Memento Mori (Band 1): Arena der Rache - Jamie L. Farley - E-Book

Memento Mori (Band 1): Arena der Rache E-Book

Jamie L. Farley

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Beschreibung

Einst gleichermaßen gehasst wie bewundert als ›Löwe von Adular‹, der Hunderte Leben auf dem Gewissen hat, führt der Hochelf Hastor mittlerweile ein beinahe beschauliches Dasein. Tagsüber trainiert der frühere Heerführer Rekruten für die Armee des Kaisers, abends verbringt er Zeit mit seiner Frau, einer ehemaligen Assassine. Bis plötzlich im ganzen Reich Adelige verschwinden und Hastor mit der Aufgabe betraut wird, der Sache nachzugehen. Doch die Spuren, denen er folgt, führen ihn an einen Ort, aus dem es kein Entkommen mehr gibt: die Arena der Rache, in der er keine Gnade erwarten darf. Schließlich hat er auch nie welche walten lassen und es gibt viele, die ihn bluten sehen wollen.

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Seitenzahl: 394

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Kapitel 1 - Taremia

Kapitel 2 - Hastor

Kapitel 3 - Hastor

Kapitel 4 - Taremia

Kapitel 5 - Mirek

Kapitel 6 - Taremia

Kapitel 7 - Hastor

Kapitel 8 - Hastor

Kapitel 9 - Taremia

Kapitel 10 - Hastor

Kapitel 11 - Hastor

Kapitel 12 - Taremia

Kapitel 13 - Hastor

Kapitel 14 - Mirek

Kapitel 15 - Taremia

Kapitel 16 - Taremia

Kapitel 17 - Hastor

Kapitel 18 - Taremia

Kapitel 19 - Hastor

Kapitel 20 - Taremia

Kapitel 21 - Mirek

Kapitel 22 - Hastor

Kapitel 23 - Taremia

Kapitel 24 - Mirek

Kapitel 25 - Hastor

Kapitel 26 - Taremia

Glossar

Nachwort und Dank

Jamie L. Farley

 

 

Memento Mori

Band 1: Arena der Rache

 

 

Fantasy

 

 

 

 

Memento Mori (Band 1): Arena der Rache

Einst gleichermaßen gehasst wie bewundert als ›Löwe von Adular‹, der Hunderte Leben auf dem Gewissen hat, führt der Hochelf Hastor mittlerweile ein beinahe beschauliches Dasein. Tagsüber trainiert der frühere Heerführer Rekruten für die Armee des Kaisers, abends verbringt er Zeit mit seiner Frau, einer ehemaligen Assassine. Bis plötzlich im ganzen Reich Adelige verschwinden und Hastor mit der Aufgabe betraut wird, der Sache nachzugehen. Doch die Spuren, denen er folgt, führen ihn an einen Ort, aus dem es kein Entkommen mehr gibt: die Arena der Rache, in der er keine Gnade erwarten darf. Schließlich hat er auch nie welche walten lassen und es gibt viele, die ihn bluten sehen wollen.

 

 

Der Autor

Jamie L. Farley wurde 1990 in Rostock geboren. 2010 zog er nach Leipzig und machte dort eine Ausbildung zum Ergotherapeuten. Schnell merkte er jedoch, dass das nicht der richtige Job für ihn ist, weshalb er sich entschlossen hat Pokémontrainer zu werden. Er ist in Leipzig geblieben und wohnt zusammen mit seiner besten Freundin Anika, einer Ente namens Dave und dem Haus-zombie Bradley in einer WG. Neben der Schreiberei gehören Videospiele zu seiner liebsten Freizeitbeschäftigung. Nach dem Veröffentlichen von zwei Kurzgeschichten, erschien sein Debüt ‚Adular (Band 1): Schutt und Asche‘ Anfang 2019 im Sternensand Verlag.

 

 

 

 

 

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Juli 2025

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2025

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

Lektorat: Lektorat Laaksonen | Stefan Wilhelms

Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-365-3

ISBN (epub): 978-3-03896-366-0

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Für alle, die meinen Debütroman ›Adular – Schutt und Asche‹ möglich gemacht haben.

Kapitel 1 - Taremia

 

Schon aus der Ferne breitete sich das Licht des Festes wie eine Kuppel über der Stadt aus. Das Zirpen der Zikaden wich zahlreichen Stimmen und Musik, die sich zu einem dumpfen Summen vereinten. Hohe Hecken, die mit Blumengirlanden geschmückt waren, umgaben den weitläufigen Garten. Über dem Eingangstor spannte sich ein Bogen, an dem Weinreben wuchsen. Der Abend war warm, die Luft geschwängert von köstlichen Düften. Das Aroma von gegrilltem Fleisch und frisch gebackenem Brot mischte sich mit der Süße von Wein und reifen Trauben.

Die Hochelfin Taremia atmete tief ein und wappnete sich innerlich für die kommenden Stunden. Sie hasste solche Feste. Sie hasste die dümmlich vor sich hin plappernde Oberschicht, die zur Schau gestellte Dekadenz und Heuchelei.

Mit einer geübten fließenden Handbewegung beschwor sie einen kleinen Spiegel vor sich. Ein letztes Mal überprüfte sie die sorgfältig aufgetragene Schminke. Ihre Lippen schimmerten dunkelrot und Rouge betonte ihre hohen Wangenknochen. Durch die schwarze Umrandung kam das Gold ihrer Iriden besonders zur Geltung. Sie richtete eine störende weiße Haarsträhne und verzog den Mund. Alles saß perfekt. So wunderbar und ekelhaft perfekt.

Taremia schnipste und der Spiegel verschwand.

»Nur ein paar Stunden«, raunte Hastor ihr zu. »Um drei Uhr nachts sind wir erlöst.«

Ihr Gatte trug einen weinroten Anzug, sein kurzes, weißes Haar war ordentlich nach hinten gekämmt.

Sie zupfte umsichtig ein schwarzes Katzenhaar von ihrem dunkelblauen Kleid und nickte ihm zu. »Bringen wir es hinter uns.«

Hastor und sie traten an den Weinrebenbogen heran und zeigten dem Menschenmann davor ihre Einladung.

»Werte Gäste!«, rief er der Gemeinschaft zu. »Es treten den Festlichkeiten bei: das Ehepaar Adaël! Hastor, der Löwe von Adular. An seiner Seite Taremia, Lehrmeisterin an der respektierten Magierakademie Krähenfels!«

Dutzende Gäste drehten die Köpfe in ihre Richtung. Ihre Gesichter wurden von Masken aus Lug und Trug verdeckt, ihre Münder verzogen sich zu falschen Lächeln, strahlend weiße Zähne blitzten hinter blutroten Lippen hervor. Die Augen waren wie die von Raubtieren, immer aufmerksam nach der kleinsten Schwäche, auf die sie sich stürzen konnten.

Sie hoben grüßend die Gläser, hießen die Neuankömmlinge in ihrer Mitte willkommen wie ein Wolfsrudel verirrte Lämmer. In solchen Runden musste man der Wolf im Schafspelz sein. Unschuldig genug wirken, um als potenzielles Beutetier betrachtet zu werden, und gleichzeitig deutlich machen, dass sich hinter der guten Miene messerscharfe Zähne verbargen, die man jederzeit benutzen konnte.

Taremia hakte sich in Hastors Arm unter und schritt bedächtig mit ihm voran. Keiner von ihnen wollte hier sein. Leider verpflichtete Adel. Wenn irgendeine mit Gold und Einfluss reiche Person irgendeinen Erfolg zu verbuchen hatte, musste die ganze Oberschicht antanzen, um das zu feiern. In diesem Fall wurde das Fest vom Eldras-Clan veranstaltet. Eine Familie voller Juristen – mal mehr, mal weniger korrupt –, die seit Generationen in Adular ihr Unwesen trieb. Anlass hierfür war die Verlobung des jüngsten Sohnes mit der Tochter eines Richters.

Statt sich also in einem bequemen Sessel zu befinden, mit einem guten Buch in der Hand und ihrer Katze auf dem Schoß, war Taremia unter Leuten, die sie allesamt nicht leiden konnte. Und umgekehrt.

»Halvien und ihr Mann sollten auch hier sein«, sagte Hastor, während er suchend den Blick schweifen ließ. »Möglicherweise sind Hebriel und Hiriana das ebenfalls und haben mir nichts davon gesagt.«

Taremia nickte leicht. »Nun, dann sind wenigstens ein paar angenehme Personen da.«

Hastor und seine drei Schwestern waren Vierlinge, Halvien war die älteste von ihnen. Er hatte ein sehr enges Verhältnis zu ihr und ihren beiden Töchtern. Mehrlings-Schwangerschaften waren bei Wald- und Hochelfinnen deutlich höher als bei den anderen Völkern, aber Vierlinge waren auch unter ihnen eine absolute Seltenheit.

»Ich fürchte, einige von meinen Verwandten werden auch hier sein«, brummte Taremia. »Lass uns bitte versuchen, ihnen auszuweichen, ja?«

»Nichts lieber als das«, murmelte er.

Über ihren Köpfen schwebten sogenannte Orbs, magische Glaskugeln, die für unterschiedliche Dinge gebraucht wurden. Beispielsweise als Fokus für Zauber auf der Spitze eines Magierstabes, oder als Speichermedium für arkane Energie. Hier wurden sie als Lichtquelle benutzt und warfen einen warmen Schein auf die Festgemeinde.

In der Mitte des Gartens befand sich ein Feuer, über dem ein Spanferkel briet. Auf runden Tischen wurden Speisen angeboten: saisonales Obst und Gemüse, Fisch und Fleisch sowie Süßspeisen. Fein gekleidete Diener liefen mit Tabletts voll gefüllter Kelche zwischen den Gästen umher und reichten ihnen Wein oder Beerensaft.

»Wünscht Ihr etwas zu trinken?« Eine zwergische Dienerin war neben Hastor stehen geblieben und verneigte sich höflich.

»Danke, nein«, antwortete er. »Später.«

Taremia nickte lediglich, um sich seiner Entscheidung anzuschließen. Sie würde noch früh genug das Bedürfnis verspüren, sich das alles hier schön zu saufen.

Gemächlich schlenderten sie durch den Garten. Vorbei an anderen Hochelfen, an Waldelfen, Menschen und Zwergen. Sie standen vornehmlich in kleinen Gruppen zusammen und plauderten. Manche waren in der Nähe der Barden und bewegten sich zum Takt der Musik, ohne wirklich zu tanzen. Zwei Waldelfinnen hatten die Köpfe zusammengesteckt und lästerten auffällig unauffällig über eine dritte Waldelfin, der sie immer wieder missbilligende Blicke zuwarfen.

Dunkelelfen waren, soweit Taremia es sehen konnte, nicht anwesend. Früher, vor der Revolution, wäre der Saal voll von dunkelelfischen Sklaven gewesen. Elfen und Elfinnen, denen man Halsbänder umgebunden hätte, die geduckt und leise wie Mäuse durch den Raum gehuscht wären und unterwürfig Leckereien angeboten hätten.

Bisher waren sehr wenige Dunkelelfen Adulars in den Adelsstand erhoben worden. Und die mieden Feste wie dieses. Taremia konnte das durchaus nachvollziehen. Urteilende Blicke bekam dieses Volk oft genug zu spüren und man konnte seine Zeit schöner verbringen, als sich von allen Seiten rassistische Kommentare anzuhören.

»Werte Gäste! Heißen wir Ralnor Farkian herzlich willkommen«, verkündete der Mann am Empfang lautstark.

Verachtung stieg wie bittere Galle in Taremias Rachen auf und sie presste unwillkürlich die Zähne zusammen. Ihren alten Familiennamen zu hören, war, als würde sie den Arm bis zum Ellenbogen in ein Hornissennest stecken.

Hastor zog sie aufmerksam zur Seite und tauchte mit ihr in der Menge ab, obwohl er von allen Anwesenden wohl am schwersten zu übersehen war. Er war selbst für einen Hochelfen auffällig groß, maß weit über zwei Meter und hatte den athletischen Körper eines Kriegers. Hastor ragte wie ein Fels aus dem Meer der Gäste hervor, dennoch pflegte Taremia die Hoffnung, dass sie heute Abend ihre Ruhe vor der lästigen Verwandtschaft hatte.

Ralnor war einer von vielen angeheirateten Onkel und sie verabscheute ihn mit jeder Faser ihres Körpers, weil er sie an ihren Vater erinnerte. Weil er genauso frauenfeindlich, herablassend und heuchlerisch war wie einst Camrik. Ralnor spielte sich gerne als Wohltäter auf, spendete für Waisenhäuser, ließ Essen unter den Armen verteilen – solange es keine Dunkelelfen waren. Dass all sein Reichtum unter anderem durch das Schmuggeln von Hehlerware zustande kam, wusste die Öffentlichkeit nicht.

»Da vorne ist meine Schwester«, raunte Hastor und deutete mit dem Kinn in die Richtung.

Taremia folgte seinem Zeichen und entdeckte Halvien neben einem Menschenmann, der ihr einen Kelch Wein überreichte.

Sie trug ein hellblaues, fast weißes Kleid, das mit zahlreichen blauen Perlen und feinen Stickereien bestückt war. Um den Hals hatte sie einen aufwendig gefärbten Seidenschal geschlungen. In der Mitte schwarzblau wurde er zu den Enden zunehmend heller. Auf ihrem Kopf saß eine Krone aus Blumen in verschiedenen Blautönen. Halvien hatte die gleichen stechend gelben Augen wie Hastor, nur funkelte in ihnen immer noch Leben und Wärme.

»Hastor!«, rief die Hochelfin freudig aus, als sie ihn erblickte.

Halvien überbrückte die Distanz zwischen ihnen und umarmte ihren Bruder herzlich. Sie streckte sich etwas und hauchte einen Kuss auf seine Wange. »Ich freue mich, dich zu sehen.« Sanft drückte sie Taremia die Hand. »Euch natürlich ebenfalls. Ihr seht wundervoll aus, Taremia.«

»Danke«, erwiderte sie und vollführte einen eleganten Knicks. »Das Kompliment gebe ich gern an Euch zurück.«

Hastor lächelte. Es war ein kleines, aber vollkommen aufrichtiges Lächeln. Eine Geste, die er nur einer Handvoll Personen zubilligte. »Bist du ganz allein hier? Wo ist Baran?«

»Mein Mann muss leider das Bett hüten. Er hat sich vor drei Tagen eine dieser lästigen Sommergrippen eingefangen.« Kopfschüttelnd strich Halvien sich eine lange weiße Strähne zurück. »Sein bellender Husten füllt seitdem gefühlt jedes Zimmer im Haus.«

»Ich kenne ein ausgezeichnetes Teerezept gegen Grippesymptome«, sagte Taremia. »Nehmt Holunderblüten, Kamille und Mädesüß. Holunder wirkt schweißtreibend und schleimlösend. Die Kamille ist entzündungshemmend und krampflösend und Mädesüß ist ein natürliches Schmerzmittel. Gebt noch etwas Honig hinzu, der hilft gegen die Halsschmerzen.«

»Das klingt zwar wirklich gut, aber ich muss gestehen, dass ich keine Ahnung von Tee habe«, erwiderte Halvien und zeigte ein wunderbares, leicht beschämtes Lächeln. »Nicht einmal von der richtigen Ziehzeit. Oder der passenden Zusammensetzung für die Kräuter.«

Taremia winkte ab. »In dem Fall bringe ich Euch gerne eine fertige Teemischung vorbei und gebe Euch genaue Anweisungen, wie Ihr ihn servieren müsst.«

Normalerweise würde die Grippe irgendeines Ehemannes Taremia herzlich wenig kümmern. Aber Halvien war eine von wenigen, die sie als eine Freundin bezeichnete. Sie war jemand, der Taremia gerne half.

Hastor warf ihr einen dankbaren Seitenblick zu.

Auch die andere Hochelfin strahlte. »Das wäre großartig. Und sollte ich einmal etwas für Euch tun können …«

»Wusste ich doch, dass ich dich hier treffe, Mädchen!« Ralnor hatte sich unbemerkt genähert und legte seine Hand zwischen ihre Schultern. »Wie geht es meiner Lieblingsnichte?«

Jeder Muskel in ihrem Körper spannte sich an. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt, während ihre Kehle sich anfühlte, als würde sie anschwellen. Subtil entwand sie sich ihm und zwang sich, ihre Kiefermuskulatur zu lockern.

»Hallo, Ralnor«, erwiderte sie kühl.

Taremia hasste es, am Rücken berührt zu werden. Vor allem von ihm. Von ihrer Familie. Von jedem, den sie nicht ausdrücklich erlaubt hatte, das zu tun. Und das war jede atmende, lebende, denkende Person auf dieser von den Göttern verfluchten Erde. Außer …

Hastor platzierte seine große Hand dort, wo Ralnor seine eben noch gehabt hatte, und Taremia entspannte sofort. Außer von ihm. Das Unwohlsein wurde von einem Gefühl der Sicherheit abgelöst. Wie ein schützender Schild legte sich seine Wärme über ihre Haut.

»Hastor, ich grüße Euch!« Ralnor grinste anbiedernd. »Wie geht es dem Heer? Machen sich die neuen Rekruten gut?«

Er trug einen karmesinfarbenen Mantel über einem weißen Leinenhemd und eine dunkelrote Hose. Hochelfen waren sehr strikt mit der Farbe ihrer Kleidung. Rottöne für Männer, Blautöne für Frauen. Ein weißes Hemd war demnach schon sehr gewagt in dieser Gesellschaft. Die Länge seiner weißen Haare war hingegen konform mit der Oberschicht. Hastors Kurzhaarschnitt wurde nur akzeptiert, weil er ein Krieger war. Taremia verbarg ihr eigentlich nur kinnlanges Haar unter einer teuren Perücke.

»Ich kann nicht über sie klagen«, entgegnete Hastor vage. »Es sind junge Menschen, Elfen und Zwerge und viele halten das erste Mal eine Waffe in der Hand. Aber sie machen erfreuliche Fortschritte. Vor allem, wenn man bedenkt, dass sie ihre Ausbildung erst vor einem Monat begonnen haben.«

Taremia schmunzelte. Damit hatte er viel und gleichzeitig nichts gesagt. Herrlich.

»Darf ich Euch meine Schwester Halvien vorstellen?« Hastor wies auf die Hochelfin. »Halvien, dies ist Ralnor.«

»Onkel von meinem Mädchen Taremia«, fügte Ralnor hinzu.

Er tat gern so, als hätte er sie quasi mit großgezogen. Dabei hatte er ihre Tante geehelicht, als Taremia längst erwachsen gewesen war. »Angeheirateter Onkel«, ergänzte sie.

Halvien nahm die schlechte Stimmung zwischen ihnen glücklicherweise wahr. Nachdem sie Ralnor höflich begrüßt hatte, versuchte sie, das Thema zu wechseln. »Taremia, ein guter Freund von mir hat Euch und Eure Arbeit an der Akademie Krähenfels in den höchsten Tönen gelobt. Was denkt Ihr, schätzen die Studenten an Euch?«

Ob dieser besagte Freund tatsächlich existierte, sei dahingestellt. Halvien hatte offenbar bemerkt, wie sauer es Taremia aufstieß, dass Ralnor sie despektierlich als Mädchen bezeichnete, und wollte es so nicht stehen lassen.

Dankbar nickte Taremia ihr zu. »Ich habe mir im Laufe meines Lebens eine weitreichende Expertise angeeignet und bin gern bereit, mein Wissen weiterzugeben. Auch wenn einige Studenten das Gegenteil behaupten werden, kann sich jeder, der mit dem Stoff Probleme hat, an mich wenden und Nachhilfe einfordern.«

Halvien nippte an ihrem Weinkelch. »Warum sollte Zweifel daran bestehen?«

Hastor winkte einen Diener heran und bediente sich an den bereitgestellten Häppchen.

»Es gibt einen Unterschied zwischen Schwierigkeiten und Faulheit«, erklärte Taremia. »Ich erkenne, wer trotz Anstrengungen scheitert und wer sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, es überhaupt richtig zu versuchen.«

Ihr Mann hielt ihr einen Spieß entgegen, auf dem sich ein Stück Käse und eine Weintraube befanden. Sie nahm ihn an und zog beides mit den Zähnen ab. Die Würze des Käses bildete einen köstlichen Kontrast zur Süße der Frucht.

»Ach, die Faulheit der Schüler.« Ralnor lachte. »Man kennt sie. Hastor, sind unter den neuen Rekruten tatsächlich Dunkelelfen dabei?«

»Ja«, antwortete Hastor knapp und schob sich eine Dattel in den Mund.

Halvien zog eine Braue hoch. »Es ist das erste Mal, dass sie die Möglichkeit bekommen, zu Kriegern ausgebildet zu werden, und ein weiterer Schritt für dieses Volk, ihre versprochenen Freiheiten wahrzunehmen.«

»Ein Fehler, wenn Ihr mich fragt«, sagte Ralnor und nahm sich einen Kelch Wein vom Tablett eines vorbeilaufenden Dieners. »Dunkelelfen sind schon immer und überall ein Sklavenvolk gewesen. Wer sagt uns denn, dass sie nicht noch eine Rebellion starten? Dass sie unser Heer nicht einfach unterwandern und Adular unterjochen wollen?«

Halvien musterte ihn mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Geringschätzung. »Ihr scherzt, oder?«

»Oh ja, Ralnor ist ein äußerst humorvoller Mann«, sagte Taremia trocken. »Ihr solltet ihm zuhören, wenn er ein bisschen mehr Wein intus hat und seine Weisheiten mit der Welt teilt.«

Bei den Göttern, wie sehr sie ihm das Maul stopfen wollte. Sie stellte sich vor, wie sie den Holzspieß in ihrer Hand in sein Ohr rammte. Das half ein wenig.

»Ich gebe zu, meine Meinung über dieses Volk war früher auch von Vorurteilen geprägt«, fuhr Halvien fort. »Und auch ich habe zu oft rassistische Begriffe für sie genutzt. Doch wenn uns die Revolution etwas gelehrt haben sollte, dann, dass diese Denkweise, die Ihr immer noch zu pflegen scheint, falsch ist.«

»Rassistische Begriffe«, wiederholte Ralnor in dem spöttisch herablassenden Tonfall, den ein Lehrer gegenüber einer dummen Schülerin anschlug. »Nennt die Dinge beim Namen, werte Dame. Früher hat sich auch keiner gescheut, Grauhaut zu sagen. Nur weil Theodas jetzt auf dem Thron sitzt, soll es plötzlich falsch sein?«

»Es war schon damals falsch, Ralnor«, entgegnete Taremia scharf. »Wir waren bloß arrogant und haben uns rausgenommen, Rassismus zum Alltag zu machen.«

»Warum sollten die Dunkelelfen noch mal rebellieren?«, fragte Hastor schlicht und lenkte das Gespräch zurück auf Ralnors Eingangsfrage. »Was würde es ihnen nutzen, Adular zu unterjochen, wie Ihr sagt?«

Ralnor zuckte mit den Schultern. »Nun, Ihr werdet doch mit mir übereinstimmen, dass viele Dunkelelfen auf Rache aus sind, oder?«

»Nein«, erwiderte Hastor. »Einige einzelne? Möglich. Aber viele haben heute genau das, was die Rebellion ihnen versprochen hat und erreichen wollte: Sie sind frei und leben wie alle anderen Einwohner Adulars auch.«

»Wie es in den Freien Ländern schon seit Jahrhunderten der Fall ist«, fügte Halvien hinzu. »Insofern ist Eure Aussage, Dunkelelfen seien schon immer und überall ein Sklavenvolk gewesen, falsch. Nur Adular hat hartnäckig daran festgehalten, sie zu unterdrücken, und Ihr seht ja, wohin es fast geführt hat.«

Ralnor trank von seinem Wein. »Wie auch immer. Wenigstens sind wir hier jetzt unter uns. Ich meine, von mir aus können wir sie wie ganz normale Bürger behandeln. Bei dem Heer verbleibe ich skeptisch. Aber sie in unseren Reihen akzeptieren? Es gibt Grenzen, denkt Ihr nicht auch?«

Hastor schob sich eine weitere Dattel in den Mund, was ihm die bequeme Entschuldigung gab, nicht sofort antworten zu müssen.

Taremia durchbohrte ihren verhassten Onkel mit ihrem Blick. Sie konnte Hastors Gedanken förmlich in ihrem eigenen Kopf hören: Wisst Ihr, was ich denke? Die Befreiung der Dunkelelfen ist das Beste, was Adular passieren konnte. Seit Kaiser Theodas herrscht, erblüht das Reich. Die Einzigen, die der Meinung sind, dass es uns nur Nachteile eingebracht hat, sind Leute wie Ihr. Leute, die sich am liebsten den ganzen Tag den blasierten Arsch von Sklaven nachtragen lassen wollen.

Genervt wandte Taremia den Kopf ab. Sekundenlang beobachtete sie das Feuer und den Braten, der darüber stetig gedreht wurde. Hastor antwortete etwas, aber sie hörte ihn kaum. Sie schaute durch die Reihen der Gäste und blieb an einer Hochelfin hängen. Ihre Perücke, ihr Kleid, der Schmuck – alles war genau wie Taremias eigene Garderobe. Die fremde Hochelfin drehte sich ihr zu und lächelte süffisant.

Taremias Magen zog sich krampfhaft zusammen. Wieder wurde ihr kalt. Es war die alles verschlingende Kälte eines gnadenlosen Wintersturms. Sein Heulen erfüllte ihre Ohren, ihre Glieder zitterten wie die kahlen Äste eines abgestorbenen Baumes.

Dort stand Deluwen. Ihre Mutter, die sie nie als solche bezeichnet hatte, weil es ihr verboten worden war. Die sie vor mehr als hundert Jahren eigenhändig ermordet hatte.

Sie schloss einen Moment die Augen und atmete zittrig durch. Ihr Puls raste. Jeder Herzschlag schien statt Blut scharfe Dornen durch ihren Körper zu jagen, die ihre Adern zerrissen. Als sie die Augen wieder öffnete, stand Deluwen noch immer an Ort und Stelle.

Schwärze breitete sich wie Tinte vom Rande ihres Sichtfelds aus und verschlang den Garten.

Ich darf mich nicht verlieren. Panisch suchte sie nach einem Orientierungspunkt. Irgendetwas, woran sie sich festklammern konnte. Eine Person, einen Gegenstand, ein Geräusch. Ich darf mich nicht verlieren!

Abermals kniff sie die Augen zu.

Taremia!, rief Deluwen zornig. Wirst du mir wohl endlich gehorchen?

 

Die Dunkelheit wich vor ihren geschlossenen Lidern und sie fand sich in einem Korridor wieder. Glatte Wände waren so nah, dass sie ihre Schultern berührten.

Spiegel. Über ihr, neben ihr, unter ihr. Überall.

Sie konnte ihrem eigenen panischen Gesichtsausdruck nicht entkommen. Das war eine von Deluwens liebsten Illusionen gewesen, um sie weiter zu quälen. Damit ihr keine Sekunde von Misshandlung und Demütigung entging.

Ihr Brustkorb hob und senkte sich heftig. Taremia atmete so viel Luft ein, wie ihre Lunge tragen konnte, dennoch hatte sie das Gefühl, zu ersticken.

Nicht schon wieder. Bitte nicht. Bitte nicht. Bitte nicht.

Ihr jüngeres Ich starrte sie mit weit aufgerissenen Augen von allen Seiten an. Sie war vielleicht siebzehn, höchstens neunzehn Jahre alt.

»Geh in die Kammer, Taremia!« Die herrische Stimme ihrer Mutter hallte ohrenbetäubend durch den Gang. »Los, beweg dich!«

Sie ballte zitternd die Fäuste und grub die Nägel tief in ihre Handballen. Die Tür, durch die sie gehen sollte, schien in endloser Ferne zu liegen. Dahinter befanden sich ein Verhörzimmer und die Folterkammer.

Dorthin wurden Feinde der Gilde gebracht. Oder Zielpersonen, für die die Gilde bezahlt wurde, um Informationen aus ihnen herauszupressen, bevor man sie tötete. Oder Gildenmitglieder, die korrigiert werden mussten. So nannte Umbra es, wenn ein Assassine so lange gefoltert wurde, bis die Meister das Gefühl bekamen, er wäre wieder gefügig genug.

Taremia war oft korrigiert worden, dennoch enttäuschte sie ihre Eltern und die Gilde weiterhin. Dennoch war sie nicht so perfekt, wie sie es zu sein hatte. Nicht gehorsam genug, obwohl sie niemals widersprach.

Aus der Dunkelheit in ihrem Rücken ertönte das drohende Knistern von Magie. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Deluwen würde sich nicht wiederholen.

Mit schweren Beinen ging Taremia voran. Jeder Schritt war, als müsste sie sich durch ein Moor kämpfen, das sie unerbittlich nach unten zog.

Deluwens Zauber traf sie genau zwischen den Schulterblättern. Ihre Muskeln verkrampften. Heiße Pein jagte durch ihren Leib und warf sie auf die Knie. Taremia schrie nicht.

»Schneller!«, fauchte Deluwen.

Hastig rappelte Taremia sich auf und rannte. Doch sie kam nicht von der Stelle. Verzweifelt beugte sie sich vor, kämpfte gegen die unsichtbaren Stränge, die sie hielten.

»Was ist denn los, Mädchen?«, fragte Deluwen spöttisch.

Ein weiterer Zauber prallte gegen ihren Rücken.

Taremia presste einen Schmerzlaut zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Kannst oder willst du nicht gehorchen?«

Deluwens Magie bohrte sich in sie. Ihre Muskeln brannten wie Feuer. Eisige Kälte gefror ihr Blut.

»Ich kann nicht«, keuchte Taremia.

»Falsche Antwort.«

Das Knistern wurde lauter, der Schmerz stärker. Es fühlte sich an, als würden ihre Knochen sich verdrehen und verbiegen. Als würde ihre Haut sich langsam von ihrem Fleisch lösen. Immer noch schrie Taremia nicht.

»V-Verzeiht meine Unfähigkeit, Gildenmeisterin!«, rief sie.

Deluwen lachte gehässig. »Besser.«

Ein Ruck ging durch Taremias Körper und sie landete bäuchlings auf dem Boden. Sofort sprang sie zurück auf die Füße, taumelte kurz und sprintete ans Ende des Korridors. Sie riss die Tür auf, durchquerte das Verhörzimmer und hetzte in die Folterkammer.

Dort erwartete sie bereits Camrik, ihr Erzeuger. Er stand neben einer Apparatur, die einem Galgen ähnlich sah. Nur hingen Ketten vom Querbalken statt eines Stricks.

»Das wird aber auch Zeit«, grüßte er sie kalt.

Ihr Herz hämmerte schmerzhaft gegen ihre Rippen. Hinter ihr fiel die Tür zur Folterkammer lautstark zu.

»Dâr.«

Eine tiefe Männerstimme klang durch den Raum. Ruhig und unerschüttert. Wie ein Fels in der Brandung.

Jemand packte ihre Hand und drückte sie fest.

»Dâr, Taremia.«

Ihre Umgebung zerfiel und warf sie in die Dunkelheit zurück.

 

»Komm zu dir!«

Sie zuckte zusammen und hob hastig den Kopf.

Hastor stand dicht vor ihr und vergrub seine stechend gelben Augen in ihren. »Tief durchatmen«, raunte er. »Langsam ein und aus.«

Er reichte ihr einen Kelch mit dunkler Flüssigkeit, die wie Gift aussah. Mit zitternden Fingern umschloss sie das Gefäß. Taremia trank einen großen Schluck und spülte den Kloß in ihrem Hals herunter. Es war säuerlich-süßer Beerensaft.

»Ent…« Sie räusperte sich. »E-Entschuldige, bitte. Ich … w-war mit den Gedanken woanders.«

»Das habe ich gemerkt.«

Hastor hatte sie zur Seite gezogen. Sie standen abseits der anderen Gäste und er hatte sie so gedreht, dass sein hünenhafter Körper Taremia vollends verdeckte.

»Was ist passiert?«

Taremia trank einen weiteren Schluck. »Ich dachte, ich hätte Deluwen gesehen.«

Hastor antwortete nicht sofort, sondern schien das Gewicht ihrer Aussage abzuwägen. »Keine Schwester von ihr?«, hakte er nach.

»Deluwen hatte keine Schwestern. Es war nur für einen kurzen Augenblick, dennoch deutlich genug, dass ich nicht glaube, dass ich es mir eingebildet habe.«

Er blickte über die Schulter. »Entweder hier ist jemand, der Spiele mit dir spielt … oder deine Mutter hat über ihre Verwandtschaftsverhältnisse gelogen.«

»Oder ich verliere nach all den Jahren doch noch den Verstand«, murmelte Taremia trocken und leerte ihren Kelch.

Allmählich gewann sie ihre Fassung zurück.

Was, wenn es Deluwen letztlich gelungen ist, den Tod zu besiegen?

Es war das Einzige gewesen, was ihre Mutter gefürchtet hatte. Zu sterben, bevor sie all ihre hochgesteckten Ziele erreichen konnte. Irrelevant und vergessen zu werden. Zumindest über den letzten Punkt hatte Deluwen sich nie sorgen müssen. Unglücklicherweise würde sich Taremia bis zum Ende ihrer Tage an sie erinnern müssen.

»Wie habe ich mich verhalten?«, fragte sie.

»Du hast reglos vor dich hin gestarrt und auf keine Ansprache mehr reagiert«, erklärte Hastor. »Halvien hat deinen Onkel abgelenkt und ich dich unter einem Vorwand weggezogen. Glücklicherweise dringt unser Passwort immer zu dir durch.«

›Dâr‹ war das altelfische Wort für ›Stopp‹ und für gewöhnlich war es fürs Schlafzimmer reserviert.

Halvien bahnte sich ihren Weg durch die Gäste zu ihnen. Sie seufzte leise und wischte sich mit den Fingerspitzen über die Stirn. »Ich habe Euren Onkel bei einer Gruppe neureicher Herren abgestellt. Geht es Euch besser?«

»Ja, macht Euch keine Gedanken um mich«, wiegelte Taremia ab. »Danke, dass Ihr Euch aufgeopfert hat, Euch um Ralnor zu kümmern.«

Halvien musterte sie forschend. Sie schien ihr nicht zu glauben, dennoch akzeptierte sie den Wunsch und ging nicht weiter auf ihren Zustand ein. »Wollt Ihr mich zum Büfett begleiten?«, fragte sie lächelnd. »Ich bin wirklich hungrig.«

Taremia ließ den Blick abermals durch den Garten schweifen.

Deluwen war tot. Sie musste eine Frau gesehen haben, die ihr lediglich sehr ähnlich sah. Ihr Verstand hatte ihr einen unangenehmen Streich gespielt. Nichts weiter.

Dennoch glaubte sie den ganzen Rest des Abends, überall das Parfüm ihrer Mutter zu riechen.

 

Kapitel 2 - Hastor

 

Der nächste Morgen war klar und angenehm mild. Es hatte nachts geregnet, doch Hastor glaubte nicht, dass die erträglichen Temperaturen lange halten würden.

Taremias vermeintliche Begegnung mit ihrer toten Mutter hatte Hastor noch bis in die späten Stunden beschäftigt. Er hatte das ganze restliche Fest über die Augen offen gehalten und nach einer Person gesucht, die Deluwen ähnlich genug sah, um die Panikattacke seiner Frau zu erklären. Aber er hatte niemanden gefunden.

Noch handelte es sich um eine einmalige Begegnung und kein Grund für größere Sorgen. Erst, wenn die vermeintliche Deluwen abermals in Taremias Nähe auftauchte, mussten sie sich Gedanken darüber machen, ob jemand hinter ihr her war. Und gezielt ihre verhasste Mutter nutzte, um sie zu terrorisieren.

Die Sonne tauchte die noch verschlafenen Straßen von Malachit in rotoranges Licht. In den letzten neun Jahren hatte sich das Bild der größten Stadt Adulars, die auch nach dem Zusammenschluss mit dem Nachbarreich die Hauptstadt geblieben war, sehr zum Positiven verändert. Er hatte viele Jahre hier gewohnt, aber lebte inzwischen mit Taremia in Anilin, dort wo auch die berühmte Akademie Krähenfels stand.

Früher hatte eine breite Treppe von der Oberstadt in das Elendsviertel der Dunkelelfen geführt. Die sogenannte Aschegrube war heruntergekommen und schmutzig gewesen, geprägt von Angst und Armut. Strenge Wächter hatten die Stufen rund um die Uhr bewacht, damit ja kein Dunkelelf in die Oberstadt kam.

Die Treppe war zwar geblieben, doch offen für jedermann. Heute gab es keine Aschegruben und Oberstädte mehr. Das ehemalige Elendsviertel in Malachit war das erste in Adular gewesen, das vollends renoviert worden war.

Hastor stoppte davor. Wo früher ein schlammiger Boden gewesen wäre, lagen nun helle Pflastersteine. Gräser und Blumen sprossen am Wegesrand, Bäume warfen lange Schatten über die neu gebauten Häuser.

Alles könnte so schön, friedlich und wunderbar sein. Wenn man nicht an der Oberfläche schabte und den Schmutz darunter freilegte.

›Grauhäute zurück in den Dreck!‹ war von irgendeinem Idioten an eine der Wände geschmiert worden. Zwei Dunkelfen begutachteten den Schaden. Der Mann kratzte sich kopfschüttelnd an der Stirn, während die Frau missbilligend ihre Hände in die Hüften stemmte.

Theoretisch besaßen Dunkelelfen überall die gleichen Rechte wie die anderen Völker. Die praktische Umsetzung davon gestaltete sich an vielen Stellen schwierig. Dunkelelfen bekamen selten fair bezahlte Arbeit, wenn man sie überhaupt einstellte. Ihre Kinder wurden in den Schulen benachteiligt, verbale und physische Angriffe gegen das Volk geschahen täglich.

Der Mann drehte sich um und sein Blick kreuzte den von Hastor. Seine Miene verhärtete sich und er verzog die Lippen, als hätte er etwas Widerliches im Mund. Auch die Frau wendete sich der Treppe zu und starrte hasserfüllt hinauf.

Für den einen Teil der Bevölkerung war Hastor ein Held. Für den anderen Teil, insbesondere den der Dunkelelfen, ein Monster. Beide Seiten hatten recht.

Hastor setzte seinen Weg fort.

Das Kaiserpaar Theodas und Shaila verfolgte ihre gesteckten Ziele von Gleichheit und Freiheit aller Völker hartnäckig, aber nicht tyrannisch. Ohne die Elendsviertel wirkte das Gesamtbild des Reiches wesentlich attraktiver. Ohne Sklaverei war es für umliegende Länder verlockender, mit Adular Bündnisse zu schließen und zu handeln. Dennoch war Hastor nicht so naiv zu glauben, dass es keine dunkelelfischen Leibeigenen mehr gab. Wie hoch die Dunkelziffer der noch immer gefangenen Sklaven war, wusste vermutlich nicht einmal der Kaiser.

Selbst wenn noch nicht alles lief wie gewünscht, stellte Adulars Entwicklung Hastor zufrieden. Er liebte seine Heimat und genoss es, sie wachsen und gedeihen zu sehen. Adular wurde stärker und würde mit den Jahren auch sicherer werden. Sicherheit bedeutete Stabilität und die wiederum Frieden.

Er passierte die Taverne ›Blauer Krug‹, vor der zwei offensichtlich betrunkene Männer herumlungerten.

»Guten Morgen, Meister Hastor«, rief der Hochelf und hob grüßend die halbvolle Weinflasche.

Hastor nickte ihm zu.

»Ist dir schon mal aufgefallen, wie wenig dieser Kerl mit einem Elfen gemein hat?«, lallte der Menschenmann. »Der sieht aus wie ein klobiger, zu groß geratener Zwerg. Ohne Bart, aber mit spitzen Ohren.«

»Was soll das denn jetzt?«, brummte der Hochelf.

»Hey! Bleibt stehen!« Der Menschenmann torkelte auf ihn zu. »Wisst Ihr, was mir so richtig gegen den Strich geht?«

Hastor stoppte tatsächlich. Er hatte keine Lust, dass dieser Fremde ihm nachlief wie ein verlorener Welpe. Ein besoffener, verlorener Welpe. Nüchtern würde es jedenfalls niemand wagen, ihn direkt und auf offener Straße anzugehen.

Gemächlich drehte er sich zu dem Mann um und musterte ihn abschätzig. »Ihr werdet es mir sicherlich gleich erzählen.«

»Bist du verrückt, Streit mit Hastor zu suchen?«, rief der Hochelf.

Er klang, als wäre er durch das dumme Verhalten seines Freundes schlagartig ernüchtert.

»Ihr seid es«, knurrte der Menschenmann.

Seine stechende Alkoholfahne wehte Hastor in die Nase, zusammen mit dem Gestank von Schweiß und kaltem Rauch. Damit beleidigte dieser Fremde schon drei seiner fünf Sinne.

»Ja, bla bla, Ihr habt so viel für Adular getan.« Der Mann drehte die Flasche in seiner Hand mit der Öffnung nach unten. Roter Wein floss auf die Straße und sprenkelte seine Schuhe. »Der große Löwe von Adular, pah! Wie viele Eurer Bewunderer wissen, dass Ihr nichts weiter als ein sadistischer Dreckskerl seid?«

Hastor schaute über den Kopf des Fremden hinweg. Sein Freund lief eilig in die Taverne. »Wenn Ihr Euch über diese Tatsache bewusst seid, haltet Ihr es dann wirklich für klug, derart aggressiv mir gegenüber zu werden?«

»Was Ihr den Dunkelelfen Adulars angetan habt, wird unvergessen bleiben«, keifte der Mann. »Eines Tages bekommt Ihr, was Ihr verdient! Dann werdet Ihr derjenige sein, der um Hilfe schreit und die Hände, die sich nach Euch ausstrecken, werden nur Prügel austeilen.«

Dann holte er mit der Flasche aus und ging auf ihn los.

Hastor wich ungerührt zur Seite aus und stellte dem Trunkenbold ein Bein. Der Mann, der in seinem Zustand ohnehin kaum geradeaus laufen konnte, stolperte und schlug der Länge nach hin.

Der Hochelf kam mit einer kräftigen Zwergin wieder nach draußen gerannt. »Dennik, hör auf!«

Zusammen mit der Zwergin zerrte er den Mann hoch und von Hastor weg.

»Lasst mich los!«, fauchte der Mann. »Er verdient dieses Leben nicht! Er verdient seine Freiheit nicht!«

»Darüber sind wir uns bewusst«, zischte die Zwergin und warf Hastor einen verächtlichen Blick zu. »Aber ihn anzugreifen bringt nichts.«

»Ich danke Euch für Eure Hilfe. Einen schönen Tag.« Unbeeindruckt wendete Hastor sich ab.

Früher wäre diesem Dennik sein vorlautes Maul nicht gut bekommen. Es hätte nur einen Fingerzeig von Hastor gekostet, um das Leben dieses Mannes zu ruinieren. Und vielleicht hätte ihn sein versuchter Angriff nicht nur in den Kerker von Malachit gebracht, sondern ihm auch eine Kostprobe von Hastors Foltermethoden eingehandelt.

Aber diese Zeit war vorbei. Er hatte sich zumindest in diesem Punkt gebessert.

Er bewegte sich weiter auf das Zentrum von Malachit zu. Vor neun Jahren hatte hier ein gewaltiger schwarzer Turm gestanden, in dem der ehemalige Kaiser Galdir residiert hatte. Obsidianturm war er genannt worden und Hastor war nicht der Einzige gewesen, der diese architektonische Entscheidung angezweifelt hatte.

›Nicht nur, dass sein Herrscherzentrum wie ein gigantischer Phallus aussieht. Ein schwarzer Turm, der bedrohliche Schatten über die Stadt wirft, wirkt für mich wie der Sitz eines Schurken‹, war eine häufig getroffene Aussage gewesen.

Theodas hatte das Ungetüm abreißen lassen, kaum dass er den Thron übernommen hatte. An seiner Stelle stand dort jetzt ein Palast. Gebaut aus hellen Steinen, außen verziert mit Symbolen für Einigkeit, Freiheit und Frieden.

Hastor näherte sich dem Eingang. Die Wächter stellten sich aufrechter hin, als sie ihn erblickten. Er grüßte sie, während sie sich respektvoll verneigten und ihn passieren ließen.

Er folgte dem Gang geradeaus, seine Schritte wurden durch den blauen Teppich in der Mitte des Bodens gedämpft. Sonnenlicht fiel durch die bodenlangen Fenster.

Kaiser Theodas hatte eine Vorliebe für Pflanzen, die zwar keinen Nutzen besaßen, aber immerhin hübsch anzusehen waren. Überall standen Kästen mit Blumen und verschiedenen Gewächsen. In Tonkübeln befanden sich kleine Bäume und Büsche. An einigen Wänden rankten sich Kletterpflanzen an speziellen Vorrichtungen empor. Entlang der Decke streckte sich ein Efeurelief.

Hastor stoppte vor dem Arbeitszimmer, in dem seit geraumer Zeit sein Nachfolger saß. Ein Dunkelelf namens Valion Briel.

Als die Revolution der Dunkelelfen auf ihrem Höhepunkt angelangt war, hatte er sich zum Anführer der Rebellen, den sogenannten Grauwölfen, aufgeschwungen. Zu dieser Zeit war Hastor nicht nur Adulars Heerführer gewesen, der ehemalige Kaiser Galdir hatte ihn zusätzlich mit der Sicherheit des Reiches betraut. Das bedeutete vor allem viel Papierkram. Egal ob reisende Händler, Gesetzesentwürfe, Beschwerden oder diverse Baugenehmigungen – sobald es irgendetwas mit der Struktur und dem Schutz des Reiches zu tun gehabt hatte, war es in Hastors Aufgabenbereich gefallen.

Demnach hatte Galdir es auch allein ihm zugeschoben, sich um die Rebellen zu kümmern.

Es war eine machtvolle Position gewesen, doch Hastor hatte es zutiefst verabscheut, ein Bürokrat sein zu müssen. Deshalb war er froh, diese Stelle an Valion abgetreten haben zu können.

Hastor klopfte an und trat ein, als er hineingebeten wurde. Valion saß hinter seinem Schreibtisch und war über ein paar Dokumente gebeugt.

Er hatte sich kaum verändert. Noch immer trug er sein dunkelrotes Haar auf einer Seite schulterlang, während es auf der anderen kurzgeschoren war. Noch immer ließ er sich einen kurzen Kinnbart stehen. Dunkelelfen waren die einzigen Elfen, die einen Bartwuchs vorzuweisen hatten. Und noch immer hatte er dieses schelmische, für andere sicherlich überaus charmant wirkende Grinsen auf dem Gesicht. An seinen spitzen Ohren glänzten mehrere silberne Ringe, die einen Kontrast zu seiner dunkelgrauen Haut bildeten.

Valion erhob sich. »Meister Hastor! Schön, dass Ihr Zeit gefunden habt.«

Hastor schüttelte seine Hand. An beiden von ihnen fehlte Valion der Ringfinger. »Natürlich. Was kann ich für Euch tun? Der Brief klang dringend.«

Valion wies auf den Stuhl, der gegenüber von seinem Schreibtisch stand, und setzte sich, nachdem Hastor sich darauf niedergelassen hatte.

Der Dunkelelf wurde ernst. »Wie Ihr sicherlich mitbekommen habt, verschwinden in Adular seit Monaten Adelige.«

Es war das Gesprächsthema auf den Straßen. Um die Vermisstenfälle nicht mitbekommen zu haben, musste man schon sehr ignorant sein.

»Fast alle Völker sind betroffen«, fuhr Valion fort. »Bis auf Dunkelelfen. Was zunehmend von der Bevölkerung bemerkt wird und zu … Spannungen führt.«

»Ja, mir kam der Unmut schon zu Ohren«, antwortete Hastor lediglich. »Sind einige der Vermissten gefunden worden?«

»Nur ihre Leichen. Die Wunden weisen darauf hin, dass sie vor ihrem Tod entweder gefoltert wurden oder in Kämpfe verwickelt waren. Oder beides. Manche sehen aus, als wären sie wochenlang nicht in der Sonne gewesen.« Valion stützte die Ellenbogen auf und verschränkte die Finger ineinander. »Es gibt keine Gemeinsamkeiten, was das Geschlecht, Alter oder Volkszugehörigkeit betrifft. Das Einzige, was sie alle verbindet, ist, dass sie der Oberschicht angehören und aus dem alten Teil Adulars stammen.«

»Was beweisen sollte, dass die Tatsache, dass Dunkelelfen nicht betroffen sind, nichts mit der geringen Anzahl Adeliger ihres Volkes zu tun hat.« Hastor lehnte sich vor. »Wer auch immer dahintersteckt, bedroht damit die Stabilität des Kaiserreiches. Es werden gezielt einflussreiche Personen verschleppt und der Unmut auf die Dunkelelfen gelenkt. Denkt Ihr, es handelt sich um einen Rachefeldzug? Gegner der Revolution, Feinde vom Kaiserpaar? Oder sogar ehemalige Sklaven, die ihre alten Unterdrücker leiden sehen wollen und dabei in Kauf nehmen, dass Dunkelelfen wieder als Bedrohung wahrgenommen werden?«

Valion schwieg einen Moment und zupfte sich gedankenversunken am Kinnbart. »Ich möchte noch einmal betonen, dass nichts, was wir hier besprechen, den Raum verlassen darf. Außer Meisterin Taremia, vielleicht brauchen wir ihre Ressourcen auch.«

Das ließ Hastor hellhörig werden.

Valion erwiderte seinen eindringlichen Blick, ehe er ihn zu einer Karte des Kaiserreiches schweifen ließ. »Wir haben eine vielversprechende Spur, die uns zu einer illegalen Kampfarena führt. Versteckt, irgendwo in Adular. Ihr seid der Erste außerhalb des Palastes, der davon erfährt. Leider ist es uns noch nicht gelungen, Spione dort einzuschleusen. Geschweige, dass wir überhaupt eine Ahnung hätten, wo dieser Ort sein soll. Und offen gesprochen stoßen wir an unsere Grenzen.«

Skeptisch legte Hastor die Stirn in Falten. »Wie ist das möglich? Ihr besetzt eine der einflussreichsten Positionen des Reiches. Das Kaiserpaar stärkt Euch den Rücken. Ihr solltet alle Mittel und Wege haben, diese Arena aufzuspüren und auszuheben.«

Für den winzigen Moment zwischen zwei Lidschlägen entgleisten Valions Züge und ein Ausdruck tiefer Frustration erschien auf seinem Gesicht. Er wischte ihn mit einer wegwerfenden Handbewegung fort, als würde er eine lästige Fliege verscheuchen.

»Ich bin nicht mehr der Rebellenanführer von damals, Hastor. Früher hätte ich alle illegalen, schmutzigen, falschen und moralisch höchst verwerflichen Hebel in Bewegung gesetzt. Und ich wäre damit durchgekommen.«

Hastor erlaubte sich ein schiefes Grinsen. »Wenn Ihr mir nicht in die Klauen geraten wärt.«

Der Dunkelelf erwiderte seine Geste zwar, doch den bitteren Zug um seine Mundwinkel verbarg er dabei nicht. »Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, ist das – wartet, lasst mich nachrechnen – nie passiert.«

»Narrenglück.«

»Vielleicht.« Valion rieb den linken Stumpf, der von seinem Ringfinger geblieben war. »Aber derlei Dreistigkeit war es, was die Revolution gebraucht hat. Das ist es, was wir benötigen, um diese Arena zu finden und zu zerschlagen. Allerdings darf nicht mehr ich die treibende Kraft dahinter sein. Theodas und Shaila würden das nicht gutheißen.«

Hastors Mundwinkel zuckten flüchtig. »Galdir war … sagen wir, nachsichtiger, was unkonventionelle Methoden angeht.«

»Das war er.« Valion schnaubte leicht amüsiert. »Mir sind die Hände gebunden, aber Euch nicht. Taremia nicht. Ihr habt immer noch die alten Kontakte, nehme ich an? Sprecht mit jedem, der irgendetwas wissen könnte, egal, wie zwielichtig diese Person ist. Ihr habt volle Rückendeckung von uns. Auch wenn ich mich nicht aktiv beteiligen darf, kann ich Euch nicht davon abhalten, mit Kontakten zu sprechen, die Ihr offiziell ohnehin nicht habt, oder? Jede noch so kleine Information könnte uns helfen, diesem Treiben ein Ende zu bereiten, bevor die Adelshäuser durchdrehen.«

Hastor fragte sich, wie sehr der Dunkelelf sich wünschte, etwaige Ermittlungen selbst anführen zu dürfen. Er kannte das Gefühl, in einem bürokratischen Käfig gefangen zu sein. Ob man nun der Löwe von Adular war, dem eine Kette angelegt wurde, oder der Rudelführer der Grauwölfe. Man blieb ein eingesperrtes Tier, das viel mehr ausrichten könnte, wenn man es nicht an der kurzen Leine hielte.

»Warum ausgerechnet ich?«, fragte Hastor. »Ihr seid eine ehemalige Schattenklinge und ein Rebell. Ihr hättet leicht auch einen Eurer früheren Verbündeten herrufen können.«

Valion lachte trocken. »Oh, kommt schon! Muss ich Euch wirklich Honig ums Maul schmieren?«

»Das würde meinem übersteigertem Ego durchaus gefallen, aber nein. Ich will die bittere Wahrheit. Ihr habt mich nicht nur anhand meiner Fähigkeiten oder Kontakte ausgewählt.« Hastor bohrte sich mit seinem Blick in Valions dunkelrote Augen. »Ich bin der perfekte Köder, nicht wahr? Mein Name steht in großen, roten Lettern weit oben auf der Liste dieser Leute. Vermutlich beobachten sie mich längst und warten auf eine Gelegenheit, mich fangen zu können.«

Ergeben hob Valion die Hände. »Ich wollte mich langsam rantasten, aber hätte wissen müssen, dass ich bei Euch kein Blatt vor den Mund nehmen muss. Ich denke, diese Arena ist genau wie die in Kelna damals.« Verachtung verdunkelte seine Züge. »Ihr wisst, wie es dort zugegangen ist. Ihr habt selbst dort gekämpft.«

Es war keine Zeit, an die Hastor gern zurückdachte, es war einer von vielen Schandflecken in seiner Geschichte. Trotzdem hatte er, darauf angesprochen, stets behauptet, Spaß an den Kämpfen dort gehabt zu haben. Hatte sich gebrüstet mit jedem Sieg. Vor allem, wenn ihm danach gewesen war, garstig zu sein und seine Gegenüber zu provozieren.

Dass seine Teilnahme an diesem blutigen Theater nicht freiwillig geschehen war, spielte keine Rolle. Der Schaden war angerichtet und die Dunkelelfen ermordet. Er hatte hundert ›Siege‹ dort errungen, ehe der alte Kaiser sich dazu herabgelassen hatte, ihn von dieser Pflicht zu entbinden. Galdir war der Meinung gewesen, das Volk dürfe sich den Löwen von Adular nicht entgehen lassen.

»Nehmen wir an, es existiert eine Gruppe Dunkelelfen, die einen Rachefeldzug gegen die Oberschicht führt.« Hastor erhob sich und schlenderte durch den Raum. »Diese Gruppe hat irgendwo eine versteckte Arena, die der von Kelna nachempfunden ist. Adelige kämpfen dort gegeneinander auf Leben und Tod. Sie werden mit bloßen Händen gegen schwer bewaffnete Krieger antreten müssen. Vielleicht müssen sich die Gefangenen auch gegen hungrige Tiere zur Wehr setzen.« Er legte die Hände hinter seinen Rücken. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Name nicht längst auf der Liste dieser Leute steht. Werden künftige Opfer beobachtet? Wie viele Personen stecken hinter der Arena?«

Valion lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Und wie können wir das Volk vor ihnen beschützen?«, murmelte er. »Setzt Euch wieder hin.«

Hastor hielt inne und zögerte. Ihm war nicht danach, zu sitzen oder auf das zu hören, was der Dunkelelf ihm befahl. Sekundenlang lieferten sie sich ein stilles Blickduell, ein kleines Machtspiel. Durch die Fenster fiel warmes Sonnenlicht. Ein Spatz ließ sich auf dem Fenstersims nieder.

Geduldig wies Valion auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. »Bitte.«

Hastor gab nach und nahm wieder Platz.

Ein Funkeln erschien für Bruchteile von Sekunden in den Augen des Dunkelelfen. Genugtuung? Schlichte Zufriedenheit?

»Es ist kein ungefährlicher Auftrag, um den ich Euch bitte. Wenn Ihr Nachforschungen über die Arena anstellt, werden die Hintermänner und -frauen davon erfahren«, fuhr Valion bedächtig fort. »Es kann passieren, dass sie Euch holen kommen. Wenn Ihr erst einmal in ihrer Gewalt seid, werden sich die Leute darum reißen, gegen Euch antreten und Euch das antun zu können, was die Dunkelelfen durchleiden mussten. Zu einem nicht unbeachtlichen Teil durch Euch.«

»Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich diese Arena überlebe, wesentlich höher als bei anderen«, gab Hastor zu bedenken. »Nicht nur aufgrund meiner Erfahrungen auf dem Schlachtfeld, die mir auch ohne Schwert und Schild zugutekommen sollte, sondern weil die Betreiber der Arena sich an mir eine goldene Nase verdienen werden. Wenn sie mich einmal haben, lassen sie mich nicht so schnell sterben. Wenn sie mich haben. Nun ist die Frage, ob wir das erreichen oder verhindern wollen.«

Es gab einen Anteil von ihm, der danach lechzte, sich in diese Arena zu stürzen. Hastor war sich bewusst darüber, dass er in eine nachteilhafte Position gebracht werden würde, wenn es so weit kam. So war es für die Opfer in Kelna schließlich auch gewesen.

Doch ein Teil von ihm wollte genau das. Was er dort verabscheut hatte, winkte ihm hier als Herausforderung. In Kelna war sein Leben niemals in Gefahr gewesen, dort würde es anders aussehen. Und dieser verdorbene Part seiner Seele gierte förmlich danach. Den Rausch des Kampfes zu erleben, der sein Herz zum Rasen und sein Blut zum Kochen brachte.

Gewalttätige Bilder vergangener Schlachten drängten sich in seinen Verstand und sein Puls beschleunigte sich.

Valion verschränkte die Arme vor der Brust. »Natürlich wäre es von Vorteil für uns, wenn wir einen Spion in den Reihen des Feindes hätten. Aber das würde Euch in erhebliche Gefahr bringen. Ich fürchte, dass wir bereits Leah verloren haben. Wenn Ihr nun auch verloren geht …«

»Würde Euch das wenig kümmern«, vervollständigte Hastor kühl.

Spöttisch legte Valion eine Hand über sein Herz. »Ihr verletzt mich, Hastor.«

»Wenn hingegen die Bevölkerung mitbekommt, dass ausgerechnet ein erklärter Held einer Entführung und Ermordung zum Opfer gefallen ist, könnte das ihre Panik schüren«, fuhr Hastor ungerührt fort. »Welche Sicherheitsmaßnahmen werdet Ihr für mich ergreifen?«

»Wir haben zwei Netze für Euch.« Der Dunkelelf hielt den Zeigefinger hoch. »Das erste ist ein Kristall, in dem wir einen Teleportationszauber speichern. Bei Gefahr müsst Ihr ihn nur zerschlagen und Ihr werdet zurück nach Malachit gebracht.« Er streckte den Mittelfinger dazu. »Das zweite ist ein Runenstein, mit dessen Hilfe wir Euren Aufenthaltsort aufspüren können, solange wir das Gegenstück besitzen.«

Still wog Hastor Pro und Kontra ab. Die vermissten Adeligen kümmerten ihn nicht. Allerdings liefen seine Schwestern ebenfalls Gefahr, ins Visier dieser Leute zu geraten. Und wie er selbst gesagt hatte, bedrohte diese Arena Adulars Stabilität, die ohnehin auf wackeligen Beinen stand.

Er liebte seine Heimat. Wenn etwas immer für ihn im Vordergrund gestanden hatte, dann das Kaiserreich. Er würde nicht zulassen, dass mutmaßliche Revolutionsgegner das zerstörten, woran die neuen Herrscher seit neun Jahren arbeiteten.

»Vorbereitung ist alles«, fuhr Valion fort. »Und deshalb vertrauen wir auf Euch. Auf Eure Kontakte, Eure Fähigkeiten. Euer Kaiserreich braucht Euch, Hastor.«

Der Dunkelelf brauchte ihn nicht bitten. Für Hastor stand längst fest, dass er den Auftrag annahm.

Es war viele Jahrzehnte her, seit er sich seinen Titel ›Löwe von Adular‹ errungen hatte. Während der Revolution hatte er sich nicht mit Ruhm bekleckert, selbst wenn er sich am Ende für das Richtige entschieden hatte.

Vielleicht war dies auch eine Chance, um dem Kaiserreich zu zeigen, dass er seines Titels würdig war. Vielleicht brachte es verlorene Sympathisanten zurück zu ihm.

Es ging ihm dabei nicht darum, verehrt zu werden. Bewunderer waren lästig und wussten oft nicht, wem sie huldigten. Aber es brachte Vorteile, wenn man Freunde in den richtigen Positionen hatte.

Er schwieg weiterhin, ging im Kopf diverse Namen von Personen durch, die ihm helfen könnten. »Nun, Meister Valion, Ihr wisst, dass ich Euch und Kaiser Theodas keinen Wunsch abschlagen kann«, sagte er schließlich. »Ich werde gleich heute Abend einige Briefe schreiben und mit Taremia sprechen, um erste Vorbereitungen zu treffen.«

Valions Schultern entspannten sichtlich. »Ich danke Euch. Das letzte gemeldete Entführungsopfer war die Matriarchin der Kardove-Familie in Tartrazin. Das könnte ein guter Anfangspunkt für Eure Ermittlungen sein. Falls Ihr Ressourcen braucht, Gold, Pferde … Was auch immer es ist, wir können Euch sicherlich aushelfen.«

»Vertraut Ihr mir?«, fragte Hastor.