Rule of the Aurora King - Nisha J. Tuli - E-Book
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Rule of the Aurora King E-Book

Nisha J. Tuli

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Beschreibung

+++ Mit exklusivem Bonuskapitel +++  TikTok made me buy it! Slowburn Enemies-to-Lovers, atemlose Action und grausame Fae:  Der Fantasy-Roman »Rule of the Aurora King« ist der 2. Band der Romantasy-Reihe »Die Artefakte von Ouranos«, die auf TikTok mit »Das Reich der sieben Höfe« und »The Serpent and the Wings of Night« verglichen wird. Kaum hat Lor die Wettkämpfe am Sonnenhof beendet, findet sie sich als Gefangene des Auroraprinzen Nadir wieder. Schon lange versucht Prinz Nadir einen Weg zu finden, seinen Vater vom Thron zu stoßen. Er ist sicher, dass Lor der Schlüssel ist und ist bereit, alles zu tun, um sie zum Reden zu bringen. Doch ihre Geheimnisse wird Lor auf keinen Fall kampflos preisgeben! Als Lor sich gezwungen sieht, zusammen mit Nadir auf eine Suche zu begeben, die den Schlüssel zu ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft enthält, weiß Lor nur eines: Sie wird nicht noch einmal auf die Versprechungen eines Mannes hereinfallen. Die romantische, temporeiche und spicy Fantasy-Reihe der kanadischen Autorin Nisha J. Tulis bietet perfektes Lesefutter für die Fans von Sarah J. Maas, Jennifer Armentrout, Rebecca Yarros und Carissa Broadbent. »Die Artefakte von Ouranos« erscheinen in folgender Reihenfolge: - Trial of the Sun Queen - Rule of the Aurora King - Fate of the Sun King - Tale of the Heart Queen

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Seitenzahl: 660

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Nisha J. Tuli

Rule of the Aurora King

Die Artefakte von Ouranos 2

Aus dem amerikanischen Englisch von Paula Telge

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Zwar ist Lor den goldenen Fängen des Sonnenkönigs entkommen – dafür ist sie nun die Gefangene des Auroraprinzen Nadir. Und der ist bereit, alles zu tun, um sie zum Reden zu bringen. Doch ihre Geheimnisse wird Lor auf keinen Fall kampflos preisgeben! Als sie sich gezwungen sieht, sich zusammen mit Nadir auf eine Suche zu begeben, die den Schlüssel zu ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft enthält, weiß sie nur eines: Sie wird nicht noch einmal auf die Versprechungen eines Mannes hereinfallen. Während einer der mächtigsten Fae sie quer durch Ouranos jagt, schmiedet Lor Pläne, denjenen zu vernichten, der ihr alles genommen hat. Bald muss sie jedoch erkennen, dass es um weitaus mehr geht als ihr verlorenes Erbe.

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Widmung

Karte von Ouranos

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Bonuskapitel

Kapitel 28

Danksagung

Für jede Frau, der gesagt wurde, dass sie zu wild ist. Zu impulsiv. Zu viel. Ich hoffe, dass ihr immer so bleibt.

Vorwort

Willkommen zurück in der Welt von Ouranos! Ich hoffe, du freust dich darauf, wieder in Lors Geschichte einzutauchen und herauszufinden, wie es weitergeht.

Mach dich gefasst auf viel Sehnsucht und Spannungen zwischen den Figuren. Eventuell wird es auch ein oder zwei Momente geben, in denen du das Buch am liebsten an die Wand werfen willst. Es tut mir leid, aber keine Sorge, das wird es am Ende wert sein.

Es gelten so ziemlich die gleichen Triggerwarnungen wie für den ersten Band, aber wenn du sie nachschauen möchtest, findest du sie auf meiner Website unter nishajtuli.com.

Und auch an dieser Stelle noch mal: Vielen Dank!

 

Alles Liebe,

Nisha

Kapitel 1

Lor
Gegenwart: Aurora

Ich schleudere die Vase mit ganzer Kraft und verfehle den Auroraprinzen nur um ein Haar. Schützend hebt er seinen Arm, und sie zerspringt an der Wand. Porzellansplitter regnen auf ihn herab. Ich stürze mich auf einen nahe gelegenen Tisch und versuche, eine kleine Kristallschale zu erwischen, als er mich erreicht. Eine seiner großen Hände packt mein Handgelenk, die andere legt sich um meinen Hals. Er drückt mich flach gegen die Wand, fest genug, dass ich aufstöhne.

»Hör auf damit«, zischt er, sein Gesicht so nah an meinem, dass ich die Wärme seines Atems auf meinen Lippen spüre. Wir sind in meinem Schlafzimmer – nein, meinem Gefängnis – in einem Haus, irgendwo in der Mitte des Nichts im abgelegensten Teil von Aurora, umgeben von Bergen und dem endlosen Mitternachtshimmel, der mit zahllosen Sternen und den wogenden Regenbogenfarben übersät ist.

Amya und Mael haben mich vor fast fünf Wochen aus Aphelion geholt. Seitdem bin ich hier, und sie weigern sich, mich gehen zu lassen. Am Anfang war ich überzeugt, dass sie mich zurück nach Nostraza bringen würden, aber mein Schicksal scheint weiterhin andere Pläne für mich zu haben. Stattdessen haben sie mich in diesen prachtvollen Raum gesperrt und hören nicht auf, mir Fragen zu stellen. Immer wieder denke ich darüber nach, abzuhauen, aber ich wüsste nicht einmal, wo ich hingehen soll. Wir sind von nichts als einem tödlichen Wald und noch tödlicheren Bergen umgeben.

»Ich werde Euch gar nichts erzählen, bis ihr Willow und Tristan aus Nostraza rausholt und hierherbringt«, sage ich nun zum bestimmt tausendsten Mal – oder vielleicht ist es mittlerweile auch schon das millionste, keine Ahnung, ich habe schon vor einer Weile aufgehört, mitzuzählen.

»Nicht, bis du meine Fragen beantwortet hast. Ich habe Mittel und Wege, dich zum Reden zu bringen, Häftling«, sagt Nadir mit gefletschten Zähnen, seine beunruhigend dunklen und von der Aurora durchdrungenen Augen funkeln zornig. Die Farben wirbeln geradezu in seiner Iris, und der Effekt ist fast schon hypnotisch. Er kommt näher, zwischen uns steht nur noch diese unsichtbare Wand aus Wut. Meine Haut kribbelt, weil er so nah ist, das Blut rauscht durch meine Adern.

»Worauf wartest du dann?«, fauche ich. Er droht mir seit Wochen, und ich habe keine Ahnung, was ihn davon abhält, die Drohungen in die Tat umzusetzen. Also provoziere ich ihn immer weiter, will, dass er bricht, frage mich, wie weit ich gehen kann.

Ich meine, was ich gesagt habe. Er denkt, er weiß etwas, und vielleicht sind seine Vermutungen wahr, aber ich werde nichts verraten, bis ich weiß, dass meine Geschwister am Leben sind.

Aber selbst dann kann der Prinz lange darauf warten, dass ich ihm was erzähle.

Seine Kiefer spannen sich an, aber in seinen Augen erkenne ich, dass er zögert. Der Ausdruck ist so schnell wieder verschwunden, dass ich nicht weiß, ob ich ihn mir nicht nur eingebildet habe.

»Mach es«, sage ich höhnisch, und sein Griff um meinen Hals wird fester, der Druck fast gefährlich.

Ich starre ihn an, fest entschlossen, ihm niemals meine Angst zu zeigen.

Er wird mich niemals brechen.

»Zeig mir, wie du mich zum Reden bringst, oh mächtiger Prinz. Ich verspreche dir, du kannst mir nichts antun, was ich nicht schon überlebt habe.«

»Nadir, hör auf damit«, sagt Amya mit bösem Blick, als sie den Raum betritt und erkennt, wie er mich an die Wand presst. »Das kannst du nicht mit ihr machen.«

Nadir blickt seine Schwester zornig an, aber sie blinzelt nicht einmal. Mir ist schon öfter aufgefallen, dass die Stimmungsschwankungen ihres Bruders sie ziemlich kaltlassen. Ich muss sie unbedingt mal nach ein paar Tipps fragen, in Erfahrung bringen, wie sie das schafft.

Sie trägt einen langen schwarzen Rock mit einem Schlitz, durch den ihre in enges schwarzes Leder gekleideten Beine gut zu sehen sind. Ihr Oberkörper steckt in einem trägerlosen Korsett, das vorne mit violetten Fäden zugeschnürt ist. Fingerlose Spitzenhandschuhe schmücken ihre zarten Hände, und ihre schwarzen Haare mit den bunten Strähnen sind in zwei lockere Dutts auf beiden Seiten ihres Kopfes frisiert.

Sie setzt sich auf einen schwarzen Samtstuhl und schlägt die Beine übereinander. Dabei wirkt sie komplett entspannt, ungeachtet der Situation, in die sie gerade reingeplatzt hat. Nadir und ich funkeln einander an, die Atmosphäre ist aufgeladen, und unser abgehackter Atem lässt unsere Brustkörbe beben.

»Ich habe Nostraza eine Nachricht zukommen lassen«, sagt sie und lenkt damit unsere Aufmerksamkeit auf sich.

»Amya«, knurrt Nadir, und wieder läuft mir ein merkwürdiger Schauer über den Rücken.

Sie hebt eine Hand. »Keine Sorge. Ich habe nichts verraten.«

»Wenn Vater erfährt, dass sie hier ist …«

»Das wird er nicht«, unterbricht sie ihn. Ihre Augen – genau wie Nadirs haben sie die Farben der Aurora – funkeln, als ihre coole Fassade verschwindet. »Ich weiß, was auf dem Spiel steht. Behandle mich nicht wie ein Kind.«

»Hast du vor, mich loszulassen, oder soll ich weiter mit deiner Hand um meine Kehle hier stehen, während du nette Gespräche führst?«, frage ich.

Nadir sieht wieder zu mir, und ich spüre förmlich, wie er mit sich hadert. Er will ein Zeichen setzen. Er verliert langsam die Geduld, und es ist offensichtlich, dass er direkt am Abgrund steht, kurz vor dem Fall.

Nun, da kann er lange warten. Ich gebe ihm nur zu gern noch einen Schubs.

Sein Kiefer zuckt, und unsere Blicke verlieren sich ineinander. Kurz fühlt es sich so an, als würde mich etwas in meinem Inneren berühren. Das passiert immer wieder in seiner Gegenwart, auch wenn ich das natürlich niemals zugeben würde. Ich will gar nicht erst darüber nachdenken, was das bedeuten könnte. Ich weiß nicht, was es bedeutet, aber bin mir sicher, dass es nichts Gutes sein kann.

Er zögert noch einen Moment, bevor er mich loslässt. »Hör verdammt noch mal auf, mit Gegenständen um dich zu werfen«, sagt er mit tiefer Stimme, die so tödlich klingt, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft. »Sonst sperre ich dich mit meinen Haustieren in den Keller.« Das gefährliche Funkeln in seinen Augen verrät, dass seine Haustiere eher Monster sind als nur freundliche Gefährten.

Er tritt zurück und beobachtet mich wie ein ausgehungertes Raubtier, bereit, mir bei der geringsten Provokation die Kehle rauszureißen. Ich fixiere ihn bewusst, trete dann aus seinem überragenden Schatten, greife, bevor er mich stoppen kann, nach der Kristallschale und werfe sie an die Wand, wo sie mit einem lauten Knall zerschellt.

Mit einem triumphierenden Lächeln drehe ich mich zu ihm um, werfe mir eine Haarsträhne über die Schulter und blinzle unschuldig zu ihm auf. »Was hast du gerade gesagt?«

Seine Augen verdunkeln sich so sehr, dass sie komplett schwarz sind, die wogenden Lichter nichts weiter als dunkle Abgründe, in denen man sich verlieren kann. Ich spüre wieder, wie die Anziehung in mir erwacht wie ein aufgebrachter Dämon, der versucht, aus mir rauszubrechen. Warum hat seine Wut so einen starken Einfluss auf mich?

Aus dem Augenwinkel erkenne ich, wie Amya ein Lächeln unterdrückt, während ich den Prinzen verachtend anstarre. Er knurrt, kommt wieder auf mich zu und packt meine Handgelenke.

»Ich habe dich gewarnt«, sagt er, zieht mich nach vorne, sodass ich stolpere und mich mit einer Hand an seiner Brust abstützen muss, um nicht zu fallen.

»Warte! Ich will hören, was sie von Nostraza erfahren hat. Sind Tristan und Willow am Leben?«

Nadir zerrt mich herum, sodass mein Rücken an seine Brust gepresst ist, legt seinen Arm um meine Taille und hält mir den Mund zu.

»Verrate ihr nichts«, sagt Nadir zu seiner Schwester, die offensichtlich kurz davor war, genau das zu tun. »Bei Zerra, Amya. Wage es ja nicht.«

Ihr Mund schnappt wieder zu, und sie presst die Lippen aufeinander, bei dem gedämpften Klang meines Protests.

»Lass es mich ihr sagen«, bettelt sie und steigt damit ein bisschen in meiner Anerkennung.

»Nein«, knurrt er. »Ich habe sie gewarnt.«

Er hebt mich an der Hüfte hoch, und ich kämpfe gegen seinen eisernen Griff an. Er wirbelt mich herum und schleift mich zur Tür, während ich gegen ihn ankämpfe. Ich trete um mich und versuche, seine Schienbeine zu erwischen – oder wahlweise ein paar noch empfindlichere Körperteile.

Blöderweise ist er ein High Fae und daher unglaublich stark. Ich könnte also genauso gut einen Tausende Jahre alten Baum mit der Persönlichkeit eines Kaktusses bekämpfen.

Wir betreten den Flur, wo uns Mael entgegenkommt. Als er uns sieht, drückt er seinen Rücken und seine Handflächen an die Wand und lässt uns passieren. »Läuft gut, wie ich sehe.«

»Halt die Klappe«, sagt Nadir, während er mich langsam den Flur entlangschleift und dann plötzlich innehält. Ich schlage und trete immer noch um mich, als er sich umdreht und dann noch mal, als ob er sich nicht entscheiden könnte, wohin er gehen soll.

»Gibt’s ein Problem?«, fragt Mael, kommt auf uns zu und verschränkt die Arme vor seiner breiten Brust. Er trägt seine übliche leichte Lederrüstung, seine schwarzen Haare sind kurz geschnitten, und seine dunkle Haut schimmert unter den kleinen Kronleuchtern, die über die gesamte Länge des Flurs verteilt sind. Amya steht hinter ihm und versucht noch immer, ihr Grinsen zu verstecken.

»Wir haben keinen Kerker in diesem Haus«, sagt Nadir vorwurfsvoll, als ob die anderen beiden schuld daran wären. Dieses winzige Detail scheint ihm gerade erst eingefallen zu sein. So viel zu der Drohung, mich mit seinen Haustieren einzusperren.

»Weil es halt auch nicht wirklich so ein Haus ist«, erwidert Amya. »Das war so ziemlich der Punkt, als wir es gebaut haben.«

»Das war, bevor ich wusste, dass wir eine Gefangene beherbergen würden, die sich wie ein besessenes Kind aufführt«, knurrt er, und ich stoße ein schadenfrohes Lachen aus, das ihn nur noch wütender macht.

Der Prinz brüllt frustriert, tritt dann eine Tür am Ende des Flurs auf und trägt mich in ein großes Schlafzimmer. Unter einer langen Fensterfront, die den Blick auf die bunten Nordlichter freigibt, steht ein riesiges Bett.

Obwohl Aphelion sich mit seiner vergoldeten Schönheit nur als sicherer Hafen getarnt hatte, vermisse ich seinen hellblauen Himmel wie Blumen die Sonne. Diese Leinwand aus Grau, die sich vor mir erstreckt, weckt die schmerzhaften Erinnerungen an die zwölf Jahre, die ich gerade so unter diesem tristen Himmel überlebt habe.

Alles in diesem Raum ist schwarz, mit Ausnahme der gelegentlichen Farbakzente auf den Teppichen und Möbeln in Purpur, Violett und Smaragd.

Oh, und natürlich der zwei riesigen weißen Hunde, die vor dem Kamin liegen und ihre Köpfe heben, als wir eintreten. Sie beobachten uns mit ihren wachsamen Augen. Zumindest glaube ich, dass es Hunde sind. Ihrer Größe nach könnten es auch Wölfe sein, die kleine Kinder zum Frühstück fressen. Sind das die Haustiere, die er erwähnt hat? Sie sehen gar nicht so gefährlich aus. Tatsächlich sind sie ganz süß, wenn man die Tatsache außer Acht lässt, dass sie mir mit einem einzigen Bissen den Kopf abreißen könnten.

In diesem Moment hebt einer der Hunde seine Lefzen, ein tiefes Knurren entfährt seiner Kehle, und er fixiert mich mit seinen intelligenten Augen.

Okay, ich nehme alles zurück. Sie sind definitiv sehr gefährlich.

Nadir zerrt mich durch den Raum, während Amya und Mael einen vorsichtigen Blick austauschen.

»Nadir«, sagt Amya sanft.

»Nicht jetzt«, antwortet Nadir, scharf wie eine Messerspitze.

Im nächsten Moment kommen Bänder farbigen Lichts aus seinen Händen und legen sich um meine Handgelenke. Ich spüre sie nicht auf meiner Haut, aber ich kann meine Hände nicht mehr bewegen, als würde mich die Luft gefangen halten. Mael runzelt die Stirn, und es ist offensichtlich, dass er etwas dazu sagen will, als Nadir mich mit weiteren Bändern aus bunter Magie ans Bett fesselt, aber er beißt sich auf die Zunge. Wenn es nicht mein Ziel wäre, Nadir das Herz rauszureißen und es an seine Hunde zu verfüttern, dann würde ich vielleicht zugeben, dass seine Magie wunderschön ist.

Als er mit seinem Werk zufrieden ist, tritt er zurück und verschränkt seine muskulösen Arme mit einem selbstgefälligen Lächeln. Er trägt seine übliche Uniform: ein enges Hemd, das genauso schwarz ist wie seine Hose. Beides ist mit irritierender Perfektion auf seinen Körper zugeschnitten.

»Arschloch«, zische ich und zerre an meinen Fesseln. »Mach mich sofort los.«

Nadir drängt mich gegen den Bettpfosten, sodass uns nur noch ein Hauch von Spannung trennt. »Ich habe dir gesagt, dass es Konsequenzen haben würde, wenn du noch mal etwas gegen die Wand wirfst.«

Mit einem wütenden Schnauben reiße ich wieder an den Fesseln und widerstehe dem Drang, ihn anzuspucken. Ihn zu treten. Ihm eine Kopfnuss zu verpassen. Ich bin so frustriert und wütend, habe diese ganze Scheiße satt.

Niemand wird mich jemals frei sein lassen.

»Und ich habe dir gesagt, dass ich nicht kooperiere, bis du meine Freunde herbringst«, knurre ich. Ich beschütze noch immer das Geheimnis unserer Verwandtschaft, in der Hoffnung, die beiden vor dem bewahren zu können, was der Prinz wahrscheinlich will. »Du glaubst, du kannst mir Angst machen? Ich habe zwölf Jahre in eurem beschissenen Gefängnis überlebt, während du in deiner schicken Seidenbettwäsche geschlafen hast und in deinen teuren Klamotten umherstolziert bist. Diese Hunde wurden wahrscheinlich besser behandelt als ich.«

Dieses Mal spucke ich, aber irgendwie schafft er es, auszuweichen, und meine Spucke landet in einem unbefriedigenden Tropfen Nichts auf dem Boden.

»Du warst in diesem Gefängnis, weil du eine Straftat begangen hast«, sagt er.

»Ich war noch ein Kind!«, schreie ich so laut, dass meine Stimme bricht. »Ich habe nichts getan, du verdammtes Monster!«

»Du sprichst mich mit ›Eure Hoheit‹ an«, zischt er. Purpur lodert in seinen Augen.

»Du bist nicht mein Prinz«, erwidere ich und betone dabei jedes einzelne Wort mit einer hasserfüllten Intensität, die aus den Tiefen meines Inneren zu kommen scheint.

Ich werde mich nie und nimmer vor diesem pompösen Fae-Arschloch verbeugen.

»Du bist eine Bürgerin Auroras.«

»Nein, bin ich nicht, und ich würde eher sterben, als dich so zu nennen.«

Seine Nasenflügel beben, aber er antwortet nicht, sondern macht auf dem Absatz kehrt und bedeutet Amya und Mael, ihm zu folgen. An der Tür bleibt er noch mal stehen und blickt über seine Schulter. »Wenn du dich weiter so unmöglich aufführst, werden Morana und Khione nicht zögern, dich zurechtzuweisen.«

Die zwei Monster vor dem Kamin werden bei dem Klang ihrer Namen aufmerksam. Mit ihrem fluffigen Fell, das so dick und weiß aussieht wie frischer Schnee, sehen sie ziemlich unschuldig aus. Aber dann fletschen sie ihre scharfen Zähne und knurren, wie um mich daran zu erinnern, dass ich mich nicht von ihrem Äußeren täuschen lassen darf.

Amya wirft mir einen mitfühlenden Blick zu, den ich nicht erwidere. Sie hat ebenfalls in Seidenbettwäsche geschlafen und schicke Kleidung getragen, während wir in Nostraza verrottet sind. Sie mag die Nettere von den beiden sein, was auch immer das heißen mag, aber sie ist genauso wenig unschuldig an dem, was meinen Geschwistern und mir widerfahren ist, wie Nadir.

Die Tür schließt sich, und ich sehe mich im Zimmer um. Mein Blick wandert zu den Hunden, die ihre Köpfe wieder auf ihren Pfoten abgelegt haben, aber ich bin mir sicher, dass sie sich jeder meiner Bewegungen bewusst sind. Nadirs schwarze Jacke hängt über einem Stuhl an dem Tisch in der Ecke, und an der mir gegenüberliegenden Wand reihen sich mehrere Regale auf, die vollgestopft sind mit Büchern.

Von der anderen Seite der Tür höre ich die gedämpften Stimmen von Mael, Amya und Nadir, die über irgendwas diskutieren. Wahrscheinlich über mich.

Nadir hat mich seit meinem ersten Tag hier befragt. Jedes Mal will er wissen, wer ich bin und was Atlas von mir wollte. Aber ich habe ihm nichts verraten. Ich weiß nicht, was er vermutet und wie nah er damit der Wahrheit kommt, aber ich mache es ihm nicht leicht. Atlas wollte mich wegen der Macht haben, über die ich womöglich verfüge, und ich gehe davon aus, dass der dunkle Prinz das Gleiche will.

Zu erschöpft, um weiter zu stehen, sinke ich auf den Boden. Die magischen Fesseln passen sich gerade so an, dass ich es mir wenigstens ein bisschen bequem machen kann.

Ich muss irgendwie hier rauskommen. Nicht nur aus diesem Zimmer, sondern aus diesem Haus. Das Problem ist, dass ich keine Ahnung habe, wo ich hinsoll. Ich habe kein Zuhause und kein Geld. Und ich kann nicht einfach in Nostraza reinrauschen und Willow und Tristan dort rausholen. Ich weiß nicht mal, ob sie noch am Leben sind.

Der Sonnenspiegel hat mir gesagt, dass ich die Herzkrone suchen muss, aber ich weiß überhaupt nicht, wo ich anfangen soll. Wo könnte sie nur sein?

Schließlich öffnet sich die Tür, und Nadir kommt herein. Er wirft mir einen düsteren Blick zu, bevor er sie hinter sich zuschlägt. Amya und Mael sind nicht mehr bei ihm, und ein Hauch von Angst macht sich in mir breit. Plötzlich bin ich mir sehr bewusst, dass ich keine Ahnung habe, zu was dieser wilde Fae-Prinz fähig ist. Wie viel Angst sollte ich haben? Wird er mich zu den gleichen Sachen zwingen wie die Wachen in Nostraza?

Mein Herz schlägt schneller, und meine Handflächen werden feucht. Eher sterbe ich, als das noch mal zu durchleben.

Bisher hat mich hier niemand körperlich verletzt. Doch mir ist klar, dass ich mich mit meiner aufmüpfigen Art auf dünnem Eis bewege. Aber warum sollte ich kooperieren? Ich habe fast nichts zu verlieren. Wenn er vorhat, mich wie Atlas zu benutzen, dann habe ich sowieso schon verloren. Die einzige Macht, über die ich verfüge, sind die Geheimnisse, die ich verberge, und die Möglichkeit, sie für Tristans und Willows Freiheit einzutauschen.

Obwohl er mich noch nicht verletzt hat, ist es offensichtlich, dass der Prinz tödlich ist und jeden im Handumdrehen umbringen könnte. Er ist wie eine giftige Schlange, jederzeit bereit, anzugreifen. Er strahlt eine bedrohliche Macht und eine unmissverständliche Dunkelheit aus. Wieder vibriert dieses bestimmte Gefühl in mir, und ich atme tief ein, versuche, es zu unterdrücken.

Nadir geht zum Kamin hinüber und neben seinen Hunden in die Hocke, um ihr Fell zu streicheln. Die beiden drehen sich auf den Rücken und genießen ganz offensichtlich seine Aufmerksamkeit. Ich erkenne sofort, wie sehr sie ihm am Herzen liegen, und dieses Bild steht so im Widerspruch zu seinem sonstigen Verhalten, dass ich mich ein bisschen entspanne. Als er fertig ist, richtet er sich wieder auf, würdigt mich aber keines Blickes, bevor er im Badezimmer verschwindet. Kurze Zeit später höre ich laufendes Wasser und schnaube, puste eine verlorene Strähne aus meinen Augen.

Es liegt eine Kälte in der Luft, die Kälte, die Aurora so eigen ist. Ich erinnere mich gut daran, alles hier ist kalt. Die Luft und der Himmel, selbst ihr verdammter Prinz. Ich trage ein Paar weiche Leggings, dicke Socken und einen schwarzen Pullover. Zum Glück sind sie warm und gemütlich.

Die Tür öffnet sich wieder, und ich schnappe nach Luft, als ich Nadir sehe. Sein Oberkörper ist nackt, und es ist geradezu unmöglich, nicht von seinem starken, muskulösen Körper fasziniert zu sein. Die Art, wie die Muskeln sich unter seiner strahlenden braunen Haut wölben, als er zu seinem Schreibtisch geht und einen Stapel Papiere durchstöbert. Er guckt mich immer noch nicht an.

Ich erkenne einige bunte, verschlungene Symbole auf seiner Haut, die sich über seine Brust bis zu seinen Schulterblättern ziehen. Er trägt eine weiche, schwarze Hose, die so tief sitzt, dass es fast skandalös ist. Was soll der Scheiß? Ist das hier ein Spiel für ihn?

Er sieht auf, unsere Blicke treffen sich, und ich schaue schnell weg. Wie peinlich, dass er mich beim Starren erwischt hat. Ich höre, wie er spöttisch lacht, als er das Licht auf seinem Schreibtisch ausschaltet. Der Raum ist fast dunkel, nur die Lichter der Aurora scheinen durch das Fenster.

»Was machst du?«, frage ich und starre ihn durch das dämmerige Licht an. Ich werde wieder nervös, weil ich nicht weiß, was er mit mir vorhat, ganz allein und an sein Bett gefesselt. Meine Brust wird eng.

Die Farben der Borealis reflektieren auf seiner Haut, auf seinen hohen Wangenknochen und seinem starken Kiefer. Er läuft über die dicken Teppiche, die den schwarzen Marmor bedecken. Es hat etwas merkwürdig Intimes, seine nackten Füße zu sehen.

»Schlafen gehen, Häftling. Es wird spät.«

»Was ist mit mir?« Ich zerre an den magischen Fesseln, die mich an das Bett binden.

»Was soll mit dir sein?«

»Du kannst mich nicht einfach die ganze Nacht so gefesselt lassen.«

»Doch. Kann ich. Was willst du dagegen machen?«

Ich bin definitiv nicht überrascht von seiner Antwort. Ich habe ihn vorhin provoziert, und jetzt ist es Zeit für seine Revanche.

»Ich hasse dich«, sage ich und senke meine Stimme zu einem bedrohlichen Flüstern.

»Das hast du bereits gesagt. Viele, viele Male. Wie du siehst, kann ich sehr gut damit leben. Ich werde schlafen wie ein Baby, in dem Wissen, wie sehr du mich verabscheust.«

Er wirft die Decke zurück und sieht auf mich herab, grinst mich an. Dann schlüpft er ins Bett, zieht die Decke über sich und stöhnt genüsslich. Vermutlich will er mir noch mal unter die Nase reiben, wie bequem er es hat, im Gegensatz zu mir. Es funktioniert. Ich rutsche auf dem harten Boden rum, mein Hintern ist schon taub, und meine Arme schmerzen, weil ich sie kaum bewegen kann. Doch er scheint tatsächlich einfach schlafen zu wollen, statt sich auf irgendeine verdorbene Art zu rächen.

Er pfeift leise, und seine Hunde stehen auf. Sie strecken sich vor dem Feuer, die feinen Haare ihres Fells leuchten orange. Zuerst denke ich, dass sie auf mich zusteuern, aber dann laufen sie an mir vorbei, springen auf das Bett und lassen sich mit einem leisen Ächzen neben ihr Herrchen fallen.

Natürlich, selbst die Hunde werden besser behandelt als ich. Das hätte ich mir denken können.

Obwohl ich Nadir nicht mehr sehen kann, nur seinen Umriss unter der Decke, werfe ich ihm meinen vernichtendsten Blick zu und versuche, ihn damit zu verbrennen. Als hätte er meine Gedanken gelesen, stößt er einen weiteren übertriebenen Seufzer aus.

Wer hätte gedacht, dass ein unsterblicher Prinz so verdammt gehässig sein kann?

»Süße Träume, Häftling«, sagt er, und seine Stimme klingt eindeutig amüsiert.

Ich verkneife mir das Schnauben, das mir auf der Zunge liegt, denn ich weigere mich, ihm auch nur einen Funken Genugtuung zu geben. Stattdessen starre ich in die Dunkelheit und schwöre mir, ihn zu töten.

Langsam und schmerzhaft.

Bleibt nur die Frage, ob ich zuerst den Prinzen oder seinen Vater töte.

Kapitel 2

Ich döse immer nur kurz ein, aber sobald mein Kopf nach vorne fällt, schrecke ich wieder hoch. Nicht schlafen zu können, weil es zu unbequem ist, erinnert mich an die Tage, die ich im Schlund verbracht habe, bevor Gabriel mich geholt hat. Ich frage mich, was mein ehemaliger Wächter wohl gerade macht. Ob er weiß, wo ich bin, oder ob es ihn überhaupt interessiert. Er ist wahrscheinlich froh, mich los zu sein, nach all den Problemen, die ich ihm eingebrockt habe.

Die ganze Nacht über lausche ich dem Schnarchen der Hunde und dem leisen Atmen des Prinzen. Ich zerre an meinen Fesseln, wünschte, ich könnte auf das Bett klettern und ihm Schmerzen zufügen, aber er schläft entspannt weiter, völlig unbekümmert, wie es mir geht. Vielleicht sollte ich anfangen, zu schreien, nur um seinen Schönheitsschlaf zu unterbrechen. Aber das wäre die Konsequenzen nicht wert. Wer weiß, was er dann mit mir macht.

Irgendwann färbt der Himmel sich von Tintenschwarz zu einem trüben Grau, und ich runzle mürrisch die Stirn. Mir fehlt das Sonnenlicht, die Wärme, die es ausstrahlt, und der hellblaue Himmel. Wenn die Lichter der Aurora tagsüber verschwinden, hinterlassen sie eine deprimierende Leere. Wieder einmal frage ich mich, wer sich freiwillig dafür entscheiden würde, hier zu leben.

Ich muss an die Strände in Aphelion denken, die Hitze des Sandes und das Krachen der Wellen. Auch wenn vieles an dem goldenen Palast am Meer fragwürdig war, lechze ich immer noch nach dem Gefühl von Sonnenschein auf meiner Haut.

Ein sanftes Klopfen ertönt, bevor die Tür leise aufschwingt. Eine Frau in einer schlichten Tunika und Leggings kommt mit einem Tablett in den Händen herein. Sie gehört zur Dienerschaft des Anwesens. Ich erkenne sie wieder, weil sie auch mir immer das Essen bringt. Mein Magen knurrt vor Hunger, als sie mir einen flüchtigen Blick zuwirft.

Sie vermeidet es, mich direkt anzusehen, während sie das Tablett auf dem schwarzen Holztisch unter dem Fenster abstellt und dort einen Teller mit Brot, Bacon, Obst und Eiern sowie Tassen, Besteck und strahlend weiße Servietten für Nadir auf dem Tisch herrichtet. Zuletzt folgt noch eine Karaffe mit Kaffee, dessen Duft sich im ganzen Raum verteilt.

Wie auch in Aphelion sind die Bediensteten hier alle sterblich. Fae fühlen sich wahrscheinlich zu wichtig, um sich ihre Hände bei so niederen Aufgaben wie Kochen und Putzen schmutzig zu machen.

Als sie ihr Werk vollendet hat, verlässt sie den Raum und kehrt einen Moment später mit zwei großen silbernen Näpfen zurück, die sie neben der Tür auf den Boden stellt. Morana und Khione springen beide vom Bett, tapsen zu ihrem Essen und verschlingen es sofort.

Ich höre das Rascheln der Bettdecke und sehe, wie Nadir sich aufsetzt. Sein langes Haar vom Schlaf wunderbar zerzaust. Gestern Abend habe ich versucht, meine Reaktion auf seinen nackten, tätowierten Oberkörper und seine schimmernde braune Haut zu unterdrücken, aber seine ganze Erscheinung erfüllt den Raum mit einer kaum zu bändigenden Energie. Er ignoriert mich, als er aus dem Bett klettert und zu seinem Frühstück rübergeht.

»Vielen Dank, Bea«, sagt er in einem Ton, der deutlich freundlicher ist als der, den er sich üblicherweise für mich aufspart.

Sie nickt. »Lasst es Euch schmecken.« Mit verschränkten Händen wirft sie mir noch einen verstohlenen Blick zu und eilt dann aus dem Zimmer.

Ich sehe ihr hinterher, würde sie am liebsten zurückrufen. Ich will nicht mit dem Prinzen allein sein. Diese gezwungene Nähe, mit nichts und niemandem als Puffer zwischen uns, verunsichert mich auf eine Weise, die ich nicht genauer hinterfragen möchte.

Jetzt, wo er wach ist, spüre ich wieder diese Präsenz unter meiner Haut, die meine Nerven flattern lässt. Während er geschlafen hat, hatte ich eine Atempause, aber so wie er mich jetzt anstarrt, erwacht es wieder zum Leben wie eine Blase, die uns umgibt. Ich blinzle, wünschte, sie würde verschwinden.

Das hat nichts zu bedeuten.

Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück, und seine Bauchmuskeln spannen sich an, während ich mit aller Kraft versuche, nicht die Spur dunkler Haare zu bemerken, die in seinem niedrigen Hosenbund verschwindet. Er legt seine Füße auf einen anderen Stuhl und fixiert mich mit seinem verunsichernden Blick, während er die Tasse an seine Lippen hebt und geräuschvoll einen Schluck trinkt.

Ich lecke unfreiwillig über meine Lippen, beobachte seine Bewegungen und kann praktisch den aromatischen Kaffee auf meiner Zunge schmecken.

»Hungrig, Häftling?«

Meine Nasenflügel beben, und ich werfe ihm einen finsteren Blick zu. »Nein.«

Er grinst, während er ein dreieckiges Brot nimmt und reinbeißt. Ich habe mich die letzten Wochen einigermaßen an das Essen in Aurora gewöhnt, aber vieles ist immer noch neu. Während meiner Zeit in Aphelion habe ich zwar einiges kennengelernt, aber hier in Aurora werde ich mal wieder mit einem weiteren Manko meiner Kindheit konfrontiert. Die Aromen unterschiedlicher Gewürze, die ich nicht erkenne, vermischen sich in der Luft.

Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.

»Okay, dann werde ich nicht mit dir teilen.«

»Als hättest du das gemacht«, erwidere ich, und er grinst wieder. Dann beißt er noch mal ab, kaut langsam und stöhnt genüsslich, als wäre es das Beste, was er je gegessen hat. »Was hast du jetzt mit mir vor? Lässt du mich hier angebunden wie ein Haustier verrotten?«

Wie auf Kommando höre ich das sanfte Klicken von Krallen auf dem Marmor. Die beiden haben gefressen und tapsen jetzt schwanzwedelnd zu ihrem Herrchen. Er krault beide hinter den Ohren, und sein Blick wird sanft. Kann es etwa sein, dass sich irgendwo in der muskulösen Brust des Prinzen ein Herz verbirgt?

»Ach, entschuldige bitte. Natürlich haben selbst deine Hunde die Freiheit, herumzulaufen«, sage ich bitter.

Er wirft mir einen herablassenden, amüsierten Blick zu. »Wenn du dich so gut benimmst wie die beiden, Häftling, dann überlege ich mir, ob ich dich genauso behandle.«

»Mein Name ist Lor, du Arschloch«, spucke ich aus. »Wenn du willst, dass ich mich wie ein Mensch verhalte, dann hör auf, mich so zu nennen.«

Nadir nimmt seine Füße von dem Stuhl und lehnt sich vor, seine Ellbogen auf die Knie gestützt. Seine Hunde drehen sich um und schauen mich an, ihre Lefzen zucken. Irgendwas sagt mir, dass sie mir nur zu gern die Milz rausreißen würden, sobald der Prinz nur mit dem Finger schnippt.

»Aber ich mag doch den Klang von Häftling so gern. Ich glaube also nicht, dass ich daran etwas ändern werde. Und ich will nicht, dass du dich wie ein Mensch verhältst.«

Wir starren uns gegenseitig an, seine Worte hängen zwischen uns in der Luft wie ein tödlicher Schwur. Er gibt nicht auf, versucht, mich dazu zu bringen, meine Geheimnisse zu enthüllen. Aber ich weigere mich, bis ich bekomme, was ich will. Ich werde nicht die Erste sein, die blinzelt.

Ich stürze mich auf ihn und fletsche meine Zähne. Der Effekt ist natürlich wenig beeindruckend, weil ich mich wegen der Fesseln kaum bewegen kann. Seine Hunde werden wachsam, sie spüren, dass ihr Herrchen bedroht wird. Doch er macht ein besänftigendes Geräusch, und sie beruhigen sich wieder.

Dann lacht er und schüttelt den Kopf. »Atlas dachte wirklich, er könnte dich zu seiner Gefährtin machen. Du hättest ihn zerfetzt.«

»Zumindest hat Atlas mich nicht an sein beschissenes Bett gebunden.«

Nadir hebt eine dunkle Augenbraue. »Nein, er hat dich nur in seinen Kerker geworfen.«

Ich presse die Lippen zusammen. Ich hasse es, dass er recht hat. Warum verteidige ich Atlas? Ich hasse sie beide. Sie sind beide abscheuliche, egoistische Monster.

»Und ich würde noch immer gern wissen, warum er das getan hat. Was hat der Spiegel dir gesagt?«

»Der Spiegel hat mich zurückgewiesen«, beteuere ich wieder, was größtenteils wahr ist.

»Du lügst.«

»Tue ich nicht. Er hat mir gesagt, dass ich nicht dazu bestimmt bin, die Königin Aphelions zu sein«, sage ich vorsichtig, versuche, meine Aussage um die Wahrheit zu spinnen. Genau das hat der Spiegel mir gesagt, aber Nadir wird mich foltern müssen, bevor ich ihm die weitaus spannenderen Details verrate.

Wieder ziehe ich vergeblich an den Fesseln. Ich muss hier raus. Ich muss Tristan und Willow finden und sie weg von hier bringen, bevor wir endlich das Vermächtnis unserer Familie antreten können.

Nadir starrt mich an, versucht, die Lüge in meinen Worten zu finden.

»Hast du was von Nostraza gehört?«, frage ich.

Er blinzelt. »Was?«

»Deine Schwester hat gestern eine Nachricht dorthin geschickt. Hat sie schon eine Antwort bekommen?«

»Ich war seit gestern Abend mit dir in diesem Raum, Häftling. Ich habe keine Ahnung.«

Ich widerstehe dem Drang, ihn anzuknurren, weil er in diesem Ton mit mir spricht und weil er so tut, als wäre die Antwort völlig belanglos. Tristan und Willow könnten tot sein, und das ist ihm offensichtlich völlig egal. Sie könnten gestorben sein, während ich weg war, um die zukünftige Königin Aphelions zu spielen. Aber mir ist klar, dass mein Verhalten mich nicht weiterbringt. Nadir verfügt über das unheimliche Talent, mir unter die Haut zu gehen, aber ich darf ihn nicht so an mich ranlassen.

»Können wir sie fragen?«, bitte ich und versuche, einen etwas freundlicheren Ton anzuschlagen, auch wenn ich innerlich schreie. Ich hasse es, mich diesem Arschloch zu unterwerfen.

»Wenn ich fertig gegessen habe«, sagt er, wendet sich wieder seinem Teller zu und ignoriert mich demonstrativ. Er weiß, wie wichtig mir das ist. Ich habe keinen Hehl daraus gemacht.

»In Ordnung.« Ich setze mich hin, lehne mich an das Bett und warte, bis er aufgegessen hat. Die Stille im Raum wird nur unterbrochen von dem Klirren seiner Tasse und dem Schaben seiner Gabel auf dem Porzellan. Die Hunde legen sich hin, ihre Köpfe auf den Pfoten, während sie mich beobachten. Wahrscheinlich warten sie darauf, dass ich eine plötzliche Bewegung mache. Entspannt und dennoch immer wachsam. Ich sollte lieber nicht vergessen, dass Nadir nicht das einzige Tier im Raum ist.

Er isst langsam, lässt sich Zeit, und ich weiß, dass er das mit Absicht macht, um mich zu provozieren. Nichts an diesem Prinzen ist langsam, außer es dient seinen Zwecken. Ich hole tief Luft und versuche, meinen Zorn und meinen Herzschlag zu beruhigen.

Dass ich nicht dazu in der Lage bin, meine Wut zu zügeln, ist eine meiner größten Schwächen. Ich muss lernen, mich zu kontrollieren. Sobald ich von meinen Geschwistern gehört habe, habe ich mehr Spielraum, aber jetzt muss ich erst mal so tun, als wäre ich bereit, zu kooperieren.

Als Nadir endlich fertig gegessen hat, ignoriert er mich weiterhin und geht ins Badezimmer. Das erinnert mich an den unangenehmen Druck auf meiner Blase. Die Dusche geht an, und ich beiße die Zähne zusammen. Wie lange wird er da drin brauchen?

Ich werde unruhig, bin mir nicht sicher, wie lange ich dem Druck noch standhalten kann, wenn ich hier noch viel länger sitzen muss. Vielleicht sollte ich aufhören, dagegen anzukämpfen, und einfach auf den teuer aussehenden Teppich pinkeln. Dann werden wir sehen, wer hier das Tier ist. Aber ich verwerfe die Idee, selbst ich bin nicht so verrückt. Also versuche ich, an etwas anderes zu denken, während ich warte.

Endlich wird das Wasser abgestellt, und ich höre Bewegungen auf der anderen Seite der Tür.

»Hey!«, rufe ich in den leeren Raum, in der Hoffnung, dass er mich nicht ignoriert.

Ich habe keine Ahnung, wie ich ihn nennen soll. Ich habe die Frage seit Wochen vermieden, indem ich ihn nie direkt angesprochen habe, aber jetzt habe ich keine andere Wahl. Eure Hoheit klingt lächerlich. Er ist nicht mein Prinz und wird es auch niemals sein. Und ich habe es ernst gemeint, als ich gesagt habe, dass ich ihn nie so nennen werde. Aber ihn Nadir zu nennen, fühlt sich zu intim an – wir sind mit Sicherheit keine Freunde oder Verbündete. Er hat mich immer nur Häftling genannt, vielleicht finde ich etwas, das genauso erniedrigend ist.

»Hey! Ich muss mal!«

Wenige Sekunden später öffnet sich die Tür. Der Prinz ist jetzt zur Hälfte angezogen, trägt eine schmal geschnittene schwarze Hose, die seine Oberschenkel und Hüften betont. Das frische schwarze Hemd, das noch offen ist, rahmt die bunten Tattoos auf seiner Brust ein. Seine Mundwinkel heben sich zu einem verschmitzten Grinsen, und seine Augen funkeln vergnügt. »Was hast du gerade gesagt, Häftling?«

»Ich muss mal.«

Er verschränkt seine muskulösen Arme vor der Brust und lehnt sich gegen den Türrahmen. »Was meinst du?«

»Lass mich deine Toilette benutzen, oder ich pinkle auf deinen verdammten Boden, Arschloch.«

Arschloch. Ja, das passt, wenn ich so darüber nachdenke. Er schüttelt den Kopf und wischt sich mit der Hand über das Gesicht, bevor er rüberkommt und vor mir stehen bleibt. Ich sehe zu ihm auf und versuche, ihm einen möglichst eisigen Blick zuzuwerfen.

»Ich mache dich los. Bring mich nicht dazu, es zu bereuen.«

»Was sollte ich schon machen? Ich bin nur ein armer, hilfloser Häftling«, sage ich und klimpere dabei mit den Wimpern.

Er verdreht die Augen und löst die magischen Fesseln um meine Handgelenke. Sicherlich könnte er auch seine Magie dafür nutzen, aber während er sie losmacht, streifen seine Finger meine, und das Ziehen in meinen Venen nimmt zu, als würde mein Blut verzweifelt versuchen, ihm näher zu kommen.

Ich ziehe meine Hände weg, um das Gefühl zu vertreiben, auch wenn es komplett unwillkürlich ist. Ich hasse es, dass ich in seiner Nähe etwas anderes als reine, ungefilterte Abscheu für ihn empfinde. Als die Fesseln gelöst sind, reibe ich meine Handgelenke und stöhne, als ich aufstehe. Mein Körper ist von der langen Nacht komplett steif.

»Bastard«, murmle ich, während ich meine Beine ausschüttle und dann Richtung Badezimmer stürme. Sein dunkles Lachen folgt mir.

Sein Badezimmer ist wunderschön, auch wenn es kleiner ist als erwartet. Alles, was ich bisher in diesem Haus gesehen habe, wirkt teuer und hochwertig, aber es ist nicht der Bergfried. Vermutlich halten sie mich hier mitten im Nirgendwo fest, damit der Aurorakönig nichts davon erfährt.

Vielleicht wegen dem, was sie vermuten. Dass ich in den falschen Händen für sehr viel Verwüstung sorgen könnte. Nun, sie haben recht. Sobald ich einen Weg hier rausfinde und die Krone in den Händen halte, werde ich mir alles zurückholen, was rechtmäßig mir gehört.

Was ich nicht verstehe, ist, warum sie mich vor ihrem herzallerliebsten Vater verstecken.

Nachdem ich auf Toilette war und meine Hände gewaschen habe, betrachte ich mein Spiegelbild. Das Medaillon aus Aphelion hängt noch immer um meinen Hals, und ich umfasse es mit meiner Hand, spüre die Kraft des kleinen abgesplitterten Juwels darin.

Ich habe in den letzten Monaten zugenommen – mein Gesicht ist nicht mehr so abgemagert und eingefallen, meine Augen wirken weniger gequält. Meine Wangen sind runder, genau wie mein Po, meine Hüften und Brüste. Ich sehe aus wie eine Frau und nicht mehr wie das schwache Mädchen, das sie aus Nostraza geholt haben. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mehr sein würde als nur Haut und Knochen.

Ein Teil von mir kann gar nicht glauben, dass ich das Gefängnis überhaupt wieder von außen gesehen habe.

Ich nutze mein Spiegelbild, um mich zu erden. Ich ergründe die Tiefe meiner Seele, suche nach der Magie, die dort vergraben ist. Es fühlt sich an wie ein Puzzle, bei dem jemand versucht, einen eckigen Klotz in ein rundes Loch zu stecken, wo er stecken bleibt.

Meine Augen fallen zu, als ich daran ziehe und versuche, die zwei Teile voneinander zu trennen, aber sie bewegen sich keinen Millimeter. Ich stöhne frustriert. Vor all den Jahren war ich gezwungen, die Kraft wegzusperren, und jetzt scheine ich nicht in der Lage zu sein, sie wieder rauszulassen. Ich versuche es seit Wochen, seitdem Amya und Mael mich aus Aphelion »befreit« haben und ich beschlossen habe, dass es an der Zeit ist, sie wieder freizusetzen. Sie wird meine einzige Verteidigung sein, wenn jemand von meinem Geheimnis erfährt.

Ich höre Stimmen auf der anderen Seite der Tür, gefolgt von einem Klopfen.

»Hast du dir da drin den Kopf angehauen, Häftling?«, fragt Nadir in seinem herablassenden Ton. »Bitte sag mir, dass ich dich nicht ohnmächtig, mit heruntergelassener Hose auf dem Boden finden werde. Wie peinlich das für dich wäre.«

»Arschloch«, murmle ich und höre sein Lachen, aber es hat nichts Warmes an sich.

Ich öffne die Tür, und Nadir steht direkt davor. Er lehnt an der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt, sein Hemd mittlerweile zugeknöpft und in die Hose gesteckt.

Unsere Blicke treffen sich, und ich spüre wieder diese magischen Funken unter meiner Haut, meine Nasenflügel beben, als ich versuche, sie zu unterdrücken. Ich kann machen, was ich will, aber ich habe keine Kontrolle über sie.

Dann erst fällt mir auf, dass Amya und Mael auch im Raum sind und uns beide neugierig beobachten.

Ich reiße meinen Blick von Nadir los und gehe rüber zu dem schwarzen Samtsofa, auf dem Amya sitzt. »Hast du was von Nostraza gehört?«

Ihr Blick wird weich bei meiner Frage, und sie schüttelt den Kopf. »Noch nicht. Aber ich verspreche dir, dass du es sofort erfährst, wenn ich eine Antwort bekomme.«

Ich starre sie an. Ich kann mir keinen Reim auf diese Prinzessin machen. Ich habe klargemacht, dass ich ihnen nichts verraten werde, bis ich etwas von meinen Geschwistern gehört habe, und das ist der einzige Grund, warum Nadir sich überhaupt für das Thema interessiert.

Ich wende mich wieder dem Prinzen zu und sehe ihn kalt an. »Kann ich jetzt wieder in mein eigenes Zimmer gehen? Oder willst du mich weiterhin hier an den Fuß deines Bettes fesseln und schlechter behandeln als deine geliebten Hunde?«

»Vielleicht, wenn du weniger ungezähmt bist«, scherzt Mael, und ich werfe ihm einen finsteren Blick zu. Er grinst, ein Grübchen erscheint auf seiner Wange, und ich bekomme das Gefühl, dass dieser High-Fae-Kommandant selbst den Herrn der Unterwelt höchstpersönlich um den Finger wickeln könnte, wenn er nur wollte.

»Du darfst zurück auf dein Zimmer«, sagt Nadir. »Aber wenn du dich wieder so aufführst, wird deine Strafe deutlich schlimmer sein als letzte Nacht. Das war nichts im Vergleich zu dem, was ich dir antun könnte und würde.«

Ich sehe, wie Amya den Mund öffnet, aber Nadir wirft ihr einen scharfen Blick zu, und sie bleibt stumm.

Mit einem aufgesetzten Knicks schenke ich ihm ein entwaffnendes Lächeln. »Natürlich, Eure Hoheit.«Na bitte, mit genug Sarkasmus ist es gar nicht so schrecklich, ihn so zu nennen.

Wir tauschen noch einen wütenden Blick aus, bevor ich auf dem Absatz kehrtmache und gehe.

Kapitel 3

Nadir

Erhobenen Hauptes marschiert sie aus dem Zimmer. Sie strahlt eine Würde aus, die nicht vermuten lässt, dass ich sie die ganze Nacht am Fußende meines Bettes habe schlafen lassen. Ich tue mein Bestes, um nicht ihren Hintern in der engen Leggings anzustarren, aber es nützt nichts, mein Blick klebt an ihr. Als sie die Tür zuschlägt, tut sie das mit solcher Wucht, dass die Bilder an der Wand wackeln.

Nachdem sie weg ist, stoße ich einen tiefen Seufzer aus, rolle die Schultern und versuche, meine Gedanken wieder zu ordnen. Warum kann ich nicht denken, wenn sie in meiner Nähe ist? Alles in meinem Kopf, in meinem Magen und, verdammt noch mal, in meiner Hose gerät durcheinander. Mein ganzer Körper kann nicht anders, als ihr seine absolute Aufmerksamkeit zu schenken. Es ist unerträglich.

Und es macht süchtig. Die Art, wie sie mich hasst. Dieses Feuer, das in ihr brennt und so heiß glüht, dass es wehtut, wenn sie mich ansieht. Als stünde sie immer kurz davor, auszubrechen und mein ganzes Leben in Stücke zu reißen. Nicht, dass ich mich jemals zu reservierten oder fügsamen Frauen hingezogen gefühlt hätte, aber sie ist nicht nur wild, sie ist völlig ungebändigt, und ich kann nicht aufhören, an sie zu denken.

Maels dunkles Kichern erregt meine Aufmerksamkeit und reißt mich aus den Fängen meiner Gedanken. Ich drehe mich um, die Zähne bereits gefletscht. Bei allen Göttern, ich bin in letzter Zeit ständig kurz davor, die Beherrschung zu verlieren.

»Was ist los mit dir, Mann?«, fragt er und lehnt sich mit verschränkten Armen gegen meinen Schreibtisch. »Du bist ein völliges Wrack.«

Er tauscht einen wissenden Blick mit Amya aus, die mich ihrerseits besorgt mustert. Sie macht sich ständig Sorgen, aber das muss sie nicht. Ich kann auf mich selbst aufpassen.

»Er hat nicht unrecht. Du scheinst in letzter Zeit nicht du selbst zu sein.«

»Mir geht’s gut. Ich brauche nur einen Drink.« Sie haben beide recht. Ich bin ein Wrack, und das alles wegen der Frau, die gerade den Raum verlassen hat. Die Gefangene von Nostraza, die mir eigentlich nichts bedeuten sollte, die sich aber in meinem Kopf eingenistet hat und mich nicht mehr loslässt.

»Es ist neun Uhr morgens«, sagt Mael.

»Na und?« Ich reiße die Glastür meines Schranks auf, in dem sich eine große Auswahl an Spirituosen befindet. Ich wähle einen dunkelgrünen Elfenwein, der sich in meinen Augen gut als Frühstückslikör machen könnte. Er ist nicht zu stark, aber stark genug, um meine strapazierten Nerven zu beruhigen.

Ich schenke eine großzügige Menge ein und starre dann auf das Glas, während meine Gedanken zu ihr zurückkehren.

»Ich bin zum Bergfried gegangen«, sagt Amya und unterbricht damit meine Gedanken, die sich wieder einmal im Kreis drehen.

»Und?«

Sie zuckt mit den Schultern. »Vater scheint vor allem mit sich selbst beschäftigt zu sein. Als ich bei ihm war, hat er nicht viel gesagt.« Sie stützt die Ellbogen auf die Knie und grinst, in ihren Augen der verschmitzte Blick, den ich so gut kenne. »Er ist wirklich nicht glücklich darüber, dass wegen dir ganz Aurora aus Aphelion verbannt wurde.«

Ich schnaube, nehme einen Schluck von meinem Drink und genieße das scharfe Brennen in meiner Kehle.

»Tut mir leid. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich es ihm erzählt habe.«

Ich schüttle den Kopf. Es macht mir definitiv nichts aus. Ein Gespräch weniger mit meinem Vater.

»Ich habe uns allen einen Gefallen getan. Keine Partys von Atlas mehr, die wir ertragen müssen«, sage ich und lasse mich neben meiner Schwester auf das Sofa fallen, wobei das Eis in meinem Glas klirrt. »Was glaubt er denn, wo ich bin?«

»Ich habe ihm gesagt, dass du und D’Arcy euch auf dem Ball so gut verstanden habt, dass du sie für ein paar Tage besuchst.«

Ich ziehe eine Augenbraue hoch und frage mich, ob das wirklich die beste Lüge war, die sie sich einfallen lassen konnte. »Und das hat er dir abgekauft?«

Die eiskalte Sternenkönigin von Celestria ist nicht gerade mein Typ. Nicht nur, weil sie jeden hasst, sondern auch, weil sie bereits sieben Gefährten und Gefährtinnen hatte, die alle unter »mysteriösen« Umständen gestorben sind.

Nein, danke. Mein Kopf soll bleiben, wo er ist.

Amya zuckt mit den Schultern. »Wie ich schon sagte, irgendwas hat ihn abgelenkt.«

»Wie geht’s Mutter?«, frage ich mit einem schlechten Gewissen. Ich bin schon viel zu lange von zu Hause weg.

Amya zuckt mit den Schultern. »Es geht ihr gut.« Ihr Blick schweift ab, und ihre Schultern sinken, aber ich bohre nicht weiter nach.

»Hat Vater nach dem Mädchen gefragt?«, erkundige ich mich stattdessen.

Sie nickt. »Das hat er, und ich habe gesagt, dass du weiterhin auf der Suche und auch deshalb noch unterwegs bist.«

»Er ahnt also nicht, dass wir sie haben?«

Obwohl wir am äußersten Rand von Aurora in dem Anwesen sind, das Amya und ich gebaut haben, um dem Bergfried zu entkommen, reicht der Einfluss des Königs in alle Teile des Reiches. Magie schützt das Grundstück vor allen außer uns, aber ich kann nicht anders, als mit einem offenen Auge zu schlafen. Irgendwie findet unser Vater immer einen Weg, alles zu ruinieren.

»Ich glaube nicht, aber ich bin mir nicht sicher, wie lange wir sie noch hierbehalten sollten, Nadir. Ich weiß, du denkst, dass mehr in ihr steckt, aber ich muss dir widersprechen. Sie scheint vollkommen sterblich zu sein und nicht einen Funken Magie zu haben.«

Ich sehe Mael an. »Was hast du noch aus dem Reich von Herz gehört?«

»Etienne hat sich gestern Abend gemeldet«, sagt Mael, und sein Mund verzieht sich. »Er hat sich in seiner üblichen Siedlung versteckt. Ich habe alle anderen abgezogen, um keinen Verdacht zu erregen. Die Männer deines Vaters waren noch mehrere Male dort.«

»Suchen sie immer noch nach etwas?«

Maels Brauen ziehen sich zusammen. »Etienne hat gesagt, sie hätten alle Frauen zwischen zwanzig und dreißig versammelt und weggebracht.«

Sowohl Amya als auch ich werden bei dieser Nachricht hellhörig.

»Wohin?«, frage ich.

Mael schüttelt den Kopf. »Das wusste er noch nicht. Er hat sie noch nicht dabei erwischt. Es heißt, sie hätten in allen Siedlungen dasselbe getan.«

Amya holt tief Luft. »Also sucht Vater nach jemandem.«

Unsere Blicke treffen sich, als sich Verständnis zu etwas Greifbarem verdichtet. Eine Wahrheit, um die wir schon seit Wochen kreisen.

»Du glaubst doch nicht, dass …«, setzt Amya an. »Dann kann es nicht Lor sein. Es muss einen Grund geben, warum er nicht so besorgt war, als sie verschwunden ist. Sie ist nur ein Mensch, Nadir. Bist du sicher, dass wir das nicht alles falsch verstehen?«

Ich schüttle den Kopf. Amya hat recht. Nichts davon ergibt einen Sinn. Wenn Rion den Primus des Reichs von Herz verloren hätte, würde er dann nicht ganz Ouranos durchkämmen, um sie zu finden? Und warum war sie all die Jahre lang eingesperrt? Tatsächlich schien es so, als hätte ihr Verschwinden ihn nicht bekümmert, doch ich bin mir immer noch sicher, dass ich nie überhaupt von der Existenz der Gefangenen 3452 hätte erfahren sollen.

Er hat mich losgeschickt, sie zu suchen, als wäre sie nur eine unbedeutende Angelegenheit, aber mein Vater war schon immer ein sehr guter Schauspieler und tat nie etwas ohne guten Grund. Ich werde das ungute Gefühl nicht los, dass er mich nur losgeschickt hat, um mich zu verwirren. Er hat so getan, als wäre es nicht wichtig, um mich davon zu überzeugen.

Ich presse das Glas in meinen Händen zusammen. Dieses Rätsel frustriert mich – jedes Mal, wenn ich blinzle, nimmt es eine neue Wendung.

»Nein, ich glaube nicht, dass wir uns irren.«

»Warum bist du dir da so sicher?« Amya beugt sich vor. »Wir haben keine Beweise, die darauf hindeuten, dass sie nicht nur eine sterbliche Gefangene ist, die aus Versehen in etwas hineingeraten ist. Vielleicht ist es einfach eine Verwechslung.«

Einer meiner Eishunde, Morana, kommt herüber und legt ihre Schnauze auf mein Knie. Ich kraule sie hinter dem Ohr, während ich über Amyas Fragen nachdenke.

Warum bin ich mir so sicher? Es ist unmöglich, zu erklären oder in Worte zu fassen, aber ich weiß es. So sicher, wie ich meinen eigenen Namen kenne, weiß ich es.

»War es die Wahrheit, dass du noch nichts von Nostraza gehört hast? Arbeitet Hylene daran?«, frage ich sie.

Amya nickt. »Ich habe ihr die Wahrheit gesagt. Aber ich rechne damit, dass ich bald von Hylene höre. Sie wird sie herausholen, wenn sie noch am Leben sind.«

»Glaubst du, dass Tristan und Willow mit Lor verwandt sind?«, fragt Mael. »Sie scheinen ihr ziemlich wichtig zu sein.«

»Vielleicht ihre Geschwister?«, sagt Amya. »Wenn sie wirklich eine High Fae ist, dann könnten sie auch Magie besitzen.« Sie spricht nicht aus, was wir alle denken. Wenn eine von ihnen Magie hat, dann ist das Unmögliche passiert.

Amya schüttelt den Kopf. »Das Baby ist gestorben. In jeder Geschichte, in jedem Bericht über den Krieg steht, dass das Baby der Königin mit ihr gestorben ist.« Ihre Stimme ist distanziert, als hätte sie sich das schon tausendmal selbst gesagt.

»Sicher«, sagt Mael, der von seinem Platz am Schreibtisch aufsteht und sich ihnen gegenüber auf den Stuhl fallen lässt. »Und glaubst du wirklich, dass drei königliche Fae freiwillig mehr als ein Jahrzehnt in Nostraza verbracht hätten? Das macht keinen Sinn. Und wenn sie die Erben von Herz sind, nach wem sucht der König dann?«

Ich sehe meinen Freund an, einer der wenigen Menschen auf der Welt, denen ich vertraue. Wir haben uns während des Zweiten Sercenkrieges kennengelernt, als wir monatelang in dem gleichen Kriegsgefangenenlager an der Grenze zwischen Herz und den Waldlanden waren. Wir haben uns sofort angefreundet, und seitdem steht er mir immer zur Seite. »Du hast recht, es macht keinen Sinn, aber Atlas weiß etwas über sie, und ich spüre …«

Ich halte mitten im Satz inne, würge mir selbst die Worte ab, wie einen Feind, der mir das Herz aus dem Leib reißen will.

»Was?«, fragt Amya und legt mir ihre Hand auf die Schulter. »Dieses Mädchen bringt dich um den Verstand. Was ist los?«

Mael grinst. »Komm schon, Amya, du musst doch bemerkt haben, dass unsere kleine Gefangene ziemlich hübsch ist. Vielleicht ist er ja verliebt.«

»Halt die Klappe«, knurre ich. »Ich würde Atlas’ Reste nicht mal mit einer zwei Meter langen Zange anfassen. Sie ist eine Kriminelle.«

Die Lüge liegt wie ein Stein in meinem Magen. Ich weiß nicht, warum ich ihnen etwas vormache – sie kennen so viele meiner Geheimnisse –, aber wegen Lor stelle ich alles infrage.

»Da ist aber einer empfindlich«, sagt Mael und rollt mit den Augen.

»Was ist es dann?«, fragt Amya und wirft Mael einen wütenden Blick zu.

»Meine Magie fühlt sich in ihrer Nähe angespannt an«, sage ich. »Als würde sie versuchen, aus meiner Haut zu kommen. Als wolle sie sie … berühren.«

Ich öffne meine Faust, ein Ball aus buntem Licht tanzt in meiner Handfläche. Ich starre sie an und frage mich, warum dieser Teil von mir, der mir immer Sicherheit gegeben hat, sich so gegen mich wendet.

Amya zieht die Augenbrauen hoch, ihre glatte Stirn legt sich in Falten. »Hast du so was schon mal erlebt?«

Ich nehme einen Schluck von meinem Drink, das Licht in meiner Hand blitzt auf, als ich den Kopf schüttle. »Noch nie.«

Ich habe letzte Nacht kaum schlafen können, mit ihr im gleichen Zimmer, direkt neben meinem Bett. Es hat sich angefühlt, als würde mein ganzer Körper sich nach ihr sehnen und versuchen, ihr nahe zu sein.

Meine Magie war eine Flut, die unter meiner Haut gewütet hat, und es hat mir alles abverlangt, sie zurückzuhalten, um nicht wie ein verdammter Stern in meinem Bett zu leuchten. Ich hatte noch nie so wenig Kontrolle darüber.

Und ihr Duft. Scheiße, er hat jede Pore meiner Haut erfüllt. Jeden Nerv in meinem Körper. Jeden Winkel meines Gehirns. Ich bin in einem Meer davon ertrunken, und wenn das meine letzte Nacht auf dieser Erde gewesen wäre, hätte ich nichts bereut. Es war dumm, sie die ganze Nacht hierzubehalten, aber mein verdammter Stolz wollte sie nicht gehen lassen.

»Das ist wirklich seltsam«, sagt Amya vorsichtig. »Aber es könnte alles Mögliche bedeuten.« Es ist offensichtlich, dass selbst sie das nicht glaubt, aber ich verstehe, warum sie es leugnen will.

Lors bloße Existenz zerrt an dem Gewebe von Ouranos und reißt die ohnehin schon zerfransten Fäden weiter auseinander. Seit dem letzten Sercenkrieg sind mehr als zweihundert Jahre vergangen, und es war nur eine Frage der Zeit, wie lange die Ruhe anhalten würde. Wann wieder jemand versuchen würde, das verwaiste Königinnenreich für sich zu beanspruchen, und damit fraglos den gesamten Kontinent in eine schwelende Ruine verwandeln würde.

»Ich glaube, du irrst dich«, sage ich schließlich. »Auch wenn sie so aussieht, ist sie kein Mensch. Du spürst vielleicht keine Magie in ihr, aber in ihr schlummern Ozeane von Macht, Amya. Da bin ich mir sicher.«

Kapitel 4

Serce
Vor 286 Jahren: Königinnenreich von Herz

Serce ließ ihren Blick über die Menge schweifen, während sie gespannt auf die Ankunft des jüngeren Sonnenprinzen und seiner Familie wartete. Es war Jahre her, dass sie Atlas gesehen hatte – damals waren sie noch Kinder gewesen und hatten bei einer königlichen Zeremonie Unfug getrieben –, aber heute würden sie einen Weg einschlagen, der sie für immer aneinander binden würde.

Die Party war bereits in vollem Gange, die Gespräche schwollen an, und die Musik erfüllte den Saal. Ihre Mutter hatte sich sehr viel Mühe mit der Vorbereitung gegeben. Rosen und tiefrote Stoffbahnen hingen von den Wänden herab, sodass es eher wirkte, als befänden sie sich in einem Blumentopf als in dem verschnörkelten Schloss aus weißem Stein, das sich im Zentrum des Königinnenreichs von Herz befand.

Serce behielt die Tür im Blick, während sie die Gäste mit einer steigenden Mischung aus Vorfreude und Adrenalin beobachtete. Sie liebte eine gute Party, egal aus welchem Anlass. Der heutige Abend war der Auftakt einer zweiwöchigen Versammlung, die Ouranos hoffentlich zu mehr Sicherheit und Wohlstand verhelfen würde. In diesen zwei Wochen sollte es auch um den Bund von Serce mit dem Sonnenprinzen gehen.

Als Erstes traf das Königinnenreich von Tor ein, angeführt von der Bergkönigin Bronte und ihrer Gefährtin Yael. Groß und muskulös, mit grau gefiederten Flügeln und langem silbernem Haar, trugen sie die traditionelle schieferfarbene Kriegeruniform ihres Hofes. Mit der Kraft der Erde und der Fähigkeit, mühelos Felsbrocken von der Größe eines Elefanten zu schleudern, waren die beiden nicht zu unterschätzen.

Gerade begrüßten sie Serces Mutter und Vater, die Herzkönigin und den Herzkönig, und ihre Mienen waren so todernst wie die Umstände dieses Treffens.

Heute sollte zum ersten Mal in der Geschichte von Ouranos ein offizielles Bündnis zwischen den Reichen in Betracht gezogen werden. Seit dem neuen Zeitalter hatten sich die Imperial Fae von Ouranos nicht mehr zusammengetan, um für eine gemeinsame Sache zu kämpfen. Doch dieses Mal würde ein Hof fehlen.

Serces Mutter, Daedra, hatte diesen Plan seit Jahren sorgfältig vorbereitet, und es schien, als würde er nun endlich in die Tat umgesetzt werden. Allerdings erwartete Serce erst mal Gegenwehr von den anderen Imperial Fae. Selbst wenn sie ideologisch mit dem Vorschlag übereinstimmten, würden sie zumindest ein paar Tage brauchen, um sich wichtigzumachen und ihre wohlüberlegten, aber völlig sinnlosen Vorbehalte vorzutragen.

Wenn jedoch alles nach Plan verlief, würde Königin Bronte die Erste sein, die sich einem Abkommen mit dem Reich von Herz anschloss. Das würde die erste Phase eines langen und blutigen Kampfes gegen die Fäulnis im Norden einläuten. Serce war sich darüber im Klaren, dass Herz mehr als die anderen Reiche davon profitieren würde, die Bedrohung durch Aurora zu beseitigen, aber ihre Mutter hoffte, dass die Auswirkungen auf ganz Ouranos ausreichen würden, um sie für ihre Ziele zu gewinnen.

Alluvion traf kurz nach Tor ein, und Serce bemerkte, wie sich ihre Mutter sichtlich entspannte, als der Ozeankönig Cyan angekündigt wurde. Er war schon immer unnahbar und unberechenbar gewesen und befasste sich nur ungern mit den Angelegenheiten der anderen Höfe, weil er sich nur um seine eigenen Bedürfnisse kümmerte. Doch selbst er musste erkennen, dass es immer schwieriger wurde, die wachsende Gefahr zu ignorieren, die drohte sie zu vernichten. Rion war bereits zu mächtig geworden, und da er vor Kurzem den Bund mit der Aurorakönigin eingegangen war, würde seine Kraft nur noch zunehmen.

Rhiannon, Serces Cousine, wippte auf den Fußballen. Sie reckte ebenfalls den Hals, als ob dieser Bund ihr Leben genauso verändern würde wie das von Serce. In gewisser Weise würde es das auch. Sobald Serce gebunden war, würden Rhiannons Eltern anfangen, ihre Zukunft zu planen. Nur die Magie eines Imperial Fae wurde durch einen Bund verstärkt, dennoch wurde von allen High Fae erwartet, dass sie irgendwann einen Bund eingingen – es war einfach der natürliche Lauf der Dinge.

Serce richtete den Ausschnitt ihres scharlachroten Kleides und schob ihre Brüste nach oben, damit sie voll zur Geltung kamen. Sie hielt nichts davon, so zu tun, als wüsste sie nichts von ihren Vorzügen, und nutzte sie, wann immer sich die Gelegenheit bot.

»Wo bleiben sie?«, fragte sie Rhiannon, und ihre Nerven kribbelten vor Vorfreude. Sie war sich noch nicht ganz sicher, was sie von diesem Abkommen halten sollte. Obwohl sie fast hundert Jahre ohne die Zwänge eines Bundes gelebt hatte, hatte sie immer gewusst, dass dies irgendwann ihr Schicksal sein würde.