Mensch, mach langsam! - Ute Rott - E-Book

Mensch, mach langsam! E-Book

Ute Rott

4,7

Beschreibung

Gute Leinenführigkeit ist etwas, das für unser Zusammenleben mit Hunden in der modernen Welt unerlässlich ist. Aber obwohl viele Hundehalter heute auf freundliche Art und Weise ihrem Hund eine gute Leinenführigkeit beibringen möchten, ziehen viele Hunde unerträglich. Was ist der Grund? Sind das vielleicht wir Menschen, die einfach zu hektisch und aufgeregt sind? Machen wir es den Hunden viel zu schwer, mit uns entspannt zu leben? Diesen und vielen anderen Fragen geht Ute Rott nach und zeigt Ihnen unkonventionelle Wege auf, um Ihnen und Ihrem Hund ein entspanntes Leben zu ermöglichen. Vielleicht müssen Sie tatsächlich einiges in Ihrem Leben - aber vielleicht ist das auch zu Ihrem Vorteil und zu dem Ihrer Pelznasen. Möglich wär's.

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Inhalt

Mensch, mach langsam!

Und wer ist schuld?

Die Zeit, sie eilt im Sauseschritt – und wir, wir sausen alle mit!

Zahlreiche Gründe, warum für Hunde das Zusammenleben mit Menschen und das lockere Laufen an der Leine schwierig ist

Die Leine

Nicht springen! – Das Bild im Kopf

Menschen und ihre Hände

Welpen

Hunde aus dem Tierschutz

Strafe muss sein! oder: was bewirkt der Leinenruck?

Das hast du gut gemacht! – Motivation, Belohnung und Bestätigung

Über Erziehungsgeschirre, Telefonate mit Hunden und andere "Hilfsmittel"

An lockerer Leine

Spaziergang mit ein, zwei, drei ... Hunden

Beispiele aus der Hundeschule

Fazit

Danke schön

Buchempfehlungen

Zur Autorin

Mensch, mach langsam!

Als ich 2003 als Hundetrainerin mein Gewerbe anmeldete, war die Sache mit der Leinenführigkeit noch relativ einfach. Die meisten Hunde wurden damals mit sehr groben Methoden trainiert und man musste in vielen Fällen einfach nur ein freundliches Training aufbauen und schon wurde die Sache besser: Brustgeschirr, genügend lange Leine, freundliche Körpersprache und die Pelznase atmete erleichtert auf und ging an lockerer Leine.

Das hat sich leider geändert. Nein, nicht die Tatsache, dass die unfreundlichen Methoden mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt werden, macht mir Kopfzerbrechen. Viel mehr beschäftigt mich die paradoxe Erfahrung, dass trotz der Zunahme an gewaltfrei und freundlich arbeitenden Hundeschulen immer mehr Hunde an der Leine zerren und ziehen, dass es kaum zum Aushalten ist. Viele Menschen machen sich um das Wohlergehen ihrer Hunde weitaus intensivere Gedanken als noch vor einigen Jahren, dennoch wird das Training zur Leinenführigkeit immer schwieriger. Und das sehe nicht nur ich so, das bestätigen viele KollegInnen.

Nachdem sehr viele Hunde mittlerweile am Brustgeschirr geführt werden und sich viele Hundebesitzer schnell von langen Leinen überzeugen lassen, kann es daran nicht liegen, denn Brustgeschirr und lange Leine sind eine gute Voraussetzung für gute Leinenführigkeit. Auch an den Hunden liegt es nicht, denn Hunde sind grundsätzlich bestrebt, sich uns anzupassen und alles richtig zu machen. Also liegt die Ursache bei uns. Bleibt ja sonst nichts übrig.

Unter diesem Aspekt baue ich seit geraumer Zeit mein Leinenführigkeits - training auf und siehe da – es klappt. Nicht immer und nicht zu 100%, aber mit deutlichem Erfolg. Denn wenn wir Menschen die Ursache für viele, wenn nicht sogar alle Probleme sind, die mit und durch Hunde entstehen, dann sollten wir diesen Ansatz auch auf die Leinenführigkeit anwenden.

Es gibt viele gute Bücher zur Leinenführigkeit, die unbedingt empfehlenswert sind, solange sie freundliche und gewaltfreie Methoden propagieren. Bei keinem Training gibt es eine Rechtfertigung dafür, Hunde in ihrer Würde zu verletzen, ihnen Schmerzen zuzufügen und Druck auszuüben. Wenn Sie also Bücher finden, die Ihnen gute Wege zur lockeren Leine vorstellen, dann lesen Sie sie und testen Sie alles aus, was sinnvoll und freundlich ist. Aber Sie werden feststellen, so gut wie alle Autoren suchen die Ursache beim Hund und nicht bei uns.

In Folgenden werden Sie nicht nur meine Gedanken und Ideen zum Leinenführigkeitstraining nachlesen, Sie werden auch viele Ansätze finden, die einiges auf den Kopf stellen könnten, was Sie bisher über sich und Ihr Leben mit Ihrem Hund dachten. Keine Angst! Es wird nichts Übermenschliches von Ihnen verlangt. Sie müssen sich nur zutrauen, ein paar unkonventionelle Gedanken in die Tat umzusetzen. Probieren Sie es doch einfach aus!

Und jetzt noch was zur Schreibweise: es ist mittlerweile üblich, den Lesern und Leserinnen vorab zu erklären, warum man die eine oder andere Schreibweise, z.B. Leser_in oder LeserInnen oder nur Leser oder nur Leserinnen oder etwas in dieser Art verwendet. Ich habe mich dafür entschieden, in den allermeisten Fällen, die weibliche Form, z.B. Hundetrainerin zu verwenden, vor allem dann wenn es sich um etwas handelt, das überwiegend Frauen betrifft und Frauen sind nun mal häufiger als Trainerinnen unterwegs als Männer. Zwischendrin, damit es nicht langweilig wird, erscheint auch mal die eine oder andere Schreibweise. Nehmen Sie es locker, das ist es nicht worauf es ankommt.

Zum Lesen und Umsetzen und zum Genießen Ihres Erfolges wünsche ich Ihnen viel Spaß.

1. Und wer ist schuld?

Mit einem Hund spazieren zu gehen, der nicht gut erzogen ist, kann zum Martyrium werden, für Mensch und Hund. So wie wir mit Hunden aber zusammen leben, muss jeder Hund lernen, ordentlich an der Leine zu gehen, zu kommen, wenn er gerufen wird, mal ein Weilchen irgendwo zu warten und insgesamt sich anständig zu benehmen. Nur: warum gibt es so viele Hunde, die das alles oder zumindest einen Teil davon nicht mal ansatzweise beherrschen? Warum sieht man so viele Hunde, die an der Leine zerren, anscheinend Tomaten auf den Ohren haben, sobald sie frei laufen, sich kaum einen Moment beherrschen oder ein wenig warten können, und viele, viele Dinge machen, die einem angenehmen Zusammenleben total entgegenlaufen?

Wir Menschen haben leider die Tendenz, immer einen „Schuldigen“ zu suchen, wenn etwas nicht so klappt, wie wir es gerne möchten. An einem misslungenen Urlaub ist das Hotel schuld, das nicht hält, was der Prospekt verspricht. Unzufrieden mit der Arbeit sind wir, weil die Kollegen uns nerven. Der Nachmittag im Garten ist deshalb nicht schön, weil der Nachbar sich mit seiner Frau zu laut unterhält ...

Genau so halten wir es auch, wenn das Training unseres Hundes nicht klappt: Der Kunde gibt die Schuld der Hundeschule, weil die Methode nicht funktioniert. Die Hundeschule gibt die Schuld dem Kunden, weil der die Tipps nicht richtig umsetzt. Und beide geben die Schuld dem Hund, weil er dominant, erziehungsresistent oder stur und auf gar keinen Fall kooperativ ist.

Und was denkt der Hund?

Das wissen wir nicht so genau. Aber ich bezweifle ernsthaft, dass Ihr Hund oder die Hunde Ihrer Kunden denken: Frauchen ist schuld, dass ich so an der Leine ziehen muss. Sie ist so dominant und stur, ganz schrecklich. Wenn sie ein bisschen besser kooperieren würde, müsste ich nicht an der Leine ziehen. Er denkt auch nicht: ist mir doch egal, wie lange Herrchen da steht und ruft, der hört schon wieder auf, und Herrchen ist auch so dermaßen erziehungsresistent, das sollte er doch schon gemerkt haben, wann ich nicht kommen möchte. Wenn Sie mir in diesem Punkt, dass Hunde ganz sicher so nicht denken, recht geben, dann sind wir schon einen großen Schritt weiter. Aber jetzt lassen wir die Suche nach dem Schuldigen mal beiseite. Überlegen wir lieber, warum so viele Menschen mit ihren Hunden Probleme mit dem Gehorsam und mit dem Zusammenleben haben, obwohl sie in die Hundeschule gehen. Denn auch wenn es viele unterschiedliche Methoden gibt, einen Hund zu erziehen, arbeitet die Mehrheit der Hundeschulen heute mit eher freundlichen Methoden, und viele HundetrainerInnen bilden sich laufend fort, um den Anforderungen ihrer Kunden gerecht zu werden. Warum also ist etwas so Essentielles wie Leinenführigkeit nach wie vor für viele Mensch-Hund-Teams ein Problem?

Was bedeutet das überhaupt: Erziehung und Grundgehorsam? Sitz, Platz, Fuß können auch viele Hunde, die sich einen Teufel drum scheren, zu ihrem Menschen zu kommen, wenn der ruft. Manch ein Hund läuft auch wie ein Roboter bei Fuß, solange Herrchen nicht vergisst, das Kommando zu geben. Aber ohne Kommando zieht er wie Hechtsuppe. Bleiben wir ruhig mal bei der Leinenführigkeit, denn das wird das Hauptthema dieses Buches sein.

Ein wichtiger Punkt, über den wir uns klar werden müssen, heißt: was bedeutet eine Leine für einen Hund überhaupt? Zunächst einmal gar nichts. Das ist ein Strick, mit dem man besonders als Welpe hervorragend zerren und spielen kann, auch als erwachsener Hund kann man darauf rumkauen, aber das war’s dann schon wieder. Jetzt kommt ein Mensch daher und hängt diese Leine am Brustgeschirr ein und geht einfach davon aus, dass Hundi schon versteht: jetzt kann ich nicht mehr überall hin, wo ich hin möchte, jetzt muss ich bei Herrchen bleiben und der Strick, der an mir dranhängt, soll locker durchhängen. Ja, schön wär’s, aber so läuft das nicht.

Es gibt kein „Leinenführigkeitsgen“ bei Hunden. Leider. Vielleicht entwikkelt sich in den nächsten 10.000 Jahren, wenn alle Menschen konsequentes Leinenführigkeitstraining mit ihren Hunden machen, so ein Gen. Das wäre wunderbar. Aber Sie und ich, wir können da nicht drauf hoffen. Wir müssen damit leben, dass es für jeden Hund – und das nehmen Sie bitte ernst und wörtlich – also für jeden Hund notwendig ist zu lernen, was Leine und Brustgeschirr bedeuten. Auch wenn alle Vorfahren dieses Hundes die letzten 100 Jahre vorbildlich an der Leine gelaufen sind, muss unser Bello das ganz neu lernen. Sie können sich das so vorstellen: selbst wenn Sie eine begabte Gärtnerin oder ein begnadeter Koch sind, ist es noch lange nicht gesagt, dass Ihre Kinder ganz selbstverständlich zu genialen Gärtnern oder Starköchen heranwachsen. Sie bringen vielleicht durch Ihre Erziehung ein gewisses Grundverständnis oder eine natürliche Begabung für Gartenbau oder Kochkunst mit, aber das ist auch alles.

Sie können bei Ihrem Vierbeiner weder ein Grundverständnis noch eine natürliche Begabung für Leinenführigkeit voraussetzen. Gartenbau oder Kochkunst haben mit Grundbedürfnissen zu tun, mit dem Bedürfnis nach Nahrung, bzw. guter Ernährung. Das Fixieren einer Leine an einem Hund hat mit seinen Grundbedürfnissen rein gar nichts zu tun. Sie befriedigen dadurch weder seinen Jagd-, noch seinen Sexualtrieb, er wird deshalb nicht besser oder schlechter ernährt, kein einziges soziales Bedürfnis hängt damit zusammen, es hat nichts mit Nähe zu Sozialpartnern oder anderen Hunden zu tun. Denn in Ihrer Nähe kann er sich auch ohne Leine aufhalten, ohne Leine kann er viel besser jagen oder Freundschaft mit anderen Hunden pflegen. Läufige Hündinnen finden unangeleint deutlich leichter einen Vater für ihre Kinder und Mülleimer lassen sich auch ohne Leine besser plündern. Und Hunde legen sich gegenseitig niemals ein Brustgeschirr um, noch fixieren sie sich mittels Leinen. Hunde tun so was nicht. Nur Menschen. Leine und Brustgeschirr sind für jeden Hund also eher eine starke Einschränkung, die ihn daran hindert, seine Bedürfnisse so zu befriedigen, wie er es gerne möchte.

Es hat deshalb keinen Sinn, die Schuld – oder die Ursache – für die schlechte Leinenführigkeit Ihres Hundes bei ihm zu suchen, wenn er noch nicht mal ein Grundverständnis dafür mitbringt. Sie müssen ihm gut und für ihn nachvollziehbar erklären, was Sie von ihm möchten und wie er es bitte tun soll. Und dabei sollten Sie Methoden wählen, die Bello Ihr Anliegen leicht verständlich nahebringen. Denn um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Hunde brauchen eigentlich keine Leine. Für sie ist das zunächst eine lästige Marotte von Frauchen. Aber wenn Sie es richtig machen, kann die Leine die wunderbare Bedeutung erhalten: wir machen was Schönes zusammen.

Wenn wir uns einig sind, dass Ihr Bello keine Schuld an Ihren schmerzenden Schultern hat, dann könnte es ja immer noch die Hundeschule sein, die Ihnen untaugliche Methoden vermittelt. Das ist insofern schwierig, da die allermeisten Trainer in der Lage sind, Ihnen Beispiele zu nennen, wo ihr Training funktioniert hat. Glauben Sie ja nicht, dass z.B. gewalttätige Trainings nicht erfolgreich sein können. Ganz im Gegenteil: ich werde Ihnen beweisen – leider –, dass diese Trainings durchaus wirken. Wenn einem die Nebenwirkungen egal sind und man sich nicht darüber im Klaren ist, dass den Preis dafür der Hund bezahlt, dann können viele Menschen – wieder leider – gut damit leben, dass an ihrem Bello gerupft und gezupft wird. Gott sei Dank gibt es aber immer mehr Menschen, die diese Art von Umgang mit ihren Hund ablehnen. Und immer mehr wollen gar nicht erst lernen, wie man seinen Hund malträtiert, sie möchten lieber mit freundlichen und gewaltfreien Methoden arbeiten und das ist auch gut so.

Mangelnde Leinenführigkeit beruht sehr häufig auf Missverständnissen, weil Menschen eben oft bei anderen – auch bei ihren Hunden – voraus setzen, dass sie schon verstehen, was gerade angesagt ist. Wenn Sie das mit Ihrem Partner so machen, dann kann der nachfragen, Ihr Hund kann das nicht. Deshalb haben Missverständnisse zwischen Mensch und Hund häufig schwerwiegende Folgen. Denn wenn Sie nicht in der Lage sind, Ihrem Hund die Leinenführigkeit gut beizubringen, dann geben Sie in der Regel ihm die Schuld, bestrafen ihn womöglich, oder geben ihn sogar ab, was die schlimmste aller Strafen für einen Hund ist.

Ist Ihnen schon mal Folgendes begegnet? Sie sehen einen Menschen mit Hund und sind einfach nur sprachlos. Alles, was bei Ihnen und Bello nicht klappt, läuft hier wie am Schnürchen. Der Hund geht perfekt und ohne zu mucken exakt neben seinem Herrn, er schaut nicht links und nicht rechts, er macht sein großes und kleines Geschäft erst nach Ansage. Egal ob mit oder ohne Leine, dieser Hund sieht auf der Welt nur eins: diesen seinen gottähnlichen Herrn, der ihm über alles geht. Wow! denken Sie, so ein Wahnsinn, das hätte ich auch gerne!

Ist das wirklich so einfach? Geht dieser Mensch seinem Hund wirklich über alles? Hat er überhaupt kein Problem damit, sich zu hundert Prozent seinem Herrn anzupassen?

Glauben Sie mir, was Sie da bewundern, ist das Ergebnis eines gnadenlosen Umgangs mit einem fühlenden, intelligenten Lebewesen, mit Gehorsam hat das nichts das geringste zu tun. Deshalb ist dieser Mensch für seinen Hund kein Freund, kein Herr“chen“ oder Frau“chen“, sondern ein „Herr“ oder eine „Herrin“. Vermutlich hat auch dieser Hund irgendwann versucht, sich Freiraum zu verschaffen, dem Druck auszuweichen, der von diesem Menschen ausgeht. Die Antwort war pure Gewalt und unmenschlicher Druck. Das Ergebnis ist grausam: ein seelisch toter Hund, der wie eine Maschine funktioniert, der keine eigenen Ideen mehr entwikkelt und zu keiner normalen Reaktion mehr fähig ist. Solche Hunde sind nicht gut erzogen, sie wurden dressiert und abgerichtet. Ihre Interessen und Bedürfnisse wurden ohne Rücksicht auf Verluste den menschlichen Interessen untergeordnet. Wer seinen Hund liebt und sein bester Freund sein möchte, der kann das nicht wollen. Im Verlauf des Buches werden wir auf die Methoden zu sprechen kommen, mit denen Hunde dazu gebracht werden, so zu „funktionieren“. Glauben Sie mir: das wollen Sie nicht.

Erziehung heißt vor allem: Vorbild sein. Das gilt in der Hundeerziehung ebenso wie bei Kindern. Wenn Sie also geduldig und höflich mit Ihrem Hund umgehen, ihm mit liebevoller Konsequenz und hundeverständlich im richtigen Tempo beibringen, wie Sie sich das Zusammenleben vorstellen, wenn Sie in schwierigen Situationen vernünftige Lösungen anbieten, die ihm das Leben erleichtern, dann bekommen Sie auch einen geduldigen, freundlichen und höflichen Hund, der weiß, was Sie möchten und sich gerne nach Ihnen richtet, wenn es drauf ankommt.

Wenn Sie so mit Ihrem Hund arbeiten möchten,

dass beide Freude an der Arbeit haben

dass Sie lernen, wie Sie ihm leicht verständlich seine Aufgabe erklären können

dass Sie die Verantwortung für ihn und seine Erziehung übernehmen

dass Sie gewaltfreie Methoden zur Erreichung dieses Ziels lernen möchten, dann können wir die Frage „Wer ist schuld daran, dass Ihr Hund nicht ordentlich an der Leine geht?“ ad acta legen und uns damit beschäftigen, wie wir Ihr Problem in den Griff bekommen.

In diesem Buch möchte ich Ihnen Schritt für Schritt erklären, warum uns Hunde vor allem bei der Leinenführigkeit nicht oder nur schlecht verstehen, aber auch, wie wir das ändern können. Wir werden Bekanntschaft mit unerfreulichen Methoden machen, aber nur zu dem Zweck, damit Sie verstehen, warum man es besser anders macht. Sie sollten bereit sind, unkonventionelle Wege zu gehen, und sich Gedanken über Dinge zu machen, die vordergründig nicht mit Ihrem aktuellen Problem zusammen hängen. Wenn Sie das möchten, dann fangen wir an.

2. Die Zeit, sie eilt im Sauseschritt – und wir, wir sausen alle mit!

Wir leben in einer schnellen Zeit. Das ist eine Binsenweisheit, aber deswegen nicht weniger wahr. Alles, was wir tun, wird von irgendeinem Zeitmesser kontrolliert. Egal, wie Ihr Tag eingeteilt ist, Sie haben eine Armbanduhr, einen Wecker am Nachtkästchen, eine Küchenuhr, eine Uhr im Auto, im Wohnzimmer, im Bad, unzählige Uhren hängen an U-Bahnstationen, Bahnhöfen, Flugplätzen, an Rathäusern und Kirchen. Jeder von uns hat einen Kalender, in dem wichtige Termine vermerkt sind. Für einige tut‘s schon mal einer mit Comics oder mit Zitaten von bedeutenden Persönlichkeiten, in denen Geburtstage und andere Lebensdaten vermerkt werden, aber viele verfügen über einen detaillierten Terminplaner aus Papier oder im Handy, in dem mit genauen Zeitangaben steht, wann was zu erledigen ist und wie lange es dauern darf: Arztbesuche, Steuertermine, Kindergeburtstage, Hochzeitstage, Jubiläen, Firmenfeiern, Kundentermine, Hundeschule ... Sehen Sie mal nach, was für Sie im Laufe eines Jahres wichtig ist.

Wir unterscheiden sehr genau zwischen Arbeits- und Freizeit. Aber selbst unsere „Frei“zeit, also die Zeit, die wir angeblich zur freien Verfügung haben, ist genau durchgeplant. Zu bestimmten Zeiten betreiben wir Sport, zu anderen ist Kultur dran, dann mischt sich noch das Fernsehprogramm ein. Im Frühjahr ist eine Fastenkur mit Meditation angesagt und im Herbst der Wanderurlaub in den Bergen. Selbst wenn die beste Freundin anruft, ist eine spontane Verabredung selten möglich. Und wenn wir uns nicht notieren, dass wir am Wochenende bei der Oma zum Kaffeetrinken eingeladen sind, dann vergessen wir das leider. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich will das nicht schlecht machen, ich lebe ja selber zum größten Teil so. Aber es ist sehr nützlich, sich das ab und zu vor Augen zu führen. Denn für unsere Hunde ist diese Art des Lebens ein echtes Problem.

Hunde verfügen über ein außerordentlich gutes Zeitgefühl. Wenn in Ihrem Tagesablauf alles sehr geregelt abläuft, dann weiß ein Hund innerhalb weniger Wochen nach seinem Einzug, wann die Familie aufsteht, wie der Tag organisiert ist, an welchen Tagen Frauchen mit ihm zur Hundeschule geht, wann die Kinder heimkommen, wann der Papa. Sie unterscheiden zwischen Wochen- und Feiertagen, erkennen, wann die Ferien beginnen und wann der Alltag wieder einkehrt. Es wichtig für sie, unser System zu durchschauen, auch wenn unsere Vorhaben im Einzelnen nicht so bedeutend sind für einen Hund. Oder haben Sie schon mal erlebt, dass ein Hund regelmäßig zum Friseur geht? Also ich meine: freiwillig und auf Eigeninitiative. Sie nehmen unser System als gegeben hin, Menschen sind eben so, dass sie den ganzen Tag über etwas zu tun haben. Solange das vernünftig läuft, gibt es auch keine Probleme. Denn sie registrieren an kleinsten Anzeichen, was wir vorhaben und ordnen es richtig ein.

Probleme, z.B. mit der Leinenführigkeit, bekommen wir erst, wenn die Bedürfnisse Ihrer Pelznase zu kurz kommen. Das durchdenken wir jetzt mal am Beispiel eines Welpen vom Züchter, der in seine neue Familie kommt.

Welpen müssen in aller Ruhe die Welt erkunden

Es kommt immer wieder vor, dass Welpenkäufer den Züchter und damit den Welpen danach aussuchen, ob der Welpe zu einer bestimmten Zeit abgegeben wird, nämlich dann, wenn sie ihren Urlaub planen. Alles wird genau und fürsorglich eingeteilt: wer ist wann wie lange den ganzen Tag zu Hause, damit der Kleine die ersten Wochen und Monate ganz sicher nicht allein ist, bzw. langsam an längeres Alleinsein gewöhnt werden kann. Bei Züchter A, der eine sehr freundliche und kinderliebe Hündin hat, da im Haushalt nette und tierliebe Kinder leben, kann man keinen Welpen holen, da der Wurf unpassend kommt. Bei Züchter B ist die Hündin den Kindern gegenüber eher etwas scheu. Es gibt hier auch keine Kinder, aber man geht davon aus, dass die eigenen Kinder ja lieb sind mit dem Hund, eine gute Hundeschule am Ort ist und man das schon hinkriegen wird. Denn die Zeit der Welpenabgabe passt perfekt. Das bedeutet jetzt nicht automatisch, dass es Probleme mit dem Hund und den Kindern geben muss, aber die Startbedingungen sind einfach nicht so günstig.

Gehen wir jetzt mal davon aus, dass mit den Kindern alles gut klappt. Die erste Woche verbringt die Familie mit dem Neuzugang zu Hause. Der Kleine wird nicht überfordert, da man vorab in der Hundeschule angerufen, sich angemeldet und wichtige Details für die ersten Tage geklärt hat. Alles verläuft ruhig und ordentlich und er kann sich gut eingewöhnen. Nach einer Woche ist dann der erste Besuch in der Hundeschule angesagt. Die ganze Familie ist schon total aufgeregt, die Kinder freuen sich und auch die Eltern sind gespannt, was sie erwartet. Das Laufen an der Leine hat man schon ein bisschen im Garten geübt, und zwar mit dem Halsband und der Meterleine, die man vom Züchter mitbekommen hat.

Dies ist jetzt der erste Tag, der für den Kleinen ganz anders abläuft wie bisher. Es ist Samstag, also wird ein wenig länger geschlafen und gemeinsam ausgiebig gefrühstückt. Bisher hat der Kleine einfach die Morgenhektik verpennt, jetzt ist auf einmal alles neu. Das findet er sehr aufregend. Nach dem Frühstück packt die ganze Familie zusammen, was sie so brauchen, die Nervosität steigt, da man ein bisschen spät dran ist. Man will auf gar keinen Fall zu spät kommen. Der Kleine findet das so aufregend, dass er vergisst sein Pipi anzumelden, was er schon mehrfach gemeistert hat, und pinkelt auf den Teppich. Jetzt wird die Aufregung noch größer, da man das Malheur erst beseitigen muss und dadurch wieder Zeit verliert.

Aber schließlich kriegt man alles in den Griff. Kinder und Hund sind im Auto verstaut und es geht los. Unser Freund hat mit dem Autofahren eigentlich kein Problem, aber heute ist er nervös, jammert rum und fühlt sich nicht wohl. Nachdem man gelesen hat, dass man so etwas einfach ignorieren soll, kümmert sich keiner um ihn. Die Fahrt dauert ja auch nur wenige Minuten. Schließlich ist man angekommen. Man hat sich im Vorfeld für eine Hundeschule entschieden, die für Welpen Einzelstunden anbietet, damit man individueller betreut wird. Die Trainerin ist schon auf dem Hundeplatz, als man auf den Parkplatz fährt und die Nervosität im Auto nimmt zu. Eilig steigen alle aus, der kleine Hund wird angeleint und dann hat man es noch eiliger, zur Trainerin zu kommen, die schon am Tor wartet. Wenn sie weiß, was sie tut, lässt sie es nicht so weit kommen, sondern geht Hund und Menschen entgegen, und zwar ruhig und gelassen, und sorgt dafür, dass der Kleine abgeleint wird. Warum?

Weil sonst dieser kleine Hund von seinen netten, eifrigen Menschen am Halsband mit einer viel zu kurzen Leine in den Hundeplatz hineingezerrt wird und die ersten Grundlagen für einen an der Leine ziehenden Hund gelegt werden. Und warum tun sie das? Damit sie keine Sekunde der kostbaren Stunde versäumen und weil es unhöflich ist, jemanden warten zu lassen, und weil sie wenige Minuten zu spät dran sind. Lauter Gründe, die nichts mit Hundeerziehung, aber sehr viel mit unserem Umgang mit Zeit zu tun haben. Ein paar Minuten, und das ist jetzt kein Witz, sondern bitterer Ernst, entscheiden also unter Umständen darüber, ob Ihr Hund einmal leinenführig wird oder nicht. Denn diese wenigen Minuten, wenn die Trainerin nicht dafür sorgt, dass Sie richtig instruiert werden, wiederholen sich jeden Tag. Mehrfach.

Bleiben wir erst mal bei der Hundeschule. Für die kleine Pelznase war bis jetzt schon ein ordentliches Programm geboten: der Alltag, an den er sich gerade gewöhnt hatte, wird abrupt unterbrochen. Die Aufregung – auch wenn es eine freudige ist – der gesamten Familie teilt sich ihm mit, regt ihn auch auf, aber er versteht nicht, warum so viel los ist. Freuen wird er sich über das Durcheinander ganz sicher nicht. Durch das Pfützchen auf dem Teppich trägt er dazu bei, dass es noch aufregender wird, und das hat er schon verstanden, dass das nicht soo toll ist. Dann kommt die Autofahrt, der Papa schimpft vor sich hin, weil alle so langsam fahren, man ist schließlich spät dran. Auf die Nervosität der kleinen Pelznase geht keiner ein. Wieder eine unverständliche Aufregung für den Kleinen. Schließlich steigt man mit großem Zinnober am Hundeplatz aus. Anstatt ihn jetzt einfach zur Ruhe kommen und die Umgebung langsam erkunden zu lassen, wird er an der Leine irgendwohin gezerrt, wo er vielleicht noch gar nicht hin möchte.

Eine andere Variante: man ist zu früh da und geht vom Hundeplatz weg, weil die Trainerin noch nicht in Sicht ist. Das könnte den Vorteil haben, dass der Kleine draußen sein großes Geschäft macht und man es nicht wegräumen muss. Außerdem möchte man gerne die Umgebung erkunden. Dann sieht man die Trainerin kommen und läuft ganz schnell hin – selbstverständlich mit einem ziehenden Hund, denn der möchte lieber in die andere Richtung weiterlaufen, also zerrt man ihn in die „richtige“ Richtung. Oder mit einem ziehenden Hund, weil man ihm erfolgreich vermittelt hat: wir haben es jetzt furchtbar eilig und Ihre Hektik ihn dazu animiert, ganz schnell an gespannter Leine dahin zu zerren, wo Sie offensichtlich hin wollen. Und schon wieder wird „Ziehen an der Leine“ zum normalen Verhalten.

Er lernt aus dieser Aktion, die in Menschenbegriffen nur ganz kurz dauert: erst ist alles ganz aufregend, keiner erklärt ihm, um was es geht, und es wird an ihm herumgezerrt. Und weil er keinen blassen Schimmer hat, was da abgeht, und einfach ein bisschen Zeit für sich bräuchte um „anzukommen“, hält er dagegen und zieht selber an der Leine. Ganz nach dem Motto: „Druck erzeugt Gegendruck“.

Er lernt des Weiteren: ziehen ist anscheinend normal und erlaubt, denn die Menschen ziehen ja auch.

Wenn die Trainerin jetzt nicht gut reagiert, dann kann man wirklich sagen: blöd gelaufen. Und warum? Weil die Minutenangaben im Kalender und auf der Uhr wichtiger sind, als die Bedürfnisse des kleinen Hundes. Das meint niemand böse, aber so läuft es meistens.

Für den kleinen Kerl ist das Leben bei uns sowieso ziemlich kompliziert, denn Hunde haben kein „Hundeschul-Gen“, kein „Wir-fahren-auf-Besuch-Gen“, kein „Wir-müssen-jetzt-zum-Tierarzt-Gen“ oder sonstige Gene, die sie auf unseren komplizierten Alltag vorbereiten. Sie verstehen z.B. nicht, warum bei einem Spaziergang, der für einen Welpen nur wenige Minuten dauert, unbedingt Anfang und Ende festgelegt werden müssen. Sie als stolzer Welpenbesitzer stellen sich vor, dass Sie mit ihm morgens diese nette kleine Runde laufen, sich dabei auf den Tag einstellen und Ihr Alltag dadurch entspannter wird. Eine wunderbare Idee. Nur leider für Welpen nicht immer nachvollziehbar. Hier kommt ein Blatt geflogen, in der Hecke piepst ein Vogel, auf der Straße fährt ein Auto vorbei, auf der Wiese läuft die Nachbarskatze und im Haus nebenan bellt ein Hund. Ihr kleiner Freund hat nicht den gleichen Plan wie Sie und einfach keine Zeit von A nach B zu laufen, denn der muss erst alle diese Neuigkeiten verarbeiten und einsortieren. Dazu erwarten Sie auch noch, dass er sein Geschäftchen erledigt. Wenn Sie ihn jetzt weiterzerren und weiterbetteln, mit Leckerchen locken oder auch ein Stück tragen, da Sie sonst nie vorwärts kommen, dann tun Sie alles dazu, ihn unsicher und unruhig zu machen und ihm ganz nebenbei beizubringen: wenn ich unbedingt irgendwo hin möchte, z.B. unter diesen Busch zum Pipimachen oder weil ich mir dieses Blatt genauer ansehen möchte, dann muss ich ziehen oder dagegenhalten, was aufs Gleiche hinausläuft.

Völlig nebenbei und unbeabsichtigt lernen unsere Hunde vom Welpenalter an, dass Ziehen am Hund einfach ein Bestandteil im Leben mit Menschen ist. Spaß macht das den Pelznasen sicher nicht, aber es zeigt ihnen ja niemand, wie‘s anders geht.