Himmel hinter Wolken - Matti Laaksonen - E-Book

Himmel hinter Wolken E-Book

Matti Laaksonen

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Beschreibung

Letztlich sprach der Kopf ein Wörtchen mit und das Herz schlug dagegen an. Seit dem gemeinsamen Skiurlaub in Österreich sind Joshua und Olaf ein Paar. Abseits von Winteridylle und Gemütlichkeit scheinen ihre Leben jedoch kaum kompatibel. Während Olaf erneut eine zeitraubende Kooperation mit Becky annimmt und sich seinem Studium widmet, muss Joshua für die Abiturprüfungen lernen und endlich herausfinden, was er danach machen will. Zwischen Zukunftsplänen und unausgesprochenen Gedanken stellen sich beide die Frage, ob Timing alles ist, was ihrer Beziehung im Weg steht, oder ob manches einfach nicht füreinander bestimmt ist. Bei diesem Buch handelt es sich um den 2. Teil von Regen zu Schnee. Es ist nicht unbedingt nötig, Regen zu Schnee gelesen zu haben, aber es empfiehlt sich.

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Epilog
Nachwort
Danksagung

Matti Laaksonen HIMMEL HINTER WOLKEN

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.

 

Matti Laaksonen | [email protected] | www.mattilaaksonen.de

 

© 2023 Matti Laaksonen

c/o WirFinden.Es

Naß und Hellie GbR

Kirchgasse 19

65817 Eppstein

 

 

Korrektur: Vanessa Balassa & Kerstin Neubauer-Krause

 

Covergestaltung und Innendesign unter Verwendung folgender Materialien:

Muse Art auf creativemarket.com

Designwork auf creativemarket.com

Soft Brushes von brusheezy.com

Letterflow Studio auf creativefabrica.com

Content Notes

 

Dieses Buch behandelt in großen Teilen das Thema Sucht, Suchtproblematik und Suchterkrankung; den Umgang als betroffene Person und Angehörige. Nicht im Zusammenhang mit Substanzen wie Drogen oder Alkohol, aber mit körperlichen und psychischen Symptomen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

No one is afraid of heights, they’re afraid of falling down. No one is afraid of saying I love you, they’re afraid of the answer … (Kurt Cobain)

 

 

 

 

 

Kapitel 1

Fernab des Sonnensystems

 

 

Joshua

 

Himmel, war er aufgeregt. Er wischte seine schwitzigen Finger an der Jeans ab und richtete sich zum ungefähr vierunddreißigsten Mal an diesem Tag die Haare. Wobei sich seine Frisur mittlerweile ziemlich sicher aufgelöst hatte und seine Locken ungebändigt in alle Richtungen abstanden.

»Bro, du machst es echt nicht besser«, kommentierte sein bester Freund Hendrik dieses Trauerspiel. Er saß auf seinem Bett und beobachtete ihn mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Du hast leicht reden«, murmelte Joshua, lief einmal im Kreis und seufzte laut.

»Komm mal her.« Debby winkte ihn mit einer Geste zu sich und als Joshua bei ihr war, strich sie seinen Kragen glatt und patschte ihm auf dem Kopf herum. Ob das etwas gegen das Vogelnest, wie sich seine Frisur aktuell wohl am besten schimpfte, brachte, wusste Joshua nicht, auch die Berührung beruhigte ihn nur wenig.

»Ich bin so scheißnervös, ey«, sagte Joshua und bemerkte selbst, dass seine Stimme zitterte, weshalb er die Lippen aufeinanderpresste.

Er tigerte weiter in seinem Zimmer auf und ab und widerstand dem Drang, sich erneut durch die Haare zu fahren.

»Deine Eltern kennen Olaf doch«, meinte Debby und setzte sich zu Hendrik, der ihr einen Arm um die Schultern schlang.

»Ja, aber eben nicht so.« Seine Mutter hatte es vermutet, weil sie sich seit dem Winterurlaub regelmäßig trafen und Joshua dafür ständig nach Köln fuhr, aber sein Vater hatte nichts gecheckt. Verloren zwischen seinen Fischen und der höchstmöglichen Planungsgenauigkeit von Joshuas Aufenthalten zu Hause.

»Mach dir nicht gleich ins Hemd.«

Joshua blieb stehen und atmete tief durch. Eigentlich hatten Hendrik und Debby recht, er musste sich wegen nichts sorgen. Seine Eltern kannten und mochten Olaf.

Dennoch war das hier etwas Besonderes, sie hatten noch nie einen Freund von ihm kennengelernt. Diese Tatsache hing über ihm und machte ihn schier verrückt, weil es eben anders war, als Hendrik und Debby zum Essen mit nach Hause zu bringen. Weil es mehr bedeutete.

»Wir müssen gleich los, Mama wartet bestimmt schon«, sagte Debby schließlich und strich Hendrik eine Strähne aus dem Gesicht.

»Jo.«

Fast gleichzeitig erhoben sich die beiden von Joshuas Bett, ihre Hände ineinandergeschlungen.

»Ich bring euch zur Tür.« Obwohl seine Knie zitterten und er sich am liebsten einfach auf dem Boden zusammengerollt hätte. Aber was brachte das? Gleich käme Olaf und dann platzte die Seifenblase – oder sie würde größer und schöner, ein bisschen schillernder.

Gerade als er die beiden verabschiedete, entdeckte er Olaf, der mit einem aufgespannten Regenschirm um die Ecke bog. Es regnete seit Tagen und das tiefgraue Wolkenband wollte gar nicht verschwinden. Olaf winkte Hendrik und Debby, wechselte ein paar Worte mit ihnen und wandte sich an Joshua.

Sein Herz pumpte und das Lächeln legte sich automatisch auf seine Lippen. Himmel, wie sehr er diesen Typen mochte, die blonden Locken, das Grübchenlächeln und seine positive, strahlende Art, die das Fehlen der Sonne wettmachte, er hatte sogar eine Flasche Wein in der Hand, die sicher für seine Eltern bestimmt war.

»Na, du?«, murmelte Olaf, klappte den Regenschirm ein und schüttelte ihn vor der Tür aus.

»Hi«, antwortete Joshua leise.

Olafs Atem streifte Joshuas brennendes Gesicht. Die kühle Nase stupste gegen seine und sofort war das beklemmend-nervöse Gefühl weg. Gewichen vor der Zuneigung und dem Bewusstsein, dass es gut werden würde.

»Komm rein«, sagte Joshua und machte Platz, damit Olaf an ihm vorbeihuschen, seine Schuhe an die dafür vorgesehene Stelle platzieren, die vorbereiteten Hausschlappen anziehen und die Jacke an den Gästehaken hängen konnte. Alles detailliert geplant von Joshuas Vater. Genauestens ausgemessen bei der Planung des Flurs und exakt so umgesetzt. Joshuas Herz hüpfte, weil sich Olaf direkt beim ersten Besuch so gut integrierte, als hätte er bereits Jahre hier bei ihm verbracht.

»Mama und Papa warten im Wohnzimmer«, nuschelte Joshua und die Nervosität fand kribbelnd zurück. Er rührte sich nicht von der Stelle und starrte zu Boden. Die anthrazitfarbenen Fliesen wirkten hypnotisch und er konnte sich wieder ganz genau an die Diskussion seiner Eltern erinnern, als es um die Farbauswahl gegangen war.

»Joshi?«

Seine Gedanken suchten panisch nach Halt und Ablenkung. Kühle Haut streifte seine Hand und der Klang des Spitznamens hallte in seinen Ohren wider, führte ihn zurück in die Gegenwart.

»Ja.« Waghalsig verschränkte er ihre Finger ineinander, sodass sie gemeinsam den Weg ins Wohnzimmer bestritten. Joshua hatte das Gefühl, als würde ihm sein Herz gleich aus dem Brustkorb springen, so sehr klopfte es darin. Dabei war das doch nur Olaf. Sein Freund. Sein fester Freund.

»Hallo Tina, hi Georg«, sagte Olaf, als sie nebeneinander in der Stube standen und Joshua sich eng an ihn presste.

Seine Mutter lächelte, sein Vater auch, allerdings starrte er weiterhin auf die verschränkten Hände, während seine Mutter sie schon in den Arm nahm.

»Hab ich es also doch richtig gesehen«, meinte sie lächelnd.

»Und mir hast du wieder nichts gesagt?«, kommentierte sein Vater und plusterte die Wangen auf.

»Das ist nicht meine Aufgabe.«

Olaf kratzte sich den Nacken und kicherte ein wenig unsicher. »Ja, also …«, er blickte zu Joshua und lächelte warm, »ist so passiert.«

»Ja.« Joshuas Mund war trocken und er wusste nicht so recht, was er dazu noch sagen sollte, aber sein Vater klopfte ihm auf die Schulter. Sein Zeichen der Zuneigung und der Akzeptanz.

»Hättest es schlimmer erwischen können.« Emotional und ehrlich wie eh und je.

Olaf lachte und auch Joshua musste schmunzeln. Die Art seines Vaters mochte auf manche eher kaltherzig wirken, aber Joshua kannte ihn und wusste warum. Und tief drinnen sah es anders aus, das war ihm ebenso klar. Es war also alles gut und besser noch.

»Das Essen ist in drei Minuten fertig, setzt euch doch an den Tisch«, sagte sein Vater mit einem Blick an die Uhr.

»Ich hab Wein mitgebracht.« Olaf löste ihre Hände und hielt die Flasche in die Höhe, die seine Mutter sofort ergriff.

»Super, die werde ich gleich mal öffnen!«

 

***

 

»Ist gut gelaufen, oder?«, fragte Olaf, als sie nach dem Essen und langen weingetränkten Gesprächen endlich in Joshuas Zimmer ankamen.

Er nickte. »Ist es.« So recht begreifen konnte er es noch nicht, sie hatten diesen Abend schon seit drei Wochen geplant, so akribisch, wie er es sonst nur von seinem Vater kannte, bis es endlich geklappt und alle Zeit gefunden hatten. Insbesondere Olaf und seine Termine waren immer wieder dazwischengekommen.

»Wie lief der Test?«, fragte Joshua dann.

Olaf seufzte und rieb die Hände gegeneinander. »Bin mir echt unsicher. Konnte nur auf Lücke lernen und hab wohl die falschen Teile ausgelassen.«

Das schlechte Gewissen blitzte in Joshua auf, er hatte sich die vergangenen Wochen echt oft mit ihm getroffen und nun die Befürchtung, dass er der Grund dafür war.

»Guck nicht so. Sportpädagogik war eh nie meins.« Olaf streichelte ihm über das Knie. »Dafür sind die Prüfungen jetzt erst mal geschafft.« Er lächelte schief und ließ sich rücklings auf das Bett fallen. Die Matratze wackelte und Joshua schaute zu ihm.

»Aber … wenn du mehr Zeit zum Lernen –«

»Joshi.« Olaf guckte ihn an und verzog die Lippen zu einem Strich. »Ich bin erwachsen, ich kann das selbst entscheiden, ja?«

Joshua nickte nur und legte sich neben Olaf, kuschelte sich an ihn. Dennoch nahm er sich vor, mehr Rücksicht zu nehmen, auf das, was kommen würde. Schließlich hatte Olaf seine Fachrichtung gewechselt vom Sportmanagement hin zur Sporttherapie und Prävention und musste noch ein paar Hausarbeiten und Qualifikationen nachholen.

»Bleibst du heute hier?« Fragen konnte er jedoch, und er sammelte beständig Mut-Punkte durch diese kleinen Dinge.

»Japp.« Olaf grinste und küsste ihn erst auf den Scheitel, anschließend auf die Wange und die Lippen. Der Kuss wurde intensiver und Joshua konnte gar nicht mehr geradeaus denken, so voller Gefühl und Zuneigung war er.

»Ich muss übrigens das Treffen für nächste Woche absagen. Meine Dozentin möchte sich am Freitag mit mir unterhalten und ich hab Training am Samstag«, brachte Olaf zwischen zwei Küssen hervor.

»Das sagst du mir jetzt?« Es gab sicher bessere Situationen als knutschend auf dem Bett und erfüllt voller Lust.

»Bevor ich’s vergesse.« Olaf zog ihn wieder an sich und wollte ihm erneut die Lippen auf seine drücken, aber Joshua presste sich von ihm.

»Wann sehen wir uns das nächste Mal?«

»Kann ich dir nicht genau sagen«, flüsterte er und das schmerzhafte Lächeln machte Joshua nur zu bewusst, dass es wahrscheinlich nicht so bald sein würde. Er musste sich letztlich selbst ranhalten, da in wenigen Wochen die Abiturprüfungen losgingen, und er noch nicht so viel gelernt hatte wie vorgenommen.

»Okay«, murmelte Joshua und fühlte sich unendlich müde. Es war ihm doch klar gewesen, dass es nicht einfach werden würde. Nicht im Moment jedenfalls. Aber sie hatten ja alle Zeit der Welt.

»Ende Juli fahren wir irgendwohin, ja?«

»Urlaub, nur wir zwei?« Joshua legte sich neben Olaf und starrte an die Decke, vor seinem geistigen Auge lief bereits der Film ab, wie sie zusammen am Strand lagen, in einem gemeinsamen Ferienhaus wohnen würden und so viel Zeit miteinander verbrachten wie zuletzt in Österreich.

»Aber so was von.«

»Und wohin fahren wir?«

Olaf schmunzelte und legte sich ebenfalls auf den Rücken. »Ich weiß nicht. Südfrankreich vielleicht? Oder an den Gardasee. Hauptsache warm und mit Strand.«

»Klingt beides traumhaft.« Und ziemlich teuer, dafür müsste er wohl sein Sparbuch plündern.

»Wir könnten uns was bei Airbnb mieten.«

»Oder einen Camper.« Was wäre besser, als abgeschieden irgendwo unter dem Sternenhimmel zu stehen?

»Oder wir nehmen das Zelt.«

Das klang dagegen steinig und irgendwie nicht so verlockend. »Oder all-inclusive irgendwo.«

Olaf lachte. »Nee, dann lieber doch eine Ferienwohnung.«

Joshua nickte und kuschelte sich enger an Olaf heran. »Egal, Hauptsache zusammen.«

»Ja, wir finden schon etwas.« Olaf rollte sich auf Joshua und das Gewicht trug die Gedanken an Sonne, Strand und Meer mit Sternenhimmel hinfort, holte ihn zurück ins Hier und Jetzt und katapultierte ihn danach in Sphären weit entfernt im Sonnensystem. Aber gemeinsam mit Olaf.

 

Kapitel 2

Badewannengeflüster

 

 

Joshua

 

Der Sonntag begann träge. Joshuas Eltern trafen sich, wie jeden ersten Sonntag im Monat, mit einem Freund und würden erst um Punkt zehn Uhr am Abend wieder zurückkommen, das hieß sturmfrei für Olaf und Joshua. Nachdem sie den halben Vormittag im Bett verbracht und eine Netflix-Serie nach der nächsten gesehen hatten, spielte Joshua eine Runde Dead by Daylight, zu der Hendrik spontan geladen hatte. Olaf schaute ihm über die Schulter hinweg zu.

»Wollt ihr nachher mit ins Kino?«, fragte Hendrik, als er gerade am Haken hing.

»Ich hab heute keine Zeit«, sagte Kadir direkt. »Mist, er hat mich! Kann einer von euch retten gehen?«

»Ich geh«, murmelte Joshua, »aber ich denke, wir werden auch nicht mitkommen.«

»Wohin?«, fragte Olaf, der nur die Hälfte hören konnte wegen des Headsets.

»Ins Kino«, sagte Joshua und befreite Hendrik vom Haken.

»Wieso denn nicht? Ich kann dann direkt von da nach Hause.«

Joshua warf einen Blick zu Olaf, vergaß dabei das Spiel völlig. »Aber …«

»Der Killer!«, rief Hendrik und zog so Joshuas Aufmerksamkeit zurück ins Spiel.

Nach der Runde verabschiedete sich Joshua und legte das Headset beiseite, während sein Lüfter noch rauschte und der PC auskühlte. »Meine Eltern sind heute Abend nicht da, ich dachte …« Den letzten gemurmelten Teil verschluckte er lieber komplett, denn sein Gesicht glühte.

Olaf legte seine Hände an Joshuas Wangen und kühlte sie. Er brachte Joshua so dazu, in seine Augen zu sehen, die aufblitzten, ein verschmitztes Lächeln lag auf seinen Lippen. »Wie bitte?«, fragte er.

Wenn Joshuas Wangen noch ein wenig wärmer würden, explodierte er vermutlich. »Ich … also … vielleicht«, stammelte er verlegen. Er konnte so was nicht, auch wenn er es versuchte.

»Ja? Sag es ruhig.« Olaf war da vollkommen anders und triezte Joshua immer mal wieder, offener zu werden, selbstsicherer im Umgang mit seinem Körper und ihrer Liebe.

Joshua schluckte und alles kribbelte. »Wir könnten zusammen baden.« Seine Stimme war brüchig, und nun war es so weit: Sein Hirn schien in Flammen aufzugehen und verdampfte gerade, denn es rauschte alles in seinem Kopf. Obwohl das nur ein kleiner Satz gewesen war, nicht einmal die Hälfte von dem, was er sich vorstellte.

Olaf schmunzelte. »Dafür lass ich das Kino gerne sausen.« Er kam ihm ganz nahe und setzte zu einem Kuss an, als Joshuas Smartphone vibrierte. Er zuckte zurück und sah die Nachricht darauf.

 

Hendrik:

Bro, du hast den Chat noch an. Wir hören euch.

 

»Oh, scheiße!«, fluchte Joshua und wandte sich sofort an den PC, leise Stimmen und Kichern drangen aus seinem Headset, und er schloss den Chat. Und würde wahrscheinlich so schnell nicht mehr mit den anderen spielen. Oder reden.

Olaf lachte und zog Joshua an sich.

 

Olaf

 

Es war nicht fair, Joshua zu drängen, Dinge auszusprechen, die ihm peinlich waren. Doch Olaf wollte ihn dazu bringen, endlich ein wenig offener zu werden. Schon in Österreich hatte es ihn beinahe zur Weißglut getrieben, dass Joshua viele Dinge mit sich selbst ausmachte, anstatt sie direkt anzusprechen. Er musste sich für nichts schämen und sollte sich sicher an Olafs Seite fühlen, damit er das irgendwann auch von allein tat, in allen Belangen. Aber Übung machte den Meister – und sie übten viel.

»Also kein Kino«, sagte Joshua schließlich, nachdem sein Kopf nicht mehr die Farbe einer überreifen Tomate hatte, sondern zu einem gesünderen Hellrot gewechselt war.

»Kein Kino«, bestätigte Olaf und fuhr mit den Fingerspitzen über Joshuas Kopfhaut, was ihn erschauern ließ. Olaf hatte früh herausgefunden, dass diese Stelle besonders empfindlich war.

Eigentlich hatte er sich für heute vorgenommen, etwas zu lernen und das Gespräch mit seiner Dozentin vorzubereiten, aber dann musste das bis morgen warten, so viel war das nicht, und das hier ganz sicher wert, das alles ein bisschen schleifen zu lassen. Außerdem war es Joshua wichtig gewesen, Olaf seinen Eltern offiziell vorzustellen. Er war ein Familienmensch durch und durch; Olaf beneidete ihn ein wenig darum, denn dieses enge Familienleben, wie er es die letzten Stunden erlebt hatte, kannte er so nicht. Auf der anderen Seite versuchte er, sich regelmäßig mit seiner Mutter zu treffen, was genauso regelmäßig scheiterte. Eigentlich war es gar nicht seine Welt, einen auf Familienmensch zu machen, doch Joshuas und damit nun irgendwie auch seine.

Joshua legte den Kopf gegen Olafs Brust, und er roch sein Apfel-Shampoo. Die Finger ließ er von der Kopfhaut in Joshuas Nacken gleiten, unter den Halsausschnitt seines Shirts und wieder zurück.

Olafs Herz schlug schneller und die Fingerspitzen kribbelten. Dass er das alles besser verstand, seit er es in Frankreich das erste Mal gespürt hatte, lag nur am Winterurlaub. Es hatte ihn über die Jahre verfolgt und nicht losgelassen, weil er nicht gewusst hatte, was das alles zu bedeuten hatte. Warum er ständig an Joshua hatte zurückdenken müssen, diesen zaghaften Kuss von damals. Und er war froh, dass seine Mutter ihn dazu überredet hatte, mit in diesen Skiurlaub zu fahren. Was hätte er denn sonst, außer sein Sportstudium, das Training und eine Menge Arbeit?

Die kleinen Momente genoss er und sie lenkten ihn davon ab, zu viel zu grübeln. Er hatte seine Entscheidung mit Insta aufzuhören, nicht bereut, doch wahrscheinlich wäre die Verlockung zu groß gewesen, Beckys erneuter Anfrage nicht abzusagen.

Ob er Joshua erzählen sollte, dass eine Modefirma eine Kooperation angefragt hatte?

Nein, Olaf hatte sich dagegen entschieden. Das musste er ihm nicht aufs Brot schmieren. Zumal er sich wahrscheinlich wieder Vorwürfe machen würde, ihn von etwas abzuhalten. Diese Gedanken musste er ihm auch noch austreiben, denn sie blitzten ständig durch.

»Hey, schling mal deine Beine um mich«, forderte er Joshua auf.

»Wieso?« Er schaute ihn mit hochgehobener Augenbraue an.

»Mach’s einfach.«

Joshua tat es und legte seine Beine ungefähr auf Hüfthöhe um Olaf.

Er steckte seine Arme unter Joshis Achseln und hob ihn so hoch. Es war etwas schwieriger als gedacht, aber Olaf schaffte es, ihn so vom Stuhl zu heben und zum Bett zu bringen, auf dass er ihn sogleich fallen ließ.

»O mein Gott«, murmelte Joshua und lachte dabei, bis er auf die Matratze plumpste.

»Genug PC für heute.« Olaf legte sich zu ihm und drückte seine Lippen auf Joshuas. Es machte süchtig zu küssen, vor allem wenn der ganze Körper darauf mit Kribbeln und Prickeln reagierte und Endorphine und Dopamin durch das Hirn jagten. Davon konnte er nicht genug bekommen, und er musste es aufsaugen, damit die nächsten Wochen nicht zu einsam werden würden.

Kapitel 3

Zukunftsblues

 

 

Joshua

 

An diesem Montagmorgen tigerte Joshua aus anderen Gründen vor der Schule auf und ab. Seit gestern Mittag hatte er nicht mehr mit der Gruppe gesprochen und es war ihm noch immer peinlich, dass sie ihn und Olaf hatten hören können.

»Guten Morgen, Casanova«, begrüßte ihn Hendrik prompt und zog ihn in eine Umarmung. Debby kicherte und klatschte sich mit ihm ab. »Wie war das … Baden?« Das Wort betonte Hendrik extra und wackelte vieldeutig mit den Augenbrauen.

»O Gott«, jammerte Joshua und versteckte sein brennendes Gesicht hinter den Händen, am liebsten wäre er im Erdboden versunken. »Bitte, können wir das einfach vergessen?«

»Ich wollte weiter hören, sei froh, dass Hendrik dir eine Nachricht geschickt hat.« Kadir lachte und schlug mit Joshua ein, dem diese Sache so unfassbar peinlich war wie noch nie etwas zuvor. Konnte er sich einfach auflösen?

»Ogottogottogott«, jammerte er und lief ins Schulgebäude. Der Gong läutete gerade rechtzeitig, um ihn aus dieser Situation zu befreien. Gebimmel gegen Gejammer. Das Lachen der anderen ignorierte er und konnte nur hoffen, dass sie seiner Bitte nachkommen würden.

Nun befand er sich in einem stickigen Raum, in dem der Mief der letzten Jahrgangsstufen steckte, und musste sich mit Integralrechnung auseinandersetzen. Ein Montagmorgen wie er im Buche stand. Die Lehrerin malträtierte ihre Hirne und ermahnte sie wieder und wieder, was klausurrelevant sei und was sie unbedingt für die Prüfungen brauchen würden.

Inzwischen hasste sich Joshua für die Wahl seiner Leistungs- und Grundkurse, die ihn dazu gezwungen hatte, Mathe auf jeden Fall als schriftliches Fach im Abitur wählen zu müssen. Er konnte nur hoffen, dass er einigermaßen gut durch die Sache käme.

 

***

 

In der Pause saßen sie gemeinsam auf einer der Tischtennisplatten, die am Rande des Schulhofs standen. Die ersten Strahlen der Frühlingssonne hatten sie erwärmt und schienen nun auf sie herab. Und Joshua genoss ihre Wärme, ebenso wie die Kühle, die der schwache Wind mit sich brachte. Die Natur stand im Aufbruch und er fühlte sich ebenso, kurz vor einem Start in etwas Neues, dessen Grundsteine schon gelegt waren.

Was würde er auf diesem recht wackligen Fundament erbauen können? Er wusste es nicht und dieses Wort Zukunft stand in einem für ihn luftleeren Raum, waberte um ihn herum und blähte sich bedrohlich auf. Darauf hatte er weiterhin keine klare Antwort und in den letzten Wochen keine Zeit gehabt, sich damit zu beschäftigen. Ideenlos. Wunschlos. Leidenschaftslos.

»Ich freu mich so sehr, dass das hier bald zu Ende ist«, sagte Debby und blickte sich um, als hätte sie gerade in seinen Gedanken gelesen.

Kein Wunder, an diesem Ort steckten so viele Erinnerungen, gute wie schlechte. Und Joshua konnte sich kaum ausmalen, wie es ihm wohl an ihrer Stelle ginge. Denn noch immer schlich hier der Schatten von Namen durch die Räume, zwang sie manchmal in eine Ecke – oder in die Umkleide der Lehrkräfte. Die Geister von Namen und der Vergangenheit tanzten umher, wenn sich noch viele daran erinnerten.

»Ich weiß nicht, ob ich darüber froh bin. Oder Angst habe.« Hendrik knetete seine Hände und auch das konnte Joshua verstehen, ähnlich wie er hatte er keinen Plan, kein sicheres Netz und dazu eine Freundin, die am liebsten ganz weit weg wollte.

»Es wird toll!« Debby lächelte und ihr Blick lag irgendwo in einer fernen Zukunft, die noch niemand kannte, aber die irgendwie alle herbeisehnten.

»Ich weiß es auch noch nicht«, sagte Joshua. Seine Beine baumelten über der Kante der Platte. »Hab keine Ahnung, was ich tun soll.«

»Wolltest du nicht ein Praktikum machen?«, mischte sich Kadir ein. Er gehörte zu denjenigen, die bereits einen Plan und einen Vertrag in der Tasche hatten. Eine handwerkliche Ausbildung in der Firma, in der sein großer Bruder arbeitete. Durchgetaktet bis zum Meister und darüber hinaus – ohne Störungen.

»Ein FSJ, ja. Aber wahrscheinlich ist’s dafür schon zu spät.« Zu spät, um einen Platz zu suchen, zu spät, um sich zu bewerben, und zu spät, um angenommen zu werden, wo er selbst nicht einmal wusste wie und was.

»Ach, das wird noch. Und ansonsten …« Kadir zuckte mit den Schultern. »Kannst ja erst mal jobben und schauen.«

Jobben und schauen. So wie Bianca, die nach Australien ging oder Emil, der durch Europa touren wollte. Doch das war nichts für Joshua. Er wollte hierbleiben, nicht weit weggehen jedenfalls. Das war nie sein Plan gewesen und jetzt erst recht nicht mehr.

»Vielleicht bewerbe ich mich in der Werkstatt meines Onkels«, meinte Hendrik.

»Voll der Ärzte-Song, Junge.« Debby stieß ihm mit dem Ellbogen in die Seite. »Wir können uns einfach an denselben Unis bewerben. Hamburg, Berlin, München. Dann bleiben wir alle zumindest in Teilen ein Team.«

Für Joshua war diese Zukunft so weit weg erschienen, doch nun saßen sie hier und schmiedeten Pläne – oder eben auch nicht. Und es wurde erschreckend real, dass sie sich bald nicht mehr zusammen hier träfen, sondern möglicherweise über die komplette Republik oder gar die Welt verteilt wären. Eine Welle der Wehmut packte ihn und er seufzte laut. Vielleicht könnten sie bald noch nicht mal mehr miteinander spielen, weil sie alle andere Pläne hatten, andere Zeiten und Routinen. Daran würde er sich wohl nie gewöhnen können.

»Hm.«

Die Pause war vorbei und der Gong durchbrach die Stille, in die sie gefallen waren.

Kadir und Debby gingen zu Biologie, während Hendrik und Joshua Chemie hatten.

»Kommst du am Wochenende mit zur Abifeier ins K?«, fragte Hendrik.

Seit Januar veranstalteten sie diese regelmäßig im einzigen Club der Stadt, um Geld reinzubekommen. Sie mieteten die Location, nahmen Eintritt und sammelten Trinkgelder für die große Feier zum Abschluss.

»Schätze schon, Olaf hat keine Zeit.« Es klang kümmerlich, dass er seine Freizeit von seinem Freund abhängig machte und nur in den Club ging, wenn der nicht konnte. Was sollte er denn sonst tun, wenn seine Gruppe dort abhing und nicht mehr bei DbD?

Hendrik schlang einen Arm um Joshua und zog ihn an sich. »Sieh uns an, Bro. Wir zwei sind vergeben, wer hätte das jemals gedacht?«

Joshua löste sich und strich sich das Shirt glatt. »Ja, wer hätte ahnen können, dass du mal eine Freundin hast.«

»Hey!« Er boxte Joshua lachend in die Seite. »Aber stimmt.« Schließlich war Deborah seine erste Freundin, nicht das erste Mal, dass er verliebt war, nun hatte es jedoch endlich mal geklappt. Weniger Herzschmerz und mehr Liebe für alle.

Und dass Hendrik und er mehr oder weniger gleichzeitig in eine Partnerschaft gerutscht waren, hatte ebenso merkwürdige wie schöne Momente. An Doppeldates wollte Joshua dennoch nicht denken. Vor allem nicht weil Hendrik und Debby sehr viel offensichtlicher miteinander umgingen – und rummachten.

War es das, was er ebenfalls wollte? Es musste auf der einen Seite verdammt cool sein, wenn man sich täglich sehen konnte, aber auf der anderen wahrscheinlich auch sehr anstrengend. Dennoch musste sich Joshua eingestehen, dass er sich manchmal wünschte, dass sich Olaf und er häufiger treffen könnten als nur für ein paar Stunden am Wochenende und das auch nur, wenn Olaf keine Termine hatte.

Als er damals diese Quest namens Beziehung angefangen hatte, hatte er sich noch gar nicht recht ausmalen können, was damit alles einherging. Das Vermissen, die Sehnsucht, das Zweifeln. Würde ihn das alles genauso betreffen, wenn sie sich täglich sehen könnten? Oder machte gerade das den Reiz ihrer Beziehung aus? Dass sie es nicht brauchten und trotzdem eine gut funktionierende Partnerschaft hatten.

Joshua genoss die Momente, wie die am Wochenende, an denen sie unbeschwert Zeit miteinander hatten verbringen können. Er sehnte sie herbei, anstatt sich daran zu gewöhnen. Eine kleine Besonderheit in seinem sonst eher beschaulichen und langweiligen Leben.

Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen und ihm wurde warm, allein beim Gedanken an Olaf. Nein, er würde sich daran nicht so schnell gewöhnen können. Das wollte er auch gar nicht.

 

Kapitel 4

Alter Rhythmus

 

 

Olaf

 

Die Woche war stressig gestartet und endete genau so. Nach dem Training hatte er sich beeilen müssen, um pünktlich in den Zusatzkurs zu kommen, und hätte daraufhin beinahe den Termin bei seiner Dozentin verpasst, um alles für den Schwerpunktwechsel abzugeben. Außerdem hatte er bis gestern Nacht an einem Protokoll gesessen und die Dokumente für den Termin zusammengesucht, sodass er nun hundemüde war. Aber es hatte sich gelohnt, den Sonntag noch bei Joshua zu verbringen. Er hatte seinen Tank auffüllen können, bevor es nach den Prüfungen dafür zu viel zu tun gäbe. Doch nach dieser Woche war der Tank wieder im Minusbereich und an diesem Wochenende würde er ihn auch nicht auffüllen können.

Als er am Abend zurück in seine WG kam, hatten seine Mitbewohnenden bereits gekocht. Er roch Zwiebeln und Tomatensoße.

»Willst du mit uns essen?«, fragte Benedikt, gerade als er den Flur betrat und in die lange Küche schauen konnte. Sie war grässlich braun gefliest und die Möbel darin mussten aus den Sechzigern stammen. Aber sie war im Preis mit drin gewesen.

»Klar gern.« Olaf warf seine Sporttasche ungeachtet in eine Ecke und sich auf den Stuhl am Küchentisch. Er war froh, dass er sich jetzt nicht noch darum kümmern musste, etwas Essbares zu besorgen oder gar zu kochen.

»Du siehst scheiße aus, Mann.« Benedikt stellte ihm einen Teller auf den Tisch und goss danach Wasser in sein Glas.

»Ich bin auch tierisch müde.« Olaf nahm sich eine Flasche Mate aus dem Kühlschrank, neben dem er saß.

»Ist aktuell ganz schön stressig für dich, oder?«, hakte Chris nach.

»Prüfungszeit ist immer scheiße.« Unabhängig von Beziehungen und Social-Media-Planung.

»Becky war übrigens vorhin hier und hat nach dir gefragt«, sagte Chris, während sier sich den Löffel in den Mund schob.

»Sie war hier?« Wieso rief sie denn nicht an wie sonst?

»War in der Gegend, meinte sie.« Chris zuckte mit den Schultern und schaufelte sich die nächste Portion Spaghetti in den Mund.

»Okay, danke. Ich ruf sie nachher mal an.« Wahrscheinlich ging es wieder um diese Kooperation. Allein wollte die Firma Becky nicht, es war ein großes Angebot und sie gab nicht so schnell auf. Die vegane und fair produzierte Modemarke hatte sich gerade erst einen Namen gemacht und war ein aufsteigender Stern in der Szene. Vielleicht sollte er doch darüber nachdenken, die Extrakohle konnte er gut gebrauchen, wenn er mit Joshi im Juli wegfahren wollte. Sonst würde es wohl nur das Zelt in Zeeland werden – oder am Blausteinsee.

»Wie läuft es bei euch so?« Chris studierte Informatik und Benedikt Physik. Die beiden machten viele Kurse gemeinsam und manchmal kam sich Olaf ausgeschlossen vor, weil er so viel allein machen musste. Die vierte im Bunde war Elena, ständig auf Exkursionen und bei Praktika rund um den Globus und daher selten da.

»Läuft«, sagte Benedikt.

»Jo«, meinte Chris.

Olaf schmunzelte. Sie erinnerten ihn manchmal an Joshua, denn ihnen musste er so manches Mal auch alles aus der Nase ziehen. Wie er ausgerechnet in dieser WG landen konnte, wusste er nicht. Chris und Benedikt waren angenehme Mitbewohnende, obwohl sie es oft genug mit dem Putzen nicht so exakt nahmen.

 

***

 

Nach dem Essen stopfte Olaf seine schmutzigen Sportklamotten in die Waschmaschine und ging in sein Zimmer. Dort nahm er sein Telefon und wählte Beckys Nummer, das sollte er zuerst erledigen.

»Olaf! Du bist schwerer zu erreichen als der Papst!«, meldete sie sich nach nur einem Freizeichen.

»Dir auch einen wunderschönen guten Abend, Becky.«

Sie lachte hell. »Wie geht’s dir?«

»Ein bisschen viel los, aber … es läuft.« Aktuell vielleicht rückwärts und mit Rückenwind, doch das würde sich wieder ändern.

Becky seufzte. Sie hatte schon immer ein ausgezeichnetes Gespür für seine Stimmungen gehabt, auch wenn er sie, so gut es ging, zu überdecken versuchte. »Was ist los?«, fragte sie sogleich und ihre Stimme verlor etwas von ihrem fröhlichen Klang.

»Es ist nichts. Viel los in der Uni, wegen des Wechsels.«

»Und wie läuft es mit … ähm, hilf mir schnell.«

»Joshua.«

»Genau! Wie geht es ihm?«

Olaf setzte sich aufs Bett und lehnte sich gegen die Wand, Telefonate mit Becky dauerten für gewöhnlich recht lange, weshalb er es sich lieber gemütlich machte. »Ebenfalls viel zu tun. Die Abiprüfungen stehen kurz bevor. Und bei dir?« Er wollte das Thema nicht vertiefen, Becky machte Joshua zwar keine Vorwürfe, dass Olaf mit Instagram aufgehört hatte, aber sie glaubte, dass er der Sargnagel für seine Insta-Karriere gewesen war. Was Quatsch war, sie suchte jedoch nach Ausreden und Begründungen.

»Nun, bis auf die Tatsache, dass mich One Choice nur mit dir zusammen buchen will …«, sie machte eine dramaturgische Pause und seufzte, als Olaf nichts darauf erwiderte, »ganz okay, schätze ich.«

»Du schätzt?« Olaf kannte Becky gut genug. Sie schätzte nicht, sie wusste genau, wo sie aktuell stand und wohin sie wollte. In diesem Fall war das One Choice und die Werbekampagne.

»Es ist nur … ich kann verstehen, dass du mit Insta aufgehört hast, aber es macht ohne dich nur halb so viel Spaß.« Sie versuchte nicht, Olaf ein schlechtes Gewissen einzureden, doch sie hatten durch die Kooperationen viel Zeit miteinander verbracht und Olaf würde lügen, wenn er sagte, dass er das alles nicht auch vermisste. Es zwickte ihn, weil Becky eine gute Freundin war und er sie nur noch selten zu Gesicht bekam. Ganz im Gegensatz zu früher, wo sie sich fast jeden Tag gesehen hatten. Der Nachteil des harten Cuts mit Social Media und allem, was dazu gehörte.

»Ich weiß. Ich vermiss dich auch.«

»Brot vermisst dich auch.«

Olaf lachte. Brot war Beckys Deutscher Riese, den sie aus einem Labor gerettet hatte, und der ein Zuhause bei ihr gefunden hatte. Zum Leidwesen ihrer Möbelstücke. Nichts in ihrer Wohnung war unangeknabbert. Den Namen hatte Olaf ihm gegeben, weil er ihn beim ersten Sehen für einen übergroßen Laib Brot gehalten hatte.

»Kraul ihn von mir hinter den Löffeln.«

»Werde ich. Du kannst einfach mal wieder vorbeikommen, auf ein Käffchen.«

»Würde ich gern, aber ich finde aktuell echt wenig Zeit für so was.« Er fand nicht mal die Zeit, mit seiner Mutter zu telefonieren.

»Und dann ist da noch Joshua.« Becky schmunzelte. »Wann lerne ich ihn eigentlich mal kennen? Du machst fast schon ein Geheimnis aus ihm.«

»Nun ja … also.« Olaf rieb sich den Nacken. Er wusste nicht, wieso er die beiden einander noch nicht vorgestellt hatte. Vielleicht, weil er Becky nicht alles erzählt hatte. Sie ahnte nicht, dass Joshua ihr ebenfalls gefolgt war, wegen ihm. Dass er ebenso gedacht hatte, dass sie ein Paar gewesen wären. Und er wusste vor allem nicht, wie Joshua darauf reagieren würde. »Das lässt sich bestimmt mal einrichten.« Aber es war ja nichts dabei und beide nahmen einen großen Platz in seinem Leben ein. Der eine aktuell mehr als die andere, und dennoch sollten sie sich kennenlernen.

»Schön!« Sie wurde still, räusperte sich. »Und ich kann dich nicht doch noch davon überzeugen, wieder zurückzukommen? Wenigstens für diesen einen Auftrag? Sie haben ihr Angebot erweitert, weil sie uns unbedingt haben wollen … ich kann dir –«

»Becky«, sagte Olaf enerviert und rieb sich die Schläfe. Er hatte abgeschlossen damit. Dass Becky nicht alle seine Beweggründe über sein plötzliches Austreten kannte, rächte sich nun, da sie so hartnäckig blieb.

»Ich schick dir das einfach mal, okay? Wir haben bis nächste Woche Zeit, uns das zu überlegen.«

Olaf atmete aus und gab schließlich nach. Er könnte es sich ja mal anschauen, da wäre nichts dabei. Es würde im Sand verlaufen und vielleicht würden sie das Angebot doch nur für Becky zuschustern, wenn er endgültig absagte. »Okay.«

Sie redeten länger als eine Stunde über dieses und jenes, bis Olaf die Augen zufielen und er Becky abwürgen musste, weil er kurz davor war, einzuschlafen. Und während er sich die Zähne putzte, scrollte er durch das Angebot der Modefirma und spuckte den Schaum beinahe über den Spiegel.

Normalerweise waren sie in Produkten direkt bezahlt worden oder erhielten ein wenig Gewinnbeteiligung, sobald ihr Code genutzt wurde. Sie hatten davon keine großen Sprünge machen können, das war jedoch nicht der vornehmliche Sinn hinter all den Kooperationen gewesen. Es war hauptsächlich um die Reichweite gegangen. Für Beckys aktivistischen Hintergrund und für Olaf …

Olaf hatte es immer ein wenig zu sehr genossen, wenn er im Mittelpunkt gestanden hatte, es war zu einer Sucht geworden, den steigenden Zahlen von Likes und Follows zuzuschauen, das war ihm eine Zeit lang Bezahlung genug gewesen, trotz der investierten Arbeit. Und das war der eigentliche Grund, warum er aufgehört hatte, nur hatte er das nie jemanden erzählt. Geschichten von Zeit und Leistung erschienen plausibler und einfacher als das Eingeständnis von etwas abhängig geworden zu sein.

Sein Herz stolperte und er wischte fahrig die Zahnpastareste vom Spiegel und der Armatur. Dieses Angebot war groß und sofort hatte er wieder das Ferienhaus in Südfrankreich vor Augen, das er bereits für den gemeinsamen Urlaub mit Joshua ausgeguckt und auf seinem Desktop gespeichert hatte, das sie sich aber niemals hätten leisten können. Mit diesem Angebot würde er einen Großteil der Kosten decken können.

Nun war ihm klar, warum Becky so hartnäckig geblieben war. Wenn sie dieses Angebot annehmen würde, würde das eine neue Stufe für ihr Social-Media-Leben bedeuten. Natürlich machte sie das weiterhin für den guten Zweck und niemals gegen ihre Motivation und Prinzipien, dafür entlohnt zu werden, glich jedoch einem Ritterschlag.

Er spuckte aus, spülte sich den Mund und wählte Beckys Nummer.

»Olaf?« Becky klang verwirrt.

»Okay, ich mach’s. Ich bin dabei.«

Kurz blieb es still in der anderen Leitung. »Echt?«, fragte sie und Olaf konnte ihr anhören, dass sie breit grinste und ihre Augen vermutlich riesengroß waren und fast golden glänzten, so wie sie es immer taten, wenn sie sich freute und schon einen exakten Plan hatte – der in diesem Moment wohl wieder einmal funktioniert hatte.

»Ja, wenn sie uns beide wollen, dann kriegen sie uns beide.«

»Das ist großartig! Danke!«

Sie klärten kurz ab, wie es weiterging, legten erneut einen gemeinsamen Google-Kalender an, damit sie ihre Termine besser koordinieren konnten, und verabschiedeten sich voneinander. Der alte Rhythmus, der sofort wieder da war, als hätte Olaf niemals aufgehört.

Hellwach lag er jetzt in seinem Bett. Er musste es Joshua erzählen und darauf hoffen, dass er es verstehen würde, aber es war für sie, für Südfrankreich. Gleich morgen früh würde er es tun.

 

Kapitel 5

Olaf goes sporty

 

 

Joshua

 

Die Musik dröhnte in Joshuas Ohren und er quetschte sich mit mindestens dreißig anderen Leuten an die Bar, um sich etwas zu trinken zu besorgen. Sein Mund war trocken, doch die Bedienung brauchte ewig, bis er endlich einen Energydrink und ein Bier für Hendrik in der Hand hatte.

Die Flasche reichte er an Hendrik weiter, der an einer Wand gelehnt stand und auf die Tanzfläche starrte. Er nickte ihm zu und trank einen Schluck.

Joshua kippte den Energydrink in einem Zug runter und wischte sich das klebrige Zeug von den Lippen. Nicht seine erste Getränkewahl, aber es gab hier keinen Kakao und er benötigte definitiv etwas, um nicht gleich einzuschlafen. Das diffuse Licht in Verbindung mit dem Getanze hatte ihn schläfrig werden lassen. Seine Glieder waren steif und sein Kopf rauschte. Wenn es irgendwo eine freie Bank gegeben hätte, hätte er sich wahrscheinlich einfach hingelegt und geschlafen.

Joshua hatte gemeinsam mit Debby, Hendrik, Samuel und Melissa eine ganze Weile getanzt, bis sie beide sich entschlossen hatten, eine Pause einzulegen. Ein bisschen verloren zwischen den Leibern von Fremden, auf der Suche nach Bekannten. Er blickte zur Tanzfläche, entdeckte Kadir und auch wieder Debby, die ausgelassen hüpften und lachten. Hoffentlich würde Olaf einmal mitkommen.

Sein Geist driftete ab und er konnte vor seinem inneren Auge sehen, wie er sich schlagen würde. Joshua war sich sicher, dass er ein hervorragender Tänzer sein musste.

»Josh.« Die Stimme so nah an seinem Ohr ließ ihn mit Herzrasen herumfahren. Er hatte nicht bemerkt, dass sich jemand neben ihm aufgebaut hatte. Und als er in das bekannte Gesicht blickte, riss er die Augen auf und hätte beinahe den Plastikbecher fallen lassen.

»Serge«, sagte er und schluckte gegen die Trockenheit in seiner Kehle an. Er verfluchte diese Stadt dafür, dass man Leute treffen konnte, die man am liebsten nicht so schnell hätte wiedersehen wollen. Dazu gehörte sein Ex-Freund Serge definitiv. Nicht weil sie sich im Streit getrennt hatten, doch blieb es merkwürdig, jemandem zu begegnen, mit dem man einige Erfahrungen geteilt hatte.

»Was machst du hier?«, rief ihm Serge über die Musik hinweg zu und lächelte schief, so wie er es früher schon immer gern getan hatte.

Joshua machte eine unbestimmte Geste und scheuchte die Gedanken aus seinem Kopf. »Na ja. Feiern?«

Sein Herz hämmerte. Obwohl er nie wirkliche Gefühle für Serge gehabt hatte, war er ein sehr attraktiver Mann, was ein Grund gewesen war, dass er diese Beziehung überhaupt erst eingegangen war. So kurz sie auch gehalten hatte. Denn wenn man selbst nicht bereit war, das Mindeste zu geben, konnte man kaum mehr als das verlangen, das hatte Joshua sehr schnell bemerkt.

Serge verzog die Lippen noch ein Stück weiter und nickte. Er zog durch einen Papierstrohhalm an seinem Longdrink und wippte im Takt der Musik. »Willst du tanzen?«

»Bin vergeben«, presste Joshua schnell hervor, bevor es zu Missverständnissen kommen konnte. Warum er das sagte, wusste er auch nicht. Die Angst vor Hoffnung vielleicht.

Serge hob eine Augenbraue und musterte Hendrik, der hinter Joshua stand wie ein Schutzschild. Der letzte Anker in diesem Durcheinander an Menschen und Gefühlen, der Joshua sicher hier rausbringen könnte.

Der hob aber nur abwehrend die Hände. »Nicht an mich, Bro«, brüllte er, weil er ganz offensichtlich alles mitangehört hatte.

Serge nickte und schaute erneut zu Joshua. Der Mann war gut zwei Köpfe größer als er und hatte Muskeln, die selbst Olaf vor Neid hätten erblassen lassen. Dass sie sich ausgerechnet bei einem Online-Game kennengelernt hatten, war wohl Ironie des Schicksals gewesen.

»Okay, man sieht sich dann vielleicht mal online?

---ENDE DER LESEPROBE---