Salutogenese: Wie die Medialität die Kohärenz zerfrisst! - Christian Dorn - E-Book

Salutogenese: Wie die Medialität die Kohärenz zerfrisst! E-Book

Christian Dorn

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Beschreibung

Unsere Welt ist im Wandel. Eine Tatsache, die zwar offensichtlich aber dennoch – aufgrund der Geschwindigkeit und Komplexität – kaum greifbar ist. Dies gilt vor allem deshalb, weil sich die Medialität jedem Menschen in einer individuellen Ausprägung darstellt und ihre Transfomationspotenziale auf jeden Menschen aufgrund individueller Vulnerabilität, Plastizität, Quantität und Qualität zur Verfügung stehender Abwehrmechanismen und Bewältigungsfähigkeiten unterschiedliche Wirkungen entfalten. Angesichts dieser Entwicklungen fällt es leicht Antonovskys Intension zu folgen. Offensichtlich korrumpiert die Medialität einen maßgeblichen Faktor, der in der Lage wäre ,zu verhindern, dass sich Spannungen in Belastung verwandeln – das Kohärenzgefühl! Wir sind immer weniger in der Lage, die Anforderungen, die eine veränderte Arbeitswelt und zerfallende Familienstrukturen an uns stellen, zu bewältigen. Wie es scheint haben wir einen Punkt erreicht, ab dem ein zu großes Maß an anhaltendem oder wiederholtem Stress zusammen mit körperlichen Schwächen eine Gesundheitsgefährdung bedeutet. Vor diesem Hintergrund wird deutlich: Niemand ist vor einer Traumatisierung sicher, da es vermutlich für jeden Menschen Ereignisse und Situationen gibt, die entweder aufgrund ihrer Schwere, Konstellation oder ihrer Unvereinbarkeit mit dem menschlichem Selbstverständnis traumatisierend wirken. Stellt sich die Frage: Wie kommt es dazu? In diesem kleinen Aufsatz möchte ich aus Sicht meiner Disziplinen und vor dem Hintergrund persönlicher Erfahrungen im Rettungsdienst, in der Krisenintervention und in der psychosozialen Beratung verdeutlichen, wie eine zur Medialität transformierte Realität das Kohärenzgefühl zerfrisst und somit Traumata begünstigt. Darüber hinaus möchte ich ein medienunterstütztes Präventions- und Therapiemodell zur Diskussion stellen, dass in einer aus der Kohärenz geratenen Welt traumaanfälligen Biografien Kohärenzgefühl stiftet.

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Inhalt

1. Einleitung

2. Medialisierung macht Medialität macht neue Menschen

2.1.

Von der Realität zur Medialität

2.2.

Medialität und Psychosomatik

2.3.

Wie Helfen zum Trauma wird

3. Kohärenz stiften durch reflektiertes Erleben im Spiegel der Biografie

3.1.

Spiegel der Biografie: Digital Storytelling

3.2.

Das Projekt

Memory`s Voices

3.3.

Biographie, Kohärenzgefühl, Gesundheit

4. Zusammenfassung

Autor

Kontakt

Leseempfehlung

1. Einleitung

Beginnend vor ungefähr 30 Jahren führten die Neuen Medien (NM)...

Neue Medien (NM): NM definiere ich als auf ein breites Rezipientenspektrum ausgerichtete Vermittler von Inhalten, deren Übertragungs- und Speichermodi (mehrheitlich) auf digitalen Datenformaten basieren. Für die Herleitung dieser Definitionen siehe Dorn 2015.

...einen Paradigmenwechsel herbei, der in seiner aktuellen Ausprägung das soziopolitische Wirkungsgefüge ebenso wie die Bewusstseins- und Handlungsstrukturen...

Bewusstsein: Wörterbuch zur Psychologie (2000). „Der Begriff wird in zwei aufeinander Bedeutungen verwendet. (1) Bewusstsein als Zustand des Zentral-Nerven-Systems, der dem deutlichen Erkennen, klaren Denken und geordneten Verhalten zugrunde liegt. (2) Bewusstsein als Inbegriff von Prozessen der subjektiven Erfahrung des eigenen Erlebens, der Erlebnisweise in Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsepisoden, der Richtungsnahme des Erlebens im Bedürfnis-, Interessen- und Erwartungsbezug, des Klarheitsgrades, mit dem sich Erfahrungsinhalte zeigen, sowie der im Gegenstands- oder Denkzusammenhang erlebten Gewissheit, selbst der/die Erfahrende zu sein“.

Handlung: Wörterbuch zur Psychologie (2000). „Auf die Erreichung eines Ziels gerichtete, relativ abgehobene, zeitlich und logisch strukturierte koordinierte Bewegungsabfolgen, welche bewusst kontrolliert ausgeführt werden, um eine Veränderung in der Umwelt oder aber der bestehenden (psychologischen) Situation herbeizuführen. Handlung unterscheidet sich von Verhalten durch seinen bewussten Bezug zu Zielvorstellungen, dem Bedürfnis nach Zielerreichung, durch das begleitende Abwägen von Erwartungen in Bezug auf die Entscheidungsmöglichkeiten und ihre Konsequenzen, durch die gedankliche Vorwegnahme bestimmter Handlungsschritte (Pläne) und die fortlaufende Einbeziehung von Rückmeldungen vor der Entscheidung über die folgenden Schritte.“

...der Menschen tief greifend beeinflusst1. Auslöser hierfür ist die Medialisierung2 ...

Medialisierung: Sie stellt die aktive Dimension der Medialität dar, der man sich (theoretisch) bis zu dem Punkt entziehen kann, an dem die Verbreitung einer neuen Technologie (Handy, E-Mail usw.) einen kritischen Punkt überschreitet. Für die Herleitung dieser Definitionen siehe Dorn 2015.

mit ihrer massenhaften Verbreitung NM wie z.B. dem Personal Computer, der weltweiten Vernetzung durch das Internet, der Kommerzialisierung des Fernsehens und der Digitalisierung der Kommunikationsoptionen. Diese medialen Transformationspotentiale haben – mit Ausnahme der technologischen Transformation an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert – einen gesellschaftlichen Wandel eingeleitet und forciert, dessen Vollzugsgeschwindigkeit, Bandbreite und Reichweite in der Geschichte der Menschheit bislang ohne Beispiel ist3. Im Gegensatz zur Industrialisierung verdinglicht sich dieser Wandel aber nicht in der Gegenständlichkeit des Alltags, sondern er vergegenwärtigt sich in transformierten Bewusstseins- und Handlungsstrukturen der Menschen. Kinder und Jugendliche werden aufgrund der noch starken Plastizität ihrer Psychophysiologie und der fehlenden Vergleichbarkeit mit einer Welt gegenständlicher Werte in besonderem Maße von diesem Wandel geprägt4.

Diese zur Medialität5 ...

Medialität: Das durch Medialisierung und mediale Durchdringung determinierte Sozialisations- und Lebensumfeld. Für die Herleitung dieser Definitionen siehe Dorn 2015 und 2004.

...transformierte Welt ist determiniert von zunehmend reduzierter Kohärenz. Die Grundhaltung eines zusammenhängenden und sinnvollen Selbst-, Lebens- und Weltverständnisses wird unterlaufen durch den schleichenden Verlust

der Verstehbarkeit sozio-kultureller Bezüge, bedingt durch eine Korruption des Wertesystems und eine von der Ökonomie legitimierten Doppelmoral,

der Handhabbarkeit beziehungsweise der Bewältigbarkeit der Anforderungen aufgrund einer Beschleunigung unseres immer komplexeren Lebens-, und Arbeitsumfeldes,

der Sinnhaftigkeit und Bedeutsamkeit durch grenzenlose Multiplikation, beliebige Manipulation und unreflektierten Konsum(-zwang).

Konkret erfahren wir eine Überforderung, die dazu führt, dass Stress unser Erleben (Psyche und Physis) beeinflusst6. Unsere Wahrnehmung, unsere Einstellung, unsere individuelle Wertevorstellung sowie unsere Kooperations- und Konfliktmuster verändern sich (mediale Durchdringung...

Mediale Durchdringung: Die Wirkung digital manipulierter Kommunikate sowohl auf die individuellen Bewusstseins- und Handlungsstrukturen als auch auf das gesellschaftliche (soziale) Wirkungsgefüge. Abhängig vom Grad der (absoluten und relativen) Medialisierung ist diese Wirkung unausweichlich (passive Dimension der Medialität). Für die Herleitung dieser Definitionen siehe Dorn 2015

Verstärkt wird die Wirkung einer solch inkohärenten Kultur durch ihre Rückbezüglich- und Unmittelbarkeit. Sie korrumpiert die physiologischen Systeme der Stressverarbeitung und damit den Regelkreis der Sozialisationsprozesse (in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz). Hieraus resultieren dramatische Folgen für den Erwerb angemessener Einstellungen sowohl uns selbst als auch anderen gegenüber sowie Verhaltensweisen im Umgang mit Peers und Sozialisationsagenten7. Die Wirkungen sind multidimensional und reichen, basierend auf den stereotyp argumentierten, scheinbaren ökonomischen Notwendigkeiten der Konsumgesellschaft8, über neue Formen der Arbeitsorganisation9 bis hinein in private und familiäre Bezüge1011

Dass diese Entwicklung auch vor dem Sozial- und Rettungswesen nicht halt macht, zeigt bereits 2003 eine ernüchternde Studie der Universitätsklinik Dresden12 und der Abt. für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Erlangen, die sich mit dem Zusammenhang von Burnout und sekundärer Traumatisierung im Rettungsdienst befasst. Der ökonomische Druck nimmt zu, die Arbeitsbedingungen werden härter, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen werden auf das (noch) gesetzlich geregelte Mindestmaß reduziert und Angebote zur Gesundheitsförderung, wie zum Beispiel Supervision, werden erst gar nicht angeboten oder gestrichen. Darüber hinaus werden in immer größerem Umfang ehrenamtliche MitarbeiterInnen in die Dienste einbezogen13, an die dann – und das ist nur eine logische Folge – zunehmend höhere Anforderungen gestellt werden (müssen). Für den Bereich der Krisenintervention (und Notfallpsychologie) ist diese Entwicklung in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Da die psychische Konstitution sowohl der potentiellen PatientInnen (insbesondere die der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen) als auch die der HelferInnen14 als tendenziell deutlich instabiler einzuschätzen ist, wird

die Zahl und die Schwere der Traumatisierungen bei den PatientInnen steigen

die Zahl der Sekundärtraumata bei den HelferInnen zunehmen

In diesem kleinen Aufsatz möchte ich aus Sicht meiner Disziplinen und vor dem Hintergrund persönlicher Erfahrungen im Rettungsdienst, in der Krisenintervention und in der psychosozialen Beratung verdeutlichen, wie eine zur Medialität transformierte Realität Traumata begünstigt. Darüber hinaus möchte ich ein medienunterstütztes Präventions- und Therapiemodell zur Diskussion stellen, das in einer aus der Kohärenz geratenen Welt traumaanfälligen Biografien Kohärenzgefühl stiftet.

1 Vgl. Greiner 2002

2 Vgl. Dorn 2015, Feierabend & Klingler 2000

3 Vgl. Bell 1975

4 Vgl. u.a. Weizenbaum 1978, 1984

5

6 Vgl. Haffner et al. 2001 u. 2002

7 Vgl. Dorn 2015, Greiner 2002

8 Vgl. Baader 1999

9 Vgl. Grefe 2003 und Sabine Etzold 2003 im Gespräch mit dem Psychologen Dieter Frey (Druck und Stress wachsen, weil Chefs es nie gelernt haben, mit Menschen umzugehen.)

10 Vgl. von Thadden 2003

11 Vgl. Schorb 1995; Gaschke 2003

12 Vgl. Groß, Joraschky, Petrowski, Mück-Weymann, Pöhlmann et al. 2003

13 Es bleibt abzuwarten, in wie weit sich in diesem Zusammenhang (in Deutschland) die Hartz IV-Reformen weiter auswirken.

14 Ich gehe in diesem Zusammenhang und basierend auf meinen Erfahrungen davon aus, dass sich ehrenamtliche von professionellen Kräften lediglich dadurch unterscheiden, dass die professionellen HelferInnen über eine größere Routine (die selbstverständlich auch mit einer deutlich höheren Belastungsfrequenz, -quantität und –qualität einhergeht – kumulative Traumatisierung), eine umfangreichere Methodenkompetenz im Hinblick auf die Psychohygiene und ein höheres Maß an Selbsterfahrung verfügen.

2. Medialisierung macht Medialität macht neue Menschen

Der Begriff Medialität bezeichnet unser durch Medialisierung und mediale Durchdringung determiniertes Sozialisations- und Lebensumfeld. Durch die steigende Geschwindigkeit, das sich verändernde gesellschaftliche Klima (der Verlust tradierter Werte, eine ökonomisch legitimierte Doppelmoral, aus steigender Komplexität resultierende Überreglementierung, die Angst um den Arbeitsplatz und eine radikal veränderte Berufswelt, selbstverständliche Flexibilität, unsichere Wirtschaftslage, instabile politische Strukturen, Zukunftsangst, Kriegsgefahr, eine politisch instrumentalisierte scheinbare allgegenwärtige Bedrohung durch Terror etc.) und eine zum Lifestyle erhobene Individualisierung zerfällt das soziale Gesellschaftsgefüge. Die Rahmenbedingungen unseres Lebens ergeben sich aus medial forcierten, stereotyp angemahnten, scheinbaren Notwendigkeiten einer globalisierten Ökonomie, in der selbst die Minderheit der noch intakten Familien in Zielgruppen tranchiert wird. Der Status gesellschaftlicher Werte und die bislang funktionierenden Strukturen erodieren durch einen zunehmenden über allem stehenden shareholder-value und werden von den „Wirtschafts-Eliten“ scheinbar entgegen jeder Vernunft nach hinten durchgereicht und beiseite geschoben.

2.1 Von der Realität zur Medialität