladys absolvieren mussten, wenn er mit ihnen fertig war. Er hatte das weder bestätigt noch bestritten, als ich ihn danach gefragt hatte.

»Äh … Hallo.« Das arme Ding stammelte eine verlegene Begrüßung, und Cora grinste wie eine Wahnsinnige. An guten Tagen konnte man sie als vorlaut und unüberhörbar bezeichnen. Wenn man ihr aber Munition lieferte oder Schwäche zeigte, war sie wie ein Piranha.

Meine Mitbewohnerin sah aus wie eine zerbrechliche, kleine Märchenprinzessin nun ja, wie eine Prinzessin, die einen Tag lang ein Punk sein wollte. Coras Zierlichkeit war der Grund dafür, dass die armen Dinger, die arglos durchs Wohnzimmer schlichen, keine Gefahr witterten, obwohl meine Freundin nur auf den richtigen Moment wartete, um sich auf sie zu stürzen. Besagtes Mädchen schwebte also nach einer heißen Nacht auf Wolke sieben, aber ich ahnte, dass es sich nur noch um Sekunden handeln konnte, bis Cora sich mit ihrer Ostküstenfrechheit und ihrem beißenden Sarkasmus auf es stürzen würde.

»Hattest du eine schöne Nacht?«

Es war eine scheinbar harmlose Frage. Aber aus dem Mund einer temperamentvollen Blondine mit zwei verschiedenfarbigen Augen war sie alles andere als harmlos.

»Klar. Ich werde dann jetzt … äh … gehen. Sagt Jet, dass ich einen Zettel mit meiner Telefonnummer auf die Kommode gelegt habe.«

Cora fuchtelte mit der Hand in der Luft herum. »Natürlich. Er wird dich auch auf jeden Fall anrufen. Stimmt’s nicht, Ayden? Er will die Nummer unter keinen Umständen verlieren.«

Ich mochte es nicht, wenn sie mich in ihre verbalen Gemetzel hineinzog, also zuckte ich nur die Achseln und hob den Kaffeebecher, um dahinter mein Lächeln zu verbergen, das sich ganz gegen meinen Willen auf mein Gesicht geschlichen hatte. Es war, als würde ich einen Autounfall beobachten, der sich direkt vor meiner Nase ereignete ich wollte wegsehen, doch das ging irgendwie nicht.

Cora wedelte dramatisch mit den Armen und sagte zu der verwirrten blonden Frau: »Ich bin sicher, dass er die Rothaarige von gestern Morgen angerufen hat. Ich bin sicher, dass er die Brünette angerufen hat, die das ganze Wochenende über bei ihm war. Und ich bin mir absolut sicher, dass er dich auch anrufen wird, meinst du nicht, Ayden?« Damit verdrehte sie die Augen und ließ sich auf die Couch zurückfallen, als hätte sie gerade nicht die romantischen Hoffnungen und Träume dieser jungen Frau zerstört.

Sie sah zu mir und dann wieder zu Cora. Ich bemerkte, wie sie die Lippen aufeinanderpresste, ehe sie »Schlampe!« zischte und aus der Wohnung stürmte. Ich gab ihr noch einen Extrapunkt, als mir auffiel, dass sie ihr Höschen von gestern in die hintere Hosentasche gestopft hatte.

Ohne aufzublicken, hob Cora die Hände über den Kopf und zeigte sieben Finger. »Sie hat nicht mal versucht, sich zu wehren. Ich hätte ihr eine Acht gegeben, wenn sie ›Fick dich!‹ oder so etwas gesagt hätte.«

Ich schüttelte den Kopf. »Du warst echt gemein.«

Sie lachte. »Irgendwie muss ich ja auf meine Kosten kommen. Was gibst du ihr?«

Ich wollte gerade antworten, als noch jemand aus dem Zimmer kam. Nach drei Monaten WG hätte ich mich eigentlich daran gewöhnt haben sollen, Jet Keller mit freiem Oberkörper zu sehen. Schließlich stieß ich immer wieder zufällig mit ihm zusammen, weil wir uns ein Badezimmer teilten. Oder er rannte ohne Shirt durch die Wohnung. Oder er hüpfte halb nackt auf der Bühne herum.

Aber als er nun durch den Flur kam und dabei sein schwarzes T-Shirt anzog, vergaß ich, was ich sagen wollte. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Wie immer.

Nach dem katastrophalen Erlebnis im letzten Winter hatten wir eine seltsame Art von Freundschaft entwickelt. Ich wusste, welche Grenzen ich Jet zu setzen hatte, und er behandelte mich, als wäre ich eine jungfräuliche Göttin, die er auf keinen Fall beflecken, die er nicht entehren durfte. Irgendwie funktionierte es, und uns ging es mehr oder weniger gut damit.

Als Shaw sich endgültig entschlossen hatte, mit Rule zusammenleben zu wollen, hatten Nash, Cora und ich uns Gedanken darüber gemacht, wer ihren Mietanteil übernehmen könnte. Glücklicherweise war die Frau, mit der Jet damals zusammen gewesen war, durchgedreht und hatte während seiner letzten Tour seine sämtlichen Sachen vor die Tür gestellt. Also war er nach seiner Rückkehr praktisch obdachlos gewesen und hatte dringend eine Bleibe gebraucht. So hatte sich alles ergeben. Ich sah ihn jeden Tag und verbrachte viel Zeit mit ihm.

Dennoch brachte der Anblick der Bauchmuskeln, der Tattoos und der Brustwarzenpiercings meine guten Vorsätze und meine strengen Regeln mächtig ins Wanken. Wenn ich ihn sah, fiel es mir schwer, die Zurückweisung nicht zu vergessen und mir ins Gedächtnis zu rufen, was ich eigentlich tun sollte. Stattdessen ließ ich mich von seinem frechen Grinsen ablenken, hatte mich nicht mehr im Griff und konnte nicht mehr klar und vernünftig denken.

Ich wandte den Blick ab und zwang mich, nicht tief einzuatmen, als er sich über mich beugte, um sich die Hälfte von meinem unberührten Bagel zu schnappen. Es stand mir nicht zu, an ihm zu schnuppern auch wenn er nach Versuchung und Rock ’n’ Roll duftete.

Er zog eine dunkle Augenbraue hoch, als er mich ansah, und wies mit dem Bagel in der Hand in Coras Richtung.

»Was habt ihr beiden wieder angestellt? Ich habe das Türknallen bis nach hinten gehört.« Er setzte sich und streckte seine langen Beine aus, die in einer superengen schwarzen Jeans steckten. Wieder einmal fragte ich mich, wie er in die Hose hineingekommen sein mochte. Ich hatte noch an keinem Mann eine so enge Hose gesehen, doch ihm stand es irgendwie. Ich verbrachte unanständig viel Zeit damit, mir zu überlegen, wie ich ihm diese Hose ausziehen könnte.

»Cora hat deiner neuesten Eroberung nur eine gute Heimfahrt gewünscht.«

Er hielt kurz inne, ehe er in den Bagel biss und auf Coras Hinterkopf starrte. »Was hast du wirklich zu ihr gesagt?«

Wir sahen, wie Coras Schultern zuckten, als sie ihr Lachen unterdrückte. Sie drehte sich nicht um, als sie antwortete. »Nichts. Na ja, nichts, was nicht gestimmt hätte.«

Wieder biss er von seinem Bagel ab und kniff die Augen zusammen. Sie waren so dunkel, dass schwer zu sagen war, wo die Pupillen endeten und die Iris anfingen. Aber um die Iris herum war ein goldener Ring, der zu glühen schien, wenn Jet wütend oder aufgeregt war.

»Du bist doch nur sauer, weil Miley Cyrus deine Frisur kopiert hat. Und das lässt du jetzt an allen unschuldigen Mädels des Landes aus.«

Überrascht lachte ich auf, während Cora aufsprang und das Fläschchen Nagellack, das sie gerade noch benutzt hatte, in Jets Richtung schleuderte. Glücklicherweise hatte er gute Reflexe und fing es in der Luft auf, bevor es ihn im Gesicht traf oder auf dem Holzfußboden zu Bruch ging.

»Ich trage mein Haar schon seit Ewigkeiten so! Es ist nicht meine Schuld, dass sie sich plötzlich entschieden hat, eine Rock-Göre zu sein.« Sie dampfte verärgert ab, und ich grinste Jet zu.

»Auf dieses Thema reagiert sie ganz sensibel. Sei nicht so gemein zu ihr.«

»Es ist ja auch nicht nett von euch, jede Frau, die ich mit nach Hause bringe, nach einer Punkteskala zu bewerten, aber ich beschwere mich nicht, oder?«

Ich wandte mich wieder meinem Laptop zu.

»Eines Tages wird es eine Zehn geben, und dann wisst ihr nicht, was ihr tun sollt.«

Er wusste, was wir machten? Das zeugte nicht gerade von Respekt gegenüber den Frauen, die er regelmäßig mit nach Hause nahm.

Ich steckte mir die Haare, die ich inzwischen als Bob trug, hinter die Ohren. Über den Rand meiner Brille hinweg sah ich Jet an und wusste nicht, was ich davon halten sollte, dass er über das Spiel Bescheid wusste.

»Warum hast du nie was gesagt?«

Er zuckte die Achseln und zog einen Mundwinkel nach unten. Jet hatte ein unglaublich ausdrucksstarkes Gesicht. Wahrscheinlich, weil er dem Publikum jede Empfindung, all seine Leidenschaft zeigen wollte, wenn er auf der Bühne stand. Ich kannte diesen halb verzogenen Mund nur zu gut. Offenbar dachte er an irgendwas, was mit seinem Dad zusammenhing und damit, wie er selbst Frauen behandelte.

»Sie bekommen das, was sie wollten, und gehen befriedigt nach Hause. Wenn sie sich auf dem Weg nach draußen mit euch Früchtchen auseinandersetzen müssen, ist das wohl der Preis für den Spaß.« Er sah mich an, und sein Blick verfinsterte sich. »Wo warst du gestern Abend? Alle waren im Cerberus. Shaw meinte, du würdest später nachkommen, doch du bist nicht aufgetaucht.«

Ich räusperte mich und fummelte am Henkel meines Kaffeebechers herum. »Ich hatte ein Date mit Adam. Er wollte nicht ins Cerberus, also habe ich mich von ihm nach Hause bringen lassen und noch etwas für die Uni getan, was ich lange vor mir hergeschoben habe.«

Ich bemerkte, wie seine Augen sich weiteten. Die goldenen Ringe um die Iris leuchteten hell und klar. Jet war nicht gerade ein Fan von Adam, und Adam fand es richtig scheiße, dass ich mit Jet zusammenwohnte. Ich versuchte, zu verhindern, dass die beiden aufeinandertrafen, wo es nur ging. Aber diese Aufgabe wurde zusehends schwieriger, da Adam sich mehr von unserer Beziehung erhoffte und anfing, das auch einzufordern. Wir gingen seit vier Monaten miteinander aus, und mir war klar, dass jetzt der nächste Schritt kommen musste in welche Richtung auch immer. Doch irgendetwas hielt mich davon ab.

»Natürlich wollte Adam nicht ins Cerberus. Wann macht der Kerl schon einmal das, was du gern möchtest? Mann, Ayden! Zu wie vielen Opernabenden, Ballettaufführungen und verdammt langweiligen Kunstausstellungen willst du dich noch schleppen lassen? Warum kann er nicht mit in die Bar kommen, deine Freunde kennenlernen und sich mal einen Moment lang entspannen?«

Diese Unterhaltung führten wir nicht zum ersten Mal, und ich seufzte.

»Meine Freunde machen ihm Angst. Rule und Nash geben nicht gerade ein freundliches Empfangskomitee ab, und du und Rowdy habt viel zu viel Spaß daran, euch über jeden lustig zu machen, den ihr nicht auf Anhieb mögt. Es wäre also peinlich für uns alle. Deshalb vermeide ich es, euch zusammenzubringen. Adam ist ein netter Kerl.«

Das sagte ich mir mindestens zehnmal am Tag. Adam war ein netter Kerl, und für meinen Traum von einer sicheren Zukunft war er tausendmal besser als ein Typ, der seinen Lebensunterhalt mit Heavy Metal verdienen wollte. Und außerdem wollte ich bei Adam nicht die Selbstbeherrschung sausen lassen und jede Vorsicht in den Wind schreiben wie bei Jet.

»Wir sind deine Freunde, Ayden, und Shaw ist deine beste Freundin. Wenn dieser Typ länger bei dir bleiben will, sollte er sich dann nicht mal zusammenreißen, uns kennenlernen und sich an uns gewöhnen? Oder hast du vor, uns so schnell wie möglich für die Oberschicht fallen zu lassen?«

In seiner Stimme schwang etwas mit, das ernster war als die Unterhaltung, die wir gerade führten. Aber es war wie immer: Ehe ich dort einhaken konnte, beschloss er, das Thema zu wechseln und sich auf für ihn sichereres Terrain zu flüchten.

»Falls du nicht willst, dass Rowdy und ich ihn verarschen, sollte er nicht länger mit diesen dämlichen Pullundern herumlaufen. Wer trägt so was heutzutage überhaupt noch?«

Unter dem Tisch versetzte ich ihm einen kleinen Tritt. »Sei nicht so gemein! So schlimm sind Pullunder nun auch wieder nicht.«

Er verzog das Gesicht und erhob sich. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu sabbern, als er die Arme über den Kopf streckte und sein T-Shirt über den Bund seiner Hose rutschte. Zwar hätte ich es nur unter Folter zugegeben, doch eines der wichtigsten Ziele in meinem Leben war es, herauszufinden, bis wohin das Tattoo des verdammten Todesengels reichte, und die Kontur dann mit der Zunge nachzuzeichnen.

Ich räusperte mich und versuchte, meine Gedanken nicht mehr in diese schmutzige Richtung gehen zu lassen. Mir entging nicht, wie aufmerksam Jet mich betrachtete.

»Das ist der Punkt: Du findest es nicht falsch, dich mit einem Mann zu verabreden, der einen Pullunder für cool hält, und ich finde es nicht falsch, eine Frau mitzunehmen, die am nächsten Morgen von meinen Mitbewohnerinnen bewertet wird. Zwei Paar Schuhe, Ayden, zwei vollkommen unterschiedliche Paar Schuhe.«

Er wuschelte mir durchs Haar, und einige längere Strähnen blieben in seinen Ringen hängen. Er löste sie, dann drehte er sich um und ging. Ich sah ihm ernst hinterher, bis er in seinem Zimmer verschwunden war, ehe ich die Luft ausstieß, die ich unwillkürlich angehalten hatte. Es dauerte einen Moment lang, bis ich meine Finger gelöst hatte, mit denen ich den Kaffeebecher umklammert hatte.

Jet hatte keine Ahnung, wer oder was ich hinter der Fassade war, die ich errichtet hatte, als ich nach Colorado gekommen war. Niemand wusste es wirklich. Ich hatte kurz mit Shaw darüber gesprochen, aber selbst meine beste Freundin hatte keine echte Ahnung davon, wie mein Leben ausgesehen hatte, bevor ich vor drei Jahren aufs College gekommen war.

Ich war erst zweiundzwanzig Jahre alt, und doch fühlte ich mich, als hätte ich bereits genug Erfahrung für hundert Leben gesammelt. Das gute Mädchen, das Mädchen, das Jet für so unantastbar hielt und das für ihn das genaue Gegenteil zu ihm war, war nichts als eine Illusion, die ich jeden Tag mühsam aufrechterhalten musste. Es war ein ständiger Kampf. Ihn in meiner Nähe zu haben stellte meinen Vorsatz, die alte Ayden in den Hügeln von Kentucky vergraben zu lassen, auf die Probe jede Minute jeden Tages.

»Hey!«, stieß ich empört hervor, als mich plötzlich ein Geschirrtuch mitten ins Gesicht traf. Cora ließ sich auf den Stuhl fallen, von dem Jet gerade aufgestanden war, und warf mir einen wissenden Blick zu.

»Ich dachte, du brauchst es vielleicht für den Sabber an deinem Kinn.«

Mit leicht zusammengekniffenen Augen sah ich sie an. »Hör auf damit!«

»Es ist jedes Mal das Gleiche, Ayden. Es ist, als stündet ihr in Flammen oder so. Wie ihr beide das Knistern, Krachen und Knallen ignorieren könnt, das immer in der Luft liegt, wenn ihr zusammen seid, ist mir schleierhaft. Aber ich versichere dir, dass es echt ermüdend ist, dabei zuzusehen.«

Ich machte den Mund auf, um ihr unmissverständlich klarzumachen, dass wir uns nicht zueinander hingezogen fühlten, doch sie hob abwehrend die Hand und warf mir einen scharfen Blick zu, ehe ich auch nur ein Wort über die Lippen bringen konnte.

»Und fang jetzt nicht wieder mit dem Unsinn an, dass ihr nur Freunde wärt! Ich habe männliche Freunde. Genau genommen habe ich sogar mehr männliche als weibliche Freunde, und keinen Einzigen davon sehe ich so an, als würde ich unglaublich gern mit ihm ins Bett hüpfen und die Erde erbeben lassen. Wenn du ihn in Momenten anblickst, in denen er abgelenkt ist«, sagte sie und wedelte sich mit dem Geschirrtuch, das sie wieder an sich genommen hatte, theatralisch Luft zu, »hab ich das Gefühl, dass ich eine kalte Dusche nehmen müsste.«

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, also wiederholte ich das Übliche.

»Wir sind nur Freunde. Er ist nicht mein Typ, und ich bin nicht seiner. Außerdem habe ich dir erzählt, was passiert ist, als ich mich einmal vom Alkohol habe verleiten lassen, etwas anderes anzunehmen.«

Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und sah mich mit ihren verrückten Augen eindringlich an. In dem braunen Auge standen Tadel, Respekt, Aufmerksamkeit und in dem türkisblauen Auge Fröhlichkeit und Mitgefühl. Es war nicht leicht, Cora etwas vorzumachen, aber das bedeutete nicht, dass ich aufhörte, es zu versuchen. Um das Leben aufzubauen, das ich wollte und nach dem ich mich sehnte, musste ich alle Menschen in meinem Umfeld davon überzeugen, dass ich es verdient hatte. Wer ich früher war, durfte in meinem jetzigen Leben keine Rolle spielen. Egal, wie heiß Jet war oder wie sehr er mich dazu verführte, von dem Weg abzuweichen, den ich eingeschlagen hatte ich durfte es nicht erlauben.

»Im Übrigen haben wir vollkommen unterschiedliche Vorstellungen vom Leben und der Zukunft. Sobald ich den Abschluss in der Tasche habe, will ich den Magister machen. Jet wollte schon seit Teenagertagen ein Rockstar sein. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man sich damit zufriedengeben kann und nicht nach einer gesicherten Zukunft strebt. Wir wollen ganz verschiedene Dinge.« Ganz zu schweigen von der Angst, die es mir machte, dass ich in seiner Nähe all das vergaß, was ich über die Gefahren der wilden Seite des Lebens gelernt hatte.

Sie schüttelte den Kopf und sah dabei aus wie eine empörte Tinker Bell. Es war schwer, zu begreifen, wie eine so zierliche Person so bestimmt sein konnte.

»Ich will ehrlich zu dir sein, Süße. Von außen betrachtet wollt ihr beide das Gleiche; ihr habt nur zu viel Angst davor, es zuzugeben. Und zu deiner Information: Niemand und damit meine ich niemand sieht in einem Pullunder gut aus. Deshalb solltest du nicht länger so tun, als würdest du den armen Adam ernsthaft als Freund in Betracht ziehen.« Sie erhob sich und stützte sich auf die Rückenlehne des Stuhls. Typisch für sie wechselte sie schon wieder das Thema, während ich noch zu verarbeiten versuchte, was sie soeben gesagt hatte. »Du hast übrigens noch nicht die Punkte für das Groupie des Tages vergeben. Also, was denkst du?«

Es ärgerte mich jedes Mal, wenn ein Mädchen aus Jets Zimmer gestolpert kam, aber ich wollte das unter keinen Umständen eingestehen, also spielte ich wie immer mit, hob die Hände und zeigte neun Finger.

»Wegen des fehlenden BHs und des falsch herum angezogenen Shirts hätte sie eigentlich sieben Punkte verdient, doch sie hat Zusatzpunkte gemacht, indem sie dich ›Schlampe‹ genannt hat und ihr Höschen aus der hinteren Hosentasche hing.«

Cora brach in lautes Lachen aus und hielt sich den Bauch. Sie johlte so laut, dass ich fürchtete, Jet könnte wieder aus seinem Zimmer kommen, um nachzusehen, was hier los war.

»Mist, der Schlüpfer ist mir vollkommen entgangen! Er hat recht: Eines Tages kommt eine Zehn eine Frau, die so fertig aussieht, dass es gar keinen Spaß mehr macht, Punkte zu verteilen, weil wir ihr ansehen können, dass sie das Beste bekommen hat, was Jet zu bieten hat.«

Ich biss mir auf die Innenseite meiner Wange, um Cora nicht wütend anzufunkeln. »Ich kann es kaum erwarten.«

Ihr machte ich damit nichts vor. »Natürlich kannst du es nicht erwarten.«

Ich war frustriert wegen der Unterhaltung und wegen des Morgens insgesamt. Also klappte ich meinen Laptop zu und stand auf.

»Ich gehe kurz joggen, bevor ich zur Uni muss.« Ich sagte es zu niemand Bestimmtem, denn Cora war mit ihrem Telefon beschäftigt, und von Jet war nichts zu sehen. Ich zog mir Laufklamotten an, die warm genug für einen Februartag in Denver waren, und schlüpfte in meine runtergerockten Laufschuhe.

Zu joggen half mir, den Kopf freizubekommen. Da ich in einem der gesundheitsbewusstesten Bundesstaaten der Nation lebte, war ich beim Laufen immer eine von vielen, die sich etwas Gutes tun wollten. Ich steckte die Kopfhörer in die Ohren und lauschte dem, was Jet als »ätzende Pop-Countrymusik« betitelte. Mir gefiel Musik, über die ich nicht nachdenken musste, und die meisten Countrysongs waren sehr eingängig. Die Frau war wütend, weil der Typ sie betrogen hatte, der Typ war wütend, weil sein Pick-up kaputt war, alle waren traurig, weil der Hund gestorben war, und Taylor Swift hatte mit Männern genauso viel Glück wie ich.

Ich wusste, dass Jet laute, harte Musik bevorzugte, aber in Wahrheit war der Mann ein Snob. Und nachdem ich ihn nun über ein Jahr kannte, brachte mich die Diskussion darüber, welche Musik gut war und welche nicht, schon lange nicht mehr aus der Fassung.

Die kalte Luft brannte auf meinem Gesicht. Ich fand meinen Rhythmus und joggte Richtung Washington Park, um meine übliche Strecke zu laufen. Wenn ich lief, schaltete ich gern alle Gedanken ab, schob die Dinge, die mich verfolgten, beiseite und spürte nur den Boden unter meinen Füßen und die kühle Brise auf meiner Haut. Doch heute funktionierte es irgendwie nicht.

Ich konnte die Tatsache, dass ich eine Lüge lebte, nicht ignorieren. Es gab Ayden Cross, den Niemand aus Woodward, Kentucky, und Ayden Cross, die Chemiestudentin aus Denver, Colorado. Die beiden waren Teile des Ganzen. Manchmal hatte ich jedoch das Gefühl, dass die eine die andere ersticken und überwältigen könnte und nichts übrig bleiben würde als Asche und schlimme Erinnerungen.

Woodward war kein schrecklicher Ort, aber es war eben eine kleine Stadt sehr klein. Jeder kannte jeden. Wenn die eigene Familie die Familie war, über die in der ganzen Stadt geredet wurde, und wenn jeder Geschichten über sie erzählte, war das Leben nicht gerade angenehm.

Meine Mom war kein schlechter Mensch. Sie war einfach nur nicht reif genug gewesen, um mit sechzehn schon Mutter zu werden und erst recht nicht die Mutter einer schwierigen Tochter und eines Sohnes, der seit seiner Geburt immer auf Ärger aus war. Mein älterer Bruder Asa war keinem Verbrechen aus dem Weg gegangen und hatte sich nie an Regeln oder Gesetze gehalten. Im Gegenteil: Er hatte sie gebrochen, wo er nur konnte. Da weder mein noch sein Vater bei Mom geblieben war, hatte sie sich allein um uns kümmern müssen. Wir waren außer Rand und Band gewesen, und sie hatte sich stets bemüht, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Ich hatte es auf die harte Tour gelernt: Wenn man sich ständig anhören muss, was die Leute von einem denken, fängt man irgendwann an, es selbst zu glauben. Es bleibt einem nichts anderes übrig.

Obwohl ich es besser wusste, ließ ich mich mit Leuten ein, die eine vielversprechende Zukunft zerstörten an der Hand eines großen Bruders, der sich nur um sich selbst und seine aktuellen Betrügereien kümmerte. Wir waren Abschaum. Aus uns würde niemals etwas werden. Und bei all den Dramen, die Asa heraufbeschwor, war es sowieso das reinste Wunder, dass wir überhaupt noch atmeten.

Wenn es auf meiner Highschool nicht einen wohlmeinenden und einfühlsamen Lehrer gegeben hätte, dann wäre ich wahrscheinlich genauso geendet wie meine Mom: Früher oder später wäre ich geschwängert worden und hätte den Rest meines Lebens unter den argwöhnischen Blicken der Einwohner von Woodward verbracht.

Aber ich hatte mich an der Universität beworben und ein Stipendium ergattert und schuftete nun tagein, tagaus, um auf keinen Fall zurückzumüssen und so zu enden wie Mom. Ich würde niemandem jemals wieder einen Grund liefern, um mich für leicht zu haben, dumm und wertlos zu halten. Nie mehr. Ich würde für mich selbst sorgen, ich würde mir eine gesicherte Zukunft aufbauen und, wenn Gott wollte, würde ich irgendwann meine Mom aus dieser winzigen Stadt befreien. Ich würde ihr zeigen, dass das Leben mehr zu bieten hatte als eine Palette Dosenbier, eine Schachtel Zigaretten und irgendwelche Trucker, mit denen sie ab und an Zeit verbrachte.

Asa hielt ich für einen hoffnungslosen Fall. Zuletzt hatte ich gehört, dass er im Knast eine Strafe absaß. Doch ich gab zu, dass ich, was den Klatsch und Tratsch in Woodward betraf, nicht mehr auf dem Laufenden war, also wusste ich nicht genau, wie es ihm momentan ging. Außerdem war ich über den Punkt hinaus, meinen Bruder immer wieder vor sich selbst schützen zu wollen.

Ich hatte viele Fehler und noch mehr falsch gemacht, aber mittlerweile war ich auf einem guten Weg. Ich hatte kapiert, dass es sich auszahlte, anständig zu leben und auf dem richtigen Weg zu bleiben. Mein Lohn dafür waren gute Noten in der Uni, tolle Menschen, mit denen ich befreundet war und die mich bedingungslos liebten, und die Sicherheit, nicht plötzlich aufzuwachen und nichts zu haben.

Wenn das hieß, dass ich die Gefühle, die unglaubliche Lust, die ich für Jet empfand, begraben musste, dann musste es eben so sein. Wenn er mich wie ein katholisches Schulmädchen behandeln wollte, dann war das umso besser für mich, weil ich dann nichts falsch machen konnte. Für mich gab es keinen Grund, ihm zu sagen, dass er sich irrte. Und es gab keinen Grund, ihm zu sagen, dass ich im Gegensatz zu all den Mädchen, die er für eine Nacht mit nach Hause nahm, genau wusste, was der Preis war, und ihn zu zahlen auch bereit war.

Ich kam in den Park und verlangsamte mein Tempo, weil viele Leute unterwegs waren, die ihre Hunde Gassi führten oder mit ihren Kindern spielten.

Als Cora mich gefragt hatte, was ich davon halten würde, Shaws altes Zimmer an Jet zu vermieten, hatte ich im ersten Moment ablehnen wollen. Nach dem Vorfall im vergangenen Winter war es mir schwergefallen, in seiner Nähe zu sein, ohne ständig wie in Zeitlupe jedes demütigende Detail vor meinem inneren Auge ablaufen zu sehen. Ich dankte Gott jeden Tag, dass ich mich ihm nicht wirklich an den Hals geschmissen hatte. In diesem Fall hätte ich mich wahrscheinlich nicht mehr im Spiegel betrachten können. Doch als ich an die furchtbaren Erfahrungen zurückgedacht hatte, die Shaw mit ihrem Exfreund hatte erleben müssen, hatte mir die Vorstellung, mit einem völlig Fremden zusammenzuwohnen, überhaupt nicht mehr behagt. Also hatte ich am Ende widerwillig zugestimmt.

Ich hatte geglaubt, dass mir die ständige Konfrontation vielleicht dabei helfen würde, meine Verliebtheit zu überwinden. Immerhin konnte Jet sehr sarkastisch und unverschämt sein. Aber das Gegenteil war eingetreten. Ich mochte ihn. Ich wollte noch immer schlimme Dinge mit ihm anstellen. Und darüber hinaus mochte ich ihn jetzt auch als Menschen.

Er war überraschend lustig und klüger, als ein Mann mit so vielen Tattoos und einem so grauenvollen Musikgeschmack eigentlich sein sollte. Er nahm Coras Launen nicht allzu ernst und locker hin, und er bedrängte mich nicht, wenn ich mich einmal zurückzog. Für gewöhnlich frühstückten wir miteinander, und mindestens einmal pro Woche trafen wir uns alle und gingen in eine Bar, um etwas zu trinken. Obwohl ich die Musik, die er machte, hasste und mit hassen war auch hassen gemeint –, ging ich trotzdem ungefähr zweimal im Monat zu seinen Konzerten.

Mit Jet trank ich am liebsten. Er hatte nicht so viele Ecken und Kanten wie Rule, war nicht so grüblerisch und launisch wie Nash und neigte auch nicht dazu, eine Szene zu veranstalten wie Rowdy. Er war einfach entspannt und hatte gern Spaß. Erst wenn jemand begann, mit ihm über seine Band zu reden, oder versuchte, ihn wie einen Star zu behandeln, reagierte er verschlossen und distanziert. Für einen Mann, der der geborene Rockstar war, hatte er wirklich Probleme damit, fast berühmt zu sein und bewundert zu werden. Es war seltsam, doch es war auch liebenswert und nur noch ein Grund, dass ich so gern mit ihm zusammen war.

Ich geriet kurz ins Straucheln, als ein Deutscher Schäferhund sich aus dem Griff seines Besitzers befreite und an mir vorbeijagte. Ich nahm mir einen Moment, um zu Atem zu kommen, beugte mich vor und stützte die Hände auf den Knien ab. Weil ich mich nicht mehr bewegte, spürte ich die eisige Luft auf meiner verschwitzten Haut und fing an, zu zittern. Ich hätte eine Mütze aufsetzen und Handschuhe anziehen sollen, aber dazu war es jetzt zu spät, und ich musste zurück nach Hause, wenn ich nicht unpünktlich zu meinem ersten Seminar erscheinen wollte.

Den Blick fest auf den Master gerichtet, bemühte ich mich, die Grundkurse so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Ich wollte mein Studium abschließen, bevor ich fünfundzwanzig war. Mit Zahlen hatte ich schon immer gut umgehen können, und die Naturwissenschaften lagen mir. Dementsprechend war es mir in meiner Bewerbungsphase nicht nur wichtig gewesen, dass meine zukünftige Uni so weit von Woodward entfernt lag wie nur möglich, sondern auch, dass sie in meinen Fächern einen guten Ruf hatte. Ich war mir noch nicht sicher, was genau ich anfangen wollte, wenn ich meinen Abschluss in der Tasche hätte, aber ich wollte auf jeden Fall viel Geld verdienen, unbegrenzte Karrierechancen haben und später eine sehr gute Rente bekommen. Ich wusste, dass es für jemanden meines Alters und meiner Herkunft hochgesteckte Ziele waren, doch ich wollte mich nicht mehr mit wenig zufriedengeben.

Ich joggte in gemäßigtem Tempo weiter und zog die Kopfhörer ab, als ich mich unserem Haus näherte. Unvermittelt bremste ich ab, denn ich hätte schwören können, den Typ, der auf der anderen Straßenseite lief, von irgendwoher zu kennen.

Zugegebenermaßen war ich nach dem Überfall auf Shaw noch immer nervös, und die meisten Fremden wirkten auf mich wie eine Bedrohung, aber die Art, wie der Kerl sich benahm, ließ mich stutzig werden. Der Mann ging schnurstracks vorbei, ohne auch nur einen Blick in meine Richtung zu werfen. Hatte ich mich getäuscht? Ich schüttelte meine Angst ab und lief die Treppe zum Eingang hinauf. Ich wollte die Tür gerade öffnen, als just in dem Moment plötzlich Jet herauskam. Ich geriet ins Taumeln und stolperte rückwärts. Erschrocken stieß ich einen Schrei aus und versuchte noch, das Treppengeländer zu packen, doch es war zwecklos. Ich hatte zu viel Schwung und fiel.

Jet wollte mich festhalten, aber es ging alles viel zu schnell. Als er meine Hand griff, zog ich ihn mit mir. Für den Bruchteil einer Sekunde hingen wir beide in der Luft. Unsere Blicke trafen sich, ehe wir unsanft auf dem Boden landeten.

Er lag halb auf mir, halb neben mir. Ich fluchte unterdrückt, als ich mit dem Hinterkopf auf den Betonboden schlug und kurz Sterne sah. Sein Oberkörper drückte auf meinen, und zwischen mich in meiner dünnen Laufhose und ihn in seinen engen Jeans passte nicht mal mehr ein Blatt Papier. Ich vergaß zu atmen, vergaß, dass ich mir wehgetan hatte, und hätte beinahe auch vergessen, dass es keine gute Idee war, auf diesen Mann zu stehen.

Ich verspürte den dringenden Wunsch, mich an ihn zu schmiegen. Ich wollte meine Finger in seinem zerzausten Haar vergraben. Ich wollte ihn küssen und über die Stelle an seinem Hals lecken, an der sein hämmernder Pulsschlag sichtbar wurde. Doch nichts davon würde Wirklichkeit werden. Er stemmte sich mit den Armen hoch und sah mich mit großen Augen an. Der goldene Schimmer in seinen Augen ließ ihn fast wie ein wildes Tier aussehen. Behutsam schob er seine Hand unter meinen Kopf und flüsterte: »Geht es dir gut? Es tut mir so leid! Ich habe dich nicht gesehen.«

Die Ringe an seinen Fingern fühlten sich eiskalt an, und auch die kalten Steine des Gehwegs ließen mich erstarren.

»Es geht mir gut. Ich war mit den Gedanken woanders. Es war nicht deine Schuld.« Mein Südstaatenakzent war, wenn ich aufgeregt war, ein bisschen stärker als sonst. Ich sah Jet an, dass ihm das nicht entgangen war.

»Bist du sicher? Ich kann dich gern zum Arzt bringen. Wir dürfen nicht riskieren, dass deinem Superhirn etwas passiert.«

Darüber wollte ich nun wirklich nicht mit ihm diskutieren, wenn er halb auf mir lag. Also schlang ich die Finger um seine Handgelenke und versuchte, ihn dazu zu bewegen, mich loszulassen. »Mir geht es gut. Hilfst du mir hoch?«

In seinen dunklen Augen stand für einen Moment ein Ausdruck, den ich bisher noch nie bei ihm gesehen hatte. Es schien, als würde er über die Frage nachdenken und mit dem Gedanken spielen, »Nein« zu sagen. Aber der Moment verging, und er erhob sich und zog mich mit sich hoch. Noch immer hielt er mich fest, und an den Stellen, an denen er meine Hände berührte, schien ein Feuer zu brennen. Ich musste mich von ihm lösen, einen Schritt zurückmachen. Schnell. Ich musste ein Aufstöhnen unterdrücken, als er mich umdrehte und anfing, mir den Straßendreck von den Laufklamotten zu wischen.

»Geht es dir auch ganz bestimmt gut? Ich bin nicht gerade leicht wie eine Feder.«

Das stimmte. Er war groß und gut gebaut, ohne dabei muskelbepackt oder aufgepumpt auszusehen. Er war in Topform, weil er auf der Bühne so viel herumrannte und das schwere Equipment hin- und herschleppte. Ich wusste, dass er nicht regelmäßig ins Fitnessstudio ging. Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte. Ich wand mich aus seinem Griff, weil es nicht anders ging. Ich musste durchatmen und strich mir das Haar aus dem Gesicht.

»Ja. Ich habe mir nichts gebrochen, und wir wissen beide, dass ich einen harten Schädel habe. Ich war in Gedanken versunken. Ich muss besser aufpassen, sonst werde ich noch beim Laufen auf die Nase fallen.«

Er warf mir einen komischen Blick zu und schob die Hände in die Taschen seiner Lederjacke. Ich fragte mich immer, wie er diese Jacke im Winter tragen konnte. Die Reißverschlüsse und Nieten mussten eisig kalt sein. Doch die Jacke gehörte irgendwie zu ihm, und ohne sie wäre er wahrscheinlich nicht Jet gewesen.