Mein Leben für mein Kind - Karin Bucha - E-Book

Mein Leben für mein Kind E-Book

Karin Bucha

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Beschreibung

Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt. Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht. Wie ein gefangenes Tier lief Udo Reimer in seinem Zimmer hin und her. Eine merkwürdige Unruhe hielt ihn gepackt, die er nicht loswerden konnte. Er ging von Zimmer zu Zimmer, ruhelos, unschlüssig, blieb hier stehen, rückte an einem Gegenstand und stellte ihn gedankenlos an einen verkehrten Platz. Vor dem hohen Spiegel in der Diele des abseits gelegenen Hauses, das er unlängst gemietet hatte, blieb er stehen und betrachtete sich aufmerksam. Etwas wie Ekel packte ihn. Zerstört das einst so schöne Gesicht. Ein Zug von Überdruß und Leichtsinn um den Mund. Die Augen von unzähligen Falten umsäumt und glanzlos, wie ausgebrannt. Die Gestalt ausgemergelt – etwas nach vorn geneigt. Das war er, Udo Reimer, der Mann, der sein Leben in vollen Zügen genossen und der nichts als Unruhe um sich verbreitet hatte, der sich auch nicht viel daraus gemacht hatte, wenn er mit den Gesetzen in Konflikt gekommen war. Er war gegen alles grenzenlos gleichgültig geworden. In den Kreisen der Lebewelt war er eine bekannte Erscheinung, und nur in den Bars erwachte er für ein paar Stunden zu alter Lebenslust. Abrupt machte er auf dem Absatz kehrt und ging wieder in sein Arbeitszimmer zurück. Vor dem Kamin ließ er sich aufstöhnend nieder. Den Kopf in die Hand gestützt, sann er vor sich hin. Und sein bisheriges Leben rollte wie ein Film vor ihm ab. Ein schönes, reines Frauenantlitz stieg vor ihm auf. Bettina! Sie hatte ihn geliebt, und er hatte sie betrogen, gequält und gedemütigt, bis sie sich voller Verachtung von ihm gewandt hatte. Sein süßes kleines Mädel, seine Angela, nahm sie mit.

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Leseprobe: Eine Bucht in Florida

Tessa will ein paar ruhige Tage im Florida-Urlaub verbringen. Der gut aussehende Typ, der sie in der Hotelbar anspricht, wird ihr schnell sympathisch, sie verliebt sich in ihn. Es handelt sich um Hollywoodschauspieler Johnny, der während Dreharbeiten vor Ort ist. Tessa erkennt ihn zunächst nicht und flüchtet sofort zurück nach München, als sie herausfindet, wer er ist. Sie geht davon aus, dass sie für ihn nur eine nette Abwechslung bei der Arbeit war. Und schließlich wartet da ja auch noch Bernd, ihr Verlobter. Vergessen kann sie Johnny trotzdem nicht ...

Karin Bucha Classic – 8 –

Mein Leben für mein Kind

Karin Bucha

Wie ein gefangenes Tier lief Udo Reimer in seinem Zimmer hin und her. Eine merkwürdige Unruhe hielt ihn gepackt, die er nicht loswerden konnte.

Er ging von Zimmer zu Zimmer, ruhelos, unschlüssig, blieb hier stehen, rückte an einem Gegenstand und stellte ihn gedankenlos an einen verkehrten Platz.

Vor dem hohen Spiegel in der Diele des abseits gelegenen Hauses, das er unlängst gemietet hatte, blieb er stehen und betrachtete sich aufmerksam.

Etwas wie Ekel packte ihn. Zerstört das einst so schöne Gesicht. Ein Zug von Überdruß und Leichtsinn um den Mund. Die Augen von unzähligen Falten umsäumt und glanzlos, wie ausgebrannt. Die Gestalt ausgemergelt – etwas nach vorn geneigt. Das war er, Udo Reimer, der Mann, der sein Leben in vollen Zügen genossen und der nichts als Unruhe um sich verbreitet hatte, der sich auch nicht viel daraus gemacht hatte, wenn er mit den Gesetzen in Konflikt gekommen war.

Er war gegen alles grenzenlos gleichgültig geworden.

In den Kreisen der Lebewelt war er eine bekannte Erscheinung, und nur in den Bars erwachte er für ein paar Stunden zu alter Lebenslust.

Abrupt machte er auf dem Absatz kehrt und ging wieder in sein Arbeitszimmer zurück. Vor dem Kamin ließ er sich aufstöhnend nieder.

Den Kopf in die Hand gestützt, sann er vor sich hin. Und sein bisheriges Leben rollte wie ein Film vor ihm ab.

Ein schönes, reines Frauenantlitz stieg vor ihm auf.

Bettina!

Sie hatte ihn geliebt, und er hatte sie betrogen, gequält und gedemütigt, bis sie sich voller Verachtung von ihm gewandt hatte. Sein süßes kleines Mädel, seine Angela, nahm sie mit.

Er hatte ihr damals Rache geschworen, weit entfernt davon, sich an den Geschehnissen selbst die Schuld zuzuschreiben, und er hatte Rache an ihr genommen, grausame Rache. Dem Mann, dem sich ihr scheu gewordenes Frauenherz zum zweiten Mal in Liebe zugeneigt, hatte er nach einem Verkehrsunfall die Hilfe verweigert. Er war gestorben, und er – Udo – hatte ins Gefängnis gehen müssen.

Nun! Er hatte auch das überstanden.

Er hatte sich vorgenommen, nie wieder Bettinas Weg zu kreuzen. Aber ernst genommen hatte er den eigenen Schwur nicht. Er hatte immer wieder Freude daran gefunden, sie zu quälen, bis – ja – bis Nora in sein Leben getreten war. Ihr war er rettungslos verfallen. Aber mit ihr konnte er nicht so umspringen wie mit der gefügigen und unerfahrenen Bettina.

Nora hatte ihm mit gleicher Münze heimgezahlt. Sie hatte in Dr. Helmer, dem schwerreichen, rastlos tätigen Manne, einen wahren Freund gefunden, der alles für sie regelte.

Reimer sah sich in dem Zimmer um. Alles, was hier zusammengetragen war, hatte Nora ihm großzügig überlassen, weil Dr. Helmer, dessen Frau sie längst war, es so gewollt hatte.

Er hatte sich mit Geld abfinden lassen müssen.

Noch jetzt stieg die Wut in ihm wie eine Fackel empor. Diese Demütigung wurde er nie vergessen.

Er hatte das Geld genommen und mit vollen Händen wieder ausgegeben. Nichts vermochte er zu halten. Alles zerrann ihm zwischen den Fingern.

Geld – und Glück!

Bettina! Sie hatte kein so glückliches Los getroffen. Oder doch? Sie lebte im Hause Dr. Hersfelds und betreute dessen einzigen Sohn, bei dessen Geburt die geliebte Frau, die Bettinas beste Freundin gewesen war, das Leben lassen mußte. In ihm hatte sie einen guten Freund, wenn nicht noch mehr gefunden.

Aber sie lebte nur für ihr Kind, für Angela.

Seine Angela. Was aus ihr geworden sein mochte?

Er riß sich aus seinen Betrachtungen heraus und kleidete sich zum Ausgehen um.

Wenig später verließ er das Haus. Etwas von der alten Energie schien in ihm zu erwachen. Es galt, ein Geschäft mit dem Freund Kraner zum Abschluß zu bringen.

Schließlich konnte er nicht mehr länger in den Tag hineinleben. Diese Gelegenheit, auf leichte Weise Geld zu verdienen, wollte er sich nicht entgehen lassen, und so war er froh, den erdrückend wirkenden Mauern seines Hauses entfliehen zu können.

Merkwürdig, daß er gerade heute so an die Vergangenheit erinnert wurde, wo er doch jahrelang nichts mehr von Bettina und seiner Tochter gehört hatte.

Just, als er in Begleitung seines Freundes Kraner dessen Haus verließ, um den Wagen zu besteigen, ging ein entzückendes, blutjunges Mädchen dicht an ihm vorüber, bei dessen Anblick er wie angewurzelt stehenblieb.

»Bettina!« murmelte er geistesabwesend. Sofort wurde ihm klar, daß er seinem Kind, seiner Angela, begegnet war.

Genau wie Bettina einst ausgesehen, als sie ihn in den Bann geschlagen hatte, so mußte er nun sein Kind wiedersehen. Schön, lieblich – und ernst.

»Menschenskind«, riß ihn die Stimme des Freundes in die Wirklichkeit zurück, »kennst du die Kleine?«

»Ja«, erwiderte er kurz und hart. »Das war meine Tochter aus erster Ehe.«

An diesem Tag blieb er schweigsam und suchte am zeitigen Abend sein Heim auf.

Unablässig wanderte er von Zimmer zu Zimmer.

Er genoß keinen guten Ruf, darüber war er sich klar. Aber – es war durchaus nicht ausgeschlossen, daß er an der Seite Angelas noch einmal glänzen konnte.

Ihm war nicht entgangen, daß um das Mädel dieselbe natürliche Vornehmheit wehte wie einst um ihre Mutter. Etwas, man konnte es schlecht mit Worten bezeichnen, umgab Angela, was gefangennahm.

War er nicht Angelas Vater? Wer wollte es ihm verwehren, wenn er sich mit ihr traf, sich an ihrer Seite sehen ließ? Mit wieviel Stolz konnte er dann sagen:

»Meine Tochter!«

Er sonnte sich förmlich in diesen beiden Worten. Nur an sich dachte er, nicht an das junge Menschenkind, das wohlbehütet in einer reinen Umgebung zu einem innerlich sauberen Geschöpf herangewachsen war.

Wo konnte er ihr unauffällig begegnen? Zunächst hieß es, Erkundigungen einziehen, und das tat er sofort, am nächsten Tag schon.

Was er erfuhr, befriedigte ihn noch mehr. Angela hatte soeben das letzte Schuljahr auf dem Gymnasium begonnen.

Man konnte demnach ein zufälliges Zusammentreffen herbeiführen.

Reimer hatte vorläufig für nichts anderes mehr Sinn als für seinen neuen Plan, und dazu war ihm Angela gerade recht.

*

Angela hatte in Susanne Poller eine wahre Freundin gefunden, sehr zum Groll von Inge Ahnert. Nie würde diese es Angela vergessen, daß Susanne zu dem verhaßten Mädchen übergewechselt war.

Angela war viel zu unbefangen und harmlos, um den tiefen Haß zu spüren. Sie kannte keine schlechten Gedanken und suchte sie demnach auch bei anderen nicht, am wenigsten bei ihren Kameradinnen.

Sie gab sich offen und herzlich. Das war nicht zuletzt Susanne Pollers Verdienst, die durch ihren Übermut die ernste Angela mit fortriß.

Angela verließ einmal nicht in Begleitung Susanne Pollers die Schule, da diese mit einer leichten Erkältung zu Bett lag.

Sie schlug auch nicht sofort den Heimweg ein, sondern ging der Straßenbahn-Haltestelle zu, um zu Susanne zu fahren und dieser das Aufgabenheft zu bringen.

Sie schaute nachdenklich zum Fenster hinaus und hatte dabei das unangenehme Gefühl, daß sie unausgesetzt angestarrt wurde.

Endlich wandte sie den Kopf und blickte auf ihr Gegenüber. Da war ihr, als müsse ihr Herz aussetzen. Jetzt neigte sich der Mann etwas zu ihr herüber und flüsterte:

»Angela – liebe, kleine Angela!«

Um Angela begann sich alles zu drehen, die Menschen, die bunten Plakate…

Sie riß sich zusammen. Sie war doch keine Zimperliese! Zaghaft streckte sie die Hand aus, aber sie konnte doch nicht verhindern, daß sie zitterte, als sie diese in die ihres Vaters legte.

»Angela! Hast du keinen Willkommensgruß für deinen Vater?«

Angelas Lippen waren wie versiegelt, und heftig zog sie ihre Hand zurück. Groß und weit waren ihre Augen auf das Gesicht des Mannes geheftet, der ihr so fremd war wie die Menschen, die um sie waren.

»Was willst du von mir?« stieß sie mit größter Überwindung hervor.

»Das läßt sich nicht ohne weiteres erklären.« Er sah sich nach etwaigen neugierigen Blicken um. In der Tat, man wurde bereits aufmerksam auf das ungleiche Paar. Auf den eleganten Mann mit den verlebten Zügen und das blutjunge, bildschöne Geschöpf, dem der Widerwillen allzu deutlich auf dem Gesicht geschrieben stand.

»Kannst du nicht ein etwas freundlicheres Gesicht machen, Angela? Man wird schon aufmerksam auf uns. Hier ist überhaupt nicht der geeignete Ort. Darf ich dich begleiten – oder schämst du dich deines Vaters?«

Am liebsten hätte Angela ihm ein »Ja« ins Gesicht geschrien, um ehrlich zu bleiben. Aber zugleich sah sie die Mutter vor sich, mit ihrem jetzt allzeit glücklichen, zufriedenen Gesicht, und das gab den Ausschlag.

»Komm«, sagte sie mit rauher Stimme. »Ich lege das letzte Stück zu Fuß zurück, und du kannst mich begleiten.«

Reimer vermochte ihr kaum zu folgen, und als die Bahn hielt und er ihr behilflich sein wollte, zog sie ihren Arm heftig zurück, als fürchte sie seine Berührung. Leichtfüßig sprang sie hinab und hastete dem Fußsteig zu.

»Was hast du mir zu sagen? Bitte, mach es kurz!« sagte Angela fast herrisch, ohne ihr Gesicht zu wenden.

Reimer fühlte, wie ihm das Blut in die Schläfen stieg. Die Zeit war nicht stehengeblieben. Aus dem scheuen Kind war ein selbstbewußtes junges Mädchen geworden, das mit klaren Augen durch die Welt ging.

Etwas wie Mutlosigkeit wollte ihn überkommen. Würde es ihm heute noch gelingen, Angela zu täuschen? Würde sie heute noch auf den einsamen, verlassenen Vater hereinfallen? Konnte er heute noch auf Mitleid rechnen? Oder mußte er sich umstellen?

Wenn er nur eine Ahnung hätte, wie Angela am leichtesten zu nehmen wäre!

Wie zur Bestätigung seiner Gedanken hörte er Angela völlig teilnahmslos sagen:

»Ist dieses Zusammentreffen Zufall – oder hast du es absichtlich herbeigeführt?«

»Absichtlich«, erwiderte er vorsichtig tastend.

Sie verzog die Lippen spöttisch.

»Willst du damit sagen, daß dich die Sehnsucht nach München getrieben hat? Etwa die Sehnsucht nach – mir?«

»Ich wohne in München!«

Heißes Erschrecken lief über ihre Züge.

Er empfand etwas wie Genugtuung darüber. Und doch – es war ein ekelhaftes Gefühl zu wissen, das eigene Kind wünschte ihn weit fort. Eine Welle von Feindseligkeit strömte von dem jungen, schönen Geschöpf zu ihm. Und er hatte doch das größte Anrecht auf dieses Mädchen! Er war ihr Vater, und wenn sie mit noch so verschlossenem Gesicht neben ihm herlief.

»Seit wann?« riß ihre Frage ihn aus seinen Überlegungen.

»Schon längere Zeit. Du meinst, ich hätte mich schon früher melden sollen? Größere Reisen hielten mich teilweise von hier fern. Nun gedenke ich mich aber auszuruhen.«

»Und dabei hast du dich meiner erinnert?« fragte sie mit einem verächtlichen Unterton.

»Auch das«, gab er zu. »Und wie geht es dir?«

»Danke, gut«, kam es schroff zurück. »Mutti hat immer rührend für mich gesorgt.«

»Soll das ein Vorwurf gegen mich sein?« fragte er gereizt.

Angela zuckte nur die Achseln. Sie konnte kein wärmeres Gefühl, nicht mal das der Achtung, für ihn aufbringen. Er war ihr fremd, völlig fremd und gleichgültig. Hatte sie ihn zu fürchten? Konnte er ihr und Mutti irgend etwas anhaben? Fest stand nur, daß Mutti nichts von dieser Begegnung erfahren durfte, damit sie nicht beunruhigt wurde.

»Wohin willst du eigentlich?« Er lachte leise auf. »Ich laufe neben dir her wie ein geduldiger Liebhaber. Dabei läßt es sich wenig gemütlich unterhalten. Wollen wir nicht irgendein Café aufsuchen?«

Angelas Gesicht wurde noch herber und verschlossener. Sie sah die breite, von Kastanien umsäumte Villenstraße hinunter.

»Hier gibt es keine Cafés«, spöttelte sie. »Gottlob! Ich habe außerdem überhaupt keine Zeit.«

»Keine Zeit für mich«, versetzte er, ohne beleidigt zu sein. »Du kannst schon ehrlich zu mir sein. Ich weiß, daß ich nach so langer Zeit wenig Entgegenkommen von dir erwarten kann.«

Unweit von Susanne Pollers Heim blieb Angela stehen. Hier wollte sie keinesfalls mit dem Vater gesehen werden. Es hätte nur unliebsame Fragen ergeben, und denen wollte sie unter allen Umständen ausweichen.

»Willst du mir nicht lieber ehrlich sagen, was du von mir willst?«

Gezwungen lachte er auf.

»Merkwürdige Frage, Angela. Was soll ein Vater schon von seiner Tochter wollen! Sie doch wohl nur sehen und sprechen. Ich glaube, du begegnest mir mit reichlich viel Mißtrauen, liebes Kind.«

»Ich habe bisher so gut leben können – ohne Vater. Und an deine erwachten väterlichen Gefühle kann ich nicht glauben. Du hättest viel früher Gelegenheit gehabt, sie mir zu zeigen, wenn du gewollt hättest. Heute muß ich dir sagen, was du mir inzwischen geworden bist – ein Fremder, nicht mehr.«

»Angela!« rief er bestürzt und betrübt »Ich hatte angenommen, die Jahre hätten dich versöhnlicher gestimmt gegen mich.«

»Ich trage keinen Haß gegen dich im Herzen, ich sagte dir schon, du bist mir fremd geworden.«

»Dann gib mir Gelegenheit, dir näherzukommen«, drängte er und haschte nach ihrer Hand, die sie ihm ein paar Sekunden überließ, dann aber verlegen zurückzog.

Ihr junges Gesicht trug einen mehr unglücklichen als erfreuten Ausdruck.

»Du mußt entschuldigen«, sagte sie verwirrt. »Das ist so ungewöhnlich für mich. Warum drängst du dich in mein Leben? Ich habe dich bis jetzt nicht vermißt. Mutti war und wird immer die erste und einzige in meinem Herzen sein. Leb wohl! Freude habe ich nicht empfinden können über dieses Zusammentreffen.«

»Angela!« rief er hinter ihr her, aber die schlanke Mädchengestalt hastete einfach vorwärts, ohne sich umzudrehen.

»Verdammt!« murmelte er zwischen den Zähnen. Unschlüssig sah er hinter ihr her. Sollte er ihr nachlaufen? Sich ein zweites Mal von ihr abweisen lassen?

Donnerwetter! Sie hatte mehr Schneid, als er vermutet hatte. Also war sie nicht so sanftmütig wie ihre Mutter!

Bettina! Hatte nicht aus jedem Wort Angelas tiefe Liebe und Verehrung zu der Mutter gesprochen? Wenn er hier nun einen Anknüpfungspunkt fand? Sicher würde sie das Wiedersehen verschweigen.

Langsam wandte er sich zum Gehen. Ganz so zwecklos war die kurze Unterhaltung für ihn nicht gewesen! Nur ein bißchen Geduld hatte er aufzubringen, mehr nicht. Oh, er würde sein Ziel noch erreichen, frohlockte er. Wenn sie auch jetzt noch widerspenstig war, um so mehr war er im Vorteil, wenn es ihm gelang, sie gefügig zu machen.

Viel, sehr viel versprach er sich davon. Angela kam langsam in das heiratsfähige Alter. Er würde sie schon zu überzeugen wissen, daß er um ihre Zukunft besorgt war und sie möglichst schnell und vorteilhaft verheiraten wollte. Die Beziehungen, über die er verfügte, hatte Bettina sicherlich nicht. Nur mußte er schlau vorgehen und sich nicht verraten, daß er dabei am meisten Nutzen ziehen wollte.

Mit einem sehr selbstsicheren und zufriedenen Lächeln trat er den Rückweg an.

Er hatte Zeit, sehr viel Zeit sogar. Das Leben gewann jetzt erst wieder an Reiz für ihn, seit ihn die Sache mit Angela so beschäftigte.

Kraner hatte auch schon mehrmals nach Angela gefragt. Er schien sich gewaltig für das Mädel zu interessieren.

An der nächsten Kraftdroschken-Haltestelle nahm er sieh einen Wagen und ließ sich zu seinem Heim fahren. Dabei spielte er mit dem Gedanken: Wie wäre es, wenn er sich wieder einen Wagen zulegte? Man konnte nebenbei bemerken, daß man es nur Angela zuliebe getan hatte. Entschieden würde er damit auf das Mädel Eindruck machen, und vorläufig ging es ihm ja nur darum.

Er war überrascht, als er sein Heim betrat, Kraner in der Diele, in eine Zeitschrift vertieft, vorzufinden.

»Du bist jetzt recht viel unterwegs«, begrüßte dieser ihn und legte das Blatt aus den Händen.

»Ich habe sehr viel vor«, gab Reimer ausweichend zur Antwort und reichte dem Hausmädchen Hut und Mantel. »Bringen Sie uns eine Flasche und Gläser auf mein Zimmer!« befahl er und nahm den Weg nach seinem Herrenzimmer, das sehr elegant und behaglich ausgestattet war.

Der riesige Schreibtisch war zwar völlig überflüssig in dem Raum, denn er diente Reimer nicht zu ernster Arbeit. Die gab es nicht in seinem Leben. Dafür aber luden gemütliche Ecken zum Ausruhen ein.

Beim Fenster ließen sich die beiden Männer nieder und versorgten sich mit Zigaretten.

»Nimmt dich deine Tochter eigentlich so sehr in Anspruch?« brach Kraner das Schweigen.

Reimer nickte. »So ist es.«

»Weshalb hast du sie denn nicht mit hierhergebracht?« forschte Kraner weiter.

Ein merkwürdiger Blick traf ihn aus Reimers Augen.

»Nun ja, sie gefällt mir«, bekannte der. In Reimers Augen blitzte es auf. Aha! Also hatte er richtig getippt! Kraner war verliebt in Angela.

Blitzschnell überschlug er, was ihm daraus für Vorteile erwachsen könnten. Rudolf Kraner war zwar vorläufig noch sehr von seinem Vater abhängig, denn der Alte hielt das Steuer fest in den Händen. Aber als einziger Sohn wurde er doch einmal Besitzer der Kraner- Werke.

»Das glaube ich, Angela gefällt noch anderen außer dir«, meinte er leichthin.

»Du hast wohl bereits eine passende Partie für das Mädel ausgesucht?« fragte Kraner in atemloser Spannung.

»Ich?« Reimer tat erstaunt. »Wie käme ich dazu? Angela ist mir ziemlich fremd geworden. Überdies ist das Mädel mit größter Vorsicht zu genießen.«

Überrascht beugte sich Kraner vor.

»Du stehst nicht besonders gut mit ihr? Das ist schade!«

Reimer merkte, daß er eine Dummheit begangen hatte. Er versuchte, das seltsam anmutende Verhältnis zu erklären.

»Ich war nicht lange mit Angelas Mutter verheiratet, und da sie sehr stolz war und jede Unterstützung für sich und das Kind ablehnte, so viel Mühe ich mir auch gab, wurde mir auch die Gelegenheit aus der Hand gewunden, das Mädel von Zeit zu Zeit zu sehen. Außerdem befand ich mich viel auf Reisen. Du warst ja zugegen, als der Zufall mir Angela in den Weg führte. Es hat mich sogar peinlich berührt, eine so erwachsene Tochter zu haben…«

»Vor allem eine so schöne«, warf Kraner begeistert ein. »Du wirst das Interesse an ihr doch nicht wieder fallenlassen?«

»Das gewiß nicht«, erwiderte Reimer und dachte an seine Pläne. »Nur nicht so eilig, lieber Freund. Angela ist stolz und unnahbar. Ich muß mit größter Vorsicht vorgehen. Wenn ich nur wüßte, wie ich sie an mich fesseln könnte!«

»Schenk ihr ein Auto«, meinte Kraner.

Reimer lachte hellauf.

»Gar nicht so übel, nur habe ich anders disponiert mit meinen Geldern.«

»Das ist doch das wenigste«, wehrte Kraner ab. »Wenn du willst, stell ich dir meinen Wagen zur Verfügung. Das Mädel braucht es ja vorläufig nicht zu erfahren. So etwas macht immer Eindruck auf junge Mädchen.«

»Das würdest du tun?« fragte Reimer ungläubig.

»Für deine Tochter – ja! Ich sagte dir schon, sie gefällt mir.«

»Danke!« sagte Reimer kalt. »Für einen Flirt ist mir das Mädel wirklich zu schade!«

»Wer sagt denn das!« brauste Kraner beleidigt auf. »Man hat doch lange genug von den Freuden des Lebens genippt. Mein Vater würde eine solche Schwiegertochter bestimmt mit Kuß-hand aufnehmen. Ich glaube, er würde sogar dich als Zugabe mit in Kauf nehmen…«

Reimer sprang so heftig in die Höhe, daß Kraner jäh abbrach.

»Sehr großmütig von dir und deinem Alten«, stieß er zornbebend hervor. Mit einer fahrigen Bewegung warf er die angerauchte Zigarette in die Schale, lief ein paarmal durch das Zimmer und blieb dann mit blassem Gesicht vor dem Überraschten stehen. Mit einem verachtungsvollen Blick maß er die schon etwas zur Fülle neigende Gestalt des Mannes, von dem er angenommen hatte, daß er ihm ein Freund geworden war. Er betrachtete ihn wohl erstmalig mit kritischen Augen. Zehn Jahre jünger als er mochte Kraner sein, aber er sah bedeutend älter aus mit seinen schwammigen, energielosen Zügen und den Tränensäcken unter den Augen.

Nur eine tadellose Garderobe erweckte auf den ersten Blick den Anschein echter Jugendlichkeit.

Wenn auch die Kraner-Werke mit ihrem Weltruf hinter ihm standen und somit eine glänzende, aussichtsreiche Zukunft, Reimer kroch es doch wie Frösteln über den Rücken, stellte er sich Angela, das unerfahrene, bildschöne Geschöpf, neben Kraner vor, dessen Skrupellosigkeit er zur Genüge kennengelernt hatte. Und nun eröffnete er ihm auch noch in zynischer Offenheit, daß er ihn als lästige Zugabe betrachtete!

»Du scheinst dir deiner Sache bereits sehr sicher zu sein, mein Lieber«, spöttelte er in einem Ton, der sogar den Mann, dem die Worte galten, aus seinem Phlegma riß. »Leider hast du dich verrechnet. Ich verzichte auf die hohe Ehre, mit dir in ein verwandtschaftliches Verhältnis zu kommen. Schließlich hat auch meine Tochter ein wenig Anrecht auf Jugend, und die hast du ja längst hinter dir. Nee, mein Bester, so habe ich mir die Sache nicht vorgestellt. Gottlob habe ich hier auch ein Wort mitzureden, und ich kann dir nur sagen, deine Aussichten sind verdammt schlecht.«

Kraner saß mit hochrotem Gesicht da und biß auf seiner Unterlippe herum. Da hatte er sich entschieden im Ton vergriffen.

»Ich habe noch gar nicht gewußt, daß du auch empfindlich sein kannst. Na«, er versuchte einen gutmütigen, versöhnlichen Ton anzuschlagen, »so böse habe ich’s ja nicht gemeint. Du wirst es dir überlegen. Schließlich sind die Kraner-Werke ein nicht zu verachtender Faktor, und mein Alter hat auch nicht das ewige Leben. Ein Direktorposten wäre dir sicher.«

»Danke!« erwiderte Reimer kalt. »Ich bin kein Köter, den man schlagen kann und dem man dann einen Leckerbissen vor die Nase hält. Jedenfalls falle ich darauf nicht herein, das sollst du wenigstens wissen, auch daß ich ganz andere Pläne mit meiner Tochter habe.«

Reimer trat ans Fenster und beachtete seinen Besucher nicht mehr, so daß sich dieser wohl oder übel verabschieden mußte. Er tat es mit einem verlegenen Lächeln und glich eher einem dummen Jungen als einem selbstsicheren, gewandten Weltmann.

»Menschenskind, Reimer, du hast mich ja wirklich vollständig falsch verstanden!«

»Schon gut – schon gut«, wehrte Reimer mit einer ungeduldigen Handbewegung ab. »Wir verstehen uns sogar sehr gut.«

»Wiedersehen, Reimer! Du wirst wieder von mir hören«, sagte Kraner von der Tür her. »Soviel mir bekannt ist, will Vater die Vertretung in Baden-Baden neu vergeben. Ich hatte dich vorgeschlagen.«

»Sehr liebenswürdig«, erwiderte Reimer höhnisch. »Habe aber jedes Interesse daran verloren. Meine Anwesenheit ist hier viel, viel nötiger.«

Ohne Händedruck, mit einer gegenseitigen knappen Verbeugung, schieden die beiden voneinander.

Als Reimer allein war, begann er wieder seine unruhige Wanderung. »Lockmittel!« preßte er grimmig hervor und lachte rauh auf.

*

Bettina hatte die letzte Hand an das Mittagsmahl gelegt und gab das Gemüse für Klein Klausi auf den Teller, als sie Angela endlich heimkommen hörte.

Sie lächelte und wartete, bis das Mädel zu ihr gelaufen kam, um lachend zu fragen, was es zu essen gäbe, aber Angela kam nicht. Frau Bettina lauschte auf die sich entfernenden Schritte und verließ dann mit dem Tablett die Küche.

Sicher ist Angela sofort in das Kinderzimmer gegangen, dachte sie, während sie die Treppe hinaufstieg.

Doch auch da war Angela nicht.

Klein Klausi streckte vom Schoß des Kinderfräuleins die dicken Ärmchen verlangend nach ihr aus, und sie lächelte dem Kind herzlich zu.

»Tante Bettina!« jubelte Klaus, und er gab nicht eher nach, bis Bettina ihn hochgenommen und herzhaft geküßt hatte.

Beunruhigt verließ Bettina das Spielzimmer wieder und suchte Angela. Sie fand das junge Mädchen in seinem Zimmer. Es saß am Fenster, trug das weiße Mützchen noch auf dem üppigen Haar und hatte die Hände im Schoß verkrampft.

»Angela!« rief sie erschrocken von der Türe her.

Angelas Kopf flog herum; ihr zartes Gesicht erblaßte jäh, als sie die Mutter erblickte.

»Hast du Ärger in der Schule gehabt?« forschte Bettina, langsam näher kommend.

»Ach nein, Mutti«, wehrte Angela ab, legte aber nicht wie sonst ihre Arme um der Mutter Hals, sondern machte sich an ihrer Schulmappe zu schaffen. »Mir geht nur eine Arbeit im Kopf herum – weiter nichts.«

Es gelang ihr, gleichmütig auszusehen. Und den nachdenklichen Zug, der auf Angelas Zügen haftete, kannte Bettina schon.

»Das muß allerdings eine sehr schwierige Arbeit sein, Kind, wenn du darüber das Mittagessen vergißt.«

»Richtig, Mutti«, lachte nun auch Angela und strich sich das etwas wirre Haar aus der Stirn.

Dann hängte sie sich an der Mutter Arm und verließ mit ihr das Zimmer, um im Erdgeschoß das Essen einzunehmen.