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Eine einsame Oma, aufgeweckte Zwillinge und das kurioseste Weihnachtsfest, das die Nordsee je gesehen hat! »Mehr Lametta für Oma« ist ein zauberhaft warmherziger Familienroman von Bestseller-Autorin Regine Kölpin: Nordsee-Flair trifft auf liebevoll gezeichnete Figuren und sanften Humor zum Schmunzeln. Oma Feline lebt allein »achtern Diek« an der Nordsee. Ihr einziger Freund ist Hajo. Ein tragisches Missverständnis hat dazu geführt, dass sein Sohn Maik den Kontakt zu ihm abgebrochen hat, aber er möchte nicht darüber sprechen. Feline kümmert sich derweil um ihre tierischen Freunde, Fuchs Anton, Igel Fritz und Rehbock Martin – auch wenn sie deshalb im nahen Dorf als verschroben gilt. Eines Tages beobachten die 8-jährigen Zwillinge Jonte und Jelda, wie Feline Martin füttert. Nach und nach freunden sich die Kinder mit ihr und Hajo an. Als sie erfahren, wie sehr Feline sich ein Weihnachtsfest »wie früher« wünscht und wie sehr Hajo seinen Sohn vermisst, schmieden die beiden einen Plan … Zauberhafter Weihnachtsroman zum Wohlfühlen Der liebevolle Küstenroman schafft eine heimelige Atmosphäre mit einer Prise Weihnachtszauber: perfekt für gemütliche Lesestunden mit Glühwein und Plätzchen und natürlich auch hervorragend geeignet als Weihnachtsgeschenk. Entdecken Sie die lustigen Oma-Romane von Regine Kölpin (alle unabhängig voneinander lesbar): - Oma zeigt Flagge - Oma geht campen - Oma wird Oma - Oma tanzt auf Wolke 7 - Oma kriegt die Kurve - Oma macht klar Schiff - Oma hat die Hosen an
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Seitenzahl: 344
Veröffentlichungsjahr: 2025
Regine Kölpin
Roman
Knaur eBooks
Omas ganz persönliche Weihnachtselfen in geheimer Mission
Oma Feline lebt allein »achtern Diek« an der Nordsee. Ihr einziger Freund ist Hajo. Ein unglückliches Missverständnis hat dazu geführt, dass sein Sohn Maik den Kontakt zu ihm abgebrochen hat, aber er möchte nicht darüber sprechen. Feline kümmert sich derweil um ihre tierischen Freunde, Fuchs Anton, Igel Fritz und Rehbock Martin – auch wenn sie deshalb im nahen Dorf als verschroben gilt.
Eines Tages beobachten die 8-jährigen Zwillinge Jonte und Jelda, wie Feline Martin füttert. Nach und nach freunden sich die Kinder mit ihr und Hajo an. Als sie erfahren, wie sehr Feline sich ein Weihnachtsfest »wie früher« wünscht und wie sehr Hajo seinen Sohn vermisst, schmieden die beiden einen Plan …
Ein zauberhafter Weihnachtsroman zum Wohlfühlen!
Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
Nachwort
Jelda und Jonte
Es hatte in den letzten drei Tagen mächtig geschneit, was für das Wangerland sehr ungewöhnlich war. Die Marsch wirkte wie mit einem weißen Laken überzogen, und das Schilf an den Gräben hatte vom Eis fein ziselierte Köpfchen. Am Deich war viel los, denn alle Kinder und auch die Erwachsenen nutzten das schöne Winterwetter zum Schlittenfahren.
Lange Abfahrten konnte man hier nicht erwarten, aber schon die kurze Strecke machte Spaß.
»Lass uns noch mal bei der alten Frau vorbeigehen und gucken, ob das Haus jetzt zu einem Hexenhaus geworden ist«, schlug der achtjährige Jonte seiner Zwillingsschwester Jelda vor. »Immerhin ist heute der erste Advent, und die Weihnachtszeit beginnt. Wenn wir Hexenhäuser bauen, kann es doch sein, dass sich auch ihre Kate verwandelt.«
Er wartete seit Tagen gespannt darauf, ob das Mauerwerk endlich mit Lebkuchen und Zuckerschnecken bestückt wurde. Klar mussten sie dann aufpassen, damit die Hexe sie nicht gefangen nahm, aber es wäre so spannend, diese Zauberei zu erleben.
Leider war bis heute nichts passiert, obwohl alle Kinder in Tjarkswarf davon überzeugt waren, dass es bald geschehen würde. In der Schule schaukelten sie sich richtig hoch. Mina glaubte sogar, schon einen Zuckerkringel gesehen zu haben, doch beweisen konnte sie es nicht.
Jelda zweifelte jedoch daran. Aber weil sie trotzdem nicht sicher sein konnte, fand sie es besser, vorsichtig zu sein. »Meinst du? Ich habe ständig Schiss, wenn wir da hingehen. Was ist, wenn sie uns mit ihrem Besen hinterherfliegt?«
Jonte aber war in der Fraktion »Verwegen«. Und er überredete seine Schwester jedes Mal, doch mitzukommen.
Die zwei machten oft einen Umweg an der mysteriösen Kate vorbei, weil Jonte es ungemein spannend und mutig fand, dies zu tun. Und Jelda wollte nicht als Schissbüx dastehen und kam natürlich immer mit. Hinterher war sie dann sehr stolz auf sich.
Bis auf Mina wagten es die anderen Kinder aus der Schule nämlich nicht, bei Feline Kramers Kate vorbeizulaufen.
Sie war vor drei Jahren ins Wangerland zurückgekehrt, hatte aber Gerüchten nach schon früher in der Gegend gewohnt. Wo genau, wusste jedoch niemand.
In Tjarkswarf kannte niemand Feline richtig, und so rankten sich viele Geschichten um die alte Frau. Traf man sie an, grüßte sie freundlich, aber das war es auch schon. Feline Kramer war eben anders. Sie trug merkwürdig bunte Kleidung, das Haar war orangerot gefärbt, schulterlang und – sie sprach mit Tieren.
Manchmal wurde sie in Horumersiel beim Einkaufen angetroffen, aber sonst lebte Feline sehr zurückgezogen und schien keinerlei Interesse an näherem Kontakt zu haben, weshalb sie auch weder im Boßelverein noch bei den Landfrauen anzutreffen war.
Nur der Postbote Hajo Wulkjemann besuchte sie ab und an, und sie schienen sich gut zu verstehen.
Aber der war ebenso eigenartig.
Alle Kinder und bestimmt auch die Erwachsenen, nur gaben die das nicht zu, waren fest davon überzeugt, er wäre der Weihnachtsmann. Weil er seit vielen Jahren einen langen weißen Rauschebart trug und der Bauch sich über der schwarzen Cordhose wölbte, als würde er nur von Keksen und Milch leben.
Jelda und Jonte glaubten, dass er sich an Heiligabend bestimmt mit seinem Schlitten und den Rentieren auf den Weg machte, um die Geschenke zu verteilen, wenn er keine Briefe und Pakete mehr zustellen musste.
Immerhin kannte er von Berufs wegen im Wangerland viele Haushalte. Am besten wusste er natürlich in ihrem Dorf Tjarkswarf, das in der Nähe von Horumersiel lag, Bescheid, was die Tjarkswarfer Kinder als immensen Vorteil sahen. Liefen sie deswegen schließlich nicht Gefahr, er könnte das eine oder andere Geschenk am falschen Ort hinterlegen.
Jelda fragte sich allerdings sehr häufig, warum der Weihnachtsmann ausgerechnet mit einer Hexe befreundet war. Jedes Mal, wenn sie zu Feline fuhren, hoffte sie, auf diese brennende Frage endlich eine Antwort zu finden.
»Komm, jetzt heißt es mutig sein.« Jonte stupste sie an und riss Jelda aus ihren Gedanken. »Wenn wir entdecken, dass die Kate sich in ein Hexenhaus verwandelt hat, sind wir in der Schule die wahren Helden!«
Jonte war gern ein Held, und weil seine Schwester ihm das gönnte, stimmte sie schließlich zu. Sie nahmen die Schlitten, zogen sie am Band hinter sich her und machten sich auf den Weg zu Felines Haus.
Die kleine Kate lag direkt am Deich und sah in der aufkommenden Dämmerung anheimelnd und kein bisschen gruselig oder verändert aus, wie die Kinder enttäuscht feststellten.
»Ganz normal«, meinte Jonte und zog einen Flunsch.
»Keine Lebkuchen. Keine Zuckerschnecken«, bestätigte Jelda. »Ob sie doch keine Hexe ist?«
»Aber das behaupten doch alle«, beharrte Jonte. »Sie muss eine sein.«
»Das Haus sieht nur nicht danach aus. Eben wie das Haus einer stinknormalen Oma, die am Deich wohnt.«
Jonte beäugte die Kate und den Garten weiter kritisch, doch er musste seiner Schwester recht geben, sodass er schließlich bestätigend nickte.
In den Fenstern leuchteten Lichterketten, Kerzen untermalten das Bild, und aus dem Schornstein drängte dichter Qualm. Es roch anheimelnd nach verbranntem Holz. Die Haustür war mit einer Tannengirlande geschmückt, in die Feline rote Schleifen angebracht hatte.
»Wir warten noch«, bestimmte Jonte. »Es kann doch sein, dass sich plötzlich was ändert, wenn es etwas dunkler wird.«
Jelda war damit zwar nicht einverstanden, aber sie wollte sich auch nicht allein auf den Weg zurück nach Tjarkswarf machen.
»Lange geht’s leider nicht mehr«, warf sie ein. »Es gibt Ärger mit Mama, wenn wir zu spät sind. Wir sollen um vier zu Hause sein, weil dann die Straßenlaternen angehen.«
»Dann laufen wir eben ein bisschen schneller.« Jonte winkte seiner Schwester, ihm zu folgen.
Jeldas Herz schlug bis zum Hals, als sie sich näher an die Hecke heranschlichen und sich dahinter kauerten. Von hier war es gut möglich, den Garten einzusehen.
Feline musste die ganze Zeit dort gewesen sein. Zum Glück hatte sie die Kinder nicht bemerkt. Sie kam eben aus der Holzscheune und hatte den Arm voller Heu. Ihr rotes Haar war unter einem weinroten Tuch verborgen, um die Schultern trug sie eine dicke Wollstola, der lange, bunte Rock bauschte sich über den schweren schwarzen Schuhen.
»Sieist ganz sicher eine Hexe«, flüsterte Jelda ihrem Bruder zu. »Guck doch nur, wie sie aussieht!«
»Pscht!« Jonte legte den Finger an die Lippen.
Jelda schwieg nun lieber.
Feline platzierte das Heu am Rande des Gartens in einer großen Holzraufe und stopfte es fest hinein. Ihre Schuhe hinterließen tiefe Spuren im Schnee.
»Hauptsache, sie fängt uns nicht«, flüsterte Jelda ängstlich. »So wie bei Hänsel und Gretel. Ich habe echt Schiss. Lass uns abhauen!«
Jonte aber schüttelte den Kopf. »Warte kurz! Das Haus hat sich jedenfalls noch nicht verändert, das können wir an die anderen weitergeben.«
»Das bleibt auch so, nun komm!« Jelda zog an seinem Ärmel. »Weg hier!«
Ihr Bruder musste husten, hielt sich aber schnell den Unterarm vors Gesicht, damit es nicht zu hören war. Leider zu spät, denn Feline hatte es doch bemerkt.
»Wer ist da?« Sie schaute sich sofort um.
Jelda wurde blass und zupfte ihren Bruder erneut am Jackenärmel. »Weg hier! Bloß weg hier!«
Jetzt bekam auch Jonte es mit der Angst, und sie sprinteten los.
Schnell die Stricke der Schlitten, die sie zuvor am Straßenrand abgestellt hatten, gefasst, und dann nichts wie weg! Die beiden rannten, als ginge es um ihr Leben, und blieben erst stehen, als sie die Kate in sicherer Entfernung wussten.
»Hoffentlich hat sie uns nicht gesehen«, sagte Jelda keuchend. »Falls sie doch eine Hexe ist, kann sie uns bestimmt mit dem Besen nachfliegen. Hab ich ja gleich gesagt!«
»Dann weiter!« Jonte legte erneut ein kräftiges Tempo vor.
Erst als sie am Dorfrand von Tjarkswarf angekommen waren, stoppten sie, um zu verschnaufen.
»Was wäre passiert, wenn sie uns gepackt hätte?«, fragte Jonte vollkommen außer Atem.
»Bestimmt wären wir im Hexenhaus gelandet. Vielleicht ist das Zuckerzeug unter den Klinkern? Oder sie hat ein getarntes Hexenhaus ohne Lebkuchen und so einen Kram.« Jelda atmete ebenfalls schwer. »Hast du nicht gesehen, dass der Qualm ganz schön dolle aus dem Schornstein gedampft hat? Das zeigt doch, wie gefährlich sie ist.«
»Oder es zeigt einfach, dass sie den Kamin anhat«, sagte Jonte. »Außerdem: Der Lebkuchen unter dem roten Backstein? Glaub ich nicht.«
»Bestimmt kann sie alles ganz schnell wegzaubern, wenn es sein muss«, mutmaßte Jelda. »Gut, dass wir rechtzeitig abgehauen sind. Nun dürften wir in Sicherheit sein.«
Jonte nahm die gelbe Beanie vom Kopf und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Trotzdem will ich da unbedingt noch einmal hin. Es ist so spannend! Hast du das kleine Holzhaus unter der Tanne gesehen?«
Jelda nickte.
»Ich möchte wissen, was auf dem Schild steht«, sagte Jonte.
»Das Haus ist so klein und wohl eher eine Holzschachtel. Darin kann nur ein Wichtel wohnen. Oder ein Troll. Haben Hexen so was?«, meinte Jelda.
Jonte krauste die Nase. »Trolle wohnen auf Island oder in Norwegen, aber nicht in Tjarkswarf am Deich. Da bin ich mir ganz sicher.«
»Trotzdem hat sie dieses kleine Häuschen. Wenn du lesen willst, was auf dem Schild steht, müssen wir in den Garten, und das wage ich nicht.« Jelda kniff die Lippen zusammen.
»Das müssen wir aber. Morgen versuchen wir es. Ich habe vorhin gesehen, dass es im hinteren Teil des Gartens eine größere Lücke in den Büschen gibt, durch die wir passen. Da sind wir auch ganz schnell wieder weg, wenn sie uns erwischt. Denn die Frau ist alt, und bestimmt kann sie nicht gut rennen.«
Jelda atmete tief durch und war von dieser Idee alles andere als überzeugt. Sie dachte wieder an den möglichen Hexenbesen, aber sie wollte auch nicht, dass Jonte über sie lachte. Glaubte er vielleicht, Feline könnte gar keine Hexe sein?
Feline Kramer sprach zwar mit Tieren, sollte aber keine echte Toversche sein, wie man hier auch sagte, weil sie in einer stinknormalen Kate wohnte?
Jelda seufzte.
Es gab bestimmt weder Hexen noch Weihnachtsmänner. Eigentlich waren sie auch schon zu alt, um an so etwas zu glauben.
Nur erzählten es doch alle!
Natürlich musste sie zugeben, dass es sehr unwahrscheinlich war, dass eine Hexe und ein Weihnachtsmann best friends waren.
»Ist doch komisch«, sagte sie zu Jonte. »Alle reden immer nur von der Alten oder der Hexe. Mama aber sagt, wir sollen Tant Feline oder Frau Kramer sagen. Sie findet es gar nicht gut, wenn sie solchen Blödsinn hört.«
Jonte runzelte die Stirn.
»Mama wäre allerdings auch stinksauer, wenn wir da immer hinfahren. Das darf sie nicht wissen«, mahnte er.
»Klaro«, sagte Jelda. »Wir sind ja auch nur im Hellen da. Das ist ungefährlich, und wir können immer behaupten, dass wir nur ganz zufällig dort waren.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Komm, wir gehen nach Hause, Mama wollte für uns Kakao machen und die erste Kerze anzünden.«
Jelda liebte diese Familientradition, bei der sie es sich ab dem Samstag vor dem ersten Advent zu dritt richtig gemütlich machten und Mama ihnen bei Kerzenschein eine Weihnachtsgeschichte vorlas. Dazu kuschelten sie sich immer unter eine flauschige Decke auf dem Sofa und lauschten ihr. Anschließend sangen sie gerne noch ein paar Lieder. Jeder durfte sich mindestens eins aussuchen.
Jelda liebte Vom Himmel hoch, da komm ich her, Jonte hatte sich gestern Abend Hänsel und Gretel gewünscht, obwohl das gar kein Weihnachtslied war.
Zuvor hatten sie den Adventskranz gemeinsam geschmückt und mit breiten roten Schleifen versehen. Jelda hatte die dicken Kerzen darauf befestigt, Jonte die kleinen Fliegenpilze aufs Tannengrün geklebt.
»Die Laternen gehen an, also los!«, forderte Jonte seine Schwester auf. Denn es war keine gute Idee, ihre Mutter zu verärgern.
Ihr Vater fuhr zur See, und sie waren zu dritt die meiste Zeit allein. Gleich würde er sich per Videoanruf dazuschalten, allein deshalb wollte Jelda pünktlich zu Hause sein. Sie vermisste ihren Papa sehr. Nicht nur, weil Mama wegen seiner Abwesenheit strenger war.
»Ihr müsst euch an Regeln halten«, betonte sie stets. »Weil ich allein verantwortlich bin, gibt’s da keine Kompromisse!«
Jelda und Jonte marschierten mit den Schlitten im Schlepp wieder los und bogen in den Förriener Pad ab, wo sich ihr Zuhause am Ende der Sackgasse befand.
Es war ähnlich wie Felines Kate wunderbar weihnachtlich geschmückt. Ihre Mutter hatte die Fenster mit vielen Lichterketten versehen, und auch im Vorgarten leuchteten ein Tannenbaum und ein Busch neben der Pergola in weihnachtlichem Glanz. Als Gag hatte ihre Mutter einen aufblasbaren Weihnachtsmann neben der Haustür platziert, der ihnen jetzt fröhlich zuwinkte.
»Bald nun ist Weihnachtszeit, fröhliche Zeit«, sang Jelda und textete weiter: »Ich freue mich so aufs Fest. Was wäre es schön, wenn Papa auch zu Hause wäre.«
»Das stimmt aber nicht«, sagte Jonte. »Das Lied geht anders.«
»Egal, dann habe ich es eben umgedichtet. Nun rein, der warme Kakao wartet. Den müssen wir heute genießen, immerhin sind wir der Hexe gerade noch entkommen.«
Feline
Feline war kurz drinnen gewesen, weil das Telefon geklingelt hatte, doch es war nur wieder einer dieser leidigen Werbeanrufe gewesen.
Danach hatte sie sich wärmer angezogen, denn der Wind pfiff unangenehm von Osten, und wie die dunklen Wolken aussahen, würden sie eine weitere Schneefracht über dem Wangerland abladen und die Flocken tanzen lassen. Welch ungewöhnlicher Zustand! Wann gab es schon mal so viel Schnee und dann noch am Stück in dieser Gegend?
Jetzt war es besonders wichtig, dass sie ihre Tiere gut versorgte, denn es war bei dieser Witterung schwierig für ihre Schützlinge, Futter zu finden. Außerdem erfreute Feline sich daran, dass sie bei ihr auftauchten und ihr Abwechslung im Alltag bescherten.
Also gab sie in diesen Tagen etwas mehr Heu in die Raufe und befüllte den Napf von Anton, ihrem kleinen Fuchs, etwas reichhaltiger. Sie durfte ihn nach Absprache mit dem Jäger füttern, genau wie Martin, den Rehbock. Ein Blick ins Vogelhäuschen sagte ihr, dass auch hier alles vertilgt war.
Es galt, für Nachschub zu sorgen, was ihr mit fröhlichem Vogelgezwitscher gedankt wurde. Kaum hatte sie sich vom Vogelhäuschen entfernt, kamen bereits die ersten Kohlmeisen angeflogen.
Die Tür von Igel Fritz hatte sie eben schon kontrolliert. Er verbrachte in seiner Hütte den wohlverdienten Winterschlaf und würde erst wieder auftauchen, wenn der Frühling die Erde erwärmte. Dann allerdings kam er jeden Abend zu Besuch und war Feline gegenüber recht zahm. So wie die anderen Tiere auch. Sie vertrauten ihr bedingungslos.
Das galt für ihre Mitmenschen weniger. Einzig zu Hajo hatte sie ein enges Verhältnis, das sie durchaus als Freundschaft bezeichnen würde.
Er war ähnlich schweigsam wie sie, hütete mit Sicherheit auch die eine oder andere Verletzung, aber ging ähnlich wie sie damit um und verdrängte alles in die hinterste Kammer seines Herzens. Dazu musste er nichts sagen, Gleichgesinnte spürten das.
Mit Menschen tat sich Feline schwer, nachdem sie von ihrem Mann maßlos enttäuscht worden war und sich auch ihre Nichte Veronika und ihr Neffe Kai nach und nach aus ihrem Leben verabschiedet hatten. Nicht jeder konnte mit schweren Belastungen umgehen, und so hatte sie am Ende allein dagestanden – und den Kampf gegen den Krebs gewonnen. Seitdem scherte sie sich nicht mehr darum, was andere sagten, und lebte so in den Tag hinein, wie es ihr gefiel. Der Preis ihrer Eigenständigkeit hieß Alleinsein.
Feline wusste, dass sie sich oft selbst im Weg stand.
Sie könnte schließlich in einen Verein gehen. Doch dazu fehlten ihr der Antrieb – und der Mut. Die Angst war groß, erneut verletzt zu werden. Aber nun fort mit den trüben Gedanken.
Feline hatte nach der Trennung und der Überwindung ihrer Krankheit eine Weile in Spanien gelebt und auch in Schweden. Immer auf der Flucht, immer auf der Suche nach einem Fixpunkt, der sie erneut erden und zur Ruhe kommen lassen würde. Doch das war nirgendwo geschehen. Am Ende war die Erkenntnis geblieben, dass es unmöglich war, fortzulaufen. Sie sehnte sich nach einem festen Ankerplatz, und den hatte sie im Wangerland zwischen Tjarkshusen und Tjarkswarf in ihrer kleinen Kate am Deich gefunden. Mit dem Besuch ihrer Tiere und dem Blick auf die Nordsee, wenn ihr danach war.
Feline pfiff leise. Manchmal nahm Martin dies als Zeichen und kam zu ihr, wenn sie noch im Garten stand. Dann konnte sie sich an seinem hellbraunen Fell erfreuen und an der wunderschönen tiefschwarzen Nase, die immer leicht glänzte. Martin hatte genau das freundliche Auftreten, das sie bei den Menschen oft vermisste.
»Es ist gut, dass ich mich hier niedergelassen habe«, flüsterte sie, und ihr glitt unwillkürlich ein Lächeln übers Gesicht. »Diese Kate ist mein Zuhause geworden.«
Genau das brauchte sie, weil sie es von Kindesbeinen an so kannte. Das Leben achtern Diek, stets vom Nordseewind umweht und den würzigen Geruch der See in der Nase.
Wie richtig sie mit ihrer Entscheidung gelegen hatte, erkannte sie auch daran, dass die Tiere zu ihr gekommen waren. Es waren widrige Umstände gewesen, das ja, aber das Schicksal hatte es ausgerechnet ihr auferlegt, sich um Martin und Anton zu kümmern. Das war doch ein Zeichen!
Feline pfiff ein weiteres Mal, aber heute schien Martin nicht in der Nähe zu sein und erst später kommen zu wollen.
Ich warte auf ihn, dachte Feline und wandte sich dem Schuppen zu. Er war genau wie der Dachboden vollgestellt mit alten Sachen, die der Vorbesitzer zurückgelassen hatte. Feline war dies egal gewesen, weil sie so schnell wie möglich hatte einziehen wollen.
So nach und nach würde sie alles durchforsten und schauen, ob sie dort kleine Schätze fand, die sie gebrauchen konnte. Vieles war zum Wegwerfen einfach zu schade. Feline liebte es, aus vermeintlichem Müll wunderschöne Sachen zu zaubern.
Upcycling nannte man das heute. Sie aber hatte dies schon immer getan.
Alte Gummistiefel konnten mit Frühlingsblumen bepflanzt werden, Blecheimer waren günstig platziert eine interessante Abwechslung in jedem Garten. Wie einzigartig zeigten sich alte Bretter oder Töpfe, wenn man sie im richtigen Winkel an der richtigen Stelle zur Schau stellte. Sogar für einen alten Koffer hatte Feline Verwendung gefunden. Bepflanzt sah er wunderschön aus. Gerade jetzt, mit seinem Schneehäubchen und dem Flair der Vergangenheit, das sich in der langen Zeit draußen des Leders bemächtigt hatte, war er zusammen mit der Winterheide, zwischen die Feline Tannenzweige und rote Kugeln gesteckt hatte, ein wahrer Blickfang.
Ein alter Schlitten fristete im Schuppen auch noch sein Dasein. Wenn man die Kufen ein wenig schmirgelte, würde er bestimmt noch seinen Dienst tun. Feline lächelte. Was war sie als Kind gern gerodelt.
Ja, sie sollte hier bald mal für Ordnung sorgen und nach weiteren Schätzen graben. Und sich später auch den Dachboden vornehmen.
Feline schaute sich ein weiteres Mal um. Martin ließ sich nicht blicken. Dann war es wohl besser, sie ging ins Haus. Holz hatte sie am Morgen schon reingeholt, sodass es muckelig warm in der Kate war. Bei der Kälte schaffte die alte Heizung es oft nicht, alles wirklich ausreichend warm zu machen. Außerdem fiel die Therme oft aus und weigerte sich, auch nur einen der alten Heizkörper zu erwärmen. Der Ofen in der Küche und der Kamin in der Stube waren ein wahrer Segen in dem alten, leicht zugigen Gemäuer mit den alten Fenstern, die dringend mal ausgetauscht werden müssten.
Feline tat sich heute schwer damit, reinzugehen, denn spätestens wenn sie die Haustür hinter sich zugezogen hatte, würde sie die Einsamkeit fast körperlich spüren.
Gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit war das Alleinsein schlimm. Dann knisterte der Kamin zickig, der Ofen bollerte, und der Wind heulte um die Kate.
Feline seufzte.
Als sie die Tür hinter sich schloss, glitt dann doch ein leichtes Lächeln über ihre Lippen, weil sie an die beiden drolligen Kinder mit den feuerroten Haaren dachte. Fast täglich schlichen sie sich an und glaubten tatsächlich, sie würde es nicht bemerken.
Natürlich wusste Feline, was man sich in Tjarkswarf über sie erzählte und wie vielen Menschen sie suspekt war. Eine Neue, und dann noch anders als die anderen. Bunte Haare. Schräge Kleidung. Eine Tierflüsterin … Das war schwierig.
Feline warf einen Blick aus dem Küchenfenster. Von dort konnte sie den Garten gut erkennen.
Es begann wieder heftiger zu schneien. In der aufkommenden Dämmerung bemerkte sie draußen eine Bewegung, und endlich zwängte sich der junge Rehbock Martin durch die Büsche. Zielstrebig lief er zur gefüllten Raufe und begann sofort, am Heu zu knabbern.
»Ihm schmeckt’s«, sagte Feline zufrieden. Sie war sicher, dass auch Anton in der Nacht vorbeischauen würde.
Glücklich stellte sie das Radio an und legte Holz nach, sodass das Feuer sofort wohlig zu knistern begann. Heute klang es gut, nicht zickig wie sonst so manches Mal, wenn sie sich einsam fühlte.
Martin war doch da und sie nicht allein.
Feline griff nach zwei Scheiben Brot, die sie mit Käse belegte. Dazu ein Gürkchen aus dem Glas und eine dünn geschnittene Tomate. Als Getränk wählte sie einen Pfefferminztee. Essen würde sie auf dem Sofa.
Auf dem Couchtisch stand ein Adventskranz. Es war an der Zeit, die erste Kerze anzuzünden. Die Lichterkette im Fenster blinkte schon seit dem frühen Nachmittag mit ihrem warmen Schein.
In einer Schale duftete eine mit Nelken gespickte Orange, und neben der Türzarge befand sich die Wohnung ihres Weihnachtswichtels Enno. Auch wenn sie allein in der Kate lebte, verzichtete sie nicht auf Weihnachtsschmuck, denn zu schön waren die Erinnerungen an früher. Trotz allem gab ihr das Kraft. Und Wärme. Dieses Fünkchen Hoffnung, alles würde eines Tages anders sein und sie wäre nicht mehr ganz allein.
Früher …
Als sie mit Johann glücklich gewesen war. Wochen vorher hatten sie den Tannenbaumschmuck geplant, waren das Festmenü durchgegangen, und jeder hatte überlegt, mit welchem Präsent er dem anderen in diesem Jahr eine besondere Freude machen konnte. Dann der Besuch von Veronika und Kai. Ach, die waren nun auch erwachsen, eine Zeit lang in Australien gewesen, und danach hatten sie den Kontakt zu ihr verloren. Auch sie hatten mit ihrer Krankheit große Probleme gehabt. Manchmal spülte das Leben eben auch wichtige Menschen einfach so fort. Oft ohne Grund. Da waren plötzlich viele weitere Dinge wichtiger, und ein Treffen wurde von Termin zu Termin geschoben – bis es am Ende ganz vergessen war.
Manche wiederum gingen, weil sie die Last des anderen nicht ertrugen. Nur schwer akzeptieren konnten, dass eine Krankheit den Menschen veränderte, und sie den neuen Weg nicht mit einschlagen wollten. So wie Johann.
Er war dann doch vor ihr gegangen und schaute ihrem Dasein jetzt vermutlich von Wolke drei zu. Es hatte für sie, wie es in dem einen Lied hieß, nicht einmal mehr für Wolke vier gereicht.
Lang ist es her, dachte Feline traurig. Es wird auch nie wieder so sein. Also blieb ihr keine andere Wahl, als sich das Fest selbst so schön wie möglich zu machen, wobei sie wie immer auch jetzt darüber nachdachte, ob sie einen Baum aufstellen wollte. Die letzten Jahre hatte sie nicht darauf verzichtet, weil sie den Duft der frischen Tanne so mochte. Aber was war ein Baum ohne die Menschen, die sich daran erfreuten? Als im Radio Jingle Bells gespielt wurde, kamen ihr plötzlich die Tränen. Sie wischte sie ab und nahm das Strickzeug zur Hand. Das lenkte sie stets wunderbar ab. Stricken half immer. Inzwischen hatte sie einen ganzen Koffer voller Socken. Früher waren sie immer das Geschenk für Kai und Veronika gewesen. Sie liebten sie. Nun gab es keine Abnehmer, aber Feline strickte trotzdem. Weil es eine angenehme Tätigkeit war, die sie ablenkte.
Ich werde sie an Bedürftige verschenken, dachte Feline und beschloss, mit der Obdachlosenhilfe Kontakt aufzunehmen.
Entschlossen schlug sie ein paar Maschen an. Sie hatte es die letzten paar Jahre allein durch die Advents- und Weihnachtszeit geschafft, warum also jetzt nicht?
Feline
Feline zuckte zusammen, als sie beim Nachmittagstee saß und ein Schneeball gegen ihre Küchenscheibe flog. Ein paar Jugendliche rannten laut juchzend davon.
Es hatte die ganze Nacht und den Morgen über weiter kleine Flocken geschneit, und die Welt sah aus wie ein Winterwunderland. So etwas gab es an der Küste höchst selten und musste genossen werden. Eben kam die Sonne heraus und tauchte die Welt in ein glitzerndes Licht.
Feline wollte sich gleich um das Futter für ihre Tiere kümmern und ein wenig durch die Winterlandschaft am Deich spazieren.
In der Diele schlüpfte sie in die dicken Schneeboots und ihren Strickmantel, der ihr bis über die Waden reichte und sehr warm war, da sie Islandwolle genutzt hatte. Dazu ihre Mütze im Jacquardmuster und die doppelt gestrickten Handschuhe samt Schal. So gewappnet würde sie es draußen eine Weile aushalten.
Als sie jedoch vor die Tür trat und den Blick strahlend in den klarblauen Winterhimmel warf, wurde sie sofort von mehreren Schneebällen getroffen. Einen bekam sie direkt auf die Nase, und das tat ganz schön weh.
In Erwartung eines weiteren Angriffs hielt sie sich beide Hände vors Gesicht, doch die nächste Attacke blieb glücklicherweise aus. Dafür ertönte eine dünne, aber helle Kinderstimme.
»Was soll das?«
Hinter der Hecke erhoben sich eine rote Pudelmütze und eine gelbe Strickbeanie. Unter beiden Kopfbedeckungen quoll dichtes rotes Haar hervor.
Feline grinste.
Das waren ja die zwei kleinen Spione! Sie bauten sich jetzt mutig vor den drei Jugendlichen auf.
»Ihr könnt doch eine alte Dame nicht mit Schneebällen bewerfen!«, schimpfte das Mädchen. Ihre Locken konkurrierten farblich mit ihrer grellen Pudelmütze.
»Dame?«, kam es da von dem einen Jugendlichen. »Das ist doch eine Toversche! Wenn es ihr nicht passt, kann sie ja mit ihrem Besen davonfliegen.«
Der Junge gesellte sich an die Seite des Mädchens und brüllte los: »Egal, was geredet wird: Man darf keinen verletzen! Haut einfach ab!«
»Die Alte lässt sich von einem Kindergarten mit Feuerhaaren bewachen«, motzte der größte Werfer lautstark. »Lasst uns verschwinden, das ist mir zu doof.«
»Uns auch«, gaben der zweite und dritte Werfer zurück.
Die drei winkten ab und trollten sich tatsächlich.
»Danke.« Feline nickte den beiden Kindern freundlich zu. »Dame hat lange keiner mehr zu mir gesagt.«
»Das war schlechtes Benehmen«, erklärte der Junge altklug. Sein hervorscheinendes rotes Haar schien regelrecht zu glühen, weil sich die Sonnenstrahlen darin brachen. »Haben Sie sich bei dem Treffer doll wehgetan?«
Feline rieb sich die Nase vorsichtig, denn sie brannte tatsächlich. »Ein bisschen. Der eine Ball war ziemlich hart. Und gut gezielt. Was für een Döskopp.«
»Die sind immer so blöd«, erklärte das Mädchen.
Die beiden standen auf der Straße und hielten zu Feline trotz der Unterhaltung gebührenden Abstand.
»Ist die Nase gebrochen?«, fragte der Junge.
»Ich glaube nicht«, beruhigte Feline ihn. »So eine alte Nase kann eine Menge ab.«
»Dann ist ja gut«, sagte das Mädchen und stieß ihren Bruder an. »Wir müssen jetzt auch gehen.«
Aber so schnell wollte Feline die zwei nicht ziehen lassen. »Warum seid ihr hier eigentlich so oft an meinem Garten? Und wie heißt ihr überhaupt?«
Die beiden zuckten schuldbewusst zusammen.
»Also, wir dürfen hier gar nicht sein«, stammelte das Mädchen. »Ich bin Jelda, und das ist mein Bruder Jonte. Wir … wir waren … nur so …«
»Auf dem Weg nach Tjarkswarf«, ergänzte Jonte.
»Aha, dann lauft ihr hier also öfter ganz zufällig vorbei?«, hakte Feline nach. So einfach wollte sie die kleinen Spürnasen nicht davonkommen lassen. Schließlich lungerten sie seit Tagen ständig vor ihrem Haus herum.
»Ja, passiert halt«, gab Jonte widerwillig Auskunft.
»Interessiert ihr euch für meine Tiere, für die alte Kate, oder denkt ihr wie die Typen eben, ich hole gleich meinen Besen aus der Kammer und dreh eine Runde über die Salzwiesen?«
Mit Letzterem hatte Feline wohl mitten ins Schwarze getroffen, denn Jelda und Jonte senkten betreten den Blick.
»Also, man sagt ja in Tjarkswarf, dass Sie …«
»Ich bin Feline, also bitte du«, unterbrach sie Jonte.
Der gab sich einen Ruck.
»Gut, es wird erzählt, dass du tatsächlich mit dem Besen fliegst und dich auch mit den Tieren unterhältst. Alle warten darauf, dass sich deine Kate zur Weihnachtszeit in ein Lebkuchenhaus verwandelt.«
Jelda nickte vorsichtig.
Feline wiegte den Kopf. »Besen fliegen kann ich nicht, da muss ich euch enttäuschen. Und ein Knusperhaus klingt super, weil es praktisch und lecker wäre, nur wird das auch nichts werden. Aber mit Martin, Anton und Fritz rede ich. Das stimmt. Leider«, sie feixte, »bekomme ich keine Antworten, weil ich die Tiersprache entgegen sämtlichen Gerüchten leider nicht kann. Weder Füchsisch noch Rehisch oder Igelisch.«
Jelda kicherte los. »Wie redet denn ein Igel?«
Feline seufzte. »Das wüsste ich eben auch gern. Vielleicht weiß das jemand aus Tjarkswarf, der mir genau das zutraut?«
»Also bist du doch gar keine …?« Jelda sprach das Wort nicht aus.
Feline schüttelte den Kopf. »Auch wenn alles glaubt, ich wäre die Hexe aus Hänsel und Gretel, stimmt es nicht. Meine Tiere mögen mich allerdings und sind ein kleines bisschen zahm. Mit oder ohne Reden.« Ihr wurde langsam kalt. »Wollt ihr euch davon überzeugen, dass ich die Wahrheit gesagt habe?«, fragte sie. »Wo ihr doch dauernd kommt und nachschaut, ob ihr einen Beweis finden könnt?«
Jelda zögerte, aber Jonte machte einen beherzten Schritt auf das Gartentor zu. Das Mädchen blieb noch immer wie angewurzelt stehen.
»Das wissen Sie? Dass wir öfter kommen?«, fragte die Kleine dann.
»Natürlich. Ich habe ein feines Gespür. Das brauche ich auch, wenn ich meine Tiere versorge. Da merke ich doch, wenn man mich beobachtet.«
Die zwei senkten die Köpfe. Sie fühlten sich offenbar ertappt.
»Wir sind wohl etwas zu neugierig«, meinte Jelda. »Aber es war spannend, zuzusehen, wenn du im Garten all die Sachen zurechtgelegt hast. Als der Kamin so kräftig qualmte, haben wir geglaubt …«
»Die Menschen erzählen dumme Geschichten«, sagte Feline. »Man darf niemals alles glauben, hört ihr?«
Jonte stand noch immer am Gartentor und schien die ganze Zeit darüber nachzudenken, ob Feline die Wahrheit sagte.
Die beschloss, sich davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.
»Ich kann euch gerne alles zeigen.« Sie winkte, aber noch immer blieben die Kinder an Ort und Stelle stehen. »Das Heu da drüben ist für Martin, so heißt der junge Rehbock. Ich habe ihn im Sommer auf dem Feld gefunden, ein Mähdrescher hat ihn verletzt. Nun lebt er zwar wieder draußen, aber er besucht mich jeden Abend und holt sich sein Futter ab.«
Jetzt erntete sie doch neugierige Blicke.
»Sicher, dass es nicht Rudolph ist?«, fragte Jelda.
»Rudolph? Wer ist Rudolph?«, hakte Feline sofort nach.
»Das Rentier mit der roten Nase«, erklärte das Mädchen. Dann begann sie zu singen. »Rudolph, the Red-Nosed Reindeer … Du musst ihn doch kennen, weil du mit dem Weihnachtsmann befreundet bist und der ihn vor seinen Rentierschlitten gespannt hat. Der leuchtet ihm doch.«
»Ach der.« Davon hatte Feline tatsächlich schon was gehört. »Nein, leider kann ich damit ebenfalls nicht dienen. Zu mir kommt nur Martin. Seine Nase ist wunderbar schwarz. Aber sie glänzt, wenn auch nicht als Leuchte.«
»Schade!« Jelda wirkte ein wenig enttäuscht, gab aber nicht auf. »Ich dachte ja nur, dass er vielleicht ausgebüxt ist. Und der Weihnachtsmann sich freut, wenn das Rentier zu dir kommt.«
»Hey, Jelda, Martin ist ein Reh und kein Rentier«, warf Jonte ein. »Das ist ein himmelweiter Unterschied.«
Feline trat einen Schritt beiseite. »Es ist kalt, ihr könnt wirklich reinkommen. Mein Kamin ist an, und wir müssen nicht frieren. Dann erzähle ich euch auch von Hajo, den ihr den Weihnachtsmann nennt.«
»Er ist ja unser Postbote«, wusste Jelda.
»Genau. Er trägt in Horumersiel, Tjarkshusen und Tjarkswarf Briefe und Pakete aus«, bestätigte Feline.
Jonte und Jelda warfen sich unsichere Blicke zu, entschieden sich dann offensichtlich, Feline zu vertrauen, und betraten den Garten.
»Wir gucken allerdings lieber nur hier draußen«, meinte Jonte.
»Gut, dann schaut euch um. Hajo ist übrigens mein bester Freund.« Nicht nur mein bester, sondern auch mein einziger, fügte sie in Gedanken hinzu. Aber das wollte sie jetzt vor den Kindern nicht thematisieren. »Viele von euch denken, er ist der Weihnachtsmann, weil er auch ohne den roten Mantel eine frappierende Ähnlichkeit mit ihm hat«, erklärte sie. »Aber ich kann allen versichern: Er trägt nur die Post aus.«
»Ich glaube trotzdem, dass er der Weihnachtsmann ist«, erklärte Jelda. »Er sieht einfach so aus.«
Irgendwie fand Feline es rührend, dass die Kinder sich den Glauben erhalten wollten.
»Dürfen wir jetzt die Futterstellen sehen?«, fragte Jonte, und Feline war froh, sich wieder auf sicherem Terrain bewegen zu können.
»Natürlich. Dahinten ist Martins Raufe. Er kommt meist in der Dämmerung zum Fressen!«
»Für wen ist die Schale mit dem anderen Futter?«, fragte Jonte.
»Die ist für Anton. Das ist ein junger Fuchs, den ich ebenfalls aufgezogen habe, weil er von einem Motorrad angefahren wurde. Er ist genauso einsam wie ich und sehr dankbar, dass ich ihn nicht vergessen habe. Streicheln lässt er sich allerdings nicht mehr. Kaum war er gesund, wollte er die Freiheit wiederhaben. Mit allem, was dazugehört. Ich habe eine Sondergenehmigung, sonst dürfte ich weder ihn noch Martin füttern. Es sind Wildtiere, das ist verboten. Weil sie bei mir aufgewachsen sind, habe ich eine Ausnahme bekommen.«
Jelda legte den Kopf schief. »Dahinten in der Ecke steht ein kleines Haus, und darüber ist ein Schild. Die Schrift konnten wir nicht entziffern. Wer wohnt da? Etwa der Weihnachtswichtel? Wenn schon kein Rudolph hierherkommt.«
Feline lachte auf. »Nein, mein Wichtel Enno wohnt bei mir im Haus. Da draußen schnarcht Fritz.«
»Fritz?«, kam es wie aus einem Mund.
»Das ist ein Igel, der in meinem Garten seinen Winterschlaf hält. Den werdet ihr erst im Frühling wieder zu Gesicht bekommen. Er schläft tief und fest.«
»Cool«, sagte Jelda. Sie drehte verlegen eine ihrer Locken.
»Wollt ihr nicht doch reinkommen und Ennos Haus ansehen?«
Nun trat Jelda erschrocken einen Schritt zurück auf die Straße und traf dabei den Fuß ihres Bruders. »Nein, lieber nicht. Wir gehen nie zu Fremden ins Haus. Das darf man nicht!«
»Richtig, das darf man nicht«, wiederholte Feline mit trauriger Stimme. »Ihr könnt ja eure Eltern mal fragen, ob ihr mich besuchen dürft.«
Jelda schaute zu ihrem Bruder, der nickte unmerklich.
»Wir wohnen in Tjarkswarf, das ist nicht weit«, sagte er dann, und seine Schwester fügte hinzu: »Allerdings können wir nur unsere Mutter fragen. Papa ist Kapitän und fährt mit einem riesigen Containerschiff herum. Er ist Weihnachten nicht da. Und im letzten Jahr war er es auch nicht.«
Das klang ziemlich traurig, aber Feline hakte lieber nicht nach.
»Dann wünsche ich euch noch viel Spaß. Wie ich sehe, habt ihr heute eure Schlitten dabei. Dann noch viel Freude beim Schlittenfahren. Am Deich ist es jetzt bestimmt toll. Liebe Grüße an eure Mutter, und bis vielleicht ganz bald.«
»Wir gehen jetzt wirklich noch ein bisschen Schlittenfahren.« Die beiden winkten und machten sich auf den Weg.
Feline schaute ihnen nachdenklich hinterher.
Kurz darauf kam Hajo zu Fuß angelaufen. Er wirkte etwas bedrückt. »Ich mag den Winter nicht. Schon gar keinen Schnee. Die Pakete und Briefe liegen in den jeweiligen Kästen. Ich habe nun frei und wollte mol vorbeikieken.«
»Wie kann man ein solches Wetter denn nicht mögen?«, fragte Feline. »Wenn ich es mir recht überlege: Ich hätte glatt Lust, zu rodeln!«
»In deinem Alter!« Hajo gab sich entrüstet, aber da war plötzlich noch etwas anderes in seiner Miene, das Feline nicht zu deuten wusste.
Sie ignorierte ihr merkwürdiges Gefühl. »Wer rastet, der rostet. Wir müssen unsere alten Knochen gut in Bewegung halten.«
Hajo überlegte einen Moment. In ihm arbeitete es sichtlich. Welchen Kampf er genau focht, konnte Feline nicht sagen. »Rodeln?«, wiederholte er. »Ernsthaft?«
»Ja, was ist daran so schwer zu verstehen?«, fragte Feline.
»Warum eigentlich nicht?«, rang Hajo sich schließlich ab. »Du hast ja recht. Warum nicht mal etwas Ungewöhnliches tun. Etwas, das wir längst vergessen haben. Könnte nach all der Zeit mal wieder Spaß machen.«
Feline klopfte ihrem Freund auf die Schulter.
»Im Schuppen steht noch so ein altes Teil. Wenn wir die Kufen schmirgeln, müsste es gehen. Der Deich ist nicht so hoch, sodass es für die kurze Abfahrt ausreichen wird.«
»Dann lass uns den Schlitten flottkriegen!«, schlug Hajo vor.
»Jo, man tau!« Feline war froh, dass er eingewilligt hatte. »Das Ding steht im Holzverschlag hinter dem Rasenmäher. Magst du ihn holen? Ich mache uns rasch eine Thermosbuddel mit Tee.«
»Den Schuss nicht vergessen!«
Hajo stapfte durch den Garten zum Schuppen, und Feline huschte ins Haus.
Ach, was für eine Aussicht, mit dem Schlitten den Deich hinunterzupesen.
Die Straßen waren spiegelglatt, und so kamen Feline und Hajo nur langsam voran, denn am besten konnte man dreihundert Meter weiter kurz vor Tjarkshusen Schlitten fahren, weil der Deich dort in eine Wiese ohne Zaun überging und kein Straßenverkehr zu erwarten war.
Hajo hatte die Kufen abgeschmirgelt und gewachst, sodass sie wenigstens etwas Speed am Deich haben würden. Doch er war weiterhin ungewöhnlich schweigsam.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte Feline.
Er grinste schief und sagte lapidar: »Ach, so ein Schlitten weckt Erinnerungen. Früher hatte ich auch einen. Als lüttje Jung.«
»Vielleicht ist es ja dein alter, und ein Weihnachtswichtel hat ihn in meinen Schuppen gezaubert, damit du in deinen Kindheitserinnerungen schwelgen kannst!« Feline stupste ihn an, aber Hajo blieb weiter verschlossen und konnte über ihren kleinen Witz kein bisschen lachen. »Deine Tochter hatte einen moderneren, oder?«
»Jou!«
Was war nur mit Hajo los?
Feline zuckte mit den Achseln und schaute dann eben selbst mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen in den klarblauen Winterhimmel. Sie freute sich auf die nächsten Stunden, die ihr die Einsamkeit hoffentlich ein wenig vertreiben würden. Sie wollte richtig Spaß und Freude haben!
An der Rodelstrecke war mächtig was los. Fast alle Kinder aus Tjarkswarf und zum Teil aus Horumersiel waren zum Schlittenfahren da, und auch viele Eltern waren gekommen. Die sonstige Stille am Deich wurde von lautem Kreischen durchbrochen.
Sogar der muffelige Ino Tjarks und seine Frau Gerda – sie hatten im letzten Sommer auf ihre alten Tage geheiratet, und sie hatte dennoch ihren Mädchennamen beibehalten – waren da. Sie hatten allerdings ein wahres Monster von Schlitten mitgebracht. Es sah aus wie Marke Eigenbau. Ino tönte laut genug herum, dass sein Geschoss von niemandem zu toppen war.
»Von dem Typen lassen wir uns nicht einschüchtern«, erklärte Hajo plötzlich und wurde munterer. Er war nicht gerade der beste Freund von Ino Tjarks. »Wir haben unser kleines Teil, und damit wirst du wunderbar den Deich hinabschießen.«
»Das ist Leben pur!« Feline strahlte, stutzte aber, weil sie durchaus das Wörtchen du vernommen hatte. Hauptsache, das war kein Versprecher, denn sie wollte nicht allein hinuntersausen, sondern freute sich auf das gemeinsame Erlebnis.
Feline atmete tief durch und genoss das Lachen, den Übermut und den Anblick der vielen bunten Anoraks, die wie Farbkleckse auf dem Weiß aussahen.
So sah Fröhlichkeit aus und hörte sich Glück an!
Hajo gab sich wieder wortkarg und warf ständig finstere Seitenblicke zu Ino.
»Dem wirst du es zeigen«, grummelte er finster.
Wieder dieses Du!
Ihr Freund schleppte den alten Schlitten, dessen Metallkufen zu einer ganzen Rundung gebogen waren, auf die Deichkrone und wartete, bis Feline auch angekommen war.
»Und ab dafür!«, sagte er. »Nun kannst du runterdüsen.«
»Ich?«, fragte Feline dann doch. »Wir wollten zusammen Schlitten fahren!«
»Das war deine Auslegung«, meinte Hajo. »Ich gucke lieber zu!«
Feline stemmte die Fäuste in die Hüften. »Moment: Das kann nicht dein Ernst sein!«
»Doch, klar! Ich fahre auf meine alten Tage keinen Schlitten mehr. Nienich. Seitdem …« Hajo winkte ab.
»Der Weihnachtsmann traut sich nicht!«, rief Ino provozierend und wartete, bis Gerda wieder hinter ihm auf dem Schlitten saß. Sie drückte den Hut auf die grauen Locken und gab Ino ein Zeichen, loszufahren.
»Mann. Das ist echte Power«, sagte Hajo. »Warum muss der Typ immer ganz vorn mitmischen? Er ist ein echter Angeber und seine Frau eine Tratsche. Noch schlimmer ist ihre Freundin Theda, aber die ist ja nun weg und weilt in Übersee oder so. Leider gibt es deswegen diese Bäckerei mit den Horumersieler Deichspringern nicht mehr. Was aber auch der einzige Verlust ist.«
»Ich bin nicht hier, um mit dir über die da zu diskutieren«, sagte Feline. »Ich möchte Spaß haben, und den vermisse ich. Ich will auch nicht allein Schlitten fahren. Möchtest du wirklich nicht?«
»Nein«, kam es knapp, aber so bestimmt, dass Feline kein weiteres Mal fragte. Sie fand es zwar schade, dass Hajo ein solcher Spielverderber war, aber wenn er nicht wollte, dann würde sie es eben allein tun und sich die Freude nicht von ihm vermiesen lassen.
»Okidoki, du Miesepriem«, sagte sie. »Ich mach mir jetzt den Spaß, und du bewachst den Tee mit Rum. Aber nur unter einer Bedingung.«
»Die wäre?«
»Die allerletzte Tour fährst du mit! Versprochen?«
»Ick kann ok lopen.«