Mein Körper und ich - Freund oder Feind? (Klett-Cotta Leben!) - Hanne Seemann - E-Book

Mein Körper und ich - Freund oder Feind? (Klett-Cotta Leben!) E-Book

Hanne Seemann

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Beschreibung

Die der Print-Ausgabe beiliegende Audio-CD finden E-Book-Leser als Download auf www.klett-cotta.de mit einem Downloadcode, der im E-Book angegeben ist. Sie sind »organisch gesund«, haben aber dennoch unerträgliche Schmerzen oder ein anderes körperliches Leiden? Dann sollten Sie lernen, die Sprache Ihrer Symptome zu entschlüsseln. Aus ihrem reichen Wissen über das feine Zusammenspiel von Körper und Psyche berichtet Hanne Seemann, - wie funktionelle Störungen entstehen - was Symptome mitteilen können - und vor allem: wie die Freundschaft mit dem eigenen Körper wiederhergestellt werden kann. Übungen auf der beigelegten Hör-CD erleichtern die praktische Umsetzung.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 175

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HANNE SEEMANN

Mein Körper und ich –Freund oder Feind?

Psychosomatische Störungen verstehen

Impressum

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2013 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Cover: © Beau Lark/Corbis

Bilder innen: S. 12 © una knipsolina/photocase.com, S. 42 © Rui Vale de Sousa/Fotolia.com, S. 86 © mys/photocase.com

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-86035-1

E-Book: ISBN 978-3-608-10514-8

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Hinweis zum Download von Zusatzmaterialien und Informationen

Zusatzmaterialien zu diesem Buch (Audio-CD) können Sie als Dateien herunterladen, wenn Sie auf www.klett-cotta.de das E-Book suchen und dort diesen Downloadcode eingeben: 6JFÖ9FSR

Schnelleinstieg

Werden Sie selbst zum Experten Ihrer StörungWie Sie Ihre Form der Balance findenAus dem Takt?Rhythmusprobleme erkennenWissen Sie eigentlich, wie es Ihnen geht?Besser mit sich selbst in Kontakt kommenAngespannt und unbeweglich – wenn Kopf und Rücken schmerzenVöllig übersteuert – Migräne, Asthma, PanikattackeErschöpfungszustände überwindenTraumaspurenAlles hat seine Zeit – mit dem Lebensbogen gehen

Inhalt

Vorwort

Einführung

TEIL I: ALLGEMEINE ERKLÄRUNG UND BERATUNG

1.Eine psychosomatische Störung – was ist das?

2.Was wollen die Symptome sagen – und zu wem?

3.Der Organismus ist intelligent – wie ist das zu verstehen?

4.Das Ich und sein Körper – Freund oder Feind?

5.Ist Kranksein gesund? – Unterbrechungen sind erwünscht

6.Mir fehlt etwas – wie finde ich es heraus?

TEIL II: RHYTHMUSSTÖRUNGEN

1.Gefühlsblindheit – die Angewohnheit, ausschließlich nach draußen zu schauen

2.Anspannung, Unbeweglichkeit, Erstarrung – wie man chronische Rückenschmerzen, Spannungskopfschmerzen oder gar Fibromyalgie bekommen kann

3.Total aus dem Ruder – wie die Dynamik von Migräne, Asthma, Panikattacken verständlich wird

4.Chronische Erschöpfung – wie gerät man in den Burnout und wieder heraus?

5.Wenn der Körper sich erinnert – nichts geht verloren: das Gute nicht, das Schlechte nicht

TEIL III: DER LEBENSBOGEN

1.Wie psychosomatische Störungen auf Entwicklungsaufgaben hinweisen

2.Gegensätze und Balance

Literatur

AUF DEN AUDIO-FILES DES DOWNLOADS (SIEHE IMPRESSUM) FINDEN SIE:

Ungehorsamkeits-Regel: Sie haben die Wahl!

Entspannungsübung

Der gute Ort: Wo die Seele wohnt

Sich Schützen: Der Mantel, Der Regenschirm

Tun und Lassen: Die Grasinsel

Abwarten: Der Garten

Vorwort

Das Seelische hat eine unmittelbare Entsprechung im Körper.

Hans-Peter Dürr, Wir erleben mehr, als wir begreifen

Vor 12 Jahren kam das Buch »Freundschaft mit dem eigenen Körper schließen. Über den Umgang mit psychosomatischen Schmerzen« in der Reihe »Leben lernen« heraus (Seemann 1998). Es hat seither eine breite Leserschaft gefunden, nicht nur unter den Ärzten und Psychotherapeuten, die Schmerzpatienten behandeln. Es hat auch vielen Patienten geholfen, ihre »unerklärlichen« Symptome zu verstehen und wieder loszuwerden – indem sie sich aufmachten, mit ihrem Körper, und das heißt letztlich mit sich selbst, in gutem Einvernehmen zu leben.

In diesen Jahren habe ich selbst sehr viel mehr therapeutische Erfahrungen gesammelt und dabei das psychosomatische Konzept, das der Behandlung funktioneller Störungen zugrunde liegt, weiter präzisiert, sodass es nun leichter zu verstehen und zu handhaben ist.

Insofern fühle ich mich ermutigt, mich mit diesem Ratgeber direkt an betroffene Patienten zu wenden. Auch deshalb, weil es sich gezeigt hat, dass die »eigentliche« Therapie von den Betroffenen selbst getan wird – wir Professionellen können sie nur beraten und ein wenig an die Hand nehmen. Das will dieser Ratgeber tun. Auch beschränkt sich der »gute Rat« nun nicht mehr nur auf psychosomatische Schmerzen, sondern kann auf alle möglichen – auch auf die eigentlich unmöglichen – funktionellen Störungen angewendet werden. Das Vorgehen ist einfach zu verstehen, was man von den Symptomen meist nicht behaupten kann, und immer nützlich: was ich weiter unten erklären werde.

Psychosomatische Störungen – ich verwende den Begriff synonym zu funktionellen Störungen bzw. Symptomen – sind immer ein Hinweis darauf, dass mit dem Lebensweg, den einer gerade geht, etwas nicht stimmt. Dass man vielleicht ein wenig vom eigenen Pfad abgekommen oder schon eine ganze Weile völlig in die Irre gegangen ist, ohne es selbst zu merken. Die meisten Menschen, jung oder alt, gehen in ihrem Leben tapfer voran, oftmals nach dem Motto: »Da musst du durch!«, wenn es gerade mal wieder nicht ganz einfach ist. Sie haben gar keine Zeit zu merken, dass es vielleicht gar nicht mehr ihr eigenes Leben ist, das sie da leben (müssen). Da hat der Organismus, der ja »seinen« Menschen, mit dem er zusammenlebt, gut kennt, gar keine andere Wahl, als ihm ein Symptom zu schicken, das ihn empfindlich stört, das sein Weitergehen unterbricht, das ihn aufmerksam macht und, wenn es sein muss, einen Richtungswechsel erzwingt.

In diesem Sinn lade ich Sie ein, mithilfe dieses Ratgebers wieder Freundschaft mit Ihrem Körper zu schließen, sodass er seine vermeintlich feindlichen Attacken aufgeben kann und Sie beide über kurz oder lang wieder in gutem Einvernehmen durch das Leben wandern.

Allen meinen Patienten, die sich (zu)getraut haben, diesen Weg zu gehen, den Ärzten und Psychotherapeuten, die ihre Patienten in diesem Sinn beraten haben, und denen, die mir Rückmeldung und Ermutigung gegeben haben, danke ich sehr. Die Geschichten, die Patienten von sich erzählt haben und die ich –ein wenig verändert – weitererzähle, machen den eigentlichen Inhalt dieses Buches aus. Sie sind das Ergebnis einer Sichtweise auf gelingendes Leben, von der es sich lohnt zu lernen. Denn, wie mein sehr geschätzter Kollege Burkhard Peter zu sagen pflegt: Als Psychotherapeuten sollten wir dafür sorgen, dass unsere Patienten sich selbst eine akzeptable oder sogar gute Geschichte über ihr Leben erzählen können.

Danken will ich auch und nicht zuletzt meiner Lektorin Dr. Christine Treml, die mich all die Jahre wohlwollend begleitet hat und auf deren kritischen Blick ich mich immer verlassen konnte –dafür bin ich ihr außerordentlich dankbar.

Heidelberg, im Herbst 2010

Einführung

Dies ist ein Handbuch für Patienten und solche, die es nicht werden wollen. Auch für Eltern, Lehrer, Ärzte, Psychotherapeuten, die dafür Sorge tragen möchten, dass die ihnen Anvertrauten rechtzeitig merken, wann ein Richtungswechsel auf ihrem Lebensweg, oder auch nur in ein paar kleineren Aspekten ihres Lebens, angesagt wäre. Aufmerksamkeit ist also gefordert. Wohin, worauf? Auf den Körper, in dem sich die Symptome – die psychosomatischen bzw. funktionellen Störungen, um die es hier geht – abspielen. Sie heißen zu Recht psychosomatisch, weil die Psyche – was immer das sein mag – ein Wörtchen dabei mitzureden hat. Die meisten Leute irritiert es, wenn der Begriff psychosomatisch fällt. Denn erstens fühlt sich das Symptom überhaupt nicht psychisch an – im Gegensatz zu Panik, Angst, Trauer, Glück –, sondern ganz und gar körperlich. Ja, es tarnt sich geradezu wie ein echtes Körpersymptom und ist von einem solchen auch erst einmal nicht zu unterscheiden. Außerdem sind die Übergänge fließend, und kein Mensch weiß definitiv, ob hinter Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Hautausschlag, Neurodermitis, Haarausfall, Halsschmerzen usw. körperliche oder psychische Ursachen stecken.

Wie bei Sylvia. Sie war damals, als ich sie sah, 13 Jahre alt – und sie fiel von einer Ohnmacht in die andere. Wobei man nicht einmal definitiv von Ohnmacht sprechen konnte – niemand wusste, was da los war, sie fiel einfach öfter mal um. Meistens morgens in der Schule, auch, wenn sie mit ihren Freundinnen unterwegs war, auch in der Familie. Sie hatte zwei Geschwister, einen jüngeren Bruder, eine ältere Schwester – beide, wie man so sagt, »unauffällig«. Sie hatte eine Mutter, die in einem Wirtschaftsunternehmen an bedeutender Position arbeitete, und einen Familien-Vater, der zu Hause war. Beide Eltern waren »Akademiker«, was der behandelnde Arzt, der mir Sylvia zuwies, mit einem inneren Kopfschütteln anmerkte: Er, selbst Akademiker, konnte sich wohl nicht so recht vorstellen, wie ein Mann dieses Bildungsstatus Hausmann sein mochte. Dabei war das in dieser »symptomatischen« Zeit ein Glück! Der Vater konnte es sich leisten, morgens, während seine Tochter im Klassenzimmer saß, draußen vor der Tür zu sitzen. Wenn sie mal wieder – was mehrmals in der Woche oder sogar mehrmals am Vormittag vorkam – umgefallen war und also nicht saß, sondern dalag, konnte man ihn rufen. Er trug sie hinaus, wartete, bis sie zu sich gekommen war und wieder hineingehen konnte. Das verhinderte, dass der Unterricht längere Zeit unterbrochen war, dass der Notarztwagen gerufen werden musste, dass Sylvia im Krankenhaus wieder und wieder durchgecheckt wurde. Das hatte schon viele Male stattgefunden und nichts ergeben. Keine Kreislaufstörung, keinen epileptischen Anfall, keine neurologischen Erklärungen – eben nichts. Deshalb also zum Psychologen mit der Frage: Handelt es sich hier etwa um eine psychosomatische Störung? Ja, davon sollte man ausgehen.

Die Geschichte erzähle ich später weiter.

So gehen die Wege immer und so sollen sie gehen: Zuerst müssen mögliche körperliche Ursachen abgeklärt werden – und das dauert leider so seine Zeit. Weil, wie oben schon gesagt, das Symptom sich »tarnt«, als wäre es körperlich. Es ist ja auch körperlich: Der Körper inszeniert es, und mit körperlichen Symptomen kennt sich der Körper eben gut aus – so einfach ist das. Für den Körper. Nicht jedoch für die betroffene Person, die zunächst einmal irritiert ist und Angst bekommt, und auch nicht für den diagnostizierenden Arzt, der nur eine sogenannte Ausschlussdiagnose stellen kann – indem er körperliche Ursachen ausschließt.

Früher hat man es damit bewenden lassen, indem der Arzt sagte: Sie haben nichts, machen Sie sich keine Sorgen, treten Sie vielleicht ein bisschen kürzer, körperlich ist alles in Ordnung, achten Sie nicht weiter darauf usw. …

Das war ein schlimmer und gleichzeitig widersinniger Fehler. Denn wie sich zeigen wird: Wenn man eine psychosomatische Störung nicht beachtet, wird sie schlimmer oder es kommen noch andere hinzu. Was sagt uns das? Nicht wegschauen – hinschauen!

Deshalb soll als erstes erklärt werden, was das ist: eine psychosomatische Störung und wie man sie verstehen und beantworten kann. Das nimmt den ganzen ersten Teil des Buches ein.

Im zweiten, spezielleren Teil gehe ich auf Besonderheiten ein, aus denen sich dann auch besondere Schlüsse für den Umgang mit einer solchen Störung ziehen lassen. Wenn Sie ein Patient, eine Patientin sind, dann können Sie sich in diesem Teil denjenigen Abschnitt heraussuchen, der auf Ihre Beschwerden am besten zutrifft.

Oder sie blättern gleich weiter zum Schluss: zum Lebensbogen. Der geht wieder jede und jeden etwas an.

TEIL I:

Allgemeine Erklärung und Beratung

1.Eine psychosomatische Störung – was ist das?

2.Was wollen die Symptome sagen – und zu wem?

3.Der Organismus ist intelligent – wie ist das zu verstehen?

4.Das Ich und sein Körper – Freund oder Feind?

5.Ist Kranksein gesund? – Unterbrechungen sind erwünscht

6.Mir fehlt etwas – wie finde ich es heraus?

1.Eine psychosomatische Störung – was ist das?

Wenn es keine echte Körperstörung ist, sie sich aber körperlich bemerkbar macht, man sie nicht sehen (Röntgen, Ultraschall, EEG, EKG, MRT, CT etc.) und nicht analysieren (Laborwerte) kann, wie kann man ihr dann beikommen? Indem man zuallererst einmal akzeptiert, dass nur der betroffene Mensch einen Zugang zu ihr hat: Er kann sagen, wie es ihm geht, und diejenigen, die er deswegen um Rat fragt, sollten zuhören und ihm oder ihr Glauben schenken. Denn Menschen, die etwas haben, was keiner versteht, fühlen sich nicht selten als Simulanten verdächtigt oder vermuten selbst, sie wären nicht ganz normal im Kopf.

Man nennt die psychosomatischen Störungen auch funktionell. Damit ist gemeint, dass körperliche Funktionen gestört sind – in den körperlichen Strukturen ist nichts kaputt, worüber man sich schon mal freuen kann. Aber dem betroffenen Menschen geht es schlecht.

Es stimmt zwar, dass eine funktionelle Störung einen Menschen nicht umbringt, wenigstens nicht gleich – weshalb sich die Medizin lange Zeit nicht damit abgeben mochte. Sie zerstört aber längerfristig die Lebensfreude, das Wohlbefinden, die Schaffenskraft, die Lust am Dasein – weshalb es sehr wichtig ist, sich mit ihr zu befassen, zumindest für die, die davon betroffen sind, und das ist meist auch das soziale und familiäre Umfeld.

Wenn man eine Sache nicht dinglich zu fassen kriegt, wenn es auf die Frage: Eine psychosomatische Störung – Was ist das? keine vernünftige Antwort gibt, wenn man allenfalls sagen kann, was sie nicht ist: nämlich nicht organbedingt, dann sollte man die Frage anders stellen. Dann ist es am besten zu fragen, welchen Sinn, welche Funktion sie hat, und schon wird die Angelegenheit einfach und durchsichtig: Eine funktionelle bzw. psychosomatische Störung hat den Sinn bzw. die Funktion, den Menschen, der sie hat, zu stören. Sie erzwingt Aufmerksamkeit. Sie sagt: Schau her, hier stimmt etwas nicht!

2.Was wollen die Symptome sagen – und zu wem?

Psychosomatische Symptome finden im Körper statt, der Körper ist ihr Austragungsort, man könnte auch sagen, die Bühne, auf der die Störung sich zeigt. Ihr Regisseur ist die Psyche. Ihr Adressat ist die Person, die in dem Körper wohnt. Sie ist angesprochen, sie soll hören, verstehen und antworten. Das mutet zunächst einmal seltsam an, weil wir denken, wir seien eine Einheit – manche sagen Ganzheit –, ein Individuum, was so viel heißt wie: unteilbar.

Das trifft zu, solang alles in Ordnung ist. Dann nämlich spielen alle Funktionen – es sind unendlich viele – in einem komplexen Netzwerk zusammen, und es stellt sich gar nicht die Frage: wer bin ich – und wenn ja, wie viele? Das nennt man Gesundheit – wenn alles in Ordnung ist –, ein Wohlbefinden, das sich nicht durch eine »laute« Symptomatik kundtut, sondern einen unauffällig begleitet und tun lässt, was man möchte, weshalb der große Heidelberger Philosoph Hans-Georg Gadamer (1993, S. 144) von der »Verborgenheit« der Gesundheit gesprochen hat. »Trotz aller Verborgenheit kommt sie aber in einer Art Wohlgefühl zutage, und mehr noch darin, dass wir vor lauter Wohlgefühl unternehmungsfreudig, erkenntnisoffen und selbstvergessen sind und selbst Strapazen und Anstrengungen kaum spüren – das ist Gesundheit.«

Gesundheit könnte man auch vergleichen mit einem sehr großen Orchester, das scheinbar mühelos oder gar virtuos seine Musik spielt. Man hört sie, aber ihre »Herstellung« ist gewissermaßen verborgen – sie gelingt nur im Zusammenspiel. Auch bei einem Orchester spricht man von einem Klang-Körper. Da sind die einzelnen Stimmen aufeinander bezogen, kommunizieren miteinander, stimmen sich miteinander ab – ein Spiel eben.

Wenn da einmal ein einzelnes Instrument, nehmen wir an, die Flöte, im Tempo nicht mehr mitkommt oder falsche Töne spielt oder nicht mehr weiß, wo die Musik spielt, und einfach mal aussetzt, dann bemerkt man das vielleicht gar nicht – die Flöte setzt ein bisschen später wieder ein und alles geht weiter. Oder aber das ganze instrumentale Umfeld erschrickt, kippt weg, hört auf zu spielen, und, wenn das ein gewisses Ausmaß erreicht, dann muss abgeklopft und neu eingesetzt werden.

Ähnlich ist es im Körper des Menschen: Das geglückte Zusammenspiel von Zellen, Organen, Muskeln, Hormonen vermittelt uns das Gefühl von ungestörter Einheit. Wenn aber eine Funktion gestört ist, dann sagen wir: Mein Rücken oder mein Kopf tut mir weh. Meine Beine tragen mich nicht, wohin ich gehen will. Mein Gehirn gehorcht mir nicht – es rückt den Namen nicht heraus, den ich gerade brauche. Meine Schulter verweigert mir das Fensterputzen, obwohl es doch so nötig wäre.

Dann spürt man, dass man einen Rücken, einen Kopf, Arme und Beine hat. Da sind wir plötzlich zu zweit: Mein Körper und ich. Der Körper meldet sich – unangenehm. Wenn er vermeldet, dass er sich wohlfühlt, achten wir oft nicht darauf – außer, wir bezahlen gerade viel Geld für ein Wellness-Wochenende. Nun aber schickt er uns eine Botschaft, auf die wir achten müssen, weil sie uns stört, und zwar an der Stelle, die wir gerade am wenigsten brauchen können. Die Symptome sagen nämlich: So geht es nicht weiter! Und genau das ist die Botschaft: innehalten!

Die meisten Leute erschrecken in diesem Moment und denken: Was habe ich falsch gemacht? Und das ist der zweite Fehler – nach dem Weggucken –, den sie an dieser Stelle machen können: Denken Sie also in eine andere Richtung. Und zwar konsequent!

Wir machen nämlich dauernd etwas falsch, wir können gar nicht alles richtig machen, und wenn wir das Symptom mit einem bestimmten Fehler in Zusammenhang bringen: Wer sagt uns, dass es der richtige Fehler ist und nicht ein anderer verantwortlich ist? Und was ist, wenn sich der »Fehler« gar nicht vermeiden lässt, wenn er einfach zu Ihrem Leben dazugehört? Und wo kämen Sie denn hin, wenn Sie Ihr Leben mit Fehlervermeidung zubringen müssten?

Nehmen wir einmal an, Sie haben gerade ein bis zwei pubertierende Kinder im Haus, Ihr Hund hat einen Bandscheibenvorfall, Ihr Mann ist nie da, wenn Sie ihn brauchen, der Kuchen war zu lang im Ofen und ist angebrannt, und das Reisebüro sagt die Ferien ab, auf die Sie sich so sehr gefreut haben – wegen Unwetter in der Region –, und Sie kriegen einen Hexenschuss. Dann wissen Sie vermutlich: Das war jetzt zu viel!

Viele Patienten, die wiederkehrende Rückenschmerzen oder Spannungskopfschmerzen haben, sagen: Zurzeit ist es einfach zu viel. Und wenn man nachsieht, was es ist, dieses zu viel, dann stellt sich heraus, dass das meiste davon banal und nicht vermeidbar ist. Einfach das ganz normale Leben. Aber der Körper reagiert darauf und will so nicht weitermachen. Er ist ziemlich unmoralisch, und gutes Zureden oder Versprechungen, dass es ja nicht mehr lang so weitergehen wird – nur noch ein paar Jährchen –, will er nicht hören. Er jammert und quält und verweigert sich. Und wenn Sie sich und ihn trotzdem zwingen, kann es passieren, dass er eines Morgens sagt: Geh du heute mal allein zur Arbeit, ich bleib im Bett.

Was machen Sie dann? Ich sage es Ihnen: Bleiben Sie bei ihm, machen Sie sich einen ruhigen Tag und denken Sie über Ihr Leben nach. Und fragen Sie nicht: Was ist falsch in meinem Leben?

Vermutlich würden Sie sagen: zu viel Stress!

Zu wenig Stress wäre aber auch nicht gut – fördert zum Beispiel die Demenz. Denn davon können Sie schon mal ausgehen: Das Leben ist (und war schon immer) hart, und Stress ist nachweislich nicht schädlich, sondern setzt Entwicklungen in Gang!

Stellen Sie also einfach die richtige Frage, und zwar direkt an Ihren Körper, Sie dürfen ihn duzen. Die Frage heißt:

Was brauchst du, damit du wieder ungestört – und ohne mich zu stören – funktionieren und dich wohlfühlen kannst?

Dafür müssen Sie zuerst einmal einen freundlichen Kontakt mit Ihrem Körper herstellen – das kennt er womöglich nicht und schrickt zusammen, dann erst fragen Sie ihn und horchen, was er Ihnen antwortet.

Dafür können Sie die beiden ersten Übungen auf der CD benutzen: Ungehorsamkeitsregel und Entspannungsübung.

Und dann geben Sie ihm das Versprechen, dass er bekommt, was er braucht. So einfach ist das! Der Rest des Buches beschäftigt sich damit, wie das geht und mit einem ganz normalen Leben vereinbar ist.

Aber zunächst will ich erklären, wie so eine Funktionsstörung entsteht und was sie sagen will. Dafür komme ich auf die Geschichte von Sylvia zurück.

Sylvia fiel also immer wieder einfach um und war weg – das heißt, sie war natürlich körperlich sichtbar da, aber ohne Bewusstsein. Als ich sie fragte, wie lang sie denn weg sei, bis sie wieder zu sich käme, sagte sie: Das weiß ich doch nicht! – und hielt das zu Recht für eine dumme Frage. Wenn sie wieder da war, war alles ungestört und normal – daran kann man eine Funktionsstörung erkennen: Manchmal funktioniert alles normal, manchmal nicht.

Die richtige Frage lautet also: Wo und wann funktioniert es (das Leben) gut? Wo und wann bist du sicher, dass du nicht umfällst bzw. wegtrittst? Sylvia: »Ich falle niemals um, wenn ich allein bin!« Das ist schon mal beruhigend. Wenn sie umfiel, war immer jemand da – meistens fing sie auch jemand auf, sodass sie sich nicht wehtat.

Das ist das Schöne an psychosomatischen Störungen: Sie wollen einen nicht umbringen. Wenn Sylvia jederzeit und unsystematisch umgefallen wäre, wäre sie gefährdet gewesen, zufällig einmal vor die Straßenbahn zu fallen und überfahren zu werden – da hätten wir besorgt sein müssen! Das Umfallen passierte ihr aber sehr oft, wenn Leute dabei waren: in der Schule, zusammen mit ihren Freundinnen, auch bei Weihnachtseinkäufen mit der Familie: Da lag sie dann, im Kreise ihrer Familie und anderer herumstehender Zuschauer, vor dem Eingang zum Kaufhaus auf dem Boden, bis sie wieder zu sich kam und die Einkäufe weitergehen konnten. Ich beschreibe das so plastisch, damit Sie sich ein Bild davon machen können: So eine Störung stört, unterbricht und ist nicht angenehm. Sehr unangenehm ist sie aber nicht für Sylvia selbst – sie kriegt wenig davon mit. Es stört sie eher, dass es die anderen stört. Wenn sie allein ist passiert das nicht! (Es gibt Psychologen-Kollegen, die an dieser Stelle sagen würden: Genau das ist die Funktion dieser Störung: Das Mädchen will nur auffallen und Zuwendung haben. Vergessen Sie es!) Auf die Frage, was denn für sie der Unterschied sei zwischen allein sein und mit anderen sein, sagte sie: »Mit den anderen, also in der Schule zum Beispiel, das wird mir dann oft zu viel! Das zerrt so an einem herum: Mach dies, mach das, schau hierher usw. Waren Sie schon mal mit Ihrer Familie zu Weihnachten einkaufen? Das ist ganz unmöglich! Da kann ich mich nicht konzentrieren. Auch mit meinen Freundinnen: die eine will dahin, die andere will ganz was anderes – also, das ist nichts für mich.«