Mass Effect Andromeda, Band 1 - Jason Hough - E-Book

Mass Effect Andromeda, Band 1 E-Book

Jason Hough

0,0

Beschreibung

Fans der Science-Fiction- Game-Serie MASS EFFECT können endlich aufatmen. Mit Andromeda steht nun der nächste Teil der überaus erfolgreichen Space-Saga in den Regalen. Der offizielle Roman zum Game wurde in enger Zusammenarbeit mit den Spieleentwicklern verfasst und stellt das Prequel zum heißersehnten vierten Teil MASS EFFECT Andromeda dar.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 625

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



MASS EFFECT – DIE ROMANREIHE

MASS EFFECT Band 1: Die Offenbarung

Die offizielle Vorgeschichte zum Videogame

Drew Karpyshyn, ISBN 978-3-8332-1648-0

MASS EFFECT Band 2: Der Aufstieg

Die Fortsetzung der Ereignisse in Mass Effect

Drew Karpyshyn, ISBN 978-3-8332-1745-6

MASSEFFECT Band 3: Vergeltung

Der Roman zu Mass Effect 2

Drew Karpyshyn, ISBN 978-3-8332-2128-6

MASSEFFECT Band 4: Blendwerk

Die Fortsetzung der Ereignisse in Mass Effect 2

William C. Dietz, ISBN 978-3-8332-2443-0

MASSEFFECT – DIEGRAPHICNOVELS

MASSEFFECT Comicband 1: Erlösung

ISBN 978-3-86201-011-0

MASSEFFECT Comicband 2: Evolution

ISBN 978-3-86201-076-9

MASSEFFECT Comicband 3: Invasion

ISBN 978-3-86201-314-2

MASSEFFECT Comicband 4: Heimatwelt

ISBN 978-3-86201-557-3

MASSEFFECT Comicband 5: Foundation I – Im Auftrag von Cerberus

ISBN 978-3-86201-814-7

MASSEFFECT Comicband 6: Foundation II – Projekt Lazarus

ISBN 978-3-86201-815-4

MASSEFFECT Comicband 7: Foundation III – Shepards Klon

ISBN 978-3-95798-187-5

Weitere Info und Titel unter:

www.paninicomics.de

Roman

Von Jason M. Hough und K. C. Alexander

Ins Deutsche übertragen vonAndreas Kasprzak & Tobias Toneguzzo

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Titel der Amerikanischen Originalausgabe: „Mass Effect Andromeda: Nexus Rising“ by Jason M. Hough and K. C. Alexander, published by Titan Books, UK, March 2017

© 2017 Electronic Arts Inc. Mass Effect, Mass Effect: Andromeda, BioWare, the BioWare logo, EA and the EA logo are trademarks of Electronic Arts Inc. All Rights Reserved.

Deutsche Ausgabe 2017 by Panini Verlags GmbH, Rotebühlstraße 87,

70178 Stuttgart. Alle Rechte vorbehalten.

Geschäftsführer: Hermann Paul

Head of Editorial: Jo Löffler

Head of Marketing: Holger Wiest (E-Mail: [email protected])

Presse & PR: Steffen Volkmer

Übersetzung: Andreas Kasprzak

Lektorat: Grinning Cat Productions

Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln

YDMEAN001E

ISBN 978-3-8332-3560-3

Gedruckte Ausgabe:

1. Auflage, April 2017, ISBN 978-3-8332-3358-6

Findet uns im Netz:

www.paninicomics.de

PaniniComicsDE

PROLOG

Nicht einmal der schlimmste Kater ihres Lebens konnte das Grinsen von Sloane Kellys Gesicht vertreiben.

Sie hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt – eine Haltung, wie man sie von einer Sicherheitschefin erwartete – und stand auf der zeremoniellen Plattform, die man in einer der vielen Andockbuchten des Nexus errichtet hatte.

Bis gestern war dieser Hangar voller Schiffe gewesen, jedes umringt von Personen und Gerätschaften, Technikern und Besatzung. Während die letzten Vorbereitungen getroffen worden waren, hatte Sloane mit ihren Sicherheitsoffizieren noch einmal ihre Aufgaben abgeklärt. Sie hatten sämtliche Abläufe durchgesprochen, auf die man sie vorbereitet hatte, bis sie sicher war, dass ihre Teams sie im Schlaf durchexerzieren konnten.

Sloane wusste, dass es ein unnötiger Test war. Sie hatte unermüdlich gearbeitet, um dafür zu sorgen, dass ihre Leute die eisernen Standards der Initiative erfüllten, und sie hatten sie nicht enttäuscht. Als auch das letzte Kästchen auf der Checkliste abgehakt war und die gewaltige Raumstation für startklar erklärt wurde, war der Sicherheitsdienst so bereit, wie man es sich nur wünschen konnte.

Jahre der Planung. Stunden und Monate und Jahre der Arbeit. Hunderttausende von Maschinen mitsamt den Technikern, die nötig waren, um sie zu bedienen. Sloane hatte noch nie etwas Derartiges gesehen, und all die Mühen und Energien waren auf ein gemeinsames Ziel gerichtet – die Nexus. Sie war kleiner als die Citadel, aber moderner und schnittiger, als irgendjemand für möglich gehalten hätte. Selbst im halbfertigen Zustand – ihre Korridore und Stationen waren für den bevorstehenden Start zusammengeklappt und versiegelt – zog die glänzende Station alle Blicke auf sich. Sobald sie Andromeda erreicht hätte, würden die Konstruktionsarbeiten von Neuem beginnen; dann würden all die Teile der Nexus wieder zu lebhaften Wohnbereichen und funktionsfähigen Docks zusammenwachsen.

Doch zuvor war erst einmal die Andromeda-Initiative am Zug. Darum war Sloane hier, auf dieser Plattform, mit dem Grinsen, das sie nicht abschütteln konnte. Und mit einem Kater, der zwischen ihren Schläfen pochte. Der Schmerz – die Rache für ihren Moment der Schwäche – war nur allzu real. Das hier war kein Traum.

Es war ein verfluchtes Wunder.

Und sie war die Sicherheitschefin dieses Wunders, die hier vor dem einzigen Schiff im Hangar stand. Das höhlenartige Innere erzeugte ein ungewohnt deutliches Echo, verwandelte Gewisper in laute Rufe und Worte in ein verzerrtes Rauschen. Sobald sich alle von ihren Lieben verabschiedet hatten, würde die Hyperion aufbrechen, einschließlich ihres menschlichen Pathfinders und seiner Mannschaft.

Jien Garson, Gründerin der Andromeda-Initiative und auf ihre ganze eigene Weise eine ehrfurchtgebietende Präsenz, stand einen Schritt vor Sloane. Sie umarmte Alex Ryder, als wären sie alte Freunde; genauso, wie sie auch die anderen Pathfinder umarmt hatte, bevor ihre Schiffe losgeflogen waren. Neben Ryder wirkte Garson gerade lächerlich klein – ihr Kopf reichte ihm gerade mal bis zur Schulter. Selbst Sloane war größer. Doch das änderte nichts an ihrer überlebensgroßen Ausstrahlung.

Die beiden lösten sich voneinander, Garsons Hände noch immer auf seinen Armen, und sie wechselten ein paar letzte Glückwünsche.

Sloane konnte sie wegen der Echos nicht klar verstehen, aber die Gesichter der beiden verrieten ihr alles, was sie wissen musste. Garson war voller Hoffnung und Aufregung, Ryder eher weniger, aber das war nun mal seine Art. Sie hatte sich nie an seiner Unnahbarkeit gestört.

Komisch, die beiden so zu sehen. So professionell und diplomatisch. Ganz geschäftsmäßig, nicht so wie gestern Abend bei der Abschiedsfeier, als Tausende Pioniere und dazu doppelt so viele ihrer Freunde und Familienmitglieder ein letztes Mal zusammengekommen waren, bevor die Mission begann. Es war die letzte Nacht des Jahres 2158 gewesen. Und für die Mitglieder der Andromeda-Initiative auch die letzte Nacht, die sie in der Milchstraße verbringen würden.

Wenn die Nexus ihr Ziel erreichte, wäre all das hier – diese Leute, ihre Familien, alle Probleme in dieser Galaxie – sechshundert Jahre in der Vergangenheit und Millionen Lichtjahre entfernt.

Es war verrückt, wenn sie genauer darüber nachdachte. Und unwirklich. Und ein wenig erschreckend. Nicht, dass Sloane Angst hätte. Sie verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen, rief sich zur Ordnung und nahm wieder Haltung an. Nein, sie hatte keine Angst. Was sie empfand, war eher …

Aufregung.

Eine neue Galaxie. Ein Neubeginn, für sie alle, für Sloane. Und als Sicherheitschefin hätte sie deutlich mehr Einfluss als die einfache Soldatin, die sie früher gewesen war. Die Zeit, als Soldaten das Schicksal der Galaxis bestimmt hatten, war vorbei; dafür war Kelly zu spät auf die Welt gekommen. Ihr war nur geblieben, sich von alten Männern mit alten Ressentiments herumkommandieren zu lassen. Und die gab es nicht nur aufseiten der Menschen.

Diesmal, dachte sie, wird alles anders. Diesmal würden sie bessere Entscheidungen treffen.

Es würde keine Klüfte zwischen den Spezies geben. Keine alten Vendetten, keine gierige Piraterie, keine skyllianischen Angriffe. Sie hatten die Chance, alles richtig zu machen, ausgehend von einer Station voller handverlesener Pioniere, die denselben Traum teilten.

Sloane war nicht allein. All die Pioniere hatten sich gemeldet, weil sie auf etwas Neues, etwas anderes hofften. Etwas Besseres. Sie versuchten vielleicht, es hinter einer Fassade aus Stolz, Pflichtbewusstsein oder einfach nur purem Enthusiasmus zu verbergen, aber Kelly wusste es besser.

Und spätestens bei der Abschiedsfeier waren diese wahren Beweggründe durchgebrochen.

Sie hatten eine Feier gewollt, die niemand je vergessen würde. Und niemand würde sie je vergessen. Na gut, abgesehen von den kleinen Gedächtnislücken, die alle guten Feiern als Tribut forderten. Sloane widerstand dem Drang, sich die pochenden Schläfen zu reiben. Es war nicht gerade professionell, am Tag des Missionsstarts einen Kater zu haben.

Nicht, dass ich die Einzige wäre.

Jien Garson ließ sich vielleicht nichts anmerken, aber Sloane war sicher, dass auch sie von hämmernden Kopfschmerzen und beißendem Sodbrennen geplagt wurde. Nun, ziemlich sicher – es war schwer, ihre Körpersprache zu deuten. Als Garson Ryders Arme endlich losließ und sie ihren Platz neben ihm einnahm, wirkte sie kein bisschen grün um die Nase. Sie sah zu den versammelten Führungskräften der Nexus hinüber, die in einer Reihe neben Sloane standen, und die Deckenbeleuchtung zauberte einen goldenen Glanz auf ihre hohen Wangen und ihre gelbbraune Haut. Da waren keinerlei Anzeichen von Kopfschmerzen oder Übelkeit in ihrem Blick, nur das klare Schimmern von Vorfreude und Intelligenz.

Diese Frau war so viel mehr, als man ihr auf den ersten Blick ansah. Selbst Sloane hatte sie anfangs unterschätzt – ein großer Fehler. Was immer der Rat sagte, was immer die privaten Investoren sagten, die Andromeda-Initiative war in erster Linie ihr Projekt. Garson hatte den ersten Vorschlag gemacht, hatte durch schiere Willenskraft endlosen politischen Widerstand und zahllose bürokratische Hindernisse überwunden. Sie hatte es sogar geschafft, Alec Ryder als einen der menschlichen Pathfinder zu gewinnen – es war allgemein bekannt, dass er mit geradezu besessenem Eifer seinen eigenen, mysteriösen Projekten nachging, und dass sie ihn davon losgerissen hatte, war eine beeindruckende Leistung. Vermutlich wäre Ryder ein noch größerer Gewinn für die Mission gewesen, bevor er seine Frau verloren hatte und allein mit seinen beiden Kindern und seinen persönlichen Dämonen zurückgeblieben war.

Sloane wusste, dass Mitglieder des Komitees Wetten darauf abgeschlossen hatten, ob er zusagen würde oder nicht. Sein N7-Status hatte großes Gewicht, aber er war mehr als nur sein Titel. Schon nach wenigen Besprechungen war Sloane klar gewesen, dass man diesen Mann nicht unterschätzen durfte. Und angesichts der Tatsache, dass er neben Garson stand – mit einem Gesichtsausdruck, den man beinahe als feierlich beschreiben konnte –, würden einige Leute diese Reise vermutlich ein wenig ärmer antreten, als sie es zuvor gewesen waren. Andererseits hatte Kelly aber auch gehört, dass sich seine Kinder dem Programm angeschlossen hatten. Wahrscheinlich war das allein schon genug gewesen, um ihn für das Projekt zu gewinnen. Oder seine Kinder hatten ihn überredet.

Doch ganz gleich, was den Ausschlag gegeben hatte, Sloane hatte das sichere Gefühl, dass es nicht leicht werden würde, mit Ryder zusammenzuarbeiten. Jedenfalls nicht so leicht, wie das Komitee es gern hätte. Man musste keine Gedanken lesen können, um zu erkennen, dass er ungeduldig war. Vermutlich fragte er sich, wann die Zeremonie endlich vorbei war. „Bringen wir diese Sache hinter uns“, hatte sie ihn vor dem Hangar sagen gehört, „damit wir endlich mit der echten Arbeit beginnen können.“

Das schien das Einzige, wofür er sich interessierte. Die echte Arbeit.

„Nun“, sagte er und wischte sich die Hände an der Uniform ab. „Zeit, aufzubrechen. Damit die echte Arbeit beginnen kann.“

Als hätte er ihre Gedanken gelesen.

Sloanes Schmunzeln brachte ihr einen fragenden Blick ein – sie war nicht sicher, ob sie für Ryder mehr war als nur eine weitere gesichtslose Person, mit der er dieselbe Luft teilen musste. Sie nickte ihm zu.

So, als wäre er erst durch sie auf den Gedanken gekommen, bedachte er die versammelten Mannschaftsmitglieder ebenfalls mit einem Nicken. „Viel Erfolg uns allen!“

Garson grinste breit und herzlich. „Wir sehen uns auf der anderen Seite.“

Zu Sloanes Überraschung fand Ryder bei all seiner Ungeduld Zeit für ein kurzes Lachen.

Was immer er witzig fand, Garson sprach ihn nicht darauf an. Es folgten ein paar weitere Minuten der Verabschiedungen, dann war es vorbei. Ryder ging an Bord des letzten Shuttles, das rasch und ohne großes Tamtam startete. Er hatte seiner Verpflichtung der Initiative gegenüber Genüge getan, außerdem würde die Hyperion bereits kurz nach der Nexus aufbrechen.

Der Plan war so simpel, wie er unter den Umständen sein konnte: Die Nexus würde Andromeda zuerst erreichen und die letzten Konstruktionsphasen durchlaufen, um sich schließlich wie ein Origami-Kunstwerk aus ihrer kompakten Reiseform auseinanderzufalten. Die Pathfinder würden kurz darauf eintreffen und mit ihren Archen an der Zentralstation andocken. Sobald alles bereit und in Betrieb war, würde die Nexus bei der Kolonisierung der Galaxis als logistischer und administrativer Knotenpunkt dienen – sozusagen die Citadel von Andromeda.

Nur besser.

Garson gefiel es nicht, wenn die Nexus so beschrieben wurde, und Sloane konnte sie verstehen. Die Citadel hatte eine lange Geschichte, und viele Personen – Menschen wie Nichtmenschen – konzentrierten sich gerne auf die weniger positiven Aspekte: die politischen Winkelzüge, die Versuche der Ratsmitglieder, einander zu sabotieren – oder gemeinsam die Kroganer zu sabotieren –, und dazu all der Mist von wegen „die Menschen sind zu jung für diese Verantwortung“ …

Sloane schüttelte den Kopf, als könnte sie so die Wut vertreiben. Die Liste ging weiter und weiter, und die Liste der Opfer, die diese Probleme mit dem Leben bezahlt hatten, war sogar noch länger.

Doch die Nexus würde all das sein, was die Citadel nicht gewesen war.

Sie beobachtete, wie die Hangartore hinter Ryders Shuttle zuzugleiten begannen, und das Prickeln der Aufregung bescherte ihr eine Gänsehaut.

Es war so weit. Der letzte Blick aus der Nexus, zumindest für eine lange, lange Zeit. Sloane wagte nicht, die Augen abzuwenden. Sie alle standen reglos, sahen zu, wie der Lichtstrahl aus den Düsen des Shuttles kleiner und kleiner wurde. Dann schlossen sich die Türen mit einem endgültigen, lauten Knirschen.

Sloane blinzelte und blickte sich zögerlich um. Ein tiefes Schweigen hatte sich über den Hangar gelegt, und sie wollte nicht diejenige sein, die es brach.

Garson hatte keine derartigen Bedenken. „Jetzt ruhen wir uns aus“, erklärte sie, fröhlich und bewusst ungezwungen. Als wüsste sie, was Sloane fühlte. Was sie alle fühlten. „Um ehrlich zu sein, freue ich mich schon darauf.“

„Wirklich?“

„Warum nicht?“ Sie streckte sich. „Ein wenig Schlaf, und dann sind wir da. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht“, fügte sie mit einem Lachen hinzu, „aber ich finde, wir haben uns ein kleines Nickerchen verdient.“

Mehrere Personen lachten höflich, die anderen nickten lächelnd. Sie würden wirklich aufbrechen. Sie würden es tatsächlich tun. „Die Nexus“, verkündete eine Stimme aus der schiffsweiten Sprechanlage, „ist für die letzte Inspektion bereit. Alle Mannschaftsmitglieder zu ihren zugewiesenen Stasiskapseln.“

Garson hob den Finger, während die Echos über ihnen zusammenschlugen. Die meisten davon stammten von plötzlich aufkeimenden Unterhaltungen, von nervösem Gelächter und aufgeregten Atemzügen. „Hören Sie?“ Ihre dunkelbraunen Augen leuchteten. „Wir gehen besser!“

„Ich wiederhole“, meldete sich die Stimme erneut. „Alle Mannschaftsmitglieder zu ihren zugewiesenen Stasiskapseln. Der Start erfolgt in Kürze.“

„Auf in eine neue Welt“, murmelte Sloane. Die Worte waren eigentlich nur für sie selbst gedacht, aber Garson warf ihr einen amüsierten Seitenblick zu.

„Auf in eine bessere Galaxie“, korrigierte sie.

Ja, dachte Sloane. Auch nicht schlecht.

Sloane ging neben dem Rest der Führungsriege dahin, als sie die zeremonielle Inspektion des Schiffes abgeschlossen hatten. Alles war, wie es sein sollte, und sie konnte nicht anders, als Stolz zu empfinden. Dies war der Moment, auf den sie so hart hingearbeitet hatte.

Es war ihr natürlich schon von Anfang an klar gewesen, trotzdem dachte sie es jedes Mal wieder, wenn sie durch das Schiff schritt: Die Nexus war ein verfluchtes Wunder. Halb Archenschiff, halb Raumstation stand sie in Sachen Größe und Ambition allein der Citadel nach. Doch im Gegensatz zu ihrem spirituellen Vorläufer war die Nexus von ihnen und für sie erbaut worden.

Und für eine neue Zukunft.

Menschen, Salarianer, Asari, Turianer. Die Kroganer waren die einzige Spezies an Bord, die nicht im Rat vertreten war, aber laut Vertrag arbeitete auch der Nakmor-Klan für den Rat. Doch ganz gleich, wie oder in welcher Funktion, sie alle waren zusammengekommen, weil sie an Jien Garsons Vision glaubten. Und sie hatten es geschafft – die Nexus war so gut wie startklar.

Sloane hielt sich im Hintergrund, als nun auch die Führungskräfte zu ihren Kryostase-Kapseln aufbrachen. Die meisten von ihnen kannte sie nur oberflächlich, mit zwei Ausnahmen: Garson selbst und Matriarchin Nuara, die dem Team als Beraterin diente. Und was für eine Beraterin! Sloane war in jedem Fall froh, die langlebige Asari an Bord zu haben.

Falls diese Mission ein Erfolg werden sollte, brauchten sie die Weisheit der Matriarchin. Und ihre biotischen Fähigkeiten, wie Sloane mit einem innerlichen Schmunzeln hinzufügte. Unter den Passagieren und dem Personal an Bord der Nexus beherrschte nur ein kleiner Bruchteil diese Gabe, und die meisten von ihnen waren ebenfalls Asari. Nuaras Anwesenheit ließ sie leichter atmen – ein Echo des alten Speziezismus, den die Nexus-Mission auslöschen sollte.

Sie saßen jetzt alle im selben Boot. Nuara und Garson schüttelten einander freundschaftlich die Hand, und nach aufmunternden Abschiedsworten stieg die Matriarchin in ihre Kapsel.

Sloane beobachtete sie unauffällig, während sie gleichzeitig auf die Startprozedur achtete. Alle Kapseln mussten korrekt versiegelt sein, es durfte keine Abweichungen bei den Werten geben. Garson, Nuara und die anderen Mitglieder des Nexus-Rats würden die Ersten sein, die in Andromeda erwachten. Die Hierarchie war klar definiert, angefangen mit der Handvoll Leute an der Spitze – zu denen auch ein erstklassig ausgebildeter und vorbereiteter Arzt gehörte. Anschließend würde der Rest der leitenden Mediziner geweckt, und kurz darauf wäre Sloane an der Reihe. Dann könnte die Kolonisierungsmission richtig losgehen.

Ein kleines Nickerchen, hm? Sie schüttelte den Kopf, noch immer ein wenig überfordert von dem Konzept. Sechshundert Jahre waren mehr als nur ein Nickerchen, aber genau so würde es sich für sie anfühlen.

Die anderen wechselten zum Abschied aufmunternde Worte, während Sloane sie persönlich zu ihren Stasiskapseln eskortierte. Erst nachdem sie die Versiegelung der letzten Kapsel überwacht hatte, kehrte sie zu ihrer eigenen zurück. Links und rechts davon war ein Teil ihres Teams bereits im Schlaf versunken.

Jetzt waren nur noch sie und Jien Garson übrig. Die Frau schien es für ihre Pflicht zu halten, zu warten, bis Sloane überprüft hatte, dass die Lämpchen an den Stasisanzeigen der Kapseln in der richtigen Farbe leuchteten.

Kelly war sich nicht sicher, was sie sagen sollte.

Garson hatte dieses Problem nicht. „Hat Ihnen meine Ansprache gestern Abend gefallen?“, fragte sie fröhlich.

„Äh …“ Sloane grinste verlegen, als das Lächeln der anderen Frau schiefer wurde. „Ich habe sie nicht gehört. Ich war …“ Sie verstummte, versuchte, sich eine Entschuldigung zu überlegen, die nicht gelogen wäre, sie aber auch nicht wie ein komplettes Miststück aussehen ließe. Ich halte nichts von großen Reden fiel also schon mal weg.

„Schon in Ordnung, Sicherheitschefin Kelly.“ Garson tippte sich wissend mit dem Finger gegen die Nase, und ihre dunklen Augen blickten strahlend zu Sloane hoch. „Es war ein sehr hektischer Abend.“

„Hektisch“, wiederholte Kelly. Falls Jien das wirklich glaubte, wollte sie eine nackte Quarianerin sein. „Ja, genau. Es gab noch viel vorzubereiten. Missionsbesprechungen und so weiter.“

„Nun gut.“ Garson klang belustigt, als sie in ihre offen stehende Kapsel stieg. „Falls Sie es sich anhören möchten – wir haben die Aufzeichnung im Kern. Nur für den Fall, dass jemand in letzter Minute noch Inspiration braucht.“

Sloane zuckte mit den Schultern, aber sie wusste, dass sie sich die Rede anhören würde. „Alle meinten, es wäre eine tolle Ansprache gewesen“, räumte sie ein. „Ich schätze, ich sollte herausfinden, was meinen Leuten so imponiert hat.“

„Gut. Tun Sie das!“ Wieder lächelte Garson – diesmal war es das energetische Grinsen, das zu ihrem Markenzeichen geworden war. Strahlend, hell, ohne Zweifel – ohne Schwäche. Sie hatte es nicht so weit geschafft, weil sie sich herumschubsen ließ.

Sloane respektierte das.

Jien sank nach hinten und zupfte an ihrer Uniform. Fand sie die Position etwa ungemütlich? Sloane war sich nicht sicher, wie der Tiefschlaf funktionierte, aber sechshundert Jahre hochgezogener Unterwäsche waren ein Risiko, das man nicht unterschätzen sollte.

Sie hatte die meisten der wissenschaftlichen Besprechungen ausgelassen, aber sie hatte Garsons detaillierte Pläne gesehen, in weiser Voraussicht so formuliert, dass jedes Mitglied der Nexus-Mannschaft sie verstehen konnte. Die Daten waren eindeutig: Es gab bewohnbare Planeten und jede Menge einladenden Raum, der erforscht, besiedelt, kultiviert werden wollte.

Sie waren Pioniere, die Ersten, die in eine andere Galaxie aufbrachen, und ganz gleich, zu welchen Göttern sie beteten oder nicht beteten, sie würden Erfolg haben.

Jeder Einzelne an Bord war davon überzeugt. Und Sloane ebenfalls.

Eine zerknitterte Uniform war im Vergleich dazu eher unbedeutend. Aber falls es Garson so wichtig war, nach dem längsten Nickerchen der Geschichte gut auszusehen, dann bitte.

Jien überkreuzte die Arme vor der Brust, und die Bewegung lenkte Sloanes Aufmerksamkeit wieder auf die Frau in dem gepolsterten Inneren der Kapsel. „Auf der anderen Seite“, murmelte sie leise, als wären die Worte in erster Linie für sie selbst bestimmt. „In Andromeda.“ Jetzt begegnete sie Kellys Blick. „Was hoffen Sie, dort zu finden, Sicherheitschefin?“

Sloane blinzelte. „Hmm … Ich habe nicht wirklich darüber nachgedacht.“ Es war eine glatte Lüge, und als sie den enttäuschten Ausdruck auf Garsons Gesicht sah, fügte sie trocken hinzu. „Wie wäre es mit dem Heilmittel für einen Kater?“

Das entlockte Jien ein klares, aufrichtiges Lachen. „Hoffen wir das Beste.“ Sie gluckste noch immer, als sie Sloane zunickte. Ein definitives Nicken. Ein Schlusspunkt unter ihre Unterhaltung.

Kelly beobachtete, wie der Deckel zuglitt, dann lächelte sie der Leiterin der Initiative durch das kleine Sichtfenster zu und klopfte einer alten Angewohnheit folgend zweimal gegen die Kapsel. Anschließend wartete sie, bis die Anzeigen die erfolgreiche Einleitung des Kryoschlafs verkündeten.

„Wir sehen uns auf der anderen Seite“, sagte sie. Die andere Seite – wo die eigentliche Arbeit auf sie wartete.

Sie rieb sich die Nachwehen des vergangenen Abends aus den Schläfen und machte sich an ihre letzte Inspektion. Sie wusste nicht, nach welchem Kalkül die Prozedur geplant worden war, aber in jedem Fall wurde Sicherheitschefin Sloane die seltsame Ehre zuteil, die letzte wache Person an Bord zu sein.

Somit fiel es ihr zu, die Station für startbereit zu erklären. Eine zeremonielle Geste, sagte sie sich, aber ein kleiner Teil ihres Gehirns war trotzdem aufgeregt. Eine kurze Zeit lang lag die gesamte Mission in ihrer Hand; falls irgendetwas nicht stimmte, hätte sie die Macht, alles abzubrechen.

Das sagte einiges über ihre Position aus, oder?

„Nicht, dass irgendetwas schiefgehen könnte“, erklärte sie laut, während sie durch die langen, widerhallenden Korridore schritt. Die klügsten Köpfe der gesamten Galaxis hatten die Nexus entworfen, und alles, bis hin zur letzten Schraube, war das Produkt zahlloser Stunden Arbeit. Falls irgendetwas schiefging, dann müsste es schon der Akt eines unzufriedenen Gottes sein.

Und Sloane glaubte nicht an Götter. Aber sie glaubte an die Vorschriften, vor allem, wenn es um etwas so Großes, so Wichtiges ging. Ihr letzter Kontrollgang war einer der wenigen Punkte auf der Checkliste gewesen, bei dem sie nicht die Augen verdreht hatte.

Tatsächlich hatte sie auf diesen Moment gewartet, seit der Plan aufgestellt worden war. Ein paar Stunden herrlicher Ruhe und Einsamkeit in den Gängen der Station – ihrer Station, die sie auf ihrer großen Mission zu überwachen und zu beschützen geschworen hatte. Die Station, für die sie ihr Leben in der Milchstraße aufgegeben hatte.

Nicht, dass es da viel aufzugeben gab. Nicht wirklich zumindest. Keine Familie, keine Verpflichtungen außer denen gegenüber der Allianz. Die meisten der anderen Pioniere ließen viel, viel mehr hinter sich. Wenn man es genau nahm, verabschiedete Sloane sich eigentlich nur von überflüssigem Ballast.

Eine Galaxie voll Ballast. Alte Narben. Feinde, die sie sich auf beiden Seiten der alten Kriegsfronten und der nicht ganz so alten Verhandlungstische gemacht hatte. Offiziere, die kein Problem damit hatten, Soldaten in den Tod zu schicken, solange die Orden an ihrer Brust poliert waren …

Der alte, vertraute Zorn wallte in ihr hoch. Sloane knirschte mit den Zähnen und schüttelte den Kopf, was aber nur dafür sorgte, dass sich ihr Kater zurückmeldete.

Genug war genug. Sie hatte den besten Job in der gesamten Galaxie ergattert – nein, in zwei Galaxien. Sie konnte dafür sorgen, dass sich die alten Fehler nicht wiederholten, dass diesmal alles richtig, alles besser gemacht wurde. Ein echter Neuanfang. Das war mehr, als sich die armen Schlucker erhoffen konnten, die im bürokratischen Treibsand der Milchstraße feststeckten.

Sloane arbeitete mit unbeirrbarer Aufmerksamkeit ihre Checkliste ab. Es war nicht wichtig, ob sie sechs Stunden oder sechs Tage brauchte, sie würde sichergehen, dass jede Tür versiegelt und jede Frachtkiste ordnungsgemäß verstaut war und dass keine unerwünschten „Fremdkörper“ in den Lüftungsschächten herumkrabbelten.

Folglich verbrachte sie die meiste Zeit damit, hin und her zu marschieren. Ein perfekter Zeitpunkt, um Garsons Ansprache auf ihrem Universalwerkzeug aufzurufen. Wie nicht anders von Jien zu erwarten, gab es keine lange Vorrede.

„Morgen erbringen wir das größte Opfer unseres Lebens“, begann die Rede. Große Worte, und mit absoluter Überzeugung vorgebracht. „Und gleichzeitig nehmen wir das größte Abenteuer unseres Lebens in Angriff.“

Da konnte Sloane nicht widersprechen. Die Faszination des Unbekannten war bei ihr nicht so groß wie bei vielen anderen, aber sie verstand das Gefühl.

„Wir haben viele Meinungen gehört. Die Medien, die Gerüchte, die Drohungen. Jeder hatte etwas über unsere Mission zu sagen.“ Garson breitete die Arme aus, als würde sie das Gewicht der Abertausend Stunden Arbeit tragen, die sie beaufsichtigt hatte. „Manche glauben, diese Mission ist ein Versuch, aus der Galaxie zu fliehen, die wir mitgeformt haben. Dass wir unsere teuren Spielzeuge nehmen …“ Sie zog die Augenbraue hoch.

Sloane musste lachen.

„… um anderswo mit ihnen zu spielen. Andere verspotten unsere Mission als teuerste Versicherungspolice in der Geschichte intelligenten Lebens.“

Sloane hätte nichts dagegen, diesen anderen in einer dunklen Gasse aufzulauern. Stattdessen musste sie sich mit einer gemurmelten Verwünschung begnügen, während sie weiter ihrer Arbeit nachging. Zumindest war niemand mehr wach, um zu sehen, wie sie mit ihrem Universalwerkzeug sprach.

„Was ich Ihnen heute sagen möchte, ist dieselbe Nachricht, die ich auch an die Hyperion geschickt habe. Wir stehen vor einer Reise, wie es sie noch nie gegeben hat. Das ehrgeizigste Unterfangen in unserer Geschichte. Und vergessen Sie nicht …“

Garsons holografisches Abbild hielt inne und blickte einen langen, wortlosen Moment in die Kamera. Sloanes Schritte wurden langsamer, und ein Schauder rann über ihren Rücken. Während dieser bedeutsamen, genau abgemessenen Pause war es, als würde Garson sie direkt anstarren.

Als würde sie sie wirklich sehen.

Sie – und die Tausende von anderen Pionieren.

„Das ist eine Reise, von der es keine Wiederkehr gibt. Was all diese Politiker, Schwarzseher und Ignoranten nicht verstehen, ist, warum wir hier sind. Wir alle. Wir glauben an etwas, das sie nicht verstehen können. Wir arbeiten auf etwas hin, das sich ihrem Begriffsvermögen entzieht. Mit anderen Worten“, fügte Garson entschieden hinzu, „wir sehen etwas, was sie nicht sehen.“

Sloane nickte. Das können Sie laut sagen.

„Die Faktoren, die zur Entstehung dieser großartigen Station geführt haben, sind zahlreich. Jeder von uns kennt einige davon.“ Garson lächelte schmal. Sloane war nicht sicher, ob es eine aufmunternde oder reuevolle Geste war. „Aber niemand kennt sie alle, nicht einmal ich. Dennoch sind sie ein Teil der Gleichung. Sie und ich“, sagte sie, wobei sie auf Sloane deutete – auf das Publikum –, „wir sind der andere Teil.“

Kelly merkte, dass sie schon wieder nickte, im Stillen ein weiteres Mal zustimmte. Sie war der andere Teil. Ein großer Teil. Sie hatte Pläne, Ideen, und Garson hatte bereits deutlich gemacht, dass sie das zu schätzen wusste. Ein neuer Weg für eine neue Hoffnung, richtig?

„Jeder von uns hatte seine eigenen Gründe, sich freiwillig zu melden“, fuhr Garson fort. „Und auch diese Gründe sind vielfältig. Einige sind aus Pflichtbewusstsein hier. Andere haben Angst, was die Zukunft der Milchstraße angeht. Wir fliehen vor unserer Vergangenheit und suchen eine neue Zukunft. Wir wollen einen Neuanfang. Wir träumen von unerforschten Wundern, die alles, was wir wissen, in ein neues Licht rücken werden.“ Garson lächelte, und diesmal war es eindeutig aufmunternd. „Eine Begründung ist so gut wie die andere – aber eines sollen Sie wissen, bevor wir den großen Ozean von Raum und Zeit überqueren …“ Sie schien kurz den Atem anzuhalten.

Sloane konnte nicht anders, als das Talent der Frau zu bewundern, vor allem, wenn sie es mit ihren eigenen Ansprachen verglich. Kelly fasste sich in der Regel kurz und kam sofort zum Punkt. Macht dies, erledigt jenes, legt los – so etwa in der Art. Knapp und unmittelbar.

Doch die Kamera liebte Jien Garson. Ihre Willenskraft, ihr Vertrauen, strömte aus jeder ihrer Poren. „Keiner dieser Gründe zählt jetzt noch“, erklärte sie, direkt und ohne den geringsten Anflug von Demut. „Nicht für uns zumindest. Es zählt allein, was wir tun, wenn wir unser Ziel erreichen. Welche Entscheidungen wir in Andromeda treffen, wie wir uns dort verhalten.“

Sloane blieb stehen, den Blick auf das Hologramm gerichtet. Ja. Ja! Garson verstand es. Mehr hatte sie nicht erhoffen können – die Leiterin der Initiative kapierte es.

„Unsere Reise ist eines der größten Wunder, das unsere Spezies je hervorgebracht haben“, erinnerte Jien sie. „Der Wille zur Zusammenarbeit, der sie ermöglichte, ist beispiellos in der Geschichte unserer Galaxie. Was wir mit auf diese Reise nehmen, sind Jahrhunderte an Kultur, Jahrtausende an Idealen, Überzeugungen, Sprachen und Kunst. Gewaltiges Wissen, unglaubliche Wissenschaft. Diese Dinge sind das Ergebnis langen Strebens, harter Arbeit, großer Opfer und – das Wichtigste von allem – von Überzeugungen, die unzählige Milliarden Wesen über Tausende Jahre und Dutzende Welten hinweg geteilt haben.

All das nehmen wir mit uns, wie ein Künstler, der mit seinem Werkzeug vor eine große, leere Leinwand tritt. Und Andromeda“, erklärte sie mit Nachdruck, „wird unser großes Meisterwerk.“

Sloane lehnte sich gegen die Wand, beeindruckt von der Macht, die in den Worten dieser Frau steckte. Das war Garsons große Stärke. Sie könnte einem befehlen, in die Hölle zu marschieren, und man würde es ohne Zögern tun.

Sie wusste, wie andere tickten. Was sie bewegte.

Worauf sie hofften.

Garson hielt einen Moment inne, dann richtete sie ihren durchdringenden, wissenden Blick wieder nach vorne. „Lassen Sie mich Ihnen sagen, was Pathfinder Alec Ryder eben zu mir gesagt hat.“ Die Kraft ihres Lächelns hätte ganz Ilium mit Energie versorgen können. Ein weiteres soziales Talent, dem Sloane nie Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Und warum auch? An Leute wie Garson würde sie nie herankommen.

„Wir sehen uns auf der anderen Seite.“ Sie machte eine Pause, und das Licht zeichnete ihre hohen Wangenknochen nach, als ihr Grinsen in die Breite wuchs. „Dann beginnt die echte Arbeit.“

Die Aufzeichnung endete, und Stille senkte sich über Sloane, so schwer wie Nebel, so unbewegt wie Eis. Es war kalt in den Gängen der Nexus, und das würde die nächsten sechshundert Jahre so bleiben. Aber Kelly spürte die Kälte kaum.

Sie war lange Soldatin gewesen – eigentlich ihr ganzes Leben lang. Sie hatte Ansprachen gehört, wenn Siege gefeiert wurden, und sie hatte Ansprachen gehört, wenn Gräueltaten verdammt wurden. Der Krieg und das Militär hatten so lange ihren Weg bestimmt, dass sie vollkommen vergessen hatte, was eine Ansprache über Hoffnung mit dem menschlichen Gehirn anstellen konnte. Ein neuer Anfang, hm?

Sloane schüttelte den Kopf und lachte; ein Laut, der in dem leeren Korridor von tausend Echos erwidert wurde. „Andromeda“, sagte sie, als würde sie versuchen, sich an das Wort zu gewöhnen. Andromeda, wisperten die Echos.

Die andere Seite.

Sie stand da, gegen eine Wand von Tausenden gelehnt, nicht einmal sicher, wo genau sie sich an Bord befand, und gönnte sich einen Moment, in dem sie einfach nur das Schiff fühlte. Sie lauschte seinem mechanischen Atem, dem Surren der aktiven Systeme, dem trockenen Geflüster der Luftzirkulation. Dieses Geräusch würde schon bald verstummen – warum Energie verschwenden, wenn niemand da war, der Luft brauchte?

Schon bald würde Sloane sich in ihre Kapsel legen, um Hunderte Jahre lang zu schlafen. Und die Nexus würde sie, ihrer akribischen Programmierung folgend, durch eine Ewigkeit aus kalter Leere an ihr Ziel tragen.

Sloane stieß sich von der Wand ab und setzte ihren Rundgang fort. Sie durchquerte die hydroponischen Gärten, die Maschinenräume, die Archive, die sterilen Hallen, die zu gewaltigen Plätzen erstrahlen würden, sobald die Station sich erst einmal entfaltete. Dort drüben würde beispielsweise das Kulturzentrum sein, und da ihr eigenes Sicherheitsbüro – das beste Sicherheitsbüro, das es je gegeben hatte, wie sie mit grimmiger Entschlossenheit dachte.

Sie vergewisserte sich, dass alles war, wo es sein sollte, und natürlich war alles perfekt.

Schließlich gab Sloane grünes Licht, und die Station flog los. Ganz unspektakulär. So reibungslos, dass sie es kaum merkte. Sie grinste zufrieden und kehrte zu den Kryokammern für die Mannschaft zurück, wo sie ihr Universalwerkzeug ablegte, ihre Ausrüstung verstaute und sich auf den Kälteschlaf vorbereitete. Anschließend betrat sie die Kryostase-Kammer 441, einen von zahllosen kleinen und völlig identischen Räumen an Bord der Nexus, ausgestattet mit acht Kapseln, einer Diagnoseliege für die Untersuchung nach dem Aufwachen – und sonst nichts.

Es war so weit. Der letzte Schritt.

Sloane kletterte in ihre Stasiskapsel. Sie stellte fest, dass sie an ihrer Uniform zupfte, auf dieselbe Weise, wie Garson es getan hatte. Mit einem Schnauben ließ sie den Stoff los und zog den Deckel zu.

„Kryostase-Prozess eingeleitet“, verkündete eine Maschinenstimme. „Schlafen Sie gut, Pionier!“

Zeit für ein Nickerchen. Mit einem Lächeln schloss Sloane die Augen.

Wenige Minuten später schlief sie tief und fest – und mit ihr jeder andere an Bord.

1. KAPITEL

Nach der Stase aufzutauen, dauerte eine Weile, und genauso war es gedacht. Es sollte ein behutsamer Prozess sein: Zellen, die Jahrhunderte geschlummert hatten, wurden erwärmt, Nervenstränge wieder zum Leben erweckt.

Synthetische Flüssigkeiten vermischten sich in genau abgemessenen Dosen mit dem Blut der Schlafenden. Diese Dosen wurden über mehrere Tage hinweg erhöht, bis der Körper schließlich eine Schwelle überquerte und wieder selbstständig funktionierte. Nach eingehender Überprüfung der Vitalwerte wurde dann unter medizinischer Aufsicht ein letzter Medikamentencocktail injiziert.

Oder so ähnlich. An die Details konnte Sloane Kelly sich nicht erinnern. Wie lange der Prozess dauerte, wann genau er eingeleitet wurde – sie fand es absolut ausreichend, dass die Techniker diese Dinge wussten.

Zumindest sollten sie sie wissen.

Denn wie immer die Instruktionen aussahen, Sloane war sich ziemlich sicher, dass ein plötzliches Hochschrecken aus dem Kälteschlaf in ein chaotisches Durcheinander von Lichtern und Geräuschen nicht dazugehörte.

Alarmsirenen.

Warnlampen.

Alles bebte. Da war ein aggressives Kreischen wie von zerreißendem Metall, das ohrenbetäubend laut ihre Trommelfelle malträtierte und ihren Körper spürbar zusammenquetschte.

Sie öffnete die Augen.

Losgerissene Kabel ließen Funken auf das Sichtfenster der Kapsel herabregnen und zwangen ihre Lider wieder zu, während ihr überfordertes Gehirn bunte Farbflecken auf ihre Netzhaut zeichnete. Alles stürzte in einer Kakofonie aus Eindrücken über sie herein, Licht und Donner und Bewegungen und Adrenalin. Die kleine Kapsel schien um sie herumzuwirbeln, neigte sich übelkeiterregend von einer Seite auf die andere, während Sloane die flache Hand gegen das Sichtfenster drückte. Aus reinem Reflex schlug sie mit dem Ellenbogen aus und traf hartes, unnachgiebiges Metall.

Schmerz zuckte durch ihren Arm und half ihrem umnebelten Hirn, sich zu fokussieren. Raus! Sie musste hier raus. Ihre Kapsel hatte offensichtlich eine Fehlfunktion. Vielleicht hatte sie sich aus ihrer Halterung gelöst und rollte durch die Kryokammer. Ja, es musste so sein. Die Luft kratzte in ihrer Nase und ihrer Lunge – eine falsche Mischung und viel zu warm. Es roch nach Chemikalien und altem Schweiß.

Sie rammte einen prickelnden Fuß gegen die Oberseite der Kapsel.

„Notfallsystem“, schrie sie in der Beengtheit, als könnten die Worte in der Zeit zurückreisen und die Ingenieure daran erinnern, einen Öffnungsmechanismus auf der Innenseite einzubauen.

Wie auf ein Stichwort hin erklang ein mechanisches Geräusch, das so gar nicht in die chaotische Welt passen wollte, in der sie aufgewacht war. Einen Moment später entriegelte sich der Deckel, der sie im Innern der schützenden Kapsel einschloss. Das Zischen entweichender Luft war so laut, dass es beinahe die Sirenen übertönte, die durch den Spalt hereinplärrten. Sloane spürte, wie ihr der Atem aus den Lungen gepresst wurde, um durch die beißende Kälte und den abgestandenen Geruch der Außenwelt ersetzt zu werden.

Dann nahm sie einen weiteren Geruch wahr. Asche.

Das verschwommene Bild vor ihren Augen floss langsam zu einer schrecklichen Realität zusammen: Rauch. Das war eindeutig Rauch, der da von draußen hereinwallte. Irgendwo links von ihr flackerte Feuer.

Scheiße! Es ist nicht nur meine Kapsel. Das bedeutet …

So unvermittelt aus der Stase gerissen zu werden, bedeutete, dass ihr Körper Zeit brauchte, um sich wieder daran zu erinnern, wie er funktionierte. Ihr Gehirn konnte keinen klaren Gedanken fassen. Jede Zelle schien zu schreien, eine Reaktion auf die marternden Alarme der Nexus zu fordern, aber der Adrenalinstoß ließ ihre Gliedmaßen nur unkontrolliert zucken, während langsam das Gefühl in sie zurückkehrte.

Sloane sog keuchend den Atem ein, versuchte, den Deckel nach oben zu drücken. Draußen blinkten rote Lichter.

Die Nexus wird angegriffen. Das war die einzige Erklärung, die Sinn ergab. Der Gedanke walzte durch ihr überfordertes Bewusstsein, half ihr, sich zu konzentrieren.

Das war der einzige Grund, warum die Nexus sie auf diese Weise aus ihrem jahrhundertewährenden Schlaf wecken würde. Sofern sie wirklich Jahrhunderte geschlafen hatte. Was, falls es nur ein paar Jahre gewesen waren? Oder lediglich Stunden? Sloane konnte es nicht ausschließen.

Aber sie musste es herausfinden. Als Sicherheitschefin der Nexus, die für Tausende Pioniere verantwortlich war, musste sie es verflucht noch mal herausfinden.

Ihr Körper verstand die Botschaft. Er reagierte nur nicht allzu enthusiastisch darauf. Sloane fiel aus der Stasiskapsel, bevor sie sich vollständig geöffnet hatte, ihre Gliedmaßen eine zuckende Masse hypersensibler Nervenenden. Ihre Lungen füllten sich mit der von Funken und Rauch geschwängerten Luft, und die Hitze schien ihre gesamte Luftröhre zu verbrennen.

Sie hustete. Ihre brennenden Augen tränten bereits von der Asche und den brennenden Chemikalien, aber sie hatte keine Zeit, um zu würgen. Sie kämpfte sich auf die Füße hoch und zwang ihren bleischweren Körper zur Bewegung.

Das Innere der Kapsel hatte sich klaustrophobisch angefühlt, aber hier draußen war es tausendmal schlimmer. Eine Seite des Raums lag in Schatten verborgen, die andere wurde schwach von der flackernden Notfallbeleuchtung erhellt. Die Notfallbeleuchtung sollte normalerweise nicht flackern.

Feuer und Rauch wogten zwischen spitzkantigen Trümmern.

Sloane fluchte und kippte, halb taumelnd, halb fallend gegen die benachbarte Stasiskapsel. Das Sichtfenster war überraschend klar, sodass sie durch die Reflexion ihres Entsetzens hindurch die schwielige turianische Faust sehen konnte, die gegen die Scheibe hämmerte. Sie gehörte Kandros, einem von Sloanes besten Offizieren.

„Halte durch!“, rief Kelly, ihre Stimme rau wegen des Qualms. Sie klopfte zweimal gegen das Sichtfenster, und das energische Hämmern von der anderen Seite verstummte. Eine gedämpfte Stimme drang kaum hörbar aus dem Inneren hervor, aber sie musste die Worte nicht verstehen, um ihre Bedeutung zu begreifen.

Beeilen Sie sich!

Und vermutlich ein paar Verwünschungen.

Diese Kapseln waren programmiert, zu einem bestimmten Zeitpunkt aufzuklappen; eine manuelle Öffnung war nicht vorgesehen. Sloane hatte keine Ahnung, wie man die Systeme bediente, aber sie hatte wohl keine andere Wahl, als es zu versuchen. Das nächste Terminal befand sich jenseits des Vorhangs aus Rauch und Funken, und den feuererhellten Trümmern nach zu schließen, war es vermutlich nicht mehr einsatzfähig.

Sloane hatte nicht mal ihr Universalwerkzeug – sie hatte es den Vorschriften entsprechend weggeschlossen. Die Pioniere sollten ihre persönlichen Besitztümer erst wiedererhalten, nachdem sie untersucht worden waren und eine Einweisung durch ihre Vorgesetzten erhalten hatten.

„Verdammt“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, dann stemmte sie sich in eine aufrechte Position hoch und sah sich nach etwas um – irgendetwas –, womit sie diesen überdimensionierten Sarg aufstemmen könnte.

Die Feuer warfen einen höllischen orangegoldenen Schein in die Kammer, und durch den beißenden Rauch hindurch waren sich windende Silhouetten zu erkennen: andere Pioniere, die in ihren Kapseln gefangen waren und sich verzweifelt zu befreien versuchten. Einige Behälter waren teilweise aufgebrochen, aber Sloane konnte nicht erkennen, ob die Personen in ihrem Inneren überlebt hatten.

Jede Sekunde zählte.

Was bedeutete: Zum Teufel mit der Vorsicht!

Sie sprintete zu einem Gewirr verbogenen Metalls und trat mit dem Stiefel Bruchteile von Dingen los, die sie nicht erkannte. Das meiste davon war mit Ruß und öliger Flüssigkeit bedeckt, aber ein Teil war unter dem Einfluss gewaltiger Scherkräfte herausgebrochen – was immer sie getroffen hatte, es musste groß gewesen sein.

Schweiß strömte in Sturzbächen über Sloanes Gesicht, während sie eine schwere Metallstrebe packte und sie zurück zu der Kapsel zerrte.

„Halte durch“, krächzte sie erneut, dann stemmte sie das zerschmetterte, spitz zulaufende Ende der Strebe unter den Deckelrand. Hinter ihr schrie jemand. Laut. Brutal. Sie zuckte zusammen, während sie gleichzeitig ihr Gewicht gegen ihr improvisiertes Stemmeisen warf.

Das Material ächzte.

Feine Haarrisse zogen sich über das Sichtfenster, aber der Deckel gab nicht nach.

„Komm schon, Herrgott!“, blaffte sie, die nackten Hände um das heiße, scharfkantige Metall gekrallt, und zog mit aller Kraft.

Im Innern der Kapsel pressten sich dreifingrige, klauenbewehrte Pranken gegen die verstaubte Scheibe, begleitet von einem weiteren Ruf, völlig nebulös und doch zugleich unmissverständlich. Schon komisch, wunderte sich eine Stimme in ihrem Hinterkopf mit grimmiger Belustigung, wie schnell man bei einem Notfall Sprachgrenzen überwindet.

„Jetzt!“, rief sie, auch wenn die Aufforderung hauptsächlich nur ihr selbst galt. Sie warf sich gegen die Strebe, und gleichzeitig drückte der Turianer von innen gegen die Kapsel.

Das Siegel brach unvermittelt, und Sloane kippte zwischen den Trümmern auf die Knie. Sie stemmte den Deckel einen Spaltbreit auf, bis die Stützstrebe auf den Boden fiel, wenig später gefolgt von Kandros, der aus der Kapsel kippte und in einem Durcheinander sehniger Gliedmaßen neben Sloane landete. Er rang nach Atem, aber zumindest sah er nicht schlimmer aus, als sie sich fühlte.

Was nicht viel heißen sollte.

„Keine Zeit zum Feiern“, sagte sie, ihre Stimme kaum mehr als ein Ächzen. Sie zog sich am Rand der aufgebrochenen Kapsel nach oben und deutete auf die Metallstrebe. „Retten, wen immer du kannst.“ Es war ein Befehl, knapp und simpel. Einfühlungsvermögen war nicht ihre Stärke, und das Sicherheitsteam war inzwischen daran gewöhnt.

Rauch wirbelte um sie, als Kandros ein „Jawohl, Ma’am“ hervorbrachte, dann richtete er sich taumelnd auf. Wie Sloane hatte auch er nichts weiter als die Kleidung an seinem Leib. Die Nexus-Uniform mochte bei einem jahrhundertelangen Nickerchen ihre Vorzüge haben, aber in einer echten Gefahrensituation bot sie kaum Schutz.

In einem wortlosen Einverständnis übernahm jeder eine Seite der Kammer.

Mit jedem Schritt wuchs Sloanes Sorge. Waren sie angegriffen worden? Hatte man sie vielleicht sogar geentert? Hatten sie ihre Galaxie bereits verlassen?

Hatte Cerberus sie attackiert? Oder Piraten?

Und falls ja, was war dann aus der Eskorte geworden, die sie durch die Milchstraße begleiten sollte?

Sosehr dieser Gedanke auch an ihr nagte, sie musste ihn fürs Erste zurückstellen.

Sloane schleifte ihren befehlsmäßigen Dosenöffner von einer Kapsel zur nächsten und arbeitete mit wilder Entschlossenheit. Metall ächzte, begleitet von überraschtem Ächzen, angestrengtem Stöhnen, Verwünschungen und Fragen, für die sie keine Zeit hatte.

„Erst müssen wir alle befreien“, erklärte sie Talini, einer ihrer erfahrensten Offizierinnen. Die Asari stolperte davon, wobei sie auf ihren noch immer tauben Beinen unkontrolliert hin und her schwankte.

Retten, wen sie nur konnten.

Es wurde zu einem stillen Mantra, das Sloane mit jedem Schritt wiederholte, mit jedem Gesicht, das aus einer geborstenen Kapsel auftauchte. Der anliegende Raum war größer und voller Zivilisten und Mannschaftsmitglieder. Ob es dort sicher war, ließ sich nicht sagen. Dafür herrschte zu großes Chaos. Auf der anderen Seite der Kammer prasselten Funken auf die Asari hinab, die gerade einem humpelnden Menschen von den Trümmern forthalf. Zwei weitere Pioniere folgten ihnen; einer der beiden hielt sich den Arm, der in einem unnatürlichen Winkel abgeknickt war.

Es war unmöglich, den Überblick zu bewahren, aber Sloane vertraute ihrem Team, und so konzentrierte sie sich weiter auf die Kapseln, an die sie herankam. Vierzehn Kapseln gaben in ebenso vielen Minuten unter ihren Bemühungen nach.

Nur acht der Schläfer krochen heraus.

Sie ließ von einer weiteren Kapsel ab, als sie in ihrem Inneren die leblosen Überreste von Cillian erblickte – einem Mitglied ihrer eigenen Einheit. Was immer die Nexus erwischt hatte, es musste einen gewaltigen Energiestoß durch das System gejagt haben. Überall waren geborstene Drähte und geschwärzte, qualmende Energiekonverter zu sehen. Viele der Stasiskapseln hatten die Personen in ihrem Innern bei lebendigem Leib gebraten.

Wut ließ die Muskeln in Sloanes Kiefer zucken. Ihr Gesicht war inzwischen rußverschmiert, ihre Hände durch das heiße Metall mit Blasen überzogen, aber nichts reichte an das Grauen und den Zorn heran, welche in ihr brodelten. Sie kletterte über Cillians glänzenden Sarg hinweg, um zu erreichen, wer immer auf der anderen Seite lag. Die Ungerechtigkeit – die gottverdammte Tragik – der Situation schnürte ihr die Kehle zu.

Es waren nicht mehr viele übrig. Kandros schob sich an ihr vorbei, den Arm eines kraftlosen Menschen über der Schulter. Ein finster dreinblickender Salarianer, den sie nicht kannte, führte zwei verängstigte Jugendliche durch das Chaos davon.

Hinter ihnen drängte sich eine verängstigte Gruppe von Zivilisten unter dem wogenden Rauch zusammen, Hände, Arme und Uniformfetzen vor ihre Münder, Nasen und anderen Atemöffnungen pressend.

Genug. Sloane richtete den Blick auf die halb hinter dem Rauch verborgenen Wände und suchte nach einer Kontrolltafel – nach dem manuellen Feuerlöschknopf. Als sie ihn schließlich entdeckte, sah sie Funken, die wie Wassertropfen hinter der Tafel hervorstoben. Sie sah aber auch das Kästchen darunter. Ein Kästchen, das sie völlig vergessen hatte. Ein Kästchen mit einem Feuerlöscher hinter einer getönten Glasscheibe.

Sloane eilte hinüber, trat nach der Scheibe und wurde auf schmerzhafte Weise daran erinnert, dass echte Stiefel nicht zur Kryostase-Uniform gehörten. Ihr Fuß explodierte in pochendem Schmerz, während sich die Scheibe als Durcheinander klirrender Scherben auf den Boden ergoss.

Gebrochene Zehen? Mindestens einer. Großartig. Einfach großartig. Sloane ignorierte den Schmerz, riss den Feuerlöscher aus seiner Halterung und machte sich an die Arbeit.

Ein kurzer Stoß für jedes Feuer. Eine nach der anderen wurden die Flammen unter dem komprimierten Schaum erstickt, und es wurde zusehends dunkler in dem Raum. Aber das war in Ordnung; damit konnte sie leben. Ringsum husteten und ächzten Personen. Jemand schrie. Jemand anders stürzte auf Hände und Knie und übergab sich.

Doch mit jedem Schaumschwall aus dem Feuerlöscher nahmen die Schmerzenslaute weiter ab. Sie wurden ersetzt durch Geräusche der Verwirrung, durch die Stimmen von Pionieren, die schwerer verletzten Pionieren Hilfe anboten. Jede kleine Veränderung in der Geräuschkulisse schenkte Sloane neue Zuversicht.

Inmitten des Chaos aus knirschendem Metall und knisterndem Feuer schaffte sie es, die erwachten Schläfer in einem Bereich zusammenzutreiben. Kelly warf den leeren Feuerlöscher beiseite.

„Bleibt zusammen!“, befahl sie. Anschließend zwang sie die blockierte Tür mit den Händen auf, bis der Spalt breit genug war, damit sich alle hindurchquetschen konnten. Als der letzte Überlebende an ihr vorbeigetaumelt war, schob sich auch Sloane durch die Tür und ließ sie hinter sich wieder zufallen.

Schweiß klebte ihr das Haar und die Uniform an die Haut, Ruß ließ ihre Augen brennen, als sie ihren geschundenen Körper gegen den Türrahmen lehnte. Eine kurze Bestandsaufnahme bestätigte ihre Verletzungen – ein gebrochener, pulsierender Zeh, leichte Verbrennungen, blaue Flecken und Kratzer. Aber da war nichts, was sie wirklich behindern würde. Sie stieß sich von der Wand ab und blickte sich in dem Vorraum um. Das Erste, was ihr auffiel, war die Stille. So, als wäre das Inferno auf der anderen Seite der Tür nur ein böser Traum gewesen.

Hinter der nächsten Tür lag der Ausgang. Und vermutlich weitere Gefahr.

Während sie die ascheverschmierten, angstverzerrten Gesichter um sich herum musterte, erkannte sie, dass weniger als die Hälfte der Schläfer aus der Kammer entkommen war. So viele Kapseln.

Doch es gab nichts, was sie deswegen tun konnte. Ihr blieb lediglich, die Überlebenden an einen sicheren Ort zu bringen und die Gefahrenzone abzuriegeln.

Das Trauern um die Toten musste warten.

Kandros schob den zerrissenen Ärmel seiner Uniform nach unten, den er sich vor Nase und Mund gebunden hatte, dann lehnte er sich gegen seinen improvisierten Kapselöffner. Die Metallstange hatte schon bessere Tage erlebt. Ebenso wie der Turianer. „Also“, sagte er, die Stimme erhoben, damit man ihn über die schrillen Alarme hinweg hören konnte. „Was ist passiert?“

Die Pioniere blickten erst einander an, dann Sloane.

Sie wünschte, sie hätte Antworten.

„Keine Ahnung“, erwiderte sie. Das allein würde sie natürlich nicht weiterbringen, also deutete sie mit dem Daumen auf den Ausgang. „Finden wir’s raus.“

„Ja.“ Der Turianer legte sich die Stange über die Schulter. „Ich dachte mir schon, dass Sie das sagen würden.“

2. KAPITEL

Der Korridor war in noch schlimmerem Zustand.

Ein loser Kabelstrang hing von einer verkrümmten Deckenplatte herab, und die Funken, die von seinem Ende zuckten, hatten schwarze Pockennarben auf dem Boden hinterlassen. Rauch trieb unter der Decke entlang, immer dichter, immer tiefer. Soweit Sloane das sagen konnte, war die gesamte Länge des Ganges von den Schäden betroffen.

„Die Ventilation ist abgeschaltet“, stellte sie fest. Es sollte beifällig klingen, wirkte aber eher angespannt. „Dasselbe gilt für das Feuerlöschsystem. Und vermutlich hat es auch die Kommunikationsanlagen erwischt.“

„Gründlich“, kommentierte Kandros.

Sie wechselten einen Blick, und Sloane sah ihre eigenen Vermutungen in den Augen ihres Offiziers widergespiegelt. Die Zerstörung ging weit über ihre Schlafkammer hinaus, was eines von zwei Dingen bedeutete: Entweder es hatte einen schweren Unfall gegeben, oder sie waren Opfer eines Angriffs geworden – womöglich sogar von innen.

Das würde eine Massenpanik auslösen …

„Wir werden Folgendes tun“, erklärte Sloane laut, damit jeder sie hören konnte. „Kandros, bring diese Leute an einen sicheren Ort.“

„Und wo ist es sicher?“

Sie überlegte kurz, dann senkte sie die Stimme. „Die Kolonialverwaltung. Nicht das Hauptbüro, aber der Hangar, wo sie ihre Shuttles aufbewahren. Zumindest könnt ihr dort jederzeit von Bord, falls es dazu kommt. Und die Lebenserhaltungssysteme auf diesen Schiffen arbeiten im Moment verlässlicher als die der Nexus.“

„Gute Idee. Und was ist mit Ihnen?“

Sloane drehte den Kopf nach rechts, in Richtung der Kommandozentrale. „Ich versuche herauszufinden, was passiert ist. Was immer hier vor sich geht, es ist was Großes. Passt auf euch auf, verstanden?“ Sie blickte auf seine Hände hinab, die eigentlich eine Pistole halten sollten. Nicht, dass sie ihm etwas Besseres anbieten könnte; sie schleppten beide verbogene Stangen und Stützstreben hinter sich her. Wirklich großartig.

Ihre Gedanken mussten ihr deutlich anzusehen sein, denn Kandros’ Augen wurden schmal, und er nickte abgehackt.

Das gefiel ihr so an ihm. Sie hatte viel Zeit mit Turianern verbracht, sich mit einem im Speziellen angefreundet, und auf diese Weise viel über die Eigenheiten ihrer Spezies gelernt. Kandros wusste dieses Verständnis zu schätzen, und sie schätzte sein Vertrauen.

Das machte sie zu einem guten Team.

„Ich gehe zur Kommandozentrale“, fügte sie hinzu. „Suchen Sie eine Kommanlage! Ich finde schon einen Weg, Sie zu kontaktieren, sobald ich weiß, was hier los ist.“

„Ma’am.“

Er ist einer von den Guten. Sloane wusste besser als die meisten, wie wichtig diese Art Pflichtbewusstsein war. Sie klopfte ihm auf die Schulterplatte und machte sich auf den Weg.

Sloane hielt sich dicht an der Wand und ignorierte die Türen, an denen sie vorbeikam. Sie blieben alle geschlossen, und zumindest fürs Erste war das in Ordnung so; das würde verhindern, dass sich potenzielle Feuer ausbreiteten. Was sie aber tat, war, die Statusanzeigen neben den Türen zu überprüfen. Sie zeigten alle dasselbe: ein einzelnes, rot glühendes Wort: Offline.

Das ließ ihre Unruhe noch weiter wachsen. Die Nexus war ein Wunder der Ingenieurskunst, und an ihrer Konstruktion waren mehr Komitees beteiligt gewesen, als Sloane zählen konnte. Und, verflucht, liebten es diese Komitees, alles doppelt und dreifach abzusichern. Jede dieser Tafeln hätte mehrere Verbindungen zu den stationsweiten Kontrollsystemen anzeigen müssen. Dass sie alle offline waren, bestätigte nur Kellys schlimmste Befürchtung – entweder es war etwas wirklich Verheerendes geschehen, oder jemand hatte die Nexus mit chirurgischer Präzision verkrüppelt.

Sie brauchte mehr Informationen, und sie brauchte sie sofort.

Sloane eilte den Korridor entlang zur nächsten Kreuzung. Eine Schutztür hatte sich aus der Wand geschoben, um den Bereich abzuriegeln, aber sie war auf halber Strecke stecken geblieben. Ein kurzer Blick verriet Kelly, was den Gang blockierte: eine Leiche. Die Tür ruckte ein Stück vor, bis sie in zerfetztes Fleisch schnitt, dann glitt sie wieder auf, schob sich erneut zu. Und immer so weiter.

Die Leiche war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, außerdem lag sie unter einem Trümmerhaufen – Maschinenteile und Kabel, die von der Decke herabgestürzt waren. Sloane hatte Mühe, angesichts des Gestanks nicht zu würgen: süß und widerlich, ranziges Fleisch und verkohlte Knochen.

Doch sie hatte schon früher Brandopfer gesehen. Sie schluckte die Galle hinunter und beugte sich vor, um den Toten ein Stück auf die Seite zu rollen, bis sie seine Uniform erkennen konnte. Feuer oder irgendeine chemische Reaktion hatten seine Namensplakette völlig unentzifferbar gemacht, aber der Schädelform nach zu schließen musste es ein Salarianer sein. Was für eine Art, zu sterben. Sloane bettete die Leiche wieder auf den Boden, dann stieg sie mit einem möglichst weiten Schritt darüber hinweg und durch die blockierte Tür.

Sie musste den armen Teufel hierlassen, andernfalls würde die Schutztür einrasten, und sie wäre auf der anderen Seite gefangen – und wer konnte schon sagen, ob sie dort allein wäre.

Die Hitze ließ ihre Wangen brennen und zwang sie, die Augen zusammenzukneifen. Ihr gegenüber züngelten Flammen aus einer Leitung, Feuer, das sich direkt durch die Wandverkleidung hindurchgebohrt hatte und durch ein Funken sprühendes Kabel entzündet worden war. Die Luft roch nach Gasen, die nicht für menschliche Lungen bestimmt waren.

Doch Flammen bedeuteten auch Sauerstoff, und das wiederum bedeutete, dass die künstliche Atmosphäre hergestellt war. Was während ihres jahrhundertelangen Fluges eigentlich nicht der Fall sein sollte. Entweder sie waren gerade erst aufgebrochen, oder sie hatten Andromeda bereits erreicht.

Welche Option auch zutraf, beide hatten etwas Tröstliches an sich: Zumindest waren sie nicht in der weiten Leere zwischen ihrem Start- und ihrem Zielpunkt gestrandet.

Eine Gestalt huschte durch den dichten grauen Qualm auf sie zu, und Sloane ging automatisch in Kampfstellung. Nicht, dass sie eine Chance gegen bewaffnete Eindringlinge hätte …

Die Uniform zeigte, dass der Mann zur Mannschaft der Station gehörte. Er taumelte ihr entgegen, wedelte dabei mit einem Arm vor seinem gesenkten Kopf hin und her – ein erfolgloser Versuch, die würgenden Dämpfe zu vertreiben.

Leider hatte eine Uniform im Moment gar nichts zu bedeuten.

„Das ist nahe genug“, blaffte Sloane. „Nennen Sie Namen und Rang! Sofort!“

Er blieb stehen und hob in verwirrter Kapitulation die Hände. Dunkle Flüssigkeit rann aus seinen hellen Handflächen, und seine Unterarme waren von vorstehenden Brandblasen überzogen. Der Kerl hatte Sloanes Mitleid, aber sie wusste auch, dass alles Mögliche diese Verletzungen verursacht haben konnte. Hatte er glühend heiße Stasiskapseln aufgebrochen, oder war ihm bei einer kleinen Sabotageaktion ein Fehler unterlaufen? Sie musste es herausfinden.

Das war ihr Job. Der Mann zitterte sichtlich. „Was ist passiert? Werden wir angegriffen?“

„Ich bin auf dem Weg, um das herauszufinden“, erwiderte sie kühl. „Und jetzt Ihren Namen.“

„Chen. Ich … ich bin nur ein Techniker“, fügte er noch hinzu, bevor er durch einen heftigen Hustenanfall abgewürgt wurde.

Der Name sagte Sloane nichts. „Welche Abteilung? Medizinische? Bitte, sagen Sie medizinische.“

„Entsorgung.“

„Perfekt. Einfach nur perfekt.“ Sie schüttelte den Kopf. „Hören Sie, es ist hier nicht sicher. Gehen Sie zurück zu Ihrer Stasiskapsel!“

„N-nein!“ Er schreckte körperlich vor dem Vorschlag zurück. „Ich kann nicht!“ Sein drahtiger Körper zitterte jetzt noch stärker. „Es ist schrecklich da hinten. Alle sind tot. Glaube ich zumindest. Ich bin einfach losgerannt. Dann war da das Feuer, und die Kapseln. Sie sind einfach …“

Ja. Sloane verstand. Sie streckte den Arm aus, griff nach seiner Schulter und ignorierte den stechenden Schmerz, der dabei durch ihre Hand zuckte. „Hören Sie zu“, erklärte sie, während sie ihn stützte. „Ich bin Sicherheitschefin Kelly.“

„Sicherheit?“ Seine tränenden Augen wurden schmal, während er nachdachte. „Dann werden wir angegriffen. So ist es doch, oder?“

Weil die Alternative zu schlimm war, um darüber nachzudenken.

Sloane schnitt eine Grimasse. Ihr Mund schmeckte nach Asche, ihre Kehle brannte. Sie fühlte sich, als hätte sie seit Jahrhunderten nichts mehr getrunken oder gegessen, und womöglich war das auch so. Dem Kerl vor ihr ging es augenscheinlich nicht besser, und er sah nicht aus wie ein Saboteur. Sie würde ihm nicht mal zutrauen, dass er Feuerwerkskörper in eine Toilette warf, um sich einen Spaß zu machen.

Am liebsten hätte sie geseufzt. „Ich weiß nicht, was los ist, in Ordnung? Wie gesagt, ich versuche, es herauszufinden. Zeigen Sie mir, wo Ihre Stasiskapsel …“

„Ich geh nicht wieder zurück. Ich kann nicht.“ Er deutete in die Richtung, aus der er gekommen war. „Falls Sie einen Blick drauf werfen wollen, nur zu. Aber ich werde nicht …“ Seine nächsten Worte wurden von einem Schluchzen verschluckt. Er senkte den Kopf und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. „Der ganze Bereich ist abgeriegelt. Ich bin gerade noch rausgekommen. Keine Ahnung, wie … Ich kann nicht …“ Die Schulter unter ihrer Hand bebte heftig.

Sloane musterte ihn. Entsorgung, hm? Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass eine verstopfte Toilette das Schlimmste war, was dieser Kerl ertragen konnte. „Na schön. Hören Sie, Sie müssen zum Hangar der Kolonialverwaltung. Verstanden?“

„Kann ich nicht bei Ihnen bleiben?“ Es klang flehentlich. Verängstigt.

Sie musste sich ein grimmiges Lächeln verkneifen. Das würde ihm sicher nicht gefallen. „Sicher, Chen. Ich werde mir jetzt aber Ihre Kryokammer ansehen.“

Er schob sich so schnell an ihr vorbei, dass sie plötzlich nur noch leere Luft in ihrer Hand hielt. „Der Hangar klingt gar nicht so schlimm“, sagte er hastig. „Und dort ist es sicher, ja?“

Dachte ich’s mir doch. „Passen Sie auf lose Kabel auf“, warnte sie ihn nur. „Und jetzt gehen Sie! Andere Überlebende sind bereits dort, es sollte also sicher sein.“

„Danke! Danke!“ Er hielt inne, blickte kurz zu ihr zurück, dann wieder in den Korridor, aus dem sie gekommen war. Anschließend fügte er mit einem hilflosen Lächeln hinzu: „Passen Sie auf sich auf, Ma’am!“ Mit einer letzten, vagen Geste stolperte Chen davon. Grob in die richtige Richtung.

Sloane sah ihm nach. Er würde es schaffen. Zumindest hoffte sie es. Die Schäden vor ihr schienen schwerer zu sein als die hinter ihr. „Könnte ich nur auch umdrehen“, murmelte sie leise.

Der Techniker hatte nicht übertrieben.

Zuerst entdeckte sie die Tür, die mitten im Korridor auf dem Boden lag. Der Raum selbst sah aus wie ein Kriegsgebiet. Stasiskapseln waren wie Abfall über den Boden verstreut, viele von ihnen offen. Sloane hatte dem Tod schon oft ins Gesicht geblickt, aber selbst sie presste sich bei dem Anblick unwillkürlich die Hand vor den Mund.

Die Leichen waren überall. Dutzende davon. Viele von ihnen waren verbrannt, andere lagen verkrümmt vor den Wänden. Ein Mann war unter einer umgekippten Kapsel begraben, sodass nur eine Hand und ein Fuß darunter hervorragten.

Nichts rührte sich, und abgesehen vom Zischen und Knistern zerstörter Technik und Funken sprühender Kabel herrschte völlige Stille.

„Ist hier irgendjemand?“, rief Sloane. Sie glaubte nicht, dass es Überlebende gab, aber sie könnte es sich nie verzeihen, wenn sie es nicht zumindest versuchte. Niemand antwortete. Da war nicht mal ein verzweifeltes Husten.

Verstreute Leichen, die einem dummen Fehler oder Hass und Stolz zum Opfer gefallen waren … Ja, das war genau die Art Bilder, die sie eigentlich hinter sich gelassen hatte.

Sloane wandte sich ab. Sie musste gegen ein wachsendes Gefühl des Grauens ankämpfen, das ihre Eingeweide zusammenpresste. Neben der Schlafkammer befand sich eine weitere Tür. Die Erinnerung an den Aufbau der Nexus kehrte allmählich wieder zu ihr zurück, und falls sie sich nicht irrte, musste dies ein Aufwärmraum sein. Die Kryostase-Kammern waren in Gruppen über das gewaltige Schiff verstreut, und jede Gruppe war um einen Aufwärmraum angeordnet, wo die neu erwachten Mannschaftsmitglieder sich entspannen und akklimatisieren konnten, bis ihr vorgesetzter Offizier erschien und sie in der wundersamen Welt von Andromeda willkommen hieß.

Während sie dort warteten, sollten Ärzte ihre Gesundheit überprüfen und Psychologen sicherstellen, dass sie während des Schlafs nicht den Verstand verloren hatten. Und auch ein Vertreter von Sloanes Team wäre zugegen, nur für den Fall, dass sie tatsächlich den Verstand und damit einhergehend ihre Kooperationsbereitschaft verloren hatten.

So war es zumindest vorgesehen gewesen.

Sie hatten sämtliche Katastrophenszenarien durchgespielt, aber niemand hatte erwartet, dass … einfach alles ausfallen würde.

Der Aufwärmraum hätte einen einladenden Eindruck gemacht, wäre da nicht der Metallträger, der in der Mitte aus der Decke gebrochen war und mehrere Sessel und Tische unter seinem Gewicht zerschmettert hatte. Es war leicht, sich den Raum voller Mannschaftsmitglieder vorzustellen, die aufgeregt durcheinanderplapperten, erfüllt von Tatendrang und der Hoffnung, die Garson in ihnen geweckt hatte. Sloane war froh, dass die Katastrophe geschehen war, solange die großen Räume, Hallen, Plätze und Parks der Nexus noch leer waren.

Ein lang gezogenes, schauderndes Ächzen hallte durch die gesamte Länge des Schiffes. Kelly zog die Brauen zusammen.

„Das kann nichts Gutes bedeuten.“

An der hinteren Wand des Raumes stach ihr ein rechteckiges Feld ins Auge – ein Terminal, dessen Abdeckung aufgeglitten war. Der Bildschirm hatte sich eingeschaltet und zeigte das Logo der Initiative.

Sloane stieg über eine umgekippte Couch hinweg und bahnte sich gerade einen Weg durch das Durcheinander von Tischen und Stühlen, als plötzlich ein lautes Ploppen erklang. Überlebensinstinkte, die ihr durch mehr Schlachten geholfen hatten, als sie zählen konnte, übernahmen die Kontrolle über ihren Körper, und Sloane warf sich flach auf den Boden.

Funken regneten von der Decke herab, dann senkte sich Dunkelheit über den Raum, unterbrochen allein durch die Notfallbeleuchtung unten an den Wänden und diesen einen, glühenden Bildschirm an dem Terminal.

Unterhalb des Terminals lag eine Gestalt: eine Asari, der Länge nach ausgestreckt, eingeklemmt unter dem Gewicht mehrerer Einbauleuchten, die durch die Katastrophe aus der Decke geborsten waren.

Als keine weiteren Explosionen folgten, richtete Sloane sich auf und ging zu der Asari hinüber. Sie rührte sich nicht, als Kelly näher kam. Und sie atmete auch nicht.

Sloane richtete ihre Aufmerksamkeit auf das Terminal. Zeit, sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Nur war das Logo inzwischen verschwunden, und stattdessen prangte dieses verfluchte rote Wort auf dem Bildschirm: Offline. Am liebsten hätte sie ihre Frustration hinausgebrüllt.

Obwohl sie genau wusste, dass es hoffnungslos war, beugte Sloane sich noch einmal über den reglosen Körper – genau das war die Frau in ihren Gedanken geworden: der Körper.