Matti & Brian 1: Nur Mitbewohner - Matti Laaksonen - E-Book

Matti & Brian 1: Nur Mitbewohner E-Book

Matti Laaksonen

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Beschreibung

Der 16-jährige Matti ist in seinem bisherigen Leben nirgendwo so richtig angekommen. Dank des Berufs seiner Eltern wurde er schon um die halbe Welt geschickt. Nun soll er endlich seinen Schulabschluss machen. In dem japanischen Internat triff er auf seinen neuen Mitbewohner. Brian wirbelt Mattis einsame Welt mit seiner fröhlichen und aufgeweckten Art ordentlich durcheinander. Er reißtlangsam aber sicher die Mauer ein, die Matti um sich herum gebaut hat. Er scheint irgendwie mehr für den gebürtigen Finnen zu sein. Aber was denkt sein Mitbewohner darüber, der offensichtlich gern mit Mädchen flirtet? Und nicht nur das verändert seine abgeschottete Welt, auch seine neuen Freunde zeigen ihm, wie schön es sein kann, wenn man nicht mehr allein ist.

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MATTI LAAKSONEN

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ROMAN

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

3. überarbeitete Neuauflage 2021

Copyright ©2021 Matti Laaksonen

Herausgegeben von:

Matti Laaksonenc/o AutorenServices.de Birkenallee 2436037 Fulda

Lektorat: Tropische Wortwelten/ Saskia TropeCovergestaltung unter Verwendung folgender Bildmaterialien:Creativecube von creativemarket.com

E-Mail: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Nachdrucke, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors. Personen und Handlungen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen sowie Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum der rechtmäßigen Besitzer.

Content Notes:

Bitte beachtet, dass es in diesem Buch sensitive Inhalte gibt. (Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und wird auf meiner Website www.mattilaaksonen.de regelmäßig aktualisiert, bitte scheut euch nicht, euch bei mir zu melden, falls ihr einen weiteren Punkt findet, der nicht auf der Liste steht. Vielen Dank!)

- Narben, Erwähnung von selbstverletzendem Verhalten
- Erwähnung von Erbrechen, gestörtes Essverhalten
- Gewaltszenen

 

 

Inhalt

Tag 1: DIE ANKUNFT

Tag 2: Der erste Schultag

Tag 3: Alltäglicher Wahnsinn

Tag 4: Schulalltag

Tag 5: Sport ist Mord

Tag 6: Karaoke

Tag 7 & 8: Das Wochenende

Tag 9: Das Teufelsblatt

Tag 10: Ankündigung

Tag 12: Sommerpläne

Tag 13: Langes Wochenende

Tag 15: Das Gespräch

Tag 16: Veränderung

Danksagung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für das Lila in meinem Grün

 

E

s war ein verregneter Sonntag, an dem Matti auf den Weg zum japanischen Tenjin-Internat war, das seine neue Schule und Zuhause auf Zeit werden würde. Er war nun sechzehn Jahre alt und müsste bald einen Abschluss machen. Seine Eltern hatten in den vergangenen Monaten viel mit ihm über dieses Thema gesprochen und sie waren darin einig, dass er die dreijährige Oberschule in Japan besuchen sollte. Nach langer Recherche hatten sie sich für dieses Internat in der Nähe von Shintoku im Norden Hokkaidos entschieden. Ihm gefiel es, von dem, was er im Internet hatte sehen können, ganz gut. Auch wenn er am liebsten zurück in sein Heimatland Finnland gegangen wäre, aber das hatte sein Vater nicht gewollt und gemeint, dass die Schulen in Japan hervorragend seien und ihm das später einige Türen öffnen könnte. Matti verdrehte die Augen, als er an das lange Gespräch zurückdachte. Eines von vielen, die sie in den vergangenen Monaten darüber geführt hatten.

Seine Eltern waren durch ihren Beruf als Geologen an der Universität ständig auf Achse, daher hatte Matti in seinem Leben schon häufig Schulen wechseln müssen. Das war nicht immer zu seinem Vorteil erfolgt, denn dadurch hatte er bereits ein Jahr eingebüßt. Zudem war da das Problem mit den sozialen Kontakten: Man fand keine Freunde, wenn man niemals richtig ankam. Vielleicht änderte sich das, sobald er über einen längeren Zeitraum die gleiche Schule besuchte. Er konnte es nur hoffen.

Nun saß er in einem Taxi, hibbelte mit dem Knie und war fast da. Das Internat lag ein wenig abseits, in einem Waldstück. Die kerzengerade Landstraße führte durch einen langen Tunnel, gefolgt von einer strahlend roten Stahlbrücke, die über einen Fluss führte. Häuser gab es hier keine mehr. Nur Bäume, Grün und ein paar Strommasten, die die Leitungen neben der Straße scheinbar ins Nichts führte. Bewaldete Hügelkuppen schoben sich in sein Blickfeld, noch waren die Laubbäume grün, Matti freute sich aber schon auf den Herbst, wenn sich die Blätter verfärbten und alles ein wenig bunter werden würde.

Das Auto bog in eine enge Seitenstraße ab und ruckelte über Kies und Schlaglöcher. Dann erstreckte sich das Schulgebäude am Horizont. Matti konnte die Augen kaum abwenden. Es war ein altes, aber gepflegtes Gebäude. Efeuranken kletterten die graue Steinfassade empor, unterbrochen durch schmale Fenster, aus einigen davon schien schwaches Licht. Ein paar penibel rund beschnittene Bäume standen in einer exakt ausgerichteten Reihe auf dem Hof, der durch zwei Flügel eingerahmt wurde.

Das Taxi hielt auf einem kleinen Schotterparkplatz vorm Eingang. Matti bezahlte den Fahrer, schnappte sich seine Sachen und eilte in das Gebäude, um vom Regen nicht allzu durchnässt zu werden. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Egal, wie oft er schon auf eine neue Schule gekommen war, es war doch immer wieder aufregend und beängstigend zugleich!

Hoffentlich geht alles gut.

Heute war Anreisetag und in den Fluren trafen sich nicht nur die neuen Erstklässler, zu denen er ebenfalls gehörte, sondern auch die Schüler der höheren Stufen. Von überall drangen Stimmen und Gelächter zu ihm, schallten von den hohen Decken und echoten hundertfach wieder.

Eine Frau um die fünfzig verteilte in der imposanten Eingangshalle die Willkommens-Mappen. Sie schien die Schulleiterin zu sein: Matsuoka Suno. Sie trug ein dunkles Kostüm, einen perfekt sitzenden Dutt, aus dem kein Haar abstand, und eine Brille, die mit einer filigranen, goldenen Kette um ihren Hals baumelte. Sie lächelte mild, um ihre Augen und die Mundwinkel herum lagen Falten. In der großen Halle wirkte sie fast wie eine der steinernen Statuen, die vereinzelt in den Ecken standen und die Schüler scheinbar beobachteten.

Hinter ihr wand sich die Steintreppe in die nächste Etage. Das Holzgeländer reflektierte das Licht des hohen Deckenleuchters und Matti konnte kein einziges Staubkorn darauf entdecken. Und trotz des Schmuddelwetters war der Marmorboden so blitzblank, dass der Boden wie ein Spiegel wirkte. Er linste auf seine dreckigen Chucks und fühlte sich sofort schuldig, dass er alles schmutzig machen würde. Aber er bemerkte, dass er auf einem grauen Teppich stand und streifte seine Sohlen beschämt darauf ab.

Überall standen Jungen und Mädchen, die mit offenen Mündern die Statuen und den riesigen Kronleuchter bestaunten und fast schon ehrfürchtig die Treppe hochsahen. Dort hatten sich einige ältere Schüler und Schülerinnen gesammelt und schauten zu ihnen – den Neuen – herunter. Wahrscheinlich checkten sie ab, mit wem sie demnächst Pausenhof, Kantine und Gemeinschaftsräume teilten.

Matti passte hier nicht rein, das merkte er sofort. Er schluckte und wünschte sich, dass er doch auf seine Mutter gehört und sich bereits heute von seinen Piercings getrennt hätte. Denn immer wieder sah er die skeptischen Blicke, die auf ihm lagen. Ihm war durchaus bewusst, dass diese Art des Körperschmucks in Japan nicht gern gesehen war, deswegen würde er sie noch herausnehmen müssen, das stand auch in der Schulordnung. Er hatte gehofft, dass es zum Unterricht reichen würde. Sein Tattoo war zum Glück an einer Stelle, die immer verdeckt war. Natürlich hatte sich Matti im Vorfeld über die Abläufe im Internat informiert. In einer kurzen Online-Einführungsveranstaltung hatten sie die wichtigsten Regeln und Gepflogenheiten eingetrichtert bekommen, er hatte aber nicht damit gerechnet, dass er der Einzige war, der so ›auffällig‹ herumlief. Immerhin rühmte sich das Internat mit der Internationalität seiner Schüler und Schülerinnen.

Er reihte sich in die Schlange ein, die sich vor der Direktorin gebildet hatte und wartete geduldig, bis er an der Reihe war.

»Matti Laaksonen«, stellte er sich vor und verbeugte sich höflich, als er nach einer gefühlten Ewigkeit endlich bei ihr angekommen war.

Frau Suno musterte ihn mit erhobenen Augenbrauen und rückte ihre Brille zurecht. Sie drückte ihm nach kurzer Suche eine senfgelbe Mappe in die Hand. »Willkommen am Tenjin Internat, Herr Laaksonen«, begrüßte sie ihn. »Alle wichtigen Informationen und Termine können Sie der Mappe entnehmen. Der Zimmerschlüssel befindet sich ebenfalls darin. Ihr Mitbewohner ist schon da. Ach, und bitte nehmen Sie die Piercings heraus.« Sie warf ihm einen warnenden Blick zu.

»Ja, natürlich.« Er verbeugte sich, die Hitze stieg ihm ins Gesicht. Kaum angekommen und schon das erste Mal ermahnt.

Paska. Ich hätte auf Mama hören sollen!

Er biss sich auf die Lippe und schaute in die Mappe, damit niemand seinen hochroten Kopf sah. In einem innenliegenden Hausplan fand er schnell den Weg zu seinem Zimmer.

Er dachte an die Worte der Direktorin zurück, dass er einen Mitbewohner habe. Verwunderlich war das nicht, insgeheim hatte er dennoch gehofft, dass er ein Einzelzimmer zugeteilt bekommen hätte.

Wäre wohl zu schön gewesen.

Es gab für jede der drei Jahrgangsstufen zwei Klassen. Somit belief sich die Anzahl der Schüler auf gerade einmal knapp zweihundert. Das hieß zum Glück auch, dass er sich sein Zimmer nur mit einem weiteren Mitbewohner teilen musste. Sie hatten sogar ein eigenes, kleines Badezimmer, darüber war er ganz besonders froh. Es gab nichts Schlimmeres als Gruppenduschen, wenn man ihn fragte. Und die waren an japanischen Internaten eigentlich der Standard. Noch ein Grund, aus dem er sich dieses ausgesucht hatte.

Während er darüber nachdachte, fand er den Weg zum Zimmer. 104. Auf dem Namensschild standen seiner und ein weiterer Name: Brian Honeycutt. Bevor Matti vorsichtshalber anklopfte, holte er noch einmal tief Luft und umschloss die Klinke mit feuchter Hand.

Also dann.

Nach einem gemurmelten »Ja« öffnete er die Tür. Sein Blick wanderte kurz durch den kleinen, rechteckigen Raum. Ein wackeliges Stockbett auf der einen, zwei Schreibtische auf der anderen Seite. Auf dem unteren Teil des wackeligen Stockbetts lag ein blonder Junge. Das musste Brian sein.

Er sah auf und begrüßte Matti mit einem Lächeln. »Ah, du musst mein Mitbewohner sein«, sagte er und stand auf. Er hielt Matti seine Hand hin, die er erst kurz musterte und dann zögerlich schüttelte.

»Sieht ganz so aus. Ich bin Matti Laaksonen«, stellte er sich vor und verbeugte sich vor Brian.

Das Lächeln auf den Lippen des anderen verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Hey, kein Grund für die Höflichkeit, wir wohnen ab jetzt zusammen. Ich bin Brian. Brian Honeycutt.«

Matti nickte, überfordert mit der extrovertierten Art, die Brian an den Tag legte, und blickte sich weiter in seiner neuen Heimat auf Zeit um. Durch den grauen Vinylboden wirkte der Raum hell und groß. Die Möbel waren weiß lasiert und hatten keine einzige Macke. Es spiegelte den Anschein wider, den er schon in der Eingangshalle gesammelt hatte. Auch hier lag kein Staubkorn und es roch viel zu steril, fast schon chemisch. Noch hatte er nicht den Eindruck, als könnte es besonders wohnlich werden, das würde mit der Zeit aber wohl schon kommen. Wenn sich erst mal der Geruch von Desinfektionsmitteln und Reinigungsmitteln gelegt hätte, und sich ihr eigener verbreitete. Wenn sie ihre Sachen verteilt und vielleicht auch einige Dekorationen angebracht hätten.

Matti stellte seinen großen Wanderrucksack neben dem Rollcontainer unter dem Schreibtisch ab und bemerkte die beiden spindartigen Kleiderschränke, die neben der Tür standen, die ins Badezimmer führte.

Na, das werde ich mir doch mal anschauen, dachte er und setzte sich in Bewegung. Brian hatte er dabei völlig vergessen, sein Mitbewohner schien ihm aber zu folgen. Denn als er in dem kleinen weiß gefliesten Raum stand, verbreitete sich ein herber Duft. Holzig, irgendwie. Er schüttelte den Gedanken an Brians Geruch schnell ab. Im Bad befand sich eine Toilette, sogar eine dieser modernen, mit sämtlichen Spülfunktionen und Sitzheizung. Gegen sie wirkte die ebenerdige Dusche mit weißem Vorhang fast langweilig und viel zu normal.

»Ist schick für ein Internat, was?«, fragte sein neuer Mitbewohner.

»Ja, ich bin ganz froh über das eigene Bad«, gestand Matti und kratzte sich den Hinterkopf.

Brian lachte auf, es hallte von den Fliesen wider. »O Gott, ja! Es gibt nichts Schlimmeres als Gemeinschaftsduschen.«

Matti freute sich darüber, dass Brian offenbar genauso dachte wie er, verkniff sich aber eine Bemerkung dazu. »Du warst schon mal auf einem Internat?«, erkundigte er sich stattdessen.

Brian verdrehte genervt die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ja, nur.«

»Verstehe«, gab Matti leise von sich, das klang nicht so als wollte Brian darüber reden.

»Und was treibt dich hierher?«, hakte Brian nach.

Matti blickte kurz in seine Richtung, aber sah sofort wieder auf den Fliesenboden. »Ach, meine Eltern sind durch ihre Arbeit viel unterwegs und ich muss jetzt endlich mal einen Abschluss machen, deswegen dachten sie, dass ein Internat das Richtige sei.«

»Was machen deine Eltern, dass sie so viel reisen?« Brian verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich in den Türrahmen.

»Sie sind Geologen und betreiben verschiedene Forschungen von der Uni aus. Und mein Papa ist dazu noch Privatdozent.«

»Oha. Dann willst du sicher auch in diese Richtung?«, fragte Brian beeindruckt und musterte ihn eingehend.

»Nein, eigentlich nicht«, stellte Matti klar und gab ein Glucksen von sich. Es gab nichts, was er sich weniger vorstellen konnte. Außer vielleicht ein Mathematikstudium.

»Und wenn du sagst, deine Eltern reisen viel, dann warst du sicher immer mit dabei, oder?«, ging Brians Fragerunde weiter.

Ganz schön neugierig.

Matti lief an ihm vorbei, um wieder in den anderen Raum zu gelangen. »Erst seit ich zehn bin. Davor haben sie mich meistens bei meinen Großeltern abgeladen.«

»Ach so. Und woher kommst du ursprünglich? Dein Name klingt so nordisch.«

Matti war Small Talk nie besonders leichtgefallen, er antwortete, Fragen stellen konnte er aber nicht so gut. Doch er wollte mit seinem neuen Mitbewohner gut auskommen und sollte über seinen Schatten springen. »Ich komme aus Finnland. Und du?«

»Finnland? Da war ich noch nie. Ich komme eigentlich aus Chicago. Aber meine Eltern sind vor sechs Jahren nach Tokio gezogen.«

»Wegen der Arbeit?«, hakte er nach und war stolz auf sich, dass er das Gespräch am Laufen hielt und nicht einfach nur nickte.

»Ja, mein Vater ist Ingenieur und arbeitet bei einem Motorenhersteller.« Brian hatte sich auf die untere Matratze gesetzt, auf dem schon ein paar Zeitschriften und anderer Kram von ihm lagen. »Oh, ich habe einfach mal das untere Bett in Beschlag genommen. Ich hoffe, das ist dir recht?«

»Was? Ach ja, klar. Kein Problem. Mir ist recht egal, ob oben oder unten.« Matti kicherte innerlich. Ob Brian diese Zweideutigkeit auffällt? Gleichzeitig verdrehte er die Augen, wie kindisch an so etwas zu denken! Zufrieden registrierte er aber, dass die Mundwinkel des anderen nach oben zuckten. Ob es jedoch wegen des Spruchs war, wusste er nicht.

»Wo sind eigentlich die Uniformen?«, fragte Matti, wobei er die Frage mehr vor sich her nuschelte.

»Im Schrank hängt alles«, brummte Brian. Er schien nicht glücklich, über die vorgeschriebene Kleidung zu sein, wenn Matti das anhand seiner Stimmlage ausmachen konnte.

Die Uniformen waren in der kurzen Online-Einführung vorgestellt worden. Im Gegensatz zu der sonst eher schlichten, schwarzen Einheitstracht, war die des Tenjin Internats recht farbenfroh gestaltet. Gelb und orange. Seine Hoffnung, dass es in Realität vielleicht nicht so schlimm wäre, wurde aber mit einem Blick in den Schrank zunichtegemacht. Die Farben waren deutlich greller, als sie auf den Bildern im Internet gewirkt hatten. Die Uniform bestand aus einem weißen Hemd, einer senfgelben Weste mit orangen Details, eingesticktem Schulwappen auf der linken Brust, und einer gelb-orangen Stoffhose. Dazu gab es eine farblich passend gestreifte Krawatte. Für die kältere Jahreszeit hing außerdem ein gelb-oranges Jackett im Schrank.

Matti seufzte. »Ich habe es befürchtet, aber gehofft, dass sie in Realität vielleicht doch nicht ganz so schlimm ist«, gab er seinen Kommentar ab. An eine Schuluniform müsste er sich ohnehin erst einmal gewöhnen. Er hatte noch nie eine getragen.

Brian stand auf und trat neben ihn. »Japp, eine wirklich grauenhafte Farbkombination«, sagte er, griff sich eine Weste aus Mattis Schrank und hielt sie ihm probeweise an. Er legte den Kopf schief und sah ihm direkt in die Augen. »Das ist aber nicht deine echte Augenfarbe, oder?«

Matti blinzelte ihn überrascht an. Brian war ein Stück größer und Matti musste deswegen etwas hochsehen. Ihm fiel zum ersten Mal auf, dass Brian strahlend blaue Augen hatte, die ihn fixierten. »Oh, ehm. Nein, das sind Kontaktlinsen«, erläuterte er und drehte sich um, um seine eigenen Sachen in den kleinen Schrank zu legen, und damit sein Mitbewohner nicht bemerkte, dass er rot anlief. Die plötzliche Nähe war ihm furchtbar unangenehm.

Puh, daran muss ich mich auch erst mal gewöhnen.

Brian schob sich wieder vor ihn und musterte ihn. »Dachte ich mir. Das Rot sieht cool aus. Aber trägst du die aus einem bestimmten Grund?«

Matti machte automatisch einen Schritt zurück. »Ja, also mehrere eigentlich«, gab er schwammig zu.

Grinsend sah Brian ihn an. »Muss ich dir alles aus der Nase ziehen?«, fragte er gespielt eingeschnappt, als Matti keine Anstalten machte, es ihm genauer zu erklären.

»Ah, sorry«, entschuldigte er sich und rieb sich den Nacken. »Ich finde es vor allem witzig, dass mich die Menschen so komisch mustern, wenn sie mich sehen. Besonders hier in Japan. Ich meine, mit meiner Haarfarbe und weil ich so blass bin. Da kommen die roten Augen ganz gut.« Obwohl er nicht gern im Mittelpunkt stand, fiel er dennoch auf. Jedenfalls optisch. Verwirrte oder irritierte Blicke waren an der Tagesordnung. Aber dadurch wurde er oft in Ruhe gelassen.

Oder aber erst recht geärgert.

»Und weswegen noch?«, fragte Brian mit schiefgelegtem Kopf.

»Ich habe eine Hornhautverkrümmung. Sind also nicht nur für die Optik.«

»Das heißt, ohne Kontaktlinsen siehst du nichts?« Brians Mundwinkel zogen sich nach oben.

Matti verdrehte die Augen und schüttelte dabei den Kopf. »Nein, so schlimm ist es nicht. Ich sehe alles was nah ist ein wenig verschwommen.« Er hatte seine Sachen ausgepackt. Er trat an den Schreibtisch und stellte seinen Laptop darauf ab, dann nahm er das Smartphone und sagte seinen Eltern kurz Bescheid, dass er angekommen war.

Brian hatte sich wieder auf sein Bett gesetzt. »Wollen wir gleich mal durchs Internat gehen und gucken, was es hier so gibt?«, erkundigte er sich.

Matti steckte sein Smartphone zurück in die Hosentasche. »Ja, gern.«

Gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Viele ihrer neuen Mitschüler waren ebenfalls unterwegs. Einige davon trugen ihre Uniform. Matti und Brian hatten sich dagegen entschieden, es war schließlich Sonntag und sie gerade erst angekommen.

Sie passierten einen Flur, auf dem einige Bilder früherer Schuldirektoren in einer langen Reihe hingen. »Machst du den japanischen oder englischen Unterricht mit?«, fragte Brian.

»Teils, teils. Das meiste mache ich auf Japanisch, aber bei den naturwissenschaftlichen Fächern habe ich mich für Englisch entschieden.« Sein Japanisch war zwar, dank des Unterrichts der letzten drei Jahre, ganz passabel, aber er ging lieber auf Nummer sicher. Er würde außerdem einen zusätzlichen Japanischkurs besuchen, der war Pflicht für die internationalen Schüler.

Brian nickte. »Ja, so habe ich das auch gemacht. Vielleicht sind wir deswegen Mitbewohner?«

»Möglich.« Matti lächelte und fühlte sich nicht mehr ganz so verloren, wegen der ganzen Sache eines Zusammenlebens.

Er ist echt nett.

Da es draußen noch immer regnete, entschieden sich dafür, sich auf die Fensterbank eines der großen Fenster im Flur zu setzen. Sie beobachteten die Leute, die an ihnen vorbeiliefen, teils verwirrt auf den Hausplan schauten, oder mit offenen Mündern alles musterten.

Plötzlich baute sich ein Mädchen vor ihnen auf, die ihre Arme in die Taille stemmte. Sie war kleiner als Matti, hatte lange, blond gelockte Haare und aufgeweckte, blau-violett leuchtende Augen.

Ungewöhnlich.

Sie trug die Schuluniform. Anstatt einer Hose bestand die der Mädchen aus einem gelb-orangen Rock, der knapp oberhalb des Knies endete, und gelben Kniestrümpfen.

»Ihr beiden wisst schon, dass hier Uniformpflicht besteht?«, fragte sie im besten Japanisch.

Brian lächelte sie so süß an, dass Matti allein vom Zusehen Karies bekam. »Entschuldige bitte, wir sind gerade erst angekommen und wollten uns das Internat anschauen, bevor wir uns mit unseren Pflichten vertraut gemacht haben«, antwortete er gestelzt. Selbst seine Stimme klang so zuckrig, dass sie wie Honig aus seinem Mund floss.

Das Mädchen blieb unbeeindruckt von seinem Charme. »Dann wisst ihr ja jetzt Bescheid.« Sie musterte Matti etwas genauer. »Du hast Piercings! Die sind auch nicht erlaubt«, tadelte sie ihn mit erhobenem Zeigefinger.

Matti verzog sein Gesicht unglücklich. Mist, ganz vergessen. »Die kommen zum Unterricht raus«, versprach er ihr.

»Magst du uns nicht noch das Internat zeigen?«, sprang Brian dazwischen und sicherte sich so ihre Aufmerksamkeit.

»Nun, ich bin ja auch neu«, sagte sie und lief hüpfend weiter zur nächsten ununiformierten Gruppe.

Irritiert sah Brian dem Mädchen hinterher. »Na, so was«, brummte er und stand auf. »Wollen wir in die Kantine gehen?«

Sein Mitbewohner hatte sich schnell von der Abfuhr erholt, auf dem Weg strahlte er jede Mitschülerin an, die ihnen entgegenkam. Es löste bei fast allen eine rote Gesichtsfarbe, ein verlegenes Kichern oder interessierte Blicke aus. Wollte er sich so sein Selbstbewusstsein zurückholen, nachdem ihm das blonde Mädchen einen Korb gegeben hatte?

»Du kommst wohl ganz gut an«, stellte Matti trocken fest, nachdem Brian eine ganze Gruppe zum Schmunzeln und Erröten gebracht hatte.

Er sah Matti an und streckte ihm die Zunge heraus. Er wusste wohl um seine Wirkung und lächelte wie zum Beweis ein weiteres Mädchen an. Doch dieses ließ sich nicht so schnell aus der Reserve locken. Die Brünette musterte Brian offensiv von oben bis unten. Ihre Mundwinkel verzogen sich einen Millimeter nach oben und ihre Augen funkelten aufmerksam. Diesmal war es Brian, der unbeeindruckt an ihr vorbeilief.

Matti verdrehte die Augen. Er ist also ein Schürzenjäger. Na, ganz toll. Das konnte ja spaßig werden.

»Hey, die gucken dir genauso hinterher wie mir«, behauptete Brian.

Matti prustete los und schüttelte den Kopf. Natürlich sahen sie ihm hinterher. Weil er so anders aussah und Piercings trug. Sie fragten sich wahrscheinlich, wie er an dieses Internat gekommen war. Mit einem Grinsen, das Matti nicht recht zu deuten wusste, ging Brian weiter.

 

Überall sprachen Schüler miteinander, Besteck klapperte und Stühle wurden geräuschvoll zurückgeschoben. Matti war von dieser Geräuschkulisse in der Kantine erschlagen und sah verstohlen zu seinem Mitbewohner, dem das aber nichts auszumachen schien. Er stiefelte direkt in Richtung Theke. Nach kurzem Zögern und einem tiefen Atemzug folgte Matti ihm.

Sie schnappten sich jeweils ein Tablett und traten zur Essensausgabe. Es gab neben ein paar Gerichten, die es wahrscheinlich in allen Schulkantinen auf der gesamten Welt gab, auch schlichte, japanische Kost. Matti entschied sich für Daikon Sarada – einen Rettichsalat. Am Abend hatte er meist keinen großen Appetit und ihm reichte die Vorspeise.

---ENDE DER LESEPROBE---