Mediale Sozialisation und eEducation: Neue Medien - Neue Menschen - Neue Didaktik - Christian Dorn - E-Book

Mediale Sozialisation und eEducation: Neue Medien - Neue Menschen - Neue Didaktik E-Book

Christian Dorn

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Beschreibung

Diese Arbeit befasst sich mit dem Themenkomplex der psychophysiologischen Medienwirkung, der technologieunterstützten Bildung und der Schulentwicklung vor dem Hintergrund einer durch eine allgegenwärtige Medialisierung konstituierten Medialiät, die immer authentischer wird. Mit dieser Arbeit wird der Nachweis angestrebt, dass Medialisierung und mediale Durchdringung eine individuelle Medialität bedingen, die die Bewusstseins- und Handlungsstrukturen des Menschen, insbesondere die von Kindern und Jugendlichen transformiert. Im Rahmen dieser Arbeit werden diese Transformationspotentiale im Hinblick auf eine Neuausrichtung der Wissensvermittlung und Schulentwicklung isoliert, analysiert und zur Entwicklung eines Konzepts zur technologieunterstützten Wissensvermittlung instrumentalisiert. Aufbauend darauf wird beschrieben, wie mit Hilfe NM die schulformübergreifende Integration von Eltern, LehrerInnen, SchülerInnen und darüber hinaus von Unternehmen und Institutionen (Vorschule, Hochschule, Ministerien etc.) realisiert werden kann, welche Möglichkeiten sie eröffnet und welchen Fehlentwicklungen sie entgegenwirkt. Unter Einbeziehung NM eröffnet dieser Zugang die Möglichkeit, Raum für die aktive und kritische Auseinandersetzung mit der Medialität zu schaffen und damit einen Weg zurück in einen wertepluralistischen und menschzentrierten Diskursraum zu bahnen, in dem für ein soziales Miteinander in einer intakten Ökologie Interesse geweckt, Wissen vermittelt und Erkenntnis unterstützt wird.

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Dieses Buch entstand mit freundlicher Unterstützung der

Fachhochschule Vorarlberg

www.fhv.at / [email protected]

Was Sie über dieses Buch wissen sollten!

Dieses Buch basiert auf einer Doktorarbeit aus dem Jahr 2003. Die Arbeit ist das Ergebnis einer beinahe 4jährigen Forschungsarbeit an der Fachhochschule Vorarlberg und wurde vom renommierten Neuropsychologen Univ. Prof. Dr. Giselher Guttmann mit „ausgezeichnet“ (summa cum laude) bewertet. Der Versuch den Text bei einem Verlag unterzubringen scheiterte dennoch kläglich: „zu kritisch“ und „zu negativ“ bemängelte zum Beispiel der Spektrum Verlag und forderte Änderungen zu denen ich keinesfalls bereit war und für die mir nach der jahrelangen intensiven Arbeit auch die Energie gefehlt hat. Die Jahre vergingen und viele Studierende und KollegInnen haben die Arbeit inzwischen gelesen und – waren genau der gegenteiligen Meinung?! Diese ambivalenten Rückmeldungen haben mich dann veranlasst den Text nochmals eingehend zu hinterfragen, weil ich dachte, vielleicht hat die jahrelange Arbeit im Sozialwesen meinen Blick verzerrt – Selbstzweifel! Allerdings kam ich zu keinem anderen Schluss als vor 10 Jahren und auf Zuraten meiner Studierenden – die den Text im Fach Pädagogik bearbeiten und durchweg zutreffend finden weil er das wiederspiegelt, was sie tagtäglich erleben und wahrnehmen - wollte ich mein Glück noch einmal versuchen. Der Text wurde aufs Wesentliche gekürzt, an neuralgischen Stellen aktualisiert und diesmal an den Oldenbourg Verlag geschickt, bei dem ich als Autor schon gelistet war: „zu kritisch“ und „zu negativ“!!! Jetzt stand ich vor der kuriosen Situation das Fachleute den Text gut und zutreffend fanden, die Verlage ihn aber scheinbar durchweg ablehnten…

Warum also sollten Sie das Buch lesen?

Ich habe diese Frage meinen Studierenden gestellt und die haben gesagt: „Weil es die Wahrheit ist die keiner hören will!“ Um ehrlich zu sein – ich glaube wir verfügen nicht – und werden es nie - über die notwendigen Informationen um diese Aussage zu verifizieren! Ich denke das ist letztlich auch gar nicht die Frage und - die Symptome sind schließlich unübersehbar! Der Reiz dieses Textes liegt im Abgleich der Prognosen von einst mit der aktuellen Medialität, im Nachverfolgen der Entwicklungen und darauf aufbauend, im bilden neuer Thesen für die kommenden 10 Jahre!

In jedem Fall möchte ich mich aber für Ihr Interesse bedanken, für Ihre Bereitschaft Ihre kostbare Zeit meinen Gedanken zu widmen und natürlich für Ihr Geld, das hoffentlich die Kosten deckt und mir die Möglichkeit eröffnet ein neues, spannendes Projekt zu verwirklichen…

VIELEN DANK – gerade auch an „meine“ Fachhochschule Vorarlberg!

Ihr Christian Dorn

Zusammenfassung

Durch hochauthentische, digital optimierte multimediale Kommunikate und eine adäquate Distribution erfolgt eine Überlagerung realer Lebenserfahrung durch mediale Scheinerfahrungen, die das Selbstverständnis und die Erwartungshaltungen Jugendlicher stärker als die Sozialisationsinstanzen Elternhaus und Schule prägen. Kinder und Jugendlichen wachsen heute in einem hochverdichteten Medienumfeld auf, in dem Medien Sozialisationsinstanz, Tagesbegleiter, Identifikationsstifter und Realitätsvermittler sind. Die Kompetenzen und Persönlichkeiten der PädagogInnen – wie auch die ihnen zur Verfügung stehenden Unterrichts(hilfs-)mittel – können damit kaum noch konkurrieren. Diese Arbeit befasst sich mit dem Themenkomplex der psychophysiologischen Medienwirkung, der technologieunterstützten Bildung und der Schulentwicklung vor dem Hintergrund einer durch eine allgegenwärtige Medialisierung konstituierten Medialiät, die immer authentischer wird. Mit dieser Arbeit wird der Nachweis angestrebt, dass Medialisierung und mediale Durchdringung eine individuelle Medialität bedingen, die die Bewusstseins- und Handlungsstrukturen des Menschen, insbesondere die von Kindern und Jugendlichen transformiert. Im Rahmen dieser Arbeit werden diese Transformationspotentiale im Hinblick auf eine Neuausrichtung der Wissensvermittlung und Schulentwicklung isoliert, analysiert und zur Entwicklung eines Konzepts zur technologieunterstützten Wissensvermittlung instrumentalisiert. Aufbauend darauf wird beschrieben, wie mit Hilfe NM die schulformübergreifende Integration von Eltern, LehrerInnen, SchülerInnen und darüber hinaus von Unternehmen und Institutionen (Vorschule, Hochschule, Ministerien etc.) realisiert werden kann, welche Möglichkeiten sie eröffnet und welchen Fehlentwicklungen sie entgegenwirkt. Unter Einbeziehung NM eröffnet dieser Zugang die Möglichkeit, Raum für die aktive und kritische Auseinandersetzung mit der dMedialität zu schaffen und damit einen Weg zurück in einen wertepluralistischen und menschzentrierten Diskursraum zu bahnen, in dem für ein soziales Miteinander in einer intakten Ökologie Interesse geweckt, Wissen vermittelt und Erkenntnis unterstützt wird.

Widmung

Liebe mich dann, wenn ich es am wenigsten verdient habe, denn dann brauche ich es am meisten.

    Unbekannt

Die diesem Buch zugrunde liegende Dissertation und das daraus hervorgegangene Buch, mit denen ich mir entgegen aller Prognosen und zur Verwunderung meiner LehrerInnen einen meiner Träume erfüllen durfte ist den beiden Menschen gewidmet die mir ermöglicht haben dass zu werden was ich bin: meiner Mutter und meinem leider schon verstorbenen Vater. Ich denke, dass dies der richtige Zeitpunkt und der geeignete Rahmen ist, ihnen für ihre bedingungslose Liebe, ihre Unterstützung, ihr Lob und ihren Tadel zu danken und sie wissen zu lassen, dass sie die beiden Menschen sind, die ich über alle Maßen liebe, bewundere und respektiere.

Statt eines Vorworts

Das nachfolgende Essay, das nach dem Anschlag vom 11. September und nach dem Amoklauf von Erfurt entstanden ist und das ursprünglich nur eine Lehrveranstaltung zum Thema „Kommunikation und Neue Medien“ einleiten sollte, wurde zur Basis der vorliegenden Arbeit.

Der mediale Mensch

Wir alle sind Erinnerung und einzig die Geschichten, die wir in uns tragen, machen uns zu den Menschen, die wir sind. Was aber, wenn uns diese Erinnerung nicht gefällt? Was, wenn sie uns zu Menschen macht, die wir nicht sein wollen…

Die mediale Durchdringung unserer Gesellschaft führt dazu, dass Erinnerung, Fiktion und Realität immer mehr verschwimmen. Indem uns pausenlos suggeriert wird, dass uns alles und jedes zu interessieren hat, mutieren wir zu Medienzombies, die angesichts der Quantität des Komplexen und der Qualität des Illusorischen zunehmend kritiklos konsumieren. Der Widerstand ist gebrochen – Zeitungen, Radio, Fernsehen, Computer, Internet – es geschieht, und wir lassen es geschehen!

Haben wir es nicht alle gewusst? Bin Laden war es – klar! Das Video beweist es – oder doch nicht? Vielleicht?! Vielleicht ist zwar noch nicht die Antwort auf alles, mittlerweile aber doch auf sehr vieles. Seitdem Hollywood in der Lage ist, Galaxien zu erschaffen und längst versunkene Schiffe aufs Neue zu versenken, beginnen wir zu ahnen, dass der von uns er- und zunehmend gelebte Schein manipuliert sein könnte. Authentizität wird virtualisiert. Menschen und Dinge werden transformiert zu etwas, was sie nicht sind – vielleicht weder sein wollen noch sollen.

Geld macht Macht und Macht macht Geld. Mit Nachrichten wird mittlerweile sehr viel Geld gemacht, und bevor man darauf verzichtet, macht man selbst aus einem qualitativen Nichts ein quantitatives Etwas. Berichte von Menschen über Menschen durch Menschen. Degradiert zu Inhalten, zu StatistInnen, zu KonsumentInnen – manipuliert, überfordert, vergewaltigt.

Explosionen beherrschen seit dem 11. September die Welt. In Israel, in den USA, in Irland, in Indien, in Pakistan, in Afghanistan und – medial unterstützt – reicht die Druckwelle bis in unser Erleben. Es explodieren Hoffnungen, Wünsche, Träume und Mitgefühl. Es explodieren Alte, Kranke, Frauen, Männer, Kinder und zuletzt das Leben an sich. Und wir? Wir sind alle live dabei und maßen uns ein Urteil an. Wir kennen zwar unsere NachbarInnen nicht mehr, wissen aber genau, wer Recht hat und wer nicht, wenn die Bomben fliegen.

Mein Gesicht spiegelt sich im Monitor. Vor mir liegen Körperteile, die einmal Menschen waren. Abgesprungen aus Panik, beflügelt von Todesangst, aufgeschlagen in der Realität. Zerschmettert. Nur Bilder – aber mir geht es nicht gut dabei. Bilder, wofür es keine Worte gibt – noch nicht, oder – nicht mehr? Bilder, die das Menschsein in Frage stellen. Bilder, die Sinnhaftigkeit auflösen und dem Entsetzen den Weg bereiten. Bilder von Menschen, die durch das zerfetzt wurden, was aus unserer Gesellschaft geworden ist, und ich frage mich, ob es diese Bilder auch dann geben würde, wenn niemand sie sehen wollte? Ich habe die Wahl – sie hatten sie nicht. Ich kann nicht verstehen, dass man etwas, was einmal ein Mensch war und nun zu einem Etwas gemacht wurde, noch einmal „ins Visier“ nimmt und – abdrückt! Es wird nie mehr so sein, wie es war, alle sagen das und gehen im Leben weiter. Aber meine Welt hat sich verändert. Profitsucht und Sensationsgier, welche die Menschlichkeit und das Mitgefühl strangulieren, zur Farce degradieren – ich sehe die Bilder, halte inne, fühle und weiß:

Das ist nicht das Leben, das ist menschlich.

Schein treibt unseren Zeitgeist – Sein ist nichts mehr wert. Nur wenige bestehen gegen das, was wir uns täglich vorgaukeln. Wir alle sind dynamisch, jung, schön, reich und glücklich. Was zählt ist, sich zu präsentieren – zu repräsentieren – als das in Erscheinung zu treten, was erwartet wird und Spaß um jeden Preis. Getrieben von der Hoffnung einem diffusen Anspruch zu genügen, nehmen wir den Verlust der Identität in Kauf. Indem Oberflächlichkeit zum Maßstab wird, suggerieren wir uns ein armes Leben in einer reichen Welt. Niemand interessiert sich mehr für die Wesen hinter ihrem polierten Schein. Wir vereinsamen, leiden, scheinen weiter und, wenn überhaupt, erkennen wir oft zu spät, dass der Mensch am Ende nur aus sich selbst wirkt.

Wohin man blickt: solutions for a small planet – alles ist so einfach. Wir beherrschen eine schrumpfende Welt, auf der ganze Konzerne entmaterialisieren. Das Leben reduziert auf Null und Eins. Menschen konsumieren Menschen, Identitäten werden austauschbar, Probleme existieren nicht. Kann das reale Paradies, in dem wir leben, die Sonne, die uns wärmt, der Boden, auf dem wir stehen und das Wasser, aus dem wir großteils existieren, dagegen noch bestehen? Scheinbar nicht. Wir sind unzufrieden im Frieden, langweilen uns im Überfluss, und neben all den uns suggerierten hypes wird die Existenz zur Nebensache. Der Apfel schmeckt, obwohl das Paradies in Flammen steht und die, die löschen könnten, Öl ins Feuer gießen, sich wärmen und zusehen, wie die verbrennen, die nicht einmal wissen, dass es ein Paradies gibt, aber täglich die Hölle erleben.

Unsere ach so tolle Informationsgesellschaft kränkelt! Befallen von einem nach Party und Lifestyle gierenden Virus, lassen wir uns nur zu gern manipulieren und absorbieren ungefiltert das, was man uns glauben machen will. Wir konsumieren um jeden Preis und erkennen dabei nicht, dass Zufriedenheit in Rechnung gestellt und mit Glück bezahlt wird. Emotional bankrott, zerschlissen von der pausenlosen Suche nach einem Glück, von dem wir nicht einmal mehr wissen, worin es besteht, werden funktionierende Selbstkonzepte zum Glücksfall.

Zeit zum Nachdenken bleibt kaum noch und immer seltener erkennen wir dass man das was uns zu Menschen macht, nicht konsumieren kann. Man bekommt es geschenkt oder sucht es, oft verzweifelt, ein Leben lang – Liebe und Mitgefühl. Entscheidend scheint mir, dass wir, wenn wir uns am Ende die Frage stellen ob es DAS wert war in der Lage sind zu sagen was „das“ denn eigentlich war. Leichter zu beantworten ist die Frage für all jene, die das Universum stets im Blick behalten denn sie werden verstehen welche Stellung dem Menschen – auch oder gerade – in einer medialen Welt zukommt.

Dorn, im März 2003

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Alle PädagogInnen müssen MedienpädagogInnen werden

1.1 Pädagogik und Medien

1.1.1 Medienpädagogik als menschzentrierter Wegweiser durch die Ökonomie der Medialität

1.1.2 Die Umwertung der Werte der (Medien-) Pädagogik durch die Medialität

1.1.3 Von der Pädagogik des Bewahrens zur Pädagogik der Emanzipation

1.1.4 eEducation: die Integrationsnotwendigkeit von Mediendidaktik und Medienerziehung

1.2 Pädagogik und Neue Medien: Vom Medienverbund zur erlebten Medialität

1.2.1 Die Neuen Medien: Eine Definition

1.2.2 Das soziopolitische Wirkungsgefüge

1.2.3 Die Bedeutung Neuer Medien für die Medienpädagogik

1.3 Lernen und Lehren in (für) der (die) Medialität: Lernen mit dem Netz

2. PädagogInnen und Medien: Qualitätssicherung und Implementierung

2.1 Qualität im eLearning: 5 Qualitätskriterien für eLearning-Systeme

2.1.1 Erstes Qualitätskriterium: Von der Information durch die Reflexion zu handlungsbereitem Wissen

2.1.2 Zweites Qualitätskriterium: Der zielgerichtete und problemlösende Aufbau von Wissen

2.1.3 Drittes Qualitätskriterium: Der Transfer von Wissen zur Handlungsfähigkeit

2.1.4 Viertes Qualitätskriterium: Eine kontextsensitive Wahl des Interaktivitätsniveaus

2.1.5 Fünftes Qualitätskriterium: Die Verwendung der Wissensobjekte in unterschiedlichen fachlichen und sozialen Kontexten

3. Medien und Mensch: Psychophysiologische Transformation und soziale Integration

3.1 Die Erinnerung im Wandel: Transformationspotentiale der Medialität

3.1.1 Die erste Dimension der Medialität: Medialisierung

3.1.2 Die zweite Dimension der Medialität: Mediale Durchdringung

3.1.3 Die Konstitution der Medialität: Der Triumph der Wertschöpfung über die Wertlehre

3.2 Die körperliche und seelische Transkription durch die Medialität

3.2.1 Die körperliche Transkription

3.2.2 Die seelische Transkription

3.3 Soziale Integration der Sozialisationsinstanzen: Wiederherstellung von Beziehungen erster Ordnung mit Hilfe NM

3.3.1 Die Segregation der Sozialisationsinstanzen als Auslöser des Zerfalls von Beziehungen erster Ordnung

3.3.2 Die Wiederherstellung von Beziehungen erster Ordnung zwischen den Sozialisationsinstanzen unter Einbeziehung NM

4. Mensch und eEducation: Ein Konzept zur interinstitutionellen, schulformübergreifenden Integration von Interaktion, Wissen und Lernen

4.1 eEducation: Ein integrativ-systemischer eBusiness-Ansatz für das Unternehmen Schule

4.1.1 Schule als virtuelles Unternehmen, eBusiness als Herausforderung

4.1.2 Anforderungen: Mensch – Organisation – Technik

4.1.3 Lösungsansatz: Der eGenerator – die theoretische Basis von dayta

4.2 eEducation synergetisch: Humanistisches Handeln, fachliches Können und die Integration der Sozialisationsinstanzen

4.2.1 Humanistische Bildung in/für der/die Medialität

4.2.2 Die De/Konstruktion der Medialität durch die Medialisierung

4.2.3 Schule: Transaktionssystem und integrierendes Regulativ zwischen den (erweiterten) Sozialisationsinstanzen

Schlusswort

Literaturverzeichnis

Autor

Ein sich änderndes Bewusstsein ruft nach veränderter Technik, und eine veränderteTechnik verändert das Bewusstsein.1

    Vilém Flusser

Einleitung

Diese Arbeit befasst sich mit dem Themenkomplex der psychophysiologischen Medienwirkung, der technologieunterstützten Bildung und der Schulentwicklung vor dem Hintergrund einer durch eine allgegenwärtige Medialisierung2 konstituierten Medialiät, die immer authentischer wird. Beginnend vor ungefähr 30 Jahren führten die „Neuen Medien“ (NM)3 einen Paradigmenwechsel herbei, der in seiner aktuellen Ausprägung das soziopolitische Wirkungsgefüge und die Bewusstseins- und Handlungsstrukturen der Menschen tief greifend beeinflusst.4 Auslöser hierfür ist die Medialisierung mit ihrer massenhaften Verbreitung NM wie z.B. dem Personal Computer, der weltweiten Vernetzung durch das Internet, der Kommerzialisierung des Fernsehens und der Digitalisierung der Kommunikationsoptionen (insbesondere auch das Smart Phone). Diese medialen Transformationspotentiale haben – mit Ausnahme der technologischen Transformation an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert – einen gesellschaftlichen Wandel eingeleitet und forciert, dessen Vollzugsgeschwindigkeit, Bandbreite und Reichweite in der Geschichte der Menschheit bislang ohne Beispiel ist.5 Im Gegensatz zur Industrialisierung verdinglicht sich dieser Wandel aber nicht in der Gegenständlichkeit des Alltags, sondern er vergegenwärtigt sich in transformierten Bewusstseins-6 und Handlungsstrukturen7 der Menschen. Kinder und Jugendliche werden aufgrund der noch starken Plastizität ihrer Psychophysiologie und der fehlenden Vergleichbarkeit mit einer Welt gegenständlicher Werte in besonderem Maße von diesem Wandel geprägt.

Die Instanzen gesellschaftlicher Autorität, deren Selbstverständnis durch ihre prä-digitale8 Entstehungsgeschichte gezeichnet ist, begreifen – im Sinne von Fassen und Erfassen – das Wesen der post-digital9 sozialisierten Generation nicht. Schleichend sind parallele Lebenswelten mit differenten Wertesystemen und Maßstäben entstanden, die sich immer weiter und immer schneller voneinander entfernen, mit der Konsequenz, dass der post-digital sozialisierten Generation die Vergleichbarkeit mit einem prädigitalen, menschzentrierten Wertesystem möglicherweise für immer abhanden kommt. Diese Problematik verstärkt sich, indem die Sinnhaftigkeit der Vergleichbarkeit von den post-digital sozialisierten Kindern und Jugendlichen aufgrund der gelebten Doppelmoral der prä-digitalen Generation in Zweifel gezogen wird. Diese Doppelmoral ist das Ergebnis einer in der prä-digitalen Ära verhafteten Bewusstseinsstruktur, die zu den in der postdigitalen Lebenswelt angewandten Handlungsstrukturen im Gegensatz steht. An dieser medialen Trennung scheitert letztendlich auch das System Schule, wie die Pisa-Studien immer wieder zumindest tendenziell und partiell aufzeigen.

Die Basis dieser Trennung bildete bereits der von den bleiernen 50er geprägte Protest der 68er gegen ein aus ihrer Sicht konservatives und monolitisches Gesellschaftssystem, das das „Andere“ in seiner Gesamtheit ausgrenzte, mit dem Ziel, sich selbst aus repressiven Konventionen zu befreien. Diese Entgrenzung der Wertstrukturen inklusive der Entkanonisierung der schulischen Praxis und der Curricula hat zwar zu einer Liberalisierung der Gesellschaft im Sinne des Wertepluralismus geführt, konnte jedoch im Hinblick auf das prä-digitale gesellschaftliche Wirkungsgefüge kaum eine Änderung herbeiführen. Diese Liberalisierung der Werte, die im öffentlichen Raum bei Veranstaltungen wie z.B. Woodstock oder Band Aid in den 80igern zwar international inszeniert wurde, wurde letztendlich aber nur in nicht öffentlich einsehbaren Bereichen gelebt. Die 68er, die durch ihr Werteverständnis das gesellschaftliche Wirkungsgefüge dennoch mitgeprägt haben, sind an dem sie umgebenden Gesellschaftssystem trotzdem gescheitert, weil sie sich – aus den gleichen Gründen wie ihre Eltern – in letzter Konsequenz – zumindest ökonomisch – anpassen mussten. Vor diesem Hintergrund entstand ein Schulsystem, das in seinem liberalen Selbstverständnis paradoxerweise zum Systemkonformismus erzieht. Dieses Paradoxon blieb in sich stabil, bis die Medialität10 der Globalisierung den Weg bereitete und das liberalindividualistische und doch menschzentrierte Wertesystem der 68er als Markthedonismus instrumentalisiert wurde. Im Rahmen der medial forcierten Globalisierung führte das aus Protest entstandene Wertesystem der 68er zu einem Schulsystem, das diesem Markthedonismus immer weniger entgegenzusetzen hat, da die Ökonomisierung alle Bereiche des Lebens erfasst hat: Steigender Druck und steigende Geschwindigkeit haben eine Neuorganisation der Arbeitswelt notwendig werden lassen, die bis hinein in private und familiäre Bezüge wirkt.11 Ein „Außerhalb“ dieses Systems gibt es nicht mehr, da beinahe sämtliche Subkulturen und – Systeme inklusive Familie durch die alles dominierende Ökonomie annektiert wurden – gerechtfertigt durch einen medial suggerierten diffusen Hedonismus. In der Folge interpretieren die post-digital sozialisierten RezipientInnen des Systems Schule den diesem System zugrunde liegenden Wertepluralismus der 68er im Sinne des Hedonismus und ziehen auf Grund dessen die Sinnhaftigkeit seiner Regeln in Zweifel.

Sender (Schule) und Empfänger (SchülerInnen) sind bereits damit nicht mehr kompatibel. Die Transformationspotentiale der Medialität potenzieren diesen Prozess durch die massenhafte Verbreitung NM und die Manipulationspotentiale der durch sie distribuierten medialen Kommunikate. Es bleibt also nicht nur dabei, dass die deutliche Mehrheit der SchülerInnen mit einem Handy ausgerüstet zur Schule kommt, per E-Mail und Chat kommuniziert und sich zum Beispiel Anregungen für die Hausaufgaben aus dem Internet herunterlädt, sondern die Medialisierung konstituiert eine neue Lebenswirklichkeit, der sich die post-digitale Generation als Produkt der überwiegend medialen Sozialisation nicht entziehen kann, zumal ihr auch die für eine Emanzipation nötige Vergleichbarkeit mit einem prä-digitalen Wertesystem fehlt.

Durch hochauthentische, digital optimierte mulitmediale Kommunikate und eine adäquate Distribution erfolgt eine Überlagerung realer Lebenserfahrung durch mediale Scheinerfahrungen, die das Selbstverständnis und die Erwartungshaltungen Jugendlicher stärker als die Sozialisationsinstanzen Elternhaus und Schule prägen. Kinder und Jugendlichen wachsen heute in einem hochverdichteten Medienumfeld auf, in dem Medien Sozialisationsinstanz, Tagesbegleiter, Identifikationsstifter und Realitätsvermittler sind. Die Kompetenzen und Persönlichkeiten der PädagogInnen – wie auch die ihnen zur Verfügung stehenden Unterrichts(hilfs-)mittel – können damit kaum noch konkurrieren.

Als das Zaubermittel gegen all diese Probleme wird seit einiger Zeit das Thema „eLearning“ als die zukunftsweisende Methode der Wissensvermittlung diskutiert. Allerdings greifen die bisherigen Konzepte zu kurz, haben mit Bildung im humanistischen Sinn wenig bis nichts zu tun, vermitteln bestenfalls information on demand und spielen damit der Ökonomisierung in die Hände. Fortschritt kann der Medieneinsatz für den Bildungsbereich nur dann bedeuten, wenn er nicht als Ergebnis des technisch Machbaren verstanden wird, sondern stets den Menschen als Mittelpunkt des Systems begreift. Bloße wirtschaftlich orientierte Wissensvermittlung on demand unter Vernachlässigung der humanistischen Bildungsintention unterläuft die Emanzipation der post-digitalen Generation, mit der Folge, dass das Leben medial sozialisierter RezipientInnen und deren Sozialisation – forciert durch die Medialisierung und mediale Durchdringung12 – von ausschließlich medialem Inhalt kommerzieller Intention bestimmt werden.

Da die Medialisierung der Gesellschaft nicht rückgängig gemacht, wohl aber revidiert werden kann, muss insbesondere angesichts einer avisierten Technologieunterstützung der Lehre ein aktiver, kritischer und konstruktiver Umgang mit Medien an den Schulen mehr Raum einnehmen.13 Angesicht zunehmend medial sozialisierter RezipientInnen scheint der Zugang über die Faszination Technik der einzig verbleibende. Unter Einbeziehung NM eröffnet dieser Zugang die Möglichkeit, Raum für die aktive und kritische Auseinandersetzung mit der Medialität zu schaffen und damit einen Weg zurück in einen wertepluralistischen und menschzentrierten Diskursraum zu bahnen, in dem für ein soziales Miteinander in einer intakten Ökologie Interesse geweckt, Wissen vermittelt und Erkenntnis unterstützt wird.

Es muss künftig darum gehen, mit Hilfe der NM die Transformations- und Manipulationspotentiale der NM zu offenbaren, zu kompensieren und darüber hinaus diese im Sinne einer humanistischen Bildung zielführend zu instrumentalisieren, um damit einem medial transformierten Menschenprofil gerecht zu werden. Dies kann nur dann gelingen, wenn die künftigen Reformen des Bildungswesens die Bedürfnisse der medial sozialisierten RezipientInnen ernst nehmen, wenn technologieunterstützte Lehre nicht substituierend, sondern hybrid gedacht und wenn ein aktiver, kritischer und konstruktiver Umgang mit Medien und medialen Inhalten an den Schulen gefördert wird. Neben der Vermittlung von fachspezifischen Kompetenzen müssen künftig in einem ersten Schritt insbesondere folgende Fähigkeiten vermittelt werden:14

Fähigkeit zu Interaktion, Kollaboration und solidarischem Handeln

Fähigkeit, (soziale) Lern- und Arbeitsprozesse in Gruppen selbst zu definieren und organisieren

Fähigkeit, das eigene Sein (Anliegen, Interessen, Wünsche etc.) zu erfahren, zu bewahren und auch öffentlich zu artikulieren

Fähigkeit, Optionen individueller und kollektiver Einflussnahme zu erproben und entsprechende Methoden zu entwickeln

Fähigkeit, zwischen Realität und Medialität zu unterscheiden, respektive Manipulations- und Transformationspotenziale zu erkennen

Fähigkeit, durch eigenen Umgang mit Medien (Medienkompetenz) Phantasie und Kreativität bei der Gestaltung von medialen Kommunikaten zu entwickeln

Fähigkeit, sich auch auf unscheinbare Inhalte einzulassen (Aktivierung und Motivation), sich kontinuierlich damit auseinander zusetzen (Aufmerksamkeit und Konzentration)

Die Multikausalität der von der Medialität hervorgerufenen Entwicklungen bedingt allerdings eine vielschichtige Betrachtungsweise, die sich im Selbstverständnis der modernen Medienpädagogik zwar bereits zum Teil widerspiegelt, jedoch weit darüber hinausgehen muss. Medienpädagogik als Methode kann ihre Wirkung nur dann voll entfalten, wenn das bislang isolierte System Schule die oben genannten medienpädagogischen Intentionen zur Anwendung bringt, in das gesamtgesellschaftliche Wirkungsgefüge reintegriert wird und ihrerseits die Sozialisationsinstanzen Elternhaus und Peergroup sowie darüber hinaus Vorschulen, Hochschulen, Unternehmen und Institutionen einbindet.

Mit dieser Arbeit wird der Nachweis angestrebt, dass Medialisierung und mediale Durchdringung eine individuelle Medialität bedingen, die die Bewusstseins- und Handlungsstrukturen des Menschen, insbesondere die von Kindern und Jugendlichen, transformiert. Im Rahmen dieser Arbeit werden diese Transformationspotentiale im Hinblick auf eine Neuausrichtung der Wissensvermittlung und Schulentwicklung isoliert, analysiert und zur Entwicklung eines Konzepts zur technologieunterstützten Wissensvermittlung instrumentalisiert. Aufbauend darauf wird beschrieben, wie mit Hilfe NM die schulformübergreifende Integration von Eltern, LehrerInnen, SchülerInnen und darüber hinaus von Unternehmen und Institutionen (Vorschule, Hochschule, Ministerien etc.) realisiert werden kann, welche Möglichkeiten sie eröffnet und welchen Fehlentwicklungen sie entgegenwirkt.

Die Basis dieser Entwicklung bildet eine moderne Medienpädagogik, die (Neue) Medien nicht als etwas begreift, was es zu zensieren oder im besten Fall zu reglementieren gilt. In Kapitel 1 geht es darum, über die Entwicklung der modernen Medienpädagogik hinaus aufzuzeigen, dass (Neue) Medien etwas sind, dessen Limitierung und Forcierung, Sinn und Unsinn im Hinblick auf den Einsatz in der Lehre in immer größerem Maße von der medien(didaktischen) Kompetenz der PädagogInnen abhängt. Damit wird begründet, warum künftig alle PädagogInnen auch MedienpädagogInnen sein müssen.

In Kapitel 2 wird dargestellt, welche Qualitätskriterien eLearning auf dem Weg hin zur eEducation erfüllen muss. Es geht u.a. darum, wie angehende SchulpädagogInnen im Rahmen ihrer universitären Ausbildung mit Hilfe NM an den didaktischen sinnvollen Einsatz NM in der Lehre herangeführt werden sollten, sodass sie in ihrer beruflichen Praxis in der Lage sind, die Vermittlung von Inhalten auf die Bedürfnisse medial sozialisierter RezipientInnen abzustimmen.15

Woraus diese Bedürfnisse resultieren und was eine mediale Sozialisation bedingt beschreibt Kapitel 3. Insbesondere wird dabei auf die Transformationspotentiale der Medialität eingegangen und auf die durch sie verursachte Veränderung von Physis und Psyche. Statistiken und auch aktuelle Publikationen dokumentieren die körperliche und seelische Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen sowie eine dramatische Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten, die von Konzentrationsmangel über (vermeintliche) Hyperaktivität und massiven motorischen Einschränkungen bis hin zu Essstörungen reichen. Diese degenerativen Entwicklungen sind das Resultat von Handlungen, deren Motivation in einer durch die Medialität korrumpierten Erinnerung zu suchen ist, zumal das Regulativ der Vergleichbarkeit in Form prä-digitaler Erinnerung fehlt.

Die Handlungen der post-digital sozialisierten Kinder und Jugendlichen sind für prä-digital sozialisierte Eltern und PädagogInnen kaum noch nachvollziehbar. Sie fördern Unsicherheit, indem sie Diskursräume immer weiter einengen, der Sprachlosigkeit den Weg bereiten, Verständnis behindern und damit einen konstruktiven Austausch unterlaufen. Mangelndes Verständnis bildet die Basis für eine Segregation der Sozialisationsinstanzen, die in letzter Konsequenz nur noch durch den kleinsten gemeinsamen Nenner verbunden sind – den Umgang mit Medien, bedingt durch die Medialisierung. Basierend darauf beschreibt Kapitel 4 die Entwicklung einer schulformübergreifenden sozialen Integrationsplattform für Kommunikation, Lernen und Wissen als adäquate Interpunktionsstrategie, die Brücken schlagen und die die Sozialisationsinstanzen Eltern, Schule und Peergroup reintegrieren soll. Diese Integration bildet die unabdingbare Voraussetzung für eine Neuausrichtung der schulischen Bildung. Eine bloße Einführung von eLearning ohne die Einbindung der Eltern als primäre Erziehungsinstanz und ohne eine Sensibilisierung der LehrerInnen für veränderte Bewusstseins- und Handlungsstrukturen der SchülerInnen wird die digitale Trennung zwischen Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen, aber auch zwischen Schule, Unternehmen und Institutionen noch um ein Vielfaches tiefer werden lassen. Eine Reorganisation des Schulsystems setzt einen integrativen technologieunterstützten Ansatz voraus, der alle gesellschaftlichen Instanzen einbezieht. Schule muss, will sie wieder handlungsfähig werden, ein autarker Teil der Gesellschaft werden, ohne sich von der Ökonomie und der Medialität instrumentalisieren zu lassen. Dieser Erkenntnis muss eine handlungsbereite Orientierung folgen, nicht im Sinne von eLearning und Wissensvermittlung on demand, sondern im Sinne von Persönlichkeits- und solidaritätsbildender eEducation. Nur so kann der verständnisauflösenden Sprachlosigkeit und den Transformationspotentialen der Medialität begegnet werden. Es kommt daher darauf an, diese Prozesse nicht zu unterlaufen, sondern sie aktiv zu gestalten und in adäquate pädagogische und erzieherische Szenarien einzubetten, denn die Rückbezüglichkeit dieses Wirkungsgefüges liegt auf der Hand: Die Medialität hat die Bewusstseinsstrukturen des Menschen und damit sein Handeln verändert. Will man nun Einfluss auf das Handeln nehmen, tut man gut daran, sich mit dem Bewusstsein des Menschen auseinanderzusetzen und mit dem, aus dem Aufmerksamkeit Bewusstsein macht – Erinnerung.

 

1 Vgl. Vilém Flusser, Die Schrift: Hat Schreiben Zukunft? (Göttingen: Edition Immatrix, 1992) 20.

2 Medialisierung meint die massenhafte Verbreitung und Anwendung von auf digitalen Datenformaten basierenden Kommunikationsoptionen (NM). Theoretisch könnte man sich diesem Prozess entziehen, allerdings nur bis zu dem Punkt, wo die Verbreitung einen kritischen Punkt überscheitet.

3 Im Rahmen dieser Arbeit sind „Neue Medien“ (NM) als auf ein breites Rezipientenspektrum ausgerichtete Vermittler von Inhalten zu verstehen, deren Übertragungs- und Speichermodi (mehrheitlich) auf digitalen Datenformaten basieren.

4 Vgl. Ulrich Greiner, „Wenn der Druck steigt“, Die Zeit 19 (2002), 18. Januar 2003 <http://www.zeit.de/2002/19/Kultur/print_200219_erfurt.html>.

5 Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Übersetzer Siglinde Summerer und Gerda Kurz (Campus: Frankfurt am Main, 1975): 29–49, 171–239, 269–374.

6 „Bewusstsein“, Wörterbuch zur Psychologie, 2000: „Der Begriff wird in zwei aufeinander Bedeutungen verwendet. (1) Bewusstsein als Zustand des Zentral-Nerven-Systems, der dem deutlichen Erkennen, klaren Denken und geordneten Verhalten zugrunde liegt. (2) Bewusstsein als Inbegriff von Prozessen der subjektiven Erfahrung des eigenen Erlebens, der Erlebnisweise in Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsepisoden, der Richtungsnahme des Erlebens im Bedürfnis-, Interessen- und Erwartungsbezug, des Klarheitsgrades, mit dem sich Erfahrungsinhalte zeigen, sowie der im Gegenstands- oder Denkzusammenhang erlebten Gewissheit, selbst der/die Erfahrende zu sein.“

7 „Handlung“, Wörterbuch zur Psychologie, 2000: „Auf die Erreichung eines Ziels gerichtete, relativ abgehobene, zeitlich und logisch strukturierte koordinierte Bewegungsabfolgen, welche bewusst kontrolliert ausgeführt werden, um eine Veränderung in der Umwelt oder aber der bestehenden (psychologischen) Situation herbeizuführen. Handlung unterscheidet sich von Verhalten durch seinen bewussten Bezug zu Zielvorstellungen, dem Bedürfnis nach Zielerreichung, durch das begleitende Abwägen von Erwartungen in Bezug auf die Entscheidungsmöglichkeiten und ihre Konsequenzen, durch die gedankliche Vorwegnahme bestimmter Handlungsschritte (Pläne) und die fortlaufende Einbeziehung von Rückmeldungen vor der Entscheidung über die folgenden Schritte“.

8 prä-digital sozialisiert: Vor der massenhaften Verbreitung von Computer, Internet und Privatfernsehen (1990), älter als 20 Jahre; digital sozialisiert: Mit Beginn der massenhaften Verbreitung von Computer, Internet und Privatfernsehen (1990), nicht älter als 10 Jahre

9 post-digital sozialisiert: Mit Beginn der massenhaften Verbreitung von Computer, Internet und Privatfernsehen (1990), nicht älter als 2 Jahre

10 Medialität meint die aus Medialisierung und medialer Durchdringung resultierende subjektive Wahrnehmung und das daraus resultierende gesellschaftliche und individuelle Wertesystem.

11 Vgl. u.a. Daniel Amor, Die E-Business-(R)Evolution, Übersetzer Locasoft GmbH (Bonn: Galileo, 2000); Conny Herbert Antoni und Tom Sommerlatte, Hrsg., Report Wissensmanagement: Wie deutsche Firmen ihr Wissen profitabel machen (Düsseldorf: Symposium, 1999); Andrea Back, Oliver Bendel und Daniel-Stoller-Schai, E-Learning in Unternehmen: Grundlagen, Strategien, Methoden, Technologien (Zürich: Füssli, 2001); Tim Cole, Erfolgsfaktor Internet: Warum kein Unternehmen ohne Vernetzung überleben wird (München: Econ, 2000); Christian Dorn und DietmarTreichel „eContent synergetisch: Mensch, Organisation, Technik: Ein integrativ- systemischer eBusiness-Ansatz für intelligente Unternehmen“, Problemsituationen als Gefüge von Wirkungen, Hrsg. Martin Lehner und Falko Wilms (Berlin: Wissenschaftlicher Verlag, 2001) 149–179; Peter Glotz, Die beschleunigte Gesellschaft (München: Kindler, 1999); Armin Pongs, In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Gesellschaftskonzept im Vergleich, 2 Bde. (München: Dilemma,1999-2000).

12 Mediale Durchdringung meint die Wirkung digital manipulierter Kommunikate sowohl auf das Individuum als auch auf das gesellschaftliche (soziale) Wirkungsgefüge. Abhängig vom Grad der (absoluten und relativen) Medialisierung ist diese Wirkung unausweichlich.

13 Vgl. Barbara Eschenauer, Medienpädagogik in den Lehrplänen: Eine Inhaltsanalyse zu den Curricula der allgemeinbildenden Schulen (Gütersloh: Bertelsman Stiftung, 1989): 17.

14 Vgl. Stefan Aufenanger, „Medienbildung in der Betreuungszeit von Grundschulkindern: Konzept und Ergebnisse eines Projekts in Ravensburg und Reutlingen im Auftrag der Stiftung Ravensburger Verlag“, Juni 2002, 18. Januar 2003 <http://aufenanger.erzwiss.uni-hamburg.de/Materialien/KonzeptMedienbildungRavensburg.pdf>.

15Vgl. Lernen zum Erfolg: Was sich an Schulen und Universitäten ändern muss, Spiegel Special 3 (2002): 1–162.

Die Welt ist die wahre Schule, denn da lernt man alles von selbst.

    Nestroy

1. Alle PädagogInnen müssen MedienpädagogInnen werden

1.1 Pädagogik und Medien

Betrachtet man die Geschichte der Medien und die der Pädagogik einmal getrennt von einander, dann wird sehr schnell deutlich, dass der Ruf nach einer medienpädagogischen Intervention immer dann laut wurde, wenn der mediale Fortschritt eine Verunsicherung im Handeln und Denken der Menschen auslöste.16 Immer dann, wenn individuelle oder gesellschaftliche Manifestationen durch mediale Einflüsse ins Wanken geraten, an Transparenz verlieren oder massiv an Komplexität zunehmen, dann werden medienpädagogische Konzepte als Instrumente der Kompensation gefordert.

1.1.1 Medienpädagogik als menschzentrierter Wegweiser durch die Ökonomie der Medialität

Die junge Disziplin der Medienpädagogik bzw. eine Auseinandersetzung mit NM tritt nicht zuletzt seit der Berichterstattung über steigende Gewalt an Schulen und Amokläufe von Kindern und Jugendlichen immer mehr in den Mittelpunkt auch des öffentlichen Interesses. Betrachtet man die Entwicklung im hoch industrialisierten Teil Europas, scheinen Analogien zu den USA wahrscheinlich.17 Auffällig ist, dass parallel zu den sich tendenziell häufenden irrationalen, oftmals vandalistischen, fremdaggressiven und / oder autoaggressiven Handlungen18 – insbesondere von Jugendlichen und Heranwachsenden19 – die Interaktion mit Medien tendenziell zu-, die menschbasierende Interaktion hingegen eher abnimmt. Insbesondere, wenn Jugendliche solche Handlungen begehen, scheinen immer wieder Medien oder deren Wirkungen – primär oder sekundär – eine Rolle zu spielen. Allerdings spricht auch sehr viel dafür, dass Medien nur einen von vielen Faktoren darstellen und auch nur eingebettet in ein komplexes Wirkungsgefüge wirksam werden. Es geht nicht länger darum, nur die Quantität der Mediennutzung oder die Qualität der Inhalte zu hinterfragen. Es geht darum herauszufinden, in welchem gesamtgesellschaftlichen Kontext sie eingebettet sind und wie sich dieser auf Grund der Medialisierung und ihrer Folgen verändert hat und weiter verändert.

Um die Auswirkungen eines durch Medien erweiterten Sozialisationsbegriffs (vgl. Kapitel 4) zu erfassen, wird es künftig nicht mehr genügen, als Maßstab einfache stimulus-response-Schemata anzulegen. Künftige Fragestellungen werden weit über die bisherigen medien- und kommunikationszentrierten Fragestellungen hinausreichen, da eine einfache Unterscheidung zwischen Realität und Virtualität so nicht mehr getroffen werden kann. Wir bewegen uns heute weder in der einen noch in der anderen, sondern in einer Zwischendimension. Der Medienalltag stellt nicht länger nur eine Partition des vom individuellen Willen des Rezipienten/der Rezipientin bestimmten Alltags dar, sondern der Umfang der Medialisierung und die Qualität der medialen Durchdringung haben den Alltag in seiner Gesamtheit zur Medialität transformiert. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, an welchen Referenzsystemen z.B. ein computergenerierter Film20 gemessen werden kann, der gar nicht mehr vorgibt, Abbild der Realität zu sein.

Unsere Einstellung zum Leben, unsere Sicht der Dinge, unsere Werte, unser Selbstverständnis, all dies wird durch eine ständig ansteigende Konfrontationsfrequenz mit immer authentischeren medialen Idealbildern beeinflusst.

Darüber hinaus zieht das Leben in einer solchen Medialität aber auch ein medial beeinflusstes Handeln nach sich, womit sich mindestens drei Dimensionen eröffnen:

Wie behandelt der Mensch die Medien?

Wie handelt der durch die Medien behandelte Mensch?

Wie wird der handelnde Mensch durch medial behandelte Menschen behandelt?

Man sieht sich hier mit einem komplexen Wirkungsgefüge in Form eines rückbezüglichen Regelkreises konfrontiert, der nochmals an Komplexität zunimmt, wenn man außer der Mensch-Maschine-Mensch-Kommunikation auch noch die medial beeinflusste Mensch-Mensch-Interaktion und Kollaboration mit einbezieht. Medien werden zu einem vierten Sozialisationsfaktor, der sich in die Reihe der primären, sekundären und tertiären Sozialisation einfügt, nämlich Schule, Elternhaus und Peergroup. Welche Bedeutung diesem vierten Faktor zukommt, wird insbesondere dann deutlich, wenn man sich die quantitative Verschiebung hinsichtlich der jeweiligen Wirkungsdauer der einzelnen Sozialisationsfaktoren vor Augen führt. Die Mächtigkeit dieses vierten Sozialisationsfaktors kann allerdings nicht als absolut angenommen werden. Er entfaltet seine Wirkung stets in Relation zur individuellen Sozialisation des Rezipienten/der Rezipientin.21 Dieser Sachverhalt macht die Erklärung z.B. eines Amoklaufs wie in Erfurt im April 2002 so schwierig. Individuelle Handlungen resultieren aus individueller Wahrnehmung und individuellem Erleben. Wie diese beiden Dimensionen beeinflusst wurden und werden, hängt von unzähligen Faktoren ab. Digital optimierte und mittels NM kommunizierte Inhalte können hiervon einer sein, der dann virulent wird, wenn er mit spezifischen Faktoren zusammentrifft. Es steht also die Frage im Raum, ob sich z. B. jugendliche AmokläuferInnen mittels medialer Gewaltdarstellungen (Spiele, Filme, aber auch das, was heute unter dem Begriff Nachrichten verkauft wird.) im Vorfeld einer Tat abreagieren und die tatsächliche Ausführung damit hinausgezögert (oder vielleicht verhindert) wird, oder ob mediale Gewaltdarstellungen solche Taten überhaupt erst motivieren und potentielle TäterInnen enthemmen. Ungeklärt wäre in beiden Fällen allerdings, was die psychische Konstitution dieser Jugendlichen so dermaßen zerstören konnte, damit mediale Kommunikate überhaupt diese verhängnisvolle Relevanz erlangen können und darüber hinaus, warum dieser brutale Akt der Zerstörung – oder der schleichende Prozess der Zersetzung – weder Geschwistern, noch Eltern, Peers oder LehrerInnen auffällt. Fakt ist, dass in der Folge solcher Taten – vielleicht mangels Analogien zu medialen Inhalten gesucht werden oder eben nicht – je nach Lobby.22

Es ist davon auszugehen, dass RezipientInnen grundsätzlich fähig sind, ihr medial beeinflusstes Handeln selbst zu bestimmen, vorausgesetzt ihnen steht – objektiv und subjektiv – genügend Zeit zur Reflexion zur Verfügung und sie verfügen zudem über die nötigen Kompetenzen. Problematisch in diesem Zusammenhang ist zweierlei: Durch die Medialisierung erfahren wir eine subjektiv empfundene (scheinbare) Verknappung der Zeit zu Lasten einer möglichen Reflexion, und ein sich zunehmend an ökonomischen Maßstäben orientierendes Gesellschafts- und Schulsystem vermittelt weder die Notwendigkeit von Reflexion noch die Befähigung zur Reflexion manipulativer medialer Kommunikate.

Es geht darum, in einem Umfeld, das einem täglich suggeriert, wie man zu sein und zu handeln hat, sich selbst zu finden. Betrachtet man die jüngsten Fälle von „medial“ begründeter Gewalt, dann scheint es sich bei den TäterInnen um Menschen zu handeln, die sich selbst verloren haben, die nicht gewusst haben, wer sie sind, wofür sie stehen, welche Werte sie vertreten oder welche Grenzen sie keinesfalls überscheiten dürfen. Diese Menschen scheinen – unbemerkt von sich selbst und anderen – von ihren sozialen Bezügen weg hin zu einem medialen Zerrbild des realen Lebens und einem entsprechenden Wertesystem getrieben zu sein. Dort angekommen gab es dann scheinbar keine humanen Wegweiser mehr, die in der Lage gewesen wären, ihnen den Weg zurück zum Selbst zu weisen, was möglicherweise zur Folge hatte, dass die individuellen Wertesysteme der im Stich gelassenen, medial suggerierten Wertesystemen weichen mussten.

Seit die Medialisierung (die quantitativ massive technologische Durchdringung unseres Lebensumfeldes) und die Qualität der medialen Durchdringung (die [auch verkaufsfördernde] Authentizität der medial vermittelten Inhalte) zu einem derartig mächtigen Wirtschaftsfaktor geworden sind, hat die digitale Omnipräsenz so extrem an Durchschlagskraft gewonnen, dass die bisherigen medienpädagogischen Ansätze dem nur noch wenig entgegenzusetzen haben. Medien haben mittlerweile im Wirtschaftsgefüge einen so großen Raum eingenommen, dass medienkritische Denkansätze kaum Beachtung finden und wenn, dann wird ihre Relevanz oftmals bezweifelt. Analog gilt dies selbstverständlich auch für die Politik, nicht zuletzt deshalb, weil der Einsatz NM in Schule und Hochschule der Profilierungssucht ein weites Feld bieten. Unterstellt man gar eine Verquickung von Politik und Wirtschaft, wird sehr schnell klar, welche Intentionen auf Gegenliebe stoßen werden und welche nicht.

Aufgabe der Medienpädagogik in diesem sozio-ökonomischen und politischen Rahmen muss es künftig sein, dafür zu sorgen, dass der Stellenwert „menschzentrierter Wegweiser“ im Hinblick auf die gesellschaftlichen Entwicklungen vor dem Hintergrund der Medialität und im Umgang mit Medien erkannt und gefördert wird. Um dieses existenzielle Ziel zu erreichen, bedarf es eines verstärkt rezipientenorientierten medienpädagogischen Forschungsansatzes. Die größte Herausforderung an die Medienpädagogik wird in diesem Zusammenhang darin liegen, unter Beachtung der technischen, politischen, ökonomischen und ökologischen Dimensionen eine transdisziplinäre Kooperationsform zu entwickeln, die die spezialistisch ausdifferenzierten Human- und Geisteswissenschaften mit der Vision eines ganzheitlichen Kulturkonzepts integriert.

Zukünftig wird die Medienpädagogik alle Fragen der pädagogischen Relevanz von Medien in den Nutzungsbereichen Freizeit, Bildung, Ausbildung und Beruf („Medialisierung“) erfassen müssen. Dort, wo Medien als Mittel der Information, Beeinflussung, Unterhaltung, Unterrichtung und Alltagsorganisation Bedeutung für die Sozialisation des Menschen erlangen, werden sie zum Gegenstand der Medienpädagogik, wobei Sozialisation die Gesamtheit intendierter und nicht intendierter Einwirkungen meint, die den Menschen auf kognitiver und emotionaler Ebene sowie im Verhaltensbereich prägen („mediale Durchdringung“). Gegenstände medienpädagogischer Theorie und Praxis werden zunehmend die Medien, ihre ProduzentInnen und ihre NutzerInnen im jeweiligen sozialen Kontext sein. Medienpädagogik wird die Inhalte und Funktionen der Medien, ihre Nutzungsformen sowie ihre individuellen und gesellschaftlichen Auswirkungen („Medialität“) untersuchen. Sie wird Modelle für medienpädagogisches Arbeiten entwerfen müssen, mit dem die NutzerInnen über die Kompetenzstufen Wissen und Analysefähigkeit in ihren spezifischen Lebenswelten zu medienbezogenem und medieneinbeziehendem Handeln geführt und befähigt werden sollen, im Sinne von Bildung Erkenntnis zu generieren.