Meerjungfrau - Camilla Läckberg - E-Book
SONDERANGEBOT

Meerjungfrau E-Book

Camilla Läckberg

0,0
11,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein Strauß weißer Lilien, ein Umschlag. Christian Thydell, der beliebte Bibliothekar von Fjällbacka, wird bedroht. »Sie ist immer bei Dir. Und Dein Tod ist nah«, heißt es in dem Brief. Nachts dringt jemand in sein Haus ein und beschmiert seine beiden Kinder mit blutroter Farbe. Die Situation eskaliert, als  Christians Freund Magnus tot im Meer gefunden wird. Kommissar Patrik Hedström vermutet ein Familiendrama und beginnt in der Vergangenheit zu graben. Doch erst seine Frau, die Schriftstellerin Erica Falck, entdeckt eine ganz andere Spur.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 620

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Meerjungfrau

CAMILLA LÄCKBERG, Jahrgang 1974, stammt aus Fjällbacka. Sie hat weltweit über 30 Millionen Krimis und Thriller verkauft und ist Schwedens erfolgreichste Autorin. Mit ihrem Unternehmen »Invest In Her« fördert sie Projekte junger Frauen. Camilla Läckberg lebt mit ihrer Patchworkfamilie in Stockholm.

Von Camilla Läckberg sind in unserem Hause bereits erschienen.In der Reihe »Ein Falck-Hedström-Krimi«:Die Eisprinzessin schläft (Band 1)Der Prediger von Fjällbacka (Band 2)Die Töchter der Kälte (Band 3)Die Totgesagten (Band 4)Engel aus Eis (Band 5)Meerjungfrau (Band 6)Der Leuchtturmwärter (Band 7)Die Engelmacherin (Band 8)Die Schneelöwin (Band 9)Die Eishexe (Band 10) Kuckuckskinder (Band 11)Außerdem: Schneesturm und Mandelduft

Camilla Läckberg

Meerjungfrau

Aus dem Schwedischen von Katrin Frey

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Ungekürzte Ausgabe im List TaschenbuchList ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin.1. Auflage Oktober 2012© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH,Berlin 2011/ List Verlag© 2008 by Camilla LäckbergTitel der schwedischen Originalausgabe: Sjöjungfrun(Forum, Stockholm, 2008)Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, MünchenTitelabbildung: © Biddiboo/Photographer’s Choice /getty images (Vordergrund)

Autorenfoto: © Elisabeth TollE-Book powered by pepyrusAlle Rechte vorbehalten.Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.ISBN 978-3-8437-0100-6

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

Auf einigen Lesegeräten erzeugt das Öffnen dieses E-Books in der aktuellen Formatversion EPUB3 einen Warnhinweis, der auf ein nicht unterstütztes Dateiformat hinweist und vor Darstellungs- und Systemfehlern warnt. Das Öffnen dieses E-Books stellt demgegenüber auf sämtlichen Lesegeräten keine Gefahr dar und ist unbedenklich. Bitte ignorieren Sie etwaige Warnhinweise und wenden sich bei Fragen vertrauensvoll an unseren Verlag! Wir wünschen viel Lesevergnügen.

Hinweis zu UrheberrechtenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

Danke

Leseprobe: Kuckuckskinder

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Widmung

Für Martin »I wanna stand with you on a mountain«

Prolog

Er hatte es gewusst, früher oder später würde alles ans Licht kommen. So etwas ließ sich nicht verbergen. Mit jedem Wort war er dem Unsagbaren, dem Entsetzlichen näher gekommen, das er seit so vielen Jahren zu verdrängen suchte.

Nun konnte er nicht mehr davonlaufen. Er ging, so schnell er konnte. Morgenluft füllte seine Lungen. Sein Herz pochte wie wild. Er wollte nicht dorthin, aber er musste. Jetzt sollte der Zufall entscheiden. War jemand da, würde er reden. Wenn nicht, würde er zur Arbeit gehen, als ob nichts geschehen wäre.

Als er anklopfte, wurde ihm geöffnet. Im dämmrigen Licht musste er die Augen zusammenkneifen. Vor ihm stand nicht die Person, mit der er gerechnet hatte. Es war jemand anderes.

Ihr langes Haar schwang rhythmisch hin und her, als er ihr ins nächste Zimmer folgte. Er machte den Anfang, stellte Fragen. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Nichts war so, wie es schien. Es war falsch und dennoch richtig.

Plötzlich verstummte er. Irgendetwas hatte ihn mit solcher Wucht in die Magengrube getroffen, dass es ihm die Sprache verschlug. Er blickte zu Boden. Sah Blut aus der Wunde sickern und das Messer hinausgleiten. Dann noch ein Stoß, wieder Schmerz. Der scharfe Gegenstand wütete in seinen Eingeweiden.

Er begriff, alles war vorbei. Hier würde es enden. Dabei hatte er noch so viel vorgehabt und wollte noch so viel sehen und erleben. Andererseits war nun eine Art von Gerechtigkeit wiederhergestellt. Sein erfülltes Leben und all die Liebe, die ihm geschenkt worden war, hatte er überhaupt nicht verdient. Nach allem, was er getan hatte.

Als seine Sinne vom Schmerz betäubt waren und das Messer endlich Ruhe gab, kam das Wasser. Ein schaukelndes Boot. Die eisigen Wellen spürte er schon nicht mehr.

Zuletzt erinnerte er sich an ihr Haar. Das lange dunkle Haar.

1

Es sind doch schon drei Monate vergangen! Wieso findet ihr ihn nicht?«

Nachdenklich betrachtete Patrik Hedström die Frau, die vor ihm saß. Von Woche zu Woche sah sie erschöpfter aus. Jeden Mittwoch besuchte sie die Polizeistation Tanum. Seit ihr Mann Anfang November verschwunden war.

»Wir tun, was wir können, Cia. Das weißt du doch.«

Sie nickte wortlos. Die Hände in ihrem Schoß zitterten. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Es war nicht das erste Mal, dass Patrik sie so sah.

»Er kommt nicht zurück, oder?« Nun bebte auch ihre Stimme. Patrik musste sich beherrschen, um nicht aufzuspringen und die zerbrechliche Frau in den Arm zu nehmen. Er musste sich professionell verhalten, auch wenn das seinem Beschützerinstinkt widersprach. Nach längerem Überlegen holte er tief Luft.

»Ich glaube nicht.«

Sie stellte keine weiteren Fragen. Seine Worte hatten nur bestätigt, was Cia Kjellner ohnehin wusste. Ihr Mann würde nicht wieder nach Hause kommen. Am 3. November war Magnus Kjellner um halb sieben aufgestanden und unter die Dusche gegangen, hatte sich angezogen und von seiner Frau und den beiden Kindern verabschiedet. Kurz nach acht hatte er laut Augenzeugenberichten das Haus verlassen und sich auf den Weg zu seiner Arbeitsstelle beim Fensterhersteller Tanumsfönster gemacht. Seitdem war er nicht mehr gesehen worden. Bei dem Kollegen, der ihn im Auto mitnehmen wollte, kam er nicht an. Irgendwo zwischen seinem Haus in der Nähe des Sportplatzes und dem des Kollegen, der neben dem Minigolfplatz wohnte, war er verschwunden.

Sie hatten sein gesamtes Leben durchstöbert, hatten nach ihm gefahndet und über fünfzig Personen an seinem Arbeitsplatz und im Familien- und Freundeskreis befragt. Sie hatten überprüft, ob er vor privaten Schulden oder Geliebten auf der Flucht war oder Geld seines Arbeitgebers veruntreut hatte. Es musste doch einen vernünftigen Grund dafür geben, dass ein gestandener Mann von vierzig Jahren, glücklich verheiratet und Vater von zwei Teenagern, eines Tages einfach von der Bildfläche verschwand. Aber sie fanden nichts. Nichts deutete darauf hin, dass er sich ins Ausland abgesetzt hatte, und es war auch kein Geld vom gemeinsamen Konto des Ehepaares abgehoben worden. Magnus Kjellner hatte sich in Luft aufgelöst.

Nachdem er Cia zum Ausgang begleitet hatte, klopfte Patrik vorsichtig an die Tür von Paula Morales, die ihn sofort hereinbat.

»Schon wieder seine Frau?«

»Ja.« Seufzend ließ sich Patrik auf einen Stuhl fallen und legte die Füße auf Paulas Schreibtisch, doch als er die Empörung in ihrem Gesicht sah, nahm er sie schnell wieder herunter.

»Glaubst du, er ist tot?«

»Sieht so aus.« Zum ersten Mal sprach Patrik aus, was er seit den ersten Tagen nach Magnus’ Verschwinden befürchtet hatte. »Wir haben doch alles überprüft. Der Mann hatte keinen der üblichen Gründe. Er ist aus dem Haus gegangen und dann … war er einfach weg!«

»Es gibt aber keine Leiche.«

»Keine Leiche«, wiederholte Patrik. »Wo sollen wir denn suchen? Wir können weder den Meeresboden umpflügen noch die Wälder um Fjällbacka durchkämmen, sondern müssen hier Däumchen drehen und hoffen, dass ihn zufällig jemand entdeckt. Tot oder lebendig. Ich weiß nämlich nicht mehr weiter. Und ich habe keine Ahnung, was ich Cia noch sagen soll. Jede Woche taucht sie hier auf und erwartet, dass wir weitergekommen sind.«

»Das ist ihre Art, damit umzugehen. Sie kann nicht die ganze Zeit zu Hause sitzen und warten, sondern muss irgendetwas tun. Mir würde es genauso gehen.«

»Ich weiß«, seufzte Patrik, »aber es belastet mich trotzdem.«

»Klar.«

Eine Weile herrschte in dem kleinen Raum Stille. Dann erhob sich Patrik.

»Wir müssen eben hoffen, dass er auftaucht. Wie auch immer.«

»Etwas anderes bleibt uns wohl nicht übrig.« Paula klang genauso resigniert wie Patrik.

2

Dickmops!«

»Musst du gerade sagen.« Bedeutungsvoll zeigte Anna auf Ericas nicht vorhandene Taille.

Genau wie Anna stellte Erica Falck sich seitlich vor den Spiegel. Tatsächlich. Himmel, war sie dick. Sie schien nur noch aus einem riesigen Bauch zu bestehen, an dem anstandshalber eine kleine Erica klebte. Was sie mit sich herumschleppte! Verglichen damit war sie in ihrer ersten Schwangerschaft ein Reh gewesen. Aber diesmal hatte sie schließlich zwei Babys im Bauch.

»Ich beneide dich wirklich nicht«, sagte Anna mit der schonungslosen Ehrlichkeit, zu der nur kleine Schwestern fähig sind.

»Danke schön.« Erica stupste sie mit dem Bauch an. Als Anna zum Gegenangriff überging, verloren beide das Gleichgewicht. Hilflos ruderten sie mit den Armen und ließen sich auf den Boden plumpsen.

»Das Ganze muss ein Scherz sein!« Erica wischte sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln. »So kann man doch nicht rumlaufen. Ich bin eine Mischung aus Barbapapa und dem Mann bei Monty Python, der platzt, nachdem er ein Pfefferminzplätzchen gegessen hat.«

»Ich werde dir ewig dankbar sein, dass du Zwillinge bekommst, denn ich fühle mich wie eine Elfe neben dir.«

»Keine Ursache.« Erica wollte wieder aufstehen, aber daraus wurde nichts.

»Warte, ich helfe dir«, bot Anna großzügig an, musste sich jedoch ebenfalls der Schwerkraft beugen und landete auf dem Hintern. In stummem Einverständnis blickten sich die Schwestern an und schrien wie aus einem Munde: »Dan!«

»Was ist denn?«, ertönte es aus dem Erdgeschoss.

»Wir kommen nicht hoch!«, brüllte Anna zurück.

»Was sagst du?«

Gemächlich stieg er die Treppe hinauf und ins Schlafzimmer.

»Was macht ihr denn da?«, grinste er, als er seine Lebensgefährtin und ihre Schwester auf dem Fußboden vor dem großen Spiegel erblickte.

»Wir kommen nicht hoch«, erklärte Erica so würdevoll wie möglich und reichte ihm die Hand.

»Moment, ich hole den Gabelstapler.« Dan machte kehrt.

»Freundchen!« Erica hob drohend den Zeigefinger, während Anna vor Lachen umkippte.

»Vielleicht geht es auch so.« Ächzend griff Dan nach Ericas Hand. »Eins, zwei … drei!«

»Die Töne kannst du dir sparen!«

Mühsam rappelte sich Erica auf.

»Mannomann, bist du dick!«

Erica versetzte ihm einen Hieb. »Das hast du schon hundertmal gesagt, und du bist nicht der Einzige, also verschone mich damit und konzentriere dich lieber auf den Dickmops an deiner Seite.«

»Mit dem größten Vergnügen.« Dan half auch Anna auf und gab ihr einen innigen Kuss.

»Macht das gefälligst zu Hause!« Erica boxte Dan in die Seite.

»Wir sind hier zu Hause.« Dan küsste Anna noch einmal.

»Können wir uns denn nun endlich mal dem eigentlichen Grund meines Kommens widmen?«

Erica öffnete den Kleiderschrank ihrer Schwester.

»Woher weißt du, dass ausgerechnet ich dir helfen könnte?« Anna watschelte hinter Erica her. »Ich habe nichts, was auch nur annähernd geräumig genug für dich ist.«

»Was soll ich denn bloß machen?« Erica schob einen Kleiderbügel nach dem anderen zur Seite. »Heute Abend ist Christians Buchpremiere, und das Einzige, was mir noch passt, ist Majas Indianerzelt.«

»Irgendwas werden wir schon finden. Die Hose, die du anhast, sieht gut aus, und ich habe eine Bluse, die weit genug sein müsste. Mir war sie jedenfalls zu groß.«

Anna hielt ihr eine bestickte Tunika hin. Erica zog das T-Shirt aus und streifte sich mit Annas Hilfe die lilafarbene Tunika über den Kopf. Als sie ihren Leib hineinzwängte, musste sie zwar an das weihnachtliche Stopfen der Fleischwürste denken, aber es ging. Kritisch begutachtete sie das Ergebnis im Spiegel.

»Du siehst super aus«, sagte Anna. Erica grunzte nur.

Angesichts ihres derzeitigen Umfangs war »super« utopisch, aber sie sah ganz anständig, wenn nicht sogar schick aus.

»Das ist völlig okay.« Sie unternahm einen Versuch, sich selbst aus der Tunika zu winden, war aber auf Annas Hilfe angewiesen.

»Wo findet das Fest eigentlich statt?« Anna strich die Bluse glatt und hängte sie wieder auf einen Kleiderbügel.

»Im Stora Hotel.«

»Wie nett vom Verlag, das Erscheinen eines ersten Buchs zu feiern.« Anna ging in Richtung Treppe.

»Die sind total aus dem Häuschen. Wenn der Vorverkauf so toll anläuft, sind sie großzügig. Unsere Verlegerin hat mir erzählt, dass auch die Kritiken erfreulich sind.«

»Und wie findest du das Buch? Wenn es dir gar nicht gefiele, hättest du es dem Verlag wohl kaum empfohlen, aber wie gut ist es wirklich?«

»Es ist …« Vorsichtig tastete sich Erica dicht hinter ihrer Schwester die Treppenstufen hinunter. »Es ist geheimnisvoll. Dunkel und schön, beunruhigend und stark und … ja, irgendwie geheimnisvoll, ein besseres Wort fällt mir nicht ein.«

»Christian muss überglücklich sein.«

»Ja, doch.« Erica zog das Wort in die Länge und wandte sich gedankenverloren der Kaffeemaschine zu. Sie bewegte sich bei Anna wie zu Hause. »Wahrscheinlich schon, andererseits …« Während sie das Kaffeepulver in den Filter löffelte, musste sie sich aufs Zählen konzentrieren. »Er war unheimlich froh, als er einen Verlag gefunden hatte, aber die Arbeit an dem Buch scheint etwas in ihm aufgewühlt zu haben. So genau kenne ich ihn gar nicht. Keine Ahnung, warum er ausgerechnet mich gefragt hat, aber ich habe ihm natürlich geholfen. Ich schreibe zwar keine hochliterarischen Romane, aber ich habe Erfahrung mit der Überarbeitung meiner eigenen Manuskripte. Am Anfang lief es wunderbar und Christian war für jede Anregung offen. Gegen Ende reagierte er jedoch ziemlich zugeknöpft, wenn ich gewisse Dinge ansprach. Ich kann es nicht genau erklären. Er ist ein bisschen exzentrisch. Vielleicht ist das alles.«

»Dann hat er ja genau den richtigen Beruf ergriffen«, sagte Anna todernst. Erica drehte sich zu ihr um.

»Du findest mich also nicht nur dick, sondern auch exzentrisch?«

»Und zerstreut.« Anna deutete auf die Kaffeemaschine, die Erica gerade eingeschaltet hatte. »Es empfiehlt sich, Wasser einzufüllen.«

Die Maschine zischte, als wollte sie Anna beipflichten. Mit finsterem Blick schaltete Erica sie wieder ab.

Sie machte mechanisch ihren Haushalt. Sie hielt Teller und Besteck unter fließendes Wasser, stellte das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine, klaubte die Essensreste aus dem Ausguss, spritzte ein paar Tropfen Spülmittel ins Becken und schrubbte es mit der Handbürste aus. Dann machte sie den Lappen nass, wrang ihn wieder aus und wischte den vollgekrümelten und klebrigen Küchentisch sauber.

»Mama, darf ich zu Sandra?« Die trotzige Miene der fünfzehnjährigen Elin ließ keinen Zweifel daran, dass sie mit einem Nein rechnete.

»Du weißt doch, dass das nicht geht. Heute Abend haben wir Besuch von Oma und Opa.«

»Die kommen in letzter Zeit ständig. Warum muss ich immer dabei sein?« Die Stimme steigerte sich zu diesem quengeligen Ton, den Cia kaum ertragen konnte.

»Weil sie dich und Ludvig sehen wollen. Sonst wären sie enttäuscht, das ist doch klar.«

»Aber es ist so langweilig hier! Außerdem fängt Oma immer an zu heulen, und dann schimpft Opa wieder mit ihr. Ich will zu Sandra. Die anderen kommen auch alle.«

»Jetzt übertreibst du aber.« Cia spülte den Lappen aus und hängte ihn über den Wasserhahn. »Ich glaube nicht, dass alle da sind. Du kannst ein andermal hingehen, wenn wir keinen Besuch haben.«

»Papa hätte es mir bestimmt erlaubt.«

Cia hatte das Gefühl, zu ersticken. Sie konnte nicht mehr. Diese Wut und der Trotz waren nicht auszuhalten. Magnus wäre damit fertig geworden. Er hätte mit der Situation und mit Elin umgehen können. Sie schaffte das nicht. Nicht allein.

»Papa ist aber nicht hier.«

»Wo ist er denn?«, schrie Elin. Tränen liefen ihr übers Gesicht. »Ist er abgehauen? Wahrscheinlich hatte er dich und dein Gelaber satt, du … blöde Kuh.«

In Cias Kopf wurde es totenstill. Alle Geräusche waren auf einmal verstummt. Sie war nur noch von Nebel umgeben.

»Er ist tot.« Ihre eigene Stimme kam wie von weit her, als spräche eine Fremde.

Elin starrte sie an.

»Er ist tot«, wiederholte Cia. Auf einmal verspürte sie eine seltsame innere Ruhe, als würde sie sich und ihrer Tochter friedlich von oben zuschauen.

»Du lügst.« Elins Brustkorb hob und senkte sich, als wäre sie Dutzende von Kilometern gerannt.

»Ich lüge nicht. Die Polizei glaubt es auch. Und ich weiß, dass es so ist.« Während sie sich selbst die Worte aussprechen hörte, begriff sie, dass es die Wahrheit war. Bis zuletzt hatte sie sich dagegen gewehrt. Hatte sich an das letzte bisschen Hoffnung geklammert. Doch Magnus war tot.

»Woher willst du das wissen? Und wie kommt die Polizei darauf?«

»Er würde uns niemals verlassen.«

Elin bewegte den Kopf hin und her, als könnte sie den Gedanken abschütteln.

Doch Cia sah, dass auch ihre Tochter es wusste. Magnus würde seine Familie nicht im Stich lassen.

Sie ging die wenigen Schritte auf Elin zu und nahm sie in den Arm. Zuerst sperrte sich Elin gegen die Berührung, doch dann gab sie nach und erlaubte sich, wieder ein Kind zu sein. Während das Weinen immer heftiger wurde, strich Cia ihr über den Kopf.

»Pscht«, beruhigte sie das Mädchen und spürte, wie ihre eigene Kraft merkwürdigerweise zunahm. »Geh heute Abend ruhig zu Sandra. Ich erkläre es Oma und Opa.«

Sie begriff, dass nun sie die Entscheidungen fällen musste.

Christian Thydell betrachtete sein Spiegelbild. Manchmal wusste er nicht genau, wie er damit umgehen sollte. Er war vierzig Jahre alt. Die Zeit war wie im Flug vergangen, und nun hatte er nicht nur einen erwachsenen Mann vor sich, sondern einen, der an den Schläfen bereits grau wurde.

»Du siehst aber schick aus.« Als Sanna plötzlich hinter ihm stand und ihm die Arme um die Taille legte, zuckte Christian zusammen.

»Hast du mich erschreckt! Musst du dich so anschleichen?« Er machte sich los. Als er sich umdrehte, sah er im Spiegel ihr enttäuschtes Gesicht.

»Entschuldige bitte.« Sie setzte sich aufs Bett.

»Du siehst auch gut aus.« Das kleine Kompliment ließ ihre Augen strahlen, aber das verstärkte nur seine Schuldgefühle. Wut stieg in ihm auf. Er konnte es nicht leiden, wenn sie sich wie ein kleiner Hund verhielt, der auf die geringste Aufmerksamkeit seines Herrchens mit Dankbarkeit reagiert. Seine Frau war zehn Jahre jünger als er, aber manchmal kam es ihm vor, als betrüge der Altersunterschied zwanzig Jahre.

»Hilfst du mir mit dem Knoten?« Er ging zu ihr, und sie stand auf, um ihm die Krawatte zu binden. Der Knoten gelang auf Anhieb perfekt. Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete ihr Werk.

»Heute Abend kommst du groß raus.«

»Hm …« Er wusste nicht recht, was er sagen sollte.

»Mama! Nils schlägt mich!« Melker kam schreiend angerannt, als wäre ein Rudel Wölfe hinter ihm her, und klammerte sich an den erstbesten Halt: Christians Beine.

»Scheiße!« Schroff stieß Christian seinen fünfjährigen Sohn weg, doch das Unglück war bereits geschehen. Ketchupflecken zierten beide Hosenbeine auf Höhe der Kniekehlen. Christian musste sich beherrschen, um nicht auszurasten. Das fiel ihm in letzter Zeit immer schwerer.

»Kannst du nicht auf die Kinder aufpassen?« Demonstrativ knöpfte er sich die Hose auf.

»Das geht bestimmt wieder raus.« Sanna rannte hinter Melker her, damit er nicht auch noch das Bett beschmierte.

»Wie soll das gehen? In einer Stunde muss ich dort sein. Ich muss mich umziehen.«

»Aber …« Sannas Stimme war belegt.

»Kümmere dich lieber um die Kinder.«

Bei jeder Silbe blinzelte Sanna, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen. Schweigend packte sie Melker und schob ihn aus dem Zimmer.

Christian ließ sich aufs Bett sinken. Aus dem Augenwinkel sah er sein Spiegelbild. Ein verbissener Mann in Jackett, Hemd, Krawatte und Unterhose. In sich zusammengesunken, als laste das Leid der Welt auf seinen Schultern. Zaghaft streckte er den Rücken und wölbte den Brustkorb nach vorn. So sah es schon viel besser aus.

Das hier war sein Abend, und den ließ er sich von niemandem nehmen.

»Gibt’s was Neues?« Gösta Flygare hielt fragend die Kaffeekanne in die Höhe, als Patrik die kleine Teeküche der Polizeistation betrat.

»Gerne«, nickte Patrik und setzte sich. Ernst hatte ebenfalls mitbekommen, dass man sich zum Kaffeetrinken traf. Er kam angetrottet und ließ sich in der Hoffnung unter dem Tisch nieder, dass die eine oder andere Leckerei für ihn abfallen würde.

»Hier.« Gösta stellte einen Becher schwarzen Kaffee vor Patrik und setzte sich ihm gegenüber.

»Du bist blass um die Nase.«

Patrik zuckte die Achseln. »Nur ein bisschen müde. Maja schläft schlecht und hat eine Trotzphase. Außerdem ist Erica aus naheliegenden Gründen ziemlich fertig. Im Moment habe ich ein verdammt anstrengendes Privatleben.«

»Das wird sich auch nicht ändern«, stellte Gösta trocken fest.

Patrik musste lachen. »Wie aufmunternd, mein Lieber.«

»Nichts Neues über Magnus Kjellner?« Diskret hielt Gösta einen Keks unter den Tisch. Ernst trommelte vor Freude mit dem Schwanz auf Patriks Füße.

»Nein.« Patrik trank einen Schluck Kaffee.

»Ich habe gesehen, dass sie wieder hier war.«

»Ja. Ich habe gerade mit Paula darüber gesprochen. Es ist eine Art Zwangshandlung. Eigentlich kein Wunder. Wie wird man mit dem Verschwinden des eigenen Mannes fertig?«

»Vielleicht sollten wir noch mehr Leute vernehmen.« Gösta hielt einen weiteren Keks unter den Tisch.

»Wen denn?« Patrik hörte selbst den gereizten Unterton in seiner Stimme. »Wir haben mit der Familie gesprochen, mit seinen Freunden, wir haben an jede Tür in der Umgebung geklopft, wir haben Zettel aufgehängt und in der lokalen Presse um Mithilfe gebeten. Was sollen wir noch tun?«

»Diese Niedergeschlagenheit passt gar nicht zu dir.«

»Wenn du eine bessere Idee hast, dann raus damit.« Obwohl Gösta keineswegs gekränkt wirkte, bereute Patrik die schroffe Bemerkung sofort. »So schlimm sich das anhört: Ich hoffe, dass wir ihn bald tot auffinden«, fügte er versöhnlicher hinzu, »ich bin nämlich überzeugt, wir begreifen erst dann, was wirklich passiert ist. Ich wette, dass er nicht aus freien Stücken verschwunden ist. Seine Leiche würde uns wenigstens als Anhaltspunkt dienen.«

»Du hast recht. Ein schrecklicher Gedanke, dass der Mann irgendwo an Land geschwemmt oder im Wald entdeckt wird, aber ich habe die gleiche Vermutung wie du. Außerdem stelle ich es mir grauenhaft vor …«

» … im Ungewissen zu sein?« Patrik zog seine verschwitzten Füße unter dem warmen Hundekörper hervor.

»Denk mal, nicht zu wissen, wo der geliebte Mensch geblieben ist. Das ist wie für Eltern, deren Kinder verschwunden sind. In Amerika gibt es eine ganze Website voller Fotos und Vermisstenanzeigen. Verdammte Scheiße, sage ich da nur.«

»Ich würde das nicht überleben.« Patrik sah seine quirlige Tochter vor sich. Der Gedanke, sie zu verlieren, war unerträglich.

»Was ist denn hier los? Hier herrscht ja die reinste Friedhofsatmosphäre.«

Fröhlich riss Annika sie aus ihrem bedrückten Schweigen. Auch Martin Molin, der jüngste Kollege, war von den Stimmen und dem Kaffeeduft angelockt worden. Seit er Erziehungszeit genommen hatte, arbeitete er nur noch halbtags und nutzte jede Gelegenheit, sich mit den Erwachsenen zu unterhalten.

»Wir haben über Magnus Kjellner gesprochen.« Patriks Tonfall signalisierte deutlich, dass das Gespräch beendet war. Um auch nicht den geringsten Zweifel daran aufkommen zu lassen, schnitt er ein anderes Thema an.

»Wie läuft es mit der Kleinen?«

»Wir haben gestern erst neue Bilder bekommen.« Annika zog einen Stapel Fotos aus ihrer Strickjacke.

»Schaut mal, wie groß sie schon ist!« Sie breitete die Bilder vor Gösta und Patrik aus. Martin hatte sie bereits am Morgen zu sehen bekommen.

»Ist die aber hübsch«, sagte Patrik.

Annika nickte. »Sie ist jetzt zehn Monate alt.«

»Wie lange dauert es noch, bis ihr runterfahren und sie abholen dürft?«, fragte Gösta ehrlich interessiert. Er hatte einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass Annika und Lennart sich ernsthaft mit einer Adoption beschäftigt hatten, und daher war das kleine Mädchen auch ihm ans Herz gewachsen.

»Das ist noch unklar.« Annika sammelte die Fotos wieder ein und steckte sie vorsichtig in die Jackentasche. »In ein paar Monaten, schätze ich.«

»Das Warten muss euch ewig vorkommen.« Patrik stellte seine Kaffeetasse in die Spülmaschine.

»Einerseits schon, aber andererseits … haben wir uns auf den Weg gemacht. Und sie ist ja da.«

»Genau.« Spontan legte Gösta seine Hand auf die von Annika, zog sie aber genauso schnell zurück und stand ebenfalls auf. »Muss an die Arbeit. Keine Zeit, hier rumzusitzen und zu schwatzen«, murmelte er.

Seine drei Kollegen blickten grinsend hinter ihm her.

»Christian!« Die Verlagschefin kam auf ihn zu und begrüßte ihn mit einer duftgeschwängerten Umarmung.

Christian hielt die Luft an, um den schweren Geruch nicht einzuatmen. Gaby von Rosen war nicht gerade für ihr dezentes Auftreten bekannt. An ihr war alles übertrieben: zu viel Haar, zu viel Make-up, zu viel Parfüm und zu allem Überfluss ein Kleidungsstil, den man zur Not als aufsehenerregend bezeichnen konnte – wenn man es gut mit ihr meinte. Zu Ehren des Abends trug sie ein Kostüm in Quietschrosa mit einer überdimensionalen grünen Stoffrose am Revers und wie immer schwindelerregend hohe Absätze. Trotz ihrer mitunter fast lächerlichen Aufmachung gab es niemanden, der die Chefin des angesagten, neuen Verlags in Schweden nicht ernst nahm. Sie hatte mehr als dreißig Jahre Erfahrung in der Branche, und ihr Verstand war so scharf wie ihre Zunge spitz. Den Fehler, sie zu unterschätzen, beging man kein zweites Mal.

»Heute amüsieren wir uns!« Gaby hielt ihn auf Armeslänge von sich und strahlte ihn an.

»Lars-Erik und Ulla-Lena vom Hotel hier haben Großartiges geleistet«, fuhr sie fort. »Was für wunderbare Menschen! Das Buffet ist eine Augenweide. Dies scheint wirklich der perfekte Ort zu sein, um dein wunderbares Buch vorzustellen. Wie fühlst du dich?«

Vorsichtig entwand Christian sich ihrem Griff und trat hastig einen Schritt zurück.

»Ich muss gestehen, das Ganze kommt mir etwas unwirklich vor. Ich habe so lange über diesem Roman gebrütet und jetzt … stehe ich hier.« Er schielte zu dem Bücherstapel neben dem Ausgang. Er las seinen auf dem Kopf stehenden Namen und den Titel: Die Meerjungfrau. Er spürte ein Kribbeln im Magen. Das hier war kein Traum!

»Wir haben uns das folgendermaßen vorgestellt.« Sie zog ihn am Ärmel, und er folgte ihr willenlos. »Als Erstes widmest du dich den Journalisten, damit die dir in aller Ruhe Fragen stellen können. Wir sind sehr zufrieden mit dem Presseaufgebot. Göteborgs-Posten, Göteborgs-Tidningen, Bohusläningen und Strömstads Tidning sind gekommen. Das sind zwar keine überregionalen Zeitungen, aber dafür entschädigt uns die überschwängliche Rezension im Svenska Dagbladet.«

»Was steht denn drin?«, fragte Christian, während er auf ein Podest neben der Bühne gezerrt wurde, wo offenbar das Treffen mit der Presse stattfinden sollte.

»Das erzähle ich dir später.« Gaby drückte ihn auf einen Stuhl an der Wand.

Er versuchte, die Situation in den Griff zu bekommen, aber er fühlte sich, als wäre er in einem laufenden Wäschetrockner eingesperrt. Dass Gaby ihn hier allein zurückließ, verstärkte das Gefühl noch. Kellner liefen hin und her und deckten die Tische. Niemand schenkte ihm Beachtung. Er schloss kurz die Augen und dachte an das Buch, an Die Meerjungfrau und die vielen Stunden vor dem Computer. Hunderte, Tausende von Stunden. Und er dachte an sie, seine Meerjungfrau.

»Christian Thydell?«

Eine Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er blickte auf. Vor ihm stand ein Mann, der darauf zu warten schien, dass er ihm die Hand gab. Er erhob sich und begrüßte ihn.

»Birger Jansson, Strömstads Tidning.« Der Mann stellte eine schwere Kameratasche ab.

»Herzlich willkommen. Setzen Sie sich doch.« Christian wusste nicht genau, wie er sich verhalten sollte. Unsicher blickte er sich nach Gaby um, doch das quietschrosa Kostüm huschte gerade durch den Eingangsbereich.

»Die lassen sich wirklich nicht lumpen.« Birger Jansson warf einen Blick auf die gedeckten Tische.

»Scheint so«, erwiderte Christian. In der darauffolgenden Stille rutschten sie peinlich berührt auf ihren Sesseln herum.

»Wollen wir anfangen oder auf die anderen warten?«

Christian sah den Reporter ausdruckslos an. Woher sollte er das wissen? Er hatte so etwas doch noch nie gemacht. Jansson schien das als Aufforderung zu deuten, stellte sein Aufnahmegerät auf den Tisch und schaltete es ein.

»So.« Er sah Christian aufmunternd an. »Das ist also Ihr erster Roman.«

Christian überlegte, ob mehr als Zustimmung von ihm erwartet wurde. »Das stimmt.« Er räusperte sich.

»Er hat mir außerordentlich gut gefallen.« Birger Janssons barscher Tonfall verriet das Gegenteil.

»Danke.«

»Was wollen Sie damit sagen?« Jansson überprüfte, ob das Aufnahmegerät tatsächlich lief.

»Was ich mit dem Buch sagen möchte? Ich weiß nicht genau. Das ist eine Geschichte, eine Erzählung, die ich im Kopf hatte und die rausmusste.«

»Sie ist extrem düster.« Birger durchbohrte Christian mit seinem Blick, als wollte er bis in den hintersten Winkel seiner Seele vordringen. »Ist das Ihr Bild von der Gesellschaft?«

»Ich weiß nicht, ob ich mit dem Roman mein Gesellschaftsbild zum Ausdruck bringen wollte.« Fieberhaft suchte Christian nach einem intelligenten Satz. So hatte er sein Schreiben nie gesehen. Die Geschichte war schon lange in ihm gewesen. Irgendwann musste er sie zu Papier bringen. Was er damit über die Gesellschaft sagen wollte? Darüber hatte er noch nie nachgedacht.

Gaby rettete ihn schließlich. Sie brachte die anderen Journalisten in einem Trupp zu ihm. Während sie sich begrüßten und Platz nahmen, schaltete Birger Jansson sein Aufnahmegerät aus. Christian nutzte die Zeit, um sich zu sammeln.

Gaby zog die Aufmerksamkeit auf sich.

»Herzlich willkommen zu diesem Treffen mit dem neuen Stern am Autorenhimmel, Christian Thydell. Wir alle vom Verlag sind ungeheuer stolz, seinen Roman Die Meerjungfrau veröffentlichen zu dürfen, und glauben, dass er der Beginn einer großartigen Schriftstellerkarriere ist. Da Christian noch keine Rezensionen zu Gesicht bekommen hat, ist es mir ein irrsinniges Vergnügen, ihm mitzuteilen, dass er heute glänzende Kritiken im Svenska Dagbladet, in Dagens Nyheter und im Arbetarbladet bekommen hat, um nur einige zu erwähnen. Du hast bestimmt nichts dagegen, wenn ich ein paar ausgewählte Passagen vorlese.«

Sie setzte die Brille auf und nahm einen Stapel Kopien vom Tisch. Einige Stellen waren rosa markiert.

»Das Svenska Dagbladet schreibt: Hier schildert ein Sprachvirtuose die Verletzlichkeit des Einzelnen, ohne das große Ganze aus dem Blick zu verlieren.« Gaby nickte Christian zu und blätterte weiter. »Christian Thydell zu lesen ist nicht nur ein Genuss, sondern ist auch schmerzhaft, weil er mit seiner aufs Wesentliche reduzierten Prosa ein Schlaglicht auf die falschen Versprechungen von Sicherheit und Demokratie in unserer Gesellschaft wirft. Wie ein scharfes Messer bohren sich seine Worte ins Fleisch und ins Gewissen und zwingen dazu, fieberhaft weiterzulesen, wie ein Fakir den quälenden, aber reinigenden Schmerz zu suchen. Das war Dagens Nyheter.« Gaby nahm die Brille ab und reichte Christian den Stapel.

Ungläubig griff er danach. Er hörte die Worte und genoss das überschäumende Lob, aber wenn er ehrlich war, begriff er überhaupt nicht, was die Kritiker meinten. Er hatte doch nur die Geschichte der Meerjungfrau erzählt, hatte sich alles von der Seele geschrieben. Seitdem war er vollkommen leer. Über die Gesellschaft hatte er nichts zu sagen. Nur über sie.

Er behielt seine Meinung für sich. Niemand würde ihn verstehen, und vielleicht musste es so sein. Er hätte es niemals erklären können.

»Das ist ja phantastisch.« Seine Worte klangen so hohl, dass sie beinahe schepperten.

Weitere Fragen folgten. Noch mehr Anerkennung und neue Interpretationen. Er hatte das Gefühl, nicht eine einzige Frage vernünftig beantworten zu können. Wie formulierte man etwas, das einen vollkommen ausfüllte? Beim Schreiben war es ihm nicht nur um eine gute Geschichte, sondern ums nackte Überleben gegangen. Um Schmerz. Er hielt sich tapfer. Bemühte sich, klare und kluge Erklärungen abzugeben. Offenbar gelang ihm das auch, denn hin und wieder warf Gaby ihm anerkennende Blicke zu.

Als das Interview überstanden war, wollte Christian am liebsten nach Hause, weil er so leer war, er musste jedoch in dem schönen Speisesaal im Stora Hotel ausharren. Seufzend stellte er sich darauf ein, auf die Gäste zuzugehen, die bereits hereinströmten. Niemand machte sich eine Vorstellung davon, wie viel Kraft ihn sein Lächeln kostete.

»Würdest du heute Abend bitte die Finger vom Alkohol lassen?«, zischte Erik Lind seiner Frau so leise zu, dass die anderen Gäste in der Schlange vor dem Eingang ihn nicht hören konnten.

»Wenn du heute Abend deine Finger von den anderen Frauen lässt«, antwortete Louise in Zimmerlautstärke.

»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Und sprich bitte etwas leiser.«

Louise warf ihrem Mann einen eisigen Blick zu. Sie konnte nicht leugnen, dass er gut aussah. Vor langer Zeit hatte das Eindruck auf sie gemacht. Als sie sich im Studium kennenlernten, beneideten viele Kommilitoninnen sie darum, dass sie sich Erik geangelt hatte, doch seitdem hatte er ihre Liebe, ihren Respekt und ihr Vertrauen langsam, aber sicher weggevögelt. Nicht mit ihr, ach wo. Außerhalb des ehelichen Schlafzimmers hatte er da viel weniger Schwierigkeiten.

»Ihr auch hier? Wie schön!« Cecilia Jonsdotter kämpfte sich zu ihnen durch und küsste beide auf die Wange. Sie war Louises Friseurin und seit einem Jahr Eriks Geliebte, allerdings ahnten die beiden nicht, dass Louise über dieses Verhältnis längst im Bilde war.

»Hallo«, lächelte Louise. Sie fand Cecilia sympathisch. Außerdem hätte sie aus Fjällbacka wegziehen müssen, wenn sie auf jede Frau hier, die mit ihrem Mann im Bett gewesen war, wütend gewesen wäre. Das machte ihr schon lange nichts mehr aus. Sie hatte die Mädchen. Und Kartonwein, eine großartige Erfindung. Wozu brauchte sie Erik?

»Wie aufregend, dass wir jetzt noch einen Schriftsteller in Fjällbacka haben! Zuerst Erica Falck und nun auch Christian!« Cecilia hüpfte vor Begeisterung von einem Bein aufs andere. »Habt ihr das Buch gelesen?«

»Ich lese nur Wirtschaftsmagazine«, sagte Erik.

Louise verdrehte die Augen. Es war typisch für Erik, dass er damit kokettierte, keine Bücher zu lesen.

»Ich möchte mir gern ein Exemplar kaufen. Falls wir noch eins ergattern.« Sie zog den Mantel fester um sich und hoffte, dass sich die Schlange etwas schneller voranbewegte, damit sie bald im Warmen waren.

»In unserer Familie ist Louise die Leseratte. Irgendwie muss man sich ja auch den lieben langen Tag beschäftigen, wenn man nicht arbeitet. Nicht wahr, mein Liebling?«

Louise zuckte mit den Schultern und ließ die abfällige Bemerkung an sich abperlen. Es lohnte sich nicht, darauf hinzuweisen, dass er von ihr verlangt hatte, zu Hause zu bleiben, solange die Mädchen klein waren. Und dass sie von morgens bis abends die gutgeölte Maschinerie seines Lebens in Gang hielt, was er vollkommen selbstverständlich fand.

Sie plauderten noch eine Weile und arbeiteten sich langsam voran. Schließlich erreichten sie die Rezeption, gaben ihre Mäntel ab und durften endlich die wenigen Stufen zum Speisesaal hinaufsteigen.

Eriks vernichtenden Blicken zum Trotz steuerte Louise direkt die Bar an.

»Überanstreng dich nicht.« Patrik küsste Erica auf den Mund, bevor sie mit vorstehendem Bauch aus dem Haus rauschte.

Maja weinte ein bisschen, als sie ihre Mama verschwinden sah, beruhigte sich aber sofort wieder, als Patrik Bolibompa einschaltete und der grüne Drache auf dem Bildschirm erschien. Seit einigen Monaten war sie unheimlich schwierig, und die temperamentvollen Wutanfälle, die auf ein Nein folgten, hätten einer Diva zur Ehre gereicht. Teilweise konnte Patrik sie verstehen. Auch sie spürte wahrscheinlich die Anspannung und das Zittern, mit der man die Ankunft ihrer Geschwister erwartete. Zwillinge, um Gottes willen. Obwohl sie es seit dem ersten Ultraschall in der achtzehnten Woche wussten, hatte er es noch immer nicht richtig verdaut. Manchmal fragte er sich, wie sie es überhaupt schaffen sollten. Mit einem Baby war es schon schwer gewesen, wie würde es erst mit zweien sein? Wie stillte man überhaupt zwei Kinder, wie brachte man sie zum Einschlafen? Und dann die Tatsache, dass sie sich für die drei Kinder und den großen Kinderwagen ein neues Auto kaufen mussten!

Patrik setzte sich neben Maja und starrte ins Leere. In letzter Zeit war er furchtbar abgekämpft. Er schien mit seinen Kräften ständig am Ende zu sein. Manchmal kam er morgens kaum aus dem Bett. Aber eigentlich war das auch kein Wunder. Abgesehen von seinem Privatleben mit der müden Erica und einer Maja, die sich in ein kleines Trotzmonster verwandelt hatte, belastete ihn auch die Arbeit. Seit er Erica kannte, hatte er in mehreren schweren Mordfällen ermittelt, und auch die ständigen Querelen mit seinem Chef Bertil Mellberg zerrten an seinen Nerven.

Nun war Magnus Kjellner verschwunden. Patrik wusste nicht, ob er nur aus Erfahrung oder instinktiv sicher wusste, dass Magnus etwas zugestoßen war. Entweder ein Unfall oder ein Verbrechen, das ließ sich jetzt noch nicht sagen, aber er hätte seine Dienstmarke darauf verwettet, dass Magnus Kjellner nicht mehr lebte. Jeden Mittwoch seiner Frau gegenüberzustehen, die von Woche zu Woche kleiner und erschöpfter aussah, machte ihm zu schaffen. Sie hatten wirklich alles getan, was in ihrer Macht stand, aber Cia Kjellners Gesicht ließ ihm keine Ruhe.

»Papa!« Mit ungeahnter Lautstärke riss Maja ihn aus seinen Grübeleien. Ihr kleiner Zeigefinger war auf den Bildschirm gerichtet. Er begriff sofort, was die Krise ausgelöst hatte. Er musste viel länger in Gedanken versunken sein, als er geglaubt hatte, denn Bolibompa war bereits zu Ende, und nun lief eine Sendung für Erwachsene, die Maja nicht im Geringsten interessierte.

»Papa macht das schon.« Er hielt beruhigend die Hände in die Höhe. »Was hältst du von Pippi Langstrumpf?«

Da Pippi momentan auf der Beliebtheitsskala ganz oben stand, brauchte er die Antwort gar nicht abzuwarten und konnte gleich die DVD einlegen. Als Da Pippi momentan auf der Beliebtheitsskala ganz oben stand, brauchte er die Antwort gar nicht abzuwarten und konnte gleich die DVD einlegen. Als Da Pippi momentan auf der Beliebtheitsskala ganz oben stand, brauchte er die Antwort gar nicht abzuwarten und konnte gleich die DVD einlegen. Als Pippi in Taka-Tuka-Land lief, setzte er sich wieder aufs Sofa und legte den Arm um seine Tochter. Sie schmiegte sich an ihn wie ein warmes kleines Kuscheltier. Fünf Minuten später schlief er.

Christian schwitzte. Gaby hatte ihm soeben mitgeteilt, dass er bald auf die Bühne musste. Der Speisesaal war zwar nicht annähernd voll, aber immerhin saßen an die sechzig Personen vor reichlich gefüllten Tellern und einem Glas Bier oder Wein. Er selbst hatte außer Rotwein nichts hinunterbekommen. Im Moment schüttete er das dritte Glas in sich hinein, obwohl er wusste, dass er besser nicht so viel trinken sollte. Es machte sicher keinen guten Eindruck, wenn er ins Mikrophon lallte, aber ohne Wein hätte er den Abend nicht überstanden.

Er ließ gerade den Blick durch den Saal schweifen, als jemand eine Hand auf seine Schulter legte.

»Wie geht es dir? Du siehst etwas angespannt aus.« Erica sah ihn besorgt an.

»Ein bisschen nervös«, gab er zu und verspürte eine gewisse Erleichterung.

»Das kann ich dir nachfühlen«, sagte Erica. »Ich hatte meinen ersten öffentlichen Auftritt auf einer Veranstaltung für Nachwuchsautoren. Danach mussten sie mich vom Fußboden kratzen. Ich habe nicht die geringste Erinnerung daran, was ich auf der Bühne von mir gegeben habe.«

»Mich wird man nachher wahrscheinlich auch vom Boden kratzen müssen.« Christian griff sich an den Hals. Einen Augenblick lang dachte er an den Brief, und Panik ergriff ihn mit voller Wucht. Er schwankte und konnte sich nur dank Ericas beherztem Zupacken auf den Beinen halten.

»Hoppla«, sagte Erica. »Ich fürchte, du hast dir ein bisschen zu viel Mut angetrunken. Bis zum Auftritt solltest du die Finger vom Alkohol lassen.« Behutsam nahm sie ihm das Glas aus der Hand und brachte es zu einem Tisch. »Das wird schon. Am Anfang stellt Gaby dich und das Buch vor, und dann frage ich dich einiges. Das sind wir ja zusammen durchgegangen. Vertrau mir. Das größte Problem besteht darin, mich auf die Bühne zu hieven.«

Christian ließ sich von ihrem Kichern anstecken. Sein Lachen klang zwar nicht ganz echt und etwas schrill, aber es funktionierte. Die Anspannung ließ ein wenig nach, und er bekam wieder Luft. Den Gedanken an den Brief schob er in den hintersten Winkel seines Bewusstseins. Heute Abend durfte er sich nicht davon beeinträchtigen lassen. Die Meerjungfrau war im Buch zur Sprache gekommen. Er hatte mit ihr abgeschlossen.

»Liebling!« Sanna gesellte sich zu ihnen und sah sich mit strahlenden Augen im Speisesaal um. Er wusste, dass dies ein wichtiger Moment für sie war. Vielleicht sogar bedeutsamer als für ihn.

»Gut siehst du aus.« Wie ein Schwamm saugte sie das Kompliment auf. Sie war wirklich hübsch. Er wusste, dass er glücklich sein konnte, sie gefunden zu haben. Sie ertrug viel mehr, als die meisten anderen Frauen hingenommen hätten. Es war nicht ihre Schuld, dass sie die Leere in ihm nicht ausfüllen konnte. Wahrscheinlich hätte das niemand geschafft. Er legte den Arm um sie und hauchte ihr einen Kuss aufs Haar.

»Ihr seid so süß!« Auf klappernden Absätzen rauschte Gaby heran. »Du hast Blumen bekommen, Christian!«

Er starrte den Strauß in ihren Händen an. Er war schlicht, aber schön. Nur weiße Lilien.

Seine Hände zitterten so heftig, dass er den Briefumschlag, der an der Folie befestigt war, kaum öffnen konnte. Die erstaunten Blicke der drei Frauen nahm er nur halb wahr.

Auch die Karte war schlicht. Dickes weißes Papier, schwarze Tinte und die gleiche schön geschwungene Handschrift wie in den Briefen. Er starrte auf die Zeilen. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

3

Etwas Schöneres als sie hatte er noch nie gesehen. Sie roch so gut, und ihr langes Haar wurde von einem weißen Band zurückgehalten. Ihr Haar glänzte so stark, dass er die Augen zusammenkneifen musste. Zögernd ging er auf sie zu, unsicher, ob er an all dieser Schönheit überhaupt teilhaben durfte. Ihre ausgestreckten Arme gaben ihm die Erlaubnis. Er rannte auf sie zu und warf sich in ihre Arme. Nur fort von dem Schwarzen, fort von dem Bösen. Er ließ sich einhüllen in das Weiß, das Licht, den Blumenduft und das seidenweiche Haar an seiner Wange.

»Bist du jetzt meine Mutter?«, fragte er schließlich und trat widerwillig einen Schritt zurück. Sie nickte. »Wirklich?« Bestimmt würde gleich jemand hereinkommen, mit einem bösen Kommentar alles zunichtemachen und ihm erklären, dass alles nur ein Traum war.

Doch niemand sagte etwas. Sie nickte erneut, und nun konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Er stürzte sich in ihre Arme und wollte sie nie, nie wieder loslassen. Irgendwo in seinem Kopf waren andere Bilder, Gerüche und Geräusche gespeichert und wollten ans Licht, aber der schwere Duft und das Rascheln ihres Kostüms erstickten sie. Er schob das alles beiseite. Scheuchte es weg, damit es von den wundervollen neuen Eindrücken zugedeckt werden konnte. Von diesen unglaublichen Eindrücken.

Er blickte zu seiner neuen Mutter auf, und sein Herz machte vor Glück einen Sprung. Als sie seine Hand ergriff und ihn von dort wegführte, kam er voller Freude mit.

Man erzählt sich ja dramatische Dinge von gestern Abend. Was ist bloß in Christian gefahren? Wie kann man sich bei solch einem Anlass sinnlos besaufen!« Nach einem anstrengenden Vormittag zu Hause kam Kenneth Bengtsson spät ins Büro und warf seine Jacke zunächst auf das Sofa, doch als er Eriks vorwurfsvollen Blick bemerkte, hängte er sie an die Garderobe im Flur.

»Das Ende des Abends war wirklich nicht schön«, erwiderte Erik. »Andererseits war aber Louise so benebelt, dass mir das Schlimmste erspart geblieben ist.«

»Sieht es so übel aus?« Kenneth blickte auf. Persönliche Dinge vertraute Erik ihm selten an. So war es immer gewesen. Schon in der Kindheit, als sie zusammen spielten. Erik erweckte immer den Eindruck, als könne er Kenneth nur mit Müh und Not akzeptieren und würde ihm einen Gefallen tun, wenn er sich mit ihm abgab. Hätte Kenneth ihm nicht wirklich etwas zu bieten gehabt, wäre ihre Freundschaft längst eingeschlafen. In den Jahren, als Erik in Göteborg studierte und arbeitete, war genau das passiert. Kenneth blieb in Fjällbacka, machte sich als Buchhalter selbständig und wurde mit der Zeit immer erfolgreicher.

Kenneth hatte nämlich ein besonderes Talent. Er war zwar weder besonders attraktiv noch charmant, und er bildete sich auch nicht ein, intelligenter als der Durchschnitt zu sein, aber er konnte hervorragend mit Zahlen jonglieren. Er zauberte mit den Summen in Jahresbilanzen und Gewinnermittlungen wie ein David Beckham der Finanzbuchhaltung. Da er zudem über die Fähigkeit verfügte, das Finanzamt um den Finger zu wickeln, wurde er völlig überraschend zu einer höchst wertvollen Person für Erik. Als Erik sich in der in den letzten Jahren äußerst lukrativen Immobilienbranche etablierte, war Kenneth der perfekte Partner. Erik ließ zwar nicht den geringsten Zweifel daran aufkommen, dass Kenneth nur die Nummer zwei war und lediglich ein Drittel der Firma besaß und nicht die Hälfte, die ihm eigentlich zugestanden hätte, aber das störte Kenneth nicht. Er strebte nicht nach Reichtum oder Macht. Er war zufrieden, wenn er sich Aufgaben widmen durfte, denen er gewachsen war. Kenneth war gerne Eriks Kompagnon.

»Ich weiß auch nicht, was ich mit Louise machen soll.« Erik erhob sich von seinem Drehstuhl. »Wenn die Kinder nicht wären …« Kopfschüttelnd schlüpfte er in seinen Mantel.

Kenneth nickte verständnisvoll, dabei wusste er, wo der Schuh in Wirklichkeit drückte. Mit den Kindern hatte das nichts zu tun. Erik ließ sich nicht von Louise scheiden, damit er ihr nicht die Hälfte seines Geldes und des Vermögens abgeben musste.

»Ich bin eine Weile weg. Muss mal wieder in Ruhe zu Mittag essen.«

»Okay«, erwiderte Kenneth. Mittagessen. Alles klar.

»Ist er zu Hause?« Erica stand auf der Treppe vor dem Haus von Familie Thydell.

Nach kurzem Zögern machte Sanna einen Schritt zur Seite und ließ sie herein.

»Er ist oben im Arbeitszimmer und starrt die ganze Zeit auf den Computer.«

»Darf ich raufgehen?«

Sanna nickte. »Ich komme überhaupt nicht an ihn ran. Vielleicht hast du mehr Glück.«

Ihre Stimme hatte einen verbitterten Unterton. Erica musterte sie prüfend. Sie sah müde aus. Doch da war noch etwas anderes, das Erica nicht richtig einordnen konnte.

»Mal sehen, was ich tun kann.« Eine Hand stützend am Bauch, stieg Erica schnaufend die Treppe hinauf. Mittlerweile kam sie bei der leisesten Anstrengung aus der Puste.

»Hallo.« Zaghaft klopfte sie an die offene Tür. Christian drehte sich um. Der Bildschirm auf dem Schreibtisch war schwarz. »Du hast uns gestern einen Schreck eingejagt.« Sie ließ sich auf den Sessel in der Ecke fallen.

»Bin ein bisschen überarbeitet«, erwiderte Christian. Seine Augen waren von scharfen Linien umgeben, die Hände zitterten. »Außerdem geht mir die Sache mit Magnus an die Nieren.«

»Bist du sicher, dass da nicht noch etwas anderes dahintersteckt?« Ihr Ton war schärfer als beabsichtigt. »Das hier habe ich gestern gefunden.« Sie zog aus der Jackentasche die Karte, die an dem Lilienstrauß geklebt hatte. »Die hast du wohl verloren.«

Christian starrte die Karte an.

»Pack das weg!«

»Was hat das zu bedeuten?« Sie warf dem Mann, den sie allmählich für einen Freund hielt, einen besorgten Blick zu.

Er antwortete nicht. Etwas sanfter wiederholte Erica: »Christian, was bedeutet das? Du hast gestern unheimlich heftig darauf reagiert. Tu nicht so, als wärst du bloß überarbeitet.«

Er schwieg weiterhin. Plötzlich stand Sanna in der Tür und durchbrach die Stille.

»Erzähl ihr von den Briefen.«

Sie blieb auf der Schwelle stehen und wartete, bis ihr Mann etwas sagte. Nach einer ganzen Weile zog Christian seufzend die unterste Schublade auf und warf ein Bündel Briefe auf den Tisch.

»Die bekomme ich schon seit einiger Zeit.«

Erica nahm die Briefe und blätterte sie vorsichtig durch. Schwarze Tinte auf weißem Papier. Ohne Zweifel handelte es sich um die gleiche Handschrift wie auf der Grußkarte, die sie mitgebracht hatte. Auch die Worte kamen ihr bekannt vor. Es waren andere Formulierungen, aber dasselbe Thema. Laut las sie aus dem obersten Brief vor:

»Sie ist an Deiner Seite und begleitet Dich. Du hast kein Recht auf Dein Leben. Das hat sie.«

Erstaunt blickte Erica auf. »Was ist damit gemeint? Verstehst du das?«

»Nein.« Die Antwort kam prompt und entschieden. »Ich habe keine Ahnung. Ich kenne niemanden, der mir Schaden zufügen will. Denke ich zumindest. Ich weiß auch nicht, wer sie ist. Ich hätte die Briefe wegwerfen sollen.« Er wollte sie wieder an sich nehmen, doch Erica machte keine Anstalten, sie herzugeben.

»Du solltest zur Polizei gehen.«

Christian schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin sicher, dass sich da jemand auf meine Kosten amüsiert.«

»Wie ein Scherz hört sich das aber nicht an. Und du scheinst das Ganze auch nicht mehr lustig zu finden.«

»Das habe ich auch gesagt«, meldete sich Sanna zu Wort. »Ich finde das unheimlich, vor allem wenn ich an die Kinder denke. Stell dir vor, das ist ein Verrückter, der …« Sie starrte Christian an. Erica begriff, dass sie diese Diskussion nicht zum ersten Mal führten. Doch er schüttelte starrsinnig den Kopf.

»Ich will keine große Sache daraus machen.«

»Wann ging das los?«

»Als du mit dem Buch angefangen hast.« Sanna erntete einen verärgerten Blick ihres Mannes.

»Ungefähr zu der Zeit«, räumte er ein. »Vor anderthalb Jahren.«

»Könnte da ein Zusammenhang bestehen? Kommt im Buch eine reale Person vor oder ein Ereignis, das tatsächlich stattgefunden hat? Fühlt sich irgendjemand dadurch bedroht?« Erica sah ihn unverwandt an. Christian schien sich äußerst unwohl zu fühlen. Das Gespräch behagte ihm offenbar ganz und gar nicht.

»Nein, es ist ein fiktives Werk.« Er kniff die Lippen zusammen. »Das kann niemand auf sich beziehen. Du hast das Manuskript doch gelesen. Hattest du etwa den Eindruck, es wäre autobiographisch?«

»Das würde ich so nicht sagen.« Erica zuckte die Achseln. »Aber ich weiß selbst, wie leicht man bewusst oder unbewusst die eigene Wirklichkeit in seine Texte einfließen lässt.«

»Ich habe nein gesagt«, schrie Christian. Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf. Erica sah ein, dass es Zeit war zu gehen, und versuchte, aus dem Sessel hochzukommen, doch da die Schwerkraft gegen sie arbeitete, brachte sie trotz enormer Anstrengung nur ein paar Schnaufer zustande. Christian reichte ihr die Hand. Sein verbissener Gesichtsausdruck hellte sich ein klein wenig auf.

»Wahrscheinlich steckt irgendein Idiot dahinter, den mein Buchprojekt auf seltsame Ideen gebracht hat. Mehr nicht«, versuchte er sie zu beruhigen.

Erica bezweifelte das, aber sie konnte ihre Vermutung nicht belegen. Auf dem Weg zum Auto hoffte sie, Christian würde nicht bemerken, dass anstelle von sechs Briefen nur noch fünf in seiner Schublade lagen. Einen hatte sie heimlich eingesteckt. Sie staunte selbst über ihren Mut, aber wenn Christian nicht reden wollte, musste sie eben auf eigene Faust Nachforschungen anstellen. Die Briefe klangen bedrohlich. Möglicherweise war ihr Freund Christian in Gefahr.

»Musstest du einen deiner Kunden abbestellen?« Erik umschloss mit den Lippen Cecilias Brustwarze. Stöhnend streckte sie sich auf dem Bett in ihrer Wohnung aus. Der Friseursalon war unten im Erdgeschoss.

»Das würde dir so passen, dass ich deinetwegen einen Termin absage. Wie kommst du auf die Idee, du könntest so wichtig für mich sein?«

»Gibt es etwas Wichtigeres als das hier?« Er strich mit der Zunge über ihre Brüste. Ungeduldig zog sie ihn auf sich. Sie konnte nicht mehr warten.

Hinterher kuschelte sie sich an ihn. Ihr Haar kitzelte ihn an der Wange.

»Es war merkwürdig gestern, Louise zu treffen. Mit dir zusammen.«

»Hm.« Erik schloss die Augen. Ihm stand überhaupt nicht der Sinn danach, mit der Geliebten über seine Frau und seine Ehe zu sprechen.

»Ich mag Louise.« Cecilia kraulte seine behaarte Brust. »Wenn sie wüsste …«

»Das tut sie aber nicht«, fiel Erik ihr ins Wort und richtete sich halb auf. »Und sie wird auch nie davon erfahren.«

Cecilia sah ihn an. Er wusste, in welche Richtung sich dieses Gespräch entwickelte.

»Früher oder später muss sie es aber erfahren.«

Erik seufzte tief. Immer diese Diskussionen über das, was einmal sein würde. Er schwang die Beine über die Bettkante und begann, sich anzuziehen.

»Gehst du schon?« Dass Cecilia gekränkt aussah, ärgerte ihn noch mehr.

»Ich habe viel zu tun«, erwiderte er kurz angebunden und knöpfte sich das Hemd zu. Noch hatte er den Geruch von Sex in der Nase, aber er duschte trotzdem lieber erst in der Firma. Dort befand sich für solche Fälle immer Wäsche zum Wechseln.

»Du willst also, dass alles so bleibt, wie es ist?« Cecilia lag noch immer im Bett. Erik konnte die Augen nicht von ihrem nackten Körper abwenden. Die kühle Zimmertemperatur hatte ihre großen dunklen Brustwarzen schon wieder steif werden lassen. Nun zeigten sie steil nach oben. Eilig überschlug er, wie viel Zeit sie brauchen würden. So eilig hatte er es nun auch wieder nicht, zurück ins Büro zu kommen. Gegen eine zweite Runde war also nichts einzuwenden. Es würde ihn zwar ein wenig Überredung kosten, aber angesichts der Erregung, die sich bereits in seinem Körper aufgebaut hatte, würde sich der Aufwand lohnen. Er ließ sich auf der Bettkante nieder, senkte Stimme und Blick und streichelte ihr die Wange.

»Cecilia«, begann er und fuhr mit Worten fort, die ihm schon so oft ganz leicht über die Lippen gegangen waren. Sie presste sich an ihn, und er spürte ihre harten Brustwarzen durch den Stoff. Er knöpfte sich das Hemd wieder auf.

Nach einem späten Mittagessen im Restaurant Källaren stellte Patrik den Wagen vor dem niedrigen weißen Gebäude ab, das wahrlich keinen Architekturpreis verdiente, und betrat die Polizeistation Tanum.

»Du hast Besuch.« Annika blickte ihn über den Rand ihrer Brille an.

»Wer ist es?«

»Weiß nicht, aber sie sieht verdammt gut aus. Ein bisschen üppig, aber ich glaube, sie gefällt dir.«

»Von wem sprichst du?« Verwirrt überlegte Patrik, warum sich Annika nun als Kupplerin für glücklich verheiratete Kollegen betätigte.

»Du wirst wohl selbst nachsehen müssen. Sie sitzt in deinem Zimmer«, sagte Annika zwinkernd.

Patrik ging durch den Flur und blieb in der Tür stehen.

»Was machst du denn hier, Liebling?«

Erica saß auf dem Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch und blätterte unkonzentriert in der Zeitschrift Polis.

»Du kommst aber spät«, sagte sie, ohne auf seine Frage einzugehen. »Sehen so die hektischen Tage bei der Polizei aus?«

Patrik schnaubte nur. Er wusste, dass Erica ihn gern neckte.

»Also, wieso bist du hier?«, fragte er noch einmal, während er sich auf seinem Platz niederließ. Er beugte sich vor und betrachtete seine Frau. Wieder wurde ihm bewusst, wie schön sie war. Er erinnerte sich noch daran, wie sie im Zusammenhang mit dem Mord an ihrer Freundin Alexandra Wijkner zum ersten Mal die Dienststelle aufgesucht hatte. Seitdem war sie in seinen Augen noch schöner geworden. Im Alltag vergaß er das manchmal, wenn wieder ein Tag mit Arbeit, Fahrten zum Kindergarten, Einkäufen und einem müden Fernsehabend auf dem Sofa vergangen war. Doch hin und wieder kam ihm mit voller Wucht zu Bewusstsein, dass seine Liebe zu ihr alles andere als alltäglich war. Als sie mit den beiden Babys im Bauch hier vor ihm saß und die Wintersonne, die in sein Zimmer schien, ihre blonden Haare zum Leuchten brachte, war das Gefühl so intensiv, dass er überzeugt war: Diese Augenblicke reichten für ein ganzes Leben.

Patrik hatte Ericas Antwort nicht mitbekommen und musste sie bitten, sie zu wiederholen.

»Ich habe gesagt, dass ich am Vormittag bei Christian war und mich mit ihm unterhalten habe.«

»Wie geht es ihm?«

»Ganz okay, noch ein bisschen wacklig auf den Beinen, aber …« Sie biss sich auf die Lippe.

»Aber was? Ich dachte, er hätte einfach zu viel getrunken, weil er so nervös war.«

»Das scheint nur die halbe Wahrheit zu sein.« Vorsichtig zog Erica eine Klarsichthülle aus der Handtasche und reichte sie Patrik.

»Diese kleine Karte hat er gestern mit einem Blumenstrauß erhalten, und das ist einer von sechs Briefen, die er im Laufe der vergangenen anderthalb Jahre bekommen hat.«

Patrik sah seine Frau eindringlich an, bevor er einen Blick in die Klarsichthülle warf.

»Du solltest sie wohl besser lesen, ohne sie anzufassen. Christian und ich haben bereits Fingerabdrücke darauf hinterlassen. Noch mehr müssen es wirklich nicht sein.«

Wieder erntete sie einen prüfenden Blick, aber er tat, was sie ihm geraten hatte, und las Brief und Karte vorsichtig durch die Folie.

»Wie interpretierst du das?« Erica rutschte aufgeregt nach vorn, musste ihr Gewicht jedoch kurz darauf wieder verlagern, damit der Stuhl nicht umkippte.

»Hört sich an, als würde er von jemand bedroht. Allerdings indirekt.«

»So verstehe ich das auch, und Christian empfindet es eindeutig genauso, auch wenn er versucht, das Ganze kleinzureden. Er wollte mit den Briefen noch nicht mal zur Polizei gehen.«

»Das hier ist also …« Patrik hielt Erica die Tüte unter die Nase.

»Huch, habe ich die versehentlich eingesteckt? Wie ungeschickt von mir.« Sie legte den Kopf schief und machte ein betrübtes Gesicht, aber so leicht ließ ihr Mann sich nicht einwickeln.

»Du hast Christian die hier also gestohlen?«

»Was heißt gestohlen. Ich habe sie mir nur mal kurz ausgeliehen.«

»Und was soll ich deiner Ansicht nach mit diesem … geliehenen Material machen?«, fragte Patrik, obwohl er die Antwort bereits wusste.

»Christian wird offensichtlich bedroht. Er hat Angst. Daran bestand auch bei meinem heutigen Besuch kein Zweifel. Er nimmt die Sache nicht auf die leichte Schulter. Warum er keine Anzeige erstatten will, weiß ich auch nicht, aber du könntest vielleicht ganz diskret nachsehen, ob du auf der Karte und dem Brief irgendeinen nützlichen Hinweis findest.« Erica bettelte ihn geradezu an, und Patrik wusste jetzt schon, dass er nachgeben würde. Manchmal war sie unmöglich. Besonders in dieser Stimmung, das wusste er aus Erfahrung.

»Okay, okay.« Er hob die Hände. »Meinetwegen. Ich werde sehen, ob ich etwas entdecke. Aber andere Dinge haben Vorrang.«

Erica lächelte. »Danke, Liebling.«

»Ab nach Hause. Ruh dich ein bisschen aus.« Patrik konnte es sich nicht verkneifen, sie zu küssen.

Als sie gegangen war, wog er die Klarsichthülle ratlos in der Hand. Sein Gehirn arbeitete langsam und träge, aber in seinem Hinterkopf regte sich etwas. Christian und Magnus waren befreundet. Konnte es …? Er wischte den Gedanken beiseite, doch er meldete sich ständig zurück. Sein Blick fiel auf ein Foto an der Wand. Gab es möglicherweise einen Zusammenhang?

Bertil Mellberg schob den Kinderwagen, in dem wie immer ein zufriedener Leo saß, der hin und wieder strahlend die beiden Zähne in seinem Unterkiefer entblößte. Ernst hatte heute ausnahmsweise in der Dienststelle bleiben müssen. Ansonsten lief er immer brav neben dem Wagen her und passte auf, dass niemand der Person ein Haar krümmte, die nun auch den Mittelpunkt seines Lebens bildete. Für Mellberg war es definitiv so.

Mellberg hätte nie gedacht, dass man für einen anderen Menschen solche Gefühle entwickeln konnte. Seitdem er die Geburt miterlebt hatte, Leo als Erster im Arm gehabt hatte, hielt der sein Herz gefangen. Leos Großmutter hatte ihn zwar auch ganz gut im Griff, aber auf der Liste mit den wichtigsten Leuten in seinem Leben stand der kleine Kerl an erster Stelle.

Widerwillig machte sich Mellberg auf den Rückweg zur Dienststelle. Eigentlich hätte Paula sich mittags um Leo kümmern sollen, während ihre Lebensgefährtin Johanna einige Besorgungen machte, doch Paula war zu einer Frau gerufen worden, deren Exmann ihr die Seele aus dem Leib prügelte, und so hatte sich Mellberg zu einem Spaziergang mit dem Kleinen bereit erklärt. Nun hatte er keine Lust, ihn wieder abzugeben. Mellberg beneidete Paula zutiefst um den Erziehungsurlaub, den sie bald antreten würde. Auch er wäre liebend gern ein bisschen kürzergetreten, um mehr Zeit mit Leo zu verbringen. Eine großartige Idee vielleicht! Sollte er als guter Chef seinen Untergebenen nicht die Möglichkeit bieten, sich weiterzuentwickeln? Außerdem benötigte Leo von Anfang an ein starkes männliches Vorbild. Mit zwei Müttern und keinem Vater weit und breit musste besonders auf das Kindeswohl geachtet werden. Der Junge brauchte jemanden, von dem er sich etwas abschauen konnte. Zum Beispiel so einen Prachtkerl wie ihn.

Er stieß die schwere Eingangstür der Dienststelle mit der Hüfte auf und zog den Wagen hinter sich her. Annika strahlte, als sie das Gespann erblickte. Mellberg platzte fast vor Stolz.

»Haben wir einen schönen Spaziergang gemacht?« Annika stand auf, um Mellberg mit dem Kinderwagen zu helfen.

»Die Mädels brauchten meine Unterstützung.« Behutsam zog Mellberg dem Jungen die Jacke aus. Annika sah ihm amüsiert dabei zu. Es geschahen wirklich noch Zeichen und Wunder.

»Komm, mein Kleiner, wir schauen mal nach, ob Mama da ist«, brummelte Mellberg, während er Leo aus dem Wagen hob.

»Paula ist noch nicht zurück.« Annika setzte sich wieder an ihren Schreibtisch.

»Das ist aber schade, dann musst du noch ein Weilchen mit deinem alten Opa vorliebnehmen.« Fröhlich steuerte Mellberg mit Leo auf dem Arm die Küche an. Bei seinem Einzug vor einigen Monaten bei Rita waren die jungen Frauen auf die Idee gekommen, ihn Opa Bertil zu nennen. Nun nutzte er jede Gelegenheit, das Wort zu gebrauchen, sich daran zu gewöhnen und darüber zu freuen. Opa Bertil.

Ludvig hatte Geburtstag. Cia bemühte sich, so zu feiern wie immer. Dreizehn Jahre. Unglaublich viel Zeit war vergangen, seit sie im Kreißsaal über die geradezu absurde Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn gelacht hatte. Mit den Jahren waren sie sich noch ähnlicher geworden. An ihren schwärzesten Tagen konnte sie Ludvig kaum ansehen. Die braunen Augen mit dem Grünstich und die blonden Haare, die schon zu Beginn des Sommers fast weiß wirkten. Auch Ludvigs Körper und seine Bewegungen glichen denen des Vaters. Er war lang und schlaksig, und wenn er sie umarmte, fühlten sich seine Arme an wie die von Magnus. Sogar ihre Hände sahen gleich aus.