Meine Frau hat einen Neuen – und zwar mich! - Michael Witt - E-Book

Meine Frau hat einen Neuen – und zwar mich! E-Book

Michael Witt

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  • Herausgeber: dtv
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Unterschätzen Sie nie einen Mann, der (k)einen Plan hat »It's a Man's World«, sang einst James Brown und die Verhältnisse waren klar geregelt. Doch das ist lange vorbei und die Gewissheit, dass Männer die Welt bewegen, ebenso. An den Mann von heute werden vielfältige Anforderungen herangetragen: Er soll Kinder erziehen (geschlechtsneutral), sich bewusst ernähren (vegan), kochen können, auf seine Figur achten, handwerklich geschickt sein, stark sein, schwach sein, Komplimente machen (keine sexistischen!) und nach Möglichkeit wissen, wer Sophie Passmann ist. Das ist alles viel zu viel? »Ach was«, sagt Michael Witt, »nehmen Sie's wie ein Mann!« Männliche Autorität ist ohnehin längst eine Illusion. Wie heißt es doch: Hinter jedem starken Mann steht eine Frau, die mit den Augen rollt.

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Michael Witt

Meine Frau hat einen Neuen – und zwar mich!

Wie ich ein perfekter Mann wurde

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

FÜR J., F. und A.

EINLEITUNG

Als ich geheiratet habe, lebte James Brown noch. Und er konnte mit vollem Recht behaupten: »It’s a Man’s Man’s Man’s World!« Das war 2006, und heute? James Brown ist tot und die Gewissheit, dass Männer die Welt bewegen, ebenso.

Heute sollen wir Kinder versorgen, gendern, auf Fleisch verzichten, mehr Fahrrad fahren, viel Geld verdienen, schwach sein, stark sein, Sophie Passmann kennen, Komplimente machen (aber nicht sexistisch sein), auf Zucker verzichten, ein Hochbett selber bauen, Yoga machen, die Kinder geschlechtsneutral erziehen, vegan kochen können, irgendwie noch ein Abenteurer sein, die Spinnen (gewaltfrei!) aus dem Kinderzimmer entfernen, ein toller Vater sein, eine coole Sau sein.

Das ist alles viel zu viel? Ach kommen Sie, nehmen Sie’s wie ein Mann! Männliche Autorität ist ohnehin längst eine Illusion. Wie heißt es doch: Hinter jedem mächtigen Mann steht eine Frau, die die Augen rollt.

Aber auf Dauer will man ja nicht nur derjenige sein, der mal wieder schuld ist, oder der mal wieder etwas falsch gemacht hat. Also: Wie soll er das denn nun alles hinkriegen, der moderne Kerl? Es gibt ja Ratgeber für jeden Blödsinn (»Wie man einem großen Schiff ausweicht«, 1982, oder: »Die männliche Art zu stricken«, 1972), aber Ehemänner-Ratgeber gibt’s nicht gerade viele. In älteren Exemplaren (von 1913) heißt es noch mit vollem Ernst: »Sprechen Sie nicht von oben herab mit Ihrer Frau. Sie ist genauso intelligent wie Ihre Kollegen im Büro, sie kann es nur nicht so oft zeigen.« Immerhin: Ein bisschen Verständnis für die Wünsche und Vorstellungen der Frau waren auch schon damals gefragt, und zwar so: »Tragen Sie Ihr Haar und Ihren Schnäuzer nicht in einer Art und Weise, die ihr missfällt.«

Gut, da geht noch mehr.

Ein moderner Ehemänner-Ratgeber würde vielleicht empfehlen: »Liken Sie die Instagram-Posts Ihrer Frau. Auch wenn Sie ihre Selfie-Schnute total affig finden.« Oder: »Achten Sie darauf, dass abends immer noch ein Smartphone-Ladekabel für sie übrig ist.« Oder: »Stalken Sie nicht die Facebook-Freunde Ihrer Frau! Ahem, aber Sie sollten wirklich mal darüber reden, dass sie jetzt einen Tinder-Account hat.«

Aber dies soll kein Ratgeber sein im Sinne von: Machen Sie das, lassen Sie jenes. Das Leben als Mann, als Paar oder als Familie lässt sich nicht in eine Form und schon gar nicht in eine Formel pressen. Familienleben mit Kindern, das ist so planbar wie ein Sommerurlaub zu Corona-Zeiten. Aber Sie können mal ein bisschen durchs Schlüsselloch schauen. Und zugucken, wie ich (mehr oder weniger) in Würde scheitere.

Seit fünf Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema Männlichkeit in modernen Zeiten. Ich muss genauer und einschränkend sagen: Mit Männlichkeit aus Sicht eines weißen, heterosexuellen Manns. Und selbst in diesen wenigen Jahren hat sich schon einiges verändert, nicht zuletzt durch #Metoo, geschlechtergerechte Sprache etc. Mittlerweile frage ich mich sogar: Ergibt es noch Sinn, über »Mein Leben als Mann« zu schreiben? Wo doch schon darüber gesprochen wird, klassische Rollenzuschreibungen gänzlich fallen zu lassen? Ich finde: Ja. Gerade jetzt.

Denn erstens: Mir fehlt die Expertise, wie man sich als Frau fühlt. Okay, meine Frau hilft mir da von Zeit zu Zeit sehr robust auf die Sprünge. Aber das reicht nicht, um wirklich glaubwürdig eine neutrale Sichtweise zu vertreten.

Zweitens: Männer und Frauen ticken noch immer in vielen Bereichen unterschiedlich. Sie sollten in jedem Aspekt des Lebens gleiche Chancen haben, gleiche Grundlagen und ein gleiches Verständnis für ihre Bedürfnisse. Und es gibt Männer, die ihre weibliche Seite selbstbewusst ausleben und genauso andersherum. Aber stecken Sie mal zehn Männer und zehn Frauen in ein Haus und gucken nach zwei Wochen, was passiert ist. Die Frauen hätten wahrscheinlich eine gemütliche Oase des achtsamen Miteinanders daraus gemacht, die von Austausch, spektakulären Kochabenden und gelegentlichen Gefühlsausbrüchen geprägt ist. Die Männer hätten zusammengelegt für eine Playstation 5, Chips und einen Beamer und hätten einen Einkaufsplan gemacht, in den sich nach dem zweiten Tag niemand mehr einträgt.

Ach so, und dann wären wir noch bei drittens: Ich finde Männer gerade spannender. Es gibt so viele glatte Erfolgsgeschichten, aber die Frage, wie Männer tatsächlich mit ihrer erodierenden Herrlichkeit klarkommen, ist doch irre aufregend. Als hätte man einen Logenplatz beim Untergang des Römischen Reichs. Nur dass man selbst mit auf der Bühne steht.

Männer stehen also vor großen Herausforderungen – und damit auch ich. Es gibt ja keine Vorbilder, von denen wir gelernt haben, ein moderner Mann zu sein. Woher auch? Bei der Generation vor uns waren die Anforderungen an Männer: Familie ernähren, nicht weinen, beim Reifenwechsel das gestärkte Oberhemd nicht schmutzig machen und gefälligst vom Zigarettenholen nach Hause kommen!

Das war bei meinem Vater nicht anders, und der hat nicht mal geraucht. Er ist 1936 geboren, kommt also aus einer Generation, die gelernt hat, ihre Gefühle so gut zu verstecken wie die Weihnachtsgeschenke. Wenn er emotional wurde, dann sagte er manchmal unbeholfene Sachen, die dadurch nur umso rührender waren. Als ich geboren wurde (zehn Jahre nach meiner Schwester) saß er weinend am Bett meiner Mutter und sagte: »Jetzt haben wir noch einen in Reserve.«

Kindererziehung und Hausarbeit – sagen wir mal so: legte er vertrauensvoll in die Hände meiner Mutter. Im Gegenzug für das Vertrauen gab’s das beste Stück vom Sonntagsbraten, es ging eben noch alles fein traditionell zu.

Als Kind war ich beeindruckt von seinen Unterarmen, sie waren so dick wie meine Oberschenkel. Er war Schlosser und konnte daher alle möglichen Dinge aus Metall bauen, Treppengeländer, Fenster und unseren langen Gartenzaun. Er konnte aber auch Bodenplatten verlegen, tapezieren und die Schienen meiner Märklin-Eisenbahn verkabeln. Wenn es dann im grünen Audi 80in den Urlaub nach Jugoslawien ging, fuhr er dreizehn Stunden am Stück – die Strecke war er vorher mit dem Zeigefinger im Aral-Straßenatlas Europa abgefahren und hatte sie sich gemerkt. Alles wichtige männliche Kernkompetenzen damals – aber heute nicht mehr im obersten Regalfach zu finden.

Als ich meine Frau kennenlernte, war ich bereits Ende zwanzig, und ich hatte es geschafft, in Berlin vier Wohnungen zu beziehen, ohne jemals eine Lampe anschließen zu müssen. Handwerklich war ich ein mittlerer Totalausfall, einziges Alleinstellungsmerkmal: Ich war in der Lage, Dübel in bröseligen Altbauwänden zu fixieren (Gratis-Tipp: VIEL Moltofill ins Loch, dann mit Dübel trocknen lassen). Immerhin: Ich konnte Koch- von Buntwäsche unterscheiden, Nudeln kochen, Spiegelei braten.

Und ich hatte bereits einen festen Job als Redakteur, obwohl ich das Studium vor allem damit verbracht hatte, mir umfassend unnützes Wissen über Populärmusik anzueignen. Ich kannte mich gut genug mit Filmen aus, um auf Studentenpartys in der Küche über Tarantino mitzuquatschen und war trinkfest genug, um mit meiner Frau mitzuhalten. Es war alles in allem ziemlich exakt das Gegenteil dessen, was mein Vater damals in seine Ehe mitgebracht hat.

Und dennoch: Auch meine Frau und ich sind ganz schnell in die altbewährten Rollenmuster verfallen. Ich habe Vollzeit gearbeitet, sie hat reduziert. Ich war öfter mal einen Tick zu lange im Büro, sie hat alles zu Hause organisiert, sich um die Kinder gekümmert, Arzttermine vereinbart, Geburtstagsgeschenke besorgt, eingekauft und gekocht. Ich war auch voll ausgelastet, ich bin montags in den Getränkemarkt gefahren und habe den Rasen gemäht. Außerdem war ich vollzeitbeschäftigt im Schuldsein, Erledigungenvergessen, Im-Weg-Stehen und Sachen-falsch-Machen. Eine ganz normale Ehe also.

Und heute?

Meine Frau und ich sind seit über sechzehn Jahren verheiratet, wir haben ein Reihenendhaus, einen Jungen, der zwölf Jahre alt ist und ein Mädchen, das neun ist. Ich nenne ihre Namen hier extra nicht, damit später die Klagesumme nicht so hoch ist.

Und es gab in den vergangenen zwei Jahren einige einschneidende Erfahrungen: Ich habe meinen Vollzeitjob aufgegeben und dann war da noch Corona. Eine Zeit also, um vieles auf den Prüfstand zu stellen und die Rollen als Mann und Frau zu überdenken. Und wir haben tatsächlich einiges geändert.

Meine Frau arbeitet jetzt Vollzeit, ich bin selbstständig, also mehr zu Hause – und ich bemühe mich, langsam die alten männlichen Rollenmuster zu verlassen. Aber das ist ein bisschen wie bei Sean Connery. Du kannst machen, was du willst: einmal James Bond, immer James Bond.

Ich mache also weiterhin irre viel falsch: beim Gendern, beim Einkaufen, bei der Ernährung, bei der Erziehung. Ist das schlimm? Nicht unbedingt. Denn was ist schon falsch? Ich sage Ihnen mal was – gut, eigentlich sage nicht ich das, sondern Henry Ford (das war der mit den Autos). Von ihm stammt der Satz »Ich bin nicht gescheitert – ich habe hundert Wege entdeckt, es falsch zu machen.«

Na dann, liebe Entdecker*innen (fällt Ihnen auf, nä?): Kommen Sie mal mit. Auf Sie warten die versammelten Erfahrungen, Erlebnisse, Ärgernisse, Patzer, Pannen, Lächerlichkeiten und vermeintlichen Heldentaten aus 49 Jahren als Mann, 16 Jahren als Ehemann und 12 Jahren als Vater.

MÄNNER UND FRAUEN – PASST DAS WIRKLICH ZUSAMMEN?

Manchmal frage ich mich: Angenommen, meine Frau hätte ihre Interessen und Vorlieben Ende 2002 in die Suchmaske einer Partnerbörse eingegeben – hätte der Algorithmus wohl ausgerechnet mich ausgespuckt?

Ich fürchte: Er hätte mich höchstens in die Ecke gespuckt. Und bevor Sie jetzt denken: Online-Partnerbörsen, so was gab’s damals noch gar nicht. Parship ist im Februar 2001 online gegangen. Wäre also möglich gewesen, schon in der Kartei zu sein. Irgendwo ganz hinten zwischen dem Typen, der mit einem Motorrad zusammenlebt und Rainer Langhans. Und spätestens zum Herbst-Sale 2007 wäre Parship mich alten Ladenhüter gegen gehörigen Rabatt vielleicht losgeworden. Im Sparpaket mit einem Flaconi-Gutschein und einem Kasten Bionade Litschi.

Meine Frau hat zum Glück schon früher zugegriffen, denn sie hatte ja nur einen vagen Eindruck davon, was da auf sie zukommt. Wie die Titanic, die im ersten Moment wahrscheinlich auch dachte: Och, so groß ist der Eisberg gar nicht. Und was sich da alles unter der Wasseroberfläche verbarg, wurde erst später klar.

Oberhalb der Wasserlinie sichtbar war bei mir: 1,86 Meter groß, schlank, relativ breite Schultern, Tickchen zu große Nase, Tickchen zu kleine Ohren, Lachfalten, leichte O-Beine. Ich war außerdem relativ feierfreudig und konnte eine ziemlich lustige Geschichte von meinem damals sieben Jahre alten Neffen erzählen, die mir die Aura eines Mannes verlieh, der einen liebevoll-herzlichen Blick auf Kinder hat. Okay, ich erzähle sie Ihnen auch: Mein Neffe hatte damals Ärger mit seiner Mutter, und in dem Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, hat er sich erst mal in sein Kinderzimmer verkrümelt und sich dann wieder vorsichtig an sie herangetastet. Er ging langsam zu ihr in die Küche und fragte:

»Du, Mama?«

»Jaaaaa, möchtest du etwas?«

»Jaaaaa … – eine Banane.«

»Alles klar, nimm dir doch einfach eine.«

»Aber … – Mamaaa?«

»Ja?«

»Ich will nicht irgendeine Banane. (lange Pause) Ich möchte eine Banane, die so schön ist wie du.«

Raffiniert, oder?

Welches Mutterherz wäre da nicht weich geworden wie eine Zimtschnecke? Und welches Frauenherz hätte da widerstehen können, wenn ihr ein 1,86 Meter großer Ostwestfale leicht angetrunken bei der Weihnachtsfeier so eine Geschichte erzählt?

Die benebelnde Stimmung eines solchen Abends kann ziemlich gut all jene feinen Differenzen zwischen Menschen verwischen, die ein Parship-Algorithmus aufdecken würde – und das ist auch gut so.

Denn ansonsten wäre bei mir damals aufgeflogen:

Längste Beziehung bisher: gerade mal knapp zwei Jahre. Die nächstlängste danach: neun Monate

Kann mit einer Hand klatschen, zeigt das gern und wirkt dadurch wie die B-Besetzung einer Jahrmarkt-Schaubude, bei der die Frau ohne Unterleib gerade ein paar Brückentage nimmt

Seit zwanzig Jahren FC-Bayern-Fan, hält die 80er-Jahre für die schönste Zeit in der Geschichte des Fußballs

Kaut als erwachsener Mann noch Fingernägel

Guckt gern das »Traumschiff«

Kultur-Abend bedeutet für ihn, sich in einer Kneipe mit Musik zu verabreden

Gibt sein Geld in sinnlosem Ausmaß für CDs aus und hat einen versnobten Musikgeschmack. Drei Roland-Kaiser-CDs im Musikregal der Ex-Freundin haben schon zum Beziehungsende geführt

Hat einen spleenigen Aufräum-Fetisch

Wo da die Schnittmenge mit meiner Frau lag? Da muss man schon suchen. Hier erst mal ein paar Unterschiede: Sie hatte eine heimliche Leidenschaft für Trash-TV und Castingshows, die beste Platte aller Zeiten war für sie der Soundtrack zu »Dirty Dancing«, sie liebte kreatives Chaos in der Wohnung und auf dem Schreibtisch, Nase und Ohren waren bei ihr perfekt konfektioniert, sie hatte natürlich schöne Hände und Fingernägel und wirkte durch und durch mutig und zielstrebig.

Bevor wir zusammenkamen, kannten wir uns auch schon drei Jahre, wir hatten unser journalistisches Volontariat gemeinsam absolviert. Wir fanden uns wohl ganz nett, aber es war keine Liebe auf den ersten Blick. Ich war außerdem sicher, dass sie eine Spielklasse höher unterwegs ist als ich, sie war für mich der FC Bayern, ich war Darmstadt 98.

Doch es ist eine Illusion zu glauben, dass man füreinander geschaffen sein muss, dass es eine kosmische Konstellation gibt, die ein Paar schicksalhaft zusammenführt wie Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger. Langzeitstudien in den USA haben ergeben, dass Paare, die sich zu Beginn der Beziehung als Traumpaare bezeichnen, die also den Partner als absoluten Wunschpartner sehen, in dem sie einen Seelenverwandten gefunden haben, keineswegs glücklichere Ehen führen. Ganz im Gegenteil. Denn die anfängliche Euphorie erodiert langsam, aber sicher im Alltagsgeschäft, es wird eine Illusion nach der anderen zerstört, bis die beiden Traumpartner nach sieben Jahren vor dem Scheidungsrichter stehen.

Dagegen gibt es Studien über arrangierte Ehen, die belegen, dass die Zufriedenheit und die Zuneigung über die Zeit wachsen. Die beiden Partner lernen sozusagen, sich zu lieben. Sie lernen, die Andersartigkeit des Partners zu akzeptieren und anzunehmen. Bis man ohne das Schnarchen auf dem Kopfkissen links im Bett gar nicht mehr schlafen kann.

Nicht dass ich jetzt ein Plädoyer für arrangierte Ehen halten möchte. Aber eine gelingende Beziehung braucht nicht unbedingt Gleichheit, ein Mann muss nicht denken wie eine Frau, eine Frau nicht wie ein Mann, um miteinander zu harmonieren. Wichtiger sind gegenseitiger Respekt, ein milder und liebevoller Blick auf die Schwächen des anderen und – ja, gut, ein paar Gemeinsamkeiten dürfen es schon sein.

Die wenigen offensichtlichen Gemeinsamkeiten zwischen meiner Frau und mir waren damals: derselbe Humor, eine gewisse physische Anziehung, Sympathien für den FC Bayern – und Alkohol.

Unterschätzen Sie das nicht, tatsächlich haben Wissenschaftler der Universität Michigan seit 2006 daran geforscht und kamen dann zu dem Ergebnis: Wenn beide Partner in einer Ehe gleiche Trinkgewohnheiten haben, dann sind sie glücklicher.

Klar, denken Sie, wären Sie auch darauf gekommen: Mit ein bisschen Selbstdisziplin beim Trinken kann man sich jeden schönsaufen. Sogar den eigenen Partner.

Doch so einfach ist das nicht, ich persönlich forsche seit 2002 auf dem Gebiet, seit ich mit meiner Frau zusammenkam. Und schon damals hat mich beeindruckt: Sie kann trinken wie ein Kerl. Und welchen Mann beeindruckt das nicht? Als würdest du mit deinem besten Kumpel den Abend verbringen, und der sieht auch noch Hammer aus.

Ich will jetzt nicht den Vollrausch verklären, der schmerzt jenseits der Vierzig auch zu doll. Aber die schönsten Abende sind die, an denen wir mit einer Flasche Wein am Esstisch sitzen. Beim Trinken haben wir auch einen gewissen Reifeprozess vollzogen. Waren die Vorlieben anfangs noch bei Weißbier (Auaaua!), dann bei Bier (Aua!), sind wir jetzt bei Wein angekommen. Ist gesellschaftlich auch akzeptierter als ein Kasten Pils auf dem Esstisch.

Gemeinsamkeiten stärken, das ist auf jeden Fall eine solide Basis für eine Beziehung. Dummerweise zeigten sich im Lauf der Jahre auch einige Differenzen. Und je mehr Jahre vergehen: umso mehr. Dass man anfangs nur die Spitze des Eisbergs kennt, hatte ich ja schon erwähnt. Daraus folgt: Nach und nach tauchen auch die Unterschiede, oder besser: Absonderlichkeiten auf.

Teilweise sind es persönliche Macken – ich zum Beispiel liebe es, mir beim Abendessen auf jeden erdenklichen Brotbelag Senf oder Ketchup zu schmieren. Habe ich lange unterdrückt, aber nach ein paar Jahren war es plötzlich wieder an der Oberfläche.

Andere Dinge unterdrücken Paare nicht so lange. Eine Umfrage der US-Seite mic.com ergab: 51 Prozent fangen in den ersten sechs Monaten der Beziehung an, vor dem Partner zu pupsen. Etwa ein Viertel unterdrückt es zwischen sechs und zwölf Monate. Nur sieben Prozent verkneifen sich jeden Hauch vor dem Geliebten oder der Geliebten. Das Erstaunliche: Pupsen ist sozusagen der ultimative Vertrauensbeweis, dass man sich akzeptiert und angenommen fühlt. Der erste Pups voreinander fällt ungefähr in dieselbe Zeit, in der man das erste Mal »Ich liebe dich« zueinander sagt.

Nach etwa zehn Jahren kennt man dann alle ernüchternden Untiefen des Partners so gut, dass keine Illusionen mehr möglich sind. Dann hat man gesehen, wie er auf dem Klo sitzt, in den Zähnen pult, sich einer apokalyptischen Flatulenz hingibt, sich auf einer Feier danebenbenimmt oder sich wie ein patriarchalischer Macho-Arsch verhält.

Ich will es nicht verhehlen: Auch ich habe typisch männliche Schwächen. Es gibt zum Beispiel eine simple Frage, die meine Frau komplett auf die Palme bringt. Sie lautet: »Was hast du gesagt?«

Ja, es ist so. Männer hören nicht zu. Zumindest nicht immer. Sie hören Fußball-Kommentatoren zu, ihren Kumpels, oft auch ihren Frauen. Aber eben nicht immer. Es gibt sogar Bücher und Filme, die das beklagen (»Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken«). Warum das so ist? Meine Frau sagt: »Ihr seid nicht multitaskingfähig. Atmen und Zuhören ist zu viel.« Ich dagegen sage: reiner Selbstschutz. Aus der Fülle der weiblichen Wortbeiträge filtert unser hochsensibles Gehirn das (für uns) Wichtige heraus. Den irrelevanten Rest atmen wir weg. Ist ja auch leicht. Man setzt ein neutrales Gesicht auf, nickt hin und wieder und brummelt »Hmmmm«. Das kann alles bedeuten: »Ja, klar«, »Nee, eher nicht«, »Och ja«, »Mal gucken« oder »Hä?«.

Meine Frau ist nach fast zwanzig Jahren noch immer nicht sicher, ob ich gerade zuhöre oder lautlos ein Lied summe oder die FC-Bayern-Aufstellung fürs Wochenende überdenke. Aber sie hat ein Mittel gegen diese Unsicherheit gefunden. Sie fragt die Fakten ab. Da komme ich schon mal ins Schwimmen, weil mein Gehirn ein bisschen großzügig gefiltert hat.

Dabei ist das Nicht-richtig-Zuhören gar nicht böse gemeint. Tatsächlich können Männer gar nichts dafür. In einer Studie wurde schon 2005 festgestellt, dass die verschiedenen Stimmlagen von Männern und Frauen jeweils unterschiedliche Regionen im Gehirn aktivieren. Frauenstimmen senden demnach eine größere Bandbreite akustischer Wellen aus – damit sind sie für Männer-Gehirne schwerer zu entziffern. Folge: Nach einer Zeit ermüdet Männer die unmenschliche Anstrengung.

Was lernen wir daraus? Frauen sollten tiefer sprechen. Oder sich kurz halten. Oder mal gar nichts sagen. Das verhindert Gestammel bei Nachfragen.

Womit wir bei der nächsten Frage wären: Sprechen Frauen wirklich mehr als Männer? Alte Schätzungen gingen davon aus: Frauen sagen 20 000 Wörter am Tag, Männer 7000. Erst 2007 hat die University of Arizona einen Versuch dazu gestartet: Die Wissenschaftler zeichneten mehrere Tage lang jedes Wort von männlichen und weiblichen Probanden auf und zählten dann aus. Ergebnis: Männer kamen im Durchschnitt auf 15 696 Wörter – das waren nur rund 500 Wörter weniger als bei Frauen.

Wobei man dazu sagen muss, dass bei dem Versuch Studierende die Probanden waren. Und auf der Universität ist Sabbeln wichtigste Kernkompetenz. Wenn Sie denselben Test mit ostwestfälischen Männern jenseits der Fünfzig machen, können Sie froh sein, wenn Sie 500 Wörter in der Woche zählen. Und da ist jedes »Hmmmm« und »Ma gucken« schon mit eingerechnet und »hömmma« als zwei Wörter gezählt.

Ich habe dazu selbst Studien betrieben und eine Freundin anonym befragt, was sie an ihrem Mann am meisten nervt. Antwort: dass er die schmutzige Tasse immer AUF die Spülmaschine stellt – und dass er nicht spricht. Vor allem, wenn er sauer ist oder genervt oder konzentriert oder entspannt oder zufrieden. Also praktisch immer.

Klassisch ist natürlich das Wutschweigen. Drei Tage nicht sprechen, am besten noch, ohne zu sagen, um was es eigentlich geht. Das hält kaum jemand aus. Für viele Männer ist es aber ein probates Mittel, um recht zu haben und recht zu behalten. Man setzt sich schweigend auf das hohe Ross der moralischen Überlegenheit. Denn man ist ja überzeugt, das Richtige zu denken. Und diesen Zustand kann man natürlich am besten beibehalten, indem man sich gar nicht erst in die Niederungen der verbalen Auseinandersetzung hinab begibt.

Nee, schön da oben bleiben und schweigen!

Klingt alles in allem nach einem schlüssigen Konzept, das einzig Blöde ist nur: Meine Frau kann das auch. Sie kann sich mit herrlich theatralischer Empörung auf ihre Bettseite rollen. Und schläft dann sogar ein. Während ich wach liege und mich frage, was ich nur falsch gemacht habe.

Und dann hat sie einen ganz fiesen Trick: Am nächsten Morgen entschuldigt sie sich. Das ist natürlich krass, denn eigentlich bin ich ja dann der moralische Sieger. Doch es fühlt sich überhaupt nicht so an. Also entschuldige ich mich auch sofort, obwohl ich nicht so genau weiß, wofür eigentlich. Aber irgendwas gibt es ja immer, für das man sich entschuldigen kann – im Zweifelsfall habe ich es nur gerade vergessen. Ist ja auch egal, wichtig ist vor allem, dass das moralische Gleichgewicht wieder hergestellt ist. Jeder ist mal von seinem hohen Ross heruntergestiegen und hat sich für sein Verhalten in den Staub geworfen.

Wenn Sie noch mal an den Anfang denken und die Mutmaßungen darüber, was wirklich dafür sorgt, dass Paare miteinander alt werden, dann würde ich sagen: dass sie sich nicht nur in den schönen Zeiten gut verstehen, wenn der Himmel ihrer Beziehung wolkenlos ist, wenn die Hormone noch Purzelbäume schlagen. Sondern wenn sie auch im Alltag noch miteinander lachen. Und wenn sie in schwierigen Momenten nicht gleich alles infrage stellen und die Schuld nur beim anderen suchen. Natürlich ist der immer ein bisschen mehr schuld. Aber nicht ganz allein.

Und wenn die Schuldfrage dann schließlich geklärt ist (70 Prozent der andere, 30 Prozent ich), dann kann man in Ruhe zusammen eine Flasche Wein öffnen. Und gemeinsam einen fahren lassen.

ORDNUNG? NICHTS IST IN ORDNUNG!

Eine der glücklichen Fügungen ist ja, dass es keine Mindestanforderungen an Ehemänner gibt. Während man für jeden Mist einen Studienabschluss, eine Ausbildung oder zumindest einen Führerschein, Klasse 3, braucht, benötigt man als Ehemann: gar nichts.

Dieses Fehlen jeglicher Voraussetzungen und Grundkenntnisse führt auch dazu, dass viele Ehemänner von Beginn an einen schweren Stand haben. Klar, Frauen durchlaufen auch kein zweijähriges Grundstudium im Ehefrau-Sein, aber irgendwie scheint ihre natürliche Ausstattung in Sachen Verantwortungsgefühl, Organisationstalent und Strukturiertheit besser zu sein.

Als ich noch allein gewohnt habe, konnte ich mein Überleben zwar sichern: Ich habe eingekauft, geputzt, gewaschen und Miete gezahlt. Aber die Komplexität einer Paarbeziehung hat mich vor völlig neue Herausforderungen gestellt. Ich habe folglich so reagiert, wie fast alle Männer: Ich habe meine Frau mal machen lassen. Und sie hat gemacht. Sie hat unser Leben in die Hand genommen, und sie hat das mit so leidenschaftlicher Perfektion getan, dass ich nur gestört hätte.

Schon bei unserer kirchlichen Hochzeitsfeier 2007 hatte ich eine mehr oder weniger prominente Statistenrolle, während sie Drehbuch, Produktion und Regie übernahm. Ich war oft anwesend, ich war über Abläufe informiert, ich stand oft aber auch auf dem Schlauch. Über viele der anstehenden Entscheidungen hätte ich mir nie Gedanken gemacht, der Großteil rangierte bei mir auf einer Skala von »Warum noch mal?« bis »Was ist das?«. Es ging zum Beispiel um: das Arrangement des Blumenschmucks in der Kirche. Weiße oder cremefarbene Streukörbchen für die Blumenkinder. Die Sitzordnung beim Abendessen. Abendkleidung oder festliche Kleidung für die Feier (gibt es da einen Unterschied?). Es waren so viele weitere Fragen zu klären: Papp- oder Büttenpapier für die Einladungen? Die altenglische Schrift oder die modernere Variante? Wie genau ist noch mal der Unterschied zwischen den Farbnuancen Elfenbein und Creme bei den Hussen? Und was sind eigentlich Hussen?

Das alles hat meine Frau bedacht und noch viel mehr. Meine Herausforderung bestand vor allem darin, ein feines Gespür dafür zu entwickeln, was die richtige Antwort auf ihre Fragen ist. Ich versuchte aus Tonfall, Lautstärke, Atmung, Körperhaltung und Mimik in Millisekunden abzulesen, wohin ihre Tendenz ging. Um dann vorsichtig aus meinem vagen Brummeln eine Antwort herauszuschälen: »Mmmmmhhhvielleicht … mmmmmhhh Creeeemmmmmmee mmmmhhh?«

Ihre Miene hellte sich auf, sie lächelte, ein Schimmer glänzte in ihren Augen: richtig gemacht!

Es gab genug andere Gelegenheiten zu scheitern. Ich habe zum Beispiel eigenverantwortlich zwei Einladungen an Freunde verschickt – die beide wieder zurückkamen. Ich hatte die falsche Adresse auf den Umschlag geschrieben.

Sicherheitshalber hat mir meine Frau noch am Morgen unserer Trauung einen DIN-A4-Zettel überreicht, auf dem meine Erledigungen für den Tag notiert waren. Ich weiß nicht mehr genau, was es im Detail war, aber es hätte mich nicht gewundert, wenn darauf auch gestanden hätte:

»Einatmen, ausatmen, einatmen …«

Und: »15.30 Uhr: JA sagen!«

Am Ende, muss ich sagen, hatten wir einen wunderschönen und relativ entspannten Hochzeitstag. Mein Anteil daran ist zu vernachlässigen, ich hätte es fast geschafft, zu spät zur Trauung zu kommen, weil ich noch eine Kleinigkeit besorgen wollte und im Stau stand. Ich war – und bin es heute noch – voller Bewunderung für die Lust meiner Frau am Planen und Organisieren. Mein Part bei der Vorbereitung bestand vor allem darin, mir zwei neue Anzüge und einen Smoking, zwei Paar Schuhe und drei Hemden zu kaufen. Beachtet wurde ich nicht erheblich, bei einer Hochzeit richten sich nun mal alle Augen auf die Braut. Ich war halt auch da und habe versucht, zu atmen und im richtigen Moment Ja zu sagen.

Also, liebe Männer, falls jemand von Ihnen gerade vor der Hochzeit steht, richten Sie sich auf folgende Verhältnisse ein: Man stellt 50 Prozent der Beteiligten, hat Einfluss auf 5 Prozent des Geschehens und bekommt am Ende 0,05 Prozent der Aufmerksamkeit.

Nachdem meine Frau die Hochzeit straff durchorganisiert hatte, ging es nahtlos weiter. Sie hat die nächsten zwei Umzüge in die Hand genommen, sie hat jeweils schwanger den Großteil der Kisten gepackt, sie hat das Kinderzimmer liebevoll ausgestattet, und auch als wir unser Haus bezogen haben – das war 2012 – hat meine Frau mehr oder weniger alles eingeräumt und damit definiert, wie unser Leben gestaltet wird.

Jedenfalls hat sie die relevanten Entscheidungen getroffen, in welchem Fach zum Beispiel die Gabeln liegen, in welchem die Messer und in welchem die Löffel, welche Töpfe wir behalten (ihre) und welche weg können (meine). Ich wiederum bin eingezogen wie ins möblierte Wohnen. Die Küche und weite Teile des Hauses waren für mich lange Terra incognita. Folge: Ich hatte eher Gaststatus im eigenen Heim.

Und auch die alltäglichen Abläufe hat sie geplant und gelenkt. Einkäufe, Erledigungen, Verabredungen – alles im Griff, als stünde jeden Tag eine Hochzeit an. Meine Frau ist einfach ein Musterbeispiel an Organisationstalent. Ihr Erfolgsgeheimnis, jetzt kann ich’s ja verraten: Listen. Sie liebt Listen. Sie hat Listen für lang-, mittel- und kurzfristige Erledigungen. Sie hat Listen für die Termine, die Einkäufe, die Aufgaben in der Woche, für den Urlaub und für Kindergeburtstagsgeschenke. Sie hat Listen für die Gerichte, die gekocht werden sollen, Listen für mich und Listen für die Kinder. Eigentlich wäre es logisch, wenn sie auch eine Liste für die Listen hätte.

Und sie hakt mit einer Akribie und Energie alles ab, dass ich nur staunend danebenstehen kann. Sie ist der lebende Beweis dafür, dass Gott ein Mann sein muss. Denn ich bin sicher: Wenn eine Frau die Welt erschaffen hätte, wäre sie in drei Tagen fertig gewesen. Unser Leben hätte perfekt sein können. Allerdings gab es immer einen entscheidenden Unsicherheitsfaktor in ihren Planungen: Mich.

Wenn kein Kaffee mehr im Haus war, konnte das nur einen Grund haben: Ich hatte eine Woche vorher die letzte Packung angebrochen und vergessen, Kaffee auf die Einkaufsliste zu schreiben. Ich dachte mir eben: Wir haben ja noch eine ganze Packung, das hat Zeit. Meist endete es damit, dass ich verzweifelt die letzten Kaffeemoleküle aus der Dose herausgekratzt habe.

Wenn mich dann doch mal eine Welle patriarchalischer Antriebslust durchflutete, klatschte ich in die Hände und wollte energisch die Familiengeschicke lenken. Ich setzte mich zu meiner Frau an den Esstisch und legte los:

»So, was wollen wir denn heute essen?«

»Lasagne, habe ich schon vorbereitet.«

»Ich kann ja einen Wein kalt stellen«

»Ist schon im Kühlschrank.«

»Dann lass uns mal über die Weihnachtsgeschenke sprechen.«

»Habe schon eine Liste gemacht.«

»Wo feiern wir eigentlich den Kindergeburtstag?«

»In der Kletterhalle, Einladungen sind raus.«

»Wann schreibt der Junge noch mal die Englischarbeit?«

»Gestern.«

»Oh.«

Es lief dann meist so, dass meine Frau mir Aufgaben zugeteilt hat: den Ninjago-Flugdrachen für Weihnachten online bestellen, einen Liter Milch kaufen, die Kleine rechtzeitig vom Kinderturnen abholen. Das hat teilweise ganz okay funktioniert, meine Frau übernahm schlichtweg alle Regierungsgeschäfte, die ich ihr durch pure Passivität aufgehalst hatte. Ich war nur noch ausführendes Organ mit beschränkten Befugnissen. Während sie immer effektiver wurde, entwickelte ich eine Hochbegabung in Sachen Vergesslichkeit. Und ich konnte mich nicht einmal mit einer Stilldemenz herausreden.

Es war wirklich erschütternd, aber je weniger ich nachdenken musste, desto weniger habe ich dann auch nachgedacht. Und mit jedem Kind hat meine Schusseligkeit zugenommen. Meine Frau konnte mir morgens noch zurufen, dass wir dringend ein Brot brauchten. Ich habe pflichtbewusst genickt, habe mit unserer Tochter das Haus Richtung Kita verlassen – zack, schon war das Brot vergessen. Ich musste ja bereits an die Trinkflasche, die Brotbox, ihren Schwimmbeutel, Schlüssel und mein Portemonnaie denken. Und ich musste noch in der Kita Bescheid sagen, dass die Babysitterin die Kleine abholt. An das Brot habe ich dann erst wieder gedacht, als die ganze Familie abends vor einer trockenen Scheibe Weizentoast saß. Das muss dieser Mental Load sein, von dem Frauen immer sprechen.

Zu meiner Ehrenrettung: Es ist ja inzwischen wissenschaftlich erwiesen, dass Männer vergesslicher sind. Amerikanische Wissenschaftler aus Boston haben 2016 untersucht, wie Männer und Frauen in neuropsychologischen Tests abschneiden, in denen die Lernfähigkeit und das Erinnerungsvermögen untersucht werden. Ergebnis: Die Frauen waren in allen Bereichen besser als die Männer. Offenbar gibt es einen Zusammenhang zwischen den weiblichen Hormonen und bestimmten Gehirnfunktionen.

Ich halte das für völlig nachvollziehbar. Wir Männer vergessen ja schon mal, wie viel Bier wir getrunken haben, wir vergessen, wann wir eigentlich zu Hause sein wollten und manchmal sogar, dass wir verheiratet sind. Dafür kann ich mich an das DFB-Pokalfinale 1982 erinnern, als hätte ich es gestern noch mal auf Videokassette gesehen.

Damals habe ich nicht darüber nachgedacht (natürlich nicht). Aber: Diese Neigung von Männern, Frauen das komplette Familien-Management zu überlassen, beschert ihnen auch eine Form von Machtlosigkeit. Es gibt sogar eine schwedische Studie von 2021, die genau das besagt: Auf der Arbeit fühlen sich Männer noch wie die Hirsche im Wald: stark, mächtig, einflussreich. Zu Hause dagegen haben meist die Frauen das Sagen bei Einrichtung, Ordnung, Erziehung, Kindern, Freunden. Wenig überraschend, wenn wir Männer uns in den ersten Ehejahren daheim tot stellen und alle Energie weiterhin in den Job investieren. Das Interessante ist, dass es zwischen mir und meiner Frau nie ein »So organisieren wir unser Leben zu zweit«-Gespräch gab. Ich kenne auch kein Paar, das so etwas je getan hat. Es hat sich einfach so entwickelt, denn die alten Rollenmuster sind stark.

Jetzt könnte man durchaus sagen: Hat eben ganz traditionell jeder seinen Bereich. Er ist Arbeitsminister, sie ist Familienministerin. Aber so glücklich sind wir Männer damit gar nicht. Macht (oder sagen wir besser: Einfluss) zu Hause ist uns deutlich wichtiger als Macht im Büro. Sagt zumindest die schwedische Studie.

Und jetzt fragen Sie sich vielleicht, wie Männer auch zu Hause Führungspersönlichkeit werden können? Dazu kommen wir später noch ein bisschen genauer. Aber ich kann Ihnen schon mal eine bittere Wahrheit verraten: Es ist wie im Job. Sie müssen anpacken. Machen. Ziele setzen. Scheitern. Neu machen. Besser werden. Und eine Sache können Sie sich abschminken: Sie können sich nicht nach oben schlafen.

Mir hat zugegebenermaßen Corona geholfen. Monatelang waren wir zu viert im Haus, und meine Frau saß im Arbeitszimmer rund um die Uhr in Konferenzen. Die Produktion der Listen versiegte zwangsläufig. Und damit auch die Lebensader der Familie.

Es gab keine Strukturen mehr, sondern nur noch mich. Und ich saß am Esstisch und versuchte, die Kinder zum Homeschooling zu nötigen. Aber ich hatte weder einen kompletten Überblick über ihre Aufgaben noch über die Versorgung mit Lebensmitteln. Und wer sollte eigentlich kochen? Insgeheim schielte ich wohl immer noch Richtung Arbeitszimmer, als würden mich daraus Erkenntnis und Erlösung übermannen. Zum Beispiel, indem sie mir eine Liste oder das fertige Mittagessen für uns alle unter der Tür durchschiebt. Aber: Da kam nichts.

Ich war offenbar auf mich allein gestellt. So allein wie Neil Armstrong, als er den Mond betreten hat. Ich habe erst mal versucht, männliche Lösungen zu finden und das hieß: technische Lösungen. Ich habe etwa sieben Organisations- und To-do-Apps auf mein Handy geladen, habe in allen ein bisschen rumgetippt, habe versucht, sie dann mit unseren Kalendern zu synchronisieren, bin siebenmal gescheitert, war am Ende schockiert von den Abo-Kosten für so ein Ding und habe sie schließlich alle wieder gelöscht. Immerhin: Das habe ich auch ohne Liste geschafft.

Es hat einige Tage gedauert. Dann habe ich mich vorsichtig mit dem Gedanken angefreundet, dass ich etwas ändern muss. Dann habe ich mir leidgetan. Dann habe ich mich zusammengerissen. Dann habe ich in die Schublade gegriffen. Aber da war er nicht. Dann in die andere. Da! Da war er: ein Stift. Ich habe mich hingesetzt. Und dann habe ich EINELISTE geschrieben! Erst eine für Einkäufe. Dann für Erledigungen. Dann für die Homeschooling-Aufgaben der Kinder.

Ich war sehr stolz und habe erst mal Feierabend gemacht. Das Unangenehme ist, dass die Liste sich nicht von selbst erledigt. Sondern dass das ja auch irgendjemand übernehmen muss!

So hatte ich mir das nicht vorgestellt.

Dann kam meine Frau aus dem Arbeitszimmer, setzte sich an den Esstisch und redigierte meine Listen. Erst fügte sie ein bisschen hinzu, dann strich sie etwas aus, dann schüttelte sie den Kopf. Falsch. Mist.

Das Problem: Meine Planung war eher impulsiv und hätte uns für maximal drei Tage am Leben gehalten. Sie sagte: »Du musst die Woche auch zu Ende denken.« Habe ich doch, bei mir war innerlich schon Sonntag: Hoch die Hände, Wochenende!

Aber das meinte sie nicht. Es ging darum, Nahrungsmittelkauf, Essensplanung, Erledigungen etc. so über die Woche zu planen, dass nicht jeder Tag von spontanen Eingebungen geprägt ist. Irgendwie schade, denn ich bin gern mal für eine Zwiebel zum Supermarkt gefahren. Das hatte den Vorteil, dass ich bei der Gelegenheit in Ruhe einen Kaffee trinken und in Musikzeitschriften blättern konnte. So ein bisschen wie bei der Arbeit früher der Kollege, der sagte, dass er eine Zigarette rauchen geht und anderthalb Stunden später mit einem Stück Kuchen und einer vollgepackten Media-Markt-Einkaufstüte zurückkam.

Aber das Kapitel ist für mich zugeschlagen, der Block für die Erledigungs- und Einkaufs-Listen liegt jetzt auf meiner Seite des Esstischs. Ich musste keinen Amtseid darauf schwören, aber ich spüre mit jedem Blick auf den Block, wie das erhebende Gefühl der Verantwortung und der Macht mich durchströmt. Der Block kann zwar nicht sprechen, ich höre dennoch seine Worte. Er sagt zu mir:

Freund, mit mir lenkst du die Geschicke der Familie!

Jedes Wort, das du schreibst, wird wahr werden!

Es ist okay, wenn du immer wieder Erfrischungsstäbchen auf die Einkaufsliste schreibst!