Mavi - Band 2 - Linni Carlson - E-Book

Mavi - Band 2 E-Book

Linni Carlson

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Beschreibung

Wie überlebt man eigentlich in einer dämonischen Zwischenwelt? Und welche Geheimnisse gibt es dort zu entdecken? Nachdem Mavi von Preros verschleppt worden ist, findet sie sich urplötzlich in einer dämonischen Zwischenwelt wieder. Entschlossen setzt sie alles daran, sofort wieder von dort zu verschwinden, doch Alex’ Vater verfolgt natürlich ganz andere Pläne. Als ihr schließlich offenbart wird, was genau der Dämon vor hat, beginnt für Mavi und ihre Freunde ein Wettlauf gegen die Zeit. Dabei erfährt sie Dinge über ihre Herkunft, die sie so ganz sicher nicht erwartet hatte. Als sie dann auch noch dem Verbleib ihrer verschollenen Mutter auf die Spur kommt, gibt es für Mavi kein Zurück mehr.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
11. KAPITEL
12. KAPITEL
13. KAPITEL
14. KAPITEL
15. KAPITEL
16. KAPITEL
17. KAPITEL
18. KAPITEL
19. KAPITEL
20. KAPITEL
21. KAPITEL
22. KAPITEL
23. KAPITEL
EPILOG

 

LINNI CARLSON

 

 

 

 

 

 

 

 

MAVI

 

Zwischen den Welten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Anne. Zwischen den Welten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. KAPITEL

 

MAVI

 

 

Wenn es erst einmal mies lief, dann lief es richtig mies.

Ich hatte ehrlich keine Ahnung, welches physikalische Gesetz das war, aber anders konnte ich mir meine aktuelle Situation nun wirklich nicht erklären.

Ich war unglaublich wütend. So wütend, dass ich am liebsten einen dieser schicken, sterilen Stahlstühle, die hier überall herumstanden, durch die bodentiefen Fenster geschleudert hätte. Doch diese bestanden aller Wahrscheinlichkeit nach, aus Sicherheitsglas und im schlimmsten Fall würde das Ding wohl ganz einfach wieder zu mir zurückprallen. Dann wäre ich nicht nur wütend, sondern noch dazu verletzt – und das konnte ich im Augenblick nun wirklich nicht gebrauchen.

Denn im Moment befand ich mich irgendwo zwischen dem 50. und 100. Stockwerk eines gigantischen Wolkenkratzers, weshalb ein kaputtes Fenster so oder so wenig hilfreich gewesen wäre. Schließlich gehörte Fliegen bislang noch nicht zu meinen ansonsten doch recht ungewöhnlichen Fähigkeiten.

Für einen Menschen.

Und auch für eine Amazone.

Schade eigentlich.

Ich saß hier also fest – inmitten eines Apartments, an einem Ort, der aussah wie New York City - nur irgendwie ganz anders. Düster und auf unheimliche Art und Weise auch ziemlich bedrohlich.

In den vergangenen vierundzwanzig Stunden war die Sonne nicht auch nur ein einziges Mal aufgegangen. Über der gesamten Stadt hing ein dunkler Schleier und auf den Straßen, welche von hier oben aus winzig klein wirkten, konnte ich keinerlei Leben entdecken. Es gab weder gelbe Taxis, noch irgendwelche Touristengruppen, die sich durch das normalerweise gut besuchte Manhattan quetschten. Ich hätte diesen Umstand als furchterregend bezeichnen können, aber eigentlich war sowieso gerade so ziemlich alles an meiner aktuellen Situation furchterregend – nicht nur die leeren Straßen.

Denn das hier war Preros‘ Werk.

Preros.

Alex‘ Vater.

Der Artaan-Dämon.

Es war bedauerlich, dass ich, während meiner stundenlangen Recherchearbeit über diese ganz besondere Gruppe der Dämonen, noch nicht bis zu eben jener Information vorgedrungen war, in der von ihrer brillanten Fähigkeit für Täuschungen berichtet wurde. Denn genau deshalb war es Preros überhaupt erst gelungen, mich zuerst nach Lake Walden zu locken, und dann in seine Zwischenwelt zu entführen. Und das alles nur, weil er sich am Telefon als mein Vater ausgegeben hatte. Doch das war noch nicht einmal das Schlimmste: Das Schlimmste war, dass auch Nicholas Monroe jetzt hier war – was auch immer ‚hier‘ eigentlich bedeutete.

Ich hatte keine Ahnung, ob der Dämon ihm womöglich schon etwas angetan hatte, denn gleich, nachdem wir gemeinsam das Portal hierher passiert hatten, war ich auch schon von Nicholas getrennt worden. Allein der Gedanke daran jagte mir mehr Angst ein, als ich mir selbst eingestehen wollte.

Preros hatte Alex‘ Mutter getötet.

Was würde er demnach also erst mit einem jungen Werwolf anstellen?

Unglücklicherweise hatte ich es nicht verhindern können, dass Nicholas uns an diesen Ort gefolgt war. Nachdem Preros in ‚Dan’s Pancake World‘ so plötzlich vor mir gestanden hatte, war mir der Alpha sofort zu Hilfe geeilt. Doch da hatte der Dämon das Portal zu seiner Zwischenwelt auch schon geöffnet gehabt. Das Einzige, an was ich mich wirklich noch deutlich erinnern konnte, war der schrille Aufschrei der armen Kellnerin, der nach wie vor in meinem Kopf widerhallte. Inständig hoffte ich, dass es ihr gut ging.

Auf jeden Fall hatte sich Nicholas da auch schon auf Preros geworfen gehabt, obwohl dieser bereits in den schimmernden Durchgang getreten war, während er mit einer Hand fest meinen Oberarm umklammert hielt. Und nur Augenblicke später waren wir schließlich alle zusammen verschwunden.

Und nun waren wir also hier.

Ehrlich gesagt, hatte ich mir eine dämonische Zwischenwelt immer ganz anders vorgestellt. Düster, sicher, das war es hier wirklich, aber irgendwie hatte ich dabei jedes Mal an glühende Lavaströme und Feuerwände gedacht, nicht an eine Welt, die mich stark an eine amerikanische Großstadt erinnerte.

Man hatte mich hier einfach in ein Apartment gesperrt, ein Apartment, welches aussah wie aus einem Katalog. Eine Mischung aus Büro und Wohnzimmer. Direkt über den Dächern New Yorks – oder zumindest über den Dächern eines Fake-New Yorks in einer Fake-Dimension – Preros‘ Dimension eben. Oder Reich. Unterwelt? Ich hatte wirklich keine Ahnung, wie auch immer man diesen Ort hier nennen wollte.

Wäre ich weniger aufgewühlt gewesen, hätte ich das Ganze vielleicht sogar spannend gefunden. Es musste schließlich einen Grund dafür geben, dass der Dämon sein Herrschaftsgebiet ausgerechnet wie das Ebenbild dieser Metropole erschaffen hatte. Was das wohl so über ihn aussagte?

Ich wusste es nicht, denn ich war nun einmal aufgewühlt und im Grunde interessierte es mich auch überhaupt nicht, was dieser Preros eigentlich für ein Problem hatte. Langsam ging es mir nämlich gehörig auf die Nerven, dass es Wesen gab, die mich einfach so entführen wollten.

Erst die PhenPaX und nun also auch Mr Dämon.

Nur mit dem winzigen Unterschied, dass Preros damit durchaus erfolgreich gewesen war.

Ich seufzte schwer, während mein Blick an einem vollen Glas mit breiiger, rosafarbener Flüssigkeit hängen blieb, welches unberührt auf einem spiegelglatten Tisch herumstand.

Wäre die ganze Situation nicht so ernst gewesen, hätte ich glatt darüber lachen können. Schließlich war es schon witzig, dass der Erdbeer-Milchshake aus ‚Dan‘s Pancake World‘ ebenfalls in dieser Dimension gelandet war, und das nur, weil die arme Bedingung ihn genau in jenem Moment vor mir hatten abstellen wollen, als Preros auch schon das Portal geöffnet hatte. Und irgendjemand hatte ihn hier mit mir zusammen in dieses Apartment gesperrt.

Abermals musste ich an die Kellnerin denken. Die Ärmste hatte wahrscheinlich den Schock ihres Lebens erlitten. Schließlich wusste ich selbst auch erst seit knapp sechs Monaten überhaupt von der Schattenwelt und ihren Bewohnern - und alleine mein Überforderungslevel war im Hinblick darauf nach wie vor recht schnell erreicht. Wie nur musste es also einem Menschen gehen, der von alledem noch nie gehört hatte?

Und was hatten sie nur mit Nicholas angestellt?

Unsere Reise durch das Portal hindurch war so schnell vonstattengegangen, dass wir Lake Walden, Idaho und die gesamte Welt, wie ich sie kannte, schon verlassen hatten, ehe mir überhaupt bewusst geworden war, was eigentlich gerade passierte. Immerhin war ich zuvor auch noch nie durch ein Portal gereist. Wenn ich ehrlich war, hatte ich diese Art der Fortbewegung tatsächlich eher für einen Mythos gehalten – und das nach all dem, was ich in den vergangenen Monaten bereits erlebt hatte!

Ich war wirklich so naiv!

Wir waren direkt in der großen Lobby dieses monströsen Wolkenkratzers gelandet, von welcher aus acht Fahrstühle hinauf in die einzelnen Etagen zu führen schienen. Insgesamt musste das Gebäude über mehr als einhundert Stockwerke verfügen, das zumindest hatte mir ein flüchtiger Blick auf das Display mit den Etagenknöpfen verraten, ehe man mir eine Art Sack über den Kopf gestülpt und mich in eben jenes Apartment gesperrt hatte.

Seitdem hatte weder jemand mit mir gesprochen, noch hatte ich auch nur einen einzigen Laut von irgendwoher hören können.

Es war in der Tat so unheimlich, dass ich schreien wollte.

Und um mich schlagen.

Und jemanden anbrüllen.

Hatte ich eigentlich schon erwähnt, wie wütend ich war?

Vor allem auf mich selbst.

Denn natürlich war mir klar, dass Preros mich nur hierher gebracht hatte, um Alex zu schaden.

Allerdings hatte ich noch nicht so ganz durchschaut, was genau er eigentlich damit bezweckte. Denn schließlich war Alex bereits auf der Suche nach ihm. Er brauchte mich also gar nicht, damit sein Sohn sich ihm endlich offenbarte.

Das war einerseits beruhigend, andererseits allerdings auch ziemlich beunruhigend. Schließlich waren, laut meiner mangelhaften Recherche, Artaan-Dämonen ganz schön hinterhältig und bösartig. Preros hatte mich also nicht nur zum Spaß entführt. Er wollte Alex wehtun und das, indem er mir Schaden zufügte.

Also musste ich hier raus – und zwar dringend.

Jedoch lagen gleich mehrere Hindernisse zwischen mir und meiner Rückreise in meine Welt: Zum einen musste ich überhaupt erst einmal aus diesem Zimmer heraus gelangen, dann Nicholas finden und am besten auch gleich noch Alex‘ Schwester Milli, die Preros mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls hierhergebracht hatte. Schließlich fehlte bereits seit Wochen jede Spur von ihr. Des Weiteren benötigten wir natürlich auch noch ein Portal, was uns im besten Fall alle drei lebendig und in einem Stück zurück an die Freeland Academy befördern würde. Jedoch war ich ja erst vor gut vierundzwanzig Stunden zum ersten Mal überhaupt durch solch ein Portal gereist und hatte natürlich mal wieder absolut keine Ahnung, wo man so einen Durchgang finden konnte, geschweige denn, was es dabei alles so zu beachten galt.

Konnte man vielleicht falsch abbiegen?

Zersplintern?

Oder sonst irgendetwas verkehrt machen, so dass man am Ende womöglich direkt in der Hölle landete?

Gab es außerdem einen Knopf, womit man so ein Portal aktivieren konnte oder funktionierte das Teil möglicherweise wie eine Art Fahrstuhl?

Oh Mann, wieso gab es eigentlich nicht so etwas wie eine Anleitung à la ‚Portalreisen für Dummys‘? Oder ‚Das kleine 1x1 der Schattenwelt - wie Sie länger als vierundzwanzig Stunden am Stück überleben, ohne gefressen, entführt oder verzaubert zu werden‘. DAS hätte mir definitiv schon so einiges erspart. Wäre die Welt gerecht gewesen, hätte man mir wenigstens einen Joker oder etwas Ähnliches zugestanden, damit ich zumindest eine klitzekleine Chance hatte, all das hier zusammen mit Nicholas und Milli zu überleben.

Wenn ich doch nur wenigstens einen Hinweis darauf gehabt hätte, was genau Preros plante!

Diese Ungewissheit machte mich einfach kirre.

In den alten Büchern der Freeland-Bibliothek hatte ich generell leider nur wenig Hilfreiches über Artaan-Dämonen finden können. Sie waren wahnsinnig attraktiv, das stand außer Frage und war für jeden, der sie sah, ziemlich offensichtlich. Außerdem lebten sie in der Regel in Zwischenwelten, die allerdings in den alten Wälzern nicht näher beschrieben worden waren. Das war allerdings auch kein Wunder, schließlich waren die Schriften uralt und somit lange vor der Gründung des heutigen New Yorks entstanden. Es hätte mich doch stark gewundert, wenn ich in einem der frühzeitlichen Werke etwas über Wolkenkratzer und vierspurige Straßen gelesen hätte.

Ansonsten waren Artaan-Dämonen erfreulicherweise nicht sonderlich weit verbreitet und auch in der Hierarchie der Dämonenstämme stachen sie nicht signifikant hervor - dennoch gehörten sie definitiv zu den dominanteren und durchaus mächtigen Wesen ihrer Art.

Trauen durfte man ihnen zweifellos nicht.

Niemals.

Es fiel mir wirklich schwer, all das zu begreifen, vor allem, weil Alex für mich zu den aufrichtigsten Mensch gehörte, die ich kannte. Ich vertraute ihm bedingungslos und er vertraute mir. Zum Glück hatten sich, was das anbelangte, wohl eher die Gene seiner Mutter durchgesetzt, die eine sehr liebenswerte Person gewesen sein musste.

Und Preros hatte sie getötet.

Einfach so.

Ich seufzte schwer.

Ich musste endlich raus aus diesem verdammten Apartment!

Argh!

Wie auch schon in den vergangenen Stunden begann ich, zwischen den beiden Räumen hin und her zu tigern. Zwischenzeitlich hatte ich sogar kurz versucht, auf dem Ledersofa ein wenig zu schlafen, doch nach wie vor fühlte ich mich überraschend wach. Auch verspürte ich weiterhin weder den Wunsch, nach etwas Essbarem, noch hatte ich großartigen Durst. Was ein Glück war, denn, wie schon erwähnt, hatte sich Preros bislang noch nicht wieder hier blicken lassen.

Möglicherweise hatten sie mich ja auch einfach vergessen. Wer wusste schon, was ein Artaan-Dämon so alles zu tun hatte? Menschen quälen, verführen, in Buttermilch baden – darüber konnte man eine gekidnappte Amazone auch schon mal aus den Augen verlieren.

Um mich von meinen beunruhigenden Gedanken abzulenken, begann ich schließlich, jeden einzelnen Millimeter der Wand neben der Tür abzutasten. Auf welche Weise flohen die Helden in den Actionfilmen doch gleich noch mal? Entkamen sie nicht immer durch irgendwelche Lüftungsschächte und Klimaanlagen? Innerlich schalt ich mich dafür, bei den Mission Impossible- und James Bond-Fernsehabenden mit meinem Dad nicht besser aufgepasst zu haben.

Nichtsdestotrotz fixierte ich nun suchend die Decke - konnte allerdings zu meinem Unmut nichts entdeckend, was auch nur im Ansatz an einen Lüftungsschacht erinnerte. Der Raum war zwar angenehm temperiert, aber wer wusste schon, über welch innovative Technik Dämonen so im Allgemeinen verfügten.

Ich war noch immer ganz in Gedanken versunken, als ich es schließlich bemerkte: Ein Flimmern!

Heftig blinzelnd kniff ich die Augen zusammen. Bekam ich jetzt etwa auch noch Migräne? Das hatte mir gerade noch gefehlt. Vorsichtig öffnete ich ein Auge und bemerkte, dass das Flimmern an der Decke nach wie vor zu sehen war. Doch es breitete sich nicht weiter aus, sondern waberte einfach lautlos vor sich hin. Das war definitiv keine Migräne.

Wieder blinzelte ich und betrachtete den verschwommenen Fleck dann noch etwas genauer. Was war das? Eine Art Überwachungssystem? Allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass das Flimmern bis eben noch nicht dort gewesen war.

Behutsam streckte ich eine Hand danach aus, nicht sicher, ob es sich um eine gute Idee handelte, meine Finger dort hineinzustecken. Doch ich war ohnehin viel zu klein, um die Stelle vom Boden aus überhaupt erreichen zu können. Gerade, als ich darüber nachdachte, mir einen der hässlichen Stahlstühle zu Hilfe zu nehmen, hörte ich ein Geräusch.

Klopf, klopf.

Ruckartig fuhr ich zusammen, während mein Herz Purzelbäume schlug.

Wo bitte war denn nun auch noch das Klopfen so plötzlich hergekommen?

Klopf, klopf.

Wie in Zeitlupe drehte ich mich um die eigene Achse und lauschte dabei angestrengt in die nun wieder einsetzende Stille hinein.

Nichts.

Nur meinen eigenen Atem nahm ich mit einem Mal beinahe überdeutlich wahr.

Frustriert fuhr ich mir durch mein dichtes Haar und löste dabei versehentlich einen Teil meines Zopfs, so dass mir noch mehr Strähnen unordentlich ins Gesicht fielen. Doch meine Frisur bereitete mir in diesem Moment noch die wenigsten Sorgen.

Hatte ich mir das Geräusch nur eingebildet? Oder drehte ich jetzt vielleicht langsam durch? Erst das Flimmern und nun das?

Doch fast in derselben Sekunde hörte ich es ein weiteres Mal. Diesmal jedoch deutlich lauter als noch zuvor.

Klopf, klopf.

Hektisch sah ich mich in dem Zimmer um und sofort fiel mir auf, dass das Flimmern an der Decke wieder verschwunden war! Doch mir blieb keine Zeit, mir weiter darüber den Kopf zu zerbrechen, denn das Klopfen wurde nun beinahe unangenehm laut.

Rasch eilte ich zu dem kleinen Badezimmer hinüber und riss erwartungsvoll die Tür auf. Das Licht brannte noch von meinem letzten Besuch dort drinnen, doch ich sah - nichts. Zumindest nichts, was nicht an eine Toilette und ein Waschbecken erinnerte.

Klopf, klopf.

„Meister?“

Meister?

Misstrauisch machte ich einen Schritt auf das Waschbecken zu. Mit den Augen fixierte ich dabei den Abfluss, während ich es kaum wagte, auch nur zu atmen. Hatte es sich darin gerade etwas bewegt?

Oder schnappte ich wirklich langsam über?

„Meister?“

Da war sie wieder!

Die Stimme!

Vorsichtig trat ich noch näher.

Klopf, klopf.

Ohne weiter darüber nachzudenken, griff ich blitzschnell in das Becken hinein und zog an dem Stopfen, der sich problemlos herausziehen ließ.

Fast im selben Moment war auch schon ein seltsames Ploppen zu hören und etwas Kleines, Graues schoss aus dem Rohr direkt auf mich zu!

Hastig wich ich zurück, bevor auch schon eine weitere, ebenfalls dunkle Gestalt unmittelbar vor meinen Füßen landete.

Perplex starrte ich auf zwei etwa zwanzig Zentimeter große Wesen hinab, die mich verdächtig an kleine Steinskulpturen erinnerten.

Was bitte war das?!

 

 

 

 

 

 

2. KAPITEL

 

MAVI

 

 

„Du bist nicht unser Meister.“ Eine der beiden dunklen Gestalten rümpfte angewidert die Nase, während die andere mich nur wortlos anstarrte.

„Aber sie riecht wie er“, wisperte sie schließlich und schnupperte kurz in meine Richtung.

Unwillkürlich trat ich einen weiteren Schritt zurück und stieß dabei wenig galant gegen die geöffnete Badezimmertür. Autsch.

„Aber sie sieht nicht aus wie er“, widersprach die andere sofort.

„Vielleicht hat er sich verändert? Es ist lange her ...“

„Nein, so grässlich war er nie.“

Empört schnappte ich nach Luft, während ich mir gleichzeitig über meinen schmerzenden Ellenbogen rieb. „Ähm, entschuldigt, ich möchte euch ja nur ungern unterbrechen, aber wer seid ihr?“

„Sie spricht nicht wie er.“

„Nein.“ Bedauernd schüttelte eines der beiden kleinen Wesen den Kopf und musterte mich dann abermals von Kopf bis Fuß. „Und trotzdem rieche ich sein Blut.“

„Wessen Blut?“ Beunruhigt blickte ich nun ebenfalls an mir herab, doch ich trug noch immer Hoodie und Jeans und an beidem klebte erfreulicherweise keinerlei Blut.

Ich fantasierte! Klar, das musste es sein! Wahrscheinlich war ich mittlerweile einfach nur komplett dehydriert und ausgehungert. Schließlich war es schon ziemlich lange her, seit ich zum letzten Mal etwas gegessen und getrunken hatte.

„Mmh, na gut, irgendetwas hat sie also mit unserem Meister zu tun.“ Der andere legte nun den Kopf schief, und sah dabei beinahe aus wie ein Papagei. „Ein Abkömmling“, schlug er schließlich hoffnungsvoll vor.

„Naheliegend.“ Sein Begleiter nickte.

„Hör zu, Mädchen, ist Moonox dein Vater?“

„Bitte was? Wer oder was ist ein Moonox?“

„Sie scheint nicht besonders klug zu sein.“ Ein mitleidiger Ausdruck huschte über das Gesicht der etwas kleineren Gestalt. Waren das womöglich ebenfalls Dämonen? Es war naheliegend, immerhin befanden wir uns hier in einer dämonischen Zwischenwelt, doch sicher war ich mir nicht. Sie hatten absolut keine Ähnlichkeit mit Preros, dennoch wusste ich aus den Büchern, dass Dämonen ganz unterschiedliche Gestalten annehmen konnten und so verschieden waren, wie auch alle anderen Lebewesen in diesem Universum. In der Bibliothek der Freeland Academy hatte es durchaus Darstellungen von ihnen gegeben, bei denen ich selbst im hellen Sonnenschein eine Gänsehaut bekommen hatte.

„Wer seid ihr?“ Auch dieses Mal zwang ich mich dazu, ihren respektlosen Kommentar zu ignorieren. Schließlich blieb mir wirklich keine Zeit, die Beleidigte zu spielen.

„Hält sie uns wirklich für so dumm?“ Kichernd sahen sich die beiden an. Ihre dicken, kleinen Steinbäuche schaukelten dabei vor Belustigung auf und ab und an ihren Schläfen entdeckte ich bei genauerer Betrachtung zwei winzige Hörner, die sie wie kleine Faune aussehen ließen. Über Hufe verfügten sie jedoch nicht, eher über zierliche Tatzen, wie bei einer Katze.

„Okay, hört zu, mein Name ist Mavi und ich werde hier von diesem Typen namens Preros gefangengehalten. Wie sieht es mit euch beiden so aus?“ Langsam verlor ich nun doch ein wenig die Geduld.

Sofort weiteten sich ihre Augen vor Schreck und der Kleinere der beiden trat instinktiv hinter seinen Begleiter zurück. „Man darf seinen Namen nicht verraten. Namen haben Macht. Man kann damit beschworen werden“, flüsterte er dabei mit erstickter Stimme.

„Hier weiß wahrscheinlich ohnehin jeder, wie ich heiße.“ Gleichgültig zuckte ich die Achseln. „Außerdem bin ich keine Dämonin, aber ihr zwei seid welche, richtig?“ Das zumindest schlussfolgerte ich aus seinen Worten.

„Ich spüre unseren Meister in dir“, gab der Größere der beiden zurück, ohne dabei wieder einmal auf meine Fragen näher einzugehen. Es war wirklich zum Verrücktwerden!

Der andere nickte bekräftigend.

„Und wer genau ist eurer Meister?“, erkundigte ich mich nun leicht genervt. Dieses Gespräch war in etwas so ergiebig, wie der Versuch, mit einer Gießkanne das Meer zu füllen.

„Moonox.“

Das hatte ich mir bereits gedacht. Ich seufzte schwer. „Und wer ist Moonox?“

Wieder erntete ich nur ein Kopfschütteln, doch dann schien sich der Größere endlich meiner zu erbarmen. „Das hier ist Moonox‘ Reich.“

„War Moonox‘ Reich“, ergänzte der andere. „Er verschwand vor etwas mehr als fünfzig Erdenjahren – seitdem ist der hier.“ Mit gerümpfter Nase blickte der Größere der beiden an mir vorbei in Richtung der Tür, die zurück in das Wohnzimmer führte.

„Preros?“

Der Kleinere erschauderte, nickte dann aber widerstrebend.

Das machte ihn mir gleich um einiges sympathischer.

„Hört mal, könnt ihr mir vielleicht sagen, wie ich hier rauskommen kann?“

„Geht nicht.“

„Nein.“

„Wieso nicht?“

„Hier ist noch nie jemand von alleine rausgekommen.“

Ich gab mir wirklich alle Mühe, nicht auch noch das letzte bisschen Hoffnung über Bord zu werfen. „Gab es denn schon viele Gefangene hier?“

„Einige, aber keiner roch – wie Moonox.“

Ich seufzte abermals. „Wo habt ihr euren Meister denn das letzte Mal gesehen? Und wieso ist er verschwunden?“

„Er ist mit diesem -“, setzte der eine an, wurde aber jäh von seinem Begleiter unterbrochen.

„Lex!“

„Lex?“, wiederholte ich.

„Argh!“

Das nannte ich mal eine Unterhaltung.

„Ja, er ist Lex und ich bin Dex“, gab der Dämon namens Dex – der Kleinere von beiden – nun doch etwas widerstrebend zu. Allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass das nicht wirklich ihre Namen waren. Aber es war zumindest ein Anfang.

„Preros hat unseren Meister mit in die Welt der Menschen genommen – und kam dann ohne ihn zurück. Er hat uns nie erzählt, was dort mit Moonox geschehen ist. Aber seit dieser Zeit herrscht er über dieses Reich und über all jene, die hier leben.“

„Also auch über euch?“

Angewidert nickten die beiden.

„Aber Moonox wird zurückkehren. Du bist hier. Du trägst sein Blut in dir.“

Ich sah so etwas wie Hoffnung in ihren Augen aufleuchten und unterdrückte sogleich den Impuls, den Kopf zu schütteln. Eine leise, nagende Stimme in meinem Innern hielt mich davon ab. Denn unverzüglich kam mir bei seinen Worten eine weitere Gruppe Übeltäter in den Sinn, die möglicherweise etwas mit dem Verschwinden dieses Moonox‘ in Verbindung stehen konnten: die PhenPaX.

Die PhenPaX war ein echter Sauhaufen. Sie bezeichneten sich selbst als Forschende, die im Namen der Wissenschaft mit Vorliebe an Amazonen und anderen Übernatürlichen herumexperimentierten, um – ja, um was genau eigentlich zu tun?

Darüber herrschte in der Schattenwelt noch keine so wirkliche Einigkeit. Nicht wenige waren der Meinung, die PhenPaX wäre besessen von der Idee, mit ihren Experimenten an Amazonen eine nahezu unbesiegbare Armee zu erschaffen, wohingegen andere die Ansicht vertraten, die Gruppe hätte es sich zur Aufgabe gemacht, die übernatürliche Bevölkerung von der Erde gänzlich zu verbannen.

So, wie sie es auch mit Chanelle getan hatten, einer anderen Amazone, die ebenfalls Schülerin an der Freeland Academy gewesen war. Ich hatte sie selbst nie kennengelernt, da sie bereits vor meinem Auftauchen an der Schule von der PhenPaX gekidnappt und anschließend ermordet worden war. Nach wie vor konnte ich kaum fassen, dass sie so etwas getan hatten. Aaron, Chanelles Freund, war seitdem ein anderer Mensch und ging all‘ seinen Mitschülern mehr oder weniger aus dem Weg. Dennoch hatte er erfolgreich dabei geholfen, meine eigene Entführung durch die PhenPaX zu verhindern, wofür ich ihm noch immer sehr dankbar war.

Der Gedanke, dass Chanelle dieses Glück nicht vergönnt gewesen war, verfolgte mich nach wie vor. Genauso wie die Tatsache, dass es auch meiner Großmutter nicht gelungen war, diesen Verbrechern zu entkommen. Meine Mutter war damals während ihrer Gefangenschaft in den geheimen Laboren der PhenPaX geboren worden, hatte jedoch letzten Endes glücklicherweise fliehen können. Trotzdem fehlte nun schon wieder seit über drei Jahren jede Spur von ihr, was absolut nichts Gutes verheißen konnte.

Ob sie noch lebte, wusste ich nicht, doch ich war überzeugt davon, dass ich es fühlen würde, wenn die PhenPaX auch ihr etwas angetan hätte. Einen anderen Gedanken ließ ich schlichtweg nicht zu. Immerhin hatte sie sich jahrelang erfolgreich vor ihnen verstecken können, selbst dann noch, als sie bereits meinen Vater kennen und lieben gelernt hatte.

Meine Großmutter hingegen hatte weniger Glück gehabt. Mein Herz schmerzte, wenn ich nur daran dachte, was diese widerlichen Typen ihr alles angetan haben mussten. Von meinem Dad hatte ich inzwischen erfahren, dass meine Großmutter noch vor Moms Flucht verstorben war, doch die genauen Umstände ihres Todes kannten weder er noch ich. Jahrelang hatte die PhenPaX sie für ihre Experimente missbraucht, in welchen sie die DNA der Amazonen mit derer anderer Übersinnlicher vermischt hatte. All das sprach tatsächlich dafür, dass die PhenPaX weitaus höhere Ziele verfolgte als die bloße Vernichtung der übernatürlichen Welt. In ihrer grotesken Art zu denken, ergab all das womöglich sogar einen Sinn: Schließlich waren Amazonen tapfere Kriegerinnen und zusammen mit den Fähigkeiten anderer Übersinnlicher konnte man mit ihnen durchaus so etwas wie eine perfekte Waffe erschaffen.

Meine eigenen Fähigkeiten waren zwar alles andere als perfekt, gleichwohl besaß ich Fertigkeiten, die weit über jene einer Durchschnittsamazone hinausgingen. So war ich nicht nur in der Lage zu spüren, was meine Mitmenschen fühlten, es sei denn, sie wussten, wie man sich davor schützte, zudem konnte ich auch noch Illusionen erzeugen, die andere Lebewesen erfolgreich in die Irre führten.

Dementsprechend ergab also auch alles, was Lex und Dex behaupteten, auf verquere Art und Weise durchaus Sinn – nur, dass ich bislang nicht davon ausgegangen war, dass im DNA-Cocktail meiner Familie auch ein Schuss Dämon-Blut steckte. Doch auch das passte viel zu gut zu dem, was ich der PhenPaX mittlerweile so zutraute.

Allein bei der Vorstellung ergriff prompt ein schwindeliges Gefühl von mir Besitz und leicht schwankend tastete ich nach dem Badewannenrand, um mich daran festzuhalten.

„Also, eurer Meister“, ich räusperte mich. Meine Stimme klang nun leicht belegt und mir war mit einem Mal irgendwie heiß. „Was - kann der denn so?“

Verständnislos erwiderten die beiden Dämonen meinen fragenden Blick. Eigentlich waren sie echt putzig, wenn man einmal davon absah, dass sie sich erst wenige Minuten zuvor durch ein Abflussrohr in der Wand gequetscht hatten.

„Moonox ist mächtig.“ In Lex‘ Stimme lag so viel Ehrfurcht, dass sie leicht zitterte, als er sich endlich dazu herabließ, mir zu antworten.

„Unglaublich mächtig“, ergänzte Dex sogleich.

„Und was hat er für Fähigkeiten?“, hakte ich geduldig nach, obwohl ich wirklich keine Zeit für derartige Spitzfindigkeiten hatte. Wer konnte schon sagen, was genau Preros gerade plante!

„Er kontrolliert Emotionen.“

Ich stöhnte auf und Lex und Dex warfen mir beinahe zeitgleich einen verständnislosen Blick zu. Also doch, in meinem DNA-Cocktail befand sich das Blut eines waschechten Dämons. Das war also der Grund, weshalb Alex und ich so unfassbar gut miteinander harmonierten.

Unwillkürlich zog ich eine Grimasse. „Wie kontrolliert er sie?“

„Das verraten wir dir nicht.“ Abwehrend verschränkte Dex die kurzen Ärmchen vor seinem prächtigen Bauch und automatisch fragte ich mich, wie er es damit überhaupt durch das enge Abflussrohr geschafft hatte.

„Kann er spüren, was andere fühlen? Kann er Illusionen erschaffen und auf diese Weise seine Umwelt täuschen?“, riet ich einfach so drauflos und abermals bekamen die beiden kleinen Gestalten große Augen. Dennoch erhielt ich keine Antwort. „Ja? Also ja! Gut, dann bin ich wohl tatsächlich mit ihm verwandt, denn genau diese Fähigkeiten besitze ich ebenfalls“, fuhr ich nun doch etwas gereizter fort. „Was kann er noch?“ Abwartend ließ ich meinen Blick von einem zum anderen wandern.

„Dann bist du also wirklich sein Abkömmling“, flüsterte Dex ehrfurchtsvoll, ohne dabei erneut auf meine Frage einzugehen. „Meinst du sie ist ...?“ Vielsagend sah er seinen Kumpel an, der nun ebenfalls zögerlich nickte: „Ich denke, das ist sie.“

„Was bin ich?“ Die beiden schafften es wirklich, meine Geduld gefährlich zu strapazieren. Was sollten all diese kryptischen Anspielungen? Ein Blick auf die beiden Dämonen verriet mir jedoch, dass auch ihnen missfiel, in welche Richtung sich unser Gespräch gerade bewegte.

„Was genau meint ihr? Wer soll ich sein?“, wiederholte ich meine Frage, doch statt einer Antwort, schüttelten die beiden nur abwehrend die Köpfe.

„Möchtest du hierbleiben? Bei Preros?“ Lex klang mit einem Mal wieder genauso argwöhnisch wie zu Beginn unserer Konversation.

„Bitte was?“ Nun war ich ehrlich irritiert. „Natürlich nicht! Ich möchte ganz sicher nicht hierbleiben. Wie bitte kommt ihr denn jetzt darauf? Ich möchte zurück! In meine Welt! Zusammen mit meinen Freunden!“

„Dann will sie wirklich nicht ...?“ Dex erschauerte, doch der Ausdruck auf Lex‘ Gesicht veränderte sich bei meinen Worten. Die misstrauischen Züge verschwanden und sofort glich sein Gesicht wieder dem einer süßen kleinen Babykatze.

„Will sie wohl nicht“, stimmte er zu und ich hätte vor lauter Frust beinahe aufgeschrien. Im Gegensatz zu mir wirkten die beiden nun jedoch wieder äußerst zufrieden mit der gesamten Situation. Dennoch waren sie allem Anschein nach nicht gewillt, mir zu verraten, was hier eigentlich los war. Egal, das musste warten. Zunächst musste ich einfach nur weg von hier, und so lange sie mir dabei helfen konnten, war ich bereit, nicht weiter nachzubohren. Ihre nächste Frage bereitete mir jedoch bereits aufs Neue leichte Bauchschmerzen: „Wir müssen Moonox finden. Wo steckt er?“

„Wenn ich das wüsste.“ Betont gleichgültig zuckte ich mit den Schultern. Immerhin wollte ich den beiden Dämonen ja nicht gleich alle Hoffnung nehmen. Doch im Grunde glaubte ich nicht wirklich daran, dass dieser Moonox noch lebte. Nicht, wenn die PhenPaX ihn tatsächlich in ihre Finger bekommen hatte. Obwohl, konnte man Dämonen einfach so töten? 0815-Dämonen vielleicht, doch so mächtige Wesen wie diesen Moonox? Da war ich mir tatsächlich gar nicht mal so sicher.

Schon wieder schwirrte mir der Kopf und automatisch musste ich an Alex denken und die Silberkugel, die ihn erst wenige Wochen zuvor beinahe getötet hatte. Silber. Eine wirklich perfide Art, um Dämonen außer Gefecht zu setzen. Selbst Halbdämonen konnten auf diese Weise erfolgreich ausgeschaltet werden, wie ich jetzt aus eigener Erfahrung wusste. Nur mit Hilfe von Hexenmagie war es überhaupt gelungen, Alex‘ Leben in letzter Minute zu retten. Noch immer wurde mir schlecht, wenn ich nur daran dachte. Vor Silber würde ich mich in Zukunft besser fernhalten. Wie gut, dass sich meine Vorliebe für Schmuck ohnehin in Grenzen hielt.

„Hört zu, ich muss wirklich hier raus. Ein Freund von mir wird hier irgendwo gefangengehalten und ich muss außerdem die Schwester meines Freundes finden. Sie ist – Preros‘ Tochter.“

„Das Mädchen!“ Nahezu zeitgleich schlugen sich die beiden Dämonen ihre Pfoten auf die kleinen Münder.

„Milli ist wirklich hier?“

Unwillig nickten sie. „Und auch der Werwolf. Er ist gleich nebenan.“

„Er ist also am Leben?“ Vor Erleichterung wurden meine Knie weich, doch mir entging das lapidare ‚Noch‘ nicht, welches Dex unbeeindruckt darauf erwiderte. Ehe ich jedoch etwas entgegnen konnte, meinte Lex: „Wir müssen kurz etwas besprechen. Lauf nicht weg.“ Unvermittelt griff er nach Dex‘ Arm und zog diesen mit sich in eine kleine Nische hinein, die sich direkt neben der Toilette befand.

‚Lauf nicht weg‘, war nun wirklich die Übertreibung des Jahres! Wohin bitte sollte ich denn gehen?

Ungeduldig sah ich zu, wie die beiden miteinander zu tuscheln begannen, und trommelte dabei nervös mit den Fingerspitzen auf dem Rand des Waschbeckens herum.

Ich musste ruhig bleiben!

Ich war mit einem Dämon verwandt!

Ich musste ruhig bleiben!

Einem mächtigen Dämon!

Ruhe!

Am liebsten hätte ich mir beide Hände auf die Ohren gepresst, um die beängstigenden Gedanken loszuwerden, doch aus Erfahrung wusste ich, dass ich damit nichts gegen die aufsteigende Panik in mir bewirken konnte. Panik, eine äußerst ungewöhnliche Gefühlsregung für eine Amazone.

Einatmen und ausatmen.

Alles war gut.

Auch Alex war schließlich mit einem Dämon verwandt und schlimmer als Killer-Preros ging es doch eigentlich nicht, oder? Warum nur störte mich dieser Umstand dann nicht genauso stark, wie die Tatsache, dass ich vermutlich eine Nachfahrin von diesem Moonox war? Manchmal verstand ich mich selbst am Allerwenigsten.

„Bring uns zu unserem Meister und wir helfen dir, von hier zu fliehen.“ Dex‘ Stimme riss mich aus meinem trübseligen Gedankenstrom.

„Aber ihr sagtet doch, dass man von hier aus nicht entkommen kann“, gab ich prompt zurück, ehe ich mich davon abhalten konnte.

„Zumindest nicht ohne Hilfe“, Lex warf mir einen überlegenen Blick zu, der in seinem Katzengesicht jedoch vor allem niedlich wirkte.

„Und ihr könnt mir helfen?“ Erneut keimte Hoffnung in mir auf.

„Wir können es versuchen. Aber dann müssen wir zu Moonox. Wenn Preros erfährt, dass wir ihn hintergangen haben, wird er uns auf der Stelle auslöschen. Er kann Chaosdämonen ohnehin nicht ausstehen. Unser Meister muss zurückkommen und uns retten.“

Chaosdämonen. Das waren sie also. Interessant. Sollte ich jemals wieder die Bibliothek der Freeland Academy betreten, würde ich versuchen, mehr über ihre Art herauszubekommen. Doch zwischen mir und der Bibliothek lag momentan noch ein ziemlich weiter Weg. Und der führte zuerst einmal an einer Lüge vorbei. Schließlich hatte ich absolut keine Ahnung, wo dieser Moonox überhaupt stecken könnte. Sofort meldete sich mein schlechtes Gewissen. Natürlich, ich konnte die beiden zum Hauptquartier der PhenPaX führen, doch was, wenn Moonox nicht dort war? Die Chancen dafür standen gar nicht mal so schlecht. Ich konnte sie, was das anging, nicht einfach so belügen, auch wenn ich damit die einzige Option aufs Spiel setzte, dass sie mir hier heraushalfen.

„Ich möchte ehrlich mit euch sein. Ich habe eine Vermutung, wer euren Meister damals gefangengenommen hat. Auch meine Großmutter und Mutter wurden von diesen Leuten weggesperrt. Doch ich weiß wirklich nicht, ob euer Moonox überhaupt noch am Leben ist.“ Zerknirscht blickte ich von einem zum anderen und merkte, wie ich dabei vor Anspannung den Atem anhielt. Wie würden sie reagieren? Würden sie einfach kehrtmachen und auf Nimmerwiedersehen durch das nächste Abflussrohr verschwinden? Immerhin hatte ich ihnen im Grunde nicht wirklich etwas anzubieten.

„Sie ist aufrichtig“, Lex klang überraschend zufrieden.

„Wie Moonox“, bestätigte Dex sogleich. „Er lebt“, fuhr er dann auch schon wie selbstverständlich fort. „So lange du über seine Fähigkeiten verfügst, existiert er irgendwo da draußen.“ Das klang jetzt schon wieder ein wenig kryptisch.

„So lange ich also Gefühle lesen kann, ist eurer Meister am Leben?“

Lex nickte bekräftigend. „Wenn Oonox-Dämonen sterben, dann stirbt alles mit ihnen. Auch die Fähigkeiten, die sie an ihre Nachkommen weitergegeben haben. Es sei denn, es handelt sich bei diesen Nachkommen um Kinder zweier Oonox-Dämonen. Nur so bleibt ihre Art erhalten. Und das ist auch der Grund dafür, weswegen sie so selten sind.“

Das waren in der Tat interessante Neuigkeiten. „Okay, und woher wisst ihr, dass ich auch jetzt noch in der Lage bin, Gefühle lesen kann?“

„Kannst du denn spüren, wie wir uns gerade fühlen?“

Ich hielt inne, um in mich hineinzuhorchen, schüttelte dann jedoch den Kopf.

„Genau, weil wir uns schützen.“ Lex wirkte noch immer äußerst zufrieden. „Und jetzt?“

Ich öffnete abermals meinen Geist und spürte sofort, wie mir nun eine starke Woge aus Neugier und Hoffnung entgegen schwappte.

Ich nickte. „Du hast Hoffnung – wegen Moonox, nehme ich an, oder?“

Wieder huschte ein glücklicher Ausdruck über sein Gesicht, ehe er sagte: „Und nun verändere dieses Gefühl!“

„Bitte was?“

„Verändere es.“ Auffordernd sah er mich an. „Sag bloß, du hast noch nie die Gefühle anderer Lebewesen manipuliert? Das war praktisch Moonox‘ Spezialität.“

Langsam schüttelte ich den Kopf. Das alles wurde wirklich immer verwirrender. Ich konnte Gefühle manipulieren?

„Versuch es“, schloss sich nun auch Dex seinem Kumpel auf.

„Und wie?“ Abermals spürte ich die Hoffnung, die von Lex ausging. Wie bitte sollte ich dieses Gefühl verändern? Mit meinem bloßen Willen?

Ich schloss die Augen und konzentrierte mich. Lex‘ Hoffnung umfloss mich, kitzelte meine Sinne und unwillkürlich musste ich an Alex denken. An seine Liebe, seine Zuneigung. Diese Gefühle hatte ich hoffentlich nicht irgendwie unbewusst manipuliert. Allein der Gedanke daran war erschreckend, doch im Grunde war ich mir ziemlich sicher, dass dem nicht so war. Schließlich hatte sich Alex von Anfang an zu mir hingezogen gefühlt, als ich ihn und sein Auftreten noch als ziemlich gruselig empfunden hatte. Obendrein hielt er seinen Geist ohnehin die meiste Zeit über vor seiner Umwelt verschlossen.

Wehmütig blinzelnd öffnete ich die Augen und bemerkte sogleich, dass sich Lex‘ Blick verändert hatte. Er wirkte mit einem Mal deutlich weniger abweisend, als noch wenige Sekunden zuvor. Nun stand er direkt vor mir und ein seltsames Lächeln umspielte dabei seine dünnen Lippen, während Dex ihn erschrocken anstarrte.

„Du bist wunderschön, Mavi“, flötete Lex da auch schon. „Darf ich bitte dein Haar berühren? Nur ganz kurz.“ Ein flehender Ausdruck huschte über sein katzenhaftes Gesicht.

Perplex starrte ich ihn an. Hatte ich Lex etwa gerade dazu gebracht, sich zu mir hingezogen zu fühlen, weil ich an Alex gedacht hatte? Das war ja – furchtbar!

„Stell das ab!“ Dex‘ Stimme klang mit einem Mal deutlich schriller als zuvor.

„Wie denn?“

„Er steht unter deinem Einfluss. Mach das rückgängig!“

„Aber wie?“

„Lass ihn frei!“

„Wie?!“

„Ach, Mavi.“ Lex‘ kleine Pfote tätschelte meine Wade und ich wich unverzüglich zurück. Eilig konzentrierte ich mich wieder auf meine Sinne und verschloss augenblicklich meinen Geist.

Verwirrt sah Lex mich an und machte dann prompt einen Sprung rückwärts.

„Das war ekelhaft.“ Dex schüttelte den Kopf und rümpfte dabei die kleine Nase.

„Das war Moonox!“ Ein unerwartetes Strahlen legte sich nun über Lex‘ Gesicht. „Sie ist wirklich sein Abkömmling! Dex, sie ist unsere Rettung!“

Noch immer irritiert von dem, was ich soeben wieder über meine eigenen Fähigkeiten gelernt hatte, blickte ich von einem zum anderen. Erneut begannen meine Gedanken um diese eine, ganz entscheidende Frage zu kreisen: War mir das zuvor schon einmal gelungen, ohne dass ich es womöglich bemerkt hatte?

Sofort musste ich wieder an Alex denken.

Nein, nein, nein! Alex schützte sich praktisch ununterbrochen und er hatte mich auch noch nie auf eine solch entrückte Art und Weise angesehen, wie Lex es soeben getan hatte. Außerdem hatte es bislang ohnehin nur sehr wenige Ausnahmen gegeben, in denen es Alex nicht gelungen war, seinen Geist vor mir und seiner Umwelt zu verbergen - und eine dieser seltenen Ausnahmen hatte seiner Mutter am Ende das Leben gekostet.

Ich schluckte schwer.

Dennoch war es gut, zu wissen, dass ich zumindest ihn nicht einfach so manipulieren konnte. Offensichtlich war das nur möglich, wenn ich dabei auch die Emotionen meines Gegenübers spürte, um diese dann in eine entsprechende Richtung zu lenken. Trotzdem, all das war schon ziemlich schräg.

„Und, was machen wir jetzt?“ Krampfhaft versuchte ich, nicht weiter darüber nachzudenken.

„Wir holen den Werwolf aus seinem Zimmer.“

„Aber ich dachte, man kann hier nicht ausbrechen.“

„Nicht aus diesem Zimmer“, gab Dex lässig zurück. Auch er hatte sich mittlerweile wieder beruhigt. „Es ist speziell gesichert. Aber der Werwolf ist in einem ganz normalen Apartment untergebracht.“

„Was inzwischen allerdings ziemlich verwüstet worden ist“, ergänzte Lex.

Das konnte ich mir nur allzu gut vorstellen. Sicherlich hatte sich der Alpha nach seiner Gefangennahme nicht einfach so auf irgendein blödes Sofa gehockt und Däumchen gedreht.

Der arme Nicholas.

„Wir holen ihn raus und dann muss er deinen Wächter töten.“ Lex sagte das mit solch einer Selbstverständlichkeit, als wäre absolut nichts dabei.

„Meinen Wächter?“

„Klar, den Typen, der immerzu vor deiner Tür hockt. Max hat, glaube ich, gerade Dienst.“ Dex überlegte, dann zuckte er leichthin die schmalen Schultern. „Er hat auf jeden Fall die Schlüsselkarte. Im Übrigen ist er einer von Preros‘ Lieblingsuntertanen.“ Er verzog verächtlich das Gesicht.

„Könnt ihr Nicholas bitte vorher eine Nachricht von mir geben? Damit er weiß, was los ist und nicht gleich auf euch losgeht?“

Sie überlegten kurz, dann nickten sie jedoch zustimmend.

Rasch sah ich mich um. In diesem Apartment hatte ich in den vergangenen Stunden alles Mögliche gesehen, nur kein Papier. Kurzerhand begann ich, die Klorolle abzuwickeln, und eilte anschließend hinüber in das geräumige Wohnzimmer, in welchem nach wie vor der Milchshake vor sich hin gammelte.

Zu meiner Erleichterung entdeckte ich gleich darauf auf dem Schreibtisch eine recht ansehnliche Sammlung an Kugelschreibern, die in dieser Dämonenwelt irgendwie fehl am Platz wirkten.

Hastig kritzelte ich meine Nachricht auf das dünne Papier und faltete es im Anschluss daran so klein zusammen, dass Dex es problemlos an sich nehmen konnte.

„Ihr müsst aufpassen. Er kann sehr gefährlich sein.“ Besorgt sah ich die beiden an. Ich hatte keine Ahnung, wann genau das geschehen war, doch irgendwie hatte ich sie mittlerweile fast ein wenig ins Herz geschlossen. Vielleicht lag das aber auch nur an Moonox‘ Blut in meinen Adern.

Unwillkürlich überlief mich ein kalter Schauer.

„Er ist nur ein Werwolf“, betont gleichgültig zuckte Lex mit den Schultern. „Ein Hündchen. Wir sind weitaus Schlimmeres gewohnt.“

Das konnte ich mir gut vorstellen.

„Okay, dann – ich hoffe, wir schaffen das.“ Ein wenig verzagt sah ich dabei zu, wie sie eilig zurück in das Waschbecken kletterten. Ihre Körper schienen dabei von Sekunde zu Sekunde zu schrumpfen und kurz darauf waren sie auch schon verschwunden.

Ich war wieder allein - und unfassbar nervös.

Viel zu nervös für eine als unerschrocken geltende Amazone. Doch das war ein anders Thema. In meinem Blut schienen die Fähigkeiten des Dämons eindeutig zu dominieren, auch wenn ich mir sicher war, dass auch ein Dämon wie Moonox eher zu der furchtlosen Sorte Übernatürlicher gehörte.

Angestrengt lauschte ich in die Stille hinein, doch die Wände schienen jedes Geräusch von außen erfolgreich zu unterdrücken. Ich war mir sicher, im echten New York wären die Bewohner solcher Apartments gewiss begeistert von einem solchen Schallschutz gewesen.

Ich wartete.

Und wartete.

Unruhig lief ich immer wieder zwischen Wohnzimmer und Bad hin und her, während es draußen vor dem Fenster nach wie vor finster blieb.

Hoffentlich schafften es die drei, mich vor Preros und seinen Leuten hier herauszuholen.

Und dann?

Mussten wir Milli finden und anschließend ein Portal.

Wenn Dex und Lex wirklich wussten, wo genau Alex‘ Schwester steckte, dann würden wir auch das noch irgendwie auf die Reihe bekommen.

Immerhin konnte ich nun auch noch Gefühle manipulieren.

Ich verzog das Gesicht und lauschte dabei abermals in die Stille hinein.

Hoffentlich hatte man sie nicht erwischt.

Hoffentlich konnte Nicholas den Wächter vor meiner Tür überhaupt überwältigen. Immerhin war dieser ein Dämon und Werwölfe schienen für diese spezielle Spezies nicht wirklich eine Gefahr darzustellen.

Die ganze Situation wirkte mit einem Mal so aussichtslos, dass ich schreien wollte. Doch ich musste ruhig bleiben. Konzentriert. Ich durfte nicht ausrasten, denn dafür hatte ich nun wirklich keine Zeit. Wir brauchten einen Plan. Nur wie sollte man einen Plan schmieden, wenn man sich plötzlich in einer gänzlich unbekannten Zwischenwelt wiederfand? Wie genau funktionierte so ein Dämonenreich? Wer lebte hier und wo lauerten die meisten Gefahren?

Unwillkürlich wanderten meine Gedanken zu Moonox.

Hatte Preros ihn womöglich an die PhenPaX verraten, um sich dessen Herrschaftsgebiet unter den Nagel reißen zu können? Nach allem, was ich bislang über Alex‘ Vater erfahren hatte, war ihm das durchaus zuzutrauen: diesem äußerst attraktiven Mann mit den halblangen, grauen Haaren und dem Bart, der seinem Sohn optisch so sehr ähnelte.

Seinem Sohn.

Alex.

Hatte ich eigentlich schon erwähnt, wie sehr er mir fehlte?

Ich vermisste jedes kleine Bisschen an ihm: seine Nähe, die Art, wie er mich ansah, mich in den Armen hielt. Jede Faser meines Körpers sehnte mich danach, endlich wieder bei ihm sein zu können. Es war schon viel zu lange her, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte. Seit er aufgebrochen war, um Milli zu finden.

Wie absurd es war, dass ausgerechnet ich nun wusste, wo sie steckte, während Alex vermutlich noch immer jeden einzelnen Stein auf der Suche nach ihr umdrehte!

Ein plötzliches Geräusch an der Tür ließ mich in die Höhe schießen. Irgendwann hatte ich mich allem Anschein nach auf die Kante des Sofas gehockt, doch nun stand ich kampfbereit vor dem Eingang und nahm wahr, wie das Adrenalin in meinen Ohren rauschte.

Wie in Zeitlupe schob sich die Tür einen Spalt breit auf und nur Sekunden später erschien auch schon ein vertrauter, dunkler Haarschopf in meinem Blickfeld.

Nicholas!

Vor Erleichterung hätte ich am liebsten laut geschrien.

Nicholas war hier! Quicklebendig stand er nun auf der Schwelle zu meinem Gefängnis und sah dabei ziemlich ramponiert aus.

Aber er lebte!

Und er hatte soeben diese dämliche Tür geöffnet!

Ohne weiter darüber nachzudenken, stürzte ich auf ihn zu und schlang dabei beide Arme fest um seinen Hals.

„Ich bin so froh, dass es dir gut geht.“

Überrumpelt schwankte er kurz, hielt mich dann aber einen Augenblick lang ganz fest an sich gedrückt. Dabei schenkte er mir ein seltenes Lächeln. Für Nicholas’ Verhältnisse glich dies schon beinahe einer Liebeserklärung.

„Komm, wir müssen sofort hier weg.“ Eilig griff er nach meiner Hand und zog mich mit sich hinaus in den Flur, wobei ich beinahe über einen hünenhaften Körper stolperte, der dort leblos auf dem Boden lag.

Erschrocken wich ich aus, während Nicholas ihn kurzentschlossen an den Beinen packte und in das Zimmer hineinzog. Dann verrammelten wir auch schon die Tür und das digitale Schloss leuchtete augenblicklich wieder rot auf.

Erleichtert starrten wir uns einige Sekunden lang an, dann griff Nicholas abermals nach meiner Hand und gemeinsam huschten wir den schwach beleuchteten Korridor hinunter. Hinter einer Biegung blieben wir stehen und Nicholas öffnete eine schmale Tür, in welche er mich hastig hineinschob.

Eine Besenkammer.

Auch Dämonen mussten allem Anschein nach ab und zu Großreinemachen.

„Okay, Mavi, hör mir zu.“ Nicholas‘ Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Preros ist ein Artaan-Dämon. Er ist in gewisser Weise durchaus mächtig und er kann deine Aura orten, zumindest so lange wir uns in dieser Zwischenwelt hier aufhalten. Kannst du deinen Geist verschließen? Ja, oder?“

Ich nickte.

„Auch deine Aura?“

„Darin bin ich nicht so gut wie Alex.“

„Aber du kannst es?“

Abermals nickte ich.

„Gut, dann ist das immerhin schon etwas. Ich meditiere viel. Als Werwolf habe ich mit starken Emotionen zu kämpfen, aber ich bin es nicht gewohnt, diese ständig zu verschließen. Ich bin unser Schwachpunkt.“

Energisch schüttelte ich den Kopf, doch Nicholas hob sofort eine Hand, um mich am Weiterreden zu hindern. „Ich bin der Schwachpunkt“, wiederholte er entschieden.

Diesmal wagte ich es nicht, ihn zu unterbrechen.

„Du hast geschrieben, dass auch Alex’ Schwester hier gefangen gehalten wird.“

Ich nickte. „Das zumindest haben die beiden Chaosdämonen behauptet.“ Ich hatte diese Info ebenfalls mit auf das Toilettenpapier gekritzelt, damit Nicholas im Bilde darüber war, dass ich nicht ohne Milli von hier verschwinden würde.

„In Ordnung. Wir finden sie und ich helfe euch, so lange es mir möglich sein wird. Wenn wir an ein Portal kommen, flieht ihr. Mit mir oder ohne mich. Hörst du? Kennst du dich mit Portalreisen aus?“

Ich schüttelte abermals den Kopf und er stöhnte leise.

„Ich bin ohne die Schattenwelt aufgewachsen“, erinnerte ich ihn frustriert.

„Ich weiß, alles gut. Ich hoffe, Alex‘ Schwester weiß mehr darüber. Alles, was du tun musst, ist an den Ort zu denken, an den du reisen möchtest. Sprecht euch vorher ab. Denkt an denselben Ort. Das ist wichtig. Sonst zerreißt es euch.“

„Das klingt ja vielversprechend“, murmelte ich und schob mir dabei eine lästige Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus meinem Knoten gelöst hatte. In meiner Winterjacke und mit den dicken Boots wurde mir in der kleinen Kammer von Sekunde zu Sekunde wärmer, doch ich gab mir alle Mühe, diesen Umstand weitestgehend zu ignorieren.

Nicholas hingegen schien sich nicht im mindesten an den Temperaturen hier drinnen zu stören, denn trotz seines Parkas mit der Fellkapuze wirkte er noch immer hochkonzentriert. Nachdenklich fuhr er fort: „Zunächst müssen wir ohnehin erst einmal ein Portal finden.“ Selbst in der Dunkelheit konnte ich deutlich erkennen, wie viele Sorgen ihm allein dieser Gedanke bereitete. Portale schienen demnach nicht unbedingt aus jeder Ecke zu wachsen. Oder deutete ich seine Befürchtungen falsch?

„In der Lobby war doch eines“, setzte ich an, doch da schüttelte er auch schon den Kopf.

„Das hat Preros erschaffen. Dämonen können so etwas. Wir nicht.“

In meinem Hinterkopf regte sich Widerstand, doch ich konnte nicht sagen, was genau mich an seiner Aussage störte.

„In diesen Dimensionen gibt es aber immer irgendwo Portale. Sicher kennen die beiden Chaosdämonen solch einen Durchgang.“

„Wo stecken Lex und Dex überhaupt?“

„Das sollen ihre Namen sein?“ Amüsiert verzog Nicholas das Gesicht.

„Ich weiß, dass sie nicht wirklich so heißen“, erwiderte ich hastig. „Aber wo sind sie? Sie haben dir doch bei deinem Ausbruch geholfen, oder etwa nicht?“

„Jupp, sie waren in der Tat sehr hilfreich. Haben von außen das Türschloss geöffnet, ohne dass dein Wächter etwas gemerkt hat. Sie können sich wirklich sehr klein machen. Ich wusste erst nicht, welche Absichten sie verfolgen und hätte sie beinahe angegriffen. Es war klug von dir gewesen, ihnen eine Nachricht mitzugeben.“ Jetzt erschien ein nachdenklicher Ausdruck auf seinem Gesicht. „Vielleicht sollte ich stärker an meiner Impulskontrolle arbeiten.“

„Ach, ich denke, momentan können wir deine impulsive Art hier ganz gut gebrauchen.“

Ein wenig ratlos zuckte er die Achseln, dann fuhr er fort: „Auf jeden Fall haben sich die beiden auf den Weg zu dieser Milli gemacht, nachdem ich deinen Wächter niedergeschlagen hatte. Sie soll oben im Penthouse sein. Seltsame kleine Kerle.“

„Wie Katzen.“

„Wie Faune.“

Nun mussten wir beide grinsen.

Doch dann wurde Nicholas auch schon wieder ernst: „Okay, also, wir holen Milli und suchen ein Portal – ich hoffe nur, dass wir dafür nicht aus diesem Gebäude raus müssen. Ich weiß nicht, ob ich euch dort draußen beschützen kann.“ Er seufzte verdrossen, straffte aber augenblicklich die Schultern, ehe er fortfuhr: „Doch das wird schon klappen. Wichtig ist nur, dass ihr so schnell wie möglich in unsere Welt zurückkehrt. Ob mit oder ohne mich. Verstanden?“ Es war eindeutig der Alpha, der nun wieder aus ihm sprach.

Ich nickte, auch wenn wir im Grunde beide wussten, dass ich ihn selbstverständlich niemals zurücklassen würde. Aber das erwähnte ich in diesem Moment natürlich nicht.

„Dann los. Lass mich vorangehen. Ich kann die Dämonen riechen. Wenn sie kommen ...“

„... erschaffe ich eine Illusion, damit wir uns tarnen können“, unterbrach ich ihn nun doch.

Er pfiff leise durch die Zähne. „Stimmt, das hatte ich ja ganz vergessen. Du hast ja noch coolere Fähigkeiten als die gewöhnliche Durchschnittsamazone.“ In seiner Stimme lag nun beinahe so etwas wie Bewunderung.

Unwillkürlich fragte ich mich, was er wohl dazu sagen würde, wenn er erfuhr, wem ich diese Fähigkeiten allem Anschein nach zu verdanken hatte.

Doch das musste warten, nun mussten wir erst einmal Milli finden.

 

 

 

 

 

 

3. KAPITEL

 

ALEX

 

 

Schockiert betrachtete Alex das Display seines Smartphones, eher er das Handy achtlos zurück in seine Hosentasche gleiten ließ.

Vanias Stimme hallte nach wie vor in seinen Ohren und der plötzliche Schwindel, der ihn bei ihren Worten überfallen hatte, ließ ihn fast ein wenig taumeln.

Mavi war verschwunden.

Und mit ihr Nicholas Monroe.

Er schluckte schwer und fuhr sich dabei mit fahrigen Händen durch das kurze, dunkelblonde Haar. Er hatte es sich erst vor gut zwei Stunden abschneiden lassen, gleich nachdem er sich mit einem Mittelsmann in einem kleinen Café in Venice Beach getroffen hatte, um mit ihm sein weiteres Vorgehen zu besprechen. Seinem Plan, in Preros‘ Reich einzudringen und seine Schwester Milli in Sicherheit zu bringen, war er, zu seinem großen Unmut, bislang jedoch noch immer keinen einzigen Schritt näher gekommen.

Und nun war auch Mavi fort.

Entführt?

Weggelaufen?

Entschieden schüttelte Alex den Kopf. Nein, er war sich ziemlich sicher, dass Mavi die Freeland Academy niemals freiwillig verlassen hätte. Und auch Wilma Dolbry, die Sekretärin des Schulleiters, hatte, laut Vania, bestätigt, dass Mavi nur nach Lake Walden gefahren war, um dort ihren Vater zu treffen.

Das Problem war nur, dass sich Paul Andrews zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht in Lake Walden aufgehalten hatte. Nicht einmal in der Nähe davon. Und er hatte auch nicht mit seiner Tochter telefoniert.

Alex ahnte bereits, was genau das zu bedeuten hatte und die Wut, die nun in ihm aufstieg, raubte ihm für einen kurzen Moment den Atem.

Preros musste Mavi entführt haben.

Und mit ihr allem Anschein nach auch Nicholas Monroe.

Flüchtig fragte er sich, warum die beiden überhaupt gemeinsam außerhalb der Schule unterwegs gewesen waren, schob den Gedanken daran jedoch sofort wieder beiseite. Das war nicht wichtig. Wichtig war nur, dass er Mavi fand.

Sofort.

Denn Preros verfolgte mit großer Sicherheit keine sonderlich guten Absichten.

Inständig hoffte er, dass sein Vater Mavi nicht schon längst etwas angetan hatte. Allein der Gedanke daran, verursachte in ihm augenblicklich eine Übelkeit, die ihn beinahe würgen ließ.

Nein, es musste ihr gut gehen.

Sicher ging es ihr gut.

So nämlich tickte Preros nicht.

Er wollte ihn leiden sehen und solange er das nicht konnte, solange würde er Mavi auch nichts antun – zumindest redete Alex sich das ein.

Doch wie nur sollte er ihr überhaupt zu Hilfe eilen, wenn er es bislang nicht einmal geschafft, diese dämliche Zwischenwelt zu finden, um Milli von dort wegzuholen?

Sein Treffen mit dem Mittelsmann war auch nur von mäßigem Erfolg gekrönt gewesen. Es hatte sich dabei ebenfalls um einen Dämon gehandelt, einen, der es jedoch vorzog, nicht in einer der Zwischenwelten zu leben, in denen sich diese für gewöhnlich so aufhielten.

Dieser hier lebte in Los Angeles und auch er hatte Alex nicht sagen können, wie dieser in das Reich gelangen konnte, in welchem sich sein Vater für gewöhnlich so herumtrieb. Der Zugang war beschränkt und im Grunde nur auf Einladung möglich. Es war zum aus der Haut fahren!

Bereits vor seinem Treffen in Venice Beach hatte er gewusst, dass Dämonen für gewöhnlich Portale nutzten, um an ihr jeweiliges Ziel zu gelangen. Dieser Umstand alleine stellte kein sonderlich großes Hindernis für Alex dar. Immerhin verfügten sämtliche Hexenzirkel der USA über solch einen Zugang und er besaß gute Beziehungen zu dem Zirkel in Idaho. Das Problem lag eher an der fehlenden Einladung zum Betreten der Zwischenwelt und der Unwissenheit bezüglich ihres genauen Standorts. Schließlich gab es hunderte Zwischenwelten und in keiner von ihnen war Alex bislang je gewesen.

All das war überaus verdächtig, denn obwohl er sich bereits seit Wochen nun schon nicht mehr vor seinem Vater verbarg, war Preros bislang noch nicht aufgetaucht, um ihn zu sich zu holen - ein untrügliches Zeichen dafür, dass sein Vater etwas Schlimmes plante.

Wütend trat Alex gegen einen der Mülleimer, die in regelmäßigen Abständen die Strandpromenade zierten, und hob sogleich entschuldigend beide Hände, als eine Mutter mit einem kleinen Kind an der Hand ihn mit großen Augen musterte.

Er hatte sie gar nicht bemerkt.

Ebenso wenig, wie er dem Meer bislang großartige Beachtung geschenkt hatte, an welchem er nun schon seit über einer Stunde entlang tigerte.

Venice Beach war durchaus nett anzusehen, zumindest, wenn man die nötige Ruhe dazu hatte und nicht gerade seinem mordlustigen Vater hinterherjagte.

Gedankenverloren fuhr Alex sich abermals durch das noch ungewohnt kurze Haar. Er hatte es sich, ohne lange zu überlegen, einfach abschneiden lassen. Die Reaktion des Mittelsmannes hatte ihn letztlich dazu bewogen. Er wusste, wie sehr er seinem Vater optisch ähnelte und der Dämon hatte ihm dies noch einmal auf unangenehme Weise bestätigt.

Ob es Mavi wohl gefiel?

Doch auch das war jetzt nicht wichtig.

Wichtig war nur, dass er sie fand.

Gesund und munter.

Ebenso wie Milli.

Und Nicholas.

Und das möglichst schnell.

Doch dazu musste er erst einmal zurück an die Freeland Academy.

Mit einem letzten Blick auf das Meer wandte Alex sich um und sprintete entschlossen zurück in Richtung Straße. Seinen Mietwagen hatte er irgendwo dort oben auf einem der zahlreichen Parkplätze abgestellt.

Ohne die Unterstützung eines Hexenzirkels würde er damit wohl nicht vor dem nächsten Morgen wieder in Idaho ankommen.

 

 

 

 

 

 

4. KAPITEL

 

MAVI

 

 

Es war nicht leicht, sich für eine der beiden Möglichkeiten nach oben in das Penthouse zu entscheiden: Wir hatten die Wahl zwischen dem Fahrstuhl und dem Treppenhaus und beides war nicht unbedingt dafür geeignet, potenziellen Verfolgern bestmöglich aus dem Weg zu gehen.

Immerhin hatten wir mittlerweile herausgefunden, dass es nur einen einzigen Fahrstuhl gab, der überhaupt bis hinauf in das Penthouse fuhr – die übrigen endeten allesamt eine Etage darunter.

„Ich bin für die Treppe. Wir sind hier im siebzigsten Stock. Es sind noch gut 30 Etagen bis ganz nach oben – wenn wir uns beeilen, sind wir also in ein paar Minuten dort.“ Entschlossen betrachtete Nicholas die Tür mit dem Exit-Schild, die allem Anschein nach hinaus in das Treppenhaus führte.

„Vorausgesetzt, uns kommt niemand entgegen“, gab ich zweifelnd zurück.

„Immer noch besser, als dabei in einer Fahrstuhlkabine festzusitzen.“

Ich nickte widerstrebend. Beides klang in meinen Ohren nicht sonderlich verheißungsvoll. Obendrein empfand ich Nicholas‘ Einschätzung als ein wenig zu optimistisch. 30 Stockwerke mussten wir schließlich auch erst einmal schaffen. Zwar waren wir beide fit, doch in dem kahlen Treppenhaus gab es keinerlei Möglichkeiten, sich vor potentiellen Bedrohungen auch nur ansatzweise zu verstecken.

„Okay, Mavi, Folgendes: Sollten uns unterwegs irgendwelche Dämonen über den Weg laufen ...“

„Erschaffe ich, wie besprochen, eine Illusion.“

„Aber das klappt nicht immer, oder?“

„Nicht, wenn sie ihren Geist verborgen halten. In unserer Welt kommt das allerdings nicht sonderlich oft vor. Die meisten Menschen sprühen regelrecht vor Emotionen. Keine Ahnung jedoch, wie das Dämonen so handhaben.“

„Das sind echt ganz schön viele ‚Wenns‘.“ Nicholas wirkte ziemlich unzufrieden. Die vergangenen vierundzwanzig Stunden waren auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen. Sein dunkles Haar hing ihm unordentlich in die Stirn und der wilde Ausdruck in seinen Augen flackerte noch intensiver, als er dies für gewöhnlich bereits tat. Sein ganzer Körper signalisierte absolute Kampfbereitschaft, und ich musste mir eingestehen, dass ich doch ein wenig froh darüber war, ihn an diesem Ort an meiner Seite zu wissen. Auch wenn ich mir natürlich wünschte, dass wir beide erst gar nicht hier gelandet wären.

Aber das konnte ich nun einmal nicht mehr ändern.

„Haben die kleinen Dämonen eigentlich noch irgendetwas über Millis Gefängnis gesagt?“

„Nur das, was ich dir schon erzählt habe. Dass sie oben in Preros‘ Penthouse ist. Preros selbst hält sich angeblich nur ganz selten dort einmal auf.“

„Na, dann hoffen wir einfach mal, dass er heute einen ausgiebigen Shoppingtag einlegt oder sonst irgendwo in dieser finsteren New York-Version unterwegs ist.“ Ich verzog das Gesicht.

„Der Typ hat auf jeden Fall irgendetwas vor. Es ist absolut nicht normal, dass er uns nicht schon längst umgebracht hat.“

„Keine Ahnung, was genau er plant, aber ich habe nicht vor, so lange zu warten, bis wir es herausgefunden haben.“ Vorsichtig legte ich mein Ohr auf die Tür zum Treppenhaus und lauschte. Gleichzeitig öffnete ich auch noch meinen Geist einen winzigen Spalt breit und tastete die Umgebung mit meinen Sinnen ab. Doch nach wie vor war alles ruhig.

Nicholas wandte den Kopf zur Seite und horchte nun ebenfalls in die Stille hinein. Unmerklich schüttelte er den Kopf und entschlossen öffnete ich die schwere Feuerschutztür zum Treppenhaus.

Sogleich schlug uns eiskalte Luft entgegen. Nach der unerträglichen Wärme in der Besenkammer war dieser Temperatursturz ein regelrechter Schock.

„Uargh, warum ist es denn hier so frostig?“ Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als ich behutsam einen Fuß auf die unterste Stufe der Treppe setzte, die nach oben führte. Vor uns tat sich ein regelrechtes Labyrinth aus Stufen auf und unwillkürlich fragte ich mich, wie lange wir wohl tatsächlich brauchen würden, um von hier aus bis nach ganz oben zu gelangen. Sicherlich mehr als bloß ein paar Minuten.

Nicholas folgte mir dicht auf den Fersen.

„Ich vermute, dass es auch außerhalb des Gebäudes nicht gerade muckelig warm sein wird. Dieser Preros scheint eine kleine Eisprinzessin zu sein.“

„Na toll, wie gut, dass wir wenigstens für den Idahoer Herbst angezogen sind.“ Dankbar zupfte ich an den Ärmel meines Parkas herum, während Nicholas weiterhin angestrengt in die Stille hineinhorchte.

„Wenn wir unterwegs niemanden treffen, sollten wir in spätestens zehn Minuten oben sein. Wir dürfen unter keinen Umständen rennen, sonst kann man mit Sicherheit überall unsere Schritte hören.“ Der Optimismus in seiner Stimme hatte etwas Ansteckendes an sich, auch, wenn sich in mir noch immer leise Zweifel meldeten.

Doch Nicholas gab mir keine Zeit, mich weiter von dem labyrinthartigen Treppenhaus verunsichern zu lassen. Geschäftig fragte er: „Hast du deinen Geist wieder verschlossen?“

„Ich – nein, ich suche gerade noch die Umgebung ab.“

Nachdrücklich schüttelte er den Kopf. „Preros hat es auf dich abgesehen, Mavi. Er wird deine Fährte ganz genau kennen. Du musst dich verbergen, okay? Ich passe schon auf.“

Widerwillig stimmte ich ihm zu. Im Grunde genommen hatte er ja recht. Also verbarg ich meinen Geist eilig wieder und schlich dann lautlos neben Nicholas her, der bereits die ersten Stufen hinter sich gelassen hatte. Sein Gesichtsausdruck war dabei nach wie vor hochkonzentriert, doch abgesehen von meinem rasenden Herzschlag waren noch immer keinerlei Geräusche zu hören.

War das normal?

Ich hatte angenommen, Preros würde seinen Palast bis in die kleinste Ecke hinein bewachen lassen. Oder war all das hier womöglich eine Falle? Immerhin hatte ich keine Ahnung, inwiefern ich Lex und Dex wirklich vertrauen konnte. Die beiden waren trotz allem immer noch Dämonen. Doch nicht alle Dämonen waren grundsätzlich durchtrieben und hatten schlechte Absichten, oder? Immerhin hielten sie mich für einen Abkömmling ihres Meisters und offensichtlich waren auch sie keine besonders großen Fans von Alex‘ Vater.

Der Feind meines Feindes ist mein Freund, dachte ich unwillkürlich und klammerte mich dabei regelrecht an diesen Gedanken. Was hatten wir auch für eine Wahl? Ohne ihre Hilfe würden wir mit Sicherheit nicht in unsere Welt zurückfinden, so viel stand fest.