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Das neue Buch der renommierten Physikerin und Autorin (»Das hässliche Universum«) erklärt unterhaltsam und anschaulich, was die moderne Physik über die großen Fragen des Lebens sagen kann
Existiert die Vergangenheit noch oder die Zukunft schon? Wie ist das Universum entstanden? Wie hört es auf? Wieso sind die Naturgesetze so und nicht anders? Kann Information aufhören zu existieren? Warum werden wir nicht jünger? Was sagt die Physik über den freien Willen? Physiker, so meint die Physikerin Sabine Hossenfelder, sind gut darin, schwierige Fragen zu beantworten, aber gar nicht gut darin, zu erklären, warum diese Bedeutung für uns alle haben. In ihrem neuen Buch unternimmt Sabine Hossenfelder genau das: Sie befasst sich mit den großen Fragen, die die moderne Physik aufwirft, und zeigt, was die Forschung zu diesen Fragen über unsere Existenz verrät: Ein so anregendes wie unterhaltsames Buch voller Denkanstöße, das anschaulich in die Welt kleinster Teilchen und überraschender Zusammenhänge einführt. Nominiert von »Bild der Wissenschaft« für das Wissensbuch des Jahres 2023
»Ein kundiger und unterhaltsamer Leitfaden darüber, was die Wissenschaft uns sagen kann und was nicht.« Wall Street Journal
Ihr Wissen teilt Sabine Hossenfelder ebenso auf ihrem (englischsprachigen) YouTube-Kanal und begeistert mit ihren Videos zu aktuellen wissenschaftlichen Themen bereits über 800.000 Abonnenten.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 398
Veröffentlichungsjahr: 2023
Gibt es Kopien von uns? Was die Erkenntnisse der modernen Physik über unser Leben verraten
Existiert die Vergangenheit noch oder die Zukunft schon? Wie ist das Universum entstanden? Wie hört es auf? Wieso sind die Naturgesetze so und nicht anders? Kann Information aufhören zu existieren? Warum werden wir nicht jünger? Was sagt die Physik über den freien Willen? Physiker, so meint die Physikerin Sabine Hossenfelder, sind gut darin, schwierige Fragen zu beantworten, aber gar nicht gut darin, zu erklären, warum diese Bedeutung für uns alle haben. In ihrem neuen Buch unternimmt Sabine Hossenfelder genau das: Sie befasst sich mit den großen Fragen, die die moderne Physik aufwirft, und zeigt, was die Forschung zu diesen Fragen über unsere Existenz verrät: Ein so anregendes wie unterhaltsames Buch voller Denkanstöße, das anschaulich in die Welt kleinster Teilchen und überraschender Zusammenhänge einführt.
Sabine Hossenfelder, geboren 1976, studierte Physik an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, wo sie auch mit Auszeichnung promovierte. Nach Forschungsaufenthalten in den USA, Kanada und Schweden ist sie gegenwärtig Research Fellow am Frankfurt Institute for Advanced Studies. Neben ihren zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen schreibt sie auch regelmäßig für Magazine wie u. a. Bild der Wissenschaft, Scientific American oder New Scientist. Darüber hinaus betreibt sie einen eigenen Kanal auf YouTube mit Videos zu aktuellen Themen der Wissenschaft. Zuletzt erschien von ihr Das hässliche Universum. Warum unsere Suche nach Schönheit die Physik in die Sackgasse führt (2018).
»Sie haben vielleicht nicht erwartet, dass das unterhaltsamste Buch dieses Monats von der Wissenschaft handelt. Hossenfelder, eine gefeierte Physikerin, erklärt nicht nur ihr Thema gut, sondern bringt auch die Leserinnen und Leser dazu, Wissenschaft mit Spiritualität zu verbinden.« Los Angeles Times
»Sabine Hossenfelder ist ein einzigartiges Schreibtalent und eine einzigartige Wissenschaftsvermittlerin. Vielleicht stimmen Sie ihr zu. Vielleicht aber auch nicht. Aber Sie werden aus der Leseerfahrung bereichert hervorgehen und anders über die Welt denken als zuvor.« Lawrence M. Krauss, Autor von Ein Universum aus Nichts
»Ein sachkundiger und unterhaltsamer Leitfaden darüber, was die Wissenschaft uns sagen kann und was nicht.« Wall Street Journal
Besuchen Sie uns auf www.siedler-verlag.de
SABINE HOSSENFELDER
Was die Physik über die Welt und das Leben verrät
Aus dem Englischen von Monika Niehaus und Bernd Schuh
Siedler
Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel Existential Physics: A Scientist’s Guide to Life’s Biggest Questions bei Viking, New York.
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Den Auszug aus »Galaxy Formation Efficiency and the Multiverse Explanation of the Cosmological Constant with EAGLE Simulations« von Luke A. Barnes et al. in den Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 477, Nr. 3 (Januar 2018), drucken wir mit freundlicher Genehmigung von Luke A. Barnes und Oxford University Press.
Sämtliche Abbildungen © Sabine Hossenfelder
Copyright © der Originalausgabe 2022 Sabine Hossenfelder
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2023
Siedler Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Susanne Warmuth
Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München
Coverabbildung: © Shutterstock/Lonvero
Satz: Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-26262-4V003
www.siedler-verlag.de
Für Stefan
Es ist weitaus besser, das Universum so zu begreifen, wie es wirklich ist, als in Täuschungen zu verharren, so befriedigend und beruhigend sie auch sein mögen.[1]
Carl Sagan
VORWORT
EINEWARNUNG
KAPITEL 1
EXISTIERTDIEVERGANGENHEITIMJETZT?
KAPITEL 2
WIEISTDASUNIVERSUMENTSTANDEN? WIEWIRDESENDEN?
ANDERESTIMMEN #1
ISTMATHEMATIKALLES?
KAPITEL 3
WARUMWIRDNIEMALSJEMANDJÜNGER?
KAPITEL 4
SINDWIRNICHTMEHRALSEINHAUFENATOME?
ANDERESTIMMEN #2
ISTWISSENVORHERSAGBAR?
KAPITEL 5
GIBTESKOPIENVONUNS?
KAPITEL 6
HATDIEPHYSIKDENFREIENWILLENUNMÖGLICHGEMACHT?
ANDERESTIMMEN #3
ISTBEWUSSTSEINBERECHENBAR?
KAPITEL 7
WURDEDASUNIVERSUMFÜRUNSGESCHAFFEN?
KAPITEL 8
DENKTDASUNIVERSUM?
ANDERESTIMMEN #4
KÖNNENWIREINUNIVERSUMERSCHAFFEN?
KAPITEL 9
ISTMENSCHLICHESVERHALTENVORHERSAGBAR?
NACHWORT
WASISTEIGENTLICHDERSINNVONALLEM?
DANK
WICHTIGEFACHBEGRIFFE
ANMERKUNGEN
Darf ich Sie etwas fragen?«, erkundigte sich ein junger Mann, nachdem er erfahren hatte, dass ich Physikerin bin. »Es geht um Quantenmechanik«, fügte er schüchtern hinzu. Ich war durchaus bereit, über das Grundpostulat der Quantenmechanik zu debattieren und die Fallstricke der Quantenverschränkung zu diskutieren, aber auf das, was folgte, war ich nicht vorbereitet: »Ein Schamane hat mir gesagt, dass meine Großmutter noch lebt. Wegen der Quantenmechanik. Sie lebt nur nicht hier und jetzt. Stimmt das?«
Wie Sie sehen, denke ich noch immer darüber nach. Die kurze Antwort lautet: Die Aussage ist nicht völlig falsch. Die lange Antwort folgt in Kapitel 1, aber bevor ich zur Quantenmechanik verstorbener Großmütter komme, möchte ich Ihnen erklären, warum ich dieses Buch schreibe.
In mehr als einem Jahrzehnt Öffentlichkeitsarbeit habe ich festgestellt, dass Physiker sehr gut darin sind, Fragen zu beantworten, aber nicht wirklich gut erklären können, warum sich irgendjemand um ihre Antworten scheren sollte. In manchen Forschungsgebieten offenbart sich der Zweck einer Untersuchung schließlich in einem vermarktbaren Produkt von selbst. In der Grundlagenphysik – die den Schwerpunkt meiner Forschung bildet – ist das Hauptprodukt Wissen. Und nur allzu oft präsentieren meine Kollegen und ich dieses Wissen auf so abstrakte Weise, dass niemand versteht, warum wir uns überhaupt die Mühe gemacht haben, danach zu suchen.
Nicht, dass dies allein ein Problem der Physik wäre. Die Trennung zwischen Experten und Nichtexperten ist so weit verbreitet, dass der Soziologe Steve Fuller behauptet, Akademikerinnen und Akademiker bedienten sich bewusst einer unverständlichen Terminologie, um Einsichten möglichst knapp zu halten und sie dadurch wertvoller zu machen. Wie der amerikanische Journalist und Pulitzer-Preisträger Nicholas Kristof klagte, verschlüsseln Akademiker »Erkenntnisse in schwülstiger Prosa«, und »als doppelter Schutz gegen öffentlichen Konsum wird dieses Fachchinesisch dann manchmal auch noch in obskuren Zeitschriften versteckt«.[2]
Typisches Beispiel: Normale Menschen interessieren sich nicht besonders dafür, ob die Quantenmechanik vorhersagbar ist, sie wollen wissen, ob ihr eigenes Verhalten vorhersagbar ist. Es kümmert sie nicht besonders, ob Schwarze Löcher Information zerstören, sie wollen wissen, was mit der gesammelten Information der menschlichen Zivilisation geschieht. Es interessiert sie nicht besonders, ob galaktische Filamente neuronalen Netzwerken ähneln; sie wollen wissen, ob das Universum denken kann. Normale Menschen sind eben normale Menschen. Wer hätte das gedacht?
Natürlich will ich all diese Dinge ebenfalls wissen. Aber irgendwo auf meinem Weg durch die akademischen Institutionen habe ich gelernt, solche Fragen zu vermeiden, geschweige denn, sie zu beantworten. Schließlich bin ich nur eine Physikerin. Ich besitze nicht die Kompetenz, um über Bewusstsein und menschliches Verhalten oder Ähnliches zu sprechen.
Dennoch machte mir die Frage des jungen Mannes klar, dass die Physik tatsächlich einige Dinge weiß, wenn auch nicht über das Bewusstsein selbst, dann doch über die physikalischen Gesetze, die alles im Universum – einschließlich Ihnen und mir und Ihrer Großmutter – einhalten muss. Nicht alle Vorstellungen über Leben und Tod und den Ursprung der menschlichen Existenz sind mit den Grundlagen der Physik vereinbar. Das ist Wissen, das wir nicht unter einem Schwall unverständlicher Prosa in obskuren Fachzeitschriften verstecken sollten.
Nicht nur, dass dieses Wissen es wert ist, geteilt zu werden – es für uns zu behalten, hat Konsequenzen. Wenn Physiker nicht vortreten und erklären, was die Physik über das menschliche Leben zu sagen hat, werden andere die Gelegenheit ergreifen und unsere kryptische Terminologie zur Förderung von Pseudowissenschaften missbrauchen. Es ist kein Zufall, dass Quantenverschränkung und Vakuumenergie wohlfeile Erklärungen alternativer Heiler, Spiritistinnen und Quacksalber sind. Wenn Sie keinen Doktortitel in Physik haben, ist es schwierig, unser Fachchinesisch von dem anderer zu unterscheiden.
Doch ich habe hier mehr vor, als Pseudowissenschaften als das zu entlarven, was sie sind. Ich möchte auch vermitteln, dass einige spirituelle Ideen völlig kompatibel mit der modernen Physik sind und andere sogar von ihr gestützt werden. Und warum auch nicht? Dass die Physik etwas zu unserer Verbindung mit dem Universum zu sagen hat, sollte uns nicht überraschen. Wissenschaft und Religion haben dieselben Wurzeln, und auch heute noch beschäftigen sie sich mit einigen der gleichen Fragen: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wie viel Wissen können wir erwerben?
Was diese Fragen betrifft, so haben Physiker im letzten Jahrhundert eine Menge gelernt. Ihr Fortschritt macht deutlich, dass die Grenzen der Naturwissenschaften nicht festliegen; sie verschieben sich, während wir mehr über die Welt herausfinden. Im Gegenzug wissen wir inzwischen, dass einige auf Glauben beruhende Erklärungen, die uns einst halfen, unserer Existenz einen Sinn zu verleihen und uns Trost zu spenden, einfach falsch waren. Die Vorstellung, beispielsweise, dass gewisse Objekte lebendig sind, weil sie mit einer speziellen Substanz (Henri Bergsons »Élan vital«) ausgestattet sind, war vor zweihundert Jahren durchaus mit dem Stand des Wissens vereinbar. Heute ist sie es nicht mehr.
In der heutigen Grundlagenphysik beschäftigen wir uns mit den Naturgesetzen, die auf der fundamentalsten Ebene operieren. Auch hier ersetzen die Erkenntnisse, die wir in den letzten hundert Jahren gewonnen haben, alte, auf Glauben beruhende Erklärungen. Eine dieser alten Erklärungen ist die Vorstellung, dass Bewusstsein mehr erfordert als die Wechselwirkung vieler Teilchen, nämlich letztlich eine Art magischen Feenstaub, der gewisse Objekte mit speziellen Eigenschaften ausstattet. Wie der Élan vital ist dies eine überholte und wenig hilfreiche Vorstellung, die nichts erklärt. Ich werde darauf in Kapitel 4 zurückkommen, und in Kapitel 6 werde ich die Konsequenzen diskutieren, die dies für den freien Willen hat. Eine weitere Vorstellung der Kategorie »Reif für die Mottenkiste« ist die Überzeugung, dass unser Universum für das Hervorbringen von Leben besonders geeignet sei; das ist der Schwerpunkt von Kapitel 7.
Die gegenwärtigen Grenzen der Naturwissenschaften aufzuzeigen, zerstört jedoch nicht nur Illusionen, sondern hilft uns auch zu erkennen, welche Überzeugungen noch mit wissenschaftlichen Fakten in Einklang stehen.
Solche Überzeugungen sollten vielleicht nicht als unwissenschaftlich, sondern als außerwissenschaftlich bezeichnet werden, wie Tim Palmer (dem wir später noch begegnen werden) so treffend bemerkt: Die Wissenschaft sagt nichts über sie. Eine solche Überzeugung betrifft den Ursprung unseres Universums. Diesen Ursprung können wir gegenwärtig nicht erklären, und es ist fraglich, ob wir ihn jemals werden erklären können. Möglicherweise stoßen die Naturwissenschaften in dieser Hinsicht an eine fundamentale Grenze. Zumindest ist das meine gegenwärtige Überzeugung. Die Vorstellung, dass das Universum selbst über Bewusstsein verfügt, lässt sich, wie ich zu meinem eigenen Erstaunen festgestellt habe, nur schwer völlig ausschließen (Kapitel 8). Und über die Frage, ob menschliches Verhalten vorhersagbar ist oder nicht, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen (Kapitel 9).
Kurz gesagt, ist dies ein Buch über die großen Fragen, die die moderne Physik aufwirft, von der Frage, ob sich der gegenwärtige Moment von der Vergangenheit unterscheidet, über die Vorstellung, dass jedes Elementarteilchen möglicherweise ein ganzes Universum enthält, bis zu der Sorge, dass die Naturgesetze unsere Entscheidungen festlegen. Natürlich kann ich keine endgültigen Antworten geben. Ich möchte Ihnen jedoch sagen, wie viel Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler gegenwärtig wissen, und auch deutlich machen, wo Wissenschaft in reine Spekulation übergeht.
Größtenteils werde ich mich an die etablierten naturwissenschaftlichen Theorien halten, die von Beobachtungen und Experimenten gestützt werden. Alles, was ich im Folgenden sagen werde, steht daher unter dem Vorbehalt »soweit wir heute wissen«, das heißt, zukünftige wissenschaftliche Fortschritte könnten zu einer Korrektur führen. In einigen Fällen hängt die Antwort auf eine Frage von Eigenschaften der Naturgesetze ab, die wir noch nicht völlig verstehen, wie dem quantenmechanischen Messprozess oder der Natur von Raumzeit-Singularitäten. In diesem Fall werde ich aufzeigen, wie die zukünftige Forschung zur Beantwortung der Frage beitragen könnte. Und weil ich nicht möchte, dass Sie nur meine Meinung hören, habe ich ein paar Interviews eingefügt. Zudem finden Sie am Ende des Buches ein kurzes Verzeichnis mit Definitionen der wichtigsten Fachbegriffe. Begriffe, die dort erklärt werden, sind bei der ersten Erwähnung im Text fett gedruckt.
Mehr als nur Atome ist für die Menschen gedacht, die auch heute noch die großen Fragen stellen und die keine Angst vor den Antworten haben.
Ich möchte, dass Sie wissen, worauf Sie sich einlassen, also lassen Sie mich meine Karten offenlegen. Ich bin sowohl Agnostikerin als auch Heidin. Ich war niemals Teil einer organisierten Religion und habe auch niemals den Wunsch dazu verspürt. Dennoch bin ich keine Gegnerin religiöser Überzeugungen. Die Naturwissenschaften haben ihre Grenzen, und die Menschheit hat schon immer nach einem Sinn jenseits dieser Grenzen gesucht. Einige tun dies, indem sie heilige Schriften studieren, andere meditieren, wieder andere beschäftigen sich mit Philosophie, und noch andere rauchen seltsame Sachen. Das ist für mich alles in Ordnung, wirklich. Vorausgesetzt – und das ist der entscheidende Punkt –, Ihre Sinnsuche respektiert wissenschaftliche Fakten.
Wenn Ihre Überzeugungen mit empirisch belegtem Wissen im Widerstreit stehen, dann suchen Sie nicht nach Sinn, sondern wiegen sich in einem Wahn. Vielleicht möchten Sie lieber an Ihrem Wahn festhalten. Das kann ich durchaus verstehen, glauben Sie mir – aber dann ist dieses Buch nichts für Sie. In den kommenden Kapiteln werden wir über freien Willen, das Leben nach dem Tod und die ultimative Suche nach Sinn sprechen. Das wird nicht immer einfach sein. Ich selbst habe mit einigen der Konsequenzen, die sich aus nachweislich gut belegten Naturgesetzen ergeben, zu kämpfen gehabt, und ich vermute, dass es einigen von Ihnen ebenso ergehen wird.
Vielleicht denken Sie, ich übertreibe jetzt, um trockene Physik aufregender klingen zu lassen. Na klar, wir alle wissen, dass ich diesem Buch gute Verkaufszahlen wünsche, also warum etwas anderes vorgeben? Der Hauptgrund für diese Warnung ist jedoch, dass ich mich wirklich sorge, dieses Buch könnte die geistige Gesundheit mancher Leser negativ beeinflussen. Gelegentlich schreibt mir jemand, er sei auf einen meiner Aufsätze gestoßen und wisse nun nicht mehr, wie es in seinem Leben weitergehen solle. Diese Menschen scheinen wirklich verstört. Welchen Sinn hat das Leben ohne freien Willen? Was bedeutet die menschliche Existenz, wenn es sich nur um einen zufälligen Glückstreffer handelt? Wie soll man nicht verrückt werden, wenn man weiß, dass das Universum jeden Moment erlöschen kann?
Einige wissenschaftliche Fakten sind tatsächlich schwer zu verdauen, und, schlimmer noch, es gibt keinen Psychologen, der da weiterhelfen könnte. Ich weiß es, weil ich es versucht habe. Aber halten Sie durch. Wenn man es durchdenkt, gibt uns die Wissenschaft mehr, als sie nimmt. Am Ende, so hoffe ich jedenfalls, werden Sie Trost in dem Wissen finden, dass Sie Ihr rationales Denken nicht ausschalten müssen, um Hoffnung, Überzeugung und Glauben Raum zu geben.
Zeit ist Geld. Und sie wird knapp. Es sei denn, sie ist auf Ihrer Seite. Die Zeit fliegt. Die Zeit ist um. Wir reden die ganze Zeit … über Zeit. Und dennoch bleibt die Zeit eine der am schwierigsten zu fassenden Eigenschaften der Natur.
Es half nicht, dass Albert Einstein die Zeit zu etwas Persönlichem machte. Vor Einstein verging jedermanns Zeit gleich schnell. Wir in der Nach-Einstein-Ära wissen hingegen, dass der Ablauf der Zeit davon abhängt, wie sehr wir uns bewegen. Und während der Zahlenwert, den wir jedem Moment zuordnen – beispielsweise 14:14 Uhr –, eine Frage der Konvention und der Messgenauigkeit ist, glaubten wir vor Einstein, Ihr Jetzt sei dasselbe wie mein Jetzt; es war ein universelles Jetzt, das kosmische Ticken einer unsichtbaren Uhr, das den gegenwärtigen Moment als etwas Spezielles kennzeichnete. Seit Einstein ist jetzt nicht mehr als ein bequemer Begriff, den wir benutzen, um unsere Erfahrung zu beschreiben. Der gegenwärtige Moment ist nicht länger von grundlegender Bedeutung, denn wie Einstein gezeigt hat, sind Vergangenheit und Zukunft genauso real wie die Gegenwart.
Das entspricht nicht meiner Erfahrung und der Ihren wahrscheinlich auch nicht. Die menschliche Erfahrung ist jedoch keine gute Richtschnur, wenn es um die fundamentalen Gesetze der Natur geht. Unsere Zeitwahrnehmung wird von zirkadianen Rhythmen und der Fähigkeit unseres Gehirns bestimmt, Erinnerungen zu speichern und wieder abzurufen. Diese Fähigkeit ist zweifellos für viele Dinge nützlich, doch um die Physik der Zeit von der Zeitwahrnehmung zu trennen, ist es besser, sich einfache Systeme wie schwingende Pendel, auf ihrer Umlaufbahn kreisende Planeten oder das Licht anzuschauen, das uns von fernen Sternen erreicht. Aus der Beobachtung solch simpler Systeme können wir die Natur der Zeit zuverlässig ableiten, ohne in der oft ungenauen Deutung stecken zu bleiben, mit der unsere Sinne die Physik ausschmücken.
Hundert Jahre Beobachtung haben bestätigt, dass Zeit die Eigenschaften aufweist, die Einstein zu Beginn des 20. Jahrhunderts vermutete. Einstein zufolge ist Zeit eine Dimension und bildet gemeinsam mit den drei Dimensionen des Raumes eine Einheit: die Raumzeit. Die Idee, Raum und Zeit zu einer Raumzeit zusammenzufügen, geht auf den Mathematiker Hermann Minkowski zurück, doch Einstein war es, der die vollen physikalischen Konsequenzen erkannte und in seiner Speziellen Relativitätstheorie zusammenfasste.
Der Begriff Relativität in der Speziellen Relativitätstheorie meint, dass es kein absolutes Ruhesystem gibt; man kann nur relativ zu etwas stillstehen. Beispielsweise befinden Sie sich wahrscheinlich gerade relativ zu diesem Buch in Ruhe; es bewegt sich weder von Ihnen weg noch auf Sie zu. Wenn Sie es jedoch in die Ecke werfen, gibt es zwei Möglichkeiten, die Situation zu beschreiben: Das Buch bewegt sich mit einer gewissen Geschwindigkeit relativ zu Ihnen und dem Rest des Planeten Erde, oder Sie und der Rest der Erde bewegen sich relativ zum Buch. Einstein zufolge sind das zwei äquivalente Möglichkeiten, die Physik zu beschrieben, die zu derselben Vorhersage führen sollten – dafür steht der Begriff Relativität. Das speziell bedeutet lediglich, dass die Theorie die Gravitation nicht einschließt. Die Gravitation kam erst später hinzu, in EinsteinsAllgemeinerRelativitätstheorie.
Die Idee, dass wir in der Lage sein sollten, physikalische Phänomene auf dieselbe Weise zu beschreiben, ganz gleich, wie wir uns in Einsteins vierdimensionaler Raumzeit bewegen, erscheint ziemlich unverfänglich, doch sie hat unser Konzept von Zeit völlig verändert.
* * *
In unserem gewöhnlichen dreidimensionalen Raum können wir mithilfe von drei Zahlen jedem Ort Koordinaten zuordnen. Wir könnten zum Beispiel die Entfernung zu Ihrer Wohnungstür in Richtung Ost-West, Nord-Süd und oben-unten benutzen. Falls Zeit eine Dimension ist, fügen wir lediglich eine vierte Koordinate hinzu, sagen wir, die Zeit, die seit 7:00 Uhr an Ihrer Eingangstür vergangen ist. Die vollständigen Koordinaten nennen wir dann ein Ereignis. Zum Beispiel: Das Raumzeitereignis bei 3 Meter östlich, 12 Meter nördlich, 3 Meter nach oben und 10 Stunden wäre dann Ihr Balkon um 17:00 Uhr.
Diese Koordinatenwahl ist willkürlich. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, die Raumzeit mit Koordinaten zu versehen, und nach Einsteins Ansicht sollten die Bezeichnungen keine Rolle spielen. Die Zeit, die tatsächlich für ein Objekt vergeht, kann nicht von den gewählten Koordinaten abhängen. Und er zeigte, dass diese invariante, interne Zeit – die Eigenzeit, wie Physiker sie nennen – der Länge einer Kurve in der Raumzeit entspricht.
Stellen Sie sich vor, Sie reisen mit dem Auto von Los Angeles nach Toronto. Was für Sie zählt, ist nicht die kürzeste Entfernung (Luftlinie) zwischen diesen beiden Punkten, rund 3500 Kilometer, sondern die Entfernung längs Autobahnen und Landstraßen, die eher 4000 Kilometer beträgt. Wichtig ist die Länge der Reise, nicht die Entfernung zwischen den Koordinaten. Es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied, denn in der Raumzeit gilt: Je länger die Kurve zwischen zwei Ereignissen, desto weniger Zeit vergeht auf ihr.
Wie verlängert man eine Kurve zwischen zwei Raumzeit-Ereignissen? Indem man seine Geschwindigkeit verändert. Je stärker Sie beschleunigen, desto langsamer vergeht Ihre Eigenzeit. Diesen Effekt nennt man Zeitdehnung oder Zeitdilatation. Und ja, das bedeutet tatsächlich, dass man langsamer altert, wenn man immer im Kreis läuft.[3] Doch dieser Effekt ist winzig, und ich kann das Verfahren nicht als Anti-Aging-Strategie empfehlen. Nebenbei gesagt, ist das auch der Grund, warum die Zeit in der Nähe eines Schwarzen Lochs langsamer vergeht als in weiterer Entfernung davon. Das ist so, weil ein starkes Gravitationsfeld in Einklang mit Einsteins Äquivalenzprinzip denselben Effekt hat wie eine hohe Beschleunigung.
Was bedeutet das? Stellen Sie sich vor, ich hätte zwei identische Uhren und gäbe Ihnen eine davon; dann gingen Sie Ihrer Wege und ich meiner. In der Prä-Einstein-Ära hätten wir angenommen, dass unsere Uhren, wann immer wir uns träfen, genau dieselbe Zeit anzeigen würden – das wäre der Fall, wenn Zeit ein universeller Parameter wäre. Aber seit Einstein wissen wir, dass das nicht stimmt. Wie viel Zeit auf Ihrer Uhr vergeht, hängt davon ab, wie viel und wie schnell Sie sich bewegen.
Woher wissen wir, dass das tatsächlich so ist? Nun, wir können es messen. Es würde uns zu weit vom Thema wegführen, im Detail zu erklären, welche Beobachtungen Einsteins Theorien bestätigt haben, doch ich werde Ihnen in den Anmerkungen Hinweise auf weiterführende Literatur geben.[4] Damit wir weiterkommen, lassen Sie mich lediglich zusammenfassend sagen: Die Hypothese, dass das Vergehen der Zeit davon abhängt, wie man sich bewegt, wird von einer Fülle solider Beweise gestützt.
Ich habe zur Illustration von Uhren gesprochen, doch die Tatsache, dass Beschleunigung die Zeit verlangsamt, hat nichts speziell mit den Geräten zu tun, die wir Uhren nennen; sie gilt für jedes beliebige Objekt. Ob es sich um Verbrennungszyklen, nuklearen Zerfall, das Rinnen von Sand in einem Stundenglas oder Herzschläge handelt, jeder Prozess hat seinen eigenen Zeitverlauf. Die Unterschiede zwischen individuellen Zeiten sind jedoch in der Regel winzig, darum bemerken wir sie im Alltag auch nicht. Sie werden aber deutlich, wenn wir die Zeit sehr präzise messen, wie beispielsweise in Satelliten, die Teil des Globalen Positionsbestimmungssystems (GPS) sind.
Das GPS, das Ihr Smartphone höchstwahrscheinlich als Navigationssystem benutzt, erlaubt einem Empfänger – wie Ihrem Handy –, seine Position mithilfe von Signalen mehrerer Satelliten zu berechnen, die die Erde umkreisen. Da Zeit nicht universell ist, vergeht sie auf diesen Satelliten ein klein wenig anders als auf der Erde; das liegt an der Bewegung der Satelliten relativ zur Erdoberfläche und an dem schwächeren Gravitationsfeld, dem die Satelliten auf ihrer Umlaufbahn ausgesetzt sind. Die Software Ihres Handys muss dies berücksichtigen, um dessen Position korrekt zu bestimmen, denn das etwas andere Vergehen der Zeit auf den Satelliten verzerrt die Signale um einen winzigen Betrag. Der Effekt ist wirklich klein, aber keine philosophische Haarspalterei; er ist physikalisch real.
* * *
Dass die Zeit nicht überall gleich schnell vergeht, ist schon an sich ziemlich verblüffend, aber es kommt noch besser. Da die Lichtgeschwindigkeit sehr hoch, aber endlich ist, braucht das Licht Zeit, um uns zu erreichen; das heißt, wir sehen die Dinge streng genommen so, wie sie etwas früher aussahen. Aber auch das nehmen wir im Alltag normalerweise nicht wahr. Licht bewegt sich so schnell, dass dies für die kurzen Distanzen auf der Erde keine Rolle spielt. Wenn man zum Beispiel zum Himmel blickt und sich die Wolken anschaut, sieht man die Wolken tatsächlich so, wie sie eine Millionstel Sekunde zuvor aussahen. Das macht keinen großen Unterschied, oder? Wir sehen die Sonne so, wie sie vor acht Minuten aussah, doch da sich die Sonne innerhalb weniger Minuten normalerweise nicht stark verändert, spielt es keine Rolle, wie lange das Licht bis zu uns braucht. Wenn man zum Polarstern aufschaut, sieht man ihn so, wie er vor 434 Jahren aussah. Nun gut, sagen Sie vielleicht, was soll’s?
Es ist verlockend, diese Verzögerung zwischen dem Moment, an dem etwas passiert, und unserer Beobachtung unserer beschränkten Wahrnehmung zuzuschreiben, doch diese Verzögerung hat weitreichende Konsequenzen. Erneut geht es darum, dass das Vergehen der Zeit nicht universell ist. Wenn man fragt, was »zur selben Zeit« anderswo geschah – beispielsweise, was genau Sie taten, als die Sonne das Licht emittierte, das Sie jetzt sehen –, dann lässt sich diese Frage nicht sinnvoll beantworten.
Dieses Problem ist als die Relativität der Gleichzeitigkeit bekannt und wurde von Einstein selbst gut veranschaulicht. Um zu sehen, wie diese Relativität zustande kommt, ist es hilfreich, ein paar Zeichnungen der Raumzeit anzufertigen. Es ist schwierig, vier Dimensionen zu zeichnen, daher werden Sie mir hoffentlich verzeihen, wenn ich nur eine Dimension für den Raum und eine Dimension für die Zeit verwende. Ein Objekt, das sich relativ zum gewählten Koordinatensystem nicht bewegt, wird in diesem Diagramm als senkrechte gerade Linie beschrieben (Abbildung 1). Diese Koordinaten werden auch als Ruhesystem des Objekts bezeichnet. Ein Objekt, das sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, folgt einer Geraden mit einem bestimmten Neigungswinkel. Herkömmlicherweise benutzen Physiker einen 45-Grad-Winkel für die Lichtgeschwindigkeit. Die Lichtgeschwindigkeit ist für alle Beobachter und Beobachterinnen gleich, und da sie nicht überschritten werden kann, müssen sich physikalische Objekte auf Geraden bewegen, deren Neigungswinkel kleiner ist als 45 Grad.
Wie Raumzeit-Diagramme funktionieren.
Einstein argumentierte nun folgendermaßen: Nehmen wir an, Sie wollen mithilfe von Laserstrahlen, die von Spiegeln zurückgeworfen werden, welche sich relativ zu Ihnen in Ruhe befinden, eine Vorstellung von Gleichzeitigkeit herstellen.* Sie senden einen Puls nach rechts und einen Puls nach links und verlagern Ihre Position zwischen den Spiegeln so lange, bis die Pulse im selben Moment zurückkehren (siehe Abbildung 2a). Dann wissen Sie, dass Sie sich genau in der Mitte befinden und die Laserstrahlen beide Spiegel zur gleichen Zeit (simultan) getroffen haben.
Sobald Sie das getan haben, wissen Sie, zu welchem Zeitpunkt in Ihrer eigenen Zeit der Laserpuls beide Spiegel treffen wird, selbst wenn Sie es nicht sehen können, weil das Licht dieser Ereignisse Sie noch nicht erreicht hat. Sie könnten auf Ihre Uhr schauen und sagen »Jetzt!«. Auf diese Weise haben Sie eine Vorstellung von Gleichzeitigkeit konstruiert, die im Prinzip das ganze Universum umfassen könnte. In der Praxis bringen Sie vielleicht nicht die Geduld auf, zehn Milliarden Jahre auf die Rückkehr des Laserpulses zu warten, aber das ist halt Theoretische Physik!
Abbildung 2: Raumzeit-Diagramm zur Konstruktion simultaner Ereignisse. Oben links (a): Sie in Ihrem Ruhesystem mit Koordinaten für Raum und Zeit. Oben rechts (b): Sue in Ihrem Ruhesystem. Unten links (c): Sue in ihrem Ruhesystem mit den Koordinaten Raum’ und Zeit’. Unten rechts (d): Sie in Sues Ruhesystem.
Nun stellen Sie sich vor, Ihre Freundin Sue bewegt sich relativ zu Ihnen und versucht, das Gleiche zu tun (Abbildung 2b). Nehmen wir an, sie bewegt sich von links nach rechts. Sue benutzt ebenfalls zwei Spiegel, einen rechts und einen links von ihr, und die Spiegel bewegen sich in derselben Geschwindigkeit mit ihr – also sind die Spiegel relativ zu Sue in Ruhe, wie es auch für Ihre Spiegel relativ zu Ihnen gilt. Wie Sie sendet Sue Laserpulse in beide Richtungen und positioniert sich so, dass die Pulse von beiden Seiten gleichzeitig zu ihr zurückkehren. Wie Sie weiß Sue dann, dass die Pulse die beiden Spiegel im selben Moment treffen, und kann berechnen, welchem Zeitpunkt dies auf ihrer eigenen Uhr entspricht.
Das Problem ist, dass Sue ein anderes Ergebnis erhält als Sie. Zwei Ereignisse, die aus Sues Sicht gleichzeitig geschehen, erscheinen aus Ihrer Sicht nicht gleichzeitig. Aus Ihrer Perspektive bewegt sich Sue auf einen der Spiegel zu und entfernt sich von dem anderen. Ihnen erscheint es so, als brauche der Puls weniger Zeit, um den Spiegel links von ihr zu erreichen, als der andere Puls braucht, um den Spiegel rechts von ihr zu erreichen. Sue merkt das allerdings nicht, weil auf dem Rückweg der Pulse von den Spiegeln das Umgekehrte geschieht: Der Puls vom Spiegel zu Sues Rechten braucht länger, um sie zu erreichen, während der Puls vom Spiegel zu ihrer Linken schneller eintrifft.
Sie würden behaupten, Sue begehe einen Fehler, doch aus Sues Sicht sind Sie es, der einen Fehler macht, denn aus ihrer Sicht sind Sie derjenige, der sich bewegt. Sie ist der Ansicht, dass Ihre Laserpulse Ihre Spiegel nicht zur gleichen Zeit treffen (Abbildungen 2c und 2d).
Wer hat Recht? Keiner von beiden. Dieses Beispiel zeigt: In der Speziellen Relativitätstheorie ist die Aussage, dass sich zwei Ereignisse gleichzeitig ereignet haben, bedeutungslos.
Es sei betont, dass diese Argumentation nur deshalb funktioniert, weil Licht kein Medium benötigt, durch das es sich fortpflanzt, und die Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum) für alle Beobachter gleich ist. Sie funktioniert zum Beispiel nicht mit Schallwellen (oder irgendeinem anderen Signal, bei dem es sich nicht um Licht im Vakuum handelt), denn dann ist die Signalgeschwindigkeit nicht für alle Beobachter identisch, sondern hängt vom Medium ab, durch das sich das Signal bewegt. In diesem Fall hätte einer von Ihnen objektiv Recht, und der andere läge falsch. Dass Ihre Vorstellung von Jetzt von meiner verschieden sein könnte, ist eine Erkenntnis, die wir Albert Einstein verdanken.
* * *
Wir habe gerade festgestellt, dass zwei Beobachter, die sich relativ zueinander bewegen, uneins sind, wenn es darum geht, ob zwei Ereignisse gleichzeitig stattfinden. Das ist nicht nur ziemlich seltsam, sondern untergräbt auch unsere intuitive Vorstellung von Wirklichkeit.
Um das zu erkennen, stellen Sie sich vor, Sie hätten zwei Ereignisse, die nicht in kausalem Kontakt zueinander stehen, das heißt, es ist selbst mit Lichtgeschwindigkeit unmöglich, ein Signal vom einen zum anderen zu senden. Im Diagramm bedeutet »nicht in kausalem Kontakt« lediglich Folgendes: Wenn man eine gerade Linie durch die beiden Ereignisse legt, dann beträgt der Winkel zwischen der Geraden und der Waagerechten weniger als 45 Grad. Aber schauen Sie sich Abbildung 2b nochmals an. Für zwei Ereignisse, die nicht in kausalem Kontakt stehen, kann man sich stets einen Beobachter vorstellen, für den alles auf dieser Gerade simultan geschieht. Man muss lediglich die Geschwindigkeit des Beobachters so wählen, dass die Rückkehrpunkte der Laserpulse auf der Geraden liegen. Wenn aber zwei beliebige Ereignisse, die nicht kausal verbunden sind, für irgendjemanden gleichzeitig geschehen, dann ist jedes Ereignis für irgendjemanden »jetzt«.
Um den letzten Schritt zu illustrieren, nehmen wir an, dass es sich bei dem einen Ereignis um Ihre Geburt und bei dem anderen um die Explosion einer Supernova handelt (siehe Abbildung 3). Die Explosion ist kausal von Ihrer Geburt getrennt, was bedeutet, dass ihr Licht zum Zeitpunkt Ihrer Geburt die Erde noch nicht erreicht hat. Dann können Sie sich vorstellen, dass Ihre Freundin Sue, die Raumfahrerin, diese Ereignisse zur gleichen Zeit sieht; aus ihrer Sicht geschehen sie daher gleichzeitig.
Abbildung 3: Zwei kausal nicht verknüpfte Ereignisse erscheinen manchen Beobachtern gleichzeitig. Falls alle Erfahrungen der Beobachter gleich wahr sind, existieren alle Ereignisse auf dieselbe Weise, ganz unabhängig davon, wann und wo sie stattfinden.
Nehmen wir weiter an, dass das Licht der Supernova zum Zeitpunkt Ihres Todes die Erde noch immer nicht erreicht hat. Dann könnte Ihr Freund Paul eine Möglichkeit finden, in die Mitte zwischen Sie und die Supernova zu reisen, sodass er Ihren Tod und die Supernova zur selben Zeit beobachten könnte. Beide ereigneten sich aus Pauls Perspektive gleichzeitig. Ich schwöre, dass sich das Einführen imaginärer Freunde auf Raumschiffen damit erledigt hat!
Nun können wir alles, was wir gelernt haben, zusammenfügen. Ich denke, die meisten von Ihnen würden sagen, dass Wolken jetzt existieren, auch wenn wir sie nur so sehen können, wie sie vor einem Sekundenbruchteil aussahen. In diesem Fall benutzen wir unseren eigenen, persönlichen Begriff von Gleichzeitigkeit, der davon abhängt, wie wir uns durch die Raumzeit bewegen – das heißt, in der Regel mit einer Geschwindigkeit weit unterhalb der Lichtgeschwindigkeit und auf der Oberfläche unseres Planeten. Daher meinen wir alle mit »jetzt« ziemlich genau das Gleiche, und es gibt normalerweise keinerlei Verwirrung.
Für Beobachter, die sich anderswo und potenziell mit annähernd Lichtgeschwindigkeit bewegen – wie Sue und Paul –, sind alle Vorstellungen von »jetzt« jedoch gleichberechtigt und umspannen im Prinzip das ganze Universum. Und weil es einen Beobachter geben könnte, aus dessen Sicht Ihre Geburt und die Supernova-Explosion gleichzeitig stattfinden, existiert die Supernova zum Zeitpunkt Ihrer Geburt, entsprechend Ihrer eigenen Vorstellung von Existenz. Und da es einen weiteren Beobachter geben könnte, aus dessen Sicht die Explosion zur gleichen Zeit wie Ihr Tod stattfand, existiert Ihr Tod bereits bei Ihrer Geburt.
Man kann diese Argumentation für zwei beliebige Ereignisse irgendwo und jederzeit im Universum fortführen und kommt zur selben Schlussfolgerung: Die Physik von Einsteins Spezieller Relativitätstheorie erlaubt uns nicht, Existenz auf einen bloßen Moment zu beschränken, den wir »jetzt« nennen. Sobald man der Vorstellung zustimmt, dass irgendetwas jetzt anderswo existiert, auch wenn man es erst später sieht, ist man gezwungen zu akzeptieren, dass alles im Universum jetzt existiert.[5]
Diese verblüffende Konsequenz der Speziellen Relativitätstheorie ist von Physikern Blockuniversum getauft worden. In diesem Blockuniversum existieren Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit gleichzeitig, wenn wir sie auch nicht in derselben Weise erleben. Und wenn alle Zeiten simultan existieren, dann sind auch all unsere vergangenen Ichs – und unsere Großeltern – in derselben Weise am Leben, wie es unsere gegenwärtigen Ichs sind. Sie sind alle da, in unserer vierdimensionalen Raumzeit, und werden immer da sein. Um es mit den Worten des britischen Comedians John Lloyd zu sagen: »Zeit erinnert ein bisschen an eine Landschaft. Nur weil man nicht in New York ist, heißt das nicht, dass New York nicht da ist.«[6]
Seit Einstein seine Spezielle und seine Allgemeine Relativitätstheorie veröffentlichte, ist mehr als ein Jahrhundert vergangen, aber wir versuchen noch immer zu verstehen, was die beiden Theorien wirklich bedeuten. Es klingt verrückt, doch die Vorstellung, dass Vergangenheit und Zukunft in derselben Weise existieren wie die Gegenwart, ist mit allem kompatibel, was wir gegenwärtig wissen.
Die Auffassung, dass der gegenwärtige Moment keine spezielle Bedeutung hat, lässt sich auch auf andere Weise begründen. Alle erfolgreichen Theorien der Grundlagenphysik erfordern zwei Zutaten: 1. Information über das, was man zu einem Zeitpunkt beschreiben will, die sogenannte Anfangsbedingung, und 2. eine Vorschrift, die als Evolutionsgesetz oder Zeitentwicklungsgesetz bezeichnet wird und besagt, wie man aus dem Anfangszustand berechnen kann, was zu einem anderen Zeitpunkt geschieht.
Ich möchte Sie warnen, dass der Begriff Evolution hier nichts mit Charles Darwin zu tun hat, sondern dass das Gesetz lediglich beschreibt, wie sich ein System entwickelt – das heißt, wie es sich in Abhängigkeit von der Zeit verändert. Wenn man beispielsweise den Ort und die Geschwindigkeit kennt, mit der ein Meteorit in die Erdatmosphäre eintritt (Anfangsbedingung), erlaubt uns die Anwendung des Zeitentwicklungsgesetzes, den Einschlagsort des Meteoriten zu berechnen. Und da wir gerade bei der Terminologie sind, der Fachausdruck für »das, was man beschreiben will«, ist System. Nein, ernsthaft. Während System in anderen Disziplinen eine recht spezielle Bedeutung hat, kann es unter Physikerinnen und Physikern alles und jedes bedeuten. Das ist sehr praktisch, und so werde ich den Begriff auch gebrauchen.
Wenn wir also eine Vorhersage machen, nehmen wir den Zustand eines Systems zu einem bestimmten Zeitpunkt und wenden darauf das Evolutionsgesetz an, um ausgehend von diesem einen Zeitpunkt zu berechnen, was das System zu einem anderen Zeitpunkt tun wird. Das können wir jedoch in beide Zeitrichtungen tun. Die Naturgesetze sind, wie wir sagen, zeitlich reversibel oder zeitumkehrbar. Wie einen Film kann man sie vorwärts und rückwärts abspulen.
Unserer alltäglichen Erfahrung nach sieht ein Blick in die Zukunft ganz anders aus als ein Blick in die Vergangenheit. Wir sehen, dass Eier zerbrechen, aber nicht, dass sie sich wieder zusammenfügen, Holzscheite verbrennen, aber Holzkohle verwandelt sich nicht wieder in Holz, Menschen werden älter, aber nicht jünger. Das ganze Kapitel 3 ist der Frage gewidmet, warum ein Blick in die Zukunft so anders ausschaut als ein Blick in die Vergangenheit. In diesem Kapitel will ich die Frage, warum die Zeit eine bevorzugte Richtung zu haben scheint, jedoch zurückstellen und mich vielmehr mit den Konsequenzen beschäftigen, die die Zeitumkehr der Naturgesetze mit sich bringt.
Zeitumkehrbarkeit heißt nicht, dass die Zeit in beiden Richtungen gleich aussieht; das würde man als Zeitumkehrinvarianz bezeichnen. Sie besagt lediglich, dass wir, wenn wir in einem bestimmten Moment über sämtliche Informationen verfügten, berechnen könnten, was zu jeden beliebigen Zeitpunkt vor diesem Moment geschah und was zu jedem beliebigen Zeitpunkt nach diesem Moment geschehen wird.
Die Vorstellung, dass sich sämtliche zukünftigen Ereignisse im Prinzip aus einem zeitlich früheren Zustand berechnen lassen, wird als Determinismus bezeichnet. Vor der Entdeckung der Quantenmechanik waren die damals bekannten physikalischen Gesetze deterministisch.[7] Im Jahr 1814 entwarf der französische Naturwissenschaftler und Philosoph Pierre-Simon Laplace ein fiktives, allwissendes Wesen, um die Konsequenzen zu illustrieren.[8]
Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Universums als Folge eines früheren Zustandes ansehen und als Ursache des Zustandes, der danach kommt. Eine Intelligenz, die in einem gegebenen Augenblick alle Kräfte kennt, mit denen die Welt begabt ist, und die gegenwärtige Lage der Gebilde, die sie zusammensetzen, und die überdies umfassend genug wäre, diese Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen, würde in der gleichen Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und die des leichtesten Atoms einbegreifen. Nichts wäre für sie ungewiss, Zukunft und Vergangenheit lägen klar vor ihren Augen.
Dieses allwissende Wesen, der Laplacesche Dämon, ist eine Idealisierung. In der Praxis verfügt natürlich niemand über alle nötigen Informationen, um die Zukunft mit Sicherheit vorherzusagen – wir sind nicht allwissend. Aber mir geht es nicht darum, welche Berechnungen praktisch durchführbar sind, ich möchte mich damit beschäftigen, was die fundamentalen Naturgesetze und ihre Eigenschaften uns über das Wesen der Wirklichkeit sagen.
Nun, ein zeitreversibles Gesetz ist auch deterministisch, doch das Umgekehrte trifft nicht unbedingt zu. Stellen Sie sich ein Videospiel vor, das nicht zu gewinnen ist. Man kann sich Aufzeichnungen von Spielern ansehen, die kämpfen, aber das Spiel letztlich immer verlieren. Ausnahmslos jedes Spiel endet mit demselben Bild auf dem Schirm: GAMEOVER. Das heißt, wenn Sie lediglich das letzte Bild auf dem Schirm sehen, können Sie nicht sagen, was vorher geschah. Das Ergebnis ist deterministisch, aber nicht zeitreversibel. Ein zeitreversibles Gesetz führt hingegen zu einer eindeutigen Beziehung zwischen zwei beliebigen Momenten in der Zeit. Was das Beispiel mit dem Videospiel betrifft, hieße dies, dass der Bildschirm mit dem letzten Bild so viele Details enthält, dass man genau herausfinden könnte, welche Spielzüge zu diesem Ergebnis geführt haben.
Die gegenwärtig bekannten Grundgesetze der Natur sind sowohl zeitlich reversibel als auch deterministisch, mit Ausnahme von zwei Prozessen, die ich weiter unten diskutieren werde. Dass die Zukunft von der Vergangenheit in dieser Weise festgelegt ist, schränkt unsere Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, offenbar stark ein. Was das für den freien Willen bedeutet, werden wir in Kapitel 6 diskutieren. Im Augenblick möchte ich mich auf die positivere Seite der Zeitumkehrinvarianz konzentrieren, nämlich dass das Universum sorgsam Buch führt und alles an Information aufzeichnet, was Sie jemals gesagt, gedacht und getan haben.
Ich benutze den Begriff Information hier recht locker und meine damit alle Zahlen, mit denen man das Evolutionsgesetz füttern muss, um damit eine Vorhersage zu machen. Mit Information sind daher lediglich all die Details gemeint, die nötig sind, um den Anfangszustand des Systems zu einem bestimmten Zeitpunkt zu spezifizieren. Auf anderen Gebieten der Physik umfasst Information mehr Eigenschaften, doch so werde ich diesen Begriff hier verwenden.
Das Evolutionsgesetz ordnet den Anfangszustand zu jedem beliebigen Zeitpunkt dem Zustand zu jedem anderen Zeitpunkt zu; daher sagt es uns tatsächlich, wie sich die Materie im Universum und die Raumzeit umordnen. Wir starten mit Teilchen in dem einen Szenario, wenden die Gleichungen darauf an und erhalten ein anderes Szenario. Die Information in diesen Szenarien bleibt vollständig erhalten. Um einen früheren Zustand wiederzuerhalten, muss man lediglich das Zeitentwicklungsgesetz rückwärts laufen lassen. In der Praxis ist das undurchführbar. Prinzipiell kann Information – einschließlich jedes noch so winzigen Details Ihrer Identität – jedoch nicht zerstört werden.
* * *
Lassen Sie uns nun zu den beiden Ausnahmen bei der Zeitumkehrbarkeit kommen: dem Messprozess in der Quantenmechanik und dem Verdampfen Schwarzer Löcher.
Die Quantenmechanik hat ein zeitlich reversibles Evolutionsgesetz (Erwin Schrödingers Gleichung) für ein mathematisches Objekt, das man als Wellenfunktion bezeichnet. Die Wellenfunktion wird gewöhnlich durch den griechischen Großbuchstaben Psi (Ψ) bezeichnet und beschreibt, was immer man beobachten möchte (wieder einmal das System). Aus der Wellenfunktion leiten wir Wahrscheinlichkeiten für Messresultate ab, doch die Wellenfunktion selbst ist keine beobachtbare Größe.
Um zu verstehen, wie das funktioniert, stellen Sie sich folgendes Beispiel vor: Nehmen wir an, wir benutzen die Quantenmechanik, um die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, dass ein Teilchen an einem bestimmten Ort gemessen wird. Um das Teilchen zu entdecken, benutzen wir einen Leuchtschirm, der dort, wo das Teilchen auftrifft, einen Lichtblitz aussendet. Lassen Sie uns annehmen, unsere Berechnung sagt eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit voraus, dass wir das Teilchen auf der linken Seite des Bildschirms finden werden, und eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass wir es auf der rechten Seite finden werden. Was die Quantenmechanik angeht, ist diese probabilistische Vorhersage alles, was es dazu zu sagen gibt. Die Vorhersage ist nicht deshalb probabilistisch, weil es uns an Information fehlt. Es gibt einfach nicht mehr Information. Die Wellenfunktion beschreibt das Teilchen vollständig – das ist gemeint, wenn wir von einer fundamentalen Theorie sprechen.
In dem Moment, in dem wir das Teilchen tatsächlich nachweisen, wissen wir jedoch sicher, dass es sich auf der einen oder der anderen Seite des Schirms befindet. Das heißt, wir müssen die Wellenfunktion aktualisieren, also von 50:50 auf 100:0 oder 0:100, je nachdem, auf welcher Seite des Bildschirms wir den Aufschlag des Teilchens beobachtet haben. Diese Aktualisierung wird manchmal auch als Reduktion oder Kollaps der Wellenfunktion bezeichnet. Ich finde den Begriff Kollaps irreführend, denn er suggeriert einen physikalischen Prozess, den die Quantenmechanik nicht enthält; daher werde ich bei Aktualisierung oder Reduktion bleiben. Ohne Aktualisierung beschreibt die Quantenmechanik nicht das, was wir beobachten.
»Aber was ist eine Messung?«, fragen Sie vielleicht. Eine gute Frage! Das hat die Physiker in der Frühzeit der Quantenmechanik ziemlich umgetrieben. Inzwischen ist die Frage zum Glück weitgehend beantwortet. Eine Messung ist jede Wechselbeziehung, die ausreichend stark oder häufig ist, um das Quantenverhalten des Systems zu zerstören. Nur das, was nötig ist, um Quantenverhalten zu zerstören, kann berechnet werden (und ist für viele Beispiele auch berechnet worden).
Besonders wichtig: Diese Berechnungen zeigen, dass quantenmechanische Messungen keinen bewussten Beobachter brauchen. Tatsächlich brauchen sie nicht einmal eine Messapparatur. Selbst winzige Interaktionen mit einem Luftmolekül oder Licht können Quanteneffekte zerstören, sodass wir die Wellenfunktion aktualisieren müssen. Natürlich ist es ein ziemlicher Missbrauch von Sprache, in diesem Fall von einer Messung zu sprechen, doch physikalisch gibt es keinen Unterschied zwischen Wechselbeziehungen mit einer menschengemachten Apparatur und solchen mit der natürlichen Umgebung. Und da wir unsere Umgebung im Alltag einfach nicht loswerden können, kommen uns Quanteneffekte, wie Katzen, die gleichzeitig tot und lebendig sind, normalerweise nicht unter die Augen. Quantenverhalten kann einfach allzu leicht zerstört werden.
Deshalb sollten Sie auch auf niemanden hören, der behauptet, Quantensprünge erlaubten Ihnen, sich aus einer Krankheit herauszudenken, oder Sie könnten Ihre Lebensqualität verbessern, indem Sie Energie aus Quantenfluktuationen ziehen, und ähnlichen Unsinn. So etwas ist nicht einfach abgelegene Wissenschaft jenseits des Mainstreams, sondern mit wissenschaftlichen Beobachtungen schlicht nicht vereinbar. Unter normalen Umständen spielen Quanteneffekte oberhalb der Molekülgröße keine Rolle. Dass sie so schwierig aufrechtzuerhalten und zu messen sind, ist genau der Grund dafür, dass Physiker ihre Experimente gern bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt und bevorzugt im Vakuum durchführen. Wir verstehen recht gut, was eine Messung ausmacht, doch die Tatsache, dass wir die Wellenfunktion mit der Messung aktualisieren müssen, macht die Quantenmechanik sowohl nichtdeterministisch als auch irreversibel. Sie ist nichtdeterministisch, weil wir nicht vorhersagen können, was wir tatsächlich messen werden; wir können nur die Wahrscheinlichkeit vorhersagen, etwas zu messen. Und sie ist nicht zeitlich reversibel, denn sobald wir das Teilchen gemessen haben, können wir nicht mehr herausfinden, wie die Wellenfunktion vor der Messung ausgesehen hat. Angenommen, man misst das Teilchen auf der linken Seite des Bildschirms. Dann lässt sich nicht sagen, ob die Wellenfunktion zuvor angab, dass das Teilchen dort mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent oder von nur 1 Prozent auftreffen würde. Es gibt viele verschiedene Anfangszustände, die zum selben Messergebnis für die Wellenfunktion führen. Das heißt, quantenmechanische Messungen zerstören Information ein für alle Mal.
Wenn man jedoch irgendetwas über Quantenmechanik sicher weiß, dann, dass ihre physikalische Interpretation weiterhin höchst umstritten ist. Im Jahr 1964, also mehr als ein halbes Jahrhundert nach Einführung der Theorie, erklärte Richard Feynman seinen Studenten: »Ich kann mit Sicherheit sagen, dass niemand die Quantendynamik versteht.«[9] Und ein weiteres halbes Jahrhundert später, im Jahr 2019, schrieb der Physiker Sean Carroll: »Selbst Physiker verstehen die Quantenmechanik nicht.«[10]
Tatsächlich ist der Umstand, dass die Wellenfunktion selbst nicht beobachtet werden kann, ein Dilemma, das Physikern und Philosophen fast ein ganzes Jahrhundert lang Kopfzerbrechen bereitete, aber wir müssen hier nicht die ganze Diskussion aufgreifen. Wenn Sie mehr über die Deutungen der Quantenmechanik wissen wollen, werfen Sie doch einen Blick auf meine Lesevorschläge in den Anmerkungen.[11] Lassen Sie mich die Diskussion nur insoweit zusammenfassen: Wenn Sie nicht glauben, dass die Aktualisierung der Messung grundsätzlich korrekt ist, dann ist das gegenwärtig eine wissenschaftlich zulässige Position, die man einnehmen kann. Meiner Meinung nach wird die Aktualisierung der Messung eines Tages wahrscheinlich durch einen physikalischen Prozess in einer noch fundamentaleren Theorie ersetzt werden, und es könnte sich herausstellen, dass dieser Prozess dann sowohl deterministisch als auch zeitumkehrbar ist.
Ich sollte hinzufügen, dass es in einer der gegenwärtig populärsten Deutungen der Quantenmechanik – der Viele-Welten-Theorie – zu überhaupt keiner Aktualisierung der Messung kommt und die Entwicklung des Universums zeitreversibel bleibt. Ich bin aus Gründen, die ich in Kapitel 5 darlegen werde, kein großer Fan der Viele-Welten-Interpretation; um Ihnen aber einen korrekten Einblick in den gegenwärtigen Stand der Forschung zu geben, sei gesagt, dass die Viele-Welten-Theorie ein weiterer Grund dafür ist, dass sich der Glaube an eine Zeitumkehrbarkeit gegenwärtig mit wissenschaftlicher Erkenntnis vereinbaren lässt.
Das bringt uns zu der anderen Ausnahme von der Zeitumkehrbarkeit – dem Verdampfen Schwarzer Löcher. Schwarze Löcher sind Regionen, in denen die Raumzeit so stark gekrümmt ist, dass Licht auf eine Kreisbahn gezwungen wird und nicht entkommen kann. Die Grenzfläche, innerhalb der das Licht gefangen bleibt, wird als Ereignishorizont des Schwarzen Lochs bezeichnet; im einfachsten Fall ist der Ereignishorizont kugelförmig. Da sich nichts schneller bewegen kann als Licht, fangen Schwarze Löcher alles ein, was den Ereignishorizont überquert. Wenn irgendetwas – ein Atom, ein Buch, ein Raumschiff – zufällig hineinfällt, kommt es niemals wieder heraus. Einmal im Inneren eines Schwarzen Lochs, bleibt das Objekt für alle Ewigkeit vom Rest des Universums abgeschnitten.
Dass etwas außer Sicht ist, heißt jedoch nicht, dass es nicht mehr existiert. Wenn ich ein Buch in einen Kasten lege, kann ich es ebenfalls nicht länger sehen, doch die Information im Buch geht dadurch nicht verloren. Die bloße Existenz des Ereignishorizonts eines Schwarzen Lochs ist daher kein Problem für den Erhalt von Information. Zweifellos ist es ein Problem für die Zugänglichkeit der Information, doch wenn Schwarze Löcher Information lediglich für unbegrenzte Zeit festhielten, so wäre das völlig unproblematisch.
Das war der Stand der Dinge, bis Stephen Hawking 1974 zeigte, dass Schwarze Löcher nicht ewig leben. Aufgrund von Quantenfluktuationen verliert die Raumzeit rund um den Ereignishorizont des Schwarzen Lochs ihre Stabilität. In dieser Region zerfällt zuvor leerer Raum in Teilchen, vor allem in Photonen (Lichtteilchen) und in Teilchen mit sehr geringer Masse, sogenannte Neutrinos. Der dadurch entstehende Teilchenstrom, Hawking-Strahlung genannt, transportiert Energie aus dem Ereignishorizont nach außen. Das Schwarze Loch verdampft, und weil Energie erhalten bleibt, schrumpft das Schwarze Loch.
Da die Hawking-Strahlung jedoch nicht aus dem Inneren des Schwarzen Lochs stammt, kann sie keine Information über das enthalten, was das Schwarze Loch ursprünglich bildete oder was später von ihm verschluckt wurde. Denken Sie daran: Was sich im Inneren des Schwarzen Lochs befindet, ist von allem, was außen liegt, getrennt. Tatsächlich transportiert die Strahlung einige Bits Information. Wenn man zum Beispiel die gesamte Strahlung auffängt, kann man daraus die Gesamtmasse und den Drehimpuls des Schwarzen Lochs ableiten. Die Strahlung transportiert jedoch keineswegs genug Information, um alle Details dessen zu entschlüsseln, was hinter dem Horizont verschwand. Wenn das gesamte Schwarze Loch verdampft ist, bleibt nur die Hawking-Strahlung übrig; daher gibt es keine Möglichkeit herauszufinden, was der Anfangszustand war. War es einst ein Weißer Riese oder ein Neutronenstern? Hat das Schwarze Loch einen kleinen Mond verschluckt, eine Wasserstoffwolke oder eine unglückliche Raumfahrerin? Was waren ihre letzten Worte? Das lässt sich nicht sagen. Das Verdampfen des Schwarzen Lochs ist daher nicht zeitreversibel: Es gibt viele verschiedene Anfangszustände, die zum selben Endzustand führen.
Das erinnert oberflächlich an das Problem mit dem Messprozess, doch es gibt einen wichtigen Unterschied. Die Zerstörung von Information durch das Verdampfen eines Schwarzen Lochs geschieht bereits, bevor die Strahlung gemessen wird. Das ist ein großes Problem, denn es bedeutet, dass das Verdampfen eines Schwarzen Lochs auch mit dem Zeitentwicklungsgesetz der Quantentheorie unvereinbar ist. Deshalb nehmen die meisten Physikerinnen und Physiker gegenwärtig an, dass mit Hawkings Schlussfolgerung, Schwarze Löcher zerstörten Information, etwas nicht stimmen kann.
In seinen späteren Jahren änderte Hawking seine Meinung und gelangte zu der Überzeugung, dass Schwarze Löcher keine Information zerstören. Das offensichtlichste Manko von Hawkings Berechnungen aus dem Jahr 1974 besteht darin, dass sie die Quanteneigenschaften der Gravitation