Marte Meo im Überblick - Christian Hawellek - E-Book

Marte Meo im Überblick E-Book

Christian Hawellek

4,8

Beschreibung

Das Buch gibt einen kompakten und leicht verständlichen Überblick über die Grundlagen und das Vorgehen der beobachtungsgeleiteten Marte Meo Beratungsmethode. In einem zweiten Teil finden sich zahlreiche Arbeitsmaterialien, die sich in der praktischen Anwendung von Marte Meo bewährt haben. Theoretisch interessierte LeserInnen finden eine Fülle von Verweisen auf ergänzende und weiterführende Literatur.

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In Erinnerung an Hans Honders.

Inhalt

Zum Gebrauch des Buches

Marte Meo

Videobilder: Brücken zwischen Ideen und Wirklichkeit

Entwicklung unterstützen: Das Marte Meo Modell

Unterstützung entwickeln: Die Marte Meo Methode

Arbeitsmaterialien

Beobachtungsfenster zur Einschätzung und Unterstützung von Entwicklungsschritten (Checklisten).

Vorschläge für Mustervereinbarungen zur Erstellung und Nutzung der Videoaufnahmen

Marte Meo Weiterbildungen

Anmerkungen

Literatur

Zum Autor

Zum Gebrauch des Buches

Marte Meo ist eine mittlerweile bekannte und verbreitete1 beobachtungsgeleitete Methode, Menschen in ihren Entwicklungs- und Lernprozessen und bei der Bewältigung von Problemen zu unterstützen.

Die Fachliteratur zu Marte Meo ist in den letzten Jahren deutlich angewachsen.2 Die Begründerin von Marte Meo, Maria Aarts, hat immer Wert darauf gelegt, dass ihre Bücher für die Leser verständlich geschrieben sind. Aus diesem Grunde sind dort Fachbegriffe und Fremdworte kaum zu finden. In dieser Tradition steht ebenfalls das Einführungsbuch von Mette Isager.3 Dem gegenüber stehen die Bücher anderer Autoren4, die eher einen Anschluss an die bestehende theoretische und wissenschaftliche Literatur gesucht haben.5

Der vorliegende Text versteht sich als ein „Kennenlernbuch“ für alle Leserinteressen.

Es versucht daher, beides miteinander zu verbinden:

Der erste Teil beschreibt das Modell und die Methode von Marte Meo. Der Text bemüht sich um Verständlichkeit und Einfachheit in den Formulierungen. Damit entspricht er der Forderung von Maria Aarts, dass die Informationen über Marte Meo möglichst allgemeinverständlich sein sollten.

Er knüpft ebenfalls an die Bemerkung eines meiner geschätzten Lehrer an:

„Viele Sätze, unter der Markenartikelbezeichnung ‚Wissenschaft’ gedruckt und verkauft, haben Ähnlichkeit mit Särgen. Was drin liegt stimmt und – fast hätte ich, vom Stabreim verführt ‚stinkt’ geschrieben, aber selbst das wäre zu viel. Es hat überhaupt keine Funktion, außer der richtig zu sein und steril dazuliegen. (...)

Dass Wissenschaft Auseinandersetzung mit Sachverhalten ist, haben wir gelernt. Dass sie Auseinandersetzung mit Lesern ist, (noch) nicht“ (Jürgen Henningsen).6

Die Fußnoten sind für diejenigen von den Lesern und Leserinnen gedacht, die dennoch an weiterführenden theoretischen Ausführungen und Hinweisen interessiert sind und Anregungen von wissenschaftlichen und theoretischen Texten erwarten.

Im zweiten Teil des Buches befinden sich verschiedene Arbeitsmaterialien. Dazu gehören sog. Checklisten, die helfen geeignete Momente in Videoclips für die Präsentationen in den Marte Meo Beratungen aufzuspüren. Die Checklisten orientieren sich an typischen Problemen in alltäglichen sozialen Beziehungen, speziell in den Eltern – Kind –Beziehungen, die häufig Anlass für das Aufsuchen professioneller Hilfen sind.

Weitere Arbeitsmaterialien sind Beispiele für Vereinbarungen über die Durchführung von Marte Meo Beratungen und den Umgang mit dem Videomaterial. Ferner gibt es einen Überblick über den Aufbau von Marte Meo Weiterbildungen so wie Anmerkungen und Literaturhinweise.

Marte Meo

Der Begriff Marte Meo bezeichnet eine Erfahrung, die Menschen machen, wenn sie etwas aus eigener Kraft erreicht haben. Bei kleinen Kindern kann man gut beobachten, wie stolz sie sind, wenn sie etwas ohne Hilfe geschafft haben, etwa wenn sie zum ersten Mal einige Meter alleine mit dem Fahrrad gefahren sind. Sie können es dann kaum abwarten, es ein zweites und drittes Mal zu tun. Ihre Energie ist nun darauf gerichtet, diese gute neue Erfahrung zu wiederholen und damit zu festigen. Daran wird deutlich, dass die Bezeichnung „Marte Meo“ das Kernelement positiver und aktivierender Entwicklungen bezeichnet7, die Erfahrung nämlich, aus eigener Kraft etwas zu erreichen und zu bewirken.

Die Wiederholungen von denen in unserem Beispiel die Rede ist, werden von Erfolgen, aber auch von Unsicherheiten und Rückschlägen etwa bei neuen Herausforderungen begleitet. Eine solche Herausforderung kann z.B. eine andere Wegstrecke auf unvertrautem Untergrund sein. Wenn Kinder lernen, etwas Neues aus eigener Kraft zu tun, werden sie meistens von vertrauten älteren Personen, häufig von ihren Eltern, begleitet und unterstützt. Sobald ein Kind eine neue Herausforderung meistert, sucht es den Blickkontakt mit den Eltern und möchte die Erfahrung, es alleine geschafft zu haben, mit ihnen teilen. Auch die Eltern genießen die neuen Schritte, die ihr Kind macht und sagen und zeigen dem Kind, dass sie stolz sind und sich mit ihm freuen. Bei den unvermeidlichen kleineren Rückschlägen spenden sie Trost und sagen, was das Kind beim nächsten Mal anders machen kann, um erfolgreich zu sein. Die Unterstützung der Eltern ist abhängig von der Situation „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“. Eine solche Dosierung von Hilfe macht es dem Kind möglich, seinen eigenen Entwicklungsschritt auszukosten.

Die Idee der Entwicklung von Kindern sowie generell die von Menschen, verbunden mit der Frage danach, wie Entwicklungsprozesse gezielt unterstützt und gefördert werden, zieht sich wie ein roter Faden durch Praxis und Theorie der Marte Meo Arbeit.8

Die besondere Beachtung von Entwicklungsprozessen taucht unter anderen Bezeichnungen ebenfalls in vielen anderen pädagogischen und therapeutischen Richtungen auf, z.B. wenn dort von Wachstum,9 Lernen10 oder auch von Reifung11 gesprochen wird. Hand in Hand mit der Frage, wie genau Entwicklungsprozesse unterstützt und gefördert werden können, geht die Frage, wie die dazu nötigen Unterstützungsformen entwickelt werden können. Um Antworten auf beide Fragen geht es in dem vorliegenden Text. Das Wissen darüber, wie Entwicklung im Alltag unterstützt wird bildet die Grundlage sozusagen das „Denkmodell“ von Marte Meo. Das Wissen darüber wie Unterstützungsformen in konkreten Situationen und Momenten entwickelt werden, ist das methodische Knowhow von Marte Meo12.

Im Überblick:

Marte Meo beschreibt die Erfahrung, die Menschen machen, wenn sie etwas aus eigener Kraft erreichen. Diese Erfahrung führt zu einer Erhöhung von:

• Motivation

• Eigeninitiative und –aktivität

• Selbstvertrauen.

Videobilder: Brücken zwischen Ideen und Wirklichkeit

Unser kleines Beispiel vom Erlernen des Fahrradfahrens zeigt auch, dass die Unterstützung der kindlichen Entwicklungsschritte immer davon abhängt, ob und wie die Eltern ihr Verhalten mit dem der Kinder abstimmen, um sie beim nächsten Entwicklungsschritt zu begleiten. Mit jedem neuen Schritt passt sich das unterstützende Verhalten der veränderten Situation an. Es wird an jede Situation neu angepasst, sozusagen aktualisiert. Die Informationen, die jedem „Upgrade“ des unterstützenden Verhaltens zugrunde liegen, stammen jeweils aus den Erfahrungen in der aktuellen gemeinsamen Situation.

Damit die Upgrades gelingen können, muss also die jeweils aktuelle Situation in den Blick genommen werden.

Dies erfordert eine wache Aufmerksamkeit insbesondere für die aktuellen Veränderungen und kleinen Fortschritte.

Eine große Hilfe bei der Wahrnehmung solcher Veränderungen sind Videobilder von Alltagssituationen, mit deren Hilfe sichtbar und nachvollziehbar wird, was sich ereignet und nachfühlbar, welche Erfahrungen die Beteiligten, die per Video aufgenommen wurden, in der aufgezeichneten Situation machen13.

Im Überblick:

Eine zentrale Frage des entwicklungsorientierten Denkens bei Marte Meo ist die Frage, wie die kindlichen Initiativen bzw. (Re-) Aktionen und die elterlichen Initiativen bzw. (Re-) Aktionen in einer gemeinsamen Situation aufeinander abgestimmt sind, d.h. wie sie in gemeinsamen Momenten zueinander passen.

Etwas allgemeiner formuliert lässt sich sagen, dass Marte Meo dazu beiträgt, persönliche, soziale und Handlungskompetenzen gezielt zu erkennen, zu entwickeln und zu erweitern. Kompetenz ist eine abstrakte Beschreibung, der im Deutschen der Begriff der Fähigkeit entspricht. Eine Fähigkeit als solche kann man nicht sehen, man kann nur darauf schließen, wenn man eine Aktion oder das Ergebnis einer Aktion sieht, die auf diese Fähigkeit schließen lässt. Wenn soziale oder andere Vorgänge beobachtet werden, sieht man nur diejenigen Fähigkeiten oder Kompetenzen, die „in Aktion“ sind. In der deutschen Sprache gibt es dafür die Bezeichnung der „Fertigkeit.“14 Fertigkeiten können beobachtet werden. Aus einer Reihe ähnlicher Beobachtungen wird dann auf eine „Fähigkeit“ oder „Kompetenz“ geschlossen. Diese ist genau genommen eine Erwartung an einen Menschen, in einer bestimmten Situation eine Leistung zu erbringen, die eben dieser „Fähigkeit“ entspricht.

So wird beispielsweise von einem Fußballer eine Leistung erwartet, die den Vorerfahrungen mit ihm entspricht. Seine bisher gezeigten Leistungen tragen zu dem Erwartungsbild seiner Fähigkeit oder fußballerischen Kompetenz bei. Derartige Erwartungsbilder können recht stabil sein, wenn etwa davon die Rede ist, dass er „einen schlechten Tag erwischt hat“, „weit unter seinen Möglichkeiten“ spielt oder auch „weit über sich hinausgewachsen“ ist.

Erwartungsbilder von Menschen kommen dem menschlichen Bedürfnis entgegen, sich in sozialen Situationen schnell zu orientieren. In sozialen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen oder auch Pflegeeinrichtungen entwickeln sich derartige Erwartungen in recht kurzer Zeit, besonders dann, wenn es um „Problemfälle“ geht.

Die Verantwortlichen einigen sich dann schnell darauf, dass hier eine besondere Hilfe, z.B. eine „Therapie“ vonnöten ist. Diejenigen, die ein Problem haben bzw. bereiten, werden in der Folge häufig einer professionellen Einschätzung unterzogen und bekommen eine „Diagnose“, die ein Erwartungsbild mit einem Fachterminus belegt und u.U. dauerhaft festschreibt. „Er ist hochbegabter Autist“ könnte eine solche Festschreibung sein.15

Bei der Marte Meo Arbeit wird das Verhalten und Handeln von Personen in Alltagssituationen beobachtet. Was man in den Videobildern sehen kann, sind die (Re-) Aktionen bzw. Fertigkeiten dieser Personen in konkreten Situationen und Momenten. Anstelle von „Kompetenzen“ sind Wiederholungen ähnlicher Beziehungs- und Gesprächsmuster oder auch das Ausbleiben förderlicher Kommunikation16 zu sehen. Fertigkeiten, die genügend oft und zuverlässig gezeigt werden, können dann als „Kompetenzen“ beschrieben und bewertet werden.17 Die wesentliche Voraussetzung für die genaue Beobachtung einzelner Momente der Kommunikation ist die Entwicklung der Videotechnik in den letzten Jahrzehnten.

Die traditionellen bekannten beraterischen und therapeutischen Methoden beruhen weitgehend auf unterschiedlichen Formen der Gesprächsführung18. Sie sind von Persönlichkeiten entwickelt worden, denen die Möglichkeiten der modernen Videotechnik noch nicht in vollem Umfang zur Verfügung standen.

Vor diesem Hintergrund entstanden auch verschiedene supervisorische Verfahren, um ein Feedback über die Qualität der Betreuungs- oder Beratungsarbeit zu geben und Anregungen für die Gestaltung des Weiteren professionellen Vorgehens zu bekommen.19 Dabei wurde zumeist aus der Erinnerung über die Beobachtungen gesprochen, ohne sie vor Augen zu führen. Die erinnerten Beobachtungen wurden dann professionell eingeordnet, bewertet und mit einem Fachbegriff bezeichnet. Die Fachbegriffe bestimmten die Gespräche der Fachleute und die Empfehlungen für Maßnahmen, die dann folgten. Ab den sechziger Jahren wurde damit begonnen, zuerst Tonbandaufnahmen und später Videoaufnahmen für die Weiterbildung und Supervision von Therapeuten zu benutzen. Die Klienten wurden in die Arbeit mit den Videoclips nicht einbezogen.