Marlon - vom Teufel verfolgt - Erik Magenreuter - E-Book

Marlon - vom Teufel verfolgt E-Book

Erik Magenreuter

0,0

Beschreibung

Marlon ist gerade mal 20 Jahre alt und man verspricht ihm eine steile Karriere als Fußballprofi. Immerhin spielt er in der zweiten Mannschaft seines Heimatvereins Hertha BSC Berlin, und er hat auch schon einen Platz in der U21-Nationalmannschaft sicher. Er ist ein unkomplizierter, geselliger und ehrgeiziger Mensch, dessen Leben bisher ziemlich gut verlaufen ist. In seiner Beziehung mit Stefanie scheint er glücklich zu sein.Das ändert sich aber eines Tages, denn es geschehen Dinge, die ihn plötzlich an sich selbst und an seinem Verstand zweifeln lassen.Richtig los geht sein Abenteuer, als drei Männer versuchen, ihn zu entführen. Nur durch ein mehr als geheimnisvolles Einschreiten eines erst kürzlich kennengelernten jungen Mannes entkommt er. Es stellt sich heraus, dass 'das Böse', vielleicht sogar der Teufel in Person selbst, hinter ihm her ist und erst dann Ruhe geben wird, wenn 'es' bekommen hat, was es will - Marlons Seele.Der junge Fußballer kann kaum glauben, was er da zu hören bekommt, aber weitere Angriffe der Männer lassen keine Zweifel daran, dass er in echter Gefahr ist.Zu allem Unheil kommt hinzu, dass sich Marlon plötzlich zu seinem 'Beschützer' Lukas hingezogen fühlt und seine Freundin mit ihm Schluss macht. Aus dem 'sich hingezogen fühlen' wird ein 'Coming out', und das macht alles noch viel komplizierter für ihn.Irgendwann sieht Marlon keinen Ausweg mehr und stellt sich dem Bösen. Aber die Rechnung hat er ohne Lukas gemacht, der nun alles daran setzt, Marlon zurück zu gewinnen ...!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 356

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Erik A. Magenreuter

Marlon –

vom Teufel verfolgt

Himmelstürmer Verlag, Kirchenweg 12, 20099 Hamburg,

Himmelstürmer is part of Production House GmbH

www.himmelstuermer.de

E-mail: [email protected], Juli 2013

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages

Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage

Coverfoto: Coverfoto:© fotolia.de und shutterstock.com

Das Model auf dem Coverfoto steht in keinen Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches und der Inhalt des Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Modells aus.

Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg.www.olafwelling.de ISBN print 978-3-86361-337-2 ISBN epub978-3-86361-338-9 ISBN pdf: 978-3-86361-339-6

Die Handlung und alle Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen wären rein zufällig.

Ein folgenschwerer Kopfball

„Gib ab! Gib endlich ab, Mann!“ Er hörte wie sein Teamkollege ihm zurief, aber die Lage war verzwickt. Er hatte sich etwas zu weit nach vorne gewagt, und würde er jetzt wirklich abgeben, war klar, dass einer der Gegner an den Ball kommen wird. Würde er weiter laufen, könnte er von zwei Gegnern in die Zange genommen werden. Also, was tun?

Er lief weiter und sah wie zwei vom anderen Team auf ihn zu rannten. Einer von links, einer von rechts. Er hörte wie sein Kollege über ihn fluchte.

Noch etwa zehn Meter bis zum Strafraum, aber das würde ihm nicht reichen, die beiden anderen wären schneller da!

Und so war es, jetzt hieß es handeln. Er stoppte schlagartig, sich und den Ball. Die Fans am Spielfeldrand tobten. Er wartete bis seine Gegner fast bei ihm waren.

Dann tippte er den Ball oben mit dem rechten Fuß an und gab ihm einen leichten Rückwärtsdrall, sofort danach fuhr er mit der Spitze seines Fußes unter ihn, und schoss ihn fast kerzengerade nach oben.

Die beiden Gegner schauten sich an, blickten dem Ball hinterher, während er ein paar Meter nach vorne lief. Er wusste, dass der Ball in seine Richtung fallen wird und er konnte hoch springen, also den Ball weg köpfen und vielleicht würde einer seiner Gegner ihm sogar als Stütze dienen.

Der Ball kam herunter, natürlich waren seine Gegner auch schon wieder in seiner Nähe, so wie er sich das vorstellte.

Die Anderen hatten Zeit bekommen, um sich auch seiner Umgebung zu nähern und somit war gewährleistet, dass er per Kopfball an einen seiner Kollegen abspielen konnte. So kurz vor dem Strafraum war das die Torchance schlechthin.

Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, in dem er abspringen sollte. Aber einer seiner Gegenspieler dachte das Gleiche und wollte sich wohl auch auf ihm abstützen. Er spürte eigentlich nur noch einen dumpfen Schlag ins Gesicht und plötzlich wurde es dunkel ...

... ein kleines helles Licht raste mit ihm irgendwo hinunter. Um ihn herum war es nur dunkel, und er merkte, dass er fiel. Nur dieseskleine Licht über ihm, das mit ihm in die Tiefe fiel, ließ ihm ein klein wenig Orientierung.

Er bekam etwas Angst, wusste nicht, wie weit er noch fallen wird, wo und wie er aufschlägt.

Da plötzlich schien sich das Licht zu verändern. Es wurde größer, breiter und es hatte den Anschein, als würde ein Gesicht daraus entstehen.

Es wurde zu einem Gesicht. Ein alter Mann, mit langen weißen Haaren und einem noch längerem weißen Bart erschien.

„Hab keine Angst, Marlon. Es wird alles wieder gut!“

„Wer sind Sie? Was passiert mit mir?“

„Das spielt alles keine Rolle. Aber sei dir bewusst, dass sich von heute an dein Leben ändern wird, es wird bald nichts mehr so sein wie es war.“

„Was soll das heißen?“

„Du wirst es schon bald merken, aber habe keine Angst, deine wahren Freunde werden immer zu dir stehen, und dir helfen!“

In diesem Moment verschwand der alte Mann und es wurde dunkel. Und dann spürte er, wie er auf dem Boden aufschlug ...

„Marlon? Marlon, alles klar?“

Er versuchte die Augen zu öffnen und erkannte verschwommen, wie sein Trainer, ein Sanitäter und einige seiner Mitspieler um ihn herum standen.

Er lag auf dem Boden und sein Schädel brummte wie Sau.

„Marlon, hörst du mich?“

Er konnte nichts sagen, er versuchte es, aber es ging nicht, also nickte er mit dem Kopf.

Dann sah er wie der Sanitäter einen Zeigefinger in Richtung seiner Nase hielt und wieder weg zog. „Kannst du den Finger erkennen?“

Wieder nickte er nur.

Der Sanitäter sah zum Trainer. „Auswechseln, das ist eine Gehirnerschütterung.“

Der Trainer klopfte sich kniend auf die Schenkel, verdrehte die Augen und erhob sich.

Marlon sah, wie zwei weitere Sanitäter mit einer Bahre kamen.

„Kannst du versuchen aufzustehen?“, wollte einer von ihnen wissen, und fuhr mit seinem Arm unter seine Schulter. Mit einem leichten Ruck schaffte es Marlon, seinen Oberkörper zu heben.

Wieder durchzogen ihn Schmerzen in seinem Schädel.

„Okay, Jungs, auf die Bahre und dann ab in die Klinik, ich denke, wir sollten den Kopf mal genauer untersuchen.“

„Was ist eigentlich passiert?“

Lange Zeit hatte er keinen Ton herausgebracht. Erst im Krankenwagen, auf dem Weg ins Krankenhaus schaffte er es endlich zu fragen.

Einer der Sanitäter lächelte ihn an. „Du hast beim Versuch zu köpfen einen ziemlich kräftigen Ellbogencheck ins Gesicht bekommen und bist umgefallen wie ein Sack Kartoffeln. Genau mit dem Hinterkopf bist du aufgekommen.“

„Aua.“

„Das kannst du laut sagen. Die Platzwunde unter deinem Auge haben wir gleich genäht, aber deinen Schädel muss man noch untersuchen.“

Er schloss wieder seine Augen. Spürte, wie sein Kopf brummte und auf einmal fiel ihm dieser alte Mann wieder ein.

Komischer Traum, dachte er sich dann. Er musste wohl ohnmächtig geworden sein, und wenn er auf den Kopf gefallen ist, hat ihm wohl seine Fantasie einen Streich gespielt.

Aber es wirkte alles so real und was meinte er mit „es wird nichts mehr so sein wie es war?“

Ach Blödsinn, dachte er sich wieder, war doch nur ein Traum.

Marlon lag seit zwei Tagen im Krankenhaus. Er hatte sich im Krankenwagen noch übergeben müssen, doch nach einer gründlichen Untersuchung wurde tatsächlich nur eine Gehirnerschütterung festgestellt.

Aufgrund der Schwere wurde er aber dabehalten.

Ein weiterer Verletzter lag mit ihm auf seinem Zimmer, aber er hatte keine große Lust, sich mit diesem zu unterhalten und der Andere anscheinend auch nicht.

Jedenfalls wäre er überglücklich, wenn er endlich nach Hause gehen dürfte.

Seine Eltern hatten ihm ein paar Sachen gebracht. Sein Vater war ja mit auf dem Fußballplatz, als es passierte, er konnte es aber nicht brauchen, wenn sein Sohn stöhnend vor Schmerzen im Bett lag. Getreu dem Motto, „was uns nicht tötet, härtet ab“ war ja alles nur halb so schlimm.

Marlon spielte schon seit seinem vierten Lebensjahr Fußball und hatte sich im Lauf der Zeit zu einem echten Talent entwickelt.

Immerhin spielte er in der zweiten Mannschaft von Hertha BSC Berlin und in der U-21-Nationalmannschaft hatte er auch schon mitgespielt.

Sein gerade begonnenes Studium lief so nebenher und machte ihm auch keinen Stress. Wieso auch, das Abitur hatte er ja auch während der ganzen Trainingseinheiten und dem vollen Spielplan geschafft.

Natürlich träumte er davon, irgendwann einmal in der ersten Mannschaft spielen zu dürfen.

Bundesliga und Nationalmannschaft, das war sein großer Traum. Er würde dafür auch sein Studium aufgeben, als Profi würde er ganz klar auch eine Menge Geld verdienen.

Die Verletzung war ja auch kein Hindernis auf dem Weg dahin, das musste man einfach in Kauf nehmen. Außerdem war es die erste große Verletzung, die er in all den Jahren erlitten hatte.

Seine Freundin hatte ihn auch schon besucht, und klar, da jammert man dann einfach ein bisschen mehr. Tut ja auch mal ganz gut, wenn man bemuttert und bemitleidet wird. Sie kennt ihn so ja gar nicht, und entsprechend groß war ihre Fürsorge.

Seit einem halben Jahr waren sie zusammen.

Kennen gelernt hatten sich die beiden auf einer Party seines besten Freundes Felix im April.

Irgendwie hatte es gleich gefunkt und Marlon war sehr glücklich. Nicht, dass Steffi nur gut aussah, sie war sportlich, teilte mit ihm seine Leidenschaft für Fußball und auf den Kopf gefallen war sie auch nicht. Also, was wollte man denn mehr?

Am nächsten Morgen sollte er entlassen werden. Ein Arzt hatte ihm striktes Trainings- und Spielverbot erteilt, mindestens für die nächsten drei Wochen. Dann könnte er wieder loslegen.

Der letzte Abend im Krankenhaus war gekommen. Seine Mutter wollte ihn morgen abholen und hatte schon ein paar Sachen von ihm wieder mit nach Hause genommen. Sein Zimmerkollege, immer noch nicht wirklich gesprächig, lag schon wieder auf der Seite und schien zu schlafen.

Das tat er anscheinend immer. Selten dass er mal sein Gesicht gesehen hatte. Selbst wenn es zu essen gab, saß er immer mit dem Rücken zu ihm.

Komischer Typ, dachte er sich. Er wusste nicht einmal, warum er hier war.

Verbände hatte er keine, zumindest nicht an solchen Stellen, wo sie offensichtlich waren. Und bei einer Visite standen soviel Leute um sein Bett, dass er auch nichts erkennen konnte. Marlon beschloss sich ebenfalls schlafen zu legen. Er legte sein Buch zur Seite und löschte das Licht.

Er wusste nicht, ob er schon einmal eingeschlafen war, oder ob er gerade erst dabei war, als er plötzlich seinen Nachbarn reden hörte: „Es wird nicht mehr lange gehen, bis sie dich finden. Du kannst dich aber auf deine Freunde verlassen, sie werden dir helfen. Spätestens dann, wenn du aus eigener Kraft nicht mehr weiter kommst.“

Erschrocken erhob sich Marlon in seinem Bett, blickte zu seinem Nachbarn rüber. „Was reden Sie da? Sind Sie wach?“

Er antwortete nicht.

„Wer wird mich finden, was soll das?“

„Glaube an die Kraft in dir, und alles wird gut.“

Marlon war das alles etwas unheimlich.

Der alte Mann, jetzt sein Zimmerkollege im Krankenhaus, beide redeten wirres Zeug, was sollte das alles bedeuten?

Er stand auf, wollte zu seinem Nachbarn rüber laufen, um zu sehen, ob er schlief und dabei redete oder ob er wach war. Dabei bemerkte er wieder einen stechenden Schmerz im Kopf, ihm wurde schwarz vor Augen ...

Ein Arzt, eine Krankenschwester und ein junger Kerl standen um sein Bett, als er die Augen wieder öffnete.

Es war hell geworden draußen, und Marlon hatte kein Gefühl von Zeit. Alles, was er in diesem Moment wusste, war, dass er immer noch im Krankenhaus lag.

„Was ist passiert?“

Der Arzt sah ihn an, blickte in seine Akte, übergab sie der Schwester und ging – ohne ein Wort zu sagen.

Auch die Schwester verließ ohne Worte das Zimmer, nur der junge Typ stand noch da. „Bist zu schnell aufgestanden heut Morgen, dann hat’s dich umgewettert. Wosch! Wieder voll auf die Birne!“

„Schlimm?“

„Nicht schlimmer als vorgestern, als man dich eingeliefert hat. Aber aus der Entlassung wird heut nichts.“

„Verdammt!“

„Ich bin übrigens Lukas und werde ab und zu mal nach dir sehen, damit dir nicht langweilig wird.“

Marlon, dessen Kopf wieder tierisch schmerzte, sah sich vorsichtig im Zimmer um. Langsam bewegte er Kopf und Augen und bemerkte plötzlich, dass sein Zimmernachbar weg war.

„Wo ist er hin?“, fragte er Lukas und deutete auf das leer stehende Bett neben ihm.

„Der wurde vorhin entlassen, der hat sich nicht ganz so ungeschickt angestellt wie du.“

„Haha! Sag mal, kanntest du den und wie lange war ich eigentlich weggetreten?“

„Also, den kannte ich nicht. Bin ja heute erst aus meinem Urlaub zurückgekommen, und wie meine Kollegin mir erzählte, ist dir der Unfall um fünf Uhr heute morgen passiert, jetzt ist es acht, ergo: Du warst ca. drei Stunden weg.“

„Wow!“

„Musst halt deinen Kopf nicht immer vorne weg schicken, wenn du zu Boden fällst!“

Marlon gefielen diese Sticheleien überhaupt gar nicht. „Hast ne ziemlich freche Schnauze.“

„Ich weiß, aber sonst kommt man ja zu nichts.“

„Und woher weißt du soviel über mich, wenn du erst heute wieder zurück gekommen bist?“

Lukas kam an sein Bett heran. „Ich bin auch schon seit sieben hier und wenn man mal einen kleinen Star auf der Station hat, informiert man sich halt und es wird dann auch gleich viel getratscht. Aber nimm meine Sprüche nicht so persönlich, ich bin harmlos.“

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.

Schöner Mist, dachte Marlon. Noch ein paar Tage würde er hier verbringen müssen, und danach bestimmt längere Zeit kein Training.

Er sollte recht behalten.

Lukas brachte ihm leichte Kost zu essen und wieder bekam er einen Pfefferminztee zu trinken, er hasste Pfefferminztee.

Kurz darauf kam die Visite und ein Arzt erklärte ihm, dass er zu schnell aus seinem Bett aufgestanden war und darum das Gleichgewicht verloren hatte. Darum wurde er kurz ohnmächtig.

Wäre alles halb so schlimm gewesen, wenn er statt auf den Boden, ins Bett gefallen wäre.

Warum er es so eilig hatte, mitten in der Nacht aufzustehen, wollteer nicht erklären. Er tat so, als ob er es einfach nicht mehr wusste und die Leute um ihn herum nahmen ihm das auch ab.

Nachdem der Arzt erklärt hatte, dass er jetzt noch einmal für zwei Tage hier bleiben muss, und voraussichtlich erst am Freitag das Krankenhaus verlassen durfte, vorausgesetzt die Tests, die sie mit ihm noch machen wollten, waren zufriedenstellend, verließ die Mannschaft das Zimmer. Nur Lukas blieb, „iss dein Frühstück, dann wird es dir auch gleich besser gehen.“

Er schüttelte das Kopfkissen des anderen Bettes auf. „So, so. Du weißt also nicht mehr, warum du aufgestanden bist?“, fragte er mit einem leicht unglaubwürdigen Unterton.

Marlon wurde skeptisch. „Ja! Was soll das?“

Aber Lukas zuckte mit der Schulter. „Ich frag doch nur. Bekommst übrigens heute keinen neuen Nachbarn mehr. Es sei denn, es kommt noch ein unvorhergesehener Unfall oder so. Also genieß die Ruhe.“

„Super, als ob ich das nicht schon die letzten Tage getan hätte. Mein Kollege war ja nicht wirklich gesprächig.“

„Russe. Konnte kein Deutsch. Ich habe mich informiert.“

Jetzt stockte Marlon der Atem, der Typ neben ihm konnte kein Deutsch? Das konnte nicht sein, er hatte heute Nacht fehlerfrei Deutsch gesprochen. Das hatte er sich nicht eingebildet, oder etwa doch? Hatte er das vielleicht nur geträumt, so wie die Sache mit dem alten Mann? Hatte er irgendwelche Halluzinationen?

Lukas hatte bemerkt, wie ruhig Marlon geworden war und sah, wie blass sein Gesicht plötzlich wurde. „Ist dir nicht gut?“

Marlon sah zu ihm rüber, schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht.“

Lukas kam an sein Bett, schnappte sich Marlons linkes Handgelenk und fühlte den Puls.

„Hey, was ist los? Der rast ja wie ein ICE!“

Marlon atmete tief durch, das Ganze machte ihm gerade ziemlich zu schaffen. Tausend Dinge gingen ihm durch den Kopf, die Frage, was ist real, was nicht? Was hatte er geträumt und was hatte er tatsächlich erlebt?

Er war doch ein Mann, warum ließ er sich plötzlich von so etwas einschüchtern?

Hatte er wirklich Angst, verrückt zu werden? Und – konnte oder sollte er vielleicht jemand in alles einweihen?

Vielleicht Lukas, der hatte ja auch eine gewisse Schweigepflicht. Oder sollte er versuchen alles zu vergessen?

Vielleicht hatte er einfach zu viel Zeit um nachzudenken. Vielleicht müsste er sich mal wieder mit etwas beschäftigen, aber wie?

Hier im Krankenhaus war das unmöglich. Ein Buch lesen, Fernsehen oder Kreuzworträtsel lösen, das war alles, was er konnte. Besuch bekam er zwar auch regelmäßig, aber eben nur für kurze Zeit auf den ganzen Tag gesehen.

„Marlon? Bist du noch da?“, hörte er Lukas wieder sagen.

Er sah ihn an. „Ja, ja danke. Es geht schon wieder.“

Marlon hatte beschlossen, dem Krankenpfleger nichts zu erzählen, vielleicht war es so besser.

Lukas hatte sich inzwischen auf die Bettkante gesetzt. Seine Hand hielt er immer noch fest.

„Du bist ein komischer Typ.“

„Ich? Wieso?“

„Du liegst da, als wenn alles in Ordnung wäre, und dabei sieht man dir ganz genau an, dass etwas nicht stimmt.“

„Doch es ist wirklich alles in Ordnung, zumindest habe ich nichts, was dich in irgendeiner Form etwas angehen würde.“

Lukas ließ ihn los, und stand auf. „Oh, der Herr werden pampig!“

Er lief Richtung Tür. „Na ja, Undank ist der Welten Lohn, hat meine Oma immer gesagt. Egal! Wenn ich dir helfen kann, sag Bescheid. Ich komm wieder.“

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer. Marlon lag noch etwas angespannt in seinem Bett, das merkte er selbst. Das Frühstück stand vor ihm, aber Hunger hatte er keinen. Er legte sich zurück, starrte an die Decke des Zimmers.

Jetzt ging ihm Lukas plötzlich nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte ihn wirklich etwas unfreundlich angefahren. Lukas wollte ihm doch nur helfen, und er – er machte ihn an.

In seinen tausend Gedanken versunken schlief Marlon wieder ein.

Freund oder Feind

August, 1943 – Kursk, Sowjetunion

„Was sollen wir tun? Wir sind hier umzingelt!“, schrie der junge Soldatseinen Vorgesetzten an.

„Wir müssen weiter kämpfen, was denken Sie?“, brüllte dieser zurück.

„Bei allem Respekt, Herr Kommandant! Aber wir liegen hier im Schützengraben, um uns herum lauter Russen, und von der anderen Einheit weit und breit keine Spur und keine Zeichen, dass sie auch nur annähernd irgendwo sind.“

„Schütze Broghammer!“, brüllte der Kommandant, „Sie haben verdammtes Glück, dass wir hier alle in einer sehr anspannten Lage sitzen, im Hauptquartier hätte ich Sie nach einer solchen Bemerkung erschossen!“

Wieder schlug eine Granate in der Nähe ein. Von weitem hörte man Schüsse.

Die Einheit befand sich in einer aussichtslosen Situation. Die Munition neigte sich dem Ende zu, der Feind war ganz in der Nähe und keine Anzeichen von Hilfe waren zu vernehmen.

Der Funker morste weiter, um Hilfe anzufordern. Er gab die Position der Einheit durch, dass schon mindestens die Hälfte der Männer gefallen waren, und sie viele Verletzte und Schwerverletzte zu beklagen hatten. Aber er erhielt keine Antwort.

Die Einheit bestand aus vielen jungen Männern, gerade mal 20 Jahre alt. Der Kommandant, ein treuer Verehrer Hitlers, aber auch nicht älter als 40, er versuchte nicht einmal seiner Mannschaft Mut zu machen. Er würde kämpfen, bis zu seinem Tod. Das war er seinem Vaterland und seinem Führer schuldig. Und alle, die bei ihm waren, sollten sein Schicksal mit ihm teilen.

Die jungen Männer hatten Angst. Sie würden sterben, wenn nicht bald Hilfe kommt. Sie würden qualvoll verbluten, wie viele ihrer Kameraden. Bestenfalls würden sie in Gefangenschaft genommen werden, und dort gefoltert oder elendig in Sibirien erfrieren. Man hörte nichts Gutes von der russischen Gefangenschaft.

Immer wieder explodierten Granaten, und der Feind schien immer näher zu kommen.

„Wir werden noch einmal stürmen!“, beschloss der Kommandant, „und keine Widerrede!“

Er zeigte auf die Männer. „Sie, und Sie, und Sie ...“, zählte er ab, wer ihn begleiten musste.

„Broghammer! Sie und die restlichen Männer bleiben hier und halten die Stellung.“

Er forderte den Funker der Truppe auf, noch einmal die Position und den Befehl durchzugeben.

Broghammer sah seine Kameraden an, sah wie in ihren Augen die Todesangst zu erkennen war. Er wusste, dass er sie nie wieder sehen würde. Sie hatten keine Chance. Jeder wusste das.

Aber würde er auch nur einen kleinen Widerspruch erheben, würde ihn sein Vorgesetzter auf der Stelle erschießen.

Er konnte das nicht mit ansehen, Tränen standen den Männern in den Augen, auch er versuchte, diese zu unterdrücken. Mit fünf Mann zurückzubleiben, war genau dasselbe Todesurteil, wie jetzt mit den Anderen zu stürmen. Nur dauerte es länger, bis sie sterben werden.

Keine zehn Minuten später war die Truppe gerüstet und der Kommandant gab den Befehl loszumarschieren.

Broghammer hatte sich in eine Ecke des Grabens verzogen, um dies nicht sehen zu müssen.

Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis er hörte, wie wieder Schüsse fielen, mehr Granaten einschlugen und wie Männer schrien. Dann wurde es still.

Als Ältester der Truppe hatte er nun das Sagen und wusste überhaupt nicht, was er tun sollte.

Er erhob sich, lief zum Rand des Grabens, schnappte sich dabei einen Feldstecher und späte vorsichtig auf das Feld vor ihm.

Eigentlich hätte er erschrecken müssen, aber er kannte den Anblick.

Tote wohin er nur sah, seine Kameraden, seine Feinde, selten, dass es noch jemand gab, der noch lebte.

Er wusste, dass er nun mit seinen Männern raus musste, um nach den Verletzten zu suchen, aber er wusste auch, dass der Feind nur darauf wartete.

Es lagen bereits an die 20 Verletzten im Schützengraben, mehr als sie aufnehmen konnten.

Retten?, dachte er sich, ich würde sie hier nur aufbahren, damit der Feind schneller Gefangene machen kann.

Aber was sollte er tun?

Kam er seiner Pflicht nicht nach, würde man ihn vor ein Kriegsgericht stellen, tat er es, würde er vom Feind erschossen, und seine übrig gebliebenen Kameraden auch.

„Männer!“, rief er dem Rest zu, „tun wir unsere Pflicht!“

Er hatte sich entschieden, nichts würde ihn jetzt davon abbringen,doch noch einem Teil seiner auf dem Feld liegenden Kameraden zu helfen.

Keiner seiner Männer antwortete und erst jetzt wurde ihm auch die Stille auf dem Feld bewusst. Irgendwas stimmte nicht.

Er nahm seinen Feldstecher vom Gesicht, drehte sich wieder in den Schützengraben, und erschrak.

Ein Mann, in russischer Uniform stand direkt hinter ihm. Neben ihm drei weitere Männer, ebenfalls Russen, so schien es wenigstens.

Ihre Maschinengewehre hielten sie direkt auf ihn und seine Männer gerichtet. Der Kampf war verloren!

„Eine falsche Bewegung und ihr seid alle tot“, sagte der Vorderste in perfektem Deutsch.

„Was soll das? Wer sind Sie?“

„Man nennt mich Baron. Obwohl ich eigentlich keiner bin.“

Broghammer wunderte sich, dass der Mann Deutsch sprach und eine russische Uniform trug.

„Warum sprechen Sie unsere Sprache?“

Der Mann lachte. „Ich spreche viele Sprachen. Ich muss das.“

„Sie müssen?“

„Hören Sie auf, mir Fragen zu stellen!“, harschte der Baron ihn an, „ich bin hier um Ihnen und Ihren Männern ein Geschäft vorzuschlagen.“

„Ein Geschäft? Wir sind mitten im Krieg und Sie wollen Geschäfte machen, sind Sie verrückt?“

„Auch das behaupten manche, die mich kennen.“

Der Mann war groß, Anfang bis Mitte 50, hatte rötlich-blonde Haare. Seine Augen waren arisch, und seine tiefe ruhige Stimme klang gefährlich, bedrohend und doch besänftigend.

„Ich bin Geschäftsmann und wenn ich irgendwo ein Geschäft machen kann, ist es mir egal, ob im Schützengraben oder in einem Büro! Außerdem werden Sie keine andere Wahl haben.“

Broghammer sah seine ängstlichen Kameraden, auch ihm war nicht sonderlich wohl.

Immer wieder fiel ihm auf, wie still es geworden war. Keine Schüsse, keine Granaten waren mehr zu hören. Er wollte weg hier, er wollte hier raus. „Was soll das für ein Geschäft sein?“

Der Baron grinste. „Na also. Ich gebe Ihnen die Garantie, dass Sie diesen Krieg unverletzt überleben werden.“

Broghammer lachte. „Alles klar! Sie sind mein Feind, zumindesttragen Sie die Uniform von ihm, warum sollten Sie das garantieren?“

„Weil dies das Geschäft ist.“

„Der Krieg kann noch Jahre dauern, wie wollen Sie uns beschützen?“

Der Mann grinste ihn an. „Vertrauen Sie mir einfach. Viele Männer haben bereits überlebt, sind zu Hause, unverletzt und wieder glücklich.“

Broghammer wurde immer skeptischer. „Was wollen Sie dafür? Wir haben kein Geld, keine Waffen und keine Munition mehr, also was wollen Sie?“

Der Baron trat einen Schritt zurück und hob seine rechte Hand etwas in die Luft.

Der Mann hinter ihm kramte eine Papierrolle aus seinem Mantel und legte sie dem Baron in die Hand.

„Hier drin steht alles. Ich garantiere Ihnen, jedem einzelnen hier, diesen Krieg unversehrt zu überleben, alles was ich dafür will ist ...“ Er machte eine Pause, begann lüsternd zu grinsen, „ist Ihre Seele!“

Das Bad

Marlon erwachte, als Lukas wieder an seinem Bett stand und das Frühstück zusammen packte.

„Es tut mir leid wegen vorhin“, sagte er gleich mit noch etwas verschlafener Stimme.

Lukas lächelte ihn an. „Kein Problem! Ich misch mich eh immer zu sehr in was ein, was mich wirklich nichts angeht. Trotzdem mein Angebot steht, wenn du Hilfe brauchst, bin ich gern für dich da.“

Marlon lächelte nun auch ein wenig. „Danke. Ich werde darauf zurückkommen.“

Kurze Zeit blickten sie sich in die Augen und grinsten sich an. Die Tür zu Marlons Zimmer ging auf und eine Ärztin kam herein, Frau Doktor Finkbeiner. Sie hatte sich die letzten Tage intensiv um Marlon gekümmert, war quasi seine behandelnde Ärztin.

„Hallo, Herr Broghammer, wie geht es Ihnen?“

Marlon sah sie kurz an. „Mein Schädel brummt halt.“

„Das ist klar nach heute morgen. Fühlen Sie sich schlecht? Ist Ihnen übel?“

„Ein wenig.“

Lukas lenkte ein. „Er hat heute noch nichts gegessen, Frau Doktor.“

Sie blickte Marlon mit einer etwas ernsten Miene an. „Das ist aber nicht gut, Herr Broghammer, Essen hält Leib und Seele zusammen!“

Sie fühlte seinen Puls. „Wir werden morgen eine Computertomographie Ihres Kopfes machen, ich möchte sicher gehen, dass alles okay ist und es sich nur um eine Gehirnerschütterung handelt. Lukas wird Sie nach dem Frühstück holen. Sie kennen das ja bereits.“

Natürlich kannte er die Röhre. Schließlich hatte er bereits Anfang der Woche darin gelegen. Gleich nach seinem Unfall auf dem Fußballplatz. Etwas mehr als eine Viertelstunde musste er in der engen Röhre liegen, durfte sich, wenn möglich, nicht bewegen und hätte beinahe Platzangst bekommen, so beklemmend war es darin.

Jetzt musste er also noch einmal da hinein, und nur, weil er an diesem Morgen wieder so unglücklich auf den Kopf gefallen war.

„Danach, Lukas“, sie drehte sich zu dem Krankenpfleger um, „werden Sie Herrn Broghammer baden. Ich möchte nicht riskieren, dass er unter der Dusche noch einmal einen Schwächeanfall bekommt.“

Sie blickte wieder auf Marlon. „Und so ein Bad wirkt Wunder.“ Grinsend verließ sie das Zimmer wieder.

Marlon konnte allerdings gar nicht darüber lachen, geschweige denn grinsen. Er musste gebadet werden? Noch dazu von einem Mann?

„Meinst du nicht, dass ich vielleicht doch duschen könnte?“, fragte er fast verklemmt.

Lukas konnte sich nun auch ein Grinsen nicht verkneifen. „Wenn Frau Finkbeiner der Ansicht ist, dass du baden sollst, dann werde ich sicher nichts anderes sagen, warum?“

„Nur so.“

„Also, mal keine Sorge, mein Lieber. Du bist nicht der erste Mann, den ich nackt sehe. Außerdem werde ich dir nur das Wasser einlassen und dich beim be- und entsteigen der Wanne halten. Waschen darfst du dich schon allein.“

Der Tag verlief ohne weitere Aufregung. Seine Freundin besuchte ihn an diesem Nachmittag und seine Mutter war zu Besuch. Dass sich Steffi etwas zurückhielt, und sie nicht sonderlich gesprächig war, störte ihn nicht weiter. Sie sagte, dass sie einen schlechten Tag hatte und müde war, das konnte ja durchaus einmal passieren.

Das Mittagessen hatte er nicht zu sich genommen, sein flaues Magengefühl ging einfach nicht weg.

Erst gegen Abend kam Lukas noch einmal zu ihm rein. Er hatte etwas Obst bei sich und ein Vollkornbrot mit Käse.

Dieses Mal war Lukas aber nicht so gut drauf wie sonst. Er setzte sich mit dem Tablett zu Marlon ans Bett und sagte in ernstem Ton, dass er nicht eher gehen werde, bevor Marlon etwas gegessen hatte. Er schälte ihm eine Banane und streckte sie ihm entgegen.

Widerwillig begann Marlon zu essen, bemerkte aber schon bald, dass er sich etwas besser fühlte.

Die Banane und das Brot aß er auf. Dann aber wollte er nicht mehr. Lukas lobte ihn daraufhin wie ein kleines Kind, seine Laune schien wieder besser zu sein.

Er verabschiedete sich, da er nun Feierabend machen würde. Grinste ihn noch einmal an und meinte zum Schluss mit einem leicht sarkastischen Unterton, dass er sich riesig auf den nächsten Tag freuen würde.

Wie geplant holte Lukas ihn am nächsten Morgen nach dem Frühstück ab. Marlon hatte seinen Tee getrunken und auch wieder mehr Appetit als gestern, es ging ihm besser.

In seinem Bett wurde er von Lukas durchs Krankenhaus in die Abteilung gefahren, in der das CT stattfinden sollte.

Es lief alles glatt. Die Computertomographie war überhaupt kein Problem, das einzige, was ihm Kopfzerbrechen machte, war das Bad anschließend.

Nicht, dass er sich schämte, oder schämen musste. Nach dem Training oder Sport, oder dem Fußballspiel, duschte er ja auch mit anderen Jungs.

Aber er fühlte sich so hilflos. Er kam sich albern dabei vor, wenn ihm jemand aus dem Bett in eine Badewanne helfen musste.

Klar, Lukas war ja nur eine Art Stütze, eine Sicherheit, aber Marlon fühlte sich wie ein alter Mann, der es allein nicht schaffen würde.

Lukas holte Marlon wieder aus der Abteilung ab und fuhr mit ihm direkt ins Badezimmer. Er hatte das Wasser bereits eingelassen.

Marlon erhob sich langsam, setzte sich auf den Rand des Bettes und zog sein T-Shirt aus, während Lukas etwas an einem Regal kramte.

Vielleicht würde er es schaffen, ohne seine Hilfe in die Wanne zu kommen.

Lukas immer im Augenwinkel beobachtend, entledigte er sich seiner Hose und machte einen vorsichtigen Schritt nach vorne. In diesem Moment drehte sich Lukas um.

„Hey!“, raunzte er ihn an, „kannst du nicht warten!“

Er lief eilig die paar Schritte zu ihm hin. „Du kannst sicher allein gehen, aber ich will einfach in der Nähe sein, um dich aufzufangen, verstanden?“

Marlon sah dies ein und entschuldigte sich auch gleich für seinen Alleingang. Er bemerkte, dass bei solchen Sachen mit Lukas nicht zu spaßen war.

Lukas war ein sehr sympathischer Typ, etwas größer als er und etwas stämmiger. Nicht dick, aber auch nicht muskulös. Sein breites Kreuz wirkte aber sehr bullig.

Mit seinen knapp 23 Jahren hatte er ein noch sehr jungenhaftes Gesicht, was durch seine blonden kurzen Haare schon fast knabenhaft aussah, und wenn er einen Witz machte oder irgendeinen seiner Sprüche los ließ, funkelten seine wässrig blau schimmernden Augen wie bei einem kleinen Kind.

Irgendwie faszinierte ihn dieses Aussehen und er wusste, mit dem konnte man sicher seinen Spaß haben, allerdings nur bis zu gewissen Grenzen, und er nahm unter anderem seinen Job sehr ernst.

Lukas stand also direkt neben ihm, seine Arme in Stellung, dass er sofort einschreiten konnte, falls Marlon das Gleichgewicht verlieren sollte.

Aber Marlon blieb standhaft. Immer wieder ertappte er sich dabei, wie er dachte, dass Lukas ihn von oben bis unten musterte, und er fühlte sich einfach unwohl bei dem Gedanken daran, dass dieser junge Pfleger neben ihm steht und ihn beim Baden beobachtet.

Aber dem war nicht so. Als Marlon in der Wanne lag, drehte sich Lukas weg und begann wieder an den Regalen zu arbeiten.

„Was machst du da eigentlich?“

„Ich räume um, und sortiere aus.“

„Hast du nichts anderes zu tun?“

„Wenn du meinst, dass ich dich alleine lasse, hast du dich getäuscht! Ich habe den Auftrag hier zu bleiben und dir wieder aus der Wanne zu helfen, wenn du fertig bist.“

Er drehte sich zu Marlon, der immer noch aufrecht in der Wanne saß und lachte. „Man könnte meinen, du badest das erste Mal.“

„Warum?“

„Schon mal was von entspannen gehört? Jetzt lehn dich mal zurück und genieße. So schnell wirst du hier nicht mehr gebadet.“

„Das will ich doch hoffen.“

Lukas schien diese Antwort nicht zu gefallen, seine Stimme klang etwas genervt. „Sag mal, wo liegt eigentlich dein Problem? Hast du Angst, dass ich dir was weg kucke, oder dich unsittlich berühre oder was?“

„Nein, das nicht. Aber wenn ich zu Hause bade, bin ich allein und hör Musik oder lese ein Buch. Oder meine Freundin ist dabei, dann ist das was anderes.“

„Musik kann ich dir nicht besorgen, aber was zum lesen, wenn du das willst.“

Marlon merkte, dass er schon wieder Mist gebaut hatte mit seinen Bemerkungen und bekam wieder ein schlechtes Gewissen. „Nein, nein. Danke, es geht schon. Und entschuldige bitte, ich wollte dich nicht verletzen oder persönlich angreifen.“

Lukas lächelte. „Schon in Ordnung, brauchst dich nicht für alles zu entschuldigen. Was glaubst du, was ich mir hier alles anhören muss. Ich hab ein dickes Fell!“

Marlon schien seine Scheu zu verlieren. Er stütze sich hinter seinem Rücken ab, und lehnte sich langsam zurück. „Echt? Erzähl mal!“

Das Wasser hatte eine angenehme Temperatur, eigentlich genau richtig, um zu entspannen, und warum sollte er es nicht auch tun?

Lukas hatte ihm ein Schaumbad eingelassen und der Schaum verdeckte alles, was es zu verdecken gab.

„Was willst du hören?“

„Na, was du hier für Geschichten erlebst. Wenn du dir schon so viel anhören musst!“, frotzelte Marlon.

Der Pfleger kam zu ihm rüber gelaufen, setzte sich an den Beckenrand.

„Mal unter uns, dieses Bad sollte vielleicht zehn Minuten dauern. Waschen, abduschen, raus und fertig. Aber ich dachte, nach all dem, was du die letzten Tage durchgemacht hast, könnte es nichts schaden, wenn du hier etwas länger drin liegst.“

„Danke, das ist cool. Und glaub mir, es tut verdammt gut.“

„Meist bade ich hier ältere Männer oder Frauen. Und die können ganz schön zickig und undankbar sein. Vor allem, wenn du sie waschen musst. Da kommt eben alles dran, und vielleicht bin ich da auch etwas ruppig, aber es ist für mich auch kein Spaß, das zu tun. Ja, und da fallen dann schon mal böse Worte. Aber es passiert auch, dass die Männersich erregen, ich denke, das ist auch normal, aber die fühlen sich dann so beschämt und wollen, dass ich gehe, aber das darf ich eben nicht!“

Marlon konnte sich ein leichtes Lachen nicht verkneifen. „Da bin ich aber froh, dass du mich nicht waschen musst ... Aber macht dir das überhaupt nichts aus?“

„Also es ist mein Beruf, verstehst du. Außerdem stehe ich nicht auf ältere Männer!“

Jetzt stockte Marlon der Atem, was wollte Lukas damit sagen? Dass er schwul war? Nein – das konnte er nicht glauben, ein Kerl wie Lukas konnte doch nicht schwul sein, der würde überhaupt nicht in dieses Klischee reinpassen, aber sollte er ihn jetzt direkt drauf ansprechen?

Ein ungutes Gefühl überkam ihn, wenn Lukas wirklich schwul war, und er hier nackt in der Wanne liegt ... Sagte Lukas nicht gerade, er würde nicht auf ältere Männer stehen? Dann vielleicht auf jüngere, vielleicht auf ihn? Ach was, dachte er sich, der hat bestimmt einen Witz gemacht, nachdem wie er sich angestellt hatte, als er in die Badewanne musste, hatte er ihn bestimmt aufziehen wollen.

„Was ist“, wurde er plötzlich von Lukas aus seinen Gedanken gerissen, „du bist auf einmal so still!“

Marlon schaute ihn an, sah wie Lukas ein leichtes, freches Grinsen auf dem Gesicht hatte. Er konnte diesem Lächeln einfach nicht widerstehen und musste urplötzlich auch anfangen zu grinsen. „Komisch, ich dachte echt gerade, du willst mich verunsichern, in dem du mir durch die Blume sagen willst, dass du schwul bist. Aber ich hab dich durchschaut, so schnell lass ich mich nicht hinters Licht führen!“

Die Untersuchungsergebnisse waren so, wie Frau Dr. Finkbeiner es sich gedacht und Marlon es sich gewünscht hatte. Lediglich unter einer Gehirnerschütterung hatte er zu leiden. Gleich nach dem Wochenende wurde er endlich aus dem Krankenhaus entlassen.

Immerhin konnte er wieder allein aufstehen, auf die Toilette gehen oder duschen.

Er war es leid, in die Flasche pinkeln zu müssen, oder gar auf diesem Stuhl zu sitzen, wenn er ein größeres Geschäft zu verrichten hatte.

Seine Mutter durfte ihn mitnehmen, nachdem Frau Dr. Finkbeiner ihr okay gegeben hatte, nicht ohne die Warnung, dass Marlon sich noch eine Weile schonen sollte.

Trainingsverbot bekam er für einen Monat, lediglich etwas Aufbautraining sollte schon nach zwei Wochen möglich sein.

Sie riet ihm, wenigstens einmal alle paar Tage noch zu seinem Hausarzt zu gehen, damit er ihn etwas unter Beobachtung hatte und gab ihm für den Mannschaftsarzt der Hertha einen Bericht mit.

Marlon hatte sich von Lukas verabschiedet und bat ihn, doch einmal bei einem seiner Spiele in der Rückrunde vorbei zu schauen.

Lukas freute sich darüber, wenn er auch nicht wirklich ein Fußballfan war, aber das würde er doch sicher einmal machen.

Allerdings war sich Lukas sicher, dass sie sich schon früher wieder begegnen würden. Er tat beim Abschied doch etwas geheimnisvoll, was Marlon aber nicht weiter beschäftigte.

Seine Halluzinationen waren verschwunden und hatten sicher mit seiner Gehirnerschütterung zu tun.

Er war froh, wieder zu Hause zu sein.

Zwar lag er weiterhin im Bett, aber es war sein Bett und es war sein Zimmer. Wenn ihm langweilig war, konnte er auch mal aufstehen und ein wenig mit seiner Playstation spielen, oder sich an den PC setzen.

Meist bekam er aber nach einer Stunde Kopfschmerzen und legte sich wieder hin.

Auch das Essen schmeckte ihm wesentlich besser als im Krankenhaus. Okay, das war zwar nicht schlecht, aber zu Hause, bei Muttern, war es einfach das Beste.

Das Einzige, was er vermisste, war Lukas. Dieser Typ hatte etwas in ihm bewegt.

Seine Art, seine Fürsorge, seine Sprüche oder auch die einfachen Gespräche, die sie in dieser Woche führten, hatten ihm gefallen.

Aber dass er ihm jetzt so fehlen würde, schien ihm nicht normal zu sein. Er musste irgendwie ständig an ihn denken. Wenn er schlief, passierte es schon mal, dass er von ihm träumte, und wenn er nur so vor sich hin döste, fiel ihm auf, dass er immer wieder an Lukas denken musste.

Das war doch irgendwie nicht normal, aber vielleicht hatte er eine so tiefe Bindung zu ihm aufgebaut, weil er doch der Einzige war, mit dem er sich im Krankenhaus unterhalten konnte, und sicher würde er ihn irgendwann auch vergessen. Wie es bei flüchtigen Bekanntschaften immer so ist.

Der erste Angriff

Die Zeit verging und Marlon fühlte sich von Tag zu Tag besser. Noch eine Woche, dann konnte er wieder mit dem Training beginnen.

Der Tag war herrlich. Schönstes Frühlingswetter und Marlon beschloss, draußen etwas spazieren zu gehen. Er hatte es satt, in seinem Zimmer zu hocken, und etwas frische Luft schadete auf keinen Fall.

Er genoss die ersten warmen Sonnenstrahlen, während er die lange Straße, in der er mit seinen Eltern wohnte, entlang spazierte.

Die Straße führte in einen kleinen Park, aus dem er auch ein leichtes Vogelgezwitscher vernehmen konnte.

Das gefiel ihm so an Berlin.

Es fiel ihm auf, dass, seit er das Haus verlassen hatte, ein Auto hinter ihm herfuhr. Mal blieb es stehen, mal fuhr es wieder langsam weiter. Zuerst hatte er sich nichts dabei gedacht, aber es wurde ihm irgendwann mulmig zu Mute.

Das Auto fuhr immer hinter ihm, er konnte den Mercedes erst erkennen, als er sich einmal danach umgedreht hatte.

Es war eine schwarze Limousine, S-Klasse oder so. Bei Autos kannte er sich nicht sonderlich aus, aber er wusste, dass dieses Auto sehr viel Geld kostete. Allerdings fragte er sich, was die von ihm wollten?

Oder wollten die überhaupt etwas von ihm?

Vielleicht suchten sie auch nur ein Gebäude, eine Anschrift.

Marlon erhöhte seine Laufgeschwindigkeit, um dem Park schneller näher zu kommen. Dort konnte ihm das Auto nicht folgen. Angst hatte er keine, aber eben ein mulmiges Gefühl. Er fühlte sich beobachtet und verfolgt.

Der Park schien in greifbarer Nähe zu sein, als er hörte, wie der Mercedes beschleunigte. Er sah sich um, und sah, wie das Auto an ihm vorbeifuhr. Kurzzeitig atmete er tief durch, doch kaum war das Auto an ihm vorbei, riss der Fahrer das Lenkrad nach rechts und drückte voll auf die Bremse.

Plötzlich ging alles sehr schnell.

Der Mercedes hatte ihm den Weg abgeschnitten und ehe Marlon reagieren konnte, sprangen zwei in schwarz gekleidete Männer aus dem Auto und packten ihn!

Marlon begann sich zu wehren, fing an zu schreien, was das Ganze soll und sie sollen ihn in Ruhe lassen, aber die beiden Männer hörten nicht auf ihn, und zerrten ihn Richtung Auto.

Er wurde sich langsam bewusst, dass die Kerle ihn entführen wollten. Umso heftiger wurde sein Widerstand.

Einer der Kerle packte ihn plötzlich im Genick und drückte seine Hand fest in sich zusammen. Marlon spürte einen höllischen Schmerz und ging automatisch mit dem Oberkörper nach unten, um sich so diesem Griff zu lösen, oder vielleicht drückte der Kerl nicht mehr so fest, wenn er sich etwas wehrloser gab.

Sein Blick fiel auf die Straße, mehr konnte er nicht mehr tun, es war ausweglos.

Gleich würden sie mit ihm am Auto sein, und was kommen wird, musste er abwarten. Er resignierte.

Auf einmal, eigentlich aus dem Nichts, hörte er eine Stimme: „Lasst ihn los!“

Die beiden Kerle hielten inne. Der Eine drückte ihn aber immer noch so zu Boden, dass er nichts erkennen konnte, außer dem grauen Asphalt, auf dem er stand.

„Wer sagt das?“, wollte einer der Kerle wissen. Marlon vernahm, wie der Fahrer des Wagens ausstieg.

„Ich sage das, lasst ihn los!“

Sein Retter war die Ruhe selbst, machte einen bestimmenden, aber ruhigen Eindruck. Der andere Kerl, der Redner der drei, stellte sich etwas vor Marlon. Mit tiefer fast unnatürlicher Stimme widersprach er: „Du störst uns, und wenn dir dein Leben etwas wert ist, dann verschwinde!“

„Der Junge hat nichts, was für euch interessant ist. Also, wie wäre es, wenn ihr ihn los lasst und verschwindet?“

Marlon hatte etwas Kraft gesammelt und leistete erneut Widerstand. Er kam nur kurz ein Stück mit dem Oberkörper nach oben und konnte endlich sehen, wer gerade versuchte, seinen Retter zu spielen. „Lukas?“

„Hallo, Marlon!“, erwiderte er kurz und locker, wie er es nicht anders von ihm gewöhnt war.

„Also, was ist?“, fragte er in einem frechen Ton die drei Männer, die immer noch beim Versuch waren, Marlon zu entführen.

Der Typ mit der unnatürlichen Stimme meldete sich wieder zu Wort, dieses Mal etwas ungeduldiger. „Deine letzte Chance, verschwinde!“

Marlon wurde wieder stärker nach unten gedrückt, aber er sah, wie Lukas seinen Mantel öffnete, und sich fast wie ein Exhibitionist vor die Männer stellte. „Er gehört in meine Obhut, und ihr wisst spätestens jetzt, dass ihr ihm nichts tun dürft! Also lasst ihn los und verschwindet!“

Der Mann hinter Marlon drückte noch einmal fester zu, verpasste ihm dabei einen Schwung in Richtung Boden, und ließ ihn plötzlich los!

Marlon konnte sich gerade noch mit den Händen abstützen und knallte auf den harten Asphalt!

Die Männer ließen von ihm ab, und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stiegen sie ins Auto. Der Fahrer legte den Rückwärtsgang ein, fuhr den Wagen auf die Straße und dann mit quietschenden Reifen davon.

Marlon lag immer noch auf dem Boden, wusste nicht, was gerade geschehen war. Er blickte etwas hilflos zu Lukas rüber und konnte gerade noch erkennen, wie in seinem Mantel auf der einen Seite ein Kreuz, auf der anderen Seite das griechische Zeichen für Omega eingebracht war.

„Alles klar bei dir?“, wollte Lukas wissen und eilte ihm zur Hilfe. Er bot ihm seine Hand an, damit er aufstehen konnte.

Aber Marlons Gemütszustand änderte sich schlagartig. Aus der Angst, die er ursprünglich hatte, wurde Wut.

Er lehnte Lukas‘ Hand ab, und stützte sich selber vom Boden hoch.

„Ob alles klar ist?“, schrie er ihn an, „ich sollte gerade entführt werden, und du willst wissen, ob alles klar ist?“

Lukas versuchte, ihn zu beruhigen und redete weiter ruhig auf ihn ein. „Ja, aber geht es dir gut?“

„Was machst du überhaupt hier, und wer waren die Männer, die kennst du ja anscheinend, und warum haben sie mich plötzlich losgelassen, als du hier aufgetaucht bist?“

„Das ist eine etwas komplizierte Geschichte, Marlon. Aber jetzt ist erst einmal wichtig, dass dir nichts passiert ist.“

Marlon konnte und wollte sich nicht beruhigen. „Was wollten die von mir, und was zum Teufel sind das für Zeichen in deinem Mantel?“